Waldgespräch

Es ist ein seltsames Gespann.

Ein Hund, der wie ein Reh durch die flirrenden Schneeflocken springt, rennt, hopst, mit Zweigen kämpft und zwei Gestalten, die nebeneinander her laufen. Die eine hat den Blick auf den Boden- die andere hält ihre Begleitung in der Sichtperipherie.

“Es ist komisch.”
– “Ich weiß”
”Wieso sehen sie das, aber nicht alle anderen auch?”
– “Ich weiß nicht mein Herz”
Sie steckt sich die Fingerkuppe in den Mund, fängt an die Nagelhaut herunterzureißen.
– “Nimm lieber etwas Schnee in die Hand oder in den Mund. Vielleicht will NakNak* auch was spielen.”
”Ach Affenscheiße”
Sie tritt in die vereiste Fahrrinne eines Waldarbeiterwagens. Wischt sich Tränen von den Wangen.
”Ich weiß immer noch nicht, wie man das nennt, wenn man sich vor welche stellen will und denen sagen will: Guck was du mir angetan hast!”
– “Ist dir das so wichtig? Willst du das wirklich mal machen?”
”Ja! Die sollen sehen, dass sie mich und- ja ach fuck ey- uns alle richtig verletzt haben”
– “Du weißt, dass wir das niemals machen werden, oder? Und selbst wenn doch- sie werden sich nicht bei uns dafür entschuldigen, dass sie ihre Arbeit gemacht haben.”

Sie hebt die Schultern, wirft NakNak* einen Blick zu. Runzelt die Stirn, pustet ein paar Flocken vom Schal. “Vielleicht will ich gar nicht, dass sie sich entschuldigen. Sie sollen nur nicht mehr so tun, als wärs nur mein Problem. So nach dem Motto: Alle anderen haben damit nich so Probleme- du bist die Einzige die hier schon wieder rumspinnt. Die sollen sich schämen.”
– “Haben sie dir das gesagt? Dass du rumspinnst?”

Sie wendet sich ab, sucht den Weg zu unserem Waldplatz für Zeiten wie diese.Höhle Sie schweigen, lassen ihre Tränen die Wangen abkühlen.

“Ich hab nicht gesponnen, richtig? Wenn etwas schlimm ist, dann ist es schlimm, nicht wahr? Egal, wie es andere nennen oder wie sie das empfinden, ne?”
– “Ja, es war schlimm für dich, also war es schlimm.”

Sie sitzen dort und reichen einander die Hand.

Im Schutz einer kleinen Höhle zu ihren Füßen drängen sich andere Herzen aneinander. Die beiden haben sie noch gar nicht bemerkt, obwohl es doch deren Schmerz ist, über den sie weinen.

von der Psychiatrie und der unbezahlbaren Hilfe

Ein Artikel über die Psychiatrie.
Als Aperitif gibts ein Horrorfoto.
Thema: Legalisierung von Zwangsbehandlung im Hauptgang.
Definitions-Allmacht von (überarbeiteten, im Verhältnis zur Arbeitszeit unterbezahlten, eher einseitig fortgebildeten) Ärzten zum nur hauchzarten (kaum erwähnenswerten) Dessert.

In meinem Kopf rattert sie Uhr tornadoardoartig rückwärts.
2001- 14 Jahre alt.
Gerettet aus einem Gefängnis- entkommen aus einer versteckt gespaltenen Welt
Erneut eingesperrt in ein Gefängnis und in eine ganz offen gespaltene Welt.

Weil es keine Alternative gibt.
Weil mir dort geholfen werden kann, wie sonst nirgends.
Weil ich dort verstanden werde.
Weil es mir dort besser geht.

Niemals war auch nur ein Mensch so ehrlich zu uns zu sagen, dass sie schlicht hilflos waren. Weil es keine andere Möglichkeit des Schutzes gibt. Dass wir diese Internierung aushalten mussten, weil die Menschen uns nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie unsere Geschichte nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie die Folgen davon nicht aushalten konnten oder wollten.

Sie haben es sich leicht gemacht und mich abgeschoben- weggesperrt- verwahrt- ausforschen- verbiegen bis zum Brechen lassen.

Sie haben nicht gesehen, dass sie ab dem Zeitpunkt unserer Aufnahme dort, nun unsere Eltern ersetzten. Und wie deutlich sie das taten… Himmel ja WIE verdammt noch mal deutlich sie genau das Gleiche getan haben, wie unsere Familie. Nur haben sie es nicht “Pseudoreligion” genannt, sondern “Hilfe”.

Es war ein Tausch nichts weiter. Hellgraue gegen Arztseifenweiße Folter

Was sie gesehen haben war eine 14 Jährige, die sich immer wieder selbst verletzte. Eine 15 Jährige die den vierten, fünften, sechsten, siebten, achten…. fünfzehnten Suizidversuch gerade eben so mal noch überlebt hat. Eine 16 Jährige, die plötzlich aus heiterem Himmel anfängt zu schreien, niemanden zu erkennen scheint und auf Mitarbeiter losgeht. Eine 17 Jährige, die so abgeklärt über psychische Krankheiten spricht, als wäre sie selbst die Ärztin.

Was wir waren war eine lichtentwöhnte 14 Jährige, die den Boden küsste über den sie laufen durfte- komplett verwirrt über das was mit ihr passierte- ausgeliefert unmündig und hilflos.
Eine 15 Jährige, die sich von ihrem ambulanten Therapeuten hat missbrauchen lassen, weil sie unter anderem befürchten musste, wieder eingesperrt zu werden. Wieder ausgeliefert, unmündig und hilflos. (Und zu dem Zeitpunkt schon völlig allein auf sich gestellt).
Eine 16 Jährige, die anfängt sich an die erlittene Gewalt zu erinnern und gerade mal so das Glück hat, in einer psychosomatischen Klinik zu sein- statt in einer Psychiatrie, wo es alles noch viel schlimmer hätte sein können.
Eine 17 Jährige, die in 3 Jahren durch 7 Kliniken und 5 Jugendverwahrungseinrichtungen hindurch geflippert wurde und deren einziger Hoffnungsfunke auf Heilung und Leben ohne Gewalt, eine dreizeilige Email in ihrer Hosentasche ist; geschrieben von einem Menschen, mit dem sie vielleicht 2 Stunden Zeit verbracht hat und nicht einmal wirklich kennt.

Wir waren die ganze Zeit allein und hatten keine Menschenseele, die sich darum geschert hat, was mit uns dort passiert. Die, die Entwürdigung der Massenabfertigung und den Raub der Selbstbestimmung für uns beklagt hat. Da war niemand, dem wir unsere Gewalterfahrungen mit Pflegern hätten sagen können, ausser den Patientenvertretern zu denen wir aber keinen Kontakt aufnehmen konnten, ohne die Hilfe des Personals. Zusammen mit einer Diagnose die gleichbedeutend mit Unzurechnungsfähigkeit und  Realitätsverlust ist, hatten wir schlicht keine Chance.

Es war wie in der Hölle, die gerade vorher verlassen hatten.

Was wir durchgemacht haben ist unglaublich. Es ist unglaublich schlimm, unglaublich viel, unglaublich viel Nichthilfe. Und was wir in Bezug darauf heute wahrnehmen, ist unglaublich viel Ungläubigkeit.
Nein, uns wurde nicht das Gehirn unter Strom gesetzt. Nein, unser Frontallappen wurde nicht therapeutisch wertvoll verletzt. Unser Gehirn wurde uns ausgedörrt in den vielen hundert Stunden zwischen den “Behandlungen”, in denen man völlig auf sich geworfen ist- äußerlich strengstens reglementiert, während der Same des Wahnsinns unter dem tumben Starren auf Klinikflure, Klinikessen, Kliniktüren, Klinikroutine, Klinikklinikkliniklinikatmosphäre überhaupt erst zu wachsen in der Lage ist.

Wir wissen (zum Glück) nicht, wie es für Erwachsene ist, so in Not und ohne ausreichendes soziales Netz zu sein, dass man sich in eine Klinik begeben muss, um Schutz vor sich selbst (oder anderen Menschen) zu erfahren. Und freiwillig werden wir das auch nicht erfahren.

Die Psychiatrie war für uns das Trauma nach dem Trauma.
Die ersten 2 Therapiejahre nach der letzten Entlassung brauchten wir dafür auf, überhaupt auch nur wieder irgendeinen Helfer (nicht nur Menschen überhaupt)  näher als eine Diagnostik an uns heranzulassen. Ein öffentliches Feindbild wie zum Kindesmisshandler gibt es für Helfer nicht. Eine Hetzpropaganda, wie aktuell gegen die Institution Kirche, gibt es nicht für die Institution Psychiatrie. Vor der breiten Öffentlichkeit steht man vor solchen Erlebnissen ganz genauso verlassen und ohnmächtig, wie vor der gezielten sexuellen Ausbeutung von kleinen Kindern mitten in Deutschland. Jeder kriegt einen Schauer der den Rücken herunter rieselt, jeder hat seine Gedanken dazu. Doch wenn es darum geht eine Hand zu reichen, wird sich weggedreht und unsichtbar gemacht. Und in beiden Fällen muss man sich mehr oder weniger krassen Eigenschuld- (im Sinne einer Eigenverantwortungs-) zuweisungen aussetzen.

Vor ein paar Wochen noch, bekam unsere Therapeutin die volle Breitseite dessen ab, was hier los geht, wenn uns jemand mit der Einweisung bedroht. Und für uns beginnt die Bedrohung schon mit der überhaupt-igen Nennung der Psychiatrie als Option für Hilfe.

Keiner- absolut kein Mensch auf dieser Welt würde das, was real in einer Psychiatrie vor sich geht, als hilfreich bezeichnen, wenn man das Ganze schlicht losgelöst vom Status der „Retter der Gemütskranken“ heraushebt:
Eine Woche hat 168 Stunden
minus jeweils 8 Stunden Schlaf, ergibt das 112 Stunden Wachsein.
Davon werden ca. 8 Stunden therapeutisch gestaltet (je nach Klinik- ich nehme einfach mal den Standard aus meinen Zeiten in der Ballerburg).
Das ergibt unterm Strich: 104 Stunden geistig- seelische Nulllinie, die man mit Kettenrauchen, Gedankenkarussell, Patientengesprächen, Illustrierte lesen, nicht-an-seine-Probleme-denken-aber-doch-dazu-zwingen-weil-man-ja-dafür-da-ist und mit dem intensivem Beobachten aller emotionalen und sozialen Vorgänge auf der Station wiederzubeleben versucht.
Würde man diesen Behandlungsstandard auf ein akutes Herzversagen oder auch eine chronische Lungenentzündung übertragen hieße das unter Umständen: “Wie jetzt hier- sie kriegen so wenig Luft- sie kriegen doch schon 8 Stunden am Tag die Maschine an den Hals!”; “Ich hab schon 8 Sekunden mit der Lebensrettung verbracht- was will der denn noch?!”

Man führt ein Leben wie Schrödingers Katze:  eingesperrt in einer Box und ob man noch lebt oder nicht ist Definitionssache. Und die Macht über diese Definition, könnte mit dem Gesetz nun auch noch in jedem Fall- egal wie diese ausfällt (ob zutreffend oder nicht) rein bei den Ärzten bleiben. Komplett unhinterfragt oder in der Lage die Box zwecks Überprüfung zu öffnen.

Es ist ein Witz. Es ist infam. Es ist eine gesellschaftliche Schande, dass wir solche großen, relativ sicher finanzierten Kästen wie die Psychiatrie, überhaupt noch haben und sogar brauchen.
Es ist die medizinisch-kapitalistisch-sozialdarwinistische Vermeidungsblase, die uns davor bewahrt den Wahnsinn, Kontrollverluste und schiere menschliche Natur zu nah uns heranzulassen. Realitätsverlust als “kann mal vorkommend” zu betrachten. Menschliches Elend von uns fern zuhalten. Uns nicht zu belasten. Uns nichts ans Bein zu binden. Um uns vor gesellschaftlicher Verantwortung zu drücken.
Uns selbst nicht zu fragen, wie wir verhindern können, dass es anderen Menschen schlecht geht.

Uns daran zu hindern jedem unserer Freunde zu sagen, dass sie auch mitten in der Nacht bei uns klingeln dürfen, um von uns vor sich geschützt zu werden-von mir aus auch eingeschlossen zu werden und die nötigen Mittel aufgedrängt zu bekommen und die Hand durch die Neben- und Nachwirkungen zu halten.

Wir sind dankbar dafür, dass wir uns in der Hinsicht auf unsere Gemögten verlassen können. Niemand von ihnen würde uns abweisen, stünden wir mit diesem Anliegen vor ihrer Tür.

Als wir (noch vor 6 Jahren) nicht in der Lage waren zu essen wie Menschen, gab uns unser mit uns verbündeter Mensch den Rahmen der nötig war- ohne uns zu verachten. Als wir nicht wussten, ob und wenn ja wer, von uns Kontakt zu Tätern aufnehmen könnte/versuchen würde, sich das Leben zu nehmen/versuchen würde, ihn zu verletzen… Als wir so depressiv waren, dass sogar das Heben der Augenlider eine einzige Qual war… Als schon ein unsichtbares Geräusch Innenkinder hochspülte die noch mitten im Traumaerleben sind… Als wir so richtig tief in der psychischen Scheiße standen- alle Weichen auf Psychiatrie standen, brauchte es doch nur jemanden, der schlicht da war und den Schlüssel zur Wohnung versteckte. Taschentücher, Kotzeimer, Schlaftabletten, ein starkes Rückgrat und ein liebevoll fürsorgliches Herz hat.

Leider ist das etwas, das die Krankenkasse nicht leisten kann und der Staat, oder diejenigen die es leisten könnten, nicht leisten wollen.

Denn die wahre Hilfe kommt von Menschen, deren freies starkes Dasein einfach unbezahlbar ist.

Interessantes und Nützliches zum Thema
– die schlaue Patientenverfügung gibt hier zum Download
– Steinmädchen schreibt auf ihrem Blog über “Psychiatrisch- Patriarchale Kontrolle” und unterstreicht die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Therapiemöglichkeiten
– viele Bücher, Sachwissen und Zugang zu Alternativen bietet der Antipsychiatrieverlag von Peter Lehmann
– die internationale Arbeitsgemeinschaft “Soteria” stellt sich und seine Ziele hier vor
– das Berliner “Weglaufhaus” sollte jedem sofort in den Kopf kommen, wenn es um Alternativen zur Psychiatrie geht- es braucht so viele NachahmerInnen, sowie offene UnterstützerInnen wie nur möglich
– zum Thema Psychopharmaka und Psychiatrie mein Artikel „auf wundersame Weise“
– als weitere hilfreiche Anlaufstelle bietet sich auch der sog. „Trialog“ (Patient, Klinik, Mittler) der Stadt an- Kontakt hierzu bekommt man über den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt in der man wohnt
– zu: „einem erweiterten Verständnis psychischer Störungen, neuem Wissen über genesungsfördernde Faktoren in der Psychiatrie, der Entwicklung neuer Methoden und umfassender Inhalte in der Fachkräfteausbildung und innovativen Angeboten psychiatrischer Dienste“ informaiert und aktiviert „Ex-In„. Ein vielversprechendes und umfangreiches Pilotprojekt. Weitere Informationen zur Genesungsbegleitung durch „Ex-In“ gibt es auch auf dieser Website.
– grundsätzlich muss das Motto derzeit leider noch immer sein: „Niemals allein Kontakt mit der Institution „Psychiatrie“ haben- hab immer jemanden mit im Boot, der dich im Zweifel da raus streitet und für dich eintritt“

 

Vielleicht an alle die aus Angst vor Täterkontakten regelmäßig in de Psychiatrie gehen (müssen):
Immer wenn ihr raus seid- greift zum Weberschiffchen und vernetzt euch. Es ist schwer und gruselig- vielleicht sogar noch verboten. Aber wenn ihr etwas anderes erreichen wollt, als das was ihr jetzt gerade durchmachen müsst, dann müsst ihr auch etwas anderes tun als jetzt.

So gemein es klingt, hatte Einstein schon Recht als er sagte:
“Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, aber immer ein anderes Ergebnis zu erwarten.”

Immer wenn ihr eine Fingerspitze aus der Scheiße herausstrecken könnt- versucht nach echten Helfern zu greifen. Es lohnt sich, denn es geht um euer Leben und eure persönliche Freiheit.
Ihr dürft das.