Hannahs Neujahrsansprache

Ich begann zu bloggen, weil mir die Idee gefiel, in einem nicht-stofflichen Raum zu sprechen und einen Ausdruck für das zu finden, was ich erlebte. Etwas zu erschaffen, das nicht physisch berührbar sein würde und dennoch zweifellos da.
Mich erfreut bis heute wie meine Worte hier zu etwas werden, das andere erreichen und berühren kann, ohne dass ich als Person bekannt oder körperlich anwesend bin. Wie es kommt, dass manche Menschen schon seit vielen Jahren mitlesen und so zu einer ebenfalls nicht körperlich anwesenden, doch zweifellos wirkenden Kraft geworden sind.

Ich wollte hier mal aufklären.
Was ist eine DIS und was bedeutet es damit zu leben?
Das hat mir aber keinen Spaß gemacht, denn schon bald wurde mir klar, dass Aufklärung eine Grundhaltung anderen Menschen gegenüber voraussetzt, die ich nicht habe.
Ich glaube nicht daran, dass Menschen nur genug wissen müssen, um weiterzukommen, Fehler zu meiden oder sich selbst zu verbessern in Gebaren, Normen und Werten.
Ich glaube daran, dass Menschen sind, wie sie sind, weil sie sein können, wie sie sind. Ich glaube also eher an Umstände. Natur. Reiz, Reaktion. Ursache und Wirkung. Freiheit und ihre Grenzen.
Wissen ist darin ein Werkzeug von vielen. Etwas, das zum Selbstausdruck und zur Erweiterung des Eigenen genutzt werden kann, aber nicht die Voraussetzung dafür ist.

Relevant erscheint mir entsprechend bis heute, dass ich hier nicht erzähle, welches Diagnosekriterium sich an welchen Aspekten meines Alltages oder meines Selbst- und Umwelterlebens erfüllt, sondern wie ich mich fühle. Was ich denke. Was mir wichtig ist. Wie ich bestimmte Erfahrungen in mir erfasse und einordne.
Mich stets und ständig entlang der Diagnose zu definieren bedeutet für mich auch die Objektifizierung der Diagnostik an mir weiterzuführen. Ganz so, als sei die psychiatrisch medizinische Ordnung etwas, das alleinig und allumfassend Relevanz für mein konkretes Existieren als Subjekt hätte. Was sie nicht hat.
Ich wäre auch dann noch, wer und wie ich bin, gäbe es diese Diagnose nicht.
Ich hätte auch dann Worte und Empfindungen, Meinung und Urteile zu dem, was ich erlebe.

Mein Blog ist nun seit etwa 14 Jahren online.
Es ist mein Tagebuch, mein Knotenpunkt für innere Kommunikation. Mein Podest zum Teilen meiner Erlebnisse, Ideen und Meinungen. Ein Ort, an dem andere Menschen in Kontakt mit mir treten können.
Und eine Projektionsfläche.

Ich werde von vielen Vielen, Behandler_innen und Verbündeten hier wahrgenommen. Viele von ihnen haben ein Bild von meinen Motiven und meiner Person, die nicht zutreffen.
In den letzten Jahren kam es immer wieder vor, dass ich damit konfrontiert wurde und darüber nachdenken musste, wie ich mich dazu verhalte. Schreibe ich öffentlich darüber? Teile ich meine Gedanken und Gefühle dazu? Was macht es aus, wenn ich über bestimmte Dinge so schreibe, wie ich sie empfinde? Wem könnte ich schaden, wem nützen? Wie groß ist überhaupt mein Einfluss hier? Wie groß meine Verantwortung als eins der Urgesteine in der Multi-Blogbubble? Für und gegen wen spreche ich hier?

Ich habe mich dazu entschieden, das, was ich hier mache, als Selbstvertretung zu etablieren. Hier stehe ich allein. Du darfst mitlesen, mitdenken, mitfühlen – aber meine Stimme gehört mir. Klingt stark, nicht? Abgegrenzt. Klar. Sicher.
Das klingt so gar nicht nach einer Vermeidungshaltung, oder? So überhaupt nicht, als wäre das nicht auch eine Entscheidung aus Angst vor dem Konflikt – gerade, weil ich allein hier stehe. Gerade, weil sich selbst als Viele zu erleben, eine Psychodiagnose, eine Behinderung und chronische Erkrankung zu haben, zu ganz spezifischen Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen führt. Auch und gerade innerhalb der eigenen Peergroup. Wer nichts hat, guckt den Gleichen ganz besonders auf den Teller. Das hat fast nie mit Missgunst oder persönlicher Abneigung zu tun. Aber mit den Umständen, der Gesellschaft, dem Umfeld, in dem es zur gemeinsamen Gleichheit kommen konnte.
Und gegen die kann ich hier kaum mehr tun, als meine Sicht darauf zu teilen und die An.teil.nahme anderer Menschen zu ermöglichen.

Mein Anliegen der Selbstvertretung hat mich in den letzten Jahren auch zuverlässig darüber hinweggetröstet, dass ich mich schon lange nicht mehr als Teil der Selbsthilfe- und Aktivismus-Bubble fühle. Obwohl ich inzwischen Teil einer analogen Selbsthilfegruppe bin und mit „Vielesein“ eine Plattform aufgebaut habe, die auch den politischen Austausch und persönliche Verbindung ermöglicht.
Ich muss anerkennen, dass die Debatten zu Gewalt, ihren Folgen und der Prävention inzwischen massiv fragmentiert und unterkomplex in den sozialen Medien, exklusiv in Vereinsstrukturen oder teils presse-ethisch fragwürdig in TV- und Rundfunkformaten stattfinden.
Und komme nicht umhin zu beachten, dass sich kritisch dazu zu äußern nicht deshalb schwierig und für manche sogar unmöglich ist, weil es mit einer konkreten Gefahr einhergeht, sondern weil sich niemand mehr auf öffentliche Fürsprache, Solidarität und ganz konkreten Schulterschluss verlassen kann. Und will.

Und soll.
Denn wie schon vor 14 Jahren gibt es auch heute noch Einzelpersonen und Gruppen, die Interesse daran haben, dass über Gewalt und ihre Folgen in einer Weise gesprochen und gewertet wird, die davon betroffene Menschen pathologisiert, Gewalt als alltägliches Geschehen negiert und Taten in einem Normensystem ohne Bezug zu ihren Folgen für die gesamte Gesellschaft bewertet.
Musste ich mich früher damit befassen, was die False Memory Foundation warum will, sind es heute Vertreter_innen der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und Journalist_innen, deren Antrieb zur Berichterstattung offensichtlich nicht die objektive Aufarbeitung von Sachinformation ist.

In den letzten Jahren sind einige Publikationen veröffentlicht worden, in denen wiederholt behauptet wird, die DIS-Diagnose sei eine Art wissenschaftlicher Kunstfehler. Therapeut_innen würden ihren Patient_innen einreden, dass sie Gewalterfahrungen gemacht haben, um sie so lange wie möglich in psychotherapeutischer Behandlung zu behalten. Und diesen Umstand missbrauchen, um die Wissenschaft zu unterwandern und eine politische Agenda voranzutreiben.
Die politische Agenda: Opfern von Gewalt glauben, solidarisch mit ihnen sein, ihnen helfen, wenn sie das möchten.
Für mich klingt das nicht nach einer Agenda, der man sich mit unbedingtem Willen zum Abbruch widmen muss, während der Faschismus nicht mal mehr anklopft, sondern unbehelligt im Bundestag ein und aus geht.
Für mich klingt das nach etwas, das unsere Gesellschaft braucht, um Gewalt zu verstehen. Um ihre Folgen zu begreifen und in einen Prozess zu kommen, in dem Fragen danach gestellt werden, wie wir miteinander leben wollen. Wie wir ganz praktisch und verbindlich füreinander da sein können, wollen und sollen.

Ich gehe davon aus, dass man Falschbehandlung und missbräuchliches Verhalten von Psychotherapeut_innen und politisch motivierten Akteur_innen besser in einer Gesellschaft aufdecken und verhindern kann, die einander vertraut, glaubt und stützt.
Meiner Meinung nach braucht es für gegenseitiges Vertrauen, Glauben und Stützen auch das öffentliche Sichtbarmachen der eigenen Haltung, Meinung und Solidarität. Sich hinter einem Mandat oder dem Status, der mit einer bestimmten Profession einhergeht, zu verstecken, ist ein Privileg, das die, die am meisten unter Diskriminierung und Gewalt leiden, nicht haben.
Höfliches, professionelles, unpolitisches, taktisches Schweigen ist im Angesicht von Angriffen auf die gesamte Gesellschaft und ihr Miteinander nicht klug, karriereförderlich oder überlebenswichtig. Es ist Schweigen. Eine Stille, eine Lücke. Ein Nichts, wo etwas sein muss, wenn man in jeder Lebenslage gut versorgt und gesichert mit den Mitmenschen leben möchte.

Ich möchte leben. Deshalb bin ich hier und dafür schreibe ich hier.
Primär für mich, doch ob ich will oder nicht, immer auch für andere. Für andere Viele, für andere autistische und komplex traumatisierte Menschen.
In der nächsten Zeit werde ich, wie immer allein und alleinverantwortlich, einige Texte veröffentlichen, die kritisch sind. Es wird um Publikationen gehen, die von Journalist_innen sind und um Publikationen, die von Menschen sind, die sich als Aufklärer_innen gerieren.

