slide of „Überlebenskampf“

Wir haben gestern an der Nähmaschine zu nähen gelernt und ich habe etwas verstanden.

Die ersten Ideen dazu kamen schon in den Überlegungen zu der Radtour, die wir für den Mai planen. Während ich keinen Anlass sehe zu lernen, wie man Regenwasser sammelt und aus jungen Bäumen eine Bettstatt baut, weil es Zeltplätze und überall* sauberes Leitungswasser gibt, sind Teile meines Innenlebens von 0 auf eine Zillion in Vollbereitschaft jetztgleichsofortzackzack ohne alles über Wochen und Monate draußen zu leben.
Für diese Innens gehts ums Überleben, obwohl es für uns andere als Reiz- und Menschendiät gedacht ist. Also genau ganz viel weniger Notwendigkeit in einem bestimmten Überlebensmodus zu sein.

Wir sind also irgendwie alle immer und immernoch im Überlebensmodus.
Die einen sehr auffällig aus Zeit und Raum gefallen, die nächsten sehr auffällig in Ängste und Sorgen gerutscht, die nächsten einfach wissbegierig, aber auch wissend, dass die Erkenntnis (nur/häufig) in Abhängigkeit von anderen Menschen kommen kann, was wiederum eine Bedrohung für die eigene Existenz bedeutet.

In der letzten Woche habe ich mich oft vor dem Innen gefürchtet, weil ich eine hohe Bereitschaft in suizidale Ideen zu kippen spürte, obwohl es keine fremden oder neuen Belastungen gab. Und nicht gesehen habe, dass ich mich in einem Überlebensmodus bewegt habe – ding ding ding Helferversagen und Hilfekrämpfe.
Ich hatte wieder einmal, weil von außen keine Bestätigung über die Berechtigung (und darüber eine Beruhigung) meines Empfindens kam, aufgehört darauf zu pochen entlastet und versichert zu werden und die Ärmel hochgekrempelt, um es selbst zu machen. Wie ich alles selbst mache. Weil ich es ja kann. Obwohl mein Inneres schreit und brüllt und krampft, dass es nicht kann.

Und jetzt hab ich auch noch gelernt zu nähen. Weil: dann kann ich mir ja so eine schwere Decke selber nähen und brauche weder den Begleitermenschen und seine schwere Turnmatte, noch den Antrag auf Leistungen aus dem FSM, die so eine Decke ermöglichen sollen.

Man liest so oft von den Vielen, die immer so verzweifelt ums Überleben kämpfen und übersieht dann die Kämpfe, nach Ausstieg, nach konkreten Verletzungs- Gewalterfahrungen, die eigentlich noch so viel näher liegen.
Selbst die Innens mit ihrem eingeübten Survivaltraining zum Überleben ohne Strom und fließend Wasser, sind keine versprengt desorientierten  Kinderinnens, die im übertragenden Sinne ihres Handelns nach Mami greinen, weil sie Angst davor haben zu verhungern.
Das sind die, die man im Fall der Fälle hoch achtet und sich ihnen überlässt, weil sie wissen, was warum und wie zu tun ist.  Das sind die, deren Kampf darin besteht, diese “von 0 auf eine Zillion –Jetztgleichsofortzackzackvollbereitschaft” nicht zu verlieren, weil sie für den Überlebenskampf “sich auf eine andere Person verlassen, die eventuell vielleicht (wenn die Gestirne recht am Himmel stehen und das Spagettimonster gekräuselte Locken hat) weiß, was zu tun ist” keinerlei Handlungsoption kennen.

Dann ist es plötzlich kein Kampf ums Überleben mehr, wenn man sich stellvertretend für Sozialarbeiter_innen, Helfer_innen, Mediziner_innen und Jurist_innen in ein intersektional-eklektisches Selbststudium wirft, aber Hartz 4 bezieht und nicht mal ein Abitur hat.
Das ist dann “ganz tolle Compliance”, “total gute (kostenlose) Hilfe”, “super engagiertes Ehrenamt” oder noch mit am schlimmsten: “Inspirationporn” für die, die sich selbst für schwach halten, weil sie “sowas selbst nie aushalten/ertragen/überleben könnten” bzw. glauben, sie könnten das nicht, gerade weil sie es nie selbst aushalten/ertragen/überleben mussten oder anerkennen wollen/können/dürfen, dass sie es sehr wohl schon mussten und auch konnten.

So wird aus dem Überlebenskampf eines Innens eine zugeschriebene Eigenschaft: “stark” und es gibt Dialoge wie:
“Es erstaunt mich wie so eine schwer kranke Frau noch nie hier auf unserer psychiatrischen Krisenstation war.”
– “Sie ist halt eine starke Frau”

Ja, an diesem Wortwechsel habe ich einen Dorn und inzwischen nicht einmal mehr, weil ich dachte, dass unserer Therapeutin einfach nichts anderes eingefallen ist, sondern dass ich argwöhne, ob sie noch mitzieht, wenn die Ärmel-hoch-K., die jeden und alle mit Worten und Intellekt an die Wand ballern kann, aufhört und ebenfalls ihre Löffel einspart, weil: suddenly Therapiefortschritte.
Was ist denn wohl, wenn man über uns als Einsmensch nicht mehr sagen kann: “Sie ist eine starke Frau – gucken sie mal, was sie alles kann und macht – es lohnt sich total mit ihr zu arbeiten, weil: es ist super befriedigend (und inspirierend)”.

Was ist, wenn wir schwach sind, weil wir schwach sind?
Wenn von all dem womit man eine DIS aufpusten und mysteriös spannend special machen kann, um sich in jahrelange Traumaverarbeitung against Richtlinie und gesamtgesellschaftliche Wertschätzung dessen zu motivieren, ein verletztes und dysfunktionales Ex-Opfer übrig bleibt, das nicht einmal in der Lage ist Hilfen anzunehmen, weil es das einfach gar nicht kann.

Ich glaube, es wird unterschätzt wie viele Fähigkeiten so eine (Psychotrauma-)Psychotherapie erfordert. Wie sehr Therapie und Hilfe nicht barrierefrei sind.
Unsere Therapeutin hätte sagen müssen: “Frau Rosenblatt kämpft ums Überleben.”

Aber vielleicht hatte sie das für einen Moment vergessen.

Und – wie ich ebenfalls in der letzten Woche lernte – merkt man uns (mir) nicht einmal dann das Kämpfen an, wenn ich es sage.
Wenn ich es auf meine Art rausschreie, brülle, krampfe.
Nicht mal dann.

Lieber P.

Bitte sag mir nie wieder, ich würde mich selbst behindert machen. Bitte sag mir nie wieder, ich würde mich selbst komisch machen.
Ich bitte dich nicht aus Gründen einer political correctness darum, sondern, weil mich diese dummen Worte von dir verletzen und dich zu einem Kontakt machen, der unerträglich ist.

Du verstehst wohl nicht, warum Menschen verletzende Dinge, wie auch das N-Wort nicht hören wollen. Weshalb sonst habe ich es an deiner Seite so oft gehört, wie noch nie neben anderen Menschen? ‚Politisch korrekt‘ ist wohl ein Witzchen für dich. Oder eine Randnotiz, an die man sich erinnert, wenn man mit den Betroffenen zu tun hat.
Eine Handlungsempfehlung. Keine Bitte darum, nicht gedemütigt, entwertet, verletzt zu werden. Kein Hinweis auf deine Privilegien als weißer Mann in unserer Gesellschaft.

Ich erinnere mich an deine Schilderung aus dem Buch eines Künstlers, dessen Beobachtung über die alltäglichen Anstrengungen und Kämpfe behinderter Menschen du so bemerkenswert findest. Und ich weiß, dass ich dir sagte, wie erbärmlich es ist, wenn Menschen, die sich nicht als behindert erleben, sich staunend daneben stellen, wie Menschen kämpfen können, um ihr tägliches Leben in irgendeiner Form zu gestalten.
Erbärmlich ist es, weil es so viel mehr Optionen gibt, den täglichen Kämpfen von Personen zu begegnen.
Weil es keine Wahl ist zu kämpfen, wenn man behindert ist und wird, sondern eine verdammt noch mal zwingende Notwendigkeit, sich selbst vor Verletzung, Unterdrückung und Ausbeutung zu schützen. Weil es sonst schlicht niemand tut. Kein Interesse da ist. Kein Bemerken passiert. Keine Anerkennung von einem Schmerz, der ist, auch, wenn er von niemandem sonst erlebt wird, geschieht.

Du und das Kunst-LK- Mädchen, ihr beide sitzt da mit eurem privilegiertem Leben hinter euch und sagt mir, ich würde mich selbst behindert machen, wenn ich offen aufzeige, dass Dinge für mich nicht sind, wie für euch.
Manchmal denke ich in solchen Momenten, ich würde irgendetwas falsch machen, wenn ich zeige: “Hallo – das hier ist ein Kampf für mich. Ich bin behindert. Ich versuche hier wie ihr zu partizipieren und kann doch nicht, was ihr könnt.“. Ich merke wohl, wie Menschen, wie du und dieses Mädchen, dieser Künstler, D. und wie sie alle in unserem Kurs sitzen, denken, ich würde immer nur über mich sprechen, wenn ich das Wort mit B sage.

Eine Behinderung im Leben zu haben, gilt als etwas Persönliches und nicht als etwas, das alle betrifft. Auch dann, wenn es nur eine Person ist, die damit lebt.
Nie bezieht ihr meinen Kampf auf euch, unseren Umgang miteinander, unsere gemeinsame Sprache, unsere jeweiligen Sozialisierungen, unsere spezifischen Lebenserfahrungen, den Kontext, die Räume, die Themen und die Arbeiten, die wir produzieren und begutachten, sondern immer auf mich.
Wenn ich Probleme habe, soll ich was sagen. Soll ich wissen, ich kann immer kommen.
Das Ding ist – einen Scheiß kann ich. Einen Scheiß lohnt es sich die Kraft dafür aufzubringen, ein Problem an euch heranzutragen, weil ihr vor jeder Unterstützungsüberlegung verlangt ein Problem zu verstehen, dass ihr selbst nie hattet, nie habt, nie haben werdet. Weil ihr von mir eine Barrierefreiheit in der Kommunikation verlangt, die ihr als übertrieben, political correctness-Spielerei, übermäßig raumeinnehmend benennen würdet, wenn ich sie von euch einfordere.

