mit allem Rechnen: Angst + Kontrolle = Selbstsabotage

Woran ich in dieser Woche erinnert wurde: Selbstsabotage

Menschen mit Ängsten so wie ich sind oft richtig super darin, sich Angst zu nehmen, indem sie weit vorausdenken. Planen. Organisieren. Sich ziemlich konkrete Annahmen ableiten, um Vorhersagen machen zu können.
Das ist eine super Strategie, denn wenn man immer mit allem rechnet, kommt am Ende immer ein Plus – nie ein Minus – raus.
Man hat doppelten Schutz: Man wird nie überrascht und selbst wenn doch, hat man es ja schon vorher gewusst. Und einen ziemlich konkreten Plan, was dann zu tun ist, was was wie bedeutet und zu managen ist und so weiter.

Erstes Problem dabei: Man kommt nie in die Situation, dass man keine Angst hat. Das beruhigende Plus am Ende des „mit allem Rechnens“ ist, dass die Angst immer berechtigt ist. Dass es immer gut ist, Angst zu haben. Und dass man den Selbstschutz immer als Reaktion trainiert und statt als etwas, das immer ein wenig da ist und gewissermaßen die Ausgangslage für jedes Handeln bildet.

Zweites Problem: Wenn man die so sorgfältig vortrainierten Katastrophenrettungspläne nicht ausführen kann, wie geplant, kann es zu massivem Selbsthass, Abwertung und Selbstbestrafung kommen und das nächste Angstfeld eröffnet sich.
Bei mir ist das oft Angst vor mir selbst, weil mich die Brutalität in mir drin erschreckt. Ich habe aber auch Angst davor, dann mit anderen Menschen darüber zu reden, weil sie mich nicht verstehen oder nicht mehr mögen könnten. Der Kontakt könnte die nächste Situation werden, nach der ich denke, dass meine Angst berechtigt war.

Und was mache ich, um damit umzugehen?
Ja, richtig: Einen wasserdichten Plan mit allen Toppings aus der Auslage.
Mehr ist mehr.

Die Strategie des Antizipierens und Planens vermittelt oft Kontrollgefühle. Das ist zwar nicht das gleiche wie Sicherheitsgefühle, aber wenn man sich mit Sicherheitsgefühlen noch nicht so gut auskennt, dann verwechselt man das auch schnell mal.
Ich habe mir eine Liste erstellt, woran ich diese Gefühle unterscheiden kann:

  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, fühle ich mich total potent – auch in Bereichen, in denen ich nicht mal Kompetenzen habe.
  • Bevor ich Kontrollgefühle habe, habe ich viele Szenarien analysiert, bewertet, durchgespielt – meine Denkarbeit dafür ist enorm.
  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, dann kann ich viel machen – aber tendenziell weniger fühlen, was außerdem noch da ist.
  • Ich habe vor allem dann Kontrollgefühle, wenn ich allein bin. Das heißt, dass ich (wenn ich den Eindruck habe, es könnte hart auf hart kommen) andere Leute (auch die, zu denen ich gerne Kontakt hätte) wegstoßen, vernachlässigen, ausblenden muss.
  • Ich bin extrem unflexibel, wenn ich Kontrollgefühle habe. „Never touch a running system“ ist dann mein Modus. Niemand bewegt sich – nichts darf sich ändern. Und sei es noch so viel vorteilhafter. Total egal. Ich hab grad mal alles im Griff und bin kein zitternder Angstaal – jetzt ändert sich hier gefälligst mal gar nichts.

Sicherheitsgefühle wirken anders.

  • Wenn ich mich sicher fühle, dann sage ich, was ich kann und wobei ich Unterstützung, Begleitung, Hilfe brauche. Meine Erwartung an das, was ich kann, ist viel realistischer.
  • Und ich sage, was ich brauche, dann nicht mit exorbitantem Vorfühlen und Abtasten und Prüfen, sondern einfach so.
  • Wenn ich mich sicher fühle, dann kann ich die Erfahrung vollständig erinnern. Handeln und Fühlen sind in der Regel kongruent. Ich kann daraus alles Mögliche (und eben nicht nur das Unmögliche) lernen.
  • Im Sicherheitsgefühl belastet mich der Kontakt mit anderen Menschen weniger. Wenn ich mehr Zeit zur Anpassung brauche, dann empfinde ich das irgendwie mehr als Teil des Kontaktes insgesamt.
  • Im Sicherheitsgefühl kommt meine Kreativität, Neugier, Spielbereitschaft, Humor und meine Fähigkeiten, Zuneigung und Liebe auszudrücken, zum Vorschein. Andere Menschen haben dann die Möglichkeit, mich vollständig als Mensch zu erleben – und ich habe die Möglichkeit, vollständig im Kontakt zu sein. (Ist auch gruselig sowas – aber mehr so „Uhuuu „gruselig“-gruselig“)
  • Im Sicherheitsgefühl fühlt es sich manchmal auch gut an, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Der Spruch „Augen zu und durch“ ist in diesem Zusammenhang nicht die ignorante Floskel, die sie ist, wenn man um Kontrollgefühle ringt.

*

Die Erinnerung an den selbstsabotierenden Aspekt des vorausschauenden Planens gegen die Angst hat mir heute in Bezug auf meine Fahrschulstunde geholfen.

Denn was ich die letzten Male seit dem Meltdown ständig versucht habe, ist die Kontrolle über mich und die ganze Situation zu behalten. Ich habe unfassbar starke Ängste, von anderen als gefährlich wahrgenommen zu werden. Ich will nicht abgewehrt eingesperrt bestraft erzogen werden, weil ich mich nicht im Griff hatte. Mein Fokus ist dem Fokus der Fahrlehrerin und allen, denen ich von der Situation erzählt habe, gefolgt: Hauptsache durch da. Irgendwie einfach schaffen und fertig. Nicht weiter drüber nachdenken – machen.
Kontrolle haben und halten und halten und halten und halten – und nebenbei dann halt lernen.

Mich sicher zu fühlen, erschien mir als gefährlich. Nach dem Meltdown hatte ich vor mir selbst das Recht darauf verwirkt. Ich hatte meinen Versuch, den habe ich verkackt. Es war irgendwie logisch, dass es mir ab dem Zeitpunkt nur noch scheiße ging, wenn ich im Fahrschulauto saß oder an die Fahrschule dachte, selbst wenn ich durch den Ort der Fahrschule fuhr.
Obwohl es inzwischen ein halbes Jahr her ist. Niemand verletzt wurde. Allen Beteiligten klar ist, dass es bei einem Meltdown nicht um steuerbare Impulse geht. Heute die ganze Konstellation eine andere ist.

Meine eigentlich ganz hilfreiche Eigenschaft des konsequent seins hat sich richtig ungünstig mit meiner Angst vermischt und mein Umgang damit hat keinen Raum gelassen, die Erfahrung zu integrieren. Im Gegenteil hat er meine Angst immer wieder bestätigt und mich daran gehindert zu begreifen, dass wieder alles okay ist. Soweit man das halt realistisch sagen kann.
Und das ist ein Klassiker der Selbstsabotage.

Also back to the roots.
Wenn man was anders haben will, muss man was anders machen.

Ich habe 8 Stunden geschlafen. Gegessen. Mir was angezogen, das sich gut anfühlt. Habe auf der Fahrt zur Fahrschule einen Podcast gehört, den ich schon seit 9 Jahren jeden Tag mindestens ein Mal höre. Bin eine Strecke gefahren, die ich kannte. War pünktlich. Habe erst aktiv an die Stunde gedacht, als sie wirklich losging. Mich aktiv darauf aufmerksam gemacht, dass die Lehrerin eingreift, wenn nötig bzw. wie sie sich immer dafür bereit macht. Ich habe ausschließlich auf das geachtet, was tatsächlich passiert ist und ausgesprochen, was ich in dem jeweiligen Szenario annehme, was passieren könnte. Die Lehrerin hat mir dann gesagt, was davon realistisch ist und was nicht.

Ich bin nach einer Stunde ausgestiegen und war nicht komplett im Arsch mit Nerven, Geist und Seeligkeit.
Das war richtig gut.
Mach ich nächstes Mal wieder so.

Der kleinste einsame Ort

Sookie war 8, als ich bemerkt habe, wie nah sie mir war.
Dass sie den Unterschied gemacht hat zwischen „frei sein“ und „frei leben“.
Dass ich mir in ihrer Anwesenheit ein Gefühl von Ankommen und Sein zugestehen konnte, das andere Menschen mit ihrer Familie, ihren engen Freund_innen und Verbündeten haben.

Sookie ist jetzt seit fast 6 Monaten tot.
Und ich fühle mich so verlassen und einsam, dass ich mir den Käfig zurückwünsche, in dem ich früher so viel Zeit verbracht habe. Manchmal auch mit Sookie. Vor dem Rausgehen, weil ich Angst vor Gesprächen mit anderen Menschen hatte. Nach dem Rausgehen, weil mich der Selbsthass über mein Sein und Sprechen mit anderen Menschen innerlich verbrannt hat. Vor Betreuungsterminen. Nach Betreuungsterminen. Vor der Therapie, nach der Therapie. Jeden Tag während des ersten Ausbildungsjahrs.

Mit der Partnerschaft mit meinem Mann und den ganzen Entwicklungen, die sich daraus ergaben, habe ich den Käfig immer weniger gebraucht. Es hat sich immer weniger so angefühlt, als bräuchte ich einen Ort, an dem die Welt und ich in sicherem Abstand voneinander existieren. Ich habe die Blase von Sookie und mir für ihn erweitert.

Und jetzt ist da keine Blase mehr.
Wenn wir uns jetzt missverstehen, dann ist da nichts mehr, das mich in meinem Bindungsgefühl hält. Da ist der gleiche umfassend vernichtende Selbsthass, wie ich ihn im Kontakt mit jedem anderen Menschen in so einem Moment hätte. Da ist der gleiche Impuls zur Selbstvernichtung wie früher. Nichts, das sicher erscheint. Nichts, das Halt gibt. Kein Momentum in Bewegung. Nur die absolute Frei-von-heit im unendlichen Raum dessen, was man nicht vorhersehen, nicht überblicken, nie sicher wissen kann.

Da ist nur noch Erinnerung. Imagination.
Eine Blase in der Seele. Der kleinste einsame Ort.

die to-not-do Liste

Ende Mai erlebte ich einen Meltdown in einer Fahrschulstunde und schrieb hier darüber.
Wenige Tage später ist Sookie gestorben. Die Prüfung hatte ich nicht bestanden.
Die zweite, wenige Wochen später, ebenfalls nicht.

Mein Problem: Angst.
Nicht vor dem Autofahren. Nicht vor dem Verkehr.
Vor Missverständnissen. Unverständnis. Druck. Unzutreffenden Motivationsphrasen. Beobachtet werden. Fehlannahmen über meine Fähig- und Fertigkeiten. Meine Ortskenntnisse. Meine Kraftreserven.

Und: Der Umstand, dass meine Angst bereits umfassend bestätigt wurde. Sowohl im kleinen Dauerelend, das meine Interaktion mit anderen Menschen ist, als auch im großen Horror des Meltdowns.

In zwei Wochen habe ich wieder Fahrstunden. Weil ich darum gebeten habe.
Ich will das weghaben. Es gibt gerade zu viele Bereiche in meinem Alltag, die mit Angst zu tun haben. Ich will Siege. Heroische Momente von Überlegenheit über die Angst.
Und jetzt sitze ich doch hier und habe

Angst.

So richtig mit Schwitzen, Durchfall und Puls im Hals. Einfach nur, weil ich jetzt Termine habe und entsprechend auch wirklich was damit machen muss.
Es ist nichts passiert. Außer eine reale Möglichkeit.

Ich weiß, dass das der Punkt ist, an dem ich üblicherweise Vermeidungsverhalten anbahne. Deshalb schreibe ich das hier auf. Sehr wahrscheinlich will ich mega mega busy sein in den nächsten zwei Wochen. Ich hab ja immer so wahnsinnig viel zu tun. Dies und das und ja, ich bin ja immer so wichtig für alles Mögliche, das natürlich auch immer des Todes unverschiebbar ist.
Aber vielleicht auch mal nicht?

Ich werde eine to-not-do Liste schreiben.
Alles, was ich machen will, um mich zu betäuben, schreibe ich auf.
Vielleicht teile ich sie hier.

Miteinander probieren

Was ich immer gemacht habe, war zu zeichnen und zu schreiben. Alles andere habe ich irgendwann gelassen. Das Tanzen, die Sportgymnastik, Handball, Judo, Klavier spielen, Gitarre spielen, Singen, Logikrätsel. Alles hatte für mich entweder Kindheitsschleim oder Psychiatriemodder an sich. Traumaschlonz gewissermaßen.
Es hat keinen Spaß mehr gemacht, als es mir helfen sollte, mich zu regulieren, auszudrücken oder darzustellen. Dann war es eine Aufgabe. Arbeit. Wurde zu etwas, das mich mit Anteilen verbinden sollte, deren Wahrnehmung mich überfordert hat.
In der Folge habe ich diese Dinge vermieden.

Ich wollte nichts mehr riskieren, was andere Innens nach vorn bringen würde und auch gar nicht mehr wenigstens mal versuchen, wie es sich außerhalb von therapeutischem Nutzdruck anfühlen würde. Für mich war alles, was ich tat, mit Therapie verbunden. Für mich habe ich einfach nichts mehr gemacht. Außer das Schreiben hier im Blog und das Zeichnen an meinem Schreibtisch. Aber nicht bewusst. Zum Glück. Das ist nach wie vor meine Verbindung zu den anderen, der einzige Handlungsraum, in dem ich mich sicher fühle.

Die inneren Jugendlichen schreiben nicht. Aber sie kennen viele Wortbilder und nutzen sie auch. Das ist für mich eine gute Verbindung. Wenn ich sie wahrnehme, kann ich mir das aufschreiben und muss meinen sicheren Modus nicht verlassen, um mich tiefer damit zu befassen.
So kommt es, dass ich weiter relativ gut dranbleiben kann, wenn sie mit der Therapeutin sprechen oder die Therapeutin sie einbezieht. Ich kann meine Ängste gut damit beruhigen, dass ich alles aufschreiben kann und nichts sofort verstehen, bearbeiten oder beurteilen muss.
Das funktioniert gut. So gut, dass ich sie inzwischen auch außerhalb des Therapiekontextes wahrnehmen und aushalten kann. Zumindest, wenn es um Dinge geht, die nichts mit Gewalterfahrungen zu tun haben.

Was sich nach Sookies Tod besonders deutlich zeigt, ist, dass Einsamkeit ein massiv großes Thema bei ihnen ist. Und zwar ganz klar nicht meine Art von intellektueller Einsamkeit, sondern soziale Einsamkeit, die dadurch entsteht, dass niemand auf sie zukommt, um gleichzeitig zu sein.
Durch unseren Kontakt spüre ich das sehr deutlich.
Sie wollen Freund*innen haben, wollen Dinge mit anderen erleben, wollen dazugehören.

