das Helferding

„Aus jeder Therapie nimmt man etwas mit“, dachte ich im Zug nach Hause „Aus jeder.“
Während die feuchtgrünen Felder und Wiesen am Fenster vorbeiglitten, dachte ich an unser erstes „Mami-Ding“ und daran, was für ein verkorkstes Scheißding das insgesamt war. Kinder- und Jugendpsychiatrie, halb von zu Hause weg, halb mittendrin. 3 Suizidversuche überstanden, den 4. schon in Planung, gerade entlassen, aber doch noch zu Gesprächen mit der Psychologin hinbestellt.

Sie war klein, hatte dunkle Haare und Augen. Sie hatte nichts Blendendes an sich, nichts Überforderndes. Die Gespräche waren ruhig, auch wenn sie es nicht sein konnten. Und irgendwann wollten sie nicht mehr von da weg. Wollten immer nur noch da sein. In dieser Ruhe, dieser Anwesenheit, die nichts überreizte, niemanden überforderte. Vielleicht ginge das? Vielleicht könnten sie für immer bei ihr bleiben? Sie waren ja eh nicht gewollt zu Hause. Aber bei ihr waren sie ja immer willkommen.
Alles wäre besser, wenn sie ihre Mutter wäre.

Ich spürte R.s Druck im Oberkörper, während ich mir ihre Erinnerungen daran ansah. „Alles wäre besser gewesen, wenn wir damals jemanden gehabt hätten, die_r uns im Leben willkommen geheißen hätte.“ Sie verkrampfte und drehte sich aus unserem Kontakt.
Ich weiß aber auch so, wie es weiterging.
Jemand hatte es der Psychologin gesagt und sofort bereut. Einerseits, weil der Verrat gegenüber der Familie* so ungeheuerlich war, dass er von den Dunkelbunten sofort bestraft wurde und andererseits weil die Psychologin sich abgrenzte und keine Termine mehr anbot. „Nichts gewonnen – alles verloren“, sagte Z. deren vibrierender Puls halb in meinem verschwand. „Ab da gings nur noch bergab.“

Bergab, das klingt, als wären sie damals noch auf einem gewissen Niveau gewesen. Hätten nicht schon die Arme zerschnitten, die Schullaufbahn kaputt, die Familienbande zerfetzt, den Glauben an ein lebenswertes Leben zerstört gehabt. Aber es stimmt irgendwie doch. Sie konnten nicht mehr so tun als ob. Diese so kraftgebende Fähigkeit haben sie verloren. Sie konnten sich selbst nichts mehr vormachen. Sich keine Idee mehr von einem Kontakt machen, der etwas zum Besseren verändern könnte.
Also haben sie es nicht mehr gemacht.
R. hatte sich in ihrer Abwehr bestätigt gefühlt, Z. keinen Kontakt mehr nach Außen. Das ganze System wurde von dem, was sich in der Zeit praktisch wie von selbst entwickelte, überschrieben. Heim- und Klinikablauf förderliches Funktionieren während Täter*innen zufriedenzustellen waren, war wichtiger. Ob als Klapsleiche oder Jugendliche_r, die_r einfach immer gut mitmacht, um gut mitzumachen, weil das Leben ja erstmal aus nichts anderem mehr bestand, war keine Wahl, die sie getroffen und auch nicht gelebt haben.

Ich schaute mir noch ein Mal die Liste der unausgesprochenen Dinge zur Psychotherapie an. Die hatte ich zusammengetragen, weil wir in unserer Therapie besprachen, wie wir woran arbeiten können in der nächsten Zeit. Die Krankenkassenstunden sind verbraucht, wir warten und hoffen auf den FSM.

Wir haben feste Positionen für die Psychotherapie und den Kontakt mit der Therapeutin.
Eine davon war bis vor einigen Monaten noch, dass wir solche unausgesprochenen Dinge nicht aussprechen. Egal, ob wir seit 12 Wochen oder 12 Jahren mit jemandem in Kontakt sind.
„Es ist gefährlich – man verliert einfach zu viel, wenn man solche Dinge sagt.“, das war Z.s Argument, als wir uns damit befasst hatten, ob wir diese Liste wirklich machen und mit der Therapeutin teilen. „Wenn wir heute etwas verlieren, ist das nicht so umfassend wie früher“, argumentierte ich – die gut schnacken hat, weil sie ja eh keine Ahnung hat, wie R. sich ganz richtig und gewohnt frustrierend einbrachte.
Ich habe es dann doch gemacht. Schließlich sind wir nicht nur wegen all der Dinge, die uns gesagt wurden, sondern auch wegen all der Dinge, die nie gesagt wurden in Traumatherapie.

Unsere Positionen haben fast alle etwas mit Performance, mit Kommunikation und Interaktion zu tun.
Keine davon zwingt unser Gegenüber zu etwas, alle beziehen sich auf uns und das, was wir zulassen können. Wir leben nicht nach Schweigegeboten und unterliegen auch keinen Redeverboten – aber wir schützen uns vor Verletzungen und Gefahren, die durch Transparenz entstehen.
Schon das zu teilen war schwierig. Obwohl es so logisch ist. Und überhaupt kein Geheimnis oder etwas, das sonst wie überraschend für unsere Therapeutin oder irgendwen sein dürfte. Aber mit dem Aussprechen wird nicht nur unsere Position sichtbar, sondern auch die Angst und die Nichtbereitschaft dafür, Verletzungen hinnehmen zu müssen. Der Umstand, dass wir etwas wollen, aber nicht … so.
Nicht so wie A., die sich von einem Behandler hat missbrauchen lassen, wie Z., die sich von einer Behandlerin hat wegstoßen lassen, wie ich, die sich nie gegen die Fehlannahmen und Falschbehandlungen von Behandler_innen gewehrt hat – immer mit der Traumawahrheit im Kopf, es gehöre dazu, dass es weh tut. So sei es nun mal. Dieses Leben. Als Patientin, als Geholfene, als Empfänger_in, die froh sein kann.

So viel von unserem Behandlungsweg war in sich traumatisierend schmerzhaft und so viel von dem motivierenden Selfcaresprech, der mir mitunter begegnet, setzt gewissermaßen eine Bereitschaft zum Schmerz voraus. Therapie soll nicht schön sein. Angenehm. Die soll weh tun, die soll mich von meinen Illusionen runterholen, egal welcher Natur sie sind. Die soll mir alle möglichen irrigen Annahmen klarmachen und mir helfen, zu neuen Ansichten zu kommen.
In all dem ist die Beziehungsebene zu meiner jetzigen Behandlerin aber nie als Teil der Beziehungsgeschichte betrachtet, die ich mit früheren Behandler_innen hatte.
Wir konnten gut in die gemeinsame Arbeit einsteigen und drinbleiben, weil wir keine zwischenmenschliche Beziehung aufgebaut haben. Sie war und wird von uns immer wieder dahingehend gedacht, dass sie Teil des Raumes ist. In gewisser Weise also eine Art Möbel, das zur Interaktion und Kommunikation fähig ist – aber nicht zur Verletzung. Sobald wir damit konfrontiert werden, dass sie ein Mensch ist, kommen wir in Stress. Weil Menschen einfach zur Verletzung fähig und wir damit in Gefahr sind.
Diese Realität weit genug zu verdrängen und sich dennoch zu öffnen für die Arbeit ist herausfordernd und ich glaube so auch nur möglich mit einer dissoziativen Störung.