Als ich D. sagte, ich habe Krampfanfälle, hat er mich gefragt, was er dagegen tun soll.
Dabei war mein einleitender Satz: “Gibt es einen Ruheraum in der Schule? Gibt es einen Raum, in dem man sich in Ruhe aufhalten kann – das hilft mir beim Umgang mit den Krampfanfällen.”
Ich merke den Schlag ins Gesicht noch heute, wann immer ich mir die Rumpelkammer angucke, die er mir angeboten hat. Du weißt schon – der Raum, der immer vollgestellt ist mit den Bilderrahmen, den Kunstsachen zum Trocknen, dem lose hingeworfenem Werkzeug und dem Boden, der eben dann und wann mal gefegt wird. Was glaubst du, wie sich das auf meine Angst vor einem Krampfanfall in der Schule so auswirkt, wenn ich weiß: „Da muss ich rein, wenn ich merke, dass ich die Kontrolle über meinen Körper verliere.“? Hoch bis unters Dach, jemanden vorher noch bitten den Raum aufzuschließen, dann hinfallen. Vielleicht mit dem Gesicht auf eine vergessene Reißzwecke auf dem Boden oder mit einer Faust in die Glasplatte eines Bilderrahmens neben mir.

Er kommt sich hilflos vor, weil er aus meinen Worten viel mehr Mitverantwortung gedeutet hat, als da jemals drin war.
Er sagte mir, ich würde mich selbst komisch machen, wenn ich Menschen sage, dass ich nicht alles immer überall mitmachen kann, weil ich meine Behinderung mitdenken muss.
Heimlich hoffe ich auf einen Moment, in dem er mal ein alter Mann ist, der eine Inkontinenz immer mitdenken muss und selbst anfangen muss sich zu überlegen, was er wie wann wie oft und wie lange (spontan) mitmachen kann. Und natürlich wünsche ich ihm irgendein ignorantes Arschloch in seinem Leben, das ihm sagt, er würde sich selbst komisch machen, wenn er es schafft seine Scham zu überwinden und jemandem anvertraut, dass er da ein Problem mitbedenken muss, das er nicht beeinflussen kann.
Echt – ich hoffe, ihm wird irgendein peinliches, möglichst ungeeignetes Kleidungsstück für den Notfall angeboten. Und ich hoffe – einfach, weil ich auch nicht frei davon bin in Gedanken gewaltvoll und gemein zu sein – er pisst sich dann in die Hosen und das an einem gerade so irgendwie halbwegs passendem Ort.
Ich hoffe, ihm wird irgendwann klar, wie das für mich war nach einem Anfall im Schulklo zu liegen und zu wissen: “Keine einzige Person hier wird mir helfen. Keine Person hier wird das verstehen. Ich bin allein. Ich bin hilflos. Ich habe nichts unter Kontrolle.”.

Ich habe dir erzählt, dass ich seit der Autismusdiagnose merke, wie viele faule Kompromisse ich jeden Tag eingegangen bin.
Ich habe dir keine Bespiele gegeben, weil ich noch nicht so weit war. Inzwischen habe ich einige.

– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn mir Menschen sagen, ich würde Dinge fehlinterpretieren und Personen, deren Worte mich verletzen und demütigen würden sicher etwas anderes gemeint haben
– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn Menschen mir sagen, ich sei spitzfindig und viel zu differenziert
– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn Menschen mir sagen, mein Anspruch an respektvolles Miteinander sei zu hoch
– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn Menschen nicht reflektieren, dass sie mich missverstehen und/oder schlicht ignorantes Verhalten an sich zu legitimieren versuchen mit Sätzen wie: “Ja aber früher hat man das immer so gesagt/gemacht/gedacht …” oder “Ja ja haha politisch korrekt müsste man ja sagen … aber naja – wir sind hier ja nicht so.”

Weißt du – was ist, wenn Menschen mich doch immer wieder verletzen und es schlicht nicht merken, weil es sie einen Scheiß interessieren darf, welche Wirkung ihre Worte haben (könnten)?
Gestern hast du mir gesagt, das sei ein gesellschaftliches Problem. Und nicht mitbedacht, dass jede Einzelperson ein Teil dieser Gesellschaft ist. Dass Gesellschaft immer genau dort beginnt, wo ein Mensch auf einen anderen trifft. Verdammt – es ist normal und im Grundgesetz für jede Person als Recht verankert, dass man nicht verletzt und gedemütigt wird. Auch dann, wenn die Person das nicht wollte. Mein Schmerz ist nicht über die Intension des Gegenübers zu definieren, sondern darüber, wie sehr er mich quält.

Ich weiß, “die Gesellschaft” mag das gern so tun. Deshalb haben wir so eine hohe Dunkelziffer von Menschen, die misshandelt werden. Weil immer alle sagen: “Er hat es ja nicht so gemeint.” Weil selbst viele Täter_innen sich sagen: “Oh – ups – das wollte ich nicht.” Und weil es noch immer hilfreich in Sachen juristischen Strafmaßes ist zu sagen, man hätte gedacht für die geschädigte Person würde die Tat nicht so schlimm sein.
Das nennt man übrigens Gewaltkultur und ist Kackscheiße, weil es den Opfern/den geschädigten/unterdrückten/minorisierten Personen sagt: “Dein Schmerz/dein Schaden ist egal, weil die Person, die dir wehgetan hat, diesen Schmerz nicht mitbedacht bzw. billigend in Kauf genommen hat.”

Nehmen wir an, es sei mein Autismus, der mich spitzfindig macht. Der mir nicht erlaubt über Details und einzelne Worte mit ihren spezifischen Bedeutungen hinwegsehen zu können. Nehmen wir an, mein Gehirn funktioniert so sinnbasiert, dass ich alle Schulkameras an dem Geräusch unterscheiden kann, das ihr Innenleben macht, wenn man die Einstellungen ändert. Nehmen wir an, meine Art auf Respekt und Gerechtigkeit zu achten, hätten etwas damit zu tun, dass ich in nicht ausbalancierten Situationen in Panik gerate, weil ich den Überblick und sämtliche Sicherheitsgefühle verliere und darüber in Erinnerungen an meine 21 Jahre andauernden Gewalterfahrungen getriggert werde.
Nehmen wir an, meine Interpretation der Situation hätten eine Basis, die die Mehrheit der Menschen um mich herum schlicht niemals hatte und niemals haben wird, weil Autismus eine neurologische Entwicklungsform zugrunde liegen hat.

Nehmen wir an, ich würde keine Wahl darüber treffen, was ich wann wie wahrnehmen würde.
Da würde jedes “Nu sei mal nicht so…” ein richtig großer Tritt in die Fresse sein, richtig?

Was ich wählen kann ist, wie sichtbar ich meine Wahrnehmung mache. Das heißt, von wem ich mich am Ende eventuell absichtlich ins Gesicht treten lassen würde, weil es schlicht so unterschiedliche Wahrnehmungsbefähigungen gibt.
Ich erwarte nicht, dass Menschen verstehen, was “es ist zu laut” für einen überbordend furchtbaren Schmerz für mich bedeuten kann. Ich erwarte nicht, dass Menschen Dinge für mich verändern, damit ich leichter und mit weniger Kraftaufwand am Leben teilhaben darf. Auch am gesellschaftlichen.
Aber ich erwarte, dass ich nicht auch noch dabei ausgelacht, in meiner Wahrnehmung und Einschätzungsfertigkeit in frage gestellt oder allgemein als “mich selbst behindert machend” bezeichnet werde, wenn ich versuche, das Leben für mich aushaltbarer/barrierenärmer/weniger einsam/respektvoller/generell lebenswerter zu gestalten.

Es sind nicht die Hilfsmittel, die man benutzt, die einen zu einer behinderten Person machen, lieber P.. Es ist die Behinderung durch Gesellschaft, Umwelt, Lauf der Dinge, die Personen behindern und/oder behindert machen.

Vielleicht kennst du aber auch das soziale Modell von Behinderungen nicht. Okay – kein Problem.
Wie gut, dass ich von Hartz 4 zu leben versuche, wie ein Großteil der schwerbehinderten Menschen in Deutschland, die in der Regel weit davon entfernt sind, sich dafür entschieden zu haben weder eine Berufsausbildung noch einen ordentlich bezahlten Job zu haben. Daran kann man es gut erklären.

Hartz 4 behindert mich, weil es nur dazu da ist, eine errechnete grundlegende Versorgung von Menschen ohne Einkommen sicherzustellen.
Und sonst nichts. Hartz 4 lässt einem Menschen keinen Raum sich einen so glatten Habitus anzueignen, wie ihn das Kunst-LK-Mädchen gestern schon an sich hatte. Oder wie ihn D. hat. Hartz 4 lässt nicht zu, dass man sich für eine Karriere so viele Fort-und Ausbildungen finanziert, wie man sie brauchen würde. Erst recht nicht, wenn es um Fort- und Ausbildungen geht, die Menschen mit Behinderungen/Behinderte mitdenken.
Man kommt darunter nicht vom Fleck. Hartz 4 ist nicht gemacht für eine Verweildauer über ein oder zwei Jahre hinaus. Die Realität sagt dagegen, dass die durchschnittliche Verweildauer inzwischen bei sieben Jahren ist. Und auch, dass die Schuldenlast von Hartz 4-Abhängigen mit jedem Jahr des Bezuges steigt.

Du erinnerst dich sicher an mein bitteres Jubiläum von 10 Jahren in Hartz 4.

Es ist kein Stock im Arsch oder unbegründete Angst, wenn ich mir jeden größeren und kostenrelevanten Schritt in meinem Leben 2, 3, 4, 5, 6 Mal überlege und dann doch verwerfe.
Hartz 4 ist eine Barriere. Strukturell gewollt. Gesellschaftlich benutzt, um sich selbst immer wieder darüber zu motivieren sich anzustrengen, mehr Leistung, mehr Geld, mehr Sicherheit selbst zu produzieren. Ich kann mich nicht entscheiden, davon einfach nicht mehr abhängig zu sein. Ich kann nicht mehr Leistung, mehr Geld, mehr Sicherheit produzieren. Ich kann es nicht, weil der Raum für Menschen wie mich, der das ermöglichen könnte, noch nicht erschaffen ist.

Weil es so viel leichter ist zu sagen, man müsse nur wollen und sich irgendein Negativbeispiel vor Augen halten.

Apropos Negativbeispiel.
Wo kommt eigentlich dein Denken her, meine Behinderung als irrelevant zu betrachten, sei Inklusion?
Seit ich dich als Menschen mit Fußspitzen in meinem Leben in meinem Artikel “Für mich bist du nicht behindert” beschrieb, denke ich darüber nach, was das eigentlich für ein Gedankendreh ist, weil es mich so sehr fasziniert, wie unbedingt bestimmte Sichtweisen immer und immer eine Bestätigung von sich selbst produzieren wollen.