Alles Dinge, bei denen ich echt nicht zu gebrauchen bin und die sie auch nie wirklich erfolgreich haben umsetzen können. Sie leiden mehr oder (vielleicht richtiger) anders als ich darunter. Ich kann ins Internet gehen und mit Leuten schreiben, die mir gewachsen sind – was sie sich wünschen, geht nur analog. Wo die sensorische Überreizung ist, wo soziale Normen zu navigieren sind, wo man sich aufraffen und aktiv handeln muss, wo man generell eine ziemlich genaue Idee davon haben muss, was man wann und wie machen muss/kann/darf/soll.

Naja.
Wir haben uns entschieden, es nochmal mit dem Handballspielen zu versuchen.
Und es hat geklappt.
Und es war toll.

Ich hätte mich zwar gerne nicht mit „Hallo seid ihr die Handballmenschen – ich will mitmachen“ vorgestellt und auch die Erkenntnis, dass sich so überhaupt kein Wumms mehr hinter meinen Würfen befindet, hätte ich mir gern erspart, aber … Naja, vielleicht ist das ein bisschen der Preis von innerem und äußerem Miteinander.

Grenzen, Limits, Möglichkeiten

Was ich vergessen hatte, war, dass unser Zug in unserer Herkunftsstadt halten würde.
Und dass sich mit dem Öffnen der Waggontüren die Zeit zurückdrehen würde. Dass alles sein würde wie vorher, als wäre das wie Normalität nun einmal funktioniert. You never know anything. Alles ist immer möglich.

Zum Glück.
Es war möglich, stützenden Kontakt zu anderen Menschen herzustellen. Veränderungen zu suchen und zu finden. Angst zu fühlen. Traurigkeit zu fühlen. Fremdheit zu fühlen. Vermissen zu fühlen. Verrat wahrzunehmen. Und weiterhin einen festen Stand in mir selbst zu haben. Zu sein und zu bleiben und zu werden, wie ich sein will. Belastbar. Konfrontierbar. Berührbar. Kontaktierbar.

20 Jahre später ergibt diese komische Therapie-Übung mit den Seilen, die man vor sich auf den Boden legen sollte, Sinn. Endlich kapiere ich: Das ist gemeint – Die Möglichkeit, dass da nicht nur die Dinge möglich sind, die ich so gut kenne, dass ich sie in aller Gründlichkeit fürchten und vermeiden kann, sondern auch Dinge, die ich noch gar nicht oder nur vage kenne. Und dass es etwas gibt, das ziemlich genau und deutlich aufzeigt, wo das eine anfängt und das andere aufhört: Grenzen.
Und nicht: Limits.

Ich weiß, dass viele Menschen diese Worte synonym verwenden, doch please hold the line – Ich habe einen Punkt. Einen wichtigen.
Denn für viele komplex traumatisierte Menschen gibt es so etwas wie Grenzen des Möglichen nicht – es gibt viel mehr points of no return. Eskalationsstufen, die mit Bewusstlosigkeit enden. Mit Dissoziation, mit Betäubung, mit Meltdown, Shutdown, Überdosis, Suizidversuch, reale Todesnähe.
Die Grenze, die Menschen in chronisch toxischem Stress permanent (zu) managen (glauben) ist die zwischen Leben und Tod. Und das ist ein Limit. Da geht es um ein Kontingent, das irgendwann einfach aufgebraucht ist. Nicht um Möglichkeiten.

Dieser Umstand ist es, der Helfenden, Begleitenden und manchmal auch Behandelnden schwer einsichtig ist. Vor allem, wenn die Gewalt, die Traumatisierung, das traumatisierende Umfeld nicht mehr besteht. Und wenn da doch Anteile sind, die den blauen Himmel und die bunten Schmetterlinge so toll finden können. Und eh viel tolle Alltagsstabilität da ist und tralla la.

Gerade Alltagsstabilität ist für viele Viele so lange ein Thema von Limits, weil sie nicht mit Grenzen aufgewachsen sind. Man kann nur sehen, was man kennt und auch Vorstellungen nur von dem entwickeln, was man schon einmal erfahren hat.
Deshalb war diese Übung damals vor 20 Jahren für mich auch ziemlicher Käse. Wie um alles in der Welt hätte ich diesen doppelten Geistes-Rittberger hinkriegen sollen? Erstmal die Abstraktion vom Seil auf dem Boden vor meinen Füßen hin zu dem, was berührt wird, wenn mir was im Leben passiert und von mir eingeordnet werden muss. Was ich damals ja kaum mitgekriegt habe. Und als ich es mitgekriegt habe, nicht einordnen konnte, weil meine Affektverarbeitung gestört ist und ich außer den Grundemotionen keins meiner Gefühle ohne aktives Nachdenken einordnen kann.

Und – nichts, kein einziger Aspekt in meinem damaligen Leben hatte nichts mit Limits zu tun. Ich hatte menschlichen Kontakt nach Stundenlimit – Therapie, Betreuung, Lehrplanzeiten. Meine Unterkunft, meine allgemeine Versorgung, meine körperliche Integrität – alles hing davon ab, wie weit ich meine Limits ausstreichen konnte. Es musste immer genug sein, um allen, die (ihre Arbeitskraft und -zeit) in mich investiert haben, mit Erfolgen bei der Stange zu halten, weil es so schwer, so herausfordernd war, mit mir klarzukommen. Und gleichzeitig genug, um jenen, die mir diese Räume zu nutzen gewährt haben, den grenzenlosen Zugriff auf meinen Körper und meinen Geist zu überlassen.

Also. Ja.
Wie hätte ich das früher verstehen können. Gar nicht.
Vielleicht war selbst dieser Moment im Zug ein Glückstreffer?
Oder ein erster Treffer? Wie Babys erster Schritt nach viel Hochziehen und Umfallen, komisch Weitermurksen und Wackeln und plötzlich, endlich, haben sich die neuronalen Netzwerke passend gekabelt und es klappt immer wieder?
Oder hab ichs schon ganz lange und es ist mir jetzt endlich auch selbst mal aufgefallen?

Alles ist immer möglich.

ent.täuschte Freund_innenschaften

Seit Sookie nicht mehr lebt, erkunde ich eine Einsamkeit, die mir sehr vertraut und gleichzeitig wieder neu ist.
Das ist insgesamt schwieriges Terrain, denn ich bin nicht mehr allein und das, was mich einsam macht, ist den nicht autistischen Menschen in meinem Leben kaum zu vermitteln.

Ich muss mich vor ihren schnellen Schlüssen in Acht nehmen. Aufpassen, dass sie nicht annehmen, ich würde sie meinen. Prüfen, ob sie annehmen könnten, ich fühlte mich zu Unrecht abgelehnt. Oder nur deshalb nicht gewollt, weil mich schon meine Eltern eigentlich nicht wollten.
Diese Art des ungeprüften fixen Schlussfolgerns in sozialen Fragen kenne ich von mir nicht. Auch nicht, wie unbewusst diese Urteile und Gedanken bei ihnen aufkommen. Es ist mir ein Rätsel, wie sie nicht erst überlegen, analysieren und prüfen müssen und wollen.

Es gab nach Sookies Tod einen Moment, in dem ich gemerkt habe: Wenn ich nicht allen meinen Freund_innen die gleiche Nachricht geschickt hätte, wüssten sie es nicht und hätten es vermutlich erst in einem Moment erfahren, in dem sie mehr als ein „Oh, das wusste ich nicht“ kaum einbringen würden. Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre später.
Ich hatte eine Teilverstreuung geplant. Alle Leute in der Stadt, die ich nur durch Sookies Präsenz im Leben hatte, sollten kommen. Der Termin ist geplatzt. Von 7 Menschen hat einer zurückgefragt, wann denn der neue Termin sein würde. Wie es mir inzwischen geht. Wie ich zurechtkomme, jetzt, wo so vieles anders ist.
Von den anderen kam keine Nachricht. Kein Anruf. Nichts.

Der Aufprall hat mich in einer verletzlichen Phase erwischt und einen weiteren Trauerprozess nach sich gezogen. Ich fühle mich in sehr alten Traumawahrheiten bestätigt und erlebe immer wieder auch, wie in mir das große Orchester der Beschämung, der Abwertung und Ewigkeitsannahmen spielt.
Alle Kontakte sind auf dem Prüfstand und es sieht nicht gut aus. Spaßfreund_innenschaften habe ich gar keine. Kontakte für Krisentalk und Selbstfindung einige. Ein Mal im Jahr treffe ich die Leute, mit denen ich mich verbunden fühle, weil ich ihre Podcasts höre und Trööts lese. Und der Rest sind Projekt- oder Themenbekanntschaften. Wir arbeiten miteinander.
Der neurotypische Schnellschluss aus so einer Aufzählung ist, dass ich das zu schwarz sehe. Dass ich die Kontakte abwerte, weil ich mich gerade abwerte. Meine Einschätzung hingegen kommt aus 2 Monaten Analyse, Prüfung und Abwägung. Einer genauen Gegenüberstellung von Quantität und Qualität, Wünschen und Realität. Es ist verletzend, wenn das einfach weggewischt wird zugunsten einer Spielart von „Du machst es dir selber schwer/Du nimmst das alles ganz falsch wahr – in Wahrheit …“

Was ich initial sehr oft falsch wahrnehme, ist die Art Kontakt, die ich mit anderen Menschen habe. Vor allem, wenn sie nicht von Konflikten geprägt, sondern immer freundlich und grundsätzlich nicht unbefriedigend sind. Wer mich nicht schlägt oder beschimpft, ist im Grunde schon ein_e Freund_in für mich. Also fast. Ich muss dann natürlich gucken, dass wir uns oft treffen, damit ich die Person lesen lernen kann, um sie sicher von anderen unterscheiden zu können. Ich muss mir ihre Hobbys und Themen merken, mich dafür interessieren und dazu einlesen, damit mich Gespräche dazu weder verwirren noch überraschen. Und dann muss ich natürlich immer gucken, dass ich immer möglichst angenehm für die Person bin – vor allem, wenn sie Freund_innen hat, die ich über sie_ihn kennenlernen könnte. Naja und dann passiert das schon irgendwie mit der Freund_innenschaft, ne? Ne?
Ja, nein. Natürlich nicht. Aber bei anderen Menschen passiert es eben doch ziemlich genau so. IRGENDWIE.
Außer bei mir.

Bei mir ist es immer so, dass ich mich bemühe und in verschiedene Stadien der Überzeugung einer Freund_innenschaft komme, aus der ich an mehr oder weniger relevanten Punkten meines Lebens mehr oder weniger krass verletzend ent.täuscht werde. Menschen, denen ich mich sehr nah fühle, zum Beispiel, weil ich seit Jahren ihre Krisenbegleitung bin, haben dann irgendwann eine ganz gute Phase und melden sich überhaupt nicht mehr. Oder erwähnen beiläufig, was sie alles mit anderen Menschen erleben und unternehmen – während sie mich nie danach gefragt haben, ob wir das miteinander machen wollen. Mit anderen arbeite ich über lange Zeit an super empfindlichen Themen in komplexer Art und Weise – doch jede Einladung zu mir nach Hause, jedes Angebot für gemeinsame Zeit, die nicht von Schwere und Komplexität geprägt ist, wird ausgeschlagen. Manche sind immer für mich da, wenn es mir so schlecht geht, dass ich Suizidgedanken habe, haben aber absolut kein Interesse an Kontakt, wenn es ihnen nicht gut geht oder mir einfach gut. Auch in diesen Kontakten gibt es keine Leichtigkeit, keine umfassende, runde, ausgewogene Ausgeglichenheit, was Kraftaufwand und Gewinn am Kontakt betrifft.
Und wie viele Kontakte habe ich mit Menschen, die sich immer vornehmen, sich bei mir zu melden, es aber nicht schaffen. Es sind zwei. Zwei Menschen, die mir so so wichtig sind, dass ich diese Verletzung hinnehme und immer wieder damit beruhige, dass Komplextrauma und ADHS in ihre Lebensrealität gehört. Und es richtig schön ist, wenn wir dann endlich den Kontakt schaffen.

Meine erste Ent.täuschung dieser Art erlebte ich mit 13. Kinder- und Jugendpsychiatrie, Gruppentherapie. Wir sollten über unseren körperlichen Abstand darstellen, wie wir unseren emotionalen Abstand zueinander wahrnehmen. Wer am Ende allein in einer Ecke stand und sich vorher mitten in die Gruppe, teils sogar sehr nah an Einzelne gestellt hatte, war ich. Die Beschämung und den Kommentar der Krankenschwester, die diese Gruppe geleitet hat, habe ich nie vergessen und im Laufe meines Lebens in verschiedenen Formen immer wieder gehört. Vor allem von Menschen, die mich überheblich oder intellektuell bedrohlich erlebt haben. Solche Momente eignen sich einfach hervorragend, um sich stark und überlegen zu fühlen. Gemocht und befreundet zu werden, ist in solchen Momenten nicht einfach nur ein Grundbedürfnis, sondern eine Ressource. Es wird zur Quelle von Macht.
Und während die meisten neurotypischen Menschen nicht einmal genau wissen, wie sie dazu kommen, wissen sie jedoch ganz deutlich, dass ich nicht mal nah dran bin. Und die Schnellschusserklärung dafür ist von je her, dass irgendwas an mir persönlich nicht stimmt. Ob Klassenkamerad_innen oder frühere Therapeut_innen, ob Leute in der aktivistischen Bubble oder aus der Selbsthilfeszene – selbst mein Partner sagt: „Naja du bist halt auch …“
Was diesen drei Auslassungspunkten folgt, ist nie schmeichelhaft. Nie nicht verletzend. Nie etwas, das ich unterlassen oder ändern kann. Es ist immer mein Autismus bzw. das Fehlen dessen, was Brit Wilzcek den „sozialen Autopiloten“ [1] nennt.

Eine neue Entwicklung habe ich jedoch bei meiner neuen Arbeitsstelle.
Da fühle ich mich in einen sozialen Nimbus aufgenommen, in dem Kontakt ist, was es ist: Kontakt. Freund_innenschaften und soziales Kapital spielen keine Rolle und das ist sehr angenehm.
Ich habe aber auch eine wachsame Stimme in mir, die mir sehr deutlich aufzeigt, dass ich bei der Arbeit überwiegend mit Autist_innen zu tun habe. Dass das eine Sonderwelt sein könnte, die zerstört wird, sobald sie nicht mehr gebraucht wird, als unwirtschaftlich gilt oder anders wertlos für andere (neurotypische) Menschen.
Ich kann mich da wohlfühlen – aber.

