note on: keine Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur #drittenOption

Der Freitag war für uns ein wichtiger Tag. Aus Gründen, die wir heute gar nicht einmal mehr abrufen können, waren wir davon überzeugt gewesen, dass der Bundesrat gegen den vorgelegten Gesetzesentwurf zur sogenannten „dritten Option“ Einwendungen erheben würde.
Als das nicht passierte, war es schlimm.

Nicht, weil wir nicht bekommen hatten, was wir wollen. Nicht, weil wir wieder daran erinnert wurden, wie weit unsere Belange hinter pseudopolitisch verkleideten Individualinteressen, wie denen von Seehofer und Co stehen, sondern, weil wir genau in dem Moment der Nachricht wussten, dass darüber zu sprechen ganz genauso schmerzhaft werden würde, wie die Ablehnung der Überarbeitung des Gesetzentwurfes.

Bei kaum einem anderen Thema spüren wir unsere Filterblase so deutlich, wie bei dem um die eigene Geschlechtsidentität.

In der Traumablase herrschen so viel unhinterfragte binäre Cisheteronormativität (also die Annahme normal sei, wer ganz klar Mann oder Frau und heterosexuell ist), dass die krasseste Abweichung noch „andersgeschlechtliche Anteile“ in Menschen mit sekundärer bzw. tertiärer DIS darstellt.
In der linken Blase zerbröselt man sich darüber, dass es ja in Wahrheit nichtmal links ist, sowas wie Trans- und Interrechte, Queertheory und intersektionalen Feminismus zu kennen, zu fordern, zu unterstützen, zu stärken, zu sichern.

Wir merken: wann, wie, wo auch immer wir Menschen, die uns beiläufig falsch einordnen, korrigieren, werden wir erneut eingeordnet. Als störend, anstrengend, durchgeknallt, schrill, Po-Mo – also nicht als Person, die ist, wie und wer sie ist, sondern als eine Eigenschaft oder ein Zustand, des Hier und Jetzt.

Wir mussten in den letzten Monaten oft Gespräche führen, in denen wir uns mit der Behauptung konfrontiert sahen, Identitätspolitik wäre an sich diskriminierend, irrelevant, ja sogar gefährlich.
Uns hat das jedes Mal tiefgreifend getroffen, verletzt, zuweilen auch einfach hoffnungslos überfordert.
Denn wo soll man auch anfangen, wenn Leute, die nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie das ist, wenn man selbst einfach nicht ist wie sie, obwohl man viele Eigenschaften teilt, vor eine.r.m sitzen und so etwas vertreten wie: „Na aber wenn jede_r selbst bestimmen, dürfte, dann würden ja Männer behaupten, sie seien Frauen und dann würden die Männer den Frauen die Frauenförderung wegnehmen.“ oder „Wenn alle ihren Geschlechtseintrag ohne jede Kontrollinstanz bestimmen dürften, dann gäbs ja noch mehr Fantasiegeschlechter!“

Worauf sollen wir uns beziehen, wenn wir vor Personen sitzen, die glauben unsere Gewalterfahrungen hätten unser Verhältnis zu Männern und Frauen so nachhaltig zerstört, dass wir uns selbst als keins von beidem identifizieren wollen? Als sei Identität – genauer Geschlechtsidentität – eine Wahl, die man trifft und nicht ein Bewusstsein zu dem man kommt, wenn man sich entlang aller Erfahrungen – auch Selbsterfahrungen – reflektiert und darüber definiert.

Selbst vor biologistischer Argumentation bleiben wir nachwievor jedes Mal fassungslos über die überraschend verbreitete Desinformation unserer Gesellschaft. Da wird immer noch geglaubt, Hormone allein bestimmten über ein Geschlecht, oder wie ein Genital aussieht. Oder welches Geschlecht begehrt wird. Oder welche Körperfunktionen wie zugelassen werden oder nicht. Ammenmärchen soweit das Auge reicht, und absolut 0 Bereitschaft mal ein Buch in die Hand zu nehmen, sich einen Vortrag anzuhören, sich weiterzubilden oder wenigstens in Betracht zu ziehen, dass nicht ganz so richtig und komplett sein könnte, was man in der Schule über das Thema „Geschlecht“ gelernt hat.

Im Ärzteblatt wurde kürzlich behauptet, trans sei ein Trend, was an Unprofessionalität kaum die Transfeindlichkeit überbieten kann.

Selbstbestimmung ist im Trend. Antidiskriminerung ist im Trend. Diversity ist im Trend.
Warum? Weil es Gesetzgebungen und EuGh-Urteile gibt, die es verbieten zu diskriminieren, fremdzubestimmen, Menschen die Identität abzusprechen bzw. Identitäten aufzuzwingen.

Es gibt im Moment sehr viele rechts_konservative Stimmen, die von einer Debatte oder Diskussion sprechen, wenn es um die Rechte von marginalisierten (also als Minderheit einordneten) Menschen geht.
Dabei muss eigentlich allen Menschen klar sein, dass Identitäten, genauso wie jede andere persönliche und möglicherweise absolut individuelle Eigenschaft und ihre Anerkennung vor Recht und Gesetz, niemals zur Diskussion stehen dürfen.

Man stelle sich mal vor es ginge um Leute mit lockigem Haar.
Niemand sieht eine belockte Person und stellt erstmal zur Debatte, ob diese Locken nun da sind oder nicht, oder, ob das nicht vielleicht einfach nur glatte Haare sind, die um Kurven in der Luft gewachsen sind.
Genauso absurd sind die Debatten, die gerade passieren und genauso sprachlos wie eine jede, wie auch immer stolze oder bewusste Lockenkopfperson, sind wir immer wieder.

Besonders für uns als Person mit DIS war es viel anstrengende und zeitweise auch enorm schmerzhafte Therapiearbeit an den Punkt zu kommen, an dem wir uns der Tatsache stellen konnten zu sagen: Ja, wir sind uns sicher und können das stabil, unabhängig von unserer Identitätsstruktur und damit verbundenen Problemen fühlen: Wir sind keine Frau. Wir sind kein Mann. Wir sind viele, wir sind wir, wir alle.s sind eine queere Person.

An diesen Punkt sind wir übrigens auch nicht gekommen, weil wir Frauenberatungsstellen nutzen konnten oder weil überdurchschnittlich viele unserer behandelnden Therapeut_innen auch Feministinnen waren, sondern trotzdem das so war.
Das sagen wir nicht gerne, aber wir müssen das sagen. Weil es Teil dessen ist, was uns so oft so geschmerzt und auch in Solidaritätskonflikte gebracht hat. Da waren und sind Menschen hilfreich – allerdings nur und manchmal auch ausschließlich, weil sie uns als Frau eingeordnet haben. Ohne jemals danach zu fragen, als was wir uns selbst identifizieren.

Früher ging das noch irgendwie okay. Heute geht es nur mit Überwindung, schlechtem Gewissen und immer wieder mit dem Wunsch nach Angeboten, die sich genau an Menschen wie uns richten. Solche Angebote gibt es aber nicht bzw. nur sehr selten. Wie sollte es sie auch geben, will man noch nicht einmal in der Politik, die für alle Menschen gleichermaßen gut und sichernd wirken soll, anerkennen, dass es uns gibt.

Gestern lasen wir ein Interview mit dem Philosophen Robert Faller, in dem er sagte, dass wer nichts mehr werden könne, mehr Bezug dazu aufbaut, wer er (sic!) sei und das als Waffe im Kampf um Ressourcen nutze.
Eine Unterstellung, die nur aufbauen kann, wer sich in einem ständigen Kampf um Ressourcen wähnt bzw. Anerkennung als Ressource zu instrumentalisieren versteht.
Aber natürlich ist das auch ein Punkt. Haben wir ja gerade selbst geschrieben, dass wir uns anerkannt haben wollen, um Ressourcen fordern zu können, die speziell für uns gemacht werden.
Doch stellt sich für uns diese Forderung nicht als eine Forderung, um der Forderung selbst willen dar.

Wir wollen nicht als nicht binär anerkennt werden, um es zu sein.
Wir sind nicht binär und haben die gleichen Rechte auf Anerkennung und Versorgung, Sicherheit und Selbstbestimmung, wie alle anderen Menschen auch.

Das ist alles, worum es geht.
Wir haben Rechte und die werden uns nicht zugestanden.
Mehr muss man nicht verstehen. Wenn man keinen Bock hat, das eigene Welt- und Menschenbild zu verändern – bitte. Ist ja auch viel und anstrengend und kann irgendwie unheimlich, weil unübersichtlich sein.
Aber glaubt bitte nicht, nur weil man uns nicht anerkennt, wären Menschen wie wir „in Wahrheit“ nicht da und unsere Forderungen deshalb nichts weiter als nerviges, weil anmaßendes, unötiges Gejammer von Leuten, die irgendein special Extra wollen, das ihr dann nicht haben könnt, weil ihr ja „nur normal“ seid.

„Normal“ sein ist ein Privileg.
Eins, das allen zusteht.

 

P.S. Danke Filterblase <3

Übergabe

Wie wir gestern in einem Termin zur Fallübergabe saßen, war es anders als früher.
Natürlich gab es dieses verletzende Moment, in dem wir hören müssen, dass wir ein arbeitsintensiver Fall waren und wie selbstverständlich erscheint es uns, dass es keine Übergabe ist, die von uns ausgeht, sondern von äußeren Bedingungen.
Und doch.
Es ist anders.

Heute ist es kein freier Fall ins Nirgendwo mit einem harten Aufschlag in einer neuen und fremden Realität.
Heute ist es eine geordnete Sammlung unserer Angelegenheiten, die einem neuen gesetzlichen Betreuer übergeben wird.

Es ist als hätten wir uns gewandelt. Von einer Wolke frei umherflatternder Briefe und Dokumente unklaren Nutzens, zu einer in einem Regal stehenden Akte mit Anfang und Ende. Als könnte all das Chaos, die Unübersichtlichkeit unseres War und Ist erfassbar sein. Als könnte man damit umgehen. Als gäbe es eine Möglichkeit, mehr davor zu empfinden als Angst, Verwirrung, Überforderung und den Wunsch sich zu Tode zu prügeln, weil es ist, wie es ist.

Seit wir uns für die gesetzliche Vertretung entschieden haben, spüren wir mehr von der Abwertung und Stigmatisierung behinderter Menschen. Wir erfahren mehr Stellvertreterdenken und haben weniger Möglichkeiten uns dem Moment zu entziehen, in dem uns wahlweise Faulheit oder Bequemlichkeit, Verantwortungsübernahmeverweigerung oder naturgegebene Unfähigkeit zur Vernunft unterstellt wird.
Seit wir gesetzlich vertreten werden, ist der Preis für unsere Selbstbestimmung nicht mehr nur das Gefühl sich etwas anzueignen, das uns nicht zusteht, sondern auch noch Beschämung bis Verachtung.

Und doch.
Wir haben unsere Dokumente beisammen. Sie sind aktuell und gültig. Jemand ist verbindlich dazu verpflichtet mit und manchmal auch für uns darauf zu achten, dass das so bleibt. Wenn wir ein Recht auf etwas haben, dann haben wir jemanden, der verbindlich dazu verpflichtet ist, uns zu unterstützen und zu vertreten, damit wir es auch wirklich erhalten.

Unsere gesetzliche Betreuung kennt sich nicht aus mit DIS. Und wahrscheinlich auch nicht mit Autismus, organisierter Gewalt, Traumafolgen allgemein.
Für uns ist das nicht relevant. Wir raten anderen ähnlich oder gleich diagnostizierten Menschen auch nicht dazu, nach so einem Kompetenzprofil zu suchen.
Relevant ist strukturell abgesichert zu sein soweit es geht und in der eigenen Selbstbestimmung unterstützt bzw. dazu befähigt zu werden.
Für unsere Behandlung und Therapie sind andere Menschen zuständig.
Um mit uns als gesetzliche Vertretung angemessen umzugehen, braucht es die Fähigkeit zu achtsamer, respektvoller, offener und verbindlicher Grundhaltung uns gegenüber und die Bereitschaft relevante Aspekte zu berücksichtigen, wenn sie nötig sind.
Der neue Betreuer klingt nett.
Wir haben im letzten Jahr viel darüber gelernt, was es uns leichter macht, sich Behörden- und anderen bürokratischen Angelegenheiten zu widmen und Schwierigkeiten zu kommunizieren.
Es ist ein Neuanfang, bei dem es vielleicht mit weniger Anstrengung auf unserer Seite klappen kann.

Das ist neu.

Und es fühlt sich gut an.

wir können uns “Selbstbestimmte” nennen

Wir haben es nie als “Flucht” gesehen und wollen uns auch nicht mit minderjährigen Flüchtenden und Geflüchteten vergleichen. Es ist unvergleichbar, was diese Menschen erfahren und erfahren haben.
Aber in einem jüngst erschienen Artikel der “Zeit” steht ein Satz, der mich nah fühlen lässt: “Ein Schutzersuchen haben sie nicht gestellt”.
In Verbindung mit der Meldung über 10.000 verschwundene unbegleitete Kinder und Jugendliche in Europa wird mir der Hals eng, weil sich mir sofort die Frage aufdrängt, was mit diesen Kindern und Jugendlichen passiert. Sind sie noch am Leben, oder inzwischen tot gespielt? Werden sie gequält, ausgebeutet und verletzt und tauchen als Erwachsene irgendwo zwischen den Rändern der Welt wieder auf?

Oder haben sie es geschafft, irgendwie zu Schutz und Für_Sorge zu kommen?
Geht es manchen jetzt vielleicht gut?

Wie gesagt – wir und unser Leben ist mit einem eines aus dem eigenen Zuhause vertriebenen Menschen nicht zu vergleichen. Wir sind nicht vor Krieg geflüchtet und vielleicht sind wir überhaupt grundsätzlich nicht geflüchtet, sondern einfach nur weggelaufen bis wir das Gefühl hatten, sicher zu sein.
Wir waren natürlich nicht sicher. Niemand, kein Mensch ist sicher, wenn er allein, ohne Mittel und Fähigkeiten zur Selbstversorgung irgendwo auf der Straße steht. Aber ein Schutzersuchen haben auch wir erst stellen können, nachdem uns jemand sagte, dass wir das tun können und dabei jemanden an der Seite haben, der uns in diesem Ersuchen solidarisch ist.

Dieses Jahr ist es 14 Jahre her und erst heute morgen hatte ich den Gedanken, wie schrecklich es für die Person, die wir vor 14 Jahren waren, gewesen sein muss, diesen Schritt zu tun. Weggehen, aufgeben, loslassen.
Weggehen von einer schwelenden Gefahr für Leib und Leben. Die Hoffnung aufgeben, dass es jemals durch irgendetwas aufhört, das man selbst tut oder nicht tut. Jede Idee von einem Morgen, das so sicher und klar vor einem erscheint, dass kein anderes zu existieren scheint, loslassen.

Gerade jetzt, wo so viele Kinder und Jugendliche, die uns irgendwann im Lauf der letzten 14, 15, ..20, 25… Jahre irgendwie einfach verschwunden sind, weil wir uns so sehr vor ihnen und ihren Wahrheiten geschützt haben, dass wir sie aus den Augen verloren haben, aus dem Inmitten ins Rund und zuweilen bis ins Hier und Jetzt gespült werden, bekomme ich eine Ahnung davon, was für ein global krasser Schnitt das gewesen sein muss.

Wir waren kein Mädchen, das Armut, Betteln, spontane Verwertungsimprovisation und soziales Wendehalsen kannte und konnte. Wir waren kein Mädchen, dem man angesehen hat, wie ernsthaft die Not und die Bedrohung war, in der es gelebt hat und wir waren kein Mädchen, dem man geglaubt hat (bzw. geglaubt hätte), dass es sich in einer ernsthaft bedrohlichen Situation befand.
Wir galten immer schon sehr schnell als außerordentlich intelligent, sprachbegabt und klug und immer wieder stießen Personen an ihre eigene kognitive Dissonanz durch diesen Eindruck von uns als Einsmensch und versperrten uns damit den Weg anzuerkennen, dass wir als Person jede Eigenschaft der Welt hätten haben können und trotzdem einer zerstörerischen Gewaltdynamik in der eigenen Familie vollkommen schutz- und hilflos ausgeliefert waren.

Ich habe selbst lange geglaubt, es sei ein Beweis unserer inneren Kraft, wie wir uns durch die kurze Episode des Straßenlebens bewegten und dann ins System der Jugendhilfe gingen. Wie wir durchzogen weder Kontakt zur Familie zu wollen, noch in der gleichen Stadt wohnen bleiben zu wollen.
Und jetzt sehe ich die 14, 15, 16 Jährigen von damals durch unser Heute taumeln. Sehe mir ihre Gedanken an. Sehe, wie gnadenlos sie von der ständigen Verwirrung vor der Welt und dem Lauf der Dinge im Kleinen wie im Großen, in Grund und Boden gestampft werden und sich auflösen, weil sie dem genau nichts entgegenzusetzen haben, außer Todesangst und lähmend toxisches Stresserleben, das letztlich die Samen zu uns Rosenblättern und anderen Systemen ausgestreut und immer wieder gedüngt haben wird.

Inzwischen frage ich mich, ob das Weglaufen vor 14 Jahren vielleicht auch ein Suizidversuch war, den sie nie jemandem hätten erklären können.
Und auch nie hätten zugeben können, selbst dann, als klar war, dass sie vor weiterer Gewalt und Ausbeutung weggelaufen waren.

Held_innenhafte Selbstrettung geht einfach immer nicht so gut zusammen mit so einem vermeintlich schwachem oder feigem Akt, wie dem der Selbsttötung bzw. dem bewussten “sich-nicht-mehr-aktiv-ums-eigene-Überleben-bemühen”.
Aber vor uns selbst, denke ich, können wir diese Idee gut stehen lassen und annehmen. Es entlastet eine Ecke im Innen um einen schambesetzten Aspekt dessen, was hinter dem Ding stand, dass wir am 1. Mai 2002 getan haben.
Heute sehen wir sie und ihr Sterben vor, für den Rest der Welt, profanen, einfachen, ganz üblichen Abläufen und Dingen und sind offen für die Option, dass sich noch viel mehr als die Gewalt in ihrem Leben als schlicht unaushaltbar und unlebbar dargestellt haben kann und wird.

Unsere vielen verschwunden Kinder- und Jugendlichen sind nicht mehr verschwunden. Wir können uns “Selbstbestimmte” nennen und können die Verknüpfung “weglaufen”= “flüchten” von uns abtrennen. Das ist ein Privileg und wir spüren dem gerade im Moment sehr bewusst nach.

Wir entscheiden uns heute dafür, den ersten Mai als einen Tag, an dem wir, aus Gründen, eine große selbstbestimmte Entscheidung getroffen haben, zu denken und aufzuhören, ihn als “den Tag, an dem wir weggelaufen sind” zu verwenden, an dem wir uns für etwas auf die Schulter klopfen, das insgesamt sehr viel mehr war, als das.

den Versuch wert

Wir hatten keinen guten Tag, waren circa 3 Löffelkästen über unsere Grenzen hinaus und nicht gefasst darauf, dass die Therapeutin Dinge wie “Das Leben ist voller Kompromisse” und “Sie müssen wissen, was es ihnen wert ist in der Klinik zu sein”, sagen würde.

Ich hatte keine Kraft für den Hinweis darauf, dass “einen Kompromiss eingehen” eigentlich soviel bedeutet wie “beide Seiten haben Anteil an der Lösung” und “beide Seiten haben etwas davon”. Ich hatte nur noch Kraft einen dieser inneren Giftpfeile abzufangen, der Schimpfworte und eine bittere Wahrheit auf sich geladen hatte. Die Wahrheit nämlich, dass unsere Kompromisse in aller Regel als gegeben betrachtet werden. Die Wahrheit nämlich, dass unser Leben voller mistig nerviger bis wirklich Kraft und Selbst zerfressender Barrieren, an so vielen Stellen Kompromisse, Zurücktreten, Schweigen, Aushalten und Durchziehen bedeutet und das genau niemand sieht, der es nicht weiß.

Ich rede hier nicht von Dingen wie “Gah scheiße – immer muss man nett und freundlich sein – nie darf man motzen.” oder “Mäh – nie darf anderen auf die Nase hauen – immer nur muss man konstruktiv sein.” oder “Mimimi – nie darf ich machen, was ich will.”.