Zur besseren Einordnung hier eine Vorstellung meiner Person, die ich so nirgendwo im Blog stehen habe:

Ich schreibe unter dem Pseudonym Hannah C. Rosenblatt.
Der Name gefällt mir und er kam zu mir in einer Zeit, in der ich mich damit befasste, zum Judentum zu konvertieren. Ich habe letztlich keinen Gijur durchlaufen, weil ich meine nicht binäre Geschlechtsidentität und pansexuelle Präferenz in vielen jüdischen Kontexten nicht offen leben könnte. Ich bin nicht jüdisch geboren und ich lebe seit vielen Jahren auch nicht mehr nach jüdischen Gesetzen.
Ich bin eine weiße Person und betrachte die Privilegierung, die damit einhergeht, als etwas, das mich zu spezifischer Aufmerksamkeit, bestimmten Verhaltensweisen und einem kritischen Bildungsauftrag in Bezug auf die Leben nicht-weißer Menschen sowie kolonialer Verbrechen und rassistisch motivierter Gewalt verpflichtet.

Aktuell bin ich 38 Jahre alt.
Die DIS-Diagnose erhielt ich nach 7 anderen Diagnosen im Verlauf einer über anderthalb Jahre lang andauernden Behandlung in einer qua Struktur geschlossenen Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ich war 16 Jahre alt und hatte zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Suizidversuche überlebt.
Diese Diagnose wurde in den folgenden Jahren mit umfassender Diagnostik und auf meinen eigenen Wunsch hin auf ihre Richtigkeit geprüft und in der Folge bestätigt.
Weitere Diagnosen sind Ängste und Depressionen gemischt und eine inzwischen chronische Essstörung. 2015 wurde außerdem die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (im Sinne eines Asperger-Syndroms) gestellt.

Seit ich in traumatherapeutischer Behandlung bin, steht im Raum, ob ich Rituelle Gewalt erlebt habe. Stand heute kann ich mit Sicherheit sagen, dass dem nicht so ist.
Die Gewalterfahrungen, die ich gemacht habe, fanden in meiner Herkunftsfamilie, meinem allgemeinen Lebensumfeld, in Psychiatrien, den Büros von Psychotherapeut_innen und einem organisierten Kontext sexueller Ausbeutung statt.
Meine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Ritueller Gewalt hat mich dafür sensibilisiert, sowohl theoretisch als auch praktisch konkret damit umzugehen. Das bedeutet, dass ich Quellen für jede Aussage einfordere, echte Fälle recherchiere und mich politisch dafür interessiere, weshalb ideologisch motivierte Taten (zu denen für mich neben religiösen auch rassistische und politisch rechte Motive gehören) nicht in einer eigenen Kategorie erfasst und in der Kriminalstatistik geführt werden.

Der Umstand, dass ich bereits als Jugendliche mit der DIS-Diagnose umgehen musste, hat erheblich dazu beigetragen, dass ich die Besonderisierung (das Othering) von Menschen mit dieser Diagnose ablehne. Sei es, ob die Betroffenen das selbst machen oder es ihnen aufgezwungen wird. Für mich sind Menschen mit DIS keine besonders starken Überlebenden. Keine kuriosen Sonderfälle. Meiner Meinung nach brauchen die wenigsten Menschen mit DIS eine spezielle psychotherapeutische Behandlung, Betreuung oder zwischenmenschliche Fürsorge. Meiner Erfahrung nach führt eine solche Besonderisierung in den meisten Fällen zu Gewalt an diesen Menschen, die besonders durch die knappen Ressourcen im Hilfesystem häufig legitimiert wird und entsprechend verdeckt bleibt.
Im kleinen Rahmen biete ich pädagogischen Teams, die sich in so einer Dynamik erkennen, meine Perspektive als Betroffene und Hilfestellung zur Auflösung an.

Ich bin hier als Autorin tätig. Außerdem habe ich zwei Bücher veröffentlicht. „Aufgeschrieben“ und „Worum es geht, Autismus, Trauma und Gewalt“. Unter meiner Verantwortung läuft seit 2015 der Podcast „Viele-Sein, ein Podcast zum Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur“.

Ich habe 16 Jahre in Armut gelebt.
Keine meiner Veröffentlichungen führt zu finanziellem Gewinn. Jede meiner Arbeiten ist in Teilen durch Spenden unterstützt, doch überwiegend von mir selbst finanziert.
Dank eines entschlossenen Schulleiters, einer angemessenen Begleitung und einer motivierten Lehrer_innenschaft habe ich eine Berufsausbildung machen können. Derzeit arbeite ich dank des Teilhabegesetzes in einem geförderten Arbeitsverhältnis in der IT-Branche.
Die Vorträge, Lesungen und Workshops, die ich in meiner Freizeit anbiete, werden überwiegend von anderen Betroffenen und ihren Unterstützer_innen besucht. Mir ist eine sachliche, faktenorientierte Auseinandersetzung mit den Themen Trauma, Gewalt und Behinderung wichtig, wenn es um Fragen der Hilfestellung und Aufarbeitung geht.

Mir liegt nichts daran, andere Menschen bloßzustellen oder ihren Ruf zu beschädigen.
Ich bin solidarisch mit Betroffenen und Überlebenden jeder Form von Gewalt, weil ich Gewalt für ein Problem halte. Dieses Problembewusstsein erwarte ich von allen Menschen gleich.

Im letzten Jahr habe ich mich dazu entschlossen, mein Konfliktvermeidungsverhalten zu beenden. Ich habe erkannt, dass es mir nur bedingt nutzt und anderen, denen es schlechter geht als mir, sogar schadet. Meine Hoffnung ist, dass auch andere Menschen den Mut finden, einen solchen Beschluss zu fassen und ihr Schweigen zu bestimmten kritischen Punkten beenden.

die Möglichkeit und das Machen

Was für eine Woche das war, begriff ich erst am Wochenende.
Da habe ich mit einer Freundin telefoniert und gemerkt, dass ich einen Knaller nach dem anderen in meinen Bericht der aktuellen Lage einbrachte.
Später fiel mir aber auch auf, dass ich jeden dieser Knaller komplett erinnere und kongruent empfinde.
So ist das also. Dieses stabil, gesichert und weniger dissoziativ sein.
Wie immer. Nur mehr.

Diese Woche fiel mir dann noch etwas auf.
Ich habe in der Auseinandersetzung mit meinen Psychiatrieerfahrungen einen Prozess angestoßen, der hätte sein können wie immer. Intellektuell. Analysierend. Ganz so, wie ich es immer brauchte, um mich damit sicher zu fühlen. Wenn man Ursache und Wirkung versteht, kann man sich schützen. Und ich, Hannah, die mal die Rosenblätter waren, die mal die Anderen waren, die Menschen und Leben in Klapse und Therapie gut können, brauchte auch nur das. „Wie war es dazu gekommen?“ – „Alles klar, dann ergibt das ja alles Sinn, dann mache ich mal dies und das …“
Jetzt kann ich die fühlen, die vor mir waren. Und manchmal mischen wir uns auch. Manchmal auch schon so sehr, dass es mich nicht einmal komisch befremdet.
Jetzt ist die Auseinandersetzung damit wie immer. Und mehr.

Jetzt merke ich, wie mein Anspruch des Bewusstmachenwollens von Helfer*innen- und speziell Psychiatriegewalt auch daraus entstanden ist, sie mir selbst bewusst zu machen. Und zu halten. Nicht nur für alle, die es (im Gegensatz zu mir) nicht verdient haben, so etwas zu erleben, sondern auch für alle, die es erlebt haben. Wie ich ich? ich.

Und ich merke, wie weit mich meine Intellektualisierung gebracht hat. Obwohl sie zu meinem Vermeidungsverhalten gehört und damit aus therapeutischer Sicht zu den Dingen, die meine komplexe posttraumatische Belastungsstörung aufrechterhält. Böse böse also. Irgendwie.
Andererseits musste ich intellektuell begreifen, was meine Diagnose ist. Es hat nicht gereicht zu glauben, ich hätte mich „abgespalten, um mit traumatischen Erfahrungen klarzukommen“. Ich musste wissen, was toxischer Stress ist und wie er sich auswirkt. Ich musste wissen, wie Gehirne üblicherweise funktionieren. Wie Lernen funktioniert. Was Angst ist. Was andere Emotionen sind. Ganz konkret. Was Macht ist. Was Gewalt ist. Warum alle Menschen dagegen sind und gleichzeitig viel dafür tun.
Ohne diese Auseinandersetzung, diese Forschungs- und Versteharbeit hätte ich nie erfahren, dass Intellektualisierung und die vorerst kognitive Erfassung von Umständen nicht ausschließlich traumabedingtes Vermeidungsverhalten sind. Wofür ich mich schämen sollte, weil sich manche Leute davon überfahren, bedroht, eingeschüchtert, abgewertet fühlen. Und weil es meine psychotherapeutische Behandlung unnötig in die Länge zieht. Nur für mein eigentlich irrelevantes und mit diesem Verhalten dreist und aus narzisstischer Motivation erschlichenes Wohlgefühl.

Ohne diese distanzierte Analyse und die Schemata, die ich dafür gebraucht habe, hätte ich nie welche für mein Verhalten und meine Gefühle entwickeln können. Ich wäre Quatscherzählungen übers Viele- und Menschsein, über Gewalt und Hilfe schutzlos ausgeliefert. Wäre enorm abhängig von meiner Psychotherapeutin oder anderen Be.Handler_innen. Würde so vieles von meinem Verhalten immer noch als etwas von meiner viel weniger veränderbaren Person behandeln.

Meine Birne macht wirklich vieles komplizierter, als es manchen Menschen erscheint. Und vielleicht auch umständlicher. Aber sie schützt mich auch. Und stärkt mich dabei, noch andere Schutz- und Kraftquellen zu entwickeln.
Und eine zu sein. Für mich.

Diese Auseinandersetzung ist anders. Wie immer und mehr.
Wie ich sie mache und wie die anderen in mir sie machen.
Sie haben Angst und ich nicht.
Sie haben detaillierte Erinnerungen und ich nicht.
Ich kann die Umstände als Struktur und Dynamik überblicken und analysieren, und sie nicht.
Sie waren komplett auf sich allein gestellt. Jetzt haben wir uns.
Und einen Partner. Und Freund_innen. Und Begleiter_innen.

Ich habe lange geglaubt, um an so einen Punkt zu kommen, müsse etwas mit mir passieren, das ich in keiner Weise beeinflussen kann. Irgendwie würden mir unvorstellbare, bisher unerreichbare Fähigkeiten wachsen. Wenn ich mich als würdig erwiesen habe. Wenn ich durch genug unangenehme Therapietermine durch bin. Wenn ich die richtigen Medis habe. Wenn ich gut genug bin.
Dann würden sie auftauchen wie Krokusse im Frühjahr und dann ginge es von ganz allein weiter in Richtung Heilung und Normalität.

Aber auch Krokusse kommen nicht beliebig aus der Erde geschossen. Da hat jemand mal eine Knolle in die Erde gedrückt. Da war Wetter und Klima. Da ist keine Maus drangegangen. Kein Rasenmäher drübergefahren. Da war Zeit und Ort und Raum und Möglichkeit. Und genug Leben drin, um sich selbst zu wollen und die nötige Arbeitskraft freizusetzen.
Das, was man vom Krokus sieht, ist das, was ihm das Überleben als Spezies sichert. Das, was ihm Kommunikation und Interaktion mit allem, was dafür nötig ist, sichert. Die Wurzeln sieht man nicht. Ihre ständige Arbeit lässt sich trotz vieler Kenntnisse über Pflanzen kaum insgesamt erfassen. Man wird nie erfahren, wie viel Wasser, wie viel von welchen Mineralien im Verlauf eines Tages, einer Woche, eines Jahres dieser eine Krokus wann genau wie wozu sammeln und wie genau umwandeln und einsetzen musste.
Wir werden vielleicht nie erfahren, ob sich die Knolle für ihr Leben entscheiden oder einfach nur dem Leben als Impuls hingeben musste. Aber wir können uns sicher sein, dass da sehr vieles sehr günstig zusammenkommen musste, das nicht allein von ihr beeinflussbar war. Wir können Glück dazu sagen. Und Lauf der Dinge.

Und müssen immer an beides denken.
An das Glück und die Arbeit.
An die Möglichkeit und das Machen.

mit allem Rechnen: Angst + Kontrolle = Selbstsabotage

Woran ich in dieser Woche erinnert wurde: Selbstsabotage

Menschen mit Ängsten so wie ich sind oft richtig super darin, sich Angst zu nehmen, indem sie weit vorausdenken. Planen. Organisieren. Sich ziemlich konkrete Annahmen ableiten, um Vorhersagen machen zu können.
Das ist eine super Strategie, denn wenn man immer mit allem rechnet, kommt am Ende immer ein Plus – nie ein Minus – raus.
Man hat doppelten Schutz: Man wird nie überrascht und selbst wenn doch, hat man es ja schon vorher gewusst. Und einen ziemlich konkreten Plan, was dann zu tun ist, was was wie bedeutet und zu managen ist und so weiter.

Erstes Problem dabei: Man kommt nie in die Situation, dass man keine Angst hat. Das beruhigende Plus am Ende des „mit allem Rechnens“ ist, dass die Angst immer berechtigt ist. Dass es immer gut ist, Angst zu haben. Und dass man den Selbstschutz immer als Reaktion trainiert und statt als etwas, das immer ein wenig da ist und gewissermaßen die Ausgangslage für jedes Handeln bildet.

Zweites Problem: Wenn man die so sorgfältig vortrainierten Katastrophenrettungspläne nicht ausführen kann, wie geplant, kann es zu massivem Selbsthass, Abwertung und Selbstbestrafung kommen und das nächste Angstfeld eröffnet sich.
Bei mir ist das oft Angst vor mir selbst, weil mich die Brutalität in mir drin erschreckt. Ich habe aber auch Angst davor, dann mit anderen Menschen darüber zu reden, weil sie mich nicht verstehen oder nicht mehr mögen könnten. Der Kontakt könnte die nächste Situation werden, nach der ich denke, dass meine Angst berechtigt war.

Und was mache ich, um damit umzugehen?
Ja, richtig: Einen wasserdichten Plan mit allen Toppings aus der Auslage.
Mehr ist mehr.

Die Strategie des Antizipierens und Planens vermittelt oft Kontrollgefühle. Das ist zwar nicht das gleiche wie Sicherheitsgefühle, aber wenn man sich mit Sicherheitsgefühlen noch nicht so gut auskennt, dann verwechselt man das auch schnell mal.
Ich habe mir eine Liste erstellt, woran ich diese Gefühle unterscheiden kann:

  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, fühle ich mich total potent – auch in Bereichen, in denen ich nicht mal Kompetenzen habe.
  • Bevor ich Kontrollgefühle habe, habe ich viele Szenarien analysiert, bewertet, durchgespielt – meine Denkarbeit dafür ist enorm.
  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, dann kann ich viel machen – aber tendenziell weniger fühlen, was außerdem noch da ist.
  • Ich habe vor allem dann Kontrollgefühle, wenn ich allein bin. Das heißt, dass ich (wenn ich den Eindruck habe, es könnte hart auf hart kommen) andere Leute (auch die, zu denen ich gerne Kontakt hätte) wegstoßen, vernachlässigen, ausblenden muss.
  • Ich bin extrem unflexibel, wenn ich Kontrollgefühle habe. „Never touch a running system“ ist dann mein Modus. Niemand bewegt sich – nichts darf sich ändern. Und sei es noch so viel vorteilhafter. Total egal. Ich hab grad mal alles im Griff und bin kein zitternder Angstaal – jetzt ändert sich hier gefälligst mal gar nichts.

Sicherheitsgefühle wirken anders.

  • Wenn ich mich sicher fühle, dann sage ich, was ich kann und wobei ich Unterstützung, Begleitung, Hilfe brauche. Meine Erwartung an das, was ich kann, ist viel realistischer.
  • Und ich sage, was ich brauche, dann nicht mit exorbitantem Vorfühlen und Abtasten und Prüfen, sondern einfach so.
  • Wenn ich mich sicher fühle, dann kann ich die Erfahrung vollständig erinnern. Handeln und Fühlen sind in der Regel kongruent. Ich kann daraus alles Mögliche (und eben nicht nur das Unmögliche) lernen.
  • Im Sicherheitsgefühl belastet mich der Kontakt mit anderen Menschen weniger. Wenn ich mehr Zeit zur Anpassung brauche, dann empfinde ich das irgendwie mehr als Teil des Kontaktes insgesamt.
  • Im Sicherheitsgefühl kommt meine Kreativität, Neugier, Spielbereitschaft, Humor und meine Fähigkeiten, Zuneigung und Liebe auszudrücken, zum Vorschein. Andere Menschen haben dann die Möglichkeit, mich vollständig als Mensch zu erleben – und ich habe die Möglichkeit, vollständig im Kontakt zu sein. (Ist auch gruselig sowas – aber mehr so „Uhuuu „gruselig“-gruselig“)
  • Im Sicherheitsgefühl fühlt es sich manchmal auch gut an, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Der Spruch „Augen zu und durch“ ist in diesem Zusammenhang nicht die ignorante Floskel, die sie ist, wenn man um Kontrollgefühle ringt.

*

Die Erinnerung an den selbstsabotierenden Aspekt des vorausschauenden Planens gegen die Angst hat mir heute in Bezug auf meine Fahrschulstunde geholfen.

Denn was ich die letzten Male seit dem Meltdown ständig versucht habe, ist die Kontrolle über mich und die ganze Situation zu behalten. Ich habe unfassbar starke Ängste, von anderen als gefährlich wahrgenommen zu werden. Ich will nicht abgewehrt eingesperrt bestraft erzogen werden, weil ich mich nicht im Griff hatte. Mein Fokus ist dem Fokus der Fahrlehrerin und allen, denen ich von der Situation erzählt habe, gefolgt: Hauptsache durch da. Irgendwie einfach schaffen und fertig. Nicht weiter drüber nachdenken – machen.
Kontrolle haben und halten und halten und halten und halten – und nebenbei dann halt lernen.

Mich sicher zu fühlen, erschien mir als gefährlich. Nach dem Meltdown hatte ich vor mir selbst das Recht darauf verwirkt. Ich hatte meinen Versuch, den habe ich verkackt. Es war irgendwie logisch, dass es mir ab dem Zeitpunkt nur noch scheiße ging, wenn ich im Fahrschulauto saß oder an die Fahrschule dachte, selbst wenn ich durch den Ort der Fahrschule fuhr.
Obwohl es inzwischen ein halbes Jahr her ist. Niemand verletzt wurde. Allen Beteiligten klar ist, dass es bei einem Meltdown nicht um steuerbare Impulse geht. Heute die ganze Konstellation eine andere ist.

Meine eigentlich ganz hilfreiche Eigenschaft des konsequent seins hat sich richtig ungünstig mit meiner Angst vermischt und mein Umgang damit hat keinen Raum gelassen, die Erfahrung zu integrieren. Im Gegenteil hat er meine Angst immer wieder bestätigt und mich daran gehindert zu begreifen, dass wieder alles okay ist. Soweit man das halt realistisch sagen kann.
Und das ist ein Klassiker der Selbstsabotage.

Also back to the roots.
Wenn man was anders haben will, muss man was anders machen.

Ich habe 8 Stunden geschlafen. Gegessen. Mir was angezogen, das sich gut anfühlt. Habe auf der Fahrt zur Fahrschule einen Podcast gehört, den ich schon seit 9 Jahren jeden Tag mindestens ein Mal höre. Bin eine Strecke gefahren, die ich kannte. War pünktlich. Habe erst aktiv an die Stunde gedacht, als sie wirklich losging. Mich aktiv darauf aufmerksam gemacht, dass die Lehrerin eingreift, wenn nötig bzw. wie sie sich immer dafür bereit macht. Ich habe ausschließlich auf das geachtet, was tatsächlich passiert ist und ausgesprochen, was ich in dem jeweiligen Szenario annehme, was passieren könnte. Die Lehrerin hat mir dann gesagt, was davon realistisch ist und was nicht.

Ich bin nach einer Stunde ausgestiegen und war nicht komplett im Arsch mit Nerven, Geist und Seeligkeit.
Das war richtig gut.
Mach ich nächstes Mal wieder so.

Miteinander probieren

Was ich immer gemacht habe, war zu zeichnen und zu schreiben. Alles andere habe ich irgendwann gelassen. Das Tanzen, die Sportgymnastik, Handball, Judo, Klavier spielen, Gitarre spielen, Singen, Logikrätsel. Alles hatte für mich entweder Kindheitsschleim oder Psychiatriemodder an sich. Traumaschlonz gewissermaßen.
Es hat keinen Spaß mehr gemacht, als es mir helfen sollte, mich zu regulieren, auszudrücken oder darzustellen. Dann war es eine Aufgabe. Arbeit. Wurde zu etwas, das mich mit Anteilen verbinden sollte, deren Wahrnehmung mich überfordert hat.
In der Folge habe ich diese Dinge vermieden.

Ich wollte nichts mehr riskieren, was andere Innens nach vorn bringen würde und auch gar nicht mehr wenigstens mal versuchen, wie es sich außerhalb von therapeutischem Nutzdruck anfühlen würde. Für mich war alles, was ich tat, mit Therapie verbunden. Für mich habe ich einfach nichts mehr gemacht. Außer das Schreiben hier im Blog und das Zeichnen an meinem Schreibtisch. Aber nicht bewusst. Zum Glück. Das ist nach wie vor meine Verbindung zu den anderen, der einzige Handlungsraum, in dem ich mich sicher fühle.

Die inneren Jugendlichen schreiben nicht. Aber sie kennen viele Wortbilder und nutzen sie auch. Das ist für mich eine gute Verbindung. Wenn ich sie wahrnehme, kann ich mir das aufschreiben und muss meinen sicheren Modus nicht verlassen, um mich tiefer damit zu befassen.
So kommt es, dass ich weiter relativ gut dranbleiben kann, wenn sie mit der Therapeutin sprechen oder die Therapeutin sie einbezieht. Ich kann meine Ängste gut damit beruhigen, dass ich alles aufschreiben kann und nichts sofort verstehen, bearbeiten oder beurteilen muss.
Das funktioniert gut. So gut, dass ich sie inzwischen auch außerhalb des Therapiekontextes wahrnehmen und aushalten kann. Zumindest, wenn es um Dinge geht, die nichts mit Gewalterfahrungen zu tun haben.

Was sich nach Sookies Tod besonders deutlich zeigt, ist, dass Einsamkeit ein massiv großes Thema bei ihnen ist. Und zwar ganz klar nicht meine Art von intellektueller Einsamkeit, sondern soziale Einsamkeit, die dadurch entsteht, dass niemand auf sie zukommt, um gleichzeitig zu sein.
Durch unseren Kontakt spüre ich das sehr deutlich.
Sie wollen Freund*innen haben, wollen Dinge mit anderen erleben, wollen dazugehören.

Alles Dinge, bei denen ich echt nicht zu gebrauchen bin und die sie auch nie wirklich erfolgreich haben umsetzen können. Sie leiden mehr oder (vielleicht richtiger) anders als ich darunter. Ich kann ins Internet gehen und mit Leuten schreiben, die mir gewachsen sind – was sie sich wünschen, geht nur analog. Wo die sensorische Überreizung ist, wo soziale Normen zu navigieren sind, wo man sich aufraffen und aktiv handeln muss, wo man generell eine ziemlich genaue Idee davon haben muss, was man wann und wie machen muss/kann/darf/soll.

Naja.
Wir haben uns entschieden, es nochmal mit dem Handballspielen zu versuchen.
Und es hat geklappt.
Und es war toll.

Ich hätte mich zwar gerne nicht mit „Hallo seid ihr die Handballmenschen – ich will mitmachen“ vorgestellt und auch die Erkenntnis, dass sich so überhaupt kein Wumms mehr hinter meinen Würfen befindet, hätte ich mir gern erspart, aber … Naja, vielleicht ist das ein bisschen der Preis von innerem und äußerem Miteinander.

Grenzen, Limits, Möglichkeiten

Was ich vergessen hatte, war, dass unser Zug in unserer Herkunftsstadt halten würde.
Und dass sich mit dem Öffnen der Waggontüren die Zeit zurückdrehen würde. Dass alles sein würde wie vorher, als wäre das wie Normalität nun einmal funktioniert. You never know anything. Alles ist immer möglich.

Zum Glück.
Es war möglich, stützenden Kontakt zu anderen Menschen herzustellen. Veränderungen zu suchen und zu finden. Angst zu fühlen. Traurigkeit zu fühlen. Fremdheit zu fühlen. Vermissen zu fühlen. Verrat wahrzunehmen. Und weiterhin einen festen Stand in mir selbst zu haben. Zu sein und zu bleiben und zu werden, wie ich sein will. Belastbar. Konfrontierbar. Berührbar. Kontaktierbar.

20 Jahre später ergibt diese komische Therapie-Übung mit den Seilen, die man vor sich auf den Boden legen sollte, Sinn. Endlich kapiere ich: Das ist gemeint – Die Möglichkeit, dass da nicht nur die Dinge möglich sind, die ich so gut kenne, dass ich sie in aller Gründlichkeit fürchten und vermeiden kann, sondern auch Dinge, die ich noch gar nicht oder nur vage kenne. Und dass es etwas gibt, das ziemlich genau und deutlich aufzeigt, wo das eine anfängt und das andere aufhört: Grenzen.
Und nicht: Limits.

Ich weiß, dass viele Menschen diese Worte synonym verwenden, doch please hold the line – Ich habe einen Punkt. Einen wichtigen.
Denn für viele komplex traumatisierte Menschen gibt es so etwas wie Grenzen des Möglichen nicht – es gibt viel mehr points of no return. Eskalationsstufen, die mit Bewusstlosigkeit enden. Mit Dissoziation, mit Betäubung, mit Meltdown, Shutdown, Überdosis, Suizidversuch, reale Todesnähe.
Die Grenze, die Menschen in chronisch toxischem Stress permanent (zu) managen (glauben) ist die zwischen Leben und Tod. Und das ist ein Limit. Da geht es um ein Kontingent, das irgendwann einfach aufgebraucht ist. Nicht um Möglichkeiten.

Dieser Umstand ist es, der Helfenden, Begleitenden und manchmal auch Behandelnden schwer einsichtig ist. Vor allem, wenn die Gewalt, die Traumatisierung, das traumatisierende Umfeld nicht mehr besteht. Und wenn da doch Anteile sind, die den blauen Himmel und die bunten Schmetterlinge so toll finden können. Und eh viel tolle Alltagsstabilität da ist und tralla la.

Gerade Alltagsstabilität ist für viele Viele so lange ein Thema von Limits, weil sie nicht mit Grenzen aufgewachsen sind. Man kann nur sehen, was man kennt und auch Vorstellungen nur von dem entwickeln, was man schon einmal erfahren hat.
Deshalb war diese Übung damals vor 20 Jahren für mich auch ziemlicher Käse. Wie um alles in der Welt hätte ich diesen doppelten Geistes-Rittberger hinkriegen sollen? Erstmal die Abstraktion vom Seil auf dem Boden vor meinen Füßen hin zu dem, was berührt wird, wenn mir was im Leben passiert und von mir eingeordnet werden muss. Was ich damals ja kaum mitgekriegt habe. Und als ich es mitgekriegt habe, nicht einordnen konnte, weil meine Affektverarbeitung gestört ist und ich außer den Grundemotionen keins meiner Gefühle ohne aktives Nachdenken einordnen kann.

Und – nichts, kein einziger Aspekt in meinem damaligen Leben hatte nichts mit Limits zu tun. Ich hatte menschlichen Kontakt nach Stundenlimit – Therapie, Betreuung, Lehrplanzeiten. Meine Unterkunft, meine allgemeine Versorgung, meine körperliche Integrität – alles hing davon ab, wie weit ich meine Limits ausstreichen konnte. Es musste immer genug sein, um allen, die (ihre Arbeitskraft und -zeit) in mich investiert haben, mit Erfolgen bei der Stange zu halten, weil es so schwer, so herausfordernd war, mit mir klarzukommen. Und gleichzeitig genug, um jenen, die mir diese Räume zu nutzen gewährt haben, den grenzenlosen Zugriff auf meinen Körper und meinen Geist zu überlassen.

Also. Ja.
Wie hätte ich das früher verstehen können. Gar nicht.
Vielleicht war selbst dieser Moment im Zug ein Glückstreffer?
Oder ein erster Treffer? Wie Babys erster Schritt nach viel Hochziehen und Umfallen, komisch Weitermurksen und Wackeln und plötzlich, endlich, haben sich die neuronalen Netzwerke passend gekabelt und es klappt immer wieder?
Oder hab ichs schon ganz lange und es ist mir jetzt endlich auch selbst mal aufgefallen?

Alles ist immer möglich.

die andere Seite

Die eine Seite von Trauma ist leicht erkennbar. Nachvollziehbar. Da ist Schmerz, Blut, Tränen und Spucke. Da ist es laut und viel.
Die andere Seite ist einfach nicht.
Sie stehen sich nicht gegenüber, ergänzen einander aber auch nicht zwingend.

Manchmal denke ich, ich könnte alles, was gerade ist, auf ein großes Blatt malen. Wie eine Landkarte oder eines dieser Riesengemälde im Louvre. Doch dann gerate ich in Zustände, die einfach nichts sind. Weil ich nichts und niemand mehr bin. Oder – genauer gesagt – mir in nichts über mich sicher fühle. Und es mir gleichermaßen egal, wie zutiefst Angst machend ist.

Es ist sehr lange her, dass ich mich so grundlegend im Konflikt an so vielen Stellen im Leben fühle. Da sind Freund_innen, die mich massiv überfordern, nerven, verletzen, ärgern – zu denen ich aber nie zuvor solche Gefühle und Gedanken hatte. Da sind Ansprüche an mich selbst nicht mehr nur bloße Ideen, sondern so massiv in mich hineingepresster Druck, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes funktionsunfähig werde. Selbstbilder, die giddelig und staubig im Müll landen würden, wären sie echte Porträts, kleben jetzt untrennbar auf der Netzhaut meiner inneren Augen.
Immer wieder fühle ich mich so ohnmächtig und hilflos, weil ich nicht mehr unterscheiden kann, was reaktiver Traumashit ist und was hier-heute-jetzt-real, berechtigt und stabil verlässlich ist.

Das ist, was ich immer vermeide. Exakt dieses Momentum von Selbstverlust und Ohnmacht vor dem, was diese so viel weniger offensichtliche Seite des Traumas auslöst.
Das ist, was emotionale bzw. psychische Gewalt mit sich bringt. Man weiß einfach nicht mehr, was stimmt. Egal, wie viel man worüber weiß. Man hat keine Möglichkeit noch irgendwo Sicherheiten für sich zu generieren – außer in der Isolation. Der Abtrennung. Dem Nachgeben in dem, was Gewalt letztlich immer von einem Menschen will: Distanz, Vereinzelung, Fragmentierung, Vernichtung.

Ich kann diese Energie in mir zuordnen und weiß, dass es sich um Täter_innenintrojekte handelt. Weiß, dass die Gefühle, die mich immer wieder überschwemmen, von täterloyalen und traumanahen Anteilen kommen. Doch mein Wissen darum ist momentan nichts weiter als Treibgut, an dem ich mich so lange festhalten kann, bis es mir wieder aus der Hand geschleudert wird und an Relevanz verliert. Die Intellektualisierung solcher Zustände kann mir nur solange Sicherheit geben, wie ich keine andere Funktion ausführen muss.

Vielesein stellen sich manche an der Stelle so eindeutig vor. Hier sind die Bösen, da sind die Belasteten und da vorne ist Hannah, die muss jetzt nur hinkriegen, das zu kapieren und naja, dann wird das schon.
Tatsächlich ist aber eher so, dass Hier, Da und Vorne keine Bedeutung mehr haben. Die Bösen nichts kapieren, die Belasteten nicht mal einen Begriff von Zeit haben und Hannah sich maßlos erbärmlich und dämlich vorkommt, weil diesen Zustand zu beschreiben lediglich eine abstrakte Zeug_innenschaft nach Außen produziert – aber keine Entlastung, Befreiung, Veränderung auslöst.

Ich will dennoch nicht, nichts gesagt haben. Ich will nicht spurlos in diesem Wust verschwinden. Will nicht annehmen, dass ich hätte mehr anders besser sein werden machen können. Weder jetzt noch später. Ich habe nur noch diesen Willen als ich-kongruentes Erleben. Diese 5 % von mir sind die 100 %, die ich geben kann. Das will ich nicht vergessen.
Es gab schon so viele andere Phasen, in denen das gereicht hat. Manchmal weil es reichen musste, manchmal, weil es mehr nicht brauchte. Es gibt auch von diesen Phasen eine andere Seite.

ein Fisch unter Elefanten – mein Prozess der Annahme der Autismusdiagnose

Am Dienstag war Autism-Awareness-Day und meine sozialen Medien ziemlich voll mit Posts über das Telefon als Barriere, das Puzzleteil als Symbol, das bitte nicht mehr benutzt werden soll und vielen Erklärungen zu Meltdowns und Stimming.
Ich habe an dem Tag das aktuelle Heft „autismus verstehen“ gelesen.
In dem Heft gibt es aber auch einen Text zum Prozess der Annahme und Akzeptanz nach der Autismusdiagnose. Petra Lachinger beschreibt ihn dort als den fünf Phasen der Trauer ähnlich. Leugnung, Zorn, Verhandlung, Depression, Annahme – am Ende ein lebenslanges Ding, das mal mehr, mal weniger beschäftigt.

Ich habe meine eigene Akzeptanz reflektiert und dabei bemerkt, dass mein Annahmeprozess genauso traumalogisch wie mein Verdachtsprozess und mein Umgang heute damit ist. Und dass das vielleicht anders wäre, hätte unsere Gesellschaft ganz allgemein mehr Autismus-Awareness.

Mein Verdacht autistisch zu sein, hatte sich entwickelt, weil ich mich als Ursache eines Problems wahrgenommen habe, das offenbar nur ich überhaupt hatte.
Die Traumalogik dieses Komplexes ist für mich ganz offensichtlich: Ich muss schuld sein, dass ich ein Problem wahrnehme. – Ich stelle mir das Problem selbst her, weil mit mir etwas nicht stimmt. – Ich strenge mich nicht genug an, um es zu verhindern, weil ich leiden will. – Ich will den Schmerz ja offensichtlich, warum rede ich mir dann ein, ich wolle ihn nicht …

Ich habe nicht einen Moment darüber nachgedacht, ob meine Therapeutin vielleicht irgendetwas falsch macht. Sie war von den Menschen, die mit mir gearbeitet haben, weder die Erste, die sowohl fachlich als auch menschlich gut mit mir gearbeitet hat, noch die Erste, die gut mit mir gearbeitet und trotzdem nicht richtig verstanden hat.
Ich hatte es nur zwei Mal mit wirklich schlechten Psychotherapeut_innen zu tun. Der eine hat sexualisierte Gewalt an mir ausgeübt, die andere hat mich emotional gewaltvoll behandelt. Das war beides schlimm und alles – hat aber am Ende in Bezug auf mein Selbstbild nichts großartig irritiert. Mit Gewalt umzugehen, war ich so gewohnt, dass ich mir damals schnell erklären konnte, warum sie passiert war. Ich bin halt scheiße – was soll auch anderes passieren. So ist es richtig – so funktioniert die Welt. Wenn es anders läuft, ist was im Busch.

Wenn zwei Personen alles so richtig wie möglich machen, aber doch nichts Richtiges dabei herauskommt, ist es wahrscheinlich, dass sie das Falsche tun. Da mir die Therapie grundsätzlich half, war es also logisch anzunehmen, ich müsste nur eine Kleinigkeit lernen, um den letzten Schritt zu schaffen.

Als ich anfing, mich in den Diagnostikprozess zu begeben, kämpfte ich mir der Überzeugung, dass ich jahrelang die Ressourcen und Kräfte von Menschen verschwendet habe, die sich sehr um mich und mein Weiter.Leben bemüht haben. Undankbar kam ich mir vor. Dreist, anmaßend. Und so, als ob ich mich nun einer so grundlegenden Beschissenheit meiner Selbst stellte, die ich selber, obwohl ich schon um sie wusste, einfach nie wirklich in Umfang und Bedeutung begriffen hatte. Ich war absolut bereit dazu zu hören: Du kannst es einfach nicht und wirst es nie können.
Heute frage ich mich, ob das vielleicht ein Aspekt von Leugnung ist.
In Wahrheit bin ich nicht autistisch (oder anders anders als die anderen Menschen) – in Wahrheit bin ich so scheiße unfähig, wie ich mich selbst (sicherheitshalber, traumagewohnheitsmäßig) finde.
Denn gleichzeitig hatte ich mich wissenschaftlich kritisch belesen und mich letztlich aufgrund der genetischen Komponente (eines meiner Geschwister ist ebenfalls hochbegabt und autistisch) für die Abklärung entschieden.
Logisch war mir klar, dass es genetisch und auf Grundlage meiner Probleme viel wahrscheinlicher war tatsächlich autistisch zu sein, als grundsätzlich unfähig. Aber die Leugnung dieser logischen Klarheit, hat mir ermöglicht, einen emotionalen Abstand herzustellen, der mir Sicherheit gab.

Ganz sicher war es auch ein Aspekt von Vermeidung, denn mir war schon klar, was diese Diagnose zusätzlich für mich auch bedeutet. Was es im Rückblick auf mein Leben und meine Arbeit in therapeutischen Kontexten bedeuten würde.
Es war so viel leichter für mich, mich als Problem anzunehmen und dafür zu beschämen, als mal ganz grob und diffus in die Richtung zu denken, dass die Gesellschaft, dieses Stückchen Welt um mich herum, mich einfach 30 Jahre lang genau so im Stich gelassen hat, wie ich es – heimlich, versteckt, unterdrückt, negiert, verleugnet, beschämt, bestraft – gefühlt habe. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Gewalt, sondern auch in Bezug auf mich als Individuum.
Dass mein Gefühl richtig war, hat mich direkt nach der Diagnosestellung dekompensieren lassen. Denn damit umzugehen, überstieg meine Lebenskompetenzen. Ich habe nicht gedacht: Ich bin so geil, habs ja gleich gewusst – alles Dilettanten! Oder: Oh yeah, ich bin schlau – jetzt kommt meine Rache an allen, die mir nicht gerecht geworden sind.

Ich habe gar nichts gedacht. Ich habe vor allem gefühlt und davon viel zu viel gleichzeitig, unbenennbar und existenziell bedrohlich.
Mein Leben nach der Gewalt war praktisch komplett um die Psychotherapie herum aufgebaut, weil mir von allen Seiten vermittelt worden war, dass nur so eine lebenswerte Zukunft für mich überhaupt denkbar sei. Und dann verstand ich, dass diese eine letzte stabilisierende Säule – dieses einzige Ding, das mir trotz allem nicht-ganz-Verstehen meiner Therapeutin auch geholfen hat – nicht wirklich funktionieren kann, weil ich dafür nicht passe. Obwohl ich mich so anstrengte. Obwohl ich wirklich alles immer so aktiv bearbeitete, wie ich konnte.

Es folgte meine letzte schwere Depression mit akuter Suizidalität und meine letzte gewaltvolle Psychiatrieerfahrung. Die mit mehr Bewusstsein für Autismus und autistische Menschen vermutlich gar nicht so gewaltvoll geworden wäre.
Genauso wie der tagesklinische Aufenthalt danach. Der Klinik-Gau, der mich bis heute rasend wütend macht, weil ich Verletzungen wie diese einfach nicht mehr traumalogisch abhaken kann – und will.
Und auch nicht sollte. Niemand sollte nach so einer Klinikerfahrung nach Hause gehen und denken: Ja, ich bin da halt nicht richtig gewesen – ich bin halt immer überall falsch. Ich darf auch nicht von anderen erwarten, dass sie sich auf mich einstellen – was denk ich denn, wer ich bin?

Die psychologische Begleitung, die ich nach der Diagnose hatte, war letztlich, was mir geholfen hat, Schritte aus meiner Traumabubble zu schaffen. Ich konnte schrittweise so auseinanderschälen, wie ich das benötigte, wo mein autistisches Er_Leben Anpassungen von meiner Umwelt erforderte und welche Themen besser traumatherapeutisch aufzugreifen sind.
Das war meine Phase der Verhandlung und damit auch eine Phase der aktiven Interaktion mit meinen Diagnosen und den auch identitätsstiftenden Aspekten davon. Es fiel mir zunehmend leichter, mich nicht als mehr oder weniger skurrilen Traumarest zu begreifen, der in allen Bereichen des Lebens struggelt, weil das Trauma alles beschädigt hat und neu aufgebaut und ausentwickelt werden muss. Ich konnte mich auch davon lösen anzunehmen, dass ausschließlich die traumasensible Interaktion mit mir hilfreich und gut für mich wäre und alles andere nur deshalb nicht funktionieren würde, weil ich ja so beschädigt traumatisiert bin.

Ich begann jede Situation, die schwierig für mich war als eine Art Handel oder Austausch zu betrachten. Also als etwas, das nicht primär etwas mit mir, meiner Persönlichkeit oder meinem Sein zu tun hat, sondern als etwas, das prinzipiell erst einmal gemacht werden muss/soll/kann/darf und deshalb immer erstmal okay ist. Egal, was ich dabei wie un.gewollt kommuniziere oder auch nicht.
In meinem Fall ging es dabei vorrangig darum, meine existenziellen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Also genau die Basics, die die meisten Leute gar nicht groß als herausfordernd erleben – und deshalb nur bei ganz kaputten, kranken, unfähigen Leuten überhaupt als herausfordernd annehmen – in Routinen einzubetten, die ich mag. Die mir gefallen. Die mir Kraft geben. Und sie dann auf Traumareste hin zu prüfen.
Dass in dem Prozess herauskam, dass der Großteil meiner Alltagsbelastung und Hauptauslöser für dissoziative Symptome in sensorischer Überreizung und dauerhaft abgezwungener Überforderung begründet war, hat mich damals erst einmal sehr gestärkt. Okay, ich bin kein Traumarest, der zu nichts weiter fähig ist – ich habe einfach nie gelernt, mich an meine eigene Wahrnehmung von etwas anzupassen. Wenn ich das tue, gehts mir so viel besser und ich kann so viel mehr machen.

Im Traumakontext ging es bei diesem Prozess immer darum, Traumalogik aufzudecken. Also das Innen zu finden, das noch traumareaktiv agiert, es zu orientieren und dann einen Handlungsweg aufzubauen, der alternativ ist.
Mein tagtägliches Alltagstrauma als unerkannt autistisches Kind war aber nicht so kleinteilig. Es war keine Abfolge wiederkehrender Monotraumata, die jeweils ein Innen hervorgebracht hat bzw. einen Trigger, den man entschärfen muss, um dann zu gucken: Okay, wie kriegen wir das bewusster hin? Wie können wir uns orientiert halten und die Sache erledigen (wie die meisten anderen Menschen auch)?

Niemals war in dieser Auseinandersetzung die Frage, ob und wenn ja, wann und wie ich überhaupt die Chance habe, nicht durch Überreizung oder soziale Überforderung schon dissoziiert zu sein. Nie war die für alle so ganz normale Alltagsumgebung, als nur mit unfassbarem Kraftaufwand kompensierbare Belastung mitgedacht.

Ich lebe in einem Umfeld, das nie gehört, gerochen, gesehen, gespürt, geschlussfolgert, angenommen, überlegt, interagiert und kommuniziert hat wie ich – aber in jeder Situation, zu jeder Zeit und um jeden Preis auf meiner Seite von mir verlangt zu können, was es selbst kann. Schon als Kind bin ich als Fisch unter Elefanten aufgewachsen, denen nie in den Sinn kam, dass ich jeden Tag – ganz unabhängig davon, ob sie mich misshandelt haben oder nicht! – mit Todesangst wegen ganz realem Sauerstoffmangel umgehen musste.
Das ist ein Leben, das einfach nicht verletzungsfrei sein kann. Und das auch nicht allein dadurch veränderbar ist, dass ich darum weiß und mir mehr Inseln (Teiche? 😅) schaffe, in denen ich ganz ich sein kann und von anderen Menschen deshalb weder beschämt noch pathologisiert werde.

Heute, 9 Jahre nach der Diagnosestellung, habe ich meinen Autismus noch nicht vollständig angenommen, weil er mir selbst noch nicht vollständig in allen Aspekten immer bewusst ist. Ich denke nach wie vor erst, dass ich ein unfähiges Stück Scheiße bin und gehe erst dann in die Prüfung, wenn mir diese negative Selbstverortung als belastend auffällt. Und selbst diese Prüfung mache ich nicht in der Annahme, ich sei ein Fisch unter Elefanten – also eine Person, die sich an Dinge anpassen muss, an die sie sich nie vollständig anpassen kann – sondern wie eine komplizierte Rechenaufgabe voller Annahmen, unsicherer Intuition und konstant auf Traumalogik durchleuchtete Impulse. Denn ich weiß einfach nicht, wie Elefanten ticken. Nicht wirklich. Und deshalb weiß ich nicht, worin sie sich von mir unterscheiden. Ich weiß eigentlich immer nur, was sie von mir als abweichend wahrnehmen und wahlweise witzig, nervig, störend, peinlich, abstoßend oder bedrohlich empfinden. Das kann aber an meinem Autismus liegen, an meiner Traumafolgestörung oder anderen Eigenschaften von mir und den Kontexten, in denen wir uns bewegen.
Bis ich weiß, dass etwas von meinen Belastungen auch Autismusbedingt ist, vergeht oft sehr viel Zeit und frustrierendes Herumprobieren an mir selbst.

Mein nicht-autistisches Umfeld spanne ich damit nur selten ein. Es ist mir einfach zu belastend und manchmal auch zu verletzend.
Auch das ist Teil des Annahmeprozesses. Ich muss nicht nur akzeptieren können, dass ich so bin, wie ich bin und was es für mich bedeutet, so zu sein, wie ich bin. Ich muss auch die Realität akzeptieren, dass nicht-autistische Menschen einfach nie die Quelle für Miteinander, Selbst- und Umweltverständnis sein können, die ich brauche und mir oft wünsche.

Meine Vorstellung von mir als „vom Trauma geheilte Person“ musste ich nach der Diagnose auch revidieren. Die selbstbestimmte Frau, die ihr Trauma überwunden, das Leben anpackt, sich against all odds verwirklicht und ihren Weg in den Sonnenuntergang geht, war schon immer eine Trope, die ich ehrlich gesagt eher als lesbische Fantasie interessant fand. You know – Xena 😅
Ich bin aber keine Frau. Ich weiß noch gar nicht, wann ich wirklich bin und immer um mich kämpfen will ich auch nicht müssen. Aber selbstbestimmt möchte ich sein. Und das ist als autistischer Mensch unter überwiegend nicht-autistischen Menschen nicht das gleiche wie für nicht-autistische Menschen. So etwas als gesetzt annehmen zu müssen, ist einfach nicht fair. Ich will das nicht annehmen.
Muss es aber doch in manchen Bereichen, weil man sich im Angesicht unbewusster Mehrheiten nicht um alle Veränderungen gleichzeitig kümmern kann.

Für mich ist es viel, gelegentlich mal solch einen Text zu schreiben oder bei einer Lesung oder einem Vortrag darüber zu sprechen. Aber damit das allgemeine Bewusstsein zu steigern oder gar die Welt zu verändern, erscheint mir utopisch und anmaßend. Ich betrachte es eher als eine Art Teichrandgestaltung. Als Elefantenfesten Strand sozusagen. Wer möchte, soll können.

Es wäre schön, würden Elefanten das auch für mich tun.
Aber zur Annahme meiner Diagnose.n gehört auch die Annahme der Realität, in der sie entstanden sind und eine Funktion erfüllen.

Getriggert.sein

„Aufgewühlt“, das Wort brachte mein Partner ein, als ich ihm sagte, was in mir vorging. Ja, „aufgewühlt“, das kam diesem Gefühl nahe. Blubbernder, wälzender Treibsand, der mich in ein unendlich dumpfleeres Blaugraugrün ziehen würde, wenn ich ihn nicht bald verlasse.

Mir gefällt es, wenn ich neue passendere Worte unter den Bedeutungsschirm „getriggert“ schieben kann. Denn was soll das denn eigentlich sein „getriggert“? Doch immer nur „angestoßen“, „berührt“, „ausgelöst“ … und – „angefasst“ im unangenehm nahen, wahrhaften Wortsinne.
Ich aber war verwirrt, uneindeutig, innerlich hin- und hergeschoben zwischen Er.innern und Er.wachsen. Wusste, dass der Text, den ich lektorierte, nicht deshalb triggerte, weil er Vergewaltigung zum Thema hatte, sondern, weil ich vergewaltigt worden bin und seine Inhalte meine harte Alltagsschutzschale berührten.
Eine auslösende Berührung, das ist ein Trigger. Die Triggerreaktion ist alles danach.

„Ich bin getriggert“ wollte und will ich auch heute nicht sagen. Ich bin nie getriggert. Ich bin nie die Reaktion auf einen Trigger. Ich bin das Ergebnis einer Trigger.reaktion – in meinem Selbstempfinden aufgrund der DIS und selbst das eigentlich nur gewissermaßen – aber „getriggert“ ist kein Adjektiv für mich.
Es ist ein diffuser Begriff, genutzt als soziales Adjektiv. Gemacht nur, um anderen zu sagen, dass man gerade „was mit Trauma hat“, aber nicht, was. Eine widersprüchlich anziehend abstoßende Kommunikation.

In mir waren mehrere Prozesse ausgelöst worden.
Vor dem Tag, an dem ich den Vergewaltigungstext bearbeitete, hatte ich in dem Buch „Ist das okay?“ gelesen. Ein Kinderfachbuch zum Thema des sogenannten „sexuellen Missbrauchs“. Darin gibt es Texte und Fragen, die man sich offenbar selbst irgendwie beantworten muss. Wie, dahinter bin ich bislang nicht gekommen. Die Antworten stehen nicht im Text. Oder ich habe die Texte nicht verstanden. Oder mir fehlen bestimmte Eckpunkte im Grenzverständnis. Oder ich habe dieses Buch lesend zeitweise keinen Zugang zu meinem erwachsenen Grenzverständnis, weil mein kindliches Grenzverständnis irritiert, verwirrt … aufgewühlt … berührt und aktiviert wird. Vom Thema. Vom erinnernden Thema.

Der feste Boden unter den Füßen meines Gemütes war also schon in Bewegung. Oder – weniger so formuliert, als wäre mein Gemüt ein eigenständiges Wesen, das sich meiner Kontrolle entzieht, was es mir leichter machen würde, mich in der Traumawahrheit zu bestätigen, dass ich eh nie Einfluss auf mein Empfinden (oder irgendwas sonst) habe –
Ich war bereits in einem geistigen Prozess von Verarbeitung, von Neuordnung, von Konfliktbewusstsein und – lösung.ssuche. Logisch, dass meine Alltagsschutzschale nicht die 100 % meiner Energie bekam. Sie war nicht so stabil, ich war nicht so stabil. Ich war nicht mehr hart und starr – sicher wie ein Leuchtturm im Sturm oder Grundmauern in der Erde – sondern in Bewegung ohne Plan, Struktur, Halt, Anfang, Ende. Eine Bewegung, die von Natur aus sehr viel Ähnlichkeit mit dem todesängstlichen Greifen ins Leere, dem Schreien in globale Stille, dem Leiden ohne absehbares Ende des Traumas hat.
„Ich bin getriggert“, sagt überhaupt nichts über diese Bewegungen aus. Nichts über die mühevolle Konzentration in die Ruhe hinein, die man im Umgang mit dem mentalen Treibsand des Traumaerinnerns braucht. Das so viel anstrengendere ruhig in die Luft Reinatmen, statt in sie hineinzuschnappen. Nichts über das Misstrauen gegenüber den eigenen Gedanken zur Situation, das einerseits zwingend nötig ist, um Traumawahrheiten zu erkennen und andererseits ohnehin schon immer so sehr da war, dass man eigentlich nie weiß, welcher Gedanke nun richtig ist und welcher nicht.

„Getriggertsein“ bedeutet für zu viele Menschen zu viele unterschiedliche Dinge. Es ist keine zuverlässige, keine konkrete, sichere Zustandsbeschreibung. Der Begriff kann nur der Zuordnung dienen. Und auch das nur in sozialen Kontexten, in denen ein kongruentes Verständnis vom Zuordnungsrahmen besteht.
In einer Welt, in der der Begriff des Triggers aber beliebig und willkürlich genutzt wird, kann er eigentlich nur der eigenen inneren Ordnung zuträglich sein. Er kann helfen, eine erste Grundordnung vorzunehmen. „Hier das Okaysein, hier das Getriggertsein, dort das Happysein.“ Oder: „Hier das Freundinsein, hier das Getriggertsein, dort das Richtigsein.“
Geben wenige zu, aber ja, hier deute ich an, dass „Getriggertsein“ auch eine soziale Rolle bekommen kann. So etwas passiert und viele schauen verächtlich darauf, weil sie es gleichsetzen mit einer Opferidentität. Die man als Opfer aus Gründen des Ableismus niemals entwickeln, haben oder verkörpern soll – obwohl genau das in dem Prozess der Bewegung, der Verarbeitung einer Berührung (von einem Trigger) mit den Menschen passiert, ob sie wollen oder nicht.
Für mich ist die innere Ordnung wichtig. Auch meine innere Zu.ordnung.
Deshalb schätze ich es, wenn mir neue Worte zur Beschreibung angeboten werden. Wie „aufgewühlt“.

Ich meine – wie großartig ist, dass man Dinge auch mit vielen Worten eingrenzen und konkretisieren kann? Wie schön, dass es nie nur des EINEN Zauberwortes bedarf, um zu vermitteln, auszudrücken und durch das Sprechen auch zu verkörpern, was man aus.sagen will? Wie gut, dass man nicht auf bloße Substantivierungen des Traumasprechs setzen muss, um traumabedingte Belastungen sichtbar zu machen.
Man denkt so oft, dass man besondere Worte für diese besonderen (diese besonders schlimmen, unangenehmen, peinlichen, unfasslich, unendlich erscheinenden) Gefühle, Gedanken und Erfahrungen wählen muss, aber das stimmt überhaupt nicht. Man muss nur die finden, die passen und die, die verstanden werden.
Und anerkennen, dass das manchmal nicht die gleichen sind.

Feierabende sind echt

Der Tag beginnt still. Ich halte mein Gesicht ganz weich vom Schlaf in das cremige Beige der Morgensonne und bilde mir ein, dass ich ihre Wärme fühlen könnte. Die Schritte der Hunde knirschen über das gefrorene Gras. Mein Atem schwebt weiß in der Luft.

Ein weiterer Tag allein zu Hause.
Ich schüttle NakNak*s Morgentablette aus der Tüte und stecke mir die Frückstücksäpfel für die Hunde in den Pulli. Ich trage sie rauf in mein Büro. Sie fressen, ich stelle mich ins Rauschen des Wasserkochers. Kaffee, Computer und los. Klick, klick, klick, tipp tipp tipp, klick. Die Geräusche meiner Arbeit sind wie kleine Wellen um mich herum in einem Meer von Stille in einem unendlich freundlichen Ist. Draußen ein Wintertraum in Pastell.

Irgendwann muss ich sprechen und die Schönheit des Seins ist zerstört. Alles, was bis eben einfach nur da war, ist plötzlich belebt und unvorhersehbar. Jetzt erfordert es Adjektive. Wachsamkeit. Schein.
Als wäre ein Schalter umgelegt, bin ich ein Fremdkörper.
Ich versuche, eine Form zu finden. Wandle und handle mich in die neue Situation hinein, versuche mich anzupassen. Anzugleichen. Alles im Fluss unter einer festen Schicht Freundlichkeit. Aufmerksamkeit. Wachsamkeit.

Die ersten Trigger mischen sich in mich hinein. Meine Muskeln verhärten sich und reißen an den Gelenken. Ich atme sie raus, schüttle sie weg. Schaue in den weichblauen Himmel und finde Trost in den Erinnerungen an die Realität ohne Andere.
Die Zeit vergeht, irgendwann ist es okay. Ich bin okay. Bin drin. Kann gut mitgehen. Schaffe alles, will noch mehr. Dann ist die Arbeit zu Ende. Nichts mehr zu wollen. Der Arm tut weh, die Luft ist verbraucht, Bubi schiebt seinen Kopf an mich. Zeit für eine Hunderunde.

Als ich einfach loswill, schießt mir etwas Schmerzliches durch den Kopf. Ich schaue nicht hin. Als ich NakNak* runtertrage, denke ich daran, wie ich vielleicht bald irgendwann ein Kind hier runtertrage, das genauso schwer und warm ist wie sie. Ich ziehe sie an und hoffe, dass mein Auto fährt, als wir in den schneeeisweißharten Garten gehen.
Es klappt, wir fahren. Im Rauschen der Heizung sitzend überlege ich, ob ich mir das vielleicht doch mal angucke. Wie schmerzhaft kanns sein. So in echt. Ich mach ja alles, was ich will. Obwohl das immer wieder hochkommt. Es wird mir zu dicht in mir. Ich fange an, irgendwas zu fühlen, das nicht zum Autofahren passt und breche die Überlegung ab. Ich habe nächste Woche einen Therapietermin. Klappe zu. Thema erstmal wieder erledigt.

NakNak* stakst aus dem Auto, Bubi verfolgt sofort eine unsichtbare Linie auf dem Waldboden. Ich höre einen Podcast und beobachte die Hunde bei ihrer Wanderung von Marke zu Marke. Langsam komme ich wieder da an, wo der Tag begonnen hatte. Präsenz inmitten aller Dinge. Die eigenen Veräußerlichkeiten als Zone zwischen Gegenwart und Zukunft. Irgendwann bin ich so zufrieden, dass ich damit spiele.
Dann fahren wir nach Hause. Vorbei an flauschigen Kühen und dampfenden Häusern.

Wieder zu Hause könnte ich so viel machen, aber mache gar nichts davon. Ich sitze auf der Couch und streichle Bubis großen Kopf auf meinem Schoß. Ich will es ganz in mich einsinken lassen, wie ich gerade nichts mache und niemand von denen, die darauf warten, etwas dagegen tun kann. Denn ich bin hier und sie nicht. Selbst wenn sie mich sehen würden – selbst wenn sie wüssten, dass ich hier gerade gar nichts tue – sie müssten sich etwas überlegen. Ich nicht.
Ich segle auf einer kruden Überheblichkeitswelle, fühle mich mächtig und stark – obwohl ich genau weiß, dass ich hier gerade Traumarealitäten mit Realitätswahrheiten mische. Ich werde nicht beobachtet. Feierabende sind echt.

dunkelbunte Anteilnahme

Es hat funktioniert.
Abweichung beobachtet, Kontextprüfung, Verantwortungsprüfung, entsprechendes Handeln. Grenze erkennen, Abstand einnehmen.
Ich habe es gut gemacht. Wir haben es gut gemacht.
Wir haben das Richtige getan.
Aber es kam keine Heldenwolke. Kein gutes Gefühl. Keine noch so kleine Überlegenheits-ich-bin-die_r-Coolste-Besoffenheit.

Erst war mir schwindelig, dann musste ich mich übergeben. Dann verkeilte sich ein Weinkrampf in meiner allgemeinen Verwirrung und auch meiner Therapeutin auf den AB zu sprechen war nicht so erlösend, wie gedacht. Auch später, als ich dem Partner davon erzählte, entstand keine Erleichterung. Ebenso wenig wie durch das Teilen der Situation bei Mastodon.

Im Laufe der Tage steigerte sich R. immer weiter in die Idee, wenn sie ihm eine reingehauen hätte, dann wäre das besser gewesen. Und ich zermürbte mich mit der Idee, es könnte ja wirklich einfach der schusselige Opa gewesen sein, der seine Kinder filmt oder fotografiert. Im Schwimmbad. Wo man an drei Handyverbotsschildern lang kommt, bevor man das Becken überhaupt erreicht. Das Becken, das nicht der Kinderbereich ist, wo die Bademeister_innen immer alles im Blick haben. Und ich mit meinem verdrehten Gewaltverständnis habe schon wieder etwas gesehen, was in Wahrheit gar nichts war.
Ich konnte nicht richtig darüber nachdenken, keinen richtigen Schluss ziehen, mich nicht versichern. Das ist wohl so ein Momentum, das Traumatisierungen auch begünstigt, denke ich im Nachhinein. Eingeklemmt sein zwischen der Klarheit über etwas, das man mit allen Menschen teilen kann, und der Unklarheit dessen, was entsteht, weil man etwas anderes nicht mit allen Menschen teilen kann.

Weil die Situation so eindeutig war und ziemlich genauso abgelaufen ist, wie man es als das Richtige und Beste etabliert hat, wirkt meine Verwirrung, meine Belastung diesbezüglich unverständlich. R.s Gedanken vielleicht sogar so, als würde sie ein eigenes Momentum wollen, das ihr gar nicht zusteht.
Ein Trigger.
Die Reaktion: Die permanente Selbstbefragung, was ich denn noch wolle. Ob ich denn nie mal einfach die Fresse halten den Kopf zumachen dankbar sein könne. Was denn bei mir kaputt ist, dass ich immer alles so kompliziert mache. Alles zum Drama mache. Wieso kann ichs denn nicht einfach mal gut sein lassen. Was für ein krankes Ego muss sich denn immer so nervig herausstellen. Hör auf zu nerven. Hör auf zu denken.

Ich arbeitete, organisierte, erledigte. Füllte meine Freizeit mit Terminen und stundenlangem Blasenschießen auf dem Handy. Manchmal geht das. Manchmal tötet das meine Gefühle und Gedanken zu irgendwas so weit ab, dass ich nie wieder drankomme.
Aber so funktioniert das nicht mehr. Schon gar nicht in der Therapie.
Statt, dass mich meine Stachelpanzer zerquetschen, klirren sie inzwischen bereits im Wartezimmer zu Boden und alles, was ich wie man es mir schon als Kind beigebracht hat abgetötet habe, steigt wie Phönix aus der Asche um meine Therapeutin zu nerven.

Sie sprachen darüber, wie Rache durch Strafe ersetzt wurde, um Schwächere und Stärkere gleichzustellen. Darüber, dass Strafe kein Ersatz für Rache ist. Und darüber, dass es okay ist, keine guten Gefühle dazu zu haben.
Irgendwo in mir drin bewegte sich eine brennende Schlange, die ich nicht zu greifen bekam. Bis ich am Tag darauf für einen Text zu Transformativer Gerechtigkeit nochmal den Handlungsleitfaden zum Umgang mit Menschen, die Gewalt ausgeübt haben, las.

Die Bademeisterin hatte ihn angesprochen. Ist mit ihm in Kontakt gegangen. Nicht mit den Kindern. Nach dem Vorfall waren wieder mehr Mitarbeiter_innen in dem Badebereich präsent, um zu verhindern, dass das wieder passiert. Aber dass es überhaupt passiert war – intellektuell daran be.anteiligt, dass es passiert war – / voraussetzend, dass die Kinder (ca. 3/4 Jahre alt) die Situation noch nicht einschätzen konnten / waren der Mann und ich. Der vermutliche Täter und die_r Zeug_in.
Ein Trigger für Traumaketten auf vielen Ebenen.
Der Bezug.skonflikt, die Sprachlichkeit, die Kluft zu anderen Menschen, der Abstoß, die Ohnmacht, die Einsamkeit, die Gefühle uneindeutiger Art, die Verbundenheit im Verbotenen, während das Umfeld spiegelt: „Ist alles okay. Kein Grund für … irgendwas das in dir vorgeht.“

Ich hatte angenommen, dass die Situation so viel in mir auslöst, weil ich über Pädokriminalität Bescheid weiß. Weil ich selber Opfer von Taten pädokrimineller Menschen geworden bin. Und mich heruntergemacht, weil ich annahm, ich würde mich mit den Kindern überidentifizieren und müsste mich mal nur ordentlich orientieren und meine Rachefantasie als nachvollziehbar, aber halt doch nicht zur Gesellschaft passend verstehen.
Und dann hat es damit doch irgendwie gar nicht so viel zu tun, sondern mehr damit, dass ich mich als Anteilnehmer_in in einer – wie auch immer motivierten – Übergriffsituation erlebt habe. Und niemand dieses Erleben bestätigt oder versichert oder orientiert oder eingeordnet oder überhaupt als möglich angenommen hat.

Irgendwie hat niemand daran gedacht oder an mich herangetragen – und ich noch nie so bewusst erlebt – dass sich auch täterimitierende, täterloyale und bezeugende Anteile von dieser Situation angesprochen gefühlt haben könnten. Und ganz eigene Konflikte, desorientierte Identifikation und Gefühle dazu haben.
Petzen fühlt sich nicht gut an. Verrat ist immer kacke für jemanden. Das Begreifen von gewaltvollem Handeln als massives Problem kann krass desorientieren, wenn man ohne Gewalttabu aufgewachsen ist. Es ist ein scheiß Gefühl, wenn die, die man in tausend Jahren Therapie nie über ihre Stereotypen hinaus wahrgenommen hat, auf ein Mal etwas von der Gegenwart mitbekommen.
Da kann man noch viel richtig und gut gemacht haben.