Ich weiß nicht, ob es da, wie über so manche Medien transportiert, um Berührungsängste – also Ängste an sich – geht oder schlicht darum, die eigene Ignoranz zu legitimieren, aus Sorge dafür so verachtet zu werden, wie es angemessen sein würde.

Aber vielleicht schaue ich auch einfach selbst nochmal genau auf Ignoranz und Sichtbarkeit von behinderten Menschen beziehungsweise Behinderten. By the way ja – manche Menschen, und ich zähle mich dazu, nennen sich selbst “Behinderte” und inkludieren damit ihr Sein als ausgegrenzte und eben auf verschiedenen Ebenen behinderte Person in die Selbstbezeichnung. Das geht nicht allen Menschen so, deshalb mache ich so viele Wörter und spreche sowohl von Menschen mit Behinderungen, als auch von Behinderten. Das tut mir nicht weh. Im Gegenteil, es erfreut mich zu wissen, das beide Bezeichnungen dafür sorgen, dass ich selbst weniger ausgrenzend spreche.
Ich freue mich zu merken, dass ich meine Sprache so gestalten kann, dass weniger Menschen verletzt werden, während ich sie sichtbar zu machen versuche.

Es freut mich überhaupt Menschen mit meiner Sprache und über meine Handlungen im Alltag sichtbar zu machen.
Ich versuche mir immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, was meine grundlegenden Annahmen über die Kontexte, in denen ich mich bewege, sind. Das tue ich nicht, weil ich ein blütenreiner Gutmensch bin, sondern, weil ich mich innerhalb der Kontexte, in denen ich mich bewege, auf möglichst barrierenarme Art bewegen will und zwar für alle Menschen, die ihn mit mir teilen.
Weil ich das gut finde. Weil es beruhigend ist. Weil ich weiß, wie wenig Stress das bedeutet und darüber, wie gering mein Risiko für einen Krampfanfall, Overload oder dissoziative Symptome wird.

Ich kann nur dann gute und zutreffende Annahmen über einen Kontext haben, wenn ich alles, was in diesem Kontext ist, sehe im Sinne von “bewusst habe”.  Ich kann nur dann ein Klima von Respekt, Rücksicht und Akzeptanz gestalten, wenn ich nicht verlange, dass bestimmte Dinge versteckt und unsichtbar sind.

Du hast mich gefragt, warum ich an dem Berufskolleg, in dem ich mich für eine Ausbildung bewerben möchte, zuerst gefragt habe, wie barrierenarm die Schule für mich ist. Es sei doch sinnvoller gewesen erst meine Arbeiten zu zeigen.
Noch heute frage ich mich ernsthaft, wie man davon ausgehen kann, es sei nicht relevant vor einer konkreten Planung eines so großen Schrittes zu prüfen, wie gut oder schlecht man eine Chance zu nutzen in der Lage sein wird. Was glaubst du, wie das für mich ist, in einem Raum mit >15 Personen zu sitzen, eine unübersichtlich schwammige Sprache dekodieren zu müssen, um neue Inhalte zu begreifen und daneben vielleicht noch zu wissen: “Okay, meine Assistenzhündin kann nicht hier sein – ich werde also erst kurz vor knapp (oder auch gar nicht) merken, wann ich einen Krampfanfall habe/ich werde allein mit Panikattacken/Flashbacks/dissoziativer Symptomatik/Overloads zurecht kommen müssen (und natürlich so, dass niemand sonst von den auch nach außen sichtbaren Aspekten meiner Behinderung belästigt wird)”.

Ich bin 29 Jahre alt und weiß glücklicherweise bereits, dass es zu meinen Menschenrechten gehört (aus)gebildet zu werden.
Ich weiß zum Glück, dass es mich nicht verunsichern muss, wenn Menschen wie du nicht begreifen, dass Bildung für mich etwas ist, das ich mir zu 100% ab- und zusichern lassen muss – und zwar von denen, die verpflichtet sind sie mir zukommen zu lassen, weil es ansonsten niemanden interessiert, ob und wenn ja, wie ich aus all den strukturellen Abhängigkeitsverhältnissen herauskomme.

Du weißt ja, dass ich nicht zu den Glücklichen gehöre, die eine liebevolle und engagierte Familie in ihrem Leben haben.
Seit ich 15 bin lebe ich in staatlicher Fürsorge und diese deckt das physische Überleben einer Person ab. Nicht auch noch die Entdeckung und Entfaltung von individuellem Potenzial. Und erst recht eröffnet sie nicht so simple Dinge, wie einen Landeplatz für die Momente, in denen man doch nochmal auf Rückenstärkung und bedingungslose Fürsprache angewiesen ist.
Frag mal das Kunst-LK-Mädchen, wer sie so unterstützt. Fragen wir im nächsten Kurs doch einfach mal die Teilnehmenden, warum sie es sich leisten können, dauernd zu fehlen.

Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum ich nie fehle? Warum ich auch 5 Tage nach einem selbst verhinderten Suizidversuch in deiner Klasse stehe und alles Wissen, das du mit uns Schüler_innen teilst, aufsauge wie Wüstensand?

Einmal in der Woche kratze ich so schonungslos wie es andere Menschen sich wohl eher nicht antun würden, all meine Kraft zusammen und zerre meinen Arsch in diese Schule. Einmal in der Woche setze ich mich Menschenkontakten aus, die mich fordern bis überfordern. Einmal in der Woche öffne ich mich und versuche mich zurechtzufinden in einem Umfeld, das Lebensrealitäten wie meine weder kennt noch als normal und üblich wie die eigene betrachtet.

Einmal in der Woche verlasse ich meine Wohnung, meine Routine, meine Sicherheiten und berühre euren Kosmos, der nichts Besseres zu tun hat, als mich zu verletzen, neugierig, verwirrt, fragend und gleichzeitig ignorant vor meinem Abkämpfen um Teilhabe und Miteinander zu stehen und irgendwann – vielleicht, wenns dann in einem Gespräch um Menschen wie mich geht – daraus eine Anekdote für den nächsten Kurs, die nächste Unterhaltung über den Lauf der Dinge zu machen.

Einmal in der Woche habe ich 3 Stunden, in denen ich etwas haben darf, das mich befriedigt und satt macht: Ein Moment, in dem ich Dinge erfahren darf. Ein Moment, in dem ich Dinge auch mal nicht wissen darf und Fehler dazu gehören, ohne mich konkret zu bedrohen.
Ein Moment, in dem ich zum Teil einer physischen Gruppe werde.

Es ist so unfassbar traurig und ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, dass es für mich (und Menschen mit Behinderungen bzw. Behinderte allgemein) überhaupt so ein großes Ding ist, einmal in der Woche (für viele passiert es noch seltener!) unter Menschen zu kommen, die sie weder pflegen noch medizinisch/therapeutisch/bürokratisch behandeln.
Einmal in der Woche aus einer intrinsischen Motivation heraus Orte aufzusuchen, die ihnen zustehen, aber häufig genug verwehrt bleiben, weil sämtliche mögliche Barrieren schlicht nicht mitbedacht werden, von denen, die sie zur Verfügung stellen und/oder mitgestalten.

Und das, wo Deutschland doch so ein Vorreiter in Sachen Integration, Inklusion und Miteinander sein will.

Weißt du P. – du bist nur mein Lehrer. Das weiß ich. Es kann dir völlig egal sein, was wer aus dem Kurs mitnimmt und wer sich wie fühlt, während si_er da sitzt.
Ich weiß aber, dass du nicht so bist. Du bist einer dieser Menschen, die durchaus reflektieren können, wann sie etwas tun, das scheiße ist.
Du bist einer dieser wenigen Leute, mit denen ich gut gemeinsam in einem Raum sein kann.
Das ist eines dieser Dinge, die mich daran hindern mir das Leben zu nehmen.
Immer wieder sind es für mich aushaltbare Menschen, die mir versprechen mir etwas beizubringen, das mir wichtig ist und die Option immer immer immer lernen zu können.

Menschen mit meinen Gewalterfahrungen haben ein vier Mal höheres Risiko sich zu suizidieren.
Was glaubst du, wie lange würde das wohl dauern, bis jemand merkt, dass ich tot vom Dachsparren herunterhänge?

Richtig – mindestens eine Woche würde das dauern. Weil jede_r weiß, dass ich nie fehle. Weil alle Menschen, denen ich sage, dass ich traumatisiert, behindert und einsam bin, wissen, dass der Donnerstag der Tag ist, an dem ich die Welt berühre. Weil alle wissen, dass der Donnerstag der Tag ist, der mir so wichtig ist, weil ich dann zur Therapie gehe, in der Hoffnung das Geschehene zu verarbeiten und meine Versuche des Umgangs damit zu reflektieren und, weil ich mich zu dir in den Kurs setze, um zu lernen, wie ich die unglaubliche Schönheit und allumfassende Perfektion dieser Welt in Fotos festhalten kann, um sie zu teilen.

Menschen, denen bewusst ist, wie meine Einsamkeit zustande kommt und was alles damit zu tun hat, sagen mir nicht, ich sei selbst daran schuld, wenn ich so selten das Haus verlasse.
Menschen, die ein Bewusstsein darum haben, dass sie immer irgendwo hingehen und etwas tun, wenn sie das Haus verlassen, raten mir nicht “Einfach mal mehr unter Leute zu gehen”.

Menschen, die mich als die Behinderte sehen, die ich bin, fragen sich, wo ich denn eigentlich überhaupt wirklich gut und ohne einen großen Haufen fauler Kompromisse partizipieren könnte. Oder, wo ich mich willkommen und angenommen fühle. Manche fragen mich sogar, ob ich mich wohl gefühlt habe und was man verbessern könnte. Zu einem nächsten Mal, bei dem man mich gern wiedersehen würde. Weil es okay/bereichernd/schön/spannend/interessant war. Mit mir. Dabei. Mittendrin. Mit allem, was ich kann und nicht kann. Mit allem, was ich wahrnehme und wie ich es wahrnehme.

Lieber P., den ich wirklich sehr schätze, ich traue dir zu, dass du das auch kannst.
Ich traue dir zu, dass du verstehen kannst, wie groß und wie berechtigt meine Verletzung vor dem Hintergrund, den ich habe, ist.
Am Ende bitte ich dich erneut Rücksicht auf mich zu nehmen, nicht aus Gründen einer Korrektheit, die nur allzu oft verlacht wird, sondern, weil du mich nicht verletzen möchtest, wie du nicht von anderen Menschen verletzt werden möchtest.

Bis nächsten Donnerstag.
Mit vielen Grüßen,

Hannah

12 Monate

das Mädchen ohne Mund, das Mädchen ohne Hände, das Mädchen ohne Kopf, das Mädchen, das von der Decke baumelt, das Mädchen, dessen Unterschenkel an seidenen Muskelfasern im Nirgendwo herumflattert, das Mädchen mit dem Loch in der Mitte, das Mädchen mit der Schere im Ohr, das Mädchen mit den Haarbüscheln in den Händen, das Mädchen ohne Kleider, das Mädchen mit der Naht zwischen den Beinen, das Mädchen im Dunkeln, das Mädchen hinter Gittern, das Mädchen ohne Augen, das Mädchen mit dem Preisschild am Fuß, das Mädchen mit dem Aufziehschlüssel im Rücken, das Mädchen im eigenen Blut,
das Mädchen mit der blauen Schleife

das weiße Papier

und das Mädchen, das den Stift nicht aus der Hand legen kann.

 

Ich presse meine Kopfbilder wie einen Schwamm zusammen und quetsche einen Gedanken aus ihnen heraus. “Das Mädchen ohne Mund muss sicher nie zum Zahnarzt”.

Und am Ende brennen meine Gemälde und Zeichnungen der letzten 12 Monate.
Weil ich mich nicht übergeben kann. Weil ich nicht schreien kann. Weil ich mich anwidere. Weil mir nichts anderes einfällt, womit ich mich zum Weinen reizen kann.

als sich einmal Parallelen verbanden…

P6190068“Seit in mir alles durcheinander brüllt und weint und schreit und krampft und zappelt, gehts mir so gut, wie lange nicht. “, dachte ich heute morgennacht, als ich auf meine Betäubung wartend im Bett lag und dem Hund beim Atmen zuhörte.

Ich denke, “Ich muss doch mal wieder was ins Blog schreiben.” Und dann: “Ja was soll ich denn da rein schreiben?
Die lesen doch eh, was sie lesen wollen oder können oder dürfen oder müssen, what ever.
Darf ich da reinschreiben, dass ich meinen Selbsthass gerade gut finde und einfach gar nichts anderes machen will? Oder kommt dann ein großer Zeigefinger aus meinem Bildschirm und schimpft mich “Du du du- das geht aber nicht, das ist gar nicht positiv und heilsam!”?”.

Ich hab auch über diese “das Böse in mir”- Geschichte nachgedacht und gemerkt, dass sie die “falschen” Leute gefragt haben. Und, dass es in dieser Frage niemand “richtigen” gibt.
Was auch immer DAS DA innen ist, es kann nur sein, was die Menschen und Mächte zu sein haben wollen oder müssen oder brauchen oder what ever.

Mit uns und mir hat das aber nichts zu tun. Es ist schlicht nicht die Wahrheit, weil es so etwas wie Wahrheit und Wahrhaftigkeit nur auf klitzekleinen subjektiven Inselparadiesen des Bewussten geben kann.
Ich weiß gar nicht, wie sie und wir und alles im Innen darauf gekommen sind, diesem Wahrheitending hinterher zu hechten. Das war nie unser Kurs und es war und ist immer klar, dass Wahrheiten keinen so großen Einfluss auf das Leiden an oder mit oder unter etwas oder jemanden haben, dass es sich für uns lohnt, dem im Hoffen auf Entlastung nachzukommen.

Ich weiß, was mich entlastet und das ist akut sehr hilfreich.
Ich denke mir, dass Köpfe geschüttelt oder Hände über eben jenen zusammengeschlagen werden, wenn man von den superdupermegaweiten und ja schon fast fertigen Rosenblättern liest, dass sie sich gerade nicht mit Skills oder anderen positiven Ressourcen helfen, sondern damit, einfach gar nichts mehr davon zu machen, was ihnen andere Leute irgendwann mal beigebracht haben.
Das ist als würde ich Zähmung loszuwerden versuchen und ich fühle mich gerade sehr gut damit.

Ich habe den nächsten Therapietermin abgesagt – das heißt wir müssen da erst in 3 Wochen wieder hin bzw. nö – eigentlich ist erst 3 Wochen wieder ein Termin vereinbart. Müssen muss ich und müssen wir gar nichts. Ich will mir überlegen, was wir da eigentlich machen und wozu. Ob das überhaupt noch unser Kurs ist oder zu einem wurde der uns nicht gut tut.
Wir haben in den letzten Monaten so viel angefasst und durchgeschüttelt, aber Zeit zum Verarbeiten und Sortieren war nicht genug und ich denke, dass da irgendwas schief ist, wenn die Frontgängerin, die eigentlich NIE irgendwas merkt, mehrfach sagt: “Ich bin müde, ich bin kraftlos blablabla…” und man dann doch in der nächsten Stunde wieder etwas Heißes anpackt, weil das Gespräch einfach irgendwie so verläuft.
Ich mag diese Therapie sowieso auch nicht. Ich war schon von Anfang an dagegen mich fragen zu lassen “Wer sind sie? Mit wem spreche ich?”, zu Gunsten von Gefühlen von Kontrolle und damit Macht über die Situation und irgendwie auch mich als eine Uns, nur damit man am Ende irgendwas Fremdes zu denken bekommt und das in sich selbst finden soll, obwohls vielleicht gar nicht da ist und auch nie war.

Ich hab keinen Bedarf an Labeln von außen für das, was uns hat viele werden lassen. Mich interessiert nicht, was eine Gesellschaft zu etwas sagt, das sie, wie es ihr beliebt “Gewalt” nennt oder “Notwendigkeit”. Mich kotzt die Verlogenheit dieser unserer Umgebung in Bezug auf Verletzung, Demütigung und Unterdrückung schon an, aber richtig schmerzlich und unaushaltbar wird sie, wenn sie unreflektiert bei uns landet und dann Teil einer Norm wird, die, wenn sie als solche in anderen Kontexten benannt wird, abgelehnt werden würde.
Zum Beispiel wenn ich eine Email schreibe, dass ich den Therapietermin absagen will und die Therapeutin erst einmal schreibt, sie würde den Termin verbindlich gelten lassen. Was soll das denn? Wenn ich beim Zahnarzt einen Termin absage, sagt auch niemand: “Nee, sie kommen gefälligst her, because Termin ist Termin”.

Es interessiert mich nicht, was da für Intensionen hinterstehen. Es interessiert mich nicht, in wie vielen anderen Fällen so eine Rückfrage SCHON LEBEN GERETTET hat. Mein Leben ist nicht mehr bedroht als sonst. Überraschung- es ist in echt immer gleich scheiße, gleich belastet, gleich schwierig, gleich kompliziert, gleich nicht nachvollziehbar.
Ich glaube, für manch eine Person ist es wirklich eine Überraschung, wenn sich herausstellt, dass wir ein Mensch sind und dann auch noch einer, dem es beschissen geht, auch wenn Twitter, Facebook und diverse andere Spuren des Wirkens das gar nicht vermuten lassen.
Dann ist es plötzlich ganz verwunderlich, wie schnell man die Stigmatisierung von Krankheit und Behinderungen aufgrund psychischer Faktoren überwunden hat, als die gegenseitige Ähnlichkeit sichtbar und bewusst wurde.

Und plötzlich ist es peinlich, dass man Sätze wie “Es geht mir nicht gut” oder “Ich brauche eine Pause” oder “Ich muss langsam machen” irgendwie immer hat untergehen lassen, wie Sahne in heißem Kakao.
Es ist peinlich- nicht schmerzhaft, nicht überfordernd, nicht enttäuschend wie für mich und uns.

Und dann sollen alle Seiten machen, dass es wieder ins Lot kommt, obwohl es nur um eine Seite geht.
Es hat nichts mit uns zu tun, wenn andere Menschen uns nicht auf die Art zuhören, wie man jemandem zuhört, der gerade Bedürfnisse äußert oder Schwierigkeiten schildert oder Anteil an den Kämpfen in seinem ganz realen, ganz greifbar auch schmerzvollem Leben gibt.

Alles, was wir sagen können ist das, was wir schon seit Monaten sagen: Wir trauern, wir sind ungerächt, wir sind überarbeitet und froh um jeden Tag an dem sich etwas, was auch immer, erfühlen lässt, am Leben zu bleiben.
Für jetzt ist es ein Herbstcomic jeden Tag und ein Vortrag, der hoffentlich anderen Menschen hilft, in 3 Wochen.
Und eben nicht: ein Seelenarbeits-  Seelenoptimierungs-  Seelenseziertermin nächste Woche, der wieder neu in Frage stellt, was man gerade noch irgendwie in den Händen hatte. Und eben auch nicht: das Blog, in das so viel Arbeit, Zeit und Herzblut fließt und doch nicht das ist, was hilft, wenn es mir und uns so geht, wie es uns gerade geht.

egalegalegal

Ich spürte wie sich meine Muskeln zusammenzogen und noch während ich nach meinen Taschentüchern suchte, klappte es mich in der Mitte zusammen und ich erbrach mich mitten im Niesen.
Ich hatte keine Zeit durchzuatmen. Wollte nur alles schnell noch erledigen, mit NakNak* rausgehen und dann ins Bett.
Die Therapiestunde, meine Gedanken, die Fetzen, die an meinem Bewusstsein entlang flogen, das ganze Kranksein aus mir heraus pusten. Ja, wenns geht, auch aus mir heraus erbrechen.

Ich bezahlte meine Rechnungen mit einem D-Zug-Scheuklappendenken von: „egalegalegal Ich brauche sowieso nichts- mir gehts gut- ich hab alles, was ich brauche- alleallealle können Geld haben, dass ich nicht hab- ist egalegalegal“ und stolperte durch die Stadt zu einer Gemögten.
Ging rein, spuckte meine reduzierten Sätze heraus. Ohne Tränen.

Ich ging in den kühlen Gegenwind und dachte an Schmiedekunst.
Betrachtete NakNak* dabei, wie sie sich in den  Wind stellte und ihre Nase wackeln ließ.

Jetzt mit der Erkältung wird mir mein Kämpfen bewusst. Mein Gegenankämpfen und mein zähes Nachlassen dabei.
Meine Kontextlosigkeit darin.

Meine Gemögte kam zu Besuch und bot an, doch nicht in der kalten Küche zu sitzen. Ich spürte, wie ich wieder zu zerlaufen begann. Wie ich mich anstrengte und doch nicht mehr im Kopf hatte als: “Ich habe kein Sofa.”.
Mit dem nächsten Niesen, tropfte ich in dicken roten Tropfen aus meinem Körper heraus.

Sie fragte mich, ob sie mich berühren dürfte; ob sie mir einen Waschlappen in den Nacken legen dürfte und ich dachte nur wirres ungeordnetes Zeug. Stand vor meinen Gedanken und Impulsen und wusste nicht, welcher der Passende war. Sie schaute mich an und ich wusste, dass sie gleich wieder einen dieser Sätze sagen würde, der mich in der Mitte zusammenklappt und irgendetwas aus mir heraus fallen lässt.
Statt sie reden zu lassen, nieste ich, hustete, krampfte. Vor meinem inneren Augen fuhr ich alle meine Panzerstacheln heraus und bohrte sie gnadenlos durch sie, durch mich, durch die Zeiten.
Irgendwie, durch diese ganze Welt.
Egalegalegal

Sie fragte meinen Namen mitten in mein allumfassendes Krampfkämpfen hinein und legte mir die kleine Wärmekisseneule an den Handrücken.
Sie sagte, ich bräuchte grad nicht so zu kämpfen, ich solle atmen und versuchen es zu lassen. Alles kommen und gehen lassen. Die Wärme fühlen und mich etwas entspannen.

Ich hatte mich in meinen Korbsessel gesetzt und drückte die Eule an meine Brust, lauschte dem Rauschen vom Kühlschrank neben mir und betrachte sie beim Schmusen mit Naknak* auf der Küchenbank. Sie fragte, ob es ginge und ich dachte nichts weiter als, dass es natürlich geht.
“Ich glaub, ich bin zu stark fürs schwach sein”, war dann alles, was mir rauskam.

Sie schaute mich ernsthaft an. Besorgt. Sterbezimmerblick.
Egalegalegal
Ich hielt meine Eule fest. Atmete.
Dachte an “Es wäre leichter, wenn das alles nicht wahr wäre.”, überlegte, ob es wahr werden könnte, wenn ich es für wahr nehmen würde- auch wenn es nicht wahr sei.

Und irgendwo am Rand meines Bewusstseins kroch ein Kind in ihren Schoß, ließ sich den Rücken kraulen und erzählte von Boo dem Eulenküken im Computer.

was war

Gestern Abend hab ich die Dosis halbiert.
Hab das Wesen dicht unter meiner Haut rasen gefühlt.
Konnte trotzdem noch denken.

Halb 4 Uhr morgens gab es einen Moment, in dem ich dachte, dass es mich zerreißt.
Ein Augenblick, in dem ich meine Hände auf das Hüftgelenk drücken musste, um mich zu versichern.

Um 6 Uhr morgens setzte ich mich in die Dusche und ließ das Wasser einfach runterfallen. Dachte, ich würde es schon früh genug spüren, wenn es zu kalt oder heiß würde.
Dachte meinen eigenen Gestank, schmeckte die eigenen Gefühle und sah irgendwo unscharf im Augenwinkel, wovor es noch immer weglaufen wollte.

Um 8 Uhr morgens dann Tageslicht.
In meinem Käfig der Gedanke:
mein Hund, mein Sein
mein Da, mein Leben,
das Wesen

gerettet

 

Licht

„Einstieg in die Freiheit“, statt „Ausstieg“

Es ist für uns gerade eine Zeit in der sich unser Fokus weitet und uns vielschichtig aufspreizt- vielleicht auch neu zerreißt? Wieder wird klar, warum wir uns hier nicht offiziell eingemeinden lassen können. Warum wir uns zu Recht noch nicht als „wirklich ausgestiegen“ betrachten können.

Wir leben schon viele Jahre nicht in mehr in physischer Abhängigkeit derer die uns pseudoreligiöse Werte vorlebten und sind auch nicht mehr in der Situation Gewalt und Ausbeutung aushalten zu müssen. Aber wir schleppen ein Erbe mit uns herum.
Sind innerlich noch längst nicht ganz ausgestiegen.

Vielleicht ist „Ausstieg“ auch nicht das, was wir wollen und schaffen möchten. Denn der Begriff des „Ausstiegs“ impliziert einen Standpunkt und einen Zeitpunkt des Einstiegs. Wir aber sind nie eingestiegen- wir wurden hineingeboren und aufgezogen mit diesen Werten und hatten zu keinem Zeitpunkt wirklich einen einzelnen Standpunkt. Es war schon immer so, dass es Innens gab, die sich gegen Unrecht und Gewalt eingesetzt haben- während andere Innens genau Unrecht und Gewalt er- und ge-lebt haben.

Es ist für uns wichtig geworden zu spüren, wie berechtigt der Wunsch ist keine Schmerzen und Demütigung aushalten zu müssen- doch es ist ein anderes Wertesystem. Eines, das nur deshalb als gut und richtig und wichtig geschätzt wird, weil es der Masse der Menschen als gut und richtig und wichtig vorgelebt wird.
Unabhängig davon, wie wir dieses Wertesystem bewerten liegt es an uns, uns dem hinzugeben oder eben auch nicht. Es hat etwas damit zu tun sich dafür zu öffnen und es in sich hineinzunehmen. Es hat etwas mit Anpassung zu tun- aber nicht mit tatsächlicher Freiheit.

Eine unserer ersten Diagnosen war „Anpassungsstörung“.
Kein Wunder- erlebten wir doch gerade einen Weltenchrash der an Parallelen kaum noch zu überbieten war.

Gab es vorher die „helle“ und die „dunkle“ Welt (beides gruselig, weil nie in Gänze erfass- einschätz- und erinnerbar), gab es dann plötzlich „drinnen“ und „draußen“ sowohl räumlich als auch direkt bei uns. Plötzlich waren wir minderwertiger Patient drinnen (der für sich behalten soll, was in ihm ist- aber trotzdem immer wieder gezwungen (ja wirklich- gezwungen!) wird, etwas von sich und seinen Gedanken, Normen und Werten zu erzählen) und draußen waren die, die wertvoll und frei waren (die Ärzte, Therapeuten, Pfleger, Besucher… die man alle nicht zwingen konnte, etwas von sich preiszugeben).

Diese Zeit war für uns ein schlimmer Fallstrick- ja- eigentlich sogar ein ganzes Fallstricknetz, so dass es uns nie wundert, weshalb viele der Betroffenen, die wir so kennengelernt haben im Lauf der Zeit keinen Ausstieg in dem Sinne schaffen, als dass sie in Freiheiten kommen, wenn sie immer wieder in psychiatrische Stationen müssen, die geschlossen sind. (Und dort oft von Helfern behandelt werden, die um ihren Kopf ein herrlich stabiles Holzhaus gebaut haben, auf das dort niemals etwas heraus oder herein kommt.)

Wenn man aus einem abgeschlossenen Sozialkonstrukt heraustritt und alle Handlungen und Tätigkeiten die in ihr als wertvoll und zwingend normal (im Sinne einer Norm) angesehen werden, steht man erst mal völlig allein da- es sei denn man hat sich andere Dinge bewahrt- und sei es die Fähigkeit seine Werte in einem Teil seines Selbst neu bilden zu können.

Ich habe oft den Eindruck, dass der Faktor der Anpassung an „die Gesellschaft“ (hier nicht näher definiert) der Anreiz für den Ausstieg sein soll oder auch die Anpassung den Ausdruck der eigenen Normen und Werte gegenüber anderen Menschen zu finden.
Als sei Freiheit etwas, das man nur erlangen kann, wenn man sich gut an „die Gesellschaft“ und „die Welt, wie sie außerhalb der Pseudoreligion nun mal ist“ angepasst hat und sie für sich nutzt.

Doch gerade jetzt denke ich, dass es nicht darum geht. Und auch nicht gehen sollte.
Der Wunsch nach Anpassung ist da- natürlich. Wir Menschen sind Individualisten mit Gruppenabhängigkeit- unsere Evolution war so nett uns dies als teilweise genetisch verankertes Markerchen mitzugeben. Doch das ist das, was uns frei macht: die Fähigkeit ganz wir selbst- ganz individuell zu sein.

Wir haben uns früher nie eingesperrt gefühlt- weder in der „hellen“ noch der „dunklen“ Welt. Es war einfach unsere Welt. Der große Katastrophenknall der Erkenntnis kam erst, als wir an einem der pseudoreligiösen Feiertage in unserer ersten eigenen Wohnung saßen und merkten, dass die Art der Wertschätzung des früheren Sozialkonstruktes uns auf eine Art verletzte, die dazu führte, dass uns jemand von außerhalb dessen vermittelte, was genau aus ihrer Sicht dort mit uns passierte.
Wir mochten diesen Menschen und fühlten uns ihm verpflichtet- das Gleiche galt aber auch für jene hinter bzw. in diesem uns verletzenden Sozialkonstrukt. Wir haben uns hin- und herziehen lassen, bis wir den Knall endlich rauslassen konnten und wir uns für eine radikale Zu-Nichts-Niemand-Nirgendwo-in-Gänze-Verpflichtung entschieden.

Für konsequente Nirgendwoanpassung sobald wir uns selbst dabei verloren.
Schwupp war der Druck raus, bekamen wir eine Ahnung von freiem Durchatmen und den Möglichkeiten der Denkrichtungen, zu der unser Gehirn als Ganzes in der Lage ist.
Und doch ist bei aller äußeren Freiheit noch das Gefängnis im Innen da.

Da gibt es nachwievor Innens die diesen Selbstbefreiungsrundumschlag nicht miterlebt haben. Die nachwievor in Teilen der früheren „hellen“, der „dunklen“ und auch der „drinnen“ Welt kleben. Sie sind das, was damals alle an uns ziehenden Seiten jeweils noch immer in der Hand halten.

Diese Innens haben keinen Standpunkt- sie können nicht „aussteigen“, weil sie nicht stehen.
Sie haben keine Basis und Trittbretter herbei zu schaffen, liegt an uns. Doch wo sollen wir sie hernehmen, wenn wir doch immer wieder feststellen, dass eine Anpassung- nicht eine Freiheitspraxis von uns erwartet wird?Eine Freiheitspraxis die auch unabhängig von unseren HelferInnen und all dem, das doch nur dafür da ist, uns zu helfen, passieren darf, ohne als unpassend oder sogar minderwertig zu gelten.

Es ist für uns sehr traurige Freiheitspraxis eben nicht eingemeindet zu sein und die Feiertage allein zu 212289_web_R_K_B_by_Ruth Rudolph_pixelio.deverbringen. Sehr anstrengende Freiheitspraxis dem Sog des Suiziddrang-zwangs zu widerstehen und so in Kauf zu nehmen in ein einem bestimmten Konstrukt eben dann als schlecht und und minderwertig zu gelten. Es ist traurige Freiheitspraxis zu wissen, dass die Menschen die uns umgeben (außer denen die das jetzt lesen und uns kennen) keine Wertschätzung dem gegenüber zeigen. Es ist beängstigend zu spüren, dass wir auch keine klinischen Hilfen mehr in Anspruch nehmen können, weil die Strukturen unnachgiebig und starr (und damit für uns kaum bis gar nicht nutzbar) sind- wir also nicht einmal mehr so frei in der Annahme von Hilfe sein können, wie wir uns da doch ursprünglich erkämpft haben.

Es ist außerordentlich schmerzhaft so frei zu sein, dass man fast haltlos ist.
Freiheit bedeutet auch Dinge nicht anzuerkennen und rebellisch und störrisch zu wirken. Anzuecken und zu hinterfragen. Unangepasst an „die Gesellschaft“ und doch Teil von ihr zu sein. Strukturen zu erfassen, ganz für sich abzuschätzen und zu versuchen sich an sich anzupassen- nicht sich selbst ihr anzupassen.

Ich komme mir vor als wandere ich durch die Wüste und sammle trockenes Holz. Trittbretter für jene Innens die keinen eigenen Standpunkt haben. Immer weiter und weiter- einfach weil wir als Einsmensch kein Sklave mehr sein wollen. Schritt für Schritt auf einer Reise, die aber nicht in einem heiligen Land enden wird.
Sondern in der persönlichen Freiheit.

 

Vielleicht sollte man es für alle so nennen: „Einstieg und Anpassung an Freiheit“.
Irgendwie macht mir meine Wortsynästhesie dieses Wortpaar passender für das was erreicht werden will, als die Wortgruppe „Ausstieg und Loslösung aus destruktiven Zusammenhängen“.

An Erstem sind kleine Rippel zum Festhalten dran.

 

P.S. Auch hier gibt es wieder ein offenes Ende- wir wirbeln immer noch herum und taumeln gerade eher ein bisschen hin und her und ergießen uns hier eher als wirklich fest und klar zu schreiben, worauf wir hinaus wollen. Gehört dazu denken wir- also kriegts einen Platz.

von der Psychiatrie und der unbezahlbaren Hilfe

Ein Artikel über die Psychiatrie.
Als Aperitif gibts ein Horrorfoto.
Thema: Legalisierung von Zwangsbehandlung im Hauptgang.
Definitions-Allmacht von (überarbeiteten, im Verhältnis zur Arbeitszeit unterbezahlten, eher einseitig fortgebildeten) Ärzten zum nur hauchzarten (kaum erwähnenswerten) Dessert.

In meinem Kopf rattert sie Uhr tornadoardoartig rückwärts.
2001- 14 Jahre alt.
Gerettet aus einem Gefängnis- entkommen aus einer versteckt gespaltenen Welt
Erneut eingesperrt in ein Gefängnis und in eine ganz offen gespaltene Welt.

Weil es keine Alternative gibt.
Weil mir dort geholfen werden kann, wie sonst nirgends.
Weil ich dort verstanden werde.
Weil es mir dort besser geht.

Niemals war auch nur ein Mensch so ehrlich zu uns zu sagen, dass sie schlicht hilflos waren. Weil es keine andere Möglichkeit des Schutzes gibt. Dass wir diese Internierung aushalten mussten, weil die Menschen uns nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie unsere Geschichte nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie die Folgen davon nicht aushalten konnten oder wollten.

Sie haben es sich leicht gemacht und mich abgeschoben- weggesperrt- verwahrt- ausforschen- verbiegen bis zum Brechen lassen.

Sie haben nicht gesehen, dass sie ab dem Zeitpunkt unserer Aufnahme dort, nun unsere Eltern ersetzten. Und wie deutlich sie das taten… Himmel ja WIE verdammt noch mal deutlich sie genau das Gleiche getan haben, wie unsere Familie. Nur haben sie es nicht “Pseudoreligion” genannt, sondern “Hilfe”.

Es war ein Tausch nichts weiter. Hellgraue gegen Arztseifenweiße Folter

Was sie gesehen haben war eine 14 Jährige, die sich immer wieder selbst verletzte. Eine 15 Jährige die den vierten, fünften, sechsten, siebten, achten…. fünfzehnten Suizidversuch gerade eben so mal noch überlebt hat. Eine 16 Jährige, die plötzlich aus heiterem Himmel anfängt zu schreien, niemanden zu erkennen scheint und auf Mitarbeiter losgeht. Eine 17 Jährige, die so abgeklärt über psychische Krankheiten spricht, als wäre sie selbst die Ärztin.

Was wir waren war eine lichtentwöhnte 14 Jährige, die den Boden küsste über den sie laufen durfte- komplett verwirrt über das was mit ihr passierte- ausgeliefert unmündig und hilflos.
Eine 15 Jährige, die sich von ihrem ambulanten Therapeuten hat missbrauchen lassen, weil sie unter anderem befürchten musste, wieder eingesperrt zu werden. Wieder ausgeliefert, unmündig und hilflos. (Und zu dem Zeitpunkt schon völlig allein auf sich gestellt).
Eine 16 Jährige, die anfängt sich an die erlittene Gewalt zu erinnern und gerade mal so das Glück hat, in einer psychosomatischen Klinik zu sein- statt in einer Psychiatrie, wo es alles noch viel schlimmer hätte sein können.
Eine 17 Jährige, die in 3 Jahren durch 7 Kliniken und 5 Jugendverwahrungseinrichtungen hindurch geflippert wurde und deren einziger Hoffnungsfunke auf Heilung und Leben ohne Gewalt, eine dreizeilige Email in ihrer Hosentasche ist; geschrieben von einem Menschen, mit dem sie vielleicht 2 Stunden Zeit verbracht hat und nicht einmal wirklich kennt.

Wir waren die ganze Zeit allein und hatten keine Menschenseele, die sich darum geschert hat, was mit uns dort passiert. Die, die Entwürdigung der Massenabfertigung und den Raub der Selbstbestimmung für uns beklagt hat. Da war niemand, dem wir unsere Gewalterfahrungen mit Pflegern hätten sagen können, ausser den Patientenvertretern zu denen wir aber keinen Kontakt aufnehmen konnten, ohne die Hilfe des Personals. Zusammen mit einer Diagnose die gleichbedeutend mit Unzurechnungsfähigkeit und  Realitätsverlust ist, hatten wir schlicht keine Chance.

Es war wie in der Hölle, die gerade vorher verlassen hatten.

Was wir durchgemacht haben ist unglaublich. Es ist unglaublich schlimm, unglaublich viel, unglaublich viel Nichthilfe. Und was wir in Bezug darauf heute wahrnehmen, ist unglaublich viel Ungläubigkeit.
Nein, uns wurde nicht das Gehirn unter Strom gesetzt. Nein, unser Frontallappen wurde nicht therapeutisch wertvoll verletzt. Unser Gehirn wurde uns ausgedörrt in den vielen hundert Stunden zwischen den “Behandlungen”, in denen man völlig auf sich geworfen ist- äußerlich strengstens reglementiert, während der Same des Wahnsinns unter dem tumben Starren auf Klinikflure, Klinikessen, Kliniktüren, Klinikroutine, Klinikklinikkliniklinikatmosphäre überhaupt erst zu wachsen in der Lage ist.

Wir wissen (zum Glück) nicht, wie es für Erwachsene ist, so in Not und ohne ausreichendes soziales Netz zu sein, dass man sich in eine Klinik begeben muss, um Schutz vor sich selbst (oder anderen Menschen) zu erfahren. Und freiwillig werden wir das auch nicht erfahren.

Die Psychiatrie war für uns das Trauma nach dem Trauma.
Die ersten 2 Therapiejahre nach der letzten Entlassung brauchten wir dafür auf, überhaupt auch nur wieder irgendeinen Helfer (nicht nur Menschen überhaupt)  näher als eine Diagnostik an uns heranzulassen. Ein öffentliches Feindbild wie zum Kindesmisshandler gibt es für Helfer nicht. Eine Hetzpropaganda, wie aktuell gegen die Institution Kirche, gibt es nicht für die Institution Psychiatrie. Vor der breiten Öffentlichkeit steht man vor solchen Erlebnissen ganz genauso verlassen und ohnmächtig, wie vor der gezielten sexuellen Ausbeutung von kleinen Kindern mitten in Deutschland. Jeder kriegt einen Schauer der den Rücken herunter rieselt, jeder hat seine Gedanken dazu. Doch wenn es darum geht eine Hand zu reichen, wird sich weggedreht und unsichtbar gemacht. Und in beiden Fällen muss man sich mehr oder weniger krassen Eigenschuld- (im Sinne einer Eigenverantwortungs-) zuweisungen aussetzen.

Vor ein paar Wochen noch, bekam unsere Therapeutin die volle Breitseite dessen ab, was hier los geht, wenn uns jemand mit der Einweisung bedroht. Und für uns beginnt die Bedrohung schon mit der überhaupt-igen Nennung der Psychiatrie als Option für Hilfe.

Keiner- absolut kein Mensch auf dieser Welt würde das, was real in einer Psychiatrie vor sich geht, als hilfreich bezeichnen, wenn man das Ganze schlicht losgelöst vom Status der „Retter der Gemütskranken“ heraushebt:
Eine Woche hat 168 Stunden
minus jeweils 8 Stunden Schlaf, ergibt das 112 Stunden Wachsein.
Davon werden ca. 8 Stunden therapeutisch gestaltet (je nach Klinik- ich nehme einfach mal den Standard aus meinen Zeiten in der Ballerburg).
Das ergibt unterm Strich: 104 Stunden geistig- seelische Nulllinie, die man mit Kettenrauchen, Gedankenkarussell, Patientengesprächen, Illustrierte lesen, nicht-an-seine-Probleme-denken-aber-doch-dazu-zwingen-weil-man-ja-dafür-da-ist und mit dem intensivem Beobachten aller emotionalen und sozialen Vorgänge auf der Station wiederzubeleben versucht.
Würde man diesen Behandlungsstandard auf ein akutes Herzversagen oder auch eine chronische Lungenentzündung übertragen hieße das unter Umständen: “Wie jetzt hier- sie kriegen so wenig Luft- sie kriegen doch schon 8 Stunden am Tag die Maschine an den Hals!”; “Ich hab schon 8 Sekunden mit der Lebensrettung verbracht- was will der denn noch?!”

Man führt ein Leben wie Schrödingers Katze:  eingesperrt in einer Box und ob man noch lebt oder nicht ist Definitionssache. Und die Macht über diese Definition, könnte mit dem Gesetz nun auch noch in jedem Fall- egal wie diese ausfällt (ob zutreffend oder nicht) rein bei den Ärzten bleiben. Komplett unhinterfragt oder in der Lage die Box zwecks Überprüfung zu öffnen.

Es ist ein Witz. Es ist infam. Es ist eine gesellschaftliche Schande, dass wir solche großen, relativ sicher finanzierten Kästen wie die Psychiatrie, überhaupt noch haben und sogar brauchen.
Es ist die medizinisch-kapitalistisch-sozialdarwinistische Vermeidungsblase, die uns davor bewahrt den Wahnsinn, Kontrollverluste und schiere menschliche Natur zu nah uns heranzulassen. Realitätsverlust als “kann mal vorkommend” zu betrachten. Menschliches Elend von uns fern zuhalten. Uns nicht zu belasten. Uns nichts ans Bein zu binden. Um uns vor gesellschaftlicher Verantwortung zu drücken.
Uns selbst nicht zu fragen, wie wir verhindern können, dass es anderen Menschen schlecht geht.

Uns daran zu hindern jedem unserer Freunde zu sagen, dass sie auch mitten in der Nacht bei uns klingeln dürfen, um von uns vor sich geschützt zu werden-von mir aus auch eingeschlossen zu werden und die nötigen Mittel aufgedrängt zu bekommen und die Hand durch die Neben- und Nachwirkungen zu halten.

Wir sind dankbar dafür, dass wir uns in der Hinsicht auf unsere Gemögten verlassen können. Niemand von ihnen würde uns abweisen, stünden wir mit diesem Anliegen vor ihrer Tür.

Als wir (noch vor 6 Jahren) nicht in der Lage waren zu essen wie Menschen, gab uns unser mit uns verbündeter Mensch den Rahmen der nötig war- ohne uns zu verachten. Als wir nicht wussten, ob und wenn ja wer, von uns Kontakt zu Tätern aufnehmen könnte/versuchen würde, sich das Leben zu nehmen/versuchen würde, ihn zu verletzen… Als wir so depressiv waren, dass sogar das Heben der Augenlider eine einzige Qual war… Als schon ein unsichtbares Geräusch Innenkinder hochspülte die noch mitten im Traumaerleben sind… Als wir so richtig tief in der psychischen Scheiße standen- alle Weichen auf Psychiatrie standen, brauchte es doch nur jemanden, der schlicht da war und den Schlüssel zur Wohnung versteckte. Taschentücher, Kotzeimer, Schlaftabletten, ein starkes Rückgrat und ein liebevoll fürsorgliches Herz hat.

Leider ist das etwas, das die Krankenkasse nicht leisten kann und der Staat, oder diejenigen die es leisten könnten, nicht leisten wollen.

Denn die wahre Hilfe kommt von Menschen, deren freies starkes Dasein einfach unbezahlbar ist.

Interessantes und Nützliches zum Thema
– die schlaue Patientenverfügung gibt hier zum Download
– Steinmädchen schreibt auf ihrem Blog über “Psychiatrisch- Patriarchale Kontrolle” und unterstreicht die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Therapiemöglichkeiten
– viele Bücher, Sachwissen und Zugang zu Alternativen bietet der Antipsychiatrieverlag von Peter Lehmann
– die internationale Arbeitsgemeinschaft “Soteria” stellt sich und seine Ziele hier vor
– das Berliner “Weglaufhaus” sollte jedem sofort in den Kopf kommen, wenn es um Alternativen zur Psychiatrie geht- es braucht so viele NachahmerInnen, sowie offene UnterstützerInnen wie nur möglich
– zum Thema Psychopharmaka und Psychiatrie mein Artikel „auf wundersame Weise“
– als weitere hilfreiche Anlaufstelle bietet sich auch der sog. „Trialog“ (Patient, Klinik, Mittler) der Stadt an- Kontakt hierzu bekommt man über den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt in der man wohnt
– zu: „einem erweiterten Verständnis psychischer Störungen, neuem Wissen über genesungsfördernde Faktoren in der Psychiatrie, der Entwicklung neuer Methoden und umfassender Inhalte in der Fachkräfteausbildung und innovativen Angeboten psychiatrischer Dienste“ informaiert und aktiviert „Ex-In„. Ein vielversprechendes und umfangreiches Pilotprojekt. Weitere Informationen zur Genesungsbegleitung durch „Ex-In“ gibt es auch auf dieser Website.
– grundsätzlich muss das Motto derzeit leider noch immer sein: „Niemals allein Kontakt mit der Institution „Psychiatrie“ haben- hab immer jemanden mit im Boot, der dich im Zweifel da raus streitet und für dich eintritt“

 

Vielleicht an alle die aus Angst vor Täterkontakten regelmäßig in de Psychiatrie gehen (müssen):
Immer wenn ihr raus seid- greift zum Weberschiffchen und vernetzt euch. Es ist schwer und gruselig- vielleicht sogar noch verboten. Aber wenn ihr etwas anderes erreichen wollt, als das was ihr jetzt gerade durchmachen müsst, dann müsst ihr auch etwas anderes tun als jetzt.

So gemein es klingt, hatte Einstein schon Recht als er sagte:
“Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, aber immer ein anderes Ergebnis zu erwarten.”

Immer wenn ihr eine Fingerspitze aus der Scheiße herausstrecken könnt- versucht nach echten Helfern zu greifen. Es lohnt sich, denn es geht um euer Leben und eure persönliche Freiheit.
Ihr dürft das.

Haben wir richtig gewünscht

Eigentlich ist es gar nicht so anders.
Eigentlich ist es nur anders anders.

Ich denke, gerade im Bezug auf die multiple Persönlichkeit(sstörung), wie DIS früher hieß, kann man die Macht der Sprache sehr schön fest machen. Man kann sehen, was für einen Einfluss Worte auf unsere Vorstellungen und daraus hervorgehende Einstellungen und auch Umgangsformen haben.

Ich lese immer wieder in Büchern von Betroffenen, auf Homepages oder auch in Blogs, wie sie sich abmühen Worte zu finden, die ihr Gefühl beschreibt und möglichst nah an etwas kommt, was beim Gegenüber ein möglichst nachvollziehbares Bild entstehen lässt.
Da wird dann davon gesprochen, multipel zu sein, sei wie in einer WG. Oder wie in einem großen Haus, wo man sich nicht so recht kennt. Oder man sei ein Team, dessen Mitglieder ganz unterschiedlich seien. Man sei eben eine Gruppe unterschiedlicher Menschen in einem Menschen.

Fakt ist, dass das nicht genau so ist.
Es ist ein subjektives Empfinden, dass meine Innens zu “Menschen mit Persönlichkeit” werden lässt. Ich finde es sehr witzig, dass ausgerechnet ein Disneyfilm, mir ein gutes Werkzeug in die Hand gibt, um es etwas Grundlegendes beim Multipelsein zu erklären.

Der Film heißt “Verwünscht” und zeigt, wie es einer Disneyfilm-fast-Prinzessin, einem Disneyprinzen [der Erste mit Namen im Disneyuniversum übrigens haha], einem Disneybackenhörnchen, einer bösen Stiefmutterhexe und ihrem devoten Lakaien ergeht, die in der Realität von New York landen und dort auf einen Vater mit seiner Tochter und dessen Fast-Verlobte treffen.

Von der eindimensionalen Welt in die 3D Welt. Von einer Welt in der man seine Gefühle singend und in absurden Tanzeinlagen mitteilt, Tiere sprechen können, und ein Wunsch- eine Aufgabe- ein Posten- ein Gefühl-  eine Sehnsucht- eine Angst oder auch reine Machtgier, alles zu sein scheinen, worum sich die Existenz der Figuren dreht.
Niemand fragt, warum die Stiefmutterhexe Angst um ihren Platz auf dem Thron hat, niemand denkt drüber nach, was das für ein Mädchen ist, dessen Freunde die Tiere des Waldes sind und vergeht in der Hoffnung auf der wahren Liebe Kuss. Es stellt niemand das kriecherische Dienen des Lakaien in Frage. Und wieso sich der Prinz ewig kämpfend- aber von Liebe singend gebärdet- hm darüber wundert sich im Disneyland nie jemand.
Dort ist es eben so. Dort passt es eben. Würde sich dort auch nur einer dieser Punkte verändern, würde sich dort alles verändern- und das nicht zum Besten aller.

Es ist bei meinen Innens genauso. In unserem früheren Leben bestand ihre Existenz in ausschließlich der Ausführung einer Funktion, dem Aushalten eines Gefühls(gemischs), dem Umgang mit einer einzigen (Körper)Empfindlichkeit (in jeweils einer bestimmten Situation) oder auch einer einzigen Art zu denken, zu bewerten, und wahrzunehmen.
Wäre dem nicht so gewesen, hätte sich alles verändert. Wir als Gesamtperson (wir als Disneyfilm) wären gestorben (ein Kassenflop geworden), wenn sie nicht so gewesen wären.

Und genau wie die Fast-Prinzessin im Film, hatten wir das Glück die andere Welt kennenzulernen.
Genauso erschreckt, verängstigt, verwundert, verwirrt und verletzt, weil wir uns direkt auch erstmal an einen Menschen wendeten der uns in seinem Sein vertrauter als andere erschien, klopften wir, ebenso wie dieses Mädchen, das durch die Stadt geschubst, vom Regen durchtränkt und von einem Bettler bestohlen, an ein Bild der Realität, die wir schon kannten. Voller verzweifelter Energie- aber doch unerschütterlich davon überzeugt, dass es dort der einzig richtige Platz ist. Und dort alles schöner sei.

Auch wir wurden gefunden, aufgefangen und so gerettet. Und auch wir werden an die Hand genommen und belehrt wie das Leben in dieser Welt so ist.
Nun ist es aber so, dass Eindimensionalität alles andere als kompatibel ist in einer 3D-Welt.
Es gibt eine Szene, die ziemlich gut unsere Frontfrau darstellt. Die Prinzessin ist wütend- aber wütend sind in Disneyland ausschliesslich die Bösen oder die Bockigen. Nie aber die Prinzessinnen- die sind vielleicht mal beleidigt oder schmollen.
Unsere Frontfrau ist nicht einmal das jemals von sich aus gewesen. Sie war immer einfach nur existent und so wenig “Sein” wie nur irgend möglich.
Die Prinzessin ballt die Fäuste, läuft auf und ab, redet lauter, deutlicher- stockt zwischendrin, weil ihr nicht sofort heraus will, was sie sagen will. Ihr Gesicht ist dunkler und der Mann sagt:
“Du bist wütend” und sie sagt: “Ja…. Ja! Hurra! Ich bin wütend”.

So ähnlich ergeht es uns (und aber am Meisten schon der Frontfrau), wenn wir einander berühren innerlich. Wenn wir ein Stückchen näher an uns heran kommen.
Oft ist nicht klar, was es für Gefühle, Gedanken, Intensionen sind, die innen arbeiten und herausquellen. Dann brauchen wir andere Menschen wie Mensch XY, unsere Gemögten und unsere Seelenfrau um eine Einordnung zu schaffen. Erstmal nur das. Denn wie diese Fast- Prinzessin, können wir die gesamte Wahrnehmung nicht direkt ganz aufnehmen. Die Dissoziation verhindert dies, um eine Überflutung und damit einen Zerfall zu verhindern.
Aber allein der Name auf diesem Aktenordner der Wahrnehmung innerer Prozesse, hilft bereits etwas grundsätzlich zu ordnen und als etwas von sich selbst und normal und als ganz basal in Ordnung zu empfinden. Schon dies bewirkt eine Veränderung. Schon das nimmt unglaublich viel Angst und damit weiteren Dissoziationsanlass.

Wie dieses Mädchen im Film lernen wir unterschiedliche Dimensionen kennen- und finden sie in Form der Innens in uns als Gesamtperson wieder. Wir lernen eine andere Art der Umgangsformen kennen, so wie die Prinzessin lernt, dass es nicht so läuft: Prinzessin wird gerettet, singt im Duett mit dem Prinzen und heiratet dann. Sondern dass es heißt: Sich kennenlernen, schauen was man an sich mag, was man am anderen mag, was man gern miteinander tut. Dass man Dates macht und sich verliebt. Dass ein einziger Kuss vom Prinzen noch lange nicht der wahren Liebe Kuss sein muss.

Unsere Frontfrau muss das auch so lernen. Wir müssen ihr Nichtssein mit uns verknüpfen, um überhaupt ein Gesamtbewusstsein darüber zu erlangen, was uns als Persönlichkeit im Ganzen gefällt und was nicht, was uns körperlich angenehm ist und was nicht und was uns, welche Gefühle verursacht und wie man mit ihnen gut umgeht.

Am Ende des Filmes ist es so, dass die böse Stiefmutterhexenfrau stirbt (obwohl wir wirklich gern gewusst hätten, warum sie ihren Thron nicht teilen wollte- aber am Ende hätte sie eh nicht mehr draufgepasst, weil sie sich in einen KingKong-Drachen verwandelt hat), die anderen Figuren bewerten sich neu und führen ein neues Leben, dass sie sehr erfüllt und glücklich macht.

Der Lakai öffnet sich für seine Wut und seine Verletzung durch die böse Stiefmutterhexe; das Backenhörnchen (das den ganzen Film über darunter leidet, nicht sprechen zu können, schreibt in der Disneywelt ein Buch darüber, die Fast- Prinzessin lebt mit dem Vater und seiner Tochter zusammen und macht, was sie gut kann: Nähen.
Hochinteressant fand ich, dass der Prinz in die Disneywelt zurückging- im Schlepptau die Fast-Verlobte des Vaters, die so glücklich mit einfach genau dieser einzigen Funktion- nämlich der der klischeehaft geliebten Königin, ist. Der es offenbar egal ist, dass Teile von ihr fehlen- oder vielleicht nicht gewünscht sind oder schlicht nicht vorkommen können.

Das finde ich deshalb so interessant, weil ich nicht mehr nachvollziehen kann, was so schön- so einfach-so erfüllen daran sein soll, nur noch eine Aufgabe zu erfüllen- ohne alles das, was es noch so gibt.

Tja… so kann ein Therapieerfolg auch aussehen:  Dass man plötzlich… beim Schreiben des 150sten Artikels seines Blogs merkt, dass man doch bereits sehr viel deutlicher „3D“ ist, als man es sich vorher je klar gemacht hat…

Edit auf Nachfrage:
Heißt im Klartext: multiple Persönlichkeiten sind keine Menschen mit vielen Persönlichkeiten in sich, sondern Menschen die Teile ihrer Identität bzw. die verschiedenen Seins-Zustände von sich als so fremd und getrennt von sich selbst wahrnehmen (und von aussen ebenfalls so wahrgenohmmen werden), als seien es andere Persönlichkeiten.
Jedes meines Innens ist in der Lage aktiv zu handeln- aber extrem eindimensional und „flach“- erst in Verbindung mit anderen Innens bekommt es eine Tiefe (und Höhe und Breite… eine Dimension, wie man sie gemeinhin mit Persönlichkeit assoziiert).

hidden track- hidden message- hidden thoughts

Phu!
Ich habs geschafft! Ich hab mir diesen viel besprochenen Song der Herren Naidoo und Savas angehört.

Ich sags schonmal vorweg: zu Gewalt fühle ich mich nicht aufgerufen!
Eigentlich hab ich nur den Eindruck mit dem Song vor eine Art von hilflos um sich schlagender Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit und… ja  unendlicher Trauer gestellt zu werden.
Was im weiteren Schritt auf mich auch ein Stück wie Gewalt wirkt.
Sagt es doch: “Hier! Guck! Aushalten! Zieh dir das rein! Wie schlimm das is und wie schlimm ich das find! Mir egal was du denkst. Mir egal, ob ich deine Grenzen damit niederwalz`-  ich will, dass du das jetzt checkst! BadaBÄÄÄM!”

Dass ich persönlich nen Klatsch weg habe, was diesen Punkt der Betroffenheit Aussenstehender über sexuelle Misshandlung, Ausbeutung und den Themenkreis der (pädo)kriminellen Machenschaften, die sich hinter dem Begriff des (satanisch/ okkulten/ sexualmagisch/ oder auch allgemein “kult-mäßig” aufgezogenen) rituellen Missbrauchs versteckt,  angeht, weiß ich und die meisten meiner Leser hier, werden das für sich auch schon gemerkt haben.
Ich kann mit solchen Gefühlen einfach wirklich nicht umgehen und suche entsprechend immer den sachlichen Weg der Auseinandersetzung mit dem Thema.
Gut, das ist mein Weg. Andere Betroffene (von (sexueller) Misshandlung), so wie Herr Naidoo, finden ihr Ventil offensichtlich in viel karikativer Tätigkeit, ihrer Musik und vielleicht eben auch in dieser Art Gegengewalt.

Ich bin ein Freund davon, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens einsetzen und sich als Sprachrohr für viele Menschen anbieten. Das ist wirklich eine großartige Sache! Gerade beim Thema der sexuellen Misshandlung bzw der sexualisierten Gewalt spielen Scham und die große schlimme Sprachlosigkeit eine entscheidende Rolle.
Wie schön, wenn jemand seine Stimme und seine Kommunikationsfähigkeit für andere hergibt! Was für ein riesen Ding! Was für eine Hoffnung so etwas produzieren kann!

Wenn man sich offen hinstellt und spricht!

Eine Frage die sich mir stellt bei diesem “hidden Track”: Wieso wurde er versteckt? Es ging doch darum auf etwas aufmerksam zu machen- warum also eine dunkle Ecke auf der CD?
Wieso so ein Gleichnis?
Es (das große unbenannte ES) passiert in einer Nische- mitten drin- doch unentdeckt, wenn nicht durch Zufall oder Hören-sagen jemand davon erfährt.
Es sollte doch etwas verändert werden- Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt werden! Wenn dem so ist, dann erwarte ich so einen Song mitten in der Playlist!

Es ging darum auf rituellen Missbrauch aufmerksam zu machen. Aha. Das Wort taucht gar nicht auf in dem Song. Warum nicht? Steht eine Definition im Booklet? Neben den Anlaufstellen für die Opfer die durch Song angetriggert werden und in die Dekompensation rutschen?

Das Thema des rituellen Missbrauchs ist wirklich ein Schweres und Komplexes!
Es ist zu groß für einen Song!
Und mir stellt sich ernsthaft die Frage, ob wir es hier mit einer Affektabfuhr (die sicherlich irgendwo gerechtfertigt und wichtig für die Küntler sein wird!)  zu tun haben oder, ob es um die ernsthafte Auseinandersetzung mit Gewalt, die täglich passiert und die nachwievor nur allzugern in den Bereich der (Opfer-)Fantasie geschubst wird, geht.

Die Art wie der Text von Perspektive zu Perspektive hopst, erinnert mich an unsere ersten Versuche erlebte Gewaltsituationen aufzuschreiben: Mal von aussen und direktiv an jemanden (aussen) gerichtet, mal von aussen und frei von Emotion, mal von oben drauf, mal ganz heraus und geistig weiter spinnend und mal auch mitten im Schmerz/ der Wut/ der Verachtung welche weder Ende noch Anfang im Aussen hat.
Für mich ist das normal- so setzt sich nicht nur mein Erinnern an erlebte Gewalt zusammen, sondern auch mein Alltagsempfinden- das ist nun einmal DIS. Entsprechend kann ich mir dieses Gestückel und Gespringe recht gut einordnen. Doch wenn ich mir ansehe wie Aussenstehende auf sowas- schon aus meinem ganz normalen Alltagskampf heraus, reagieren, nämlich: mit kompletten Unverständnis, Ratlosigkeit und Ungläubigkeit…ja.. hm was wundert mich dann eigentlich noch der Wirbel um den Song?

Es war ein mutiger Versuch!
Es ist eine große Sache, auch wenn die Massenmedien “das Ganze” schon wieder unter den von der Gesellschaft (mit)hochgehaltenen Teppich kehren wollen.
Mir zeigt es: das Thema/ die Sache/ “das große böse ES” erreicht manche Menschen und diese Menschen haben Gefühle dazu. Und diese Gefühle haben sie tranportiert.
Sie meinten es gut und wollten, dass viele andere Menschen Anteil nehmen- entweder an dem worüber sie “singen” oder an dem was der Inhalt mit den Künstlern macht.

Einzig die Art ist es, die mir aufstößt und mich fragen lässt, ob es nicht unterm Strich sogar sie sein wird, die uns Betroffenen dieser Form von Gewalt, nicht vielleicht doch sogar eher schadet.

Auf der Internetseite von Xavier Naidoo ist eine kleine “Stellungnahme” zu dem Song zu lesen. Wie so oft in dem Zusammenhang mit rituellem Missbrauch, mit einem Hinweis auf den Film “Höllenleben”. Auch diesen Film halte ich für ein Transportmittel von Wut und Trauer- nicht für ein aufklärendes, verständnisförderndes “Werk”. Jetzt wird sich der Film wieder zig mal angeguckt, ohne die Frau, um die es darin geht, daneben, um direkt Fragen und Eindrücke loszuwerden. Erklärt zu bekommen. Das Bild zu vervollständigen. Schon wieder!
Schade!

Schade um die Chance!
Schade darum, dass die Scherben wieder jene zusammenkehren, die eigentlich nicht die Kapazitäten dafür haben, neben ihrem Elend durch Betroffenheit auch noch um Glaubwürdigkeit und Verständnis zu kämpfen!