Ich rede hier von Dingen, die für uns schwierig sind und die wir trotzdem tun,

weil sie den Versuch wert sind.

Das machen wir jeden Tag und wir sind okay damit. Irgendwie ist das einfach unsere Art diese Sache mit dem Leben leben zu probieren, daran zu scheitern und es dann nochmal neu zu probieren usw usw usw.
Es wird jedoch schwierig, wenn wir das Gefühl haben nicht in dem gesehen zu werden, was wir da eigentlich dieser Welt, dem Leben und den Dingen in ihm drin, an Bereitschaft uns zu widmen, entgegen bringen
Wenn der Preis, den wir dafür zahlen, vergessen wird und die Kraft, die wir daran verlieren und dann eben nicht mit in dieses Leben und seine Gestaltung hineingeben können, als “verborgen tief in uns drin” verortet wird und nicht als “darauf verschossen überhaupt irgendwo zu sein und das auszuhalten, ohne zu im- oder explodieren”.

Wir hatten ein Stille-Post-Missverständnis was die Versorgung von NakNak* während der Klinikzeit angeht (heute geklärt – alles gut).
Für uns ist es ein hoher Preis auf ihre Anwesenheit dort zu verzichten und worum es dabei geht, versuche ich immer an dem Beispiel der Blindenhunde zu erklären, wenn jemand fragt, wie denn eine blinde Person in so einer Klinik zurecht kommen sollte, ohne Blindenführhund.

Blindenführhunde gelten oft als durch andere Menschen ersetzbar. Das heißt: auf die Selbstbestimmung einer blinden oder sehbeeinträchtigen Person wird direkt geschissen – soll sie halt einen Stock benutzen (was nicht für alle blinden oder sehbeeinträchtigen Menschen geht) oder sich führen lassen (also abhängig sein und sich einer evtl. fremden Person anvertrauen).
Es ist an der Stelle der Barrierenkompensation, die sich durch Blindheit oder eingeschränktes Sehen ergeben, also essentiell, dass sich die behinderte Person anderen Menschen anvertrauen und mit ihnen kommunizieren kann, wo sie hin will, was sie haben will und so weiter.

NakNak* ist eine Assistenzhündin, die spezielle Aufgaben für uns erfüllt und die auch nur von ihr erfüllbar sind.
Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir so überreizt sind, dass ein Anfall direkt bevor steht. Andere Menschen merken uns nicht an, wie viel Verunsicherung, Angst, Verwirrung, Unklarheit und Überforderung sie bei uns auslösen (meist ja nicht mal dann, wenn wir es ihnen sagen). Andere Menschen merken uns nicht an, wann wir desorientiert im Raum sind und uns selbst nicht mehr verorten können. Und ach – so viel mehr.

Andere Menschen brauchen von uns immer immer immer mehr, als das einfache Reiz-Reaktionsmuster, an dem wir uns in unserem täglichen Leben entlang arbeiten, um halbwegs stabil und reagibel zu sein.
Unser Hund braucht ein Signal oder ein Handzeichen oder die spezifische Körperspannung, die wir haben, bevor ein Anfall uns umhaut, um zu wissen, was wir von ihr brauchen und was wann wie geht.
Wir müssen ihr nichts begründen. Wir müssen ihr nichts “beweisen” oder “ihr offensichtlich machen/zeigen”, dass wir irgendwas wirklich brauchen oder möchten. Wir müssen nicht “bitte bitte machen” und wir müssen auch nicht “danke” sagen. Sie hat gelernt auf Reize zu reagieren und fertig – den ganzen Sozialschmodder, den ein Mensch an ihrer Stelle bräuchte, braucht sie nicht – und wir sind entlastet von einem dieser tausend Löffelfresser im Alltag – denn was ein Mensch braucht, um uns gegenüber so gut gestellt zu sein, dass er uns hilft, müssten wir aus Schwällen von Worten herausraten oder wild bis strategisch drauflos versuchen. (Und all das noch genau bevor die traumabedingten Probleme mit zwischenmenschlichem Kontakt beginnen!)

Es ist kein Kompromiss zu sagen: Okay, wir versuchen es ohne sie.
Es ist eine runtergeschluckte Alltagsdiskriminierung und die Ansage an uns nach innen, dass wir mit unserer Kraft so sparsam wie nur irgendmöglich umgehen müssen, weil wir neben der Kleinigkeit “teilstationäre Klinikzeit” (und ihre Implikationen) auch noch “Barrierenkompensation Level 100” schaffen müssen.

Wir erwarten schon lange nicht mehr, dass sich Institutionen und Behörden endlich einmal mehr damit auseinandersetzen, wie barrierefrei sie überhaupt sind und welchen Stellenwert die Selbstbestimmung aller Menschen, die dort ein- und ausgehen hat. Für uns ist inzwischen total klar, dass Institutionen und Behörden dazu gezwungen werden müssen, die Hilfen und Hilfsmittel behinderter Menschen mit Brillen, Fahrstühlen und Sprachdolmetschern gleichzustellen.

Aber wir erwarten, dass nicht von uns erwartet wird so zu tun, als wäre auf das wichtigste Hilfsmittel in unserem Leben zu verzichten, ein Kompromiss.
Das ist es nicht. War es nie. Ist es nie.

Ich habe in den letzten beiden Tagen gemerkt, wie viel bewusster wir in den letzten Jahren dafür geworden sind, wo unsere Kraftgrenzen sind, was wir wie lange aushalten können und wann wir welche Art der Pause und Ruhe brauchen.
Und heute Abend merke ich auch deutlicher denn je, wie gut uns die DIS in all den Jahren davor geschützt hat, unter dem zusammenzubrechen, was “der ganz normale* Lauf der Dinge” für so viele Menschen bedeutet.
“Der normale Lauf der Dinge für die Mehrheit der Menschen” ist einer, dem wir nur mit einer DIS oder anderen wie auch immer gelagerten Abwehr- und Schutzstrategien begegnen konnten, weil er nicht für Menschen, wie uns gemacht/gedacht ist.

Die Therapeutin hatte versucht uns klar zu machen, dass es unsere Entscheidung sei festzulegen, wie viel uns dieser Versuch mit der Klinik kostet und wir haben nachwievor keine Antwort darauf, denn eigentlich ist unsere Entscheidung eine andere.
Wir müssen für uns festlegen, wie viel von unserer Substanz es kosten darf/soll/muss, auf etwas hinzuarbeiten, von dem wir bisher immer eher legendenartig gehört haben (you know diese Zauberwolke aus: “gutes/okayes Leben”, “aushaltbar_sein”, “mit sich irgendwie okay sein”, “mit dem, was man erlebt hat irgendwie okay sein”).

Ich finde das bitter.
Aber den Versuch kann es ja trotzdem wert sein.
Oder “auch wert sein”.

es gibt einen Termin

In 4 Wochen ist der Aufnahmetermin in der Klinik und ich glaube, dass ich jetzt fertig mit meinem Erschrecken und Teilen meines Ärgers darüber bin.

Mein Ärger rührt daher, dass unsere Jahresplanung einen freien Mai zum bis-ans-Meer-fahren hatte und jetzt natürlich nicht mehr. Mein Ärger rührt daher, dass wir mit einer Aufnahme “Ende Februar/Anfang März” geplant hatten und Aufträge abgelehnt haben, an denen wir hätten Geld verdienen können. Um ohne Geldkummer in die Planung des freien Mai gehen zu können. Zum Beispiel.
Mein Ärger rührt daher, dass ich mich, trotz allen Wissens und aller Vorbereitung über den Umstand erschrecke, dass es jetzt einen Termin gibt.

Ich fühle mich eingesperrt in diesen Termin. Habe das Gefühl, trotz aller Möglichkeit, nicht ablehnen zu dürfen. Geschweige denn zu können. Ich kenne so viele, denen es akuter schlecht geht als uns. Weiß von so vielen, die weniger verkorkst für die Hilfe- und Heilungsindustrie sind, als wir.
Und merke wie so eine Hassenergie in mir über diesen Vergleich mit anderen Menschen hochwallt.

Die Therapeutin fragte, ob ich dort überhaupt hin will und ich weiß selbst nicht mehr, was ich ihr geantwortet hab. Jetzt, wo ich fertig mit meinen Gefühlen bin, denke ich, dass ich einfach nicht will, was ich fürchte, was alle dort in dieser Klinik, die Therapeutin, unsere Gemögten und Gemochten glauben, was ich will.
Dass ich nicht will, was ich befürchte, was ich wollen muss. Oder widerspruchslos akzeptieren.

Ich will dieses Moment nicht, das wir in der Krisenstation hatten. Wir haben so lange durchgehalten unsere psychische Dekompensation über die neue Diagnose und ihre Implikationen zu managen, dass wir nicht mal mehr für das Heilungsprogramm dieser Station noch Kraft hatten. Da war keine Kraft mehr sich vor Therapieansätzen zu schützen, die unser Vielesein ausblenden und die allgemein fragile Selbst- und Umweltwahrnehmung, die dahinter steht.
Ich konnte mich nicht dagegen wehren mehr Medikamente zu bekommen, als wirklich nötig waren. Wir konnten uns selbst nicht mehr einbringen in das, was auf der Station als Hilfsangebot gilt.

Ich war an der Entscheidung für den Antrag zur Aufnahme in der Klinik insofern beteiligt, als, dass ich unter dem Vorbehalt zustimme, dass ich die Zustimmung zurückziehe, wenn ich den Eindruck habe, dass wir uns dort behandeln lassen sollen, anstatt, dass wir die Möglichkeiten, die es dort eben so gibt, nutzen können und dort jemanden haben, der uns dabei unterstützt zu reflektieren, was jeweils dabei mit uns passiert.

