Reste?

Letzte Woche war die Psychiatrie wieder Thema in unserer Therapiestunde. Genauer die Ängste, die jene hatten, die ich als „innere Jugendliche“ bezeichne.
Und während sie sprachen, fühlte ich andere. Welche, die wie untergerührte Puddinghaut unsichtbar und doch deutlich unterscheidbar im Inneren waberten. Keine Ichs. Niemand Agierendes.
Später schrieb ich alles auf und kam zu dem Schluss, dass es manche von uns vermutlich nie in unser Heute schaffen. Dass manche von uns einfach nicht genug für eine Reorientierung sind. Nicht mehr genug leben. Vielleicht nie erlebt haben, sondern Erleben waren.

Dann dachte ich darüber nach, was das für mein Ziel der Integration bedeutet. Wird mir gerade klar, dass ich es nie vollständig schaffen kann?

Ich habe sehr gute Erfahrung mit Integrationen, Fusionen, Verschmelzungen von Innens gemacht. Habe immer nur gewonnen. Selbstgefühl, Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, Fähig- und Fertigkeiten. Noch nie musste ich wissentlich jemanden zurücklassen. Nie ist jemand verloren gegangen.
Aber Anteile wie diese wabernden Geister hatte ich in meinem Alltagserleben auch nie. Als ich mich mit der Bezeichnung „die Rosenblätter“ noch gut gefühlt habe, waren da nur Ichs. Und als wir zusammenkamen, entstand mein Hannah-Selbst. Keine Krümel, keine Reste.
Ist das ein Unterschied, der sich ergibt, wenn ein Funktionssystem aus emotionaler, psychischer und struktureller Gewalt entsteht und ein anderes aus zusätzlich noch physischer Gewalt?

Vielleicht, so denke ich jetzt, bin ich wieder einige Schritte zu weit voraus. Vielleicht habe ich vieles, was ich selbst vor Jahren noch als Splitter empfunden, erlebt und dann ignoriert habe, inzwischen so nah bei mir, dass ich es als Aspekt von mir einordne. Manche Fusseln werden auch durch eine gewisse Oberflächenstatik einfach angezogen. Da hat man vielleicht gerade etwas ganz anderes gemacht und die miniwinz kleine Zusammenfügung gar nicht bewusst wahrgenommen.

Bei dem Gedanken bleibe ich jetzt.
Wir werden ja merken, wie weit wir kommen.

mit allem Rechnen: Angst + Kontrolle = Selbstsabotage

Woran ich in dieser Woche erinnert wurde: Selbstsabotage

Menschen mit Ängsten so wie ich sind oft richtig super darin, sich Angst zu nehmen, indem sie weit vorausdenken. Planen. Organisieren. Sich ziemlich konkrete Annahmen ableiten, um Vorhersagen machen zu können.
Das ist eine super Strategie, denn wenn man immer mit allem rechnet, kommt am Ende immer ein Plus – nie ein Minus – raus.
Man hat doppelten Schutz: Man wird nie überrascht und selbst wenn doch, hat man es ja schon vorher gewusst. Und einen ziemlich konkreten Plan, was dann zu tun ist, was was wie bedeutet und zu managen ist und so weiter.

Erstes Problem dabei: Man kommt nie in die Situation, dass man keine Angst hat. Das beruhigende Plus am Ende des „mit allem Rechnens“ ist, dass die Angst immer berechtigt ist. Dass es immer gut ist, Angst zu haben. Und dass man den Selbstschutz immer als Reaktion trainiert und statt als etwas, das immer ein wenig da ist und gewissermaßen die Ausgangslage für jedes Handeln bildet.

Zweites Problem: Wenn man die so sorgfältig vortrainierten Katastrophenrettungspläne nicht ausführen kann, wie geplant, kann es zu massivem Selbsthass, Abwertung und Selbstbestrafung kommen und das nächste Angstfeld eröffnet sich.
Bei mir ist das oft Angst vor mir selbst, weil mich die Brutalität in mir drin erschreckt. Ich habe aber auch Angst davor, dann mit anderen Menschen darüber zu reden, weil sie mich nicht verstehen oder nicht mehr mögen könnten. Der Kontakt könnte die nächste Situation werden, nach der ich denke, dass meine Angst berechtigt war.

Und was mache ich, um damit umzugehen?
Ja, richtig: Einen wasserdichten Plan mit allen Toppings aus der Auslage.
Mehr ist mehr.

Die Strategie des Antizipierens und Planens vermittelt oft Kontrollgefühle. Das ist zwar nicht das gleiche wie Sicherheitsgefühle, aber wenn man sich mit Sicherheitsgefühlen noch nicht so gut auskennt, dann verwechselt man das auch schnell mal.
Ich habe mir eine Liste erstellt, woran ich diese Gefühle unterscheiden kann:

  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, fühle ich mich total potent – auch in Bereichen, in denen ich nicht mal Kompetenzen habe.
  • Bevor ich Kontrollgefühle habe, habe ich viele Szenarien analysiert, bewertet, durchgespielt – meine Denkarbeit dafür ist enorm.
  • Wenn ich Kontrollgefühle habe, dann kann ich viel machen – aber tendenziell weniger fühlen, was außerdem noch da ist.
  • Ich habe vor allem dann Kontrollgefühle, wenn ich allein bin. Das heißt, dass ich (wenn ich den Eindruck habe, es könnte hart auf hart kommen) andere Leute (auch die, zu denen ich gerne Kontakt hätte) wegstoßen, vernachlässigen, ausblenden muss.
  • Ich bin extrem unflexibel, wenn ich Kontrollgefühle habe. „Never touch a running system“ ist dann mein Modus. Niemand bewegt sich – nichts darf sich ändern. Und sei es noch so viel vorteilhafter. Total egal. Ich hab grad mal alles im Griff und bin kein zitternder Angstaal – jetzt ändert sich hier gefälligst mal gar nichts.

Sicherheitsgefühle wirken anders.

  • Wenn ich mich sicher fühle, dann sage ich, was ich kann und wobei ich Unterstützung, Begleitung, Hilfe brauche. Meine Erwartung an das, was ich kann, ist viel realistischer.
  • Und ich sage, was ich brauche, dann nicht mit exorbitantem Vorfühlen und Abtasten und Prüfen, sondern einfach so.
  • Wenn ich mich sicher fühle, dann kann ich die Erfahrung vollständig erinnern. Handeln und Fühlen sind in der Regel kongruent. Ich kann daraus alles Mögliche (und eben nicht nur das Unmögliche) lernen.
  • Im Sicherheitsgefühl belastet mich der Kontakt mit anderen Menschen weniger. Wenn ich mehr Zeit zur Anpassung brauche, dann empfinde ich das irgendwie mehr als Teil des Kontaktes insgesamt.
  • Im Sicherheitsgefühl kommt meine Kreativität, Neugier, Spielbereitschaft, Humor und meine Fähigkeiten, Zuneigung und Liebe auszudrücken, zum Vorschein. Andere Menschen haben dann die Möglichkeit, mich vollständig als Mensch zu erleben – und ich habe die Möglichkeit, vollständig im Kontakt zu sein. (Ist auch gruselig sowas – aber mehr so „Uhuuu „gruselig“-gruselig“)
  • Im Sicherheitsgefühl fühlt es sich manchmal auch gut an, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Der Spruch „Augen zu und durch“ ist in diesem Zusammenhang nicht die ignorante Floskel, die sie ist, wenn man um Kontrollgefühle ringt.

*

Die Erinnerung an den selbstsabotierenden Aspekt des vorausschauenden Planens gegen die Angst hat mir heute in Bezug auf meine Fahrschulstunde geholfen.

Denn was ich die letzten Male seit dem Meltdown ständig versucht habe, ist die Kontrolle über mich und die ganze Situation zu behalten. Ich habe unfassbar starke Ängste, von anderen als gefährlich wahrgenommen zu werden. Ich will nicht abgewehrt eingesperrt bestraft erzogen werden, weil ich mich nicht im Griff hatte. Mein Fokus ist dem Fokus der Fahrlehrerin und allen, denen ich von der Situation erzählt habe, gefolgt: Hauptsache durch da. Irgendwie einfach schaffen und fertig. Nicht weiter drüber nachdenken – machen.
Kontrolle haben und halten und halten und halten und halten – und nebenbei dann halt lernen.

Mich sicher zu fühlen, erschien mir als gefährlich. Nach dem Meltdown hatte ich vor mir selbst das Recht darauf verwirkt. Ich hatte meinen Versuch, den habe ich verkackt. Es war irgendwie logisch, dass es mir ab dem Zeitpunkt nur noch scheiße ging, wenn ich im Fahrschulauto saß oder an die Fahrschule dachte, selbst wenn ich durch den Ort der Fahrschule fuhr.
Obwohl es inzwischen ein halbes Jahr her ist. Niemand verletzt wurde. Allen Beteiligten klar ist, dass es bei einem Meltdown nicht um steuerbare Impulse geht. Heute die ganze Konstellation eine andere ist.

Meine eigentlich ganz hilfreiche Eigenschaft des konsequent seins hat sich richtig ungünstig mit meiner Angst vermischt und mein Umgang damit hat keinen Raum gelassen, die Erfahrung zu integrieren. Im Gegenteil hat er meine Angst immer wieder bestätigt und mich daran gehindert zu begreifen, dass wieder alles okay ist. Soweit man das halt realistisch sagen kann.
Und das ist ein Klassiker der Selbstsabotage.

Also back to the roots.
Wenn man was anders haben will, muss man was anders machen.

Ich habe 8 Stunden geschlafen. Gegessen. Mir was angezogen, das sich gut anfühlt. Habe auf der Fahrt zur Fahrschule einen Podcast gehört, den ich schon seit 9 Jahren jeden Tag mindestens ein Mal höre. Bin eine Strecke gefahren, die ich kannte. War pünktlich. Habe erst aktiv an die Stunde gedacht, als sie wirklich losging. Mich aktiv darauf aufmerksam gemacht, dass die Lehrerin eingreift, wenn nötig bzw. wie sie sich immer dafür bereit macht. Ich habe ausschließlich auf das geachtet, was tatsächlich passiert ist und ausgesprochen, was ich in dem jeweiligen Szenario annehme, was passieren könnte. Die Lehrerin hat mir dann gesagt, was davon realistisch ist und was nicht.

Ich bin nach einer Stunde ausgestiegen und war nicht komplett im Arsch mit Nerven, Geist und Seeligkeit.
Das war richtig gut.
Mach ich nächstes Mal wieder so.

Der kleinste einsame Ort

Sookie war 8, als ich bemerkt habe, wie nah sie mir war.
Dass sie den Unterschied gemacht hat zwischen „frei sein“ und „frei leben“.
Dass ich mir in ihrer Anwesenheit ein Gefühl von Ankommen und Sein zugestehen konnte, das andere Menschen mit ihrer Familie, ihren engen Freund_innen und Verbündeten haben.

Sookie ist jetzt seit fast 6 Monaten tot.
Und ich fühle mich so verlassen und einsam, dass ich mir den Käfig zurückwünsche, in dem ich früher so viel Zeit verbracht habe. Manchmal auch mit Sookie. Vor dem Rausgehen, weil ich Angst vor Gesprächen mit anderen Menschen hatte. Nach dem Rausgehen, weil mich der Selbsthass über mein Sein und Sprechen mit anderen Menschen innerlich verbrannt hat. Vor Betreuungsterminen. Nach Betreuungsterminen. Vor der Therapie, nach der Therapie. Jeden Tag während des ersten Ausbildungsjahrs.

Mit der Partnerschaft mit meinem Mann und den ganzen Entwicklungen, die sich daraus ergaben, habe ich den Käfig immer weniger gebraucht. Es hat sich immer weniger so angefühlt, als bräuchte ich einen Ort, an dem die Welt und ich in sicherem Abstand voneinander existieren. Ich habe die Blase von Sookie und mir für ihn erweitert.

Und jetzt ist da keine Blase mehr.
Wenn wir uns jetzt missverstehen, dann ist da nichts mehr, das mich in meinem Bindungsgefühl hält. Da ist der gleiche umfassend vernichtende Selbsthass, wie ich ihn im Kontakt mit jedem anderen Menschen in so einem Moment hätte. Da ist der gleiche Impuls zur Selbstvernichtung wie früher. Nichts, das sicher erscheint. Nichts, das Halt gibt. Kein Momentum in Bewegung. Nur die absolute Frei-von-heit im unendlichen Raum dessen, was man nicht vorhersehen, nicht überblicken, nie sicher wissen kann.

Da ist nur noch Erinnerung. Imagination.
Eine Blase in der Seele. Der kleinste einsame Ort.

never a tale

Die wahlermächtigten Bürger_innen der USA haben jemanden zum Präsidenten gewählt, der die reproduktiven Rechte und Freiheiten von Menschen, die schwanger werden können, noch weiter beschneiden will.
In diesem Zusammenhang lese ich oft den Vergleich mit dem Titel „Handmaid’s Tale“. Außerdem eine Kritik an ebenjenem Titel, da dieser die Realität reproduktiver Ausbeutung und Diskriminierung nicht-weißer Menschen zur Grundlage von Unterhaltung weißer Menschen nimmt, die diese aufgrund ihrer Privilegien nur als Dystopie (also als „schlimme Vorstellung“) begreifen wollen – und können.

Viele Menschen meiner Generation und race hatten erst mit der Serienadaption dieser Geschichte überhaupt Kontakt mit der Idee davon, dass ihre Fähigkeit bzw. Potenz zur Schwangerschaft in irgendeiner Form über das bekannte Maß von bedingter Verhütungs- und Abbruchsfreiