eine multiple Persönlichkeit ansprechen ~ Teil 2 ~

Bärlauch “Ich bin keine multiple Persönlichkeit”, hatte ich der Rechtsanwältin gesagt. “Ich bin eine Persönlichkeit mit einer dissoziativen Identitäts(wahrnehmungs)struktur.”. Kurz wurde ich unsicher, weil ich Angst hatte, ob ich zu forsch war. War dieses Gespräch der richtige Moment, um Multimythen zu sortieren?
Jetzt, wo ein paar Wochen vergangen sind, kann ich denken: “Ja, und einen besseren hätte ich nicht finden können.”.
Es ging mir darum zu unterstreichen, was aus mir heraus kommt und was von außen in mir reagiert. Ich wollte nicht schon wieder eine rechtliche Vertretung, eine Betreuung, einen sozialen Kontakt mit Auftrag, der mich in sich selbst genauso zerfleddert, wie es meine Selbstwahrnehmung mit mir macht.

Es hat auch mit der Frage zu tun “Soll ich dich im Singular oder im Plural ansprechen?” – mit dem Unsicherheitswust, der sich in Menschen auftut, die Interaktionswünsche haben. Verstehen wollen, Futter möchten, um sich einfühlen zu können.
Schmunzeln kann vermutlich nur ich über die Fragestellung: “Soll ich dich im Plural ansprechen?” , vielleicht sind auch Kopfschütteln und inneres Zusammenkrampfen nur auf meiner Seite, wenn es um den Umgang mit mir als Vielheit geht.
Ich versuche immer wieder zu unterstreichen, dass ich, wenn ich mit einem Menschen zu tun habe, immer ich bin.
Dass ich nicht einfach umschalten kann. Dass das niemand kann und bei mir nicht anders ist, als bei allen anderen, außer in der Selbstwahrnehmung bzw. in der Folge in der Wahrnehmung meines Selbstes von anderen.

Es gibt Menschen, die mein Erklärungsmodell meiner Abhängigkeit vom äußeren Kontext, eigener Erregungslevel und angepasster Neurophysiologie ablehnen.
Manche denken, dass es so ein Marionettenleben gar nicht geben kann- und wenn doch, mein Bewusstsein darüber doch alles verändern müsste. Das ist das Pinocchio – Modell, das übersieht, dass auch ein Pinocchio eine Holzpuppe blieb, bis er von einer anderen (äußeren übergeordneten) Instanz verwandelt wurde.

Manche verwechseln meine Erklärung dazu auch mit Rechtfertigungsverhalten. Sie denken: “Aha, für sie sind immer alle anderen Schuld, wenn sie die Kontrolle verliert”, selbst wenn das Wort “Schuld” gar nicht in meiner Erklärung auftaucht, sondern meine eigenen reflexhaften Anpassungsreaktionen beschreibt.

Manche geraten auch in eine Übertragung und fühlen meine Ohnmacht vor dem, was Leben und Alltag, Interaktion und Entwicklung, Veränderung und Dynamik zwangsläufig für mich bedeutet, und schwanken zwischen Blaupausenübertragung auf ihre Erklärungsmodelle (das wird dann gerne das Modell der verschiedenen sozialen Rollen, die alle Menschen in unserer Gesellschaft inne haben und mehr oder weniger gut spielen, und daraus, dann die “Überzeugung”, dass alle Menschen multipel sein müssen) und Abwehrverhalten, das ebenfalls mit einer Verquerung meiner Angaben einher geht und in den meisten Fällen gesellschaftlich anerkannte Wege der Unterdrückung geht (“Du willst dich nur besonders machen”; “Du willst dich nur deiner Verantwortung entziehen”; “Du willst nur Mitleid/ Aufmerksamkeit/positiven Status”).

Ich hatte versucht der Anwältin klar zu machen, dass es ein spezifisches Reaktions- und Interaktionsmuster gibt, das sie an mir erleben würde, würde sie mich anwaltlich vertreten. Ich weiß inzwischen, was es für Situationen sind, die zum Beispiel kindliche oder handlungsunfähige Innens nach außen wirken lässt und versuchte ihr zu vermitteln, was ich brauche, damit solche Situationen nicht in unserem Kontakt entstehen.
Ich erlebe zum Beispiel als einen massiven Auslöser, dass es eine Nähe gibt, die mehr als eine Sachebene umfasst.

Wir haben zwischenmenschliche Gewalt erfahren- selbstverständlich ist menschliche Nähe ein Auslöser.
Keine andere Art der Gewalt hat so viele Kontextverknüpfungen, Querverweise und Knotenpunkte- so einen Mikrokosmos aus Interaktion aus Aktion und Reaktion, die sich sowohl in den Opfern als auch in den TäterInnen einfügen, verfestigen, weiterentwickeln, wieder ablösen und weitergetragen werden können.
Mein Problem ist einzig, dass ich oder/ und mein Gehirn oder/ und mein Bewusstsein keine Chance hatte, etwas vom Erlebten zu verknüpfen (assoziieren).

Wenn ich mit der Rechtsanwältin einen sachlichen, wenig persönlichen, nicht privat beeinflussten Kontakt gestalten und erhalten kann, dann gibt es dort auch keine Innens, die unsachlich, hochemotional, privatverquickend sowohl reagieren, als auch selbst agieren.
Es wird schwierig an der Stelle, an der ich ihr etwas hochgradig Persönliches, wie von der Struktur meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung erzählen muss, damit sie die Problematik meines Falls versteht.
Sie muss begreifen, dass ich ihr das erzähle, damit sie Krankenakten, Amnesie für Gewaltabläufe und unterschiedliche Bewertungen (und entsprechend auch vielleicht widersprechende Angaben) einordnen kann- nicht, damit sie in ihrer Art und Weise mit mir umzugehen anders ist, als gegenüber anderen MandantInnen.
Würde sie das tun, wäre unsere Sachebene zerstört und damit das Spektrum, das es mir ermöglichen würde einen konstruktiven Interaktionsraum zu gestalten. Ich könnte dann nicht mehr zurück- egal, wie sehr ich es wollte.

Ich finde es wichtig, Menschen, mit denen ich mehr als “Hallo” und “Tschüss” wechsle, zu sagen, dass ich eine DIS habe, weil es dabei um meine Identität und meine Wahrnehmung von ihr geht. Schwierig erlebe ich dabei, dass es immer wieder so ist, dass Menschen sich gezwungen sehen darauf mit Selbstbezug zu reagieren und darauf aufbauend ihre Interaktion verändern, ohne sich zu überlegen, ob das überhaupt gewollt oder wirklich immer nötig ist.

Neulich hat meine Therapeutin angerufen. Ihre erste Frage war mit wem sie spricht- obwohl  es, selbst wenn jemand ans Telefon gegangen wäre, der sie nicht kennt (oder, den sie nicht kennt), irrelevant für den Umgang mit der Information und ihren Konsequenzen gewesen wäre.
Das “Wer ist da?” ist wichtig für Informationen, die aus uns herauskommen- nicht für Informationen, die in uns hineinkommen. Zumindest erlebe ich das so, weil mit dem Hintergrund des Innens, das Informationen äußert, auch bestimmte Bewertungen, Dynamiken, soziale etc. Kontexte bzw. die Annahme bestimmter Kontexte transportiert werden, die für die Sortierung des Gesagten wichtig sein können. Sowohl für mich, als auch für die Menschen, von denen ich auf meinem Weg begleitet werde.

Die Frage “Mit wem spreche ich?” ist ein Mittel der Versicherung und hat mit mir nichts zu tun, sondern nur mit dem Menschen, der sie stellt. Bei meiner Therapeutin oder auch bei BetreuerInnen, erlebe ich diesen Akt von Versicherung auf Kosten meines Gefühls von Sicherheit noch einigermaßen okay, wobei ich in der Hinsicht auch nicht unkritisch bin. Ich empfinde es manchmal, gerade in Zeiten, in denen ich mich sehr viel verletzbarer als sonst fühle, gut, nach Außen nicht sofort in meiner Identität lesbar und damit zusätzlich verletzlich zu sein. Wenn dann die Frage nach meinem Namen kommt, wird das schnell zu einem Abwägen in der Frage: “Gebe ich jetzt mein bisschen Schutz zu Gunsten eines Sicherheitsgefühls meiner Therapeutin/ Betreuerin auf? Was habe ich davon, wenn sie sich sicherer im Umgang fühlt?”