Wenn man sich die Informationstexte und Behandlungsrahmen der Hilfe-und Heilungsindustriestandorte so durchliest, dann sollte man denken, meine Vorbehalte hätten keine richtige Grundlage. Überall geht es um Eigenverantwortung der Patient_innen oder auch darum, “den Kranken zu helfen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen”.
Der Punkt ist: Wir haben unser Leben schon selbst in der Hand. Wir leben schon eigenverantwortlich.
Und “krank” waren wir nie. Als “krank” müssen wir uns bezeichnen lassen, damit unser Leiden an der (Selbst- und Umwelt-Wahrnehmungs-)Qualität unseres eigenverantwortlichen Lebens nach schweren Gewalterfahrungen bis ins junge Erwachsenenleben hinein, anerkannt wird und wir um Unterstützung, die vielleicht auch Hilfe werden kann, über die gegebenen Strukturen auch gewährbar bitten können.

Ja – nein – leicht und einfach ist das alles nicht.
Leicht haben sich andere Innens das mal gemacht. Früher. Als wir 14 Jahre alt waren und wütend auf die Heilerinquisition der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die uns einfach gar nicht geholfen hat. Heute weiß ich ja, wie genau nicht einfach man Jugendliche unterstützen und schützen kann, wenn im Hintergrund organisierte Gewalt passiert.
Aber damals war das wichtig. Die waren scheiße und fertig. Böse Nichthelden! Mimimi.

Und heute – so viele tausend Grenzverletzungen durch Nichthelferheld_innen, die uns doch so gerne retten wollten oder wenigstens dabei sein wollten, wenn wir uns selbst retten, damit sie von sich sagen können, sie hätten auch einen Anteil dessen gehabt – bin ich das Innen, das alles komplizierter macht, als es ist. Angeblich.
Und natürlich, weil ich ja ein Innen bin, das in einer traumatischen Situation entstanden ist: hochgradig reaktiv und traumaperspektivisch. Zu deutsch: nicht so ganz orientiert und auf der Höhe der Zeit – also: nicht so ganz zu gebrauchen, wenn es um “vernünftige Auseinandersetzung mit diversen Themen des Hier und Jetzt” geht.
Das ist jetzt natürlich eine wilde Spekulation von mir. Weil gesagt hat mir das nie jemand. Nur gezeigt. Und zwar immer wieder. Indem man relativiert, was ich sage, oder jeden Aspekt, den ich aus einer Situation wahrnehme auf mich und meine Wahrnehmung(squalität) allein herunter individualisiert – das Problem der Situation zu genau einzig meinem Problem allein erklärt. Und damit am Ende genau mich und meine Wahrnehmung zu dem Problem macht.

Erste Klasse “kognitive Verhaltenstherapie” – “denke anders – handle anders”. Man möchte mich so gern davon überzeugen, dass Hilfe super ist, weil sie hilft – und das ja ist, was ich will. Angeblich.
Doch was ich will, habe ich in Bezug auf “Hilfe” noch nie gesagt. Ich spreche immer wieder von Unterstützung und Begleitung, von Möglichkeiten sich überhaupt erst einmal anzunähern an das, was ist, um zu prüfen, was eigentlich werden kann. Was vielleicht auch anders werden kann.

Die Annahmen und Ideen, die Menschen von meiner Idee von Unterstützung haben, poltern meistens unbesehen genau darüber hinweg. “Ja ja schon verstanden – sie wollen also aus ihrem Elend gerettet werden- alles klar – hier Ergo – hier Imagination – Einzelsitzungen zweiter Stock rechts – Mittag um 12 – Entlassung in 4 bis 6 Wochen – hier Ihre Tagesration Tavor – ruhen Sie sich jetzt mal aus – Doktor kommt gleich.”.

Und dazu kommt noch die  Kleinigkeit wegen des öffentlich selbstvertretenden Schreibens über das Leben mit DIS und dem Leben an sich, zu einer Person mit DIS, die Öffentlichkeitsarbeit macht, erklärt zu werden. Mit allen Konsequenzen, die das hat. Wie zum Beispiel der, dass wir immer wieder von vorn erklären müssen, dass wir für uns und unsere Ideen und Intensionen allein schreiben. Dass wir erklären müssen, dass wir nicht auf Du-und-Du mit den Heilungshelfer_innen der DIS-Szene sind. Dass wir schon schrieben, als noch niemand das Blog von Vielen mitlas und auch dann noch schreiben, wenn niemand mehr mitlesen möchte.
Die wenigsten Menschen wissen, was ein Blog ist, und viele, die es wissen, denken an Blogs, in denen Produkte platziert oder heilungsindustrielle Interessen weiterverarbeitet werden. Die meisten Menschen stellen sich uns wie eine geübte Selbstdarstellerin mit viel Kraft und Chuzpe für 50 Kerle vor und wir sind die, die das aushalten müssen. Egal, ob wir das können oder nicht.

Ich sehe an der Klinikaufnahme eines dieser Abgrenzungs- und Rechtfertigungsgespräche hängen, die wir in der Therapie führen müssen, wenn unsere Therapeutin einen ihrer (eher seltenen aber wenn dann) wilden “Und was bedeutet das jetzt?”-Ausfälle hat und sich völlig an uns vorbei in irgendwelchen Annahmen verfranst.
Ich will keine Kapazitäten für die Richtigstellung des äußeren Blicks auf uns freimachen müssen. Ich will, dass unsere Kraft für uns allein sein kann. Wenigstens für diesen Zeitraum in der Klinik.

Für mich gibt es nicht viel Anlass zu glauben, dass uns das wirklich gewährt wird. Ich hab nur Anlass zu Annahme, dass ich selbst auch falsche Annahmen habe, die ich überprüfen muss, bevor ich diesem Aufenthalt wirklich zustimmen kann. Immerhin sind gut 6 Jahre seit dem letzten Aufenthalt dort vergangen und wir haben viel für uns erarbeitet.

Aber, wenn sich meine Annahmen bestätigen, muss ich davon ausgehen, dass das alles zu meinem persönlichstindividuellen Privatproblem gemacht wird. Und nicht zu einem Problem, das sich nur niemand außer mir anguckt. Und entsprechend damit umgehen muss.
Egal, ob ich das kann oder nicht. Egal, ob ich das aushalte oder nicht.

reclaim the NEIN

Mein am häufigsten genutztes Wort ist: “Nein”
Nein, ich kaufe dies nicht. Nein, ich mache das nicht. Nein, ich kann dies nicht planen und nein, dies kann ich auch nicht tun. Nein, ich darf dieses Angebot nicht annehmen und nein, Widerspruch gegen diesen Zwang einzulegen, geht auch nicht.
Ich sage so oft “Nein”, dass es schwierig ist, mir etwas zu verkaufen. Auch dann, wenn ich es mir leisten könnte. Ich sage so oft “Nein”, dass mir meine Optionen auch mal “Ja” zu sagen oft, viel zu oft, aus dem Blick geraten.

Ich bin trotzdem ganz glücklich mit all den Neins in meinem Leben.
Nicht alle wurden mir vom Hartz 4 aufgedrückt, oder kommen mit dem Zwang sich als ehemaliges Opfer organisierter Gewalt selbst schützen zu müssen, weil es sonst niemand tut.
Viele meiner Neins kommen aus Entscheidungen, die mir allein dienen.

Das Nein zu den einfachen Zuckern. Das Nein zu Lebensmitteln, die nicht koscher sind. Das Nein zu Hosen. Das Nein zu Settings, die hetero und cissexistische Normen stützen. Das Nein zu Lebensmitteln aus Übersee. Das Nein zu Atomstrom. Das Nein zum Entertainment im Fernsehen. Das Nein zu bestimmten Zeitungen. Das Nein zu bestimmten politischen und inneren Haltungen. Das Nein zum Ausverkauf meiner Lebensgeschichte. Das Nein zu Gewalt. Das Nein zur Ignoranz.

Niemand außer mir hat akut etwas von diesen Neins und mir gefällt das.
Es gefällt mir, weil es etwas ist, das ich neben allen Zwängen eben doch noch habe. Und sei es als letztes Stück Selbstbestimmung.

Mein so starkes Nein, wird vom Kapitalismus zum “Bitte überzeug mich” gemacht.
Erst hieß es, das Ziel des Kapitalismus sei es, eine Struktur zu erschaffen, die jedes Bedürfnis und Wünschen erfüllt. Heute geht es darum Bedürfnisse einzureden und Wünsche zu wecken, damit die Struktur wachsen kann.
Und wer nicht mitmacht ist doof.
Nicht etwa arm oder ein Mensch, der sich schlicht für ein Nein entschieden hat.

Ich hatte ausgerechnet jetzt im Januar, wo ich mit 54€ zurechtkommen musste, gleich 3 Mal Außendienstlerbesuch von Unitymedia.
Seit ich hier wohne, habe ich insgesamt 9 verschiedene Typen* vor der Tür stehen gehabt. Allesamt unangekündigt und nicht in der Lage, mein Nein als gegeben zu akzeptieren.
Weder mein “Nein, ich möchte nicht mit Ihnen reden.”, noch mein “Nein, ich möchte nichts kaufen.”, noch mein “Nein, ich möchte keine Informationen.”, noch mein “Nein, ich möchte auch in Zukunft keine Besuche.”.

In diesem Fall ist es auch sehr klar mein als (cis)weiblich gelesen worden sein – Nein, das hier übergangen wird.
Mein Nachbar unter mir, wird ganz anders angesprochen. Ihm werden keine NLP-Fangfragen gestellt, sondern direkt Zahlen an den Kopf geworfen, die ihm vorgaukeln sollen, er würde eine echte Entscheidung treffen. Er hört nicht, dass er ja dumm ist, die (vom Mietvertrag aufgezwungenen) Grundgebühren für den Kabelanschluss zu zahlen, aber das wundergute 30€ Extradings nicht zu kaufen. Mein Nachbar kriegt einfach die Informationsbroschüren in die Hand gedrückt (was ganz klar auch eine Missachtung des Neins, meines Nachbarn ist) und wird dann mit der Entscheidung betraut. Allein.

Ich habe gerade heute gezählt, wie oft ich “Nein” gesagt habe und wie oft ich in meinen Sätzen, auch ohne das Wort “Nein” zu sagen, verneinte. Es waren 4 Neins und 2 Verneinungen. In weniger als 5 Minuten.
Jeder Pick Up Artist würde sich bei so einem Verlauf abwenden und mich auf der Fickbarkeitsskala auf eine -100 runtersetzen. “Misandrie- ganz klar.”
Die Außendienstler von Unitymedia schieben mich auf ihrer Kundenliste einfach eine Seite weiter. “Nächstes Mal. Irgendwann sagen sie alle Ja.”