Nun ist das Ziel aber die Dissoziation in meinem Leben weitgehend zu entstören.
Ich muss schauen, auch jetzt noch, nach der ganzen Arbeit und allem, ob die Dissoziation meiner Therapeutin nicht doch langsam auch eher störend, als hilfreich ist.

witzig

Aber eigentlich würde ich mich dafür entscheiden, euch zu zeichnen … – wenn das okay ist.“
„Oh G’tt oh G’tt oh G’tt. … Du hast halt nur so ein kleines Heft – Passen wir da alle rein?“
Ein kleiner Witz unter Vielen. Ein Schmunzler. Ein prosozialer Akt, um die Beziehung zueinander in ihren Gemeinsamkeiten zu stärken und die Aufregung am Anfang der Podcastaufnahme umzulenken.

„Hier, guck dir das mal an“, er deutet auf eine kleine Mulde auf dem Dach des Autos, „da muss was heftig draufgeknallt sein.“
„War bestimmt Steinobst.“
Knaller. Meine beste sprachwitzige Spontanreaktion ever. Ich lache heute noch darüber, wenn ich daran denke. Einerseits, weil der Witz so gut passte, andererseits, weil mein Partner auch darüber gelacht hat.
Obwohl der Wortwitze nicht mag. Oder nur so tut? Vielleicht performt er Nichtmögen, weil es für ihn zum Witzmoment gehört? Ich weiß es bis heute wirklich nicht. Wir hatten beide mal einen richtigen Lachflash wegen eines Witzes, der mit einer Hummel zu tun und die Pointe auf „Bssssss“ hatte. Den habe ich schon längst wieder vergessen, aber den Lachflash nicht. Vielleicht mag er sie doch. Wer weiß.

Ich mags, wenn wir albern zusammen sind. Die Witze, die das schaffen, haben aber nie etwas mit uns persönlich zu tun. Es sind immer Wortwitze, Wortspiele, überzogene Fantasiegespräche, spontan ausgedachte Quatschlieder oder stereotypisierte Sozialportraits, mit denen wir einander sicher zum Lachen bringen. Auch schwierige Situationen können wir zuverlässig durch eine ironische Bemerkung auflockern oder im Nachhinein weniger belastend rahmen.

Humor ist eine wichtige Ressource für meinen Partner und ich bin froh darüber.
Aber Humor ist auch etwas sehr Persönliches.
Manchmal sagt er Dinge, die er sehr lustig findet oder amüsiert sich über Aspekte, die ich nicht erkennen kann. Und manchmal sind das Aspekte von oder an mir selbst. Dann bin ich doppelt gefordert, ihn zu lesen und seine Perspektive zu verstehen, um mir dann vorzustellen, warum dieses oder jenes aus seiner Perspektive gar nicht anders als witzig sein kann. Oder auch, warum er dieses oder jenes lieber locker lustig nimmt als ernst.
Diese Herausforderung verlängert meinen Weg zum Witz gewissermaßen. Ich muss mehr Vorarbeit machen, um die gemeinsame Ebene zu erreichen, auf der es okay ist, übereinander zu lachen. Zu dieser Vorarbeit gehört die Perspektivübernahme, aber auch eine gewisse Versicherung darüber, was das Ziel des Witzes ist. Also, worum es dabei neben dem Erreichen eines leichten Gefühls auch geht.
Wenn ich mir sicher bin, dass es darum geht, uns miteinander zu verbinden und gemeinsame Erfahrungen zu rahmen – und gewissermaßen mit Lustigkeit zu veredeln – kann ich auch Witze und Kommentare zulassen, die ich in ihrem Anlass nicht nachvollziehen kann. Da bleibt dann zwar ein Rest Unsicherheit und damit dann auch etwas, das für mich nicht ganz aus dem Kopf kann, aber ich kann den Witz zulassen und mittragen.

Das ist etwas anderes, wenn genau diese autismusbedingten Eigenheiten von mir Anlass des Witzes oder lustigen Kommentars sind. Denn für mich ist daran nichts zu erkennen, was irgendwie leichter genommen werden kann. Für mich ist nichts lustig daran, wenn ich jemandes Handeln nicht wirklich ganz nachvollziehen und verstehen kann. Im Gegenteil. Es ist hochgradig belastend, mit sehr viel ungewürdigter, nicht mitgedachter und also unsichtbarer geistiger Arbeit verbunden und oft genug ein Trigger in massive Ängste. Es ist ein Drehkreuz. Eine Stelle, an der sich Komplextrauma und Autismus treffen und gegenseitig verstärken. Hochempfindliches Terrain sozusagen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen für ich auch wirklich lustigen Spruch oder Witz darüber macht, dass ich nicht immer wirklich weiß, worum es bei sozialen Dingen geht, ist sehr gering.
Das trifft auch auf kompensierende Verhaltensweisen zu.
Ich bin schnell überreizt vom Umgang um mit Unordnung herum. Ich räume nicht auf oder sortiere alles, was ich habe, weil mich ein lächerlich irrationaler Zwang überfällt.
Ich nehme vieles als gleich präsent wahr. Ich schalte während eines Gesprächs laufende Geräte nicht stumm, weil mir egal ist, was sich jemand angehört/angeguckt/gemacht hat.
Ich verliere mich schnell im Hyperfokus auf tendenziell als unproduktiv gedachte Handlungen, wenn ich keinen Tagesplan habe. Ich fordere keinen Tagesplan ein, weil ich andere Menschen für mich verfügbar wissen oder sie kontrollieren will.
Ich muss neue Inhalte und Problemstellungen komplett in allen Aspekten und möglichen Abweichungen durchdenken, durchspielen und immer wieder auch sozial absichernd durchsprechen, bevor ich sie sicher anwenden oder auflösen kann. „Einfach machen“ ist für mich in vielen Bereichen des Lebens einfach nicht drin. Und don’t get me started on „Mach dir keinen Kopf.“ als kleine Schmunzeleinlage.

Es gibt Sprüche und Witze, die betonen die Unterschiede, die Menschen aneinander wahrnehmen.
Die verletzen mich. Darüber lache ich nie. Die nehme ich hin, wenn ich nichts dagegen tun kann – die akzeptiere ich als Eigenschaft nicht-autistischer Menschen, die sich meine Arbeit mit ihnen einfach nicht mit mir machen wollen. Als Bocklosigkeit. Als Ignoranz. Als schwer umzulernendes Verhalten. Als die Alltagsgewalt, der ich einfach jeden Tag ausgesetzt bin, egal, was ich tue.
Und dementsprechend nie als etwas, das dafür da ist, eine gemeinsame Beziehung zu etablieren, zu stärken oder zu erhalten.

Bei Witzen über Unterschiede geht es in der Regel um die Stärkung von Normen und dadurch auch Herrschaft. Also eine Stärkung der Beziehungen, die normkonform und vorherrschend sind. So kommunizieren rassistische Witze von Weißen beispielsweise niemals Wertschätzung, Respekt und Gleichwertigkeit von Nicht-Weißen, sondern primär und immer! , dass nicht-weiße Menschen anders sind. Jeder Witz von zum Beispiel cis Menschen über trans Personen oder von nicht-autistischen Menschen über autistische Menschen funktioniert genau so. Und in 99,999999999 % der Fälle wird durch dieses Othering, diese ständige Wiederbetonung des für den Witz (Macht.zielgerichtet) hergestellten, ausgestalteten, ausgeschriebenen Unterschiedes, die Grenze verstärkt und die dadurch entstehenden Gruppenverbände klarer definiert.
Als normkonforme, vorherrschende Gruppe merkt man selbst oft nicht, worüber man sich da eigentlich lustig macht – weil man ihre Witze nie gegen sie verwenden oder auf sie anwenden kann. Man ist einfach nicht auf der gleichen Ebene und kann sich entsprechend nie mit gleicher Wirkung treffen.

Ich nehme an, dass meine Vorliebe für Wortwitze aus diesem Umstand entstanden ist. Mein Interesse an Humor ist Verbindung sowie Spaß an Wort und Ton. Das ist für mich leichter herzustellen, als die korrekte Selbstzuordnung sozialer Gruppen, die sich von anderen Gruppen abgrenzt, und zwar mit ausgedachten und dann übertrieben ausgestalteten Unterschieden, die man einander in sozialen Codes mitteilt.
Ich verstehe diese Witze durchaus – aber die Arbeit dahin ist einfach enorm und letztlich nie zum Vorteil für mich. Denn so richtig gehöre ich doch nie ganz zu denen, über die nicht gelacht wird.

Getriggert.sein

„Aufgewühlt“, das Wort brachte mein Partner ein, als ich ihm sagte, was in mir vorging. Ja, „aufgewühlt“, das kam diesem Gefühl nahe. Blubbernder, wälzender Treibsand, der mich in ein unendlich dumpfleeres Blaugraugrün ziehen würde, wenn ich ihn nicht bald verlasse.

Mir gefällt es, wenn ich neue passendere Worte unter den Bedeutungsschirm „getriggert“ schieben kann. Denn was soll das denn eigentlich sein „getriggert“? Doch immer nur „angestoßen“, „berührt“, „ausgelöst“ … und – „angefasst“ im unangenehm nahen, wahrhaften Wortsinne.
Ich aber war verwirrt, uneindeutig, innerlich hin- und hergeschoben zwischen Er.innern und Er.wachsen. Wusste, dass der Text, den ich lektorierte, nicht deshalb triggerte, weil er Vergewaltigung zum Thema hatte, sondern, weil ich vergewaltigt worden bin und seine Inhalte meine harte Alltagsschutzschale berührten.
Eine auslösende Berührung, das ist ein Trigger. Die Triggerreaktion ist alles danach.

„Ich bin getriggert“ wollte und will ich auch heute nicht sagen. Ich bin nie getriggert. Ich bin nie die Reaktion auf einen Trigger. Ich bin das Ergebnis einer Trigger.reaktion – in meinem Selbstempfinden aufgrund der DIS und selbst das eigentlich nur gewissermaßen – aber „getriggert“ ist kein Adjektiv für mich.
Es ist ein diffuser Begriff, genutzt als soziales Adjektiv. Gemacht nur, um anderen zu sagen, dass man gerade „was mit Trauma hat“, aber nicht, was. Eine widersprüchlich anziehend abstoßende Kommunikation.

In mir waren mehrere Prozesse ausgelöst worden.
Vor dem Tag, an dem ich den Vergewaltigungstext bearbeitete, hatte ich in dem Buch „Ist das okay?“ gelesen. Ein Kinderfachbuch zum Thema des sogenannten „sexuellen Missbrauchs“. Darin gibt es Texte und Fragen, die man sich offenbar selbst irgendwie beantworten muss. Wie, dahinter bin ich bislang nicht gekommen. Die Antworten stehen nicht im Text. Oder ich habe die Texte nicht verstanden. Oder mir fehlen bestimmte Eckpunkte im Grenzverständnis. Oder ich habe dieses Buch lesend zeitweise keinen Zugang zu meinem erwachsenen Grenzverständnis, weil mein kindliches Grenzverständnis irritiert, verwirrt … aufgewühlt … berührt und aktiviert wird. Vom Thema. Vom erinnernden Thema.

Der feste Boden unter den Füßen meines Gemütes war also schon in Bewegung. Oder – weniger so formuliert, als wäre mein Gemüt ein eigenständiges Wesen, das sich meiner Kontrolle entzieht, was es mir leichter machen würde, mich in der Traumawahrheit zu bestätigen, dass ich eh nie Einfluss auf mein Empfinden (oder irgendwas sonst) habe –
Ich war bereits in einem geistigen Prozess von Verarbeitung, von Neuordnung, von Konfliktbewusstsein und – lösung.ssuche. Logisch, dass meine Alltagsschutzschale nicht die 100 % meiner Energie bekam. Sie war nicht so stabil, ich war nicht so stabil. Ich war nicht mehr hart und starr – sicher wie ein Leuchtturm im Sturm oder Grundmauern in der Erde – sondern in Bewegung ohne Plan, Struktur, Halt, Anfang, Ende. Eine Bewegung, die von Natur aus sehr viel Ähnlichkeit mit dem todesängstlichen Greifen ins Leere, dem Schreien in globale Stille, dem Leiden ohne absehbares Ende des Traumas hat.
„Ich bin getriggert“, sagt überhaupt nichts über diese Bewegungen aus. Nichts über die mühevolle Konzentration in die Ruhe hinein, die man im Umgang mit dem mentalen Treibsand des Traumaerinnerns braucht. Das so viel anstrengendere ruhig in die Luft Reinatmen, statt in sie hineinzuschnappen. Nichts über das Misstrauen gegenüber den eigenen Gedanken zur Situation, das einerseits zwingend nötig ist, um Traumawahrheiten zu erkennen und andererseits ohnehin schon immer so sehr da war, dass man eigentlich nie weiß, welcher Gedanke nun richtig ist und welcher nicht.

„Getriggertsein“ bedeutet für zu viele Menschen zu viele unterschiedliche Dinge. Es ist keine zuverlässige, keine konkrete, sichere Zustandsbeschreibung. Der Begriff kann nur der Zuordnung dienen. Und auch das nur in sozialen Kontexten, in denen ein kongruentes Verständnis vom Zuordnungsrahmen besteht.
In einer Welt, in der der Begriff des Triggers aber beliebig und willkürlich genutzt wird, kann er eigentlich nur der eigenen inneren Ordnung zuträglich sein. Er kann helfen, eine erste Grundordnung vorzunehmen. „Hier das Okaysein, hier das Getriggertsein, dort das Happysein.“ Oder: „Hier das Freundinsein, hier das Getriggertsein, dort das Richtigsein.“
Geben wenige zu, aber ja, hier deute ich an, dass „Getriggertsein“ auch eine soziale Rolle bekommen kann. So etwas passiert und viele schauen verächtlich darauf, weil sie es gleichsetzen mit einer Opferidentität. Die man als Opfer aus Gründen des Ableismus niemals entwickeln, haben oder verkörpern soll – obwohl genau das in dem Prozess der Bewegung, der Verarbeitung einer Berührung (von einem Trigger) mit den Menschen passiert, ob sie wollen oder nicht.
Für mich ist die innere Ordnung wichtig. Auch meine innere Zu.ordnung.
Deshalb schätze ich es, wenn mir neue Worte zur Beschreibung angeboten werden. Wie „aufgewühlt“.

Ich meine – wie großartig ist, dass man Dinge auch mit vielen Worten eingrenzen und konkretisieren kann? Wie schön, dass es nie nur des EINEN Zauberwortes bedarf, um zu vermitteln, auszudrücken und durch das Sprechen auch zu verkörpern, was man aus.sagen will? Wie gut, dass man nicht auf bloße Substantivierungen des Traumasprechs setzen muss, um traumabedingte Belastungen sichtbar zu machen.
Man denkt so oft, dass man besondere Worte für diese besonderen (diese besonders schlimmen, unangenehmen, peinlichen, unfasslich, unendlich erscheinenden) Gefühle, Gedanken und Erfahrungen wählen muss, aber das stimmt überhaupt nicht. Man muss nur die finden, die passen und die, die verstanden werden.
Und anerkennen, dass das manchmal nicht die gleichen sind.

Feierabende sind echt

Der Tag beginnt still. Ich halte mein Gesicht ganz weich vom Schlaf in das cremige Beige der Morgensonne und bilde mir ein, dass ich ihre Wärme fühlen könnte. Die Schritte der Hunde knirschen über das gefrorene Gras. Mein Atem schwebt weiß in der Luft.

Ein weiterer Tag allein zu Hause.
Ich schüttle NakNak*s Morgentablette aus der Tüte und stecke mir die Frückstücksäpfel für die Hunde in den Pulli. Ich trage sie rauf in mein Büro. Sie fressen, ich stelle mich ins Rauschen des Wasserkochers. Kaffee, Computer und los. Klick, klick, klick, tipp tipp tipp, klick. Die Geräusche meiner Arbeit sind wie kleine Wellen um mich herum in einem Meer von Stille in einem unendlich freundlichen Ist. Draußen ein Wintertraum in Pastell.

Irgendwann muss ich sprechen und die Schönheit des Seins ist zerstört. Alles, was bis eben einfach nur da war, ist plötzlich belebt und unvorhersehbar. Jetzt erfordert es Adjektive. Wachsamkeit. Schein.
Als wäre ein Schalter umgelegt, bin ich ein Fremdkörper.
Ich versuche, eine Form zu finden. Wandle und handle mich in die neue Situation hinein, versuche mich anzupassen. Anzugleichen. Alles im Fluss unter einer festen Schicht Freundlichkeit. Aufmerksamkeit. Wachsamkeit.

Die ersten Trigger mischen sich in mich hinein. Meine Muskeln verhärten sich und reißen an den Gelenken. Ich atme sie raus, schüttle sie weg. Schaue in den weichblauen Himmel und finde Trost in den Erinnerungen an die Realität ohne Andere.
Die Zeit vergeht, irgendwann ist es okay. Ich bin okay. Bin drin. Kann gut mitgehen. Schaffe alles, will noch mehr. Dann ist die Arbeit zu Ende. Nichts mehr zu wollen. Der Arm tut weh, die Luft ist verbraucht, Bubi schiebt seinen Kopf an mich. Zeit für eine Hunderunde.

Als ich einfach loswill, schießt mir etwas Schmerzliches durch den Kopf. Ich schaue nicht hin. Als ich NakNak* runtertrage, denke ich daran, wie ich vielleicht bald irgendwann ein Kind hier runtertrage, das genauso schwer und warm ist wie sie. Ich ziehe sie an und hoffe, dass mein Auto fährt, als wir in den schneeeisweißharten Garten gehen.
Es klappt, wir fahren. Im Rauschen der Heizung sitzend überlege ich, ob ich mir das vielleicht doch mal angucke. Wie schmerzhaft kanns sein. So in echt. Ich mach ja alles, was ich will. Obwohl das immer wieder hochkommt. Es wird mir zu dicht in mir. Ich fange an, irgendwas zu fühlen, das nicht zum Autofahren passt und breche die Überlegung ab. Ich habe nächste Woche einen Therapietermin. Klappe zu. Thema erstmal wieder erledigt.

NakNak* stakst aus dem Auto, Bubi verfolgt sofort eine unsichtbare Linie auf dem Waldboden. Ich höre einen Podcast und beobachte die Hunde bei ihrer Wanderung von Marke zu Marke. Langsam komme ich wieder da an, wo der Tag begonnen hatte. Präsenz inmitten aller Dinge. Die eigenen Veräußerlichkeiten als Zone zwischen Gegenwart und Zukunft. Irgendwann bin ich so zufrieden, dass ich damit spiele.
Dann fahren wir nach Hause. Vorbei an flauschigen Kühen und dampfenden Häusern.

Wieder zu Hause könnte ich so viel machen, aber mache gar nichts davon. Ich sitze auf der Couch und streichle Bubis großen Kopf auf meinem Schoß. Ich will es ganz in mich einsinken lassen, wie ich gerade nichts mache und niemand von denen, die darauf warten, etwas dagegen tun kann. Denn ich bin hier und sie nicht. Selbst wenn sie mich sehen würden – selbst wenn sie wüssten, dass ich hier gerade gar nichts tue – sie müssten sich etwas überlegen. Ich nicht.
Ich segle auf einer kruden Überheblichkeitswelle, fühle mich mächtig und stark – obwohl ich genau weiß, dass ich hier gerade Traumarealitäten mit Realitätswahrheiten mische. Ich werde nicht beobachtet. Feierabende sind echt.

Fundstücke #89

Wie geklauter Raum fühlt sich das hier an.
Mein rechter Arm tut weh vom Klicken, ich habe sehr viel herumgeklickt in den letzten Tagen. Setzen, Sims 4 spielen, recherchieren, wie man als Einzelperson einen Verlag gründet, ohne bankrott zu gehen, wenn etwas schiefgeht. Damit ist mein Kopf gefüllt. Meistens.
Wenn ich den Computer ausmache, dann denke ich übers Schwangerwerden nach und darüber, dass ich nicht darüber nachdenken will, ob überhaupt irgendwas von all den Dingen, die in meiner köpfischen Eventuellvielleicht-So-könnte-es-gehen-Planung sind, funktionieren kann, wenn ich schwanger bin. Oder Elternteil. Denn würde ich denken, dass dann nichts funktioniert, dann würde ich es einfach lassen. Einfach hinschmeißen und gucken, ob ich dann noch lebe.