Während ich wunderbar eingewaltet bekommen habe, wie viele “Vorteile” (selbst)sichere HelferInnen, psychologisch/psychiatrisch/medizinische Deutungshoheiten für mich bieten, habe ich in Bezug auf Menschen, die mit mir auf einer Ebene stehen, bereits wechselnde Erfahrungen machen können.
Inzwischen interagiere ich flexibel mit anderen Menschen und erkläre Ihnen mein Modell der Ansprache:
Singular = Gegenwart
Bewertung, Selbstpositionierung entspringen einem Moment innerhalb eines spezifischen Kontextes- zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen Kontext, kann es sein, dass mein Körper etwas anderes sagt
Plural = allgemeine, ganzheitliche Verortung in Zeit, Raum, Kontext

und erkläre ihnen meine “Faustregel”: je mehr (von mir wahrgenommene) Ebenen der Moment hat (Kontext, Anspruch und damit Druck an mich reagibel zu sein), desto höher die Wahrscheinlichkeit mit mehr als einem Innen zu tun zu haben, die nicht zwangsläufig nach außen erkennbar sind und noch weniger zwangläufig durch Veränderung von Ansprache, Haltung etc der InteraktionspartnerInnen in ihrem Wirken gehindert und/oder beeinflusst werden können
(Wichtig ist, dass mein Gehirn zulassen kann gegenwärtige Situationen als “auch anders als früher nötig zu begegnen” zu erkennen – dabei spielt natürlich auch eine Rolle, welche Reize es von den InteraktionspartnerInnen aufnimmt, doch sämtliche andere Faktoren (Erregungslevel, äußerer Kontext, klare “Beweise” für Selbstwirksamkeit zum Beispiel) spielen eine gleichrangige Rolle)

Ich versuche zu vermitteln, dass die Frage nach dem Namen eines Innens manchmal unverhältnismäßig für mich ist.
Nur weil klar ist, dass ich als Mensch viele Ichs, viele Leben und Erlebens in mir trage, heißt das nicht, dass andere Menschen ein Recht auf Kenntnis davon haben- schon gar nicht für die Beruhigung von Ängsten, die sie ohne dieses Wissen gar nicht hätten.
Ich weiß es nicht genau, aber ich denke mir, dass meine Therapeutin nichtmultiple KlientInnen “Wie siehts aus- passt der Anruf gerade?” fragt. Eine Frage, die ich erst gestellt bekomme, nachdem ich mich (für mein Gefühl) schutzlos gemacht habe.
Hm.
Manchmal finde ich es gut, weil ich dann lernen kann, dass mir von ihr nichts passiert, das Schutz nötig macht und manchmal ärgere ich mich darüber, dass ihre Hilfe oder der Kontakt mit ihr, sehr oft mit Gefühlen von Schutzlosigkeit auf meiner/ unserer Seite einhergeht.

Bei der Juristin war es mir auch wichtig, ihr den inneren Schluss (und damit ein Verantwortungsgefühl) zu lösen, sie hätte es mit vielen Menschen zu tun.
Auch wenn nur ein Mensch vor ihr steht, hätte sie sonst das Gefühl mit einer Gruppe zu interagieren, obwohl es keine Gruppe in dem Sinne ist und ergo auch nicht gut/richtig/passend auf ihre gruppenentsprechenden Interaktionsmuster reagieren wird, was wiederum nur Gefühle von Ohnmacht, Frust, Hilflosigkeit, Unsicherheit und damit ein unbefriedigendes Verhältnis zur Folge haben kann, was dann wiederum für mich schwierig wäre, weil ich mir dann eine andere Anwältin suchen muss.

Neulich hatte ich einen Emailaustausch mit einem Menschen, dessen Mensch an der Seite multipel ist. Er klagte darüber, dass die Innens sich nicht vorstellen und immer einfach so auftauchen und ihn mal nett behandeln und mal ablehnend. Mal tauche einfach so ein Kind auf und sage nicht, wie es heißt und was es hat und niemand von den anderen Innens käme dann, um ihm zu helfen.
Ob ich ihm nicht vielleicht ein paar Tipps geben könnte, wie er sie dazu bringen könnte, anders zu agieren und ihn nicht immer so allein zu lassen.

Vielleicht merkt man schon ein bisschen, wie eigentlich übergriffig, die Wünsche dieses Menschen sind, der sich eindeutig ohnmächtig, ausgeliefert hilflos und in der Position sieht, regulierend eingreifen zu müssen, weil er nicht multipel ist.
Er sieht sich gar nicht im Kontext aus dem heraus Wechsel passieren, sondern als Objekt des multiplen Menschen, das behandelt wird – nicht als Subjekt auf das reagiert – mit dem interagiert wird.

Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, die Wechsel erst einmal zu verstehen, statt sie gleich irgendwie abzuschaffen, verändern oder zu seinem Gunsten beeinflussen zu wollen. Außerdem versuchte ich ihm ein bisschen zu vermitteln, dass die Wechsel eventuell aus einer anderen Perspektive sogar genau nur für das wofür er steht passieren. Nur eben nicht in unserer heutigen Gegenwart und aus der Sicht von Erwachsenen im konsensualen Verhältnis zueinander.

Und ich sagte ihm, dass Multiple keine Persönlichkeitssupermärkte sind.
Man geht nicht einfach zu jemandem hin und sagt ihm: “Jetzt wechsel sofort in den Zustand, in dem du warst als…”. Niemand macht das- außer die Menschen, die von Multiplen verlangen, jetzt mal mit Innen XY sprechen zu dürfen.
Ich sage nicht, dass das unmöglich ist. Aber eine Übergriffigkeit ist es alle mal- egal, ob nun im positiven Sinne für den betroffenen Menschen, etwa, weil man statt eines verängstigten Kinderinnens ein handlungsfähiges erwachsenes Innen sprechen will (einen unangenehmen Zustand beenden möchte) oder für sich selbst. Etwa, weil man keine Lust darauf hat, sich die x-te Schleife von Innen XY anzuhören und lieber mit Innen AB Spaß haben will.

Seit ich diese Grenze spüre, kann ich gut mit einem anderen Innen wechseln, dass sich jedes Mal (und das sehr zuverlässig) darüber aufregt, wenn es irgendwo hinter mir wabert und merkt, dass da jemand außen gerade meint, in unserer Persönlichkeit herumlatschen und Forderungen stellen zu dürfen, anstatt zu überlegen, warum eben gerade nicht das da ist, was er gerne haben möchte oder sich für uns als Einsmensch wünscht.
Dann kriegt das Außen einen Wechsel, wie verlangt (reaktives Muster: “Du musst machen, was andere verlangen”, das sich verschärft, wenn es eine Autorität verlangt) und trotzdem nicht das, was sie wollen (antherapiert wie ansozialisiertes Muster: Selbstschutz- sie kriegen die Feuerlöwin unter den Rosenblatts vor die Nase und sind froh, wenn sie weg ist –> Schutz durch Verhalten, das Menschen eher abstößt, als bindet).

Die Folge ist also eine verdeckte Spaltung und damit kein Umlernen von alten Spaltungsdynamiken, sondern eine weitere Spaltung, die sich an aktuellen Anforderungen orientiert. Und ja: Wer einmal so global dissoziiert, dass eine DIS entsteht, der kann immer und in allen Kontexten Dissoziationspotenzial freisetzen, um sich zu schützen.
Das Dissoziieren und Viele werden- mehr werden, endet nicht mit den traumatisierenden Gewalterfahrungen.
Die Spaltung passiert ja auch nicht wegen der Gewalt, sondern wegen dem, was die Gewalt bedeutet, nämlich: erzwungene Passivität, die das eigene Überleben massiv gefährdet und/oder das Individuum sein eigenes Überleben massiv gefährdet fühlen lässt.

Und “massiv gefährdet” ist als Grundgefühl eben genau das, was andere Menschen bis heute in uns auslösen. Wir haben Menschen als das gefährlichste Tier auf diesem Planeten verinnerlicht und freundliches Gebaren immer wieder an Bedingungen geknüpft erlebt.
Bedingungslose Annahme erfahren wir noch nicht lange und bis zum gegenwärtigen “mit einem skeptischen Blick aus einem Augenschlitz aus weiter Entfernung mal Angucken und Annehmen, dass es sich dabei nicht um einen Trick handeln könnte- eventuell vielleicht- hypothetisch!”, dauerte es Jahre.

Eine dissoziative Identitätsstruktur zu haben heißt in gewisser Weise, permanent eine Sektglaspyramide auf einem Tablett zu balancieren, während man, vielleicht auch noch mit einem erkrankten, geschädigten, gleichfalls immer wieder reagierenden Körper, einbeinig die Alpen überquert, wie dereinst Hannibal mit seinen Elefanten.
Man kann nicht einfach mal ein Glas verschieben, damit irgend ein Bergsteiger, der einem begegnet es im Kontakt vielleicht bequemer hat. Das Mittel der Wahl ist immer genau das Glas zu reichen, das abgetreten werden kann. Ist es nicht gut genug und wird gefordert ein anderes zu reichen, kann alles kippen- es muss nicht- es kann aber und jemand der schon 20- 30 Jahre lang eine Gläserpyramide balanciert hat, der wird einen Scheiß tun, das für irgendjemanden als Risiko auf sich zu nehmen.
Im Zweifelsfall wird ein neues Glas entstehen, ohne dass es jemand merkt.

Vielleicht ist es ein Paradoxon, wenn ich hier viele Punkte anbringe, die eigentlich jede Kontaktaufnahme, jede Interaktion als für mich extrem heikel und gefährlich markieren und zeitgleich aber darauf beharre, dass das keine Veränderungen im Verhalten der Menschen hervorbringen muss bzw. dass das kein Ziel von mir ist.

Mein Ziel ist, den Blickwinkel zu erweitern und Raum für Bewusstsein zu schaffen.
Im Grunde ist es eine Art zu sagen: “Du, weißt du was? Menschen machen mir Todesangst und ich reagiere so und so darauf – nur, dass du Bescheid weißt. Ich lerne noch, wie Leben ohne direkten Grund zur Todesangst geht und sicher passieren mir dabei „Fehler“. Ich sage dir das, weil du ein Teil meines Lebens und meiner Lebensumgebung bist und vielleicht meine „Fehler“ im Lernprozess bemerken könntest.”

Manchmal erlebe ich es als schwer den Menschen begreiflich zu machen, dass ich sowohl sie, als auch mich, als auch mein Leben als Einsmensch fragmentiert (dissoziiert) wahrnehme. Dass einfach niemand und nichts “mein Leben ist”, aber alles und jede/r * ein Teil davon ist, der mit einem Teil von einem “Gesamt- Ich” zu tun hat.

Manchen Multiplen hilft es, wenn jedes Innen mit Namen und Eigenschaft(en) bekannt ist und alle individuell, als ganz und gar abgetrennte Menschen behandelt werden.
Ich erlebe das als Kontrollverlust, weil es eine innere Spaltung nach außen holt (und also von meinem Innen ablöst), während mein Bemühen eigentlich ist, keine Spaltungen mehr entstehen zu lassen und Abgetrenntes näher aneinander heran zu führen.
Manchmal auch über einen Umweg nach Außen- etwa in der Therapie, doch in der Regel bevorzuge ich mittelbare Äußerungen, die ich nicht aus der Hand geben (anderer Menschen Wertung, Umgang, Machtausübung aussetzen) muss, um sie zu verändern und sachte und vorsichtig von selbst an die Stelle gleiten zu lassen, an der sie dann näher oder anders gut stehengelassen werden können.

Vielleicht ist meine Art des Umgangs falsch oder auch nicht für jeden Menschen passend.
Vielleicht haben wir hier den epischen Durchbruchartikel, der alle Einsamkeiten und Verlassenheiten in meinem Leben erklärt.

Vielleicht ist es aber auch etwas, das Menschen, wie dem Leser, der mir schrieb, weil er unsicher war, hilft, jemanden der Viele ist ein bisschen besser zu verstehen, oder mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen, was für ihn selbst wichtig und wahrnehmbar ist.
Mir war es wichtig, meine Gedanken dazu noch einmal festzuhalten.

Haben wir richtig gewünscht

Eigentlich ist es gar nicht so anders.
Eigentlich ist es nur anders anders.

Ich denke, gerade im Bezug auf die multiple Persönlichkeit(sstörung), wie DIS früher hieß, kann man die Macht der Sprache sehr schön fest machen. Man kann sehen, was für einen Einfluss Worte auf unsere Vorstellungen und daraus hervorgehende Einstellungen und auch Umgangsformen haben.

Ich lese immer wieder in Büchern von Betroffenen, auf Homepages oder auch in Blogs, wie sie sich abmühen Worte zu finden, die ihr Gefühl beschreibt und möglichst nah an etwas kommt, was beim Gegenüber ein möglichst nachvollziehbares Bild entstehen lässt.
Da wird dann davon gesprochen, multipel zu sein, sei wie in einer WG. Oder wie in einem großen Haus, wo man sich nicht so recht kennt. Oder man sei ein Team, dessen Mitglieder ganz unterschiedlich seien. Man sei eben eine Gruppe unterschiedlicher Menschen in einem Menschen.

Fakt ist, dass das nicht genau so ist.
Es ist ein subjektives Empfinden, dass meine Innens zu “Menschen mit Persönlichkeit” werden lässt. Ich finde es sehr witzig, dass ausgerechnet ein Disneyfilm, mir ein gutes Werkzeug in die Hand gibt, um es etwas Grundlegendes beim Multipelsein zu erklären.

Der Film heißt “Verwünscht” und zeigt, wie es einer Disneyfilm-fast-Prinzessin, einem Disneyprinzen [der Erste mit Namen im Disneyuniversum übrigens haha], einem Disneybackenhörnchen, einer bösen Stiefmutterhexe und ihrem devoten Lakaien ergeht, die in der Realität von New York landen und dort auf einen Vater mit seiner Tochter und dessen Fast-Verlobte treffen.

Von der eindimensionalen Welt in die 3D Welt. Von einer Welt in der man seine Gefühle singend und in absurden Tanzeinlagen mitteilt, Tiere sprechen können, und ein Wunsch- eine Aufgabe- ein Posten- ein Gefühl-  eine Sehnsucht- eine Angst oder auch reine Machtgier, alles zu sein scheinen, worum sich die Existenz der Figuren dreht.
Niemand fragt, warum die Stiefmutterhexe Angst um ihren Platz auf dem Thron hat, niemand denkt drüber nach, was das für ein Mädchen ist, dessen Freunde die Tiere des Waldes sind und vergeht in der Hoffnung auf der wahren Liebe Kuss. Es stellt niemand das kriecherische Dienen des Lakaien in Frage. Und wieso sich der Prinz ewig kämpfend- aber von Liebe singend gebärdet- hm darüber wundert sich im Disneyland nie jemand.
Dort ist es eben so. Dort passt es eben. Würde sich dort auch nur einer dieser Punkte verändern, würde sich dort alles verändern- und das nicht zum Besten aller.

Es ist bei meinen Innens genauso. In unserem früheren Leben bestand ihre Existenz in ausschließlich der Ausführung einer Funktion, dem Aushalten eines Gefühls(gemischs), dem Umgang mit einer einzigen (Körper)Empfindlichkeit (in jeweils einer bestimmten Situation) oder auch einer einzigen Art zu denken, zu bewerten, und wahrzunehmen.
Wäre dem nicht so gewesen, hätte sich alles verändert. Wir als Gesamtperson (wir als Disneyfilm) wären gestorben (ein Kassenflop geworden), wenn sie nicht so gewesen wären.

Und genau wie die Fast-Prinzessin im Film, hatten wir das Glück die andere Welt kennenzulernen.
Genauso erschreckt, verängstigt, verwundert, verwirrt und verletzt, weil wir uns direkt auch erstmal an einen Menschen wendeten der uns in seinem Sein vertrauter als andere erschien, klopften wir, ebenso wie dieses Mädchen, das durch die Stadt geschubst, vom Regen durchtränkt und von einem Bettler bestohlen, an ein Bild der Realität, die wir schon kannten. Voller verzweifelter Energie- aber doch unerschütterlich davon überzeugt, dass es dort der einzig richtige Platz ist. Und dort alles schöner sei.

Auch wir wurden gefunden, aufgefangen und so gerettet. Und auch wir werden an die Hand genommen und belehrt wie das Leben in dieser Welt so ist.
Nun ist es aber so, dass Eindimensionalität alles andere als kompatibel ist in einer 3D-Welt.
Es gibt eine Szene, die ziemlich gut unsere Frontfrau darstellt. Die Prinzessin ist wütend- aber wütend sind in Disneyland ausschliesslich die Bösen oder die Bockigen. Nie aber die Prinzessinnen- die sind vielleicht mal beleidigt oder schmollen.
Unsere Frontfrau ist nicht einmal das jemals von sich aus gewesen. Sie war immer einfach nur existent und so wenig “Sein” wie nur irgend möglich.
Die Prinzessin ballt die Fäuste, läuft auf und ab, redet lauter, deutlicher- stockt zwischendrin, weil ihr nicht sofort heraus will, was sie sagen will. Ihr Gesicht ist dunkler und der Mann sagt:
“Du bist wütend” und sie sagt: “Ja…. Ja! Hurra! Ich bin wütend”.

So ähnlich ergeht es uns (und aber am Meisten schon der Frontfrau), wenn wir einander berühren innerlich. Wenn wir ein Stückchen näher an uns heran kommen.
Oft ist nicht klar, was es für Gefühle, Gedanken, Intensionen sind, die innen arbeiten und herausquellen. Dann brauchen wir andere Menschen wie Mensch XY, unsere Gemögten und unsere Seelenfrau um eine Einordnung zu schaffen. Erstmal nur das. Denn wie diese Fast- Prinzessin, können wir die gesamte Wahrnehmung nicht direkt ganz aufnehmen. Die Dissoziation verhindert dies, um eine Überflutung und damit einen Zerfall zu verhindern.
Aber allein der Name auf diesem Aktenordner der Wahrnehmung innerer Prozesse, hilft bereits etwas grundsätzlich zu ordnen und als etwas von sich selbst und normal und als ganz basal in Ordnung zu empfinden. Schon dies bewirkt eine Veränderung. Schon das nimmt unglaublich viel Angst und damit weiteren Dissoziationsanlass.

Wie dieses Mädchen im Film lernen wir unterschiedliche Dimensionen kennen- und finden sie in Form der Innens in uns als Gesamtperson wieder. Wir lernen eine andere Art der Umgangsformen kennen, so wie die Prinzessin lernt, dass es nicht so läuft: Prinzessin wird gerettet, singt im Duett mit dem Prinzen und heiratet dann. Sondern dass es heißt: Sich kennenlernen, schauen was man an sich mag, was man am anderen mag, was man gern miteinander tut. Dass man Dates macht und sich verliebt. Dass ein einziger Kuss vom Prinzen noch lange nicht der wahren Liebe Kuss sein muss.

Unsere Frontfrau muss das auch so lernen. Wir müssen ihr Nichtssein mit uns verknüpfen, um überhaupt ein Gesamtbewusstsein darüber zu erlangen, was uns als Persönlichkeit im Ganzen gefällt und was nicht, was uns körperlich angenehm ist und was nicht und was uns, welche Gefühle verursacht und wie man mit ihnen gut umgeht.

Am Ende des Filmes ist es so, dass die böse Stiefmutterhexenfrau stirbt (obwohl wir wirklich gern gewusst hätten, warum sie ihren Thron nicht teilen wollte- aber am Ende hätte sie eh nicht mehr draufgepasst, weil sie sich in einen KingKong-Drachen verwandelt hat), die anderen Figuren bewerten sich neu und führen ein neues Leben, dass sie sehr erfüllt und glücklich macht.

Der Lakai öffnet sich für seine Wut und seine Verletzung durch die böse Stiefmutterhexe; das Backenhörnchen (das den ganzen Film über darunter leidet, nicht sprechen zu können, schreibt in der Disneywelt ein Buch darüber, die Fast- Prinzessin lebt mit dem Vater und seiner Tochter zusammen und macht, was sie gut kann: Nähen.
Hochinteressant fand ich, dass der Prinz in die Disneywelt zurückging- im Schlepptau die Fast-Verlobte des Vaters, die so glücklich mit einfach genau dieser einzigen Funktion- nämlich der der klischeehaft geliebten Königin, ist. Der es offenbar egal ist, dass Teile von ihr fehlen- oder vielleicht nicht gewünscht sind oder schlicht nicht vorkommen können.

Das finde ich deshalb so interessant, weil ich nicht mehr nachvollziehen kann, was so schön- so einfach-so erfüllen daran sein soll, nur noch eine Aufgabe zu erfüllen- ohne alles das, was es noch so gibt.

Tja… so kann ein Therapieerfolg auch aussehen:  Dass man plötzlich… beim Schreiben des 150sten Artikels seines Blogs merkt, dass man doch bereits sehr viel deutlicher „3D“ ist, als man es sich vorher je klar gemacht hat…

Edit auf Nachfrage:
Heißt im Klartext: multiple Persönlichkeiten sind keine Menschen mit vielen Persönlichkeiten in sich, sondern Menschen die Teile ihrer Identität bzw. die verschiedenen Seins-Zustände von sich als so fremd und getrennt von sich selbst wahrnehmen (und von aussen ebenfalls so wahrgenohmmen werden), als seien es andere Persönlichkeiten.
Jedes meines Innens ist in der Lage aktiv zu handeln- aber extrem eindimensional und „flach“- erst in Verbindung mit anderen Innens bekommt es eine Tiefe (und Höhe und Breite… eine Dimension, wie man sie gemeinhin mit Persönlichkeit assoziiert).