Ich nicht. Ich bin kein Kunde. Ich bin eine Kundin.
Ich bin eine Frau*, die mit Hartz 4 lebt.
Ich bin eine Person, die merkt, wann sie be-NLP-t wird.
Und ich bin geübt in Konsum-Neins und fühle mich damit nicht eingeschränkt oder benachteiligt, sondern oft auch sehr zufrieden.
Dabei bin ich nicht mal Hipster. Armut ist derzeit ja ziemlich chic und Verzicht das Geilste, was geht.

Ich mag meine aktiven und bewussten Neins.
Mir geht es dabei nicht darum eine oppositionelle Haltung einzunehmen oder mich abzugrenzen. Die Abgrenzung passiert als Folge meiner Entscheidung, nicht, weil das mein Ziel ist.

Was mich erschreckt und weshalb ich am Ende überhaupt zu dem Gedanken “reclaim the NEIN” kam, ist die völlige Legitimation, die die Gewalt im Rahmen der „Kundenbetreuung/bindung/akquise” zu Gunsten solcher Unternehmen erfährt. Gegen PUA(ersche) wird demonstriert, weil sie am weiblichen Nein herummanipulieren und Gewalt gegen bzw an Frauen in einer organisierten Form ausüben.
Wenn Verkäufer_Innen das tun, passiert nichts. So sind Verkäufer_Innen nun einmal. Der beste Verkäufer, wird noch Kühlschränke an Eskimos los – Hui!
– der geilste Stecher kriegt noch die monogamste Eins auf der Skala – Pfui!

Eklig, hm?
Ja, hab ich heute auch gedacht.

Am 14. Februar ist wieder One Billion Rising. Eine Veranstaltung, die es gibt, weil das Nein von bestimmten Menschen, einfach nie als das Nein aufgenommen und akzeptiert wird, als das es formuliert wird. Ich könnte jetzt schon kotzen, wie diese meist lauten Demos beworben werden, weil selbst darin bestimmte Neins übergangen werden. Ich will keine Gewaltszenen in Internetvideos sehen, ich mag den Biologismus “Vagina=Frau” nicht, ich mag den Anspruch “Wehr dich doch” nicht.
Ich sage Nein dazu – das letzte Video gegen Gewalt an Frauen, antwortet mit “Ja, aber…”, große namenhafte Organisationen sagen „Ja, aber…“ unsere Politik, die Gesetzgebung antworten mit „Ja, aber….“.

Ich will meine Selbstbestimmung nicht mit “Nein heißt Nein”-Kampagnen erbitten oder erstreiten. Einfach schon, weil ich nicht einsehe, um solche Selbstverständlichkeiten bitten zu müssen.
Ich fänds gut, wenn sich eine Bewegung entwickeln könnte, die sichtbar macht, wie oft ein “Nein”, mit einem “Ja, aber…” beantwortet wird. Egal, worum geht.

Ich hätte gerne, dass einfach mal klar wird, wie oft, sogar in Kleinigkeiten wie so einem Internetanschluss, der verkauft werden soll, das Nein einer Person, die als (cis)weiblich gelesen wird, einfach mal einen Scheiß bedeutet.
Ich bin es so leid, immer wieder den tiefgreifenden allumfassenden Vortrag über (cis)männliche Privilegien und kapitalistische Unterdrückungsdynamiken aufzusagen.

Ich will das Nein haben, von dem mir dauernd versprochen wird, es würde mich davor schützen miss-be-handelt zu werden.
Es muss ein tolles Nein sein.

das Opferetikett

wildeRose2 Wie eine Sandburg in der Brandung, lösten sich meine Beine auf.
Bis ich fiel und alle Scherben in mir über den Boden des Wartezimmers klirren hörte.

Wir hatten eine Therapiestunde, die mir aus den Händen geglitten ist, nach einem Tag, der mir am Denken vorbeigerutscht war, nach Wochen, die mich nur als Zaungast neben sich hatten.
Während es in mir schreit, kämpft, sich hartkrampft und ziellos durch den Schmerz hindurch vorwärts beißt, taumle ich durch die Gedankenschlösser, die auf dem brennenden Fundament eines fremden Maßstabes stehen.

Was mir begegnet, was mir ablehnend konnotiert begegnet, ist der Komplex einer Opferidentität. Wenn jemand sagt: “Ich bin ein Opfer”, passiert ein Schritt zurück. Ein Blick, der Wunden, Male, Zerstörungen sucht, um sich zu vergewissern.
Abzusichern und nicht einmal, kein einziges Mal zu fragen, ob dieser Blick überhaupt in Ordnung ist.
Dieser Blick kommt nicht aus einem Kopf heraus, der sich fragt, was er dort eigentlich sieht und warum. Mit welchem Recht.
Dieser Blick fragt nicht, ob er als Verletzung, als erneute Demütigung wahrgenommen wird.

Mir wird bewusst, was für mich das Problem in OEG und Strafanzeige nach Gewalt, nach sexualisierter Gewalt, in der Kindheit ist.
Es ist der fremd wertende Blick, der mich nicht nur streift, sondern durchbohrt. Mein Sein, mein Mich, mein Da, mein Früher und Heute auf einen Objektträger klatschen lässt und in feinsten Scheiben seziert, be-verurteilt, in Paragraphensoße ertränkt und mit einem guten Wein aus rape culture darreicht.
Ohne eine Wimper zum Zucken zu haben.

Ich werde nicht gefragt.
Und wenn doch, dann hängt an den Äußerungen anderer Menschen, auch denen der TäterInnen, ob wahr –scheinlich- ist, was ich sage.

Selbst die Verjährungsfrist durchbreche nicht ich, sondern die Vorladung der TäterInnen.
Nicht einmal das wird mir zugestanden.
Und ja, ich habe es als mein Vorrecht betrachtet, dass ich selbst in der Hand habe, ob das, was die Justiz als strafbare Handlung betrachtet, verjährt oder nicht (innerhalb des festgesetzten Zeitraumes). Schließlich wird ja auch die ganze Zeit an mich herangetragen, Gewalt anzuzeigen und sichtbar zu machen. Nicht an die TäterInnen.
Wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass es irgendeinen echten Raum für Selbstbestimmung unter dem Schirm der opferbezüglichen Komplexe gibt?

Vielleicht hat es etwas mit dem sympathischen “Ich bin kein Opfer”- Gebaren zu tun, das immer wieder aus mir heraus kommt, sobald mir andere Menschen meine Kompetenzen und Rechte aufgrund der Gewaltfolgen absprechen wollen.
Die Etiketten “wehrhafter/resilienter/stolzer Grundcharakter”; “KämpferIn*”; “starke Persönlichkeit” machen gegen das schmerzhafte Bohren dieses einen speziellen Blickes immun.
Wenn ich das auf meine Stirn klebe und tue, was ich sonst auch tue, werde ich auf Ebenen unterstützt und gestärkt, die zwar in der Regel unfassbar weit an meiner Erwartung und Hoffnung vorbei gehen, aber mich einer Mehrsamkeit und damit Sicherheit versichern, die ich anders gar nicht oder tendenziell eher erneut in ungleichen Machtdynamiken eingebunden erhalte.

Das heißt, dass alles, was ein zum Opfer gewordener Mensch tatsächlich selbst bestimmen kann, ist, sich als ein solches zu erkennen zu geben oder nicht.
Alle Konsequenzen, alle Gewalten, die aufgrund dessen mit und an ihm passieren, hat er zu ertragen.
In Bezug auf das OEG nehme ich diesen Umstand als besonders infam wahr.

Denn ja: ich fühle mich dazu gezwungen einen Antrag zu stellen und mich damit als Opfer von Gewalt auf eine Weise sichtbar zu machen, die ich weder selbst bestimmen, noch beeinflussen kann- mit den Konsequenzen, die sich unter Anderem aus inexistentem Opferschutz, und anderen Leistungen zu meiner Unterstützung ergeben, hingegen wiederum unsichtbar zu bleiben.
Ich fühle mich gezwungen, weil es das einzige Mittel ist, meine Lebensrealität innerhalb des Systems, das für diese mitverantwortlich ist, sichtbar zu machen.
Natürlich könnte ich auch anfangen meine Krankenkasse zu verklagen, aber die Krankenkasse hat nicht im Schutz vor Gewalt versagt, wie der Staat.

Ich habe mich nie als Opfer betrachtet.
Jetzt fange ich damit an und spüre bereits, wie mir Boden und Beine unter all meinen kleinen und großen, zitternden und kämpfenden, frierenden und schmerzerfüllt weinenden Herzen wegrutschen- während mich der Lauf der Dinge unbeirrt an einer Schlinge um den Hals weiter hinter sich her zieht.

Es ist tröstlich, dass die Welt nicht stehen bleibt, weil ich das Etikett des Opfers neben all die eigenen hänge.
Es ist aber auch eine weitere Erfahrung, die mich in ein Gefühl der Machtlosigkeit bringt, weil sie keinen Effekt über mein klitzekleines Dasein hinaus hat. Wieder verortet sich alles in und an mir allein- nicht an den TäterInnen, nicht an dem System, nicht an unserer Kultur, nicht an G’tt.
Wieder bin ich mit etwas, auf diese eine ganz spezifische Art, die nur Gewalt produziert, allein.

In einem Moment des weißen Rauschens, da auf dem Boden des Wartezimmers gestern, schwamm dieser Satz des “Es ist vorbei” durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, an irgendeinen Menschen ein “Ja, aber…” zu richten.
Diesen  Punkt des Wiedererlebens, den Gewalt, die an die Schwelle zum physischen, psychischen und geistigen Tod treibt, den erlebt man so allein, dass die Lüge des “es ist vorbei” von sonst niemandem gesehen wird.
Jedes “Ja, aber…” provoziert den Blick, die Abwehr, die Einsamkeit auf allen Ebenen.

 

Ich muss anerkennen, dass ich versuchte das Falsche zu wollen.
Anerkennen, dass “nichts bis wenig”, noch das Beste ist, was ich an “gut” zu erwarten habe.

Dass es für mich eben doch nie vorbei sein wird, nur weil es mir jemand sagt, der mit mir ist.

einen Abend aufgeben

Tropfenzentrum2 Die Idee gefällt mir gut.
Diesen Abend aufgeben.

Loslassen. Menschen loslassen und einfach vorwärts gehen. Gucken was kommt, machen was geht.
Den Rest

die Panik über 4 Männer in meiner Wohnung
diese tiefgreifende Angst vor der geschlossene Psychiatrie
die Wut, die Ohnmacht vor diesem Verrat
die Sorgen um Zweifel an meiner Kraft im Angesicht von all dem was neben meiner Schwäche zu sehen ist

loslassen
ziehen lassen

einfach lassen

nur bitte nicht dissen
morgen muss ich mich noch dran erinnern können

mit diesem Gefühl von “okay- ich lasse das jetzt gehen, weil es vorbei ist”

OEG 2.1.

Und da saß ich nun also. Das beratene Opfer, das weiß, was es möchte und was nicht.
Ich kenne das OEG, kenne die Fallstricke, die strukturelle Gewalt, der ich mich ausliefere und alles. Ja verdammt- ich bin zigfach gepanzert gegen die Naivität, dass schon alles gut werden würde. Ich bin unempfindlich gegen die Versuchung zu denken: “Wenn ich nur etwas sage, dann reagiert meine Umwelt schon und es wird nicht schlimm.”.

Und trotzdem.

Ich weiß, dass ich keine Strafanzeige erstatten und auch keine Regressforderungen an die TäterInnen zulassen muss, wenn das bedeutet bzw. die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ich dann nicht mehr geschützt bin. Das Gesetz weiß das. Die Strukturen wissen das.
Der Anwalt wusste das wohl

aber dann doch eher theoretisch.

Im Nachhinein kann ich sogar lachen und wissenschaftlich interessiert nicken, was für ein absurdes Gespräch wir da geführt haben.
Was für Dynamiken mir angetragen wurden und auch wie schnell ich unter Druck komme. Noch immer, obwohl ich heute noch mehr als früher klar habe, dass die TäterInnen eben auch (neben vielem anderem) TäterInnen an mir waren.

Wir haben noch 3 Monate bis die Taten, die vor dem 18 Lebensjahr geschahen, verjährt sind.
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige für meine Geschwister?
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige, egal ob mit oder ohne Schuldspruch am Ende auf das Leben der TäterInnen?
Und wieso the fuck, denke ich jetzt über die TäterInnen nach?!

Was ist, wenn ich jetzt ablehne und mich aber in x- Jahren dann genau dafür hauen will?
Was ist, wenn ich jetzt anzeige und mich aber dann, wenn ich einer geschlossenen Station hocke, dafür dann nicht einmal mehr hauen kann, weil ich wieder so abgeschossen, wie vor Jahren bin?

“Wissen Sie, die Strafprozessordnung sagt auch etwas zu den Rechten der Opfer. Es geht auch darum, dem Opfer Genugtuung zukommen zu lassen.”.
Jetzt, drei Tage später, könnte ich darüber, bitter wie 20 Jahre alte Kapern, lachend vom Stuhl fallen.
Genugtuung? Hallo?
Was habe ich denn bitte davon? Kann ich mit 100 Pfund Genugtuung meine Therapie bezahlen? Aus 200 Kilo Genugtuung Lebensqualität klöppeln? Kann ich schlafen, wenn ich mich auf Genugtuung bette?! Macht meine Genugtuung, dass meine Geschwister selbstbestimmt entscheiden können, ob sie sich zu unserer Kindheit überhaupt in irgendeiner Form äußern möchten?! Werde ich Kraft all der ganzen Genugtuung so etwas wie Selbstwert, Bindungs- und Beziehungsfähigkeit und kohärente Selbstwahrnehmung entwickeln?

“Und wenn Sie eine Anzeige erstatten, dann sind Sie ja auch aktiv. Dann ist es ja auch ein Schritt aus der Opferrolle heraus und selbstbestimmter.”
– “Naja, das ist nicht selbst bestimmt, weil ich das ja nur machen würde, weil es das Amt verlangt, für den Bescheid zu einem Antrag den ich eigentlich nur deshalb stelle, weil die Krankenkasse, die Therapie nicht durchgehend finanziert…”
“Ja, aber man ist ja immer fremd beeinflusst”

Ich hatte nicht damit gerechnet selbst bei jemandem, der meine Anliegen vertreten soll, so massiv klarmachen zu müssen, dass es mir auf keiner Ebene um die TäterInnen oder Selbsterhebung geht.
Ich bin entsetzt, wie weit oben Opferinteressen eingestuft werden- gerade wenn es um so schwere Schädigungen geht.
Die TäterInnen könnten jetzt schon hinter Gittern sitzen- ich würde trotzdem noch meine Symptome haben, mich dieser ekelhaften Behandlung vom Jobcenter, kranker Kasse und der Gesellschaft ™ ausgesetzt sehen und alles sein- nur nicht so selbstbestimmt und gesichert, wie mir so untergeschoben werden will.

Ich will in aller Ruhe an mir arbeiten, heilen und mein Leben nach dem Trauma so gestalten, wie ich das heute noch kann.
Nicht mehr und nicht weniger.
Der Rest ist den Raubbau an mir, für mich persönlich nicht wert.
Ich sehe es nicht als meine Verantwortung an, Täterverhalten zu beeinflussen oder einer Beeinflussung zuzuführen. Das habe ich so lange so hart versucht, dass ich Viele wurde- jetzt ist Schluss mit dem Abarbeiten an den TäterInnen. Auch auf der Ebene.

Der Rechtsanwalt sagte, er müsse über die Mandatsannahme nachdenken und seine Effektivität prüfen. So hat er noch keinen Antrag auf Entschädigung nach dem OEG aufgezogen.

Ich habe mir inzwischen die Telefonnummer einer erfahreneren Kollegin herausgesucht.
Auch Testzweckklientin werde ich heute nicht mehr sein.

 

Und sie schreibt sich auf einen Zettel:
“Bei diesem OEG- Ding geht es nur um mich und das Leben, das ich heute habe.”

und hängt ihn sich an den Schreibtisch.
Auf Augenhöhe.

von Schleim, Blut, Sex und lila Schmetterlingsplastikbindenverpackungen mit Freshnessgestank

MenskunstWir sind im Sommer weggefahren und waren erstmals seit einigen Jahren wieder auf Wegwerfmonatsbinden angewiesen und das Thema Menstruation(sartikel) kam auf.

Dann dachte ich, dass ich das Thema in meinem Blog nicht so wirklich aufgreifen kann- aber eigentlich sollte und ja auch wollte und ach… eigentlich geht es ja eh nur darum zu bluten und dafür blöde Produkte zu verwenden… alles drum rum ist ja nichts, was ich einfach mal so schreiben könnte… man weiß ja nie… Wenn das jemand liest!

Dann fiel mir, dass ich bereits einen Artikel darüber geschrieben habe, welche Machtgefühle ich in Bezug auf Aspekte meiner Sexualität erlebe und dachte, dass es eben doch mein Blog ist und Eigenmacht eben auch so aussehen kann, dass ich über die Renovierungszeit meines Uterus schreibe und alles was mir so drum rum auffällt.

Also. Ich schreibe jetzt was über Menstruationsartikel, das Bluten und was, für mich, sonst noch so dazu kommt.

Ich verwende Stoffbinden und versuche mich immer wieder im „freien Menstruieren„.
Ersteres ist nett zur Umwelt und meiner Scheidenflora und Letzteres bedient mein Kontrollbedürfnis, während es mich dazu bringt, mich bewusst mit meinem Körper auseinanderzusetzen und nicht die ganze Zeit des Blutens zu verdissen (meint: zu dissoziieren-
FAQ’s helfen).

Ich stand also im Sommer in der Drogerie und … naja… dachte ernsthaft darüber nach, die Reise abzusagen oder alternativ zu überlegen, wie viele Tage am Stück meine gebrauchten Stoffeinlagen in wie vielen Plastiktüten bleiben könnten, ohne, dass ich mich doch wieder vor meinem eigenen Blut ekelte, wenn ich wieder zu Hause und in Waschmaschinennähe wäre.

Es gibt inzwischen so absurd vermarktete Produkte, um das Menstruationsblut und ominöse andere Schleimig- und Flüssigkeiten aufzufangen, dass ich darüber nachdachte, darüber zu bloggen.
Ich kaufte ein lila Päckchen mit Schmetterlingen drauf.
Mein erstes selbst gekauftes Bindenpäckchen Mitte der 90 Jahre, war eins mit einer Ballerina drauf. Ich fand die Ballerina schön- die Binden da drin scheiße. Das waren welche, die sowohl am Slip als auch den Oberschenkeln klebten. Das fiel mir in dem Moment ein und ich musste gleich mal überprüfen, ob ich wieder so ein Modell erwischt hatte.

Sitzt ne Frau in der Bahnhaltestelle und macht ein Päckchen Binden auf…
Ups Stilbruch- verpackt wie die Kinderüberraschung für Mädchen, aber angucken ist erst allein aufm Klo okay. Hm. Interessant…

Folgende Informationen fand ich auf der Packung:
– ohne Duft, „Ultra Binden“, 4 Tropfen, die Bezeichnung „new Generation“, die Stückzahl, eine Entsorgungsanleitung (gelber Sack..!), eine Trageanleitung (mit Lageplan an einer Abbildung einer Binde), den Hinweis auf Latexfreiheit , einen Kreis in dem „Hautverträglichkeit dermatologisch getestet“ steht und eine Beschreibung der 5 Komponenten des Schutzes (Saugkern, Geruchschutz, Oberflächen- und Tragekomfort (denn wir* wissen ja: je komfortabler desto sicherer!) und Flexibilität).

Die Sache mit der Hautverträglichkeit interessierte mich als Erstes, denn nicht ohne Grund verwende ich Stoffbinden. Ich bin so oder so eine Dauerkandidatin für Infektionen und sonstige (Schleim-) Hautproblematiken im Intimbereich und sowohl Tamponverstopfung als auch Wegwerfbinden haben diese nie positiv beeinflusst.
An dieser Stelle auch ein Danke an meine Gewalterfahrungen, ohne euch wäre dies in dem Umfang und Ausmaß vielleicht nie möglich geworden.

Ich wollte wissen, worauf genau da dermatologisch getestet wurde und unter welchen Bedingungen. Was nützt mir denn das Wissen, dass die Dinger unter Laborbedingungen, wo so eine Binde vielleicht nur eine oder zwei Stunden auf der Haut eines gesunden Menschen verweilt, als „Hautverträglich“ eingeschätzt werden?
Wir sprechen hier von Produkten, die inzwischen fast komplett aus synthetischen Stoffen bestehen. Plastik in allen Verwandtschaftsgraden, versetzt mit Vitamin E und Seidenprotein, wie ich noch auf der Rückseite zum Oberflächenkomfort lesen konnte.

Wenn ich mein Gesicht für 2-3 Minuten in Klarsichtfolie wickle, still stehenbleibe und die Luft anhalte, würde ich auch von einer gewissen „Verträglichkeit“ im Abschluss sprechen können. Nicht aber, wenn ich das Gleiche bei einem Wettrennen über 2-3 Minuten tue.
Die Homepage des Herstellers schwieg dazu, gab aber das Testurteil der Stiftung Warentest an. Also rief ich bei der Servicehotline an.
Und dann rief ich dort noch mal an.
Und noch mal.
Und noch ein Mal, weil mir die Melodie der Warteschleife, aus der ich immer wieder flog, so gut gefiel.
Erreicht habe ich nichts (außer vielleicht genervte TelefonistInnen).
Ich fand einen interessanten
Artikel bei Ökotest.de und beließ es dann dabei- obwohl ich irgendwann dann doch mal beim Verbraucherschutz fragen will, ob Hersteller von- gerade solchen- Produkten, das überhaupt dürfen (vermutlich nicht… oder?).

Als Nächstes dachte ich über die Tropfen nach.
Ich bemühe mich ja schon, mich relativ bewusst damit zu befassen, wie viel da aus meinem Körper heraus kommt, doch die Menge in Relationen zu setzen erscheint mir schwierig mit nur einem Produkt. Netter Versuch der Kundenbindung- gleich mal zig Produkte für einen Lauf oder wie?!
Und dann: BOOM! Konnte ich überhaupt nicht mehr einschätzen, wie viel da kam. Alles weg. Verschwunden in diesen 2,5mm dicken Dingern. Egal wie oft oder weniger oft ich die Einlage wechselte, sah es immer gleich viel aus. Auch die Einschätzung, ob wir uns bei letzten Überresten am Ende der Menstruation befanden oder nicht, war kaum möglich: egal ob das Blut tiefrot oder geronnen und eher braun aussieht- die Plastikbinde machte daraus ein undefinierbar blutfarbiges „Mittendrin- Rot“.

Kann sein, dass das nicht vielen Menschen wichtig ist. Mir aber schon. Ich bin keine regelmäßig und vorhersehbare Regelbluterin. Auch hier wieder ein herzliches Dankenicken in Richtung Gewalterfahrungen: „Danke- auch dies etwas, das ihr direkt mit beeinflusst.“.
Meistens sind es bei mir nur zwei Tage oder drei. Wenn ich mehr als 4 Tage auslaufe, weiß ich, dass ich direkt kurz vorher an einem Problem oder Konflikt gekaut haben und alles angehalten muss. (Wie das noch aussehen kann hab ich
hier mal beschrieben) Die langen Phasen haben bei mir immer irgendwas damit zu tun, endlich loszulassen. Laufen- und eben auch aus-laufen zu lassen.
Wenn ich Stress, Ängste, Kummer oder Ärger habe, blute ich eben auch mal Monate lang gar nicht. Doch wenn es soweit ist, will ich wenigstens sehen und abschätzen können, wo ich gerade im Verlauf stehe.
Die Anfälligkeit biologisch in einen Stressmodus zu schalten, hat sich mein Körper von früher antrainiert, um mit einem Gewaltalltag umzugehen. Ergo habe ich dann doch auch relativ selten „Erdbeerwoche“ und fühle mich schon auch ein bisschen beklaut, wenn ich dann nicht so richtig alles davon auch wahrnehmen kann.

Apropos beklaut- wieso wollen die Hersteller eigentlich neben Würde durch Schmetterlings- und Blümchenlastige Verpackung auch noch Eigengeruch klauen und durch chemischen Kackscheiß ersetzen, der dann auch noch „Freshness“ genannt wird?!
Das Nuf hat neulich schon mal was darüber gebloggt und ebenfalls zum kollektiven Kopfschütteln aufgerufen.
Ich würde gern ja gerne mal noch eine Entwicklungsschlaufe hinzufügen:
Jetzt nennt sich dieser Gestank noch „Freshness“- bald könnte dieser Geruch auch nur noch für Menstruation gelten- ja quasi eine Limitierung passieren: „Na- nee- dieses Persil kann nicht mehr nach „Freshness“ riechen- so riecht schon die „rote Tante“!“.

Außerdem: wer schnüffelt denn bitte im Alltag im Schritt anderer Menschen, wenn er Körpergerüche ekelhaft findet?!
Mal ganz davon abgesehen, dass Blut erst ab einer gewissen Menge und einem gewissen Alter nach „Blut“ riecht. Was mensch riecht, wenn er sich eine Wegwerfbinde zum Wechseln vornimmt, sind Bakterien, die sich über warm- feuchten Stau in wenig belüfteter Gegend freuen und dies gleich mal mit Wachstum feiern. Ja und vielleicht noch mit einem Hauch von Blutgeruch, wenn es eben 5 vor 12 mit dem Bindentauschen ist.

Wenn mensch gesund ist, riecht der ganze Mensch halt nach Mensch. Auch sämtliche Ausflüsse, die by the way nicht nur da sind um in Binden und Slipeinlagen zu tropfen, sondern auch um die Gesundheit zu erhalten.
Als Infektionserfahrene kann ich am Geruch und der Konsistenz immer wieder perfekt abschätzen, wie der Stand ist. Riechts da nach „Mensch“ ist alles gut.
Würde ich oder meine Geliebte da plötzlich nach „Freshness“ riechen, würd ich mir Sorgen machen (müssen).

Eigentlich ist das Bluten nichts irgendwie Großes finde ich.
Aber irgendwie dann doch.
Ich mein-hallo! mensch blutet, ohne verletzt zu sein. Manchen tuts weh und manchen nicht. Manche Menschen sehen, dass sie bluten und denken: „Hurra- nicht schwanger!“ und manche Menschen denken: „Mee das wars dann jetzt die nächsten Tage.“. Bei manchen Menschen geht alles ganz alltäglich weiter und bei manchen ist in der Zeit absolutes Berührungsverbot.
Auch an sich selbst.

Es gibt inzwischen Tampons mit Applikator zu kaufen. Was sagt mensch dazu?
Ich hab erst mal „Umweltverschmutzung“ gesagt, denn diese Applikatoren bestehen wieder aus Plastik, was um die 1000 Jahre zur Verrottung braucht und ebenfalls den Wertstoffmüllberg vergrößert. Mal abgesehen davon, dass Tampons selbst ebenfalls alles andere als umweltfreundlich sind. Wer denkt, diese Dinger bestehen nur aus Watte irrt. Inzwischen finden sich in  Tampons ebenfalls Kunststoffe, Bleichmittelrückstände und Pestizide, die sich unglaublich viele Menschen vor ihren Muttermund schieben, wenn aus diesem Menstruationsblut austritt.

Dann dachte ich, dass so ein Applikator Selbstberührung verhindert und fragte mich, ob es einen echten Vorteil geben kann daran. Einen habe ich gefunden: Warzen und Co oder vielleicht allgemein Infektionskrankheiten, bei gleichzeitiger Problematik rund um die Handhygiene aufgrund von zum Beispiel aufgeklebten Fingernägelkrallen. Es gibt ja Menschen, die sich Macheten heranzüchten oder aufkleben lassen und das Ganze dann „Nail-Art“ nennen. So einen Swarovskicrystalfingernagel mit Blut zu versauen ist vielleicht wirklich nicht so fein. Aber eine Woche BlingBling auf dem Zeigefinger für 1000 Jahre Rottungsprozess?

Überhaupt Tampons und die Geschichte mit Ursache und Wirkung.
Ich habe gesehen, dass es inzwischen Tampons „mit Probiotik“ gibt. Probiotik meint den verkaufsfördernden Ersatz des Naturjogurtklassikers als Hausmittelhelfer gegen juckende Infektionen. Dass genau dies überhaupt erst nötig wird, weil Tampons und stets und ständige Einlagentragerei diese Infektionen wenn nicht auslösen so doch aber mindestens erheblich mittragen, steht weder auf der Packung, noch wird dieser Umstand so breit kommuniziert, wie es eigentlich nötig ist.

Selbst eine Gynäkologin hatte mich lediglich darauf hingewiesen, dass mein damals übermäßiges Sauberkeitsbemühen Schuld an immer wiederkehrenden Infektionen sei- nicht etwa die Unmöglichkeit von Schleimverteilung als Grundlage für Wachstum von positiven Kulturen.

Schleim ist nicht so gern gesehen.
Im Fall von Krankheiten kann ich das ja sogar verstehen, aber die Abwesenheit von Schleim bedeutet eben nicht auch die Abwesenheit von Krankheit. Wenn es um den Intimbereich geht, ist Schleim eigentlich das, wofür ein roter Teppich und Empfangsmusik bereitstehen sollte.
Es ist halt ein ziemlich gut geeichtes Zeug, wenn mensch sich unsicher ist, ob es gut um die Gesundheit steht; wo mensch sich in seinem Zyklus befindet; ob das, was man selbst oder der Mensch, der einen dort gerade berührt, tut eigentlich das ist, was wirklich Lust auf mehr macht.

Mir ist diese ganze seltsam verschobene Schutz- und Kontrollgeschichte in Sachen Menstruation und- naja- durch Slipeinlagen eben auch, vielleicht generell in Sachen „ein weibliches Genital besitzen“, irgendwie befremdlich.
Auf meiner Lilaschmetterlingspackung Binden steht: Idealer Wäscheschutz
Ich weiß nicht, was andere Menschen so für Unterwäsche tragen, wenn es etwas ist, das so unglaublich doll geschützt sein muss. Ich persönlich trage ja Schlüpfer in erster Linie um vor Dreck geschützt zu sein. Meinen Schutz zu schützen, erscheint mir da einfach irgendwie seltsam.
Und was ist eigentlich mit den Menschen, die keine Unterwäsche tragen?
Christina Aguilera hat (angeblich) mal frei menstruiert und die ganze Welt konnte es sehen.
Absicht? Zufall? Wars ihr peinlich?