Ich kann nicht davon ausgehen, dass diese eine spezifische Einsamkeit, die sich aus der Kluft zwischen mir und nicht autistischen Menschen ergibt, irgendwann kein Teil meines Lebens mehr ist.
Das macht mich sehr traurig und führt zu einem ständigen Arbeitsaufwand für mich. Denn ja, den Mut nicht zu verlieren, die Hoffnung nicht aufzugeben, Freude an dem zu empfinden, was sich an Kontakten ergibt und was diese Kontakte dann jeweils für mich ermöglichen, ist Arbeit. Es ist unfassbar harte, zehrende Arbeit, Freude an einem Leben zu haben, das mit so einem unlösbaren Dilemma einhergeht und so viel Verletzungspotenzial hat.
Und sie wird nicht leichter, je besser ich sie benennen, verstehen und in ihrer Wirkung kommunizieren kann.
Zumindest im Moment nicht.

[1] Stimmen – Brit Wilczek | Teil 2
| Sozialer Autopilot, 3. Ebene und Wahrnehmung
| https://www.youtube.com/watch?v=Dz19jH1jk2s

gute Chancen auf Zahnshit

Vielleicht ist es ein Zahn. Unbemerkt verstorben in meinem Mund, entzündet meinen Gesichtsnerv reizend. Totenruhe neu interpretiert. Lang wirke das Modernde.

Gegen 1 kann ich es nicht mehr aushalten. Mein Nerv ist ruhig, der Zahn nicht. Mir ist schwindelig vom Schmerzmittel, es ist Montagnacht, mein Inneres summt. Am Sonntagmorgen hatte ich meine Sachen schon gepackt. Mein Magen, mein Bauch, mein Kopf, mein Gesicht, alles tat weh. Und dann nicht mehr so stark. Wir fuhren nicht ins Krankenhaus, sondern tranken lauwarmen Kamillentee zu zimmerwarmem Haferbrei. Schauten einen Film von 1985 und schliefen mitten am Tag 6 Stunden durch.
Die Wahrscheinlichkeit am Wochenende an einen Bereitschaftsarzt zu geraten, der die Gesamtlage falsch einschätzt, erschien zu groß. Mein Partner, dessen heftiges Bluthusten aus der kranken Lunge, initial für „aus dem Mund kommend“ gehalten wurde und ich, die_r bei egal welchem Notfall auch immer eine Psychodiagnose mit auf dem Zettel stehen hat, haben damit so unsere Erfahrungen. Und es ging gut.
Bis 1 Uhr morgens.

Ich begann nach dem zahnärztlichen Notdienst zu suchen. Ging runter, um meinen Partner zu wecken. Der war noch wach und schnell genauso verwirrt wie ich. Denn so einfach ist das mit der notfallmäßigen Versorgung mitten in der Nacht nicht. Schon gar nicht für Zähne, das offenbar allgemein zu vernachlässigende Spezialorgan des menschlichen Körpers. So kam es, dass wir um dreiviertel 2 vor einer dunklen Praxis standen und lernten, dass der Notdienst, der von Samstag um 8 Uhr bis Montag 8 Uhr zuständig war, in Wahrheit nur am Samstag von 10 bis 12 Uhr Patient_innen behandelte. Wie auch die Praxis, die für die Stadt Notdienst hatte.
Wir lernten außerdem, dass „Zähne nachts immer schwierig ist“. Und dass uns die 116 117 nur bestätigen konnte, dass eine Vorstellung beim Arzt dringlich angeraten sei – aber niemanden in ganz Niedersachsen vermitteln konnte.

Knapp – ganz ganz knapp – wirklich um Haaresbreite – entging ich einer wutbürgerlichen Empörungsentladung. Mein Partner blieb ruhig, konnte nicht glauben, dass das jetzt wirklich nicht zu lösen sei. Er googelte für Bremen, ich dachte an die anstehende Krankenhausreform, die die Versorgung von kranken Menschen verbessern soll, indem weniger Versorgungsangebot gemacht wird. Dann googelte er für Nordrheinwestfalen und ich nach dem Gefahrenpotenzial von dem Medikamentenmix, den ich bis zum nächsten Morgen noch einnehmen könnte.
Ich entschied, dass ich eine akute Magenruptur schon rechtzeitig mitkriegen und Ohnmachten, Leber- und Nierenüberbelastung überleben würde. Wir fuhren also nach Hause, um die nächsten 3 Stunden, bis wir uns auf den Weg zu meiner Zahnärztin machen könnten, zu überstehen.

Tatsächlich bin ich eingeschlafen. Ein Bett mit verstellbarem Kopfteil – Gold.
Als ich den Lattenrost damals gekauft habe, hatte ich an Schmerztage gedacht, an denen ich vom Bett aus arbeiten muss – nicht an Erstickungsängste und die Notwendigkeit, nicht so viel Blutdruck auf meine Zähne auszuüben. Trotzdem – gut, dass ich ihn habe. Er hat auch in dieser Situation sehr geholfen.

5 Uhr morgens fuhren wir los. Um 7 öffnet die Praxis. 120 km Hoppellandstraße, Bundesstraße, Autobahn. Erst im Dunklen, dann im Dunkelblauen, bald im Hellgrauen, besprenkelt mit immer mehr Beleuchtungspunkten. Ich strenge mich an, mit meinem Partner zu sprechen. Er soll nicht müde werden, sich gut mit mir fühlen. Ich möchte, dass er merkt, dass er das nicht wirklich umsonst macht, obwohl er es nicht-autistisch betrachtet, komplett umsonst macht. Denn natürlich hätten wir auch bis um 7 schlafen und dann wieder zu der Dorfpraxis fahren können, die wir in 10 Minuten mit dem Auto erreichen. Aber um 7 Uhr morgens hat auch meine Zahnärztin auf. Die weiß, dass ich eine konkrete Ansprache brauche, wenn ich Schmerzen habe, übernächtigt bin und Medikamente intus habe. Die weiß, dass sie mir schon mit Kleinigkeiten sofort Todesangst macht, die ganz real sind, in meinem Körper wirken und die Behandlung traumatisch werden lassen kann. Die weiß, dass ich bei ihr bin, weil ihre Behandlung in meinen Abwägungen darüber, was der effizienteste und am wenigsten belastende Weg ist, das Problem, das Unwohlsein, die Krankheit anzugehen.

Abwägungen wie diese sind vor allem in dem Umfang für nicht-autistische, nicht traumatisierte, nicht chronisch kranke Menschen oft nicht 1 zu 1 nachvollziehbar. Und ich habe das internalisiert. Meine Grundannahme in solchen Situationen ist bis heute: Ich stelle mich an, mache mich besonders, ich mache unnötige Umstände, ich überstrapaziere die Güte anderer Menschen, ich muss entsprechend ganz besonders dankbar, lieb, demütig sein. Alles organisieren, alles fürs Wohlbefinden derer tun, die mir helfen. Das ist das Mindeste und in Wahrheit – ganz unter uns – nicht im Ansatz genug.
Und diese Grundannahme ist generell. Betrifft also auch meinen Partner, meine Freund_innen, meine Therapeutin – alle. Immer. Und weil ich weiß, dass manche von ihnen davon verletzt sind, weil sie ja aus ihrer Sicht immer nur Gutes für mich wollen und vielleicht auch nie (bewusst) so über mich gedacht haben, habe ich auch ein schlechtes Gewissen darüber. Und weiß gleichzeitig doch sehr sicher: Diese Grundannahme ist so wenig falsch wie richtig.
Leider. Es ist einfach verflixt mit mir, meiner komischen Merkwürdigkeit m Autismus und dieser Traumasache. Das Generelle sitzt nie da, wo die stets Generalisierenden es erwarten und das Konkrete bestimmt das Konkretisierende, nämlich mich. Schwierig schwierig.

Zum Glück habe ich schon viele selbstbestimmte Entscheidungen treffen und absichern können.
Meine Freundin K. teilt Räume ihres Wohnraums mit mir, wenn ich in der Stadt bin. So kann ich sie an Therapietagen besuchen, bei ihr arbeiten und übernachten, wenn ich für die Arbeit noch weiter wegfahren muss. Und wir, mein Partner und ich können bei ihr auf ein Bett fallen, wenn wir um 7 Uhr morgens nach 2 Stunden Fahrt erfahren, dass wir erst um 11 in die Praxis können.
Nicht aufzuwiegen dieses doppelte eternal Glücksgold in life.

Der Termin selbst bringt nur einen Verdacht, noch keine ganz feste Sicherheit darüber, was den Nerv initial gereizt hat. Aber die Chancen stehen gut auf Zahnshit.
Mir wäre das ganz lieb, denn ich habe prinzipiell lieber lösbare Probleme bekannter Größe, als kompliziert bis unlösbare Probleme unbekannter Größe.
Nun beginnen wir also eine Antibiose und haben das Ziehen der Nervleiche im Zahn geplant.
Derweil betrachte ich im Stillen den Spaten, mit dem ich auch diesen Zyklus für meine Erschwangerung begraben muss und versuche meine Enttäuschung mit Rationalisierung zu lindern. Es soll einfach auch diesmal nicht sein. Irgendwas Gutes findet sich schon noch daran. Irgendwie. Bald. Hoffentlich.
Das wär schön.

Autismus und Bindung #3 /fin

Als ich erfuhr, dass meine Eltern meine Kassettenkiste weggeworfen haben, brach mir das Herz. Ich trauere bis heute um meine Sammlung und habe öfter über diesen Verlust geweint, als um den Umstand meine Familie verlassen zu müssen.
Meine Familie war mir nicht egal. Ist sie bis heute nicht.
Aber emotional, physisch wie psychisch sicher gebunden war ich an meine Sammlung und die Beschäftigung mit ihr.

Mein Geschwist hat Ähnliches erlebt. Es hatte als Baby ein Plüschtier geschenkt bekommen. 4 Jahre später war es von unseren Eltern zur Keimschleuder erklärt und ebenfalls in den Müll geworfen worden. Mein Geschwist war so unglücklich und wirr, dass meine Eltern es wieder herausfischen mussten. Wenn ich mich recht erinnere, war dieses Plüschtier auch noch da, als ich wegging. Säuberlich im Bett aufgereiht wie alle anderen Stofftiere, die mein Geschwist besaß.

Anekdoten wie diese können viele Eltern autistischer Kinder berichten. Manchmal schwingt in diesen Erzählungen eine Kränkung mit. Warum ist dieses olle nutzlose Ding so viel wichtiger für mein Kind als ich? Warum wählt es lieber die Beschäftigung damit als mit mir? Hat mein Kind mich nicht lieb? Merkt es denn überhaupt nicht, wie sehr ich es liebe? Unsere Liebe (unsere Ver.Bindung) ist doch viel wichtiger/wertvoller als dieser Gegenstand (dieses Thema).

Konfrontiert mit solchen Fragen, vor allem in einer engeren Beziehung mit anderen Menschen, fühlte ich mich früher oft als Psychopath. Als eiskaltes Herz. Monster. Als jemand, die_r anderer Menschen Gefühle für sich ausnutzt. Denn an meinen Bindungstendenzen hat sich bis heute nicht viel verändert.
Ich habe heute durch die Traumatherapie nicht mehr so viel grundlegende Angst vor Menschen und habe dadurch mehr Kraft und Interesse dafür, auch welche kennenzulernen und etwas mit ihnen zu erleben. Aber wirklich einfach so gern und unangestrengt ist das bis heute nicht.

Ich muss mir die Erfassung der Menschen als individuelle Menschen erarbeiten.
Bis ich jemandem sicher Stimme und Körper zuordnen kann, dauert es. Es ist leichter für mich Orte/Umgebungen mit Menschen zu assoziieren, weil sie diese Orte (und wie ich darin funktionieren muss) beeinflussen. So sind für mich zum Beispiel die Lehrer_innen in der Schule in erster Linie gleich wichtig wie Zettel und Stift, Tafel und Kreide – egal ob sie lieb mit mir sind oder nicht. Bevor ich sie nicht als individuelle, frei bewegliche Komponente „im Kopf zusammen bekommen habe“ sind sie für mich ein Teil des Systems „Schule“ und für mich daher nicht anders relevant als Zettel und Stift, Tafel oder Kreide.

Ich muss Arbeit investieren, um andere Menschen lesen und verstehen, begreifen und nachvollziehen zu können. Selbst wenn ich einen Menschen „im Kopf zusammen habe“ muss ich die individuelle Kommunikation in doppelter Übersetzungsarbeit leisten. Ich muss lernen, wie „sarkastisch“, „freundlich“, „lustig“, „ernst“ und so weiter bei dieser Person aussieht, klingt, riecht – und einüben, wie ich damit gut umgehen kann. Und zwar möglichst so, dass die Person sich nicht wie das Projekt fühlt, das sie für mich aber de facto ist.

Ich muss mir erarbeiten, was wir wann und wie miteinander machen können.
Unbewortete Grenzen kommen dabei ins Spiel. Darf ich meine Fahrlehrerin bitten, Pirouetten zu drehen, damit ich ihrem Rock beim Schwingen zusehen kann? Darf ich meinen Partner dazu drängen, mindestens zwei Mal täglich mit mir „Flügelschlag“ zu spielen? Kann ich die ganze Therapiestunde über mit meiner Kreiselsammlung spielen und die Therapeutin macht das mit dem Reden? Was – wir fahren nicht so oft in die Waschanlage, wie man gern in der Waschanlage sein möchte, sondern so oft, wie das Auto anders nicht mehr zu reinigen ist?
Was ich gern mache und sehe, erlebe und fühle, weicht von den Präferenzen andere Menschen doch erheblich ab und bietet häufig Anlass dazu, mich merkwürdig zu finden oder eigene Grenzen berührt zu fühlen. Da Konsens zu finden geht gar nicht ohne Arbeit.

Und ich muss mir erarbeiten, diese ganzen Vorarbeiten so gut zu schaffen, dass es nicht so anstrengend ist und ich meine eigenen Gefühle und Gedanken im Kontakt wahrnehmen und äußern, teilen und reflektieren kann.

Von außen sieht meine Kontaktanbahnung und das Halten dessen nicht unbedingt nach Arbeit aus. Meine dissoziative Identitätsstruktur verdeckt das meiste davon – auch vor mir selbst! Aber es ist da und ich wusste das auch schon immer auf eine gewisse Weise.
Dass ich in Anbetracht dessen sehr viel leichter in Ver.Bindung mit Tieren und Dingen gehe, ist wohl für alle logisch. Doch wichtig – besonders für die Menschen in meinem Leben, die das jetzt hier lesen – ist, dass es nur leichter ist. Nicht wichtiger. Nicht bedeutsamer.

Die Ver.Bindungen zu Menschen, die ich aufgebaut habe, sind mir wichtig. Ich habe mich zu dem Kontakt und also auch für die Arbeit daran entschieden und sehr viel Energie dafür aufgebracht.
Und natürlich geht auch das einher mit Schattenseiten.

Manche Menschen wissen nicht und werden vielleicht auch nie begreifen, wie viel Arbeit von mir in die Kontaktaufnahme und -gestaltung geht. Sie nehmen es als selbstverständlich hin und vergessen zuweilen selbst etwas in den Kontakt einzubringen. Oder sie kommunizieren mir nicht eindeutig, wie sie den Kontakt gestalten wollen. Dann verletzen sie mich damit, dass sie mir bestimmte große Ereignisse in ihrem Leben einfach nicht erzählen oder mich in schwierigen Lebensphasen ausschließen.
Manche Menschen nutzen meine Treue und Loyalität auch einfach aus. Wieder andere nutzen mein Wissen und meine Bereitschaft zur intensiven emotionalen Carearbeit für andere Menschen aus. Auch damit muss ich mir mehr oder weniger mühevoll einen Umgang erarbeiten.

Meine Kassetten waren nie so anstrengend.
Selbst die schwierigsten Phasen mit Sookie waren leichter.

Autismus und Ver.Bindung #2

Bindung ist ein Ergebnis von Kommunikation.
Von guter Kommunikation, von schlechter Kommunikation. Von Kommunikation, die mit beliebigem Adjektiv beschrieben werden kann. Egal, wie kommuniziert wird, es wird immer eine Ver.Bindung hergestellt. Auf Basis dessen werden die verschiedenen Kommunikationskanäle trainiert und ausgestaltet. Die Bindung, die Kinder mit ihrer Familie aufbauen, gilt als der erste Entwicklungsraum dafür. Man weiß, wie wichtig stabile Beziehungen zu Menschen sind, welche die Grundbedürfnisse der Kinder an.er.kennen und sie dabei begleiten, sie erfüllt zu bekommen. Wie wichtig es ist, dass die Gefühle von Kindern auch von außen wahrgenommen, eingeordnet und begleitet werden. Wie wichtig es noch bis in die Jugendzeit ist, beim Prozessieren bestimmter Erfahrungen und Gefühle unterstützt zu sein.

Bindung und Bindungsstörungen werden entsprechend häufig im Kontext von (früher) Kindheit und (komplexem) Trauma besprochen. Es gibt sehr viele Forschungsergebnisse zu den schwerwiegenden Folgen von Vernachlässigung und Bindungsstörungen. Und sehr viel Text zu Autismus als Bindungsstörung. Vor allem viel misogynen Text. Denn als erste und in den Leben vieler Menschen einzige Bezugsperson für Kinder galt die Mutter. Bis heute hält sich das Bild vom reinen, intuitiv richtigen Mutterinstinkt, der dafür sorgt, dass eine Person ganz einfach aus sich selbst heraus einem Kind ganz und gar gerecht werden kann. Und das mit Leichtigkeit, denn natürliche Reflexe und Instinkte, sind keine Arbeit. Nichts, was man bewusst und aktiv erlernen oder trainieren muss. Nichts, was auch etwas vom Kind oder dem sozialen Umfeld erfordert.

Ich weiß nicht und werde vermutlich auch nie erfahren, wie ich als Kind war. Als Erwachsene kann ich heute nur mutmaßen und von den Erinnerungen, die ich inzwischen an meine Kindheit habe, rückschließen. Im Wissen, um meine Traumawahrheiten, muss ich dabei auch darauf achten, mich nicht störungsverantwortlich zu machen. Ver.Bindung erfordert Kommunikation. Kommunikation erfordert Sender und Empfänger in Kongruenz. Die gleiche Wellenlänge sozusagen. Und die Fähigkeit, die eigene Wellenlänge auf das Gegenüber anpassen zu können.

Ich erinnere mich sehr deutlich daran, wie relevant der Satz „Das hab ich nicht gehört“ oder „Ich hab dich nicht gehört“ in meiner Kindheit war. Meine Eltern haben mich oft ohrenärztlich untersuchen lassen. Mein Gehör war jedoch in Ordnung. Heute kenne ich die ICD 10 Nummer F 80.20, die Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung [AVWS]. Heute verstehe ich, welche Annahmen andere Menschen allein aufgrund meiner Schreib- und Sprechfertigkeiten (Hyperlexie) hatten.
Und, dass sie falsch waren, ohne, dass ich irgendetwas hätte tun können, um sie zu berichtigen. Ich konnte sehr schnell sehr gut lesen und schreiben – und Worte sehr gut aussprechen – hatte aber ein unterdurchschnittliches Bedeutungsverständnis. Ein unvorstellbarer, nicht nachvollziehbarer Widerspruch für viele Menschen. Man verstand mich als clever, aufmerksam und sehr gezielt in allem, was ich als Sender_in ausgab. Niemand hatte eine Ahnung davon, wie sehr meine Kommunikation auf bloßer Wiedergabe ich-fremder Inhalte beruhte. Was nicht bedeutet hat, dass meine Kommunikation selbst auch ich-fremd war. Ich wusste, dass ich, um mit anderen verbunden zu sein, etwas sagen und auf das reagieren musste, was sie sagten. Und ich wusste, dass es relevant ist, was man, wem wann wie sagt. Die lautsprachliche Kommunikation war damit schon damals das Puzzle, das ich bis heute in jedem Kontakt zusammenbringen muss. Und auch ganz gut kann, denn mein Wort-(bildliches) Gedächtnis ist durch das viele Lesen seit meiner Kindheit umfang- und abwechslungsreich.

Als ich in der Grundschule mit Hörspielkassetten in Kontakt kam, trainierte ich unwissentlich auch meine auditive Wahrnehmung. Meine Kassetten waren das Spezialinteresse, das man bei mir übersah. Während mein autistisches Geschwist über Straßenbahnhaltestellen, Mülltonnen und Pokémon referierte und Plüschtiere im Bett aufreihte, sammelte ich Kassetten nach Verlag und Sprecher_innen und konnte jede einzelne mitsprechen, bevor ich ihren Inhalt auch verstand. Die Kassetten wurden mir das Hilfsmittel zur Barrierenüberwindung, wie es schriftliche Kommunikation bis heute für mich ist.
Die Kassettengespräche konnte ich so oft anhören, wie ich sie brauchte. Da bei einem Hörspiel immer auch mitgedacht wird, dass die Hörenden die Umstände eines Gespräches nicht aus der Körpersprache und der (sozialen) Umgebung schließen können, werden diese Aspekte explizit genannt oder beschrieben. Das war für mich, als würden im Hörspiel die „Störgeräusche“, die in meinem Lebensalltag immer wieder dazu führten, dass ich zum Beispiel meine Eltern „nicht hören konnte“, einfach ausgeschaltet sein. So kam ich in die Lage, Inhalte auch kontextuell zu begreifen und nicht nur wie eine Art Schnellfeuer aus Geräusch und Anspruch in einer Umgebung voller verschiedener Reizschnellfeuer und Ansprüche an die Reaktion darauf.

Als ich sehr klein war, hatte ich diese Hilfsmittel noch nicht. Die Wahrnehmungswelt in der ich er_lebte, stelle ich mir heute als zwangsläufig chronisch stressend, chronisch überfordernd vor. Die verbindende Kommunikation mit anderen Menschen als praktisch unmöglich. Ich nehme an, dass ich eventuell nie einen Unterschied „sehen“ konnte zwischen absichtsvoller Misshandlung und liebevoller Zuwendung.
Überhaupt zu verstehen, was gerade vorgeht – in welchem Kontext ich und das aktuelle Geschehen, in das ich involviert bin, passiert – ist bis heute die Herausforderung, mit der ich (wie andere Autist_innen auch) zu kämpfen habe. Und an der ich weitaus häufiger scheitere, als man es mir anmerkt, geschweige denn zutraut.

Das Ausmaß an Anstrengung, die mit der Kompensation dieser sogenannten „Kontextblindheit“ einhergeht, ist enorm. Das Ausmaß der Überlegenheit von Menschen, die damit keine Schwierigkeiten haben, ebenfalls. Ich bin darauf angewiesen, immer die Kraft dafür zu haben, Erlebtes und Erfahrenes analytisch zu prozessieren. Häufig als „overthinking“ missverstanden, ist es meine einzige Chance zum Selbstschutz und zur Anpassung im Kontakt mit anderen Menschen und gleichzeitig das Verhalten, das mir am häufigsten als Grund für meine psychische Belastung vorgehalten wurde.
Da der Kontext die Kommunikation zwischen Menschen maßgeblich bestimmt, gehen meine Kontaktschwierigkeiten, meine Ver.Bindungsprobleme mit anderen, entsprechend weit über Themen wie Vertrauen, einander mögen und die richtigen Worte im richtigen Moment hinaus.

Tieren hingehen, ist der Kontext oft weniger wichtig. Entsprechend viel leichter fällt es mir, mit ihnen in Kontakt zu gehen und in Ver.Bindung zu sein. Selbst wenn sie mich sensorisch überreizen oder der Kontext über unseren Kontakt hinaus diese Ver.Bindung nicht unterstützt. Um einen Hund zu verstehen, brauche ich mich nicht im Geringsten anstrengen. Ich weiß, dass Straßen scheiße laut und chaotisch unübersichtlich sind. Ich fühls – ein Hund muss mir das nicht erst signalisieren. Genauer gesagt weiß ich genau, welche Signale ich an einer Straße von einem Hund erwarten kann, um in der Annahme bestätigt oder korrigiert zu werden, wie der Hund den Moment erlebt.
Die Mischung aus „wenig Anstrengung“ und häufiger Kongruenz der Empfindungen in Alltagssituationen hat es mir sehr leicht gemacht, eine Ver.Bindung zu meiner Assistenzhündin aufzubauen und diese in ihrer Ausbildung und unserem gemeinsamen Alltag zu gestalten.
Mit ihr im Leben war es leicht für mich, mich generell mit der Welt und im Potenzial mit anderen Menschen verbunden zu fühlen. Jetzt, wo sie gestorben ist, habe ich diese Verbundenheitsgefühle nicht mehr.

ob stolz oder nicht

Ich schrieb neulich über die Wichtigkeit, die Scham für mich hat, wenn es um meine Erfahrungen sexualisierter Gewalt und ihren Folgen geht.[1] Als „Seitenarm“ bezeichnete ich dabei auch die Scham, die ich als behinderte Person oft empfinde.
„Seitenarm“, weil der Text, wie meine Podcasts, die meisten meiner anderen Blogtexte, meine Beiträge an anderen Stellen, zu lang war. Und zu kompliziert. Und deshalb irgendwie … naja, anstrengend. Zu viel.
„Seitenarm“ schrieb ich, weil ich mich schon vor der Veröffentlichung dieses Textes über das Schreiben des Textes und die Notwendigkeit dieses Textes für mich selbst, geschämt habe. Dass ich diesen Aspekt überhaupt erwähnte, ist Ergebnis meines Vollständigkeitsanspruchs. Zu meiner Scham über alles, was mit meiner früheren Opferschaft zu tun hat, gehört auch die Scham über alles, was mich sonst noch ausmacht.
Aber warum hab ich das nicht einfach verschwiegen? Einfach Klappe zu. Stille. Nichts sagen, nichts zeigen. Was sehen, nicht gesehen werden. Ist doch nicht so schwer.
Oder?

Der Juli wird als disability pride month begangen. Zumindest im US-amerikanischen Sprachraum. Und in manchen deutschen Städten. In Berlin zum Beispiel dieses Wochenende.
Ich kann da nicht hingehen. Möchte es auch nicht. Es wäre geheuchelt. – Anderen gegönnt und zugepusht, keine Frage, aber mir selbst gegenüber wäre es geheuchelt. Ich bin nicht stolz, nicht mal irgendwie grundsätzlich okay damit behindert zu sein. Chronisch krank. Gehandicapt. ~Herausgefordert~
Ich muss es hinnehmen, obwohl es die meisten Menschen nicht hinnehmen. Ich muss damit leben, obwohl die meisten Menschen es kacke finden, dass ich einfach damit lebe. Ich kann nichts dagegen tun, obwohl die meisten Menschen genau das von mir verlangen. Implizit. Unbewusst. Nicht so gemeint. Aus Versehen.

Es gibt viele Mikrointeraktionen, die mich beschämen. Manchmal bevor, manchmal nachdem ich selbst bemerke: „Hey, das tut eigentlich weh.“ oder „Äh, aber ich kann das nicht (anders als so) …“.
Und genau so viele Anpassungslügen von mir. Ich kann gut die Klappe halten. Gut sein lassen, was mir im Fleisch steckt und mich monatelang quälend schmerzhaft beschäftigt. Das ist nicht nur „Maskieren“, das ist auch knallharter Selbstbeschiss. Selbstverletzendes Verhalten. Lieb, okay, freundlich, nett nach außen – hasserfüllt, zerstörerisch und brutal nach innen. Außen Lüge, innen Wahrheit. Außen normal, innen behindert.

Ich war in den letzten Wochen traurig, weil ich öfter danach gefragt wurde, wie es bei der neuen Arbeit ist, als danach, wie es ist, jetzt, wo Sookie nicht mehr lebt.
Es ist traurig, weil sich für mich darin zeigt, dass niemand ein echtes Verständnis davon hat, was mein Assistenzhund für mich geleistet hat. Ganz konkret. In jedem Moment, in dem ich mit anderen Menschen zusammen war.
Und es ist bitter, weil ich auch von anderen behinderten Menschen weiß, dass die wenigsten von ihren nicht- oder anders behinderten Freund_innen fragen würden, wie es ihnen mit dem Verlust ihrer Brille, ihres Rollstuhls, ihrer Insulinpumpe, ihrer Pflege- oder Assistenzperson geht. Ich bin nicht allein damit. Das machts eben so, wie es ist: Traurigbitterschlimm.

Ohne Sookie hätte ich niemanden von denen kennengelernt, die ich heute als meine Freund_innen und Gemögten bezeichne. Nicht eine_n. Nicht mal die Person, die mal meine Betreuerin war. Die hätte ich wahrnehmen gelernt wie jeden anderen Menschen auch – aber mehr auch nicht.
Ich hätte weiterhin das Haus kaum verlassen. Hätte weiterhin Sprechen abgespult, Reden performed, Leben gespielt und mich dafür gehasst, dass ich einfach nicht rauskomme. Weiterkomme. Rankomme. An die Welt. An die Menschen. An das, worum es geht.

So viele der Fähig- und Fertigkeiten, die ich mit Sookie trainiert habe, sind jetzt wie aus meinem Kopf radiert.
Und niemand scheint es zu merken.
Und niemand soll es bemerken.
Und ich wünsche mir, dass es alle bemerken.
Und ich weiß, dass das, was nötig ist, um es zu bemerken, wirklich sehr tiefe Einsicht in mein Erleben und Funktionieren erfordert.
Was zu viel verlangt ist. Immer war, immer sein wird.
Es ist so schwierig. So kompliziert. So langwierig zu erklären.

Es ist so, wie es niemand mag.
Und ich muss damit klarkommen.
Ob stolz drauf oder nicht.