Das klingt heftig, aber ich meine damit nicht, dass ich mich wirklich frage, ob ich dann noch lebe. Meine Zweifel bestehen eher darüber, ob ich dann – so ganz ohne diesen Stress – eigentlich gerade in der Lage bin, mich lebendig, real körperlich zu fühlen. Und gewissermaßen auch: echt.
Denn im Moment fühle ich mich häufiger in mir selbst dissoziiert. Meine Verbindungen in mir, Hannah, die_r mal die Rosenblätter waren, sind weiterhin stabil. Trotzdem frage ich mich zuweilen, ob das wirklich ich bin, die_r organisiert und stützt und moderiert und tröstet und versichert und setzt und prüft und koordiniert und die Trauer über jedes verlorene Ei allein gestaltet, während sie_r hin- und herfühlt, wie ES damals war. Es ist schwierig für mich, abzugleichen, welches Level von Dissoziation normal ist. Wo ist die Grenze? Ich erlebe mich gerade nicht ich-fremd dabei. Aber die Situation ist mir-fremd deluxe, mit 5 von 5 Sternen für Originalität.
Ich komme klar, alles ist belastend, aber wirklich nicht des Todes krass überfordernd schlimm. Alles ist scheiße, aber lösbar. Alles ist unbefriedigend und ungeil, aber dann halt doch nicht alles.
Weird.

Der Zeit_Raum, den ich hier geklaut habe, ist meine Pause. Gleich gehts weiter. Danach noch weiter. Und dann mache ich wieder eine Pause und atme und dann mache ich etwas anderes.
Vielleicht das Vogelhaus reparieren.

Fenster und Türen

„Schließt sich eine Tür, öffnet sich ein Fenster“ denke ich und halte müde lächelnd inne. Ich sitze am Computer. Natürlich. Meine Finger sind kalt, der Nacken steif, mein Körper hat eine shrimpähnliche Form. Es ist 2 Uhr morgens, die Welt ist still.
Auf dem Bildschirm habe ich so viele Tabs geöffnet, dass die gesamte Browserzeile belegt ist. Ich suche nach einem neuen Job. Suche mich in Anzeigen und Angeboten, überlege, was ich will und wie viel Kraft ich aufbringen kann, um integriert zu werden.
Gleichzeitig suche ich nach Geld. Mit ein paar Millionen würde ich das Nachwachshausprojekt umsetzen. Dann würde ich gar nicht erst über Ausbildungen und Teilzeitjobs nachdenken. Andererseits würde ich mit ein paar Millionen auch den Verlag kaufen und so grundsanieren können, wie ich es mir seit Monaten immer wieder ausmale.
Wenn alle immer einfach an benötigte Millionen kommen würden, bräuchte es vielleicht weder das Nachwachshaus noch den Verlag.

Ich seufze und klicke die nächste Seite zu, auf die ich mit irreführendem Teaser geleitet wurde. Meine Arbeitssituation im Moment ist schwierig und kostet mich zuweilen mehr Kraft als ich mir an anderer Stelle wieder hereinholen kann. Ich arbeite seit dem Sommer in Übervollzeit und habe regelmäßig Meltdowns aus Erschöpfung. Kann aber nicht einfach aus der Stelle raus. Ich verliere meine Berufsförderung – mein einziges Bonbon für Arbeitergeber_innen, mich einzustellen, da sie meine Lohnkosten deckt – wenn ich kündige, ohne woandershin zu wechseln.
Durch die Heirat habe ich keinen Anspruch mehr auf Hartz IV – ohne Hartz IV habe ich keinen Anspruch mehr auf die Förderung.

Ich muss mir etwas Neues suchen, weil die Verlagsarbeit in der aktuellen wirtschaftlichen Lage keine gesicherte Zukunft hat. Ich verbrenne gerade, weil zwei unersetzbare Kolleg_innen dauerhaft krank geworden sind. Die Pandemie ist ein Domino des Kackejackpots – es kommt immer noch was obendrauf und erodiert an allen Ecken und Enden, worauf man sich verlassen können muss. Selbst ein millionenschweres Pflaster kann an der Stelle vermutlich nur oberflächlich helfen.

Das nächste Browserfenster erinnert mich daran, wie ich noch vor einigen Wochen dachte, ich könne mich parallel zur Arbeit selbst weiterbilden. „Zeit wird nicht mehr durch Aufteilung“, das ist mein Erkenntnisgewinn aus diesem gescheiterten Vorhaben.
Ich lasse es offen.
Ich bin das Pastme der Zukunft, es ist meine Aufgabe vereinzelt Krümel liegenzulassen, mit denen ich mich in der Zukunft davon überzeugen lassen kann, dass meine Ideen gut und nur der Zeitpunkt ungünstig ist. Alles hinschmeißen und blanko Neubeginn machen ist eine Traumareaktion. Die merke ich natürlich auch wie einen unterdrückten Reflex kurz vor der Auslösung. Der Gedanke, einfach unerreichbar für alle, die etwas Unschaffbares von mir wollen, zu verschwinden und in komplett anderen Umständen alles wieder neu – und diesmal natürlich absolut richtig, erfolgreich und mühelos – umzusetzen, ist gerade extrem verführerisch. Aber sein Kern enthält eine Traumawahrheit, die in der Realität keine Substanz hat.

Ich habe nichts falsch gemacht. Die Situation ist nicht durch etwas, dass ich hätte verhindern können, so gekommen, wie sie kam. Die Grenze, an der ich jetzt bin, erleben alle Menschen irgendwann, einfach, weil Menschen begrenzt sind. Dass ich denke, ich müsse meine ohnehin schon häufig übergangenen, missachteten oder schlichtweg ignorierten Grenzen noch weiter ausreizen – noch weiter übergehen und missachten – liegt daran, dass ich ungeprüft, unhinterfragt, aus der totalen Gewohnheit heraus denke, das würde von mir erwartet werden. Von mir wird aber nicht erwartet, mich selber zu zerstören – von mir wird erwartet, in einem Umfang zu funktionieren, den ich nicht leisten kann. Das ist ein Unterschied, den ich mir im Moment immer wieder bewusst machen muss. Jede E-Mail, die liegen bleibt, jede Verabredung, die ich vergesse, jeder schlecht vorbereitete Termin, jede Ideen- und Lustlosigkeit, die ich wie eine umfassend quetschende Leere empfinde, ist ein Grenzmarker. Wenn ich sie ignoriere, ignoriert sie mein Umfeld auch. Wenn ich mich dafür schäme, ermächtige ich mein Umfeld dazu, mich darüber zu beschämen.

Meine Grenzen kommen immer mit. Auch als whimsy Autor*in in einer Hütte am Meer oder voll integrierte_r Mitarbeiter_in in einem stabilen Unternehmen werde ich nicht gut leben, wenn ich nicht zu genug Schlaf, Erholung, Anregung, Sicherheit und Freundlichkeit komme.

Halb 3. Ich schalte den Computer aus und schließe die Bürotür.
Die Tür zum Schlafzimmer ist offen. Die Küche hat keine. Ich kann mich versorgen. Ich kann schlafen. Die Suche geht weiter.
Im nächsten geöffneten Zeitfenster.

Montagabend

Es ist spät, als ich von der Fahrschule nach Hause fahre. Spät, dunkel und eisschneeregnerisch. Vor mir stieben die Flocken ins Licht, als würde ich mit Warp 5 durch die Galaxie fliegen, der Tacho steht bei 35 km/h.
Mein Unterricht geht von 18 bis 21:30 Uhr, ich fahre immer schon um 17 los. Wildes Niedersachsen, da muss man durch, hier ist alles weit voneinander entfernt.

Ich denke oft, wie leicht mir hier etwas passieren kann. So kurz vor der Hochzeit, das wär doch kacke. Danach aber auch.

Ich bin allein auf dieser weltallschwarzen Strecke einzig gerahmt von den Leitposten links und rechts. Mal mit, mal ohne blauen Reflektor. Es ist nicht still und das ist auch gut so. Im Klang meiner Pusteheizung finde ich angenehme Kongruenz. Durchgehendes Rauschen, das habe ich auch in mir gerade.
Die Arbeit, der Haushalt, die Projekte. Bewerbungen, Fahrschule, Hochzeit. Noch 3 Wochen, dann machen wir Urlaub. Ich will alles geschafft haben bis dahin, denn nichts von dem Stress, der Aufregung, der Unsicherheit, der Unzufriedenheit und Aufreibungsnotwendigkeit will ich ins neue Jahr mitnehmen.

Ob ich meine Theorieprüfung noch im Dezember machen kann?

Ich will mit dem Partner und den Hunden, NakNak* – bis dahin noch?, am Strand spazieren gehen. Will ausschlafen, mittagsschlafen, frühschlafen, durchschlafen.

Meine Nachbarin war da und hat mit meinen Haaren operiert. Einen Buzzcut hat man im Leben frei, ich glaube, im Sommer ist es soweit.
Ich werde eine fitte, fette Person mit 3 mm Haarbelag auf der Kopfhaut sein und vielleicht wird alles anders. Nicht deshalb, aber damit. So, wie jetzt, mit der Zahnlücke.
Oh G’tt, wie der Zahn gestunken hat, meine Fresse, das war heftig. Und als Frau Doktor sagte, das wäre der Eiter, war es noch heftiger. Über ein Jahr ist der Zahn gestorben oder vielleicht schon tot gewesen. Ganz schön widerlich. Mein toter schwarzer Stummelbert.

Mein Mund fühlt sich noch an wie ein fremdes Zuhause und wenn ich kräftig Puls habe, spüre ich es in der Lücke. Denn natürlich ist das Stück der provisorischen Brücke gleich an Tag 2 abgebrochen und ich kann diese Woche nicht mal eben einen Tag freinehmen. Kann und will und möchte. Ich kann nicht, wegen der Fahrschule, will nicht wegen dem Gefummel am Kopf und möchte nicht, weil ich es unseren Gästen am Wochenende schön machen will. Putzi putzi blitzi blanki, hier hat sich einiger Wohlfühlschmodder angesammelt, das muss ja nicht sein.

Eigentlich ist es doch ganz schön so.
Vieles ist viel, aber nur noch die Arbeit eine zehrende Wartesache voller Unklarheiten und Gemuddel. Aber es wird. Irgendwie wird es ja immer.

Ich fahre auf unseren Parkplatz vor dem Haus, schalte alles ab und lausche auf das Knistern des Eisschneeregens. Da drinnen warten 3 Jemande auf mich. Ein warmes Bett, ein Abendbrot. Ein Morgen mit Übermorgen drin.

Ich bin froh.

so ziemlich Ich

„Männer gibts in allen Formen“ kleinlautete ich durch die Geräuschkulisse des Ladens. Beschämt bis auf die Knochen, bemüht mich nicht beirren zu lassen, blieb ich weiter im Kontakt mit dem Berater der Herrenabteilung von Peek und Cloppenburg.
Ich ließ mir Sakkos zeigen, Westen, Anzugoberteile und versuchte mich weder von meiner fettigen Hülle noch den Blicken der anderen Kunden in der Anprobe aufhalten zu lassen. „Ich möchte nichts Falsches. Ich möchte, was alle hier machen. Ich bin hier, weil ich hier etwas kaufen kann, was sie an alle verkaufen. Ich bin nicht falsch.“ In jeder Blicklücke, jeder Peinlichkeitspause sagte ich mir das und trampelte meinen aufkochenden Selbsthass nieder wie Altpapier in der Tonne.
Später saß ich dann in einem doppelten Selbsthassgewitter. Warum bist du so fett so hässlich so falsch so schräg bescheuert // Warum akzeptierst du dich nicht endlich liebst dich nicht kümmerst dich nicht ordentlich um dich Mach doch endlich

Ich fing an zu weinen, weil ich über meine Optionen nachdenkend bemerkte, dass ich, selbst wenn ich mich für diesen Anlass als Mädchen verkleiden würde, genauso wenig Kleidung finden würde, die ich sowohl sensorisch aushalten, als auch an mir schön finden würde. Frauen gibt es auch in allen Formen. Das weiß die große Modeindustrie nur leider nicht. Und ich – ich weiß, dass meine Form (noch?) keine hat, die ähnlich festgeschrieben ist wie die für Männer und Frauen.

Nicht Fisch nicht Fleisch sein bin ich. Nicht passen bin ich. Ohne Zutun, ohne Wollen.
Es tut mir so leid.

Ich verwende viel Kraft darauf, mich nicht im negativen Selbstbild zu verlieren und dabei auch ganz klar im Bewusstsein zu behalten, dass mein Gefühl bei der Anpassung zu versagen, aus einer Fehlannahme meines (früheren) Umfeldes kommt. Das Umfeld, das es für eine Kleinigkeit hält, sich als Person mit einem Körper wie meinem, in Kleidung für Personen mit meinem Körper gut zu finden. Oder wenigstens okay. Sie machen eine Zuordnung, die ich nicht mache. Das ist schon alles. Ich kenne diesen Fehler. Ich weiß, dass sie aufgrund dieses Fehlers falsche Erwartungen an mich haben.
Ich weiß, dass ich nichts dafür kann. Dass es nichts mit mir zu tun hat.
Ich muss ein Stein sein, der nicht nachgibt. Der sich von dem sandstrahlenden Anspruch nicht beeinflussen lässt.

Zwei Wochen und langes Suchen später fahren mein Partner und ich in eine Stadt mit vielen Geschäften. Ich bin emotional gepanzert und damit beschäftigt nicht daran zu denken, wie viele Fressattacken ich diese Woche hatte. Aus Stress, aus Kummer, aus Überforderung, aus dem Druck mich nicht aufzuschneiden, zu schreien, zu weinen, sondern klar, sachlich und konzentriert zu arbeiten, zu interagieren und kommunizieren. Ich will das hier schön finden. Wir finden so selten zeitgleich Kraft, Zeit und Lust für solche Ausflüge, ich will es schön finden und mir nicht von meinem Seelenscheiß oder der dya cis sexistischen Dickenfeindlichkeit kaputtmachen lassen.

Ich probiere verschiedene Anzüge an, doch rutsche in die Lücke zwischen Über- und Normalgröße. Ich betrachte mich im Spiegel und merke, dass ich gar nicht wirklich dünn sein will. Ich will nur nicht ich sein, wenn mich jemand ansieht. Bemerkt. Einordnet. Beansprucht. Ich will nicht die Person sein, die ständig enttäuscht oder irritiert. Ich will unsichtbar sein, weil ich anders nicht verhindern kann, dass mir Menschen wehtun.
Für ein paar Sekunden bin ich mit einer Intensität suizidal, dass mir schlecht wird. Mit der gleichen Wucht wird in mir eine Tür zugeschlagen. Ich stehe in der Kabine, die auch eine im All umhertreibende Kapsel sein könnte.
Die Bräutigamsbrigade nebenan reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich spüre der Umarmung meines Binders nach und vergrabe mich im guten Grundgefühl, des Tragens, als wäre ich eine Krabbe am Strand.

Mein Partner ist auch nicht fündig geworden. Ein Mantel gefällt ihm. Er nimmt ihn dann aber doch nicht. Wir steuern den nächsten Laden an. Ein weicher heller Strickponcho fällt mir auf und dann doch wieder aus meinen Optionen. Ich möchte mich nicht verhängen, mich nicht verstecken. Dieses eine Mal will ich dem Umstand des Gesehenwerdens nicht aus dem Weg gehen. Doch langsam verliere ich meine Ideen und auch die Kraft für den Mut vor mir selbst, überhaupt diesen Wunsch zu haben.

Wir starten noch einen letzten Versuch. „Wie kaufen Sie denn sonst so Ihre Kleidung?“, fragt Frau Fischer und mustert mich interessiert. „Alle 4 -5 Jahre fahre ich zu C&A, kaufe 10 Basic Shirts und hoffe das Beste.“ Ich lache angespannt und bin erleichtert als ich merke, wie mein Partner das Gespräch sozial abpuffert. Frau Fischer schätzt meine Größe ab, fragt nach meinen Wunschfarben und bespricht meinen Typ mit ihrer Kollegin. Es ist meine erste Shoppingerfahrung wie aus dem Fernsehen. Aber der Laden hat keine Musikbeschallung. Keinen Raumduft. Frau Fischer hält Abstand zu uns. Bietet uns Kaffee an, denkt und plant und überlegt mit einer Aufrichtigkeit, die mir ein Pflaster auf die Verkaufskratzer der letzten Zeit ist. Es ist mein Partner, der erwähnt, dass ich mit einem Sakko geliebäugelt habe. Frau Fischer kommt mit einem Oberteil, das dem sehr nah kommt aus dem Sortiment.
Am Ende habe ich eine Form. Etwas maskulin, etwas sportiv, etwas elegant, ohne Schnickschnack.
„So gar nicht Mädchen“, wie Frau Fischer sagt, „So ziemlich Ich“, wie ich denke, als wir nach draußen gehen.

dunkelbunte Anteilnahme

Es hat funktioniert.
Abweichung beobachtet, Kontextprüfung, Verantwortungsprüfung, entsprechendes Handeln. Grenze erkennen, Abstand einnehmen.
Ich habe es gut gemacht. Wir haben es gut gemacht.
Wir haben das Richtige getan.
Aber es kam keine Heldenwolke. Kein gutes Gefühl. Keine noch so kleine Überlegenheits-ich-bin-die_r-Coolste-Besoffenheit.

Erst war mir schwindelig, dann musste ich mich übergeben. Dann verkeilte sich ein Weinkrampf in meiner allgemeinen Verwirrung und auch meiner Therapeutin auf den AB zu sprechen war nicht so erlösend, wie gedacht. Auch später, als ich dem Partner davon erzählte, entstand keine Erleichterung. Ebenso wenig wie durch das Teilen der Situation bei Mastodon.

Im Laufe der Tage steigerte sich R. immer weiter in die Idee, wenn sie ihm eine reingehauen hätte, dann wäre das besser gewesen. Und ich zermürbte mich mit der Idee, es könnte ja wirklich einfach der schusselige Opa gewesen sein, der seine Kinder filmt oder fotografiert. Im Schwimmbad. Wo man an drei Handyverbotsschildern lang kommt, bevor man das Becken überhaupt erreicht. Das Becken, das nicht der Kinderbereich ist, wo die Bademeister_innen immer alles im Blick haben. Und ich mit meinem verdrehten Gewaltverständnis habe schon wieder etwas gesehen, was in Wahrheit gar nichts war.
Ich konnte nicht richtig darüber nachdenken, keinen richtigen Schluss ziehen, mich nicht versichern. Das ist wohl so ein Momentum, das Traumatisierungen auch begünstigt, denke ich im Nachhinein. Eingeklemmt sein zwischen der Klarheit über etwas, das man mit allen Menschen teilen kann, und der Unklarheit dessen, was entsteht, weil man etwas anderes nicht mit allen Menschen teilen kann.

Weil die Situation so eindeutig war und ziemlich genauso abgelaufen ist, wie man es als das Richtige und Beste etabliert hat, wirkt meine Verwirrung, meine Belastung diesbezüglich unverständlich. R.s Gedanken vielleicht sogar so, als würde sie ein eigenes Momentum wollen, das ihr gar nicht zusteht.
Ein Trigger.
Die Reaktion: Die permanente Selbstbefragung, was ich denn noch wolle. Ob ich denn nie mal einfach die Fresse halten den Kopf zumachen dankbar sein könne. Was denn bei mir kaputt ist, dass ich immer alles so kompliziert mache. Alles zum Drama mache. Wieso kann ichs denn nicht einfach mal gut sein lassen. Was für ein krankes Ego muss sich denn immer so nervig herausstellen. Hör auf zu nerven. Hör auf zu denken.

Ich arbeitete, organisierte, erledigte. Füllte meine Freizeit mit Terminen und stundenlangem Blasenschießen auf dem Handy. Manchmal geht das. Manchmal tötet das meine Gefühle und Gedanken zu irgendwas so weit ab, dass ich nie wieder drankomme.
Aber so funktioniert das nicht mehr. Schon gar nicht in der Therapie.
Statt, dass mich meine Stachelpanzer zerquetschen, klirren sie inzwischen bereits im Wartezimmer zu Boden und alles, was ich wie man es mir schon als Kind beigebracht hat abgetötet habe, steigt wie Phönix aus der Asche um meine Therapeutin zu nerven.

Sie sprachen darüber, wie Rache durch Strafe ersetzt wurde, um Schwächere und Stärkere gleichzustellen. Darüber, dass Strafe kein Ersatz für Rache ist. Und darüber, dass es okay ist, keine guten Gefühle dazu zu haben.
Irgendwo in mir drin bewegte sich eine brennende Schlange, die ich nicht zu greifen bekam. Bis ich am Tag darauf für einen Text zu Transformativer Gerechtigkeit nochmal den Handlungsleitfaden zum Umgang mit Menschen, die Gewalt ausgeübt haben, las.

Die Bademeisterin hatte ihn angesprochen. Ist mit ihm in Kontakt gegangen. Nicht mit den Kindern. Nach dem Vorfall waren wieder mehr Mitarbeiter_innen in dem Badebereich präsent, um zu verhindern, dass das wieder passiert. Aber dass es überhaupt passiert war – intellektuell daran be.anteiligt, dass es passiert war – / voraussetzend, dass die Kinder (ca. 3/4 Jahre alt) die Situation noch nicht einschätzen konnten / waren der Mann und ich. Der vermutliche Täter und die_r Zeug_in.
Ein Trigger für Traumaketten auf vielen Ebenen.
Der Bezug.skonflikt, die Sprachlichkeit, die Kluft zu anderen Menschen, der Abstoß, die Ohnmacht, die Einsamkeit, die Gefühle uneindeutiger Art, die Verbundenheit im Verbotenen, während das Umfeld spiegelt: „Ist alles okay. Kein Grund für … irgendwas das in dir vorgeht.“

Ich hatte angenommen, dass die Situation so viel in mir auslöst, weil ich über Pädokriminalität Bescheid weiß. Weil ich selber Opfer von Taten pädokrimineller Menschen geworden bin. Und mich heruntergemacht, weil ich annahm, ich würde mich mit den Kindern überidentifizieren und müsste mich mal nur ordentlich orientieren und meine Rachefantasie als nachvollziehbar, aber halt doch nicht zur Gesellschaft passend verstehen.
Und dann hat es damit doch irgendwie gar nicht so viel zu tun, sondern mehr damit, dass ich mich als Anteilnehmer_in in einer – wie auch immer motivierten – Übergriffsituation erlebt habe. Und niemand dieses Erleben bestätigt oder versichert oder orientiert oder eingeordnet oder überhaupt als möglich angenommen hat.

Irgendwie hat niemand daran gedacht oder an mich herangetragen – und ich noch nie so bewusst erlebt – dass sich auch täterimitierende, täterloyale und bezeugende Anteile von dieser Situation angesprochen gefühlt haben könnten. Und ganz eigene Konflikte, desorientierte Identifikation und Gefühle dazu haben.
Petzen fühlt sich nicht gut an. Verrat ist immer kacke für jemanden. Das Begreifen von gewaltvollem Handeln als massives Problem kann krass desorientieren, wenn man ohne Gewalttabu aufgewachsen ist. Es ist ein scheiß Gefühl, wenn die, die man in tausend Jahren Therapie nie über ihre Stereotypen hinaus wahrgenommen hat, auf ein Mal etwas von der Gegenwart mitbekommen.
Da kann man noch viel richtig und gut gemacht haben.

Flügel

Ein Kind, dem die großen bunten Schmetterlingsflügel vom Rücken abgeschnitten werden. Eine Grafik, die ich öfter sah, als meine Autismusdiagnose noch neu und ich einigermaßen unbedarft in der autistischen Netzbubble unterwegs war. Ich dachte schon damals, dass diese Grafik vermutlich in vielen anderen Kontexten auch benutzt wurde, um die radikale Natur so mancher Grausamkeit gegenüber Kindern aufzuzeigen. Eine Grausamkeit, die als solche oft gar nicht bewusst ist. Eine Radikalität, die einen Für-immer-Abdruck hinterlässt.

„Alle Menschen sind anders“, das ist ein dünnes Läppchen, das man sich manchmal gegenseitig auf den Kontakt patscht. Ich nehm dich, wie du bist – ich will nicht, dass du bist wie ich – wir können alle anders sein, dann muss niemand darunter leiden anders zu sein, töröö!
Darüber dachte ich gestern nach einem Gespräch mit jemandem nach.
„Was wäre die gewünschte Reaktion auf deine DIS-Diagnose?“, war die Frage. Ich habe geantwortet, dass die beste Reaktion Grundlagenkenntnis wäre. Dass es cool, wäre, wenn ich mich nicht immer darauf einstellen müsste, anderen Menschen zu vermitteln, dass mein Aufwachsen so anders war als ihres, dass ich sehr anders, radikal anders, geworden bin als sie. Ohne so Dinge zu sagen wie: „Ich habe Abgründe gesehen und Tode überlebt, die du dir im Fernsehen just for fun reinziehst. Oder zum Entspannen.“ Obwohl es wahr ist. Und auch bewusst gemacht werden muss.

Es wäre schön, wenn die Alltage, die Er_Lebensnormalitäten von Menschen mit DIS bekannter wären als die Ausnahmezustände, die Kontrollverluste. Wenn nicht jede Film- und Fernsehpräsenz des Themas die Gewalt ihres Ursprungs fokussiert und jede, die es nicht tut, vorgeworfen bekommt zu bagatellisieren oder romantisieren.
Ich wünsche mir oft, dass meine DIS als ich begriffen wird. Dass endlich mal allen Menschen klar ist, dass ich meine eigene Symptomlage bin. Dass ich das bin, wenn ich switche, dass ich das bin, wenn ich panisch erinnere, wenn ich ängstlich vermeide und so weiter und so weiter – ganz egal, ob ich das als mir zugehörig empfinde oder nicht. Mein Identitätserleben dabei ist nicht der Krankheitswert – die Krankheit ist nicht, dass ich so bin. Sondern, dass ich darunter leide. Dass ich der Norm zwischenmenschlicher Interaktion nicht zuverlässig entsprechen kann. Dass ich nicht zuverlässig funktionieren kann. Aber immer immer immer muss. Weil es andere immer können. Andere, die anders angepasst aufgewachsen sind. Andere, die andere Chancen zu lernen und zu reifen hatten. Andere, die mit ganz anderen Sicherheiten durchs Leben gehen.

Chronisches Trauma in der frühen Kindheit ist eine massive Entwicklungsstörung.
So logisch wie es ist, dass chronisch traumatisierten Kindern metaphorisch gesehen große bunte Schmetterlingsflügel wachsen, um das Schlimmste zu überstehen, so brutal ist es, sie ihnen abzuschneiden, wenn sie erwachsen sind. Oder so zu tun, als könnten sie wie alle anderen anders sein, wenn sie sie nie zeigen, nie darüber reden, nie einfordern, dass man sie akzeptiert. Sie nie wieder benutzt, wenn es nötig erscheint.

Vielleicht generalisiere ich, wenn ich denke, dass jede Reaktion, wenn sie mehr als bloße Akzeptanz ist, einen Schnitt in diese Flügel bedeutet. Vielleicht bin ich überempfindlich, wenn mir interessierte Neugier auch wehtut. Vielleicht sollte ich mich nicht so haben, wenn ich nach Film- oder Romanfiguren gefragt werde – ich weiß ja, dass die meisten Leute mich davon unterscheiden können.
Es ist trotzdem immer auch ein Angriff. Ein Schnitt. Und damit immer auch die Botschaft doch bitte nicht ich zu sein. Und also lieber tot, denn ich bin ja immer ich, egal, wie anders ich mich verhalte, wie sehr ich anderen gleiche. Traumalogik trifft Gewaltlogik.

Tja.
Vielleicht ist die bessere Antwort auf die Frage, dass ich mir keine Mikroaggressionen wünsche. Vielleicht ist auch mein Wunsch nach Grundlagenkenntnis, eigentlich der Wunsch nach einer speziellen Mikroaggression, weil ich damit mehr anfangen kann als mit allen anderen.
Vielleicht ist mir ganz tief drinnen, an meiner Wurzel, an meinem Ursprung einfach klarer, als an meinen Rändern, dass ich sie, wie so vieles andere an mir, immer brauchen werde. Meine Flügel.