Ich glaube, es geht auch viel um Scham vor der sich geschützt wird. Vielleicht auch rein praktisch halt den Umstand, das Blut nicht leicht rauswaschbar ist- trotzdem denke ich, dass sich viele Menschen eher für die Sichtbarkeit ihrer Menstruation- vielleicht auch durch den Wäscheschutz an sich schämen, als sich darüber zu ärgern, dass die Unterwäsche nicht wieder ganz die Farbe hat, wie vorher.
Ich hab drei Kategorien Unterwäsche: für meine Tage (rotbraun verfleckt und eng anliegend), für meine anderen Tage (irgendwie halt das was mensch sich so greift) und für geplante „Ich will Sex mit dir haben und dich mit dieser wunderschicken Verpackung darauf hinweisen- du weißt, dass ich diesen Fetzen niemals im Alltag anziehen würde und ich weiß das auch- also…“- Situationen.
Alle Stücke kann ich hygienisch auskochen und bisher hat sich kein Mensch, mit dem ich Sex hatte oder sonst wie intim war, dazu geäußert.

Letztlich gehts mir bei meinen Binden nicht um Unterwäscheschutz, sondern um Sicht- und Kleidungsschutz. Einen Zwölferpack Schlüpfer gibts an jeder Ecke- ein schöner Rock findet sich nicht so schnell und günstig.
Ich möchte überhaupt ja auch selbst entscheiden, wer sehen und wissen darf, dass ich gerade blute. In der Hinsicht danke ich dem modernen Sozialdiktat.

In dem Artikel „The shame of menstruation“ steht, dass es noch um 1900 für weibliche Menschen aus der Unterschicht normal war, auf den strohbedeckten Boden zu bluten, weil es von ihrer Fruchtbarkeit zeugte, was wiederum attraktiv für männliche Menschen sein sollte.
Für mich wirkt diese Praxis wie eine Ausstellung der Körperlichkeit vor anderen Menschen, quasi wie eine Art freiwillige Funktionsdarstellung im Sinne der damaligen Werte: „Wenn du mich heiratest, garantiere ich dir viele Kinder- guck, wie ich blute“.

Würde ich mir das auf ein Singleprofil oder Speeddating übertragen, könnte ich andere Menschen beim Schwimmen beobachten, was wiederum so lustig wäre, wie die Reaktionen der PassantInnen, als ich das Paket Binden in der Haltestelle öffnete und offen begutachtete.
Fruchtbarkeit wird irgendwie gar nicht mal mehr so an der Menstruation gemessen, oder? Wird heute überhaupt noch auf Fruchtbarkeit geachtet, wie damals? Wann in unserem Miteinander kommt der Punkt an dem über Fruchtbarkeit nachgedacht und gesprochen wird? Ist es noch cool fruchtbar zu sein?

Ich habe die These, dass die Scham rund um die Menstruation mit der Unsichtbarkeit einher ging.
Da wird etwas unsichtbar gemacht- vielleicht verheimlicht, dann muss es ja was Verbotenes/ Dreckiges/ Schlimmes sein. Und, dass die Menstruation eh etwas Schlimmes sein muss, beweisen ja schon diverse „Reinheits“-Mythen rund ums Bluten aus dem Uterus.
Dass es bei dem Verheimlichen darum ging, vielleicht trotz Menstruation seiner Arbeit nachzugehen, seine Fruchtbarkeit nicht fremdbewerten bzw. von Unbeteiligten einschätzen zu lassen, vielleicht auch um diverse religiös- kulturell verankerte Praktiken zu umgehen, muss laut „shame on the women“- Gesetzmäßigkeit mit Unglück und Schande und in der Folge: Scham belegt werden, damit es nicht zu bunt getrieben wird.

Dabei lädt heute gerade die Maschinerie rund um Damenhygieneprodukte, die inzwischen nicht mehr nur aus Binden, Tampons und Slipeinlagen bestehen, sondern auch noch aus Deos und Seifen speziell für Slipinhalte, dazu ein, unbedingt noch alles tun zu können, als würde mensch gar nicht menstruieren.
Das ist eine verwirrende Botschaft finde ich. Einerseits muss mensch sich sehr viel mit dem eigenen Körper und einigen Aspekten des Blutens befassen (diese Produkte wollen ja schon richtig angewendet werden)- andererseits wird es gehändelt, als sei es unwichtig (mensch kann ja noch alles tun), um dann aber doch wieder mit diesem Schamding belastet zu sein (es muss alles frisch und neutral riechen bzw. aussehen).

Außerdem stimmt es ja gar nicht, dass alle menstruierenden Menschen den gleichen Alltag haben, wie sonst. Manche haben sehr große Schmerzen und können dann gar nicht so unterwegs sein wie sonst.

Ich bins auch nicht. Bei aller Konzentration und Beherrschung über mich, ist das erste Bemerken meiner Regelblutung der Moment, in dem ich mich über Zeit und Raum, mein Erwachsen- und Unversehrtsein versichern muss. Ich muss am ersten Tag auch Schmerzmittel einnehmen, damit ich die Kontrolle halten kann- was aber nicht bedeutet, dass der Schmerz weg ist.
Der Druck und die Anspannung des Gewebes ist dann immer noch spürbar und das ist ein Gefühl, das mir mein Innenleben auf den Kopf stellt. So gehen da Schotten runter, was eben wiederum meine Produktivität nach außen auch erheblich mit beeinflusst.

Ich mache jetzt keine „Was hilft bei Menstruationsbeschwerden?“- Liste. Das haben sowohl Esme als auch Anna und viele andere Menschen schon oft getan.
Ich ziehe meine Socken aus und glitsche auf der Blutspur direkt zu einem verbindenden Element, das prima bei diesem Schmerz hilft: Orgasmen

Die nehme ich ganz gerne mal mit und wenn ich meine Tage habe noch ein Mal mehr. Ich weiß nicht genau warum es so gut hilft, wenn um die sich zusammenziehende Gebärmutter die Muskeln auch noch mal zusammenziehen, aber so ist es bei mir.
Manche Menschen halten Sex während der Menstruation für eklig. Manche menstruierenden Menschen wollen dann auch nicht angefasst werden.
Ich bin froh, dass das bei mir nicht so ist.

Das Einzige, worauf ich achten muss, ist nicht hinzugucken und auf penetrierende Praktiken zu verzichten, um keine Erinnerungsprozesse an erlebte Gewalt zu triggern. Wenn ich gerade eine Geliebte habe, die mit mir Sex hat, sage ich das auch so. Früher hab ichs nicht und hatte dann nicht mal was vom Sex, außer das blöde „knock- out“-Gefühl von früher nach Gewalterlebnissen. Und das Ganze neben der Erklärungsnot, wieso ich (ich sage meinen Geliebten nicht, dass ich multipel/ schwer traumatisiert bin. Dafür sind sie Geliebte- nicht Gemögte- andere Geschichte) geweint habe oder Ähnliches.

Ich habe festgestellt, dass es für mich nicht besonders sinnvoll ist auf einen Orgasmus hinzuarbeiten, wenn ich mich gerade scheiße finde oder richtige BÄÄÄMs in meiner Nähe wabern. Das wird meistens eher eine Selbstverletzungsarie und auch eine Geliebte habe ich dann nicht zur Hand (bin ja dann scheiße). Trotzdem ist ein vibrierendes Sexspielzeug dann wirklich praktisch und guttuend für mich. Einfach mal die Massagegeräte zur Massage des Unterleibs (nicht nur der Vulva) verwenden.

Übrigens habe ich inzwischen einen Mooncup im Haus, den ich bei Gelegenheit mal testen werde.
Bei diesem Produkt schlich ich ja ein bisschen herum, weil es Größenangaben gibt. S M und L  „Schade“, dachte ich, „Dass ich weder Maßband noch Spekulum noch finanzielle Ressourcen zum Kauf aller Größen zum Testen besitze“. Es ist ja nun doch ein Fremdkörper, den ich in meinen Körper einbringen muss, was ich halt nicht immer einfach mal so machen kann. Gibt halt Tage, da fühle ich mich zerstörter als an anderen.

Jetzt ist er da und kommt mit in mein Ressourcicum zur roten Welle fern von Daheim, wo ich eben nicht frei menstruieren und/ oder meine Stoffbinden verwenden kann.

Die lila Schmetterlingsplastikbindenpackung steht derweil in meinem Bad herum.
Vielleicht erwischt es mal unerwartet Besuch von mir und es wird eine gebraucht. Dann bin ich gerüstet.
Verrotten wirds ja frühestens in 1000 Jahren.

 

Bonusmaterial:
Ich hab zum Geburtstag ein Buch geschenkt bekommen, dass ich gerne weiter empfehle: „
Muschiland- Exkursion in eine kulturelle Intimzone“ von Ulrike Helmer. Darin sind neben angenehm leicht lesbaren Texten zu nicht immer leichten Aspekten, auch viele Literaturtipps und Verweise zu finden, was das Buch sehr wertvoll macht, wenn mensch sich (feministisch) mit dem Thema auseinandersetzen möchte.

Das „the period blog“  (englisch) mal durchzuschauen kann ich auch nur empfehlen. Leider wird es inzwischen wohl nicht mehr aktualisiert.

Ich hab das Thema „MenstruationsApp“ + „Gender“ nicht im Artikel erwähnt, weil ich meinen Zyklus weder von einer Maschine „berechnen“ lassen will, noch ein Smartphone besitze. Die Femgeeks haben sich aber schon mal damit befasst.
Meine „MenstruationsApp“ ist das Kalenderbuch „Alle meine Tage„, das sich für mich als am Besten geeignet herausgestellt hat.

Die rappende Gruppe „Hand Job Acamedy“ hat der Menstruation einen Song mit dem Titel „Shark Week“ gewidmet.

Allison von „Jew in the City“ erklärt in einem Video ausführlich die jüdische Mikvah.

Weitere Links und Literaturtipps zum Thema sind gern gesehen und werden in den Artikel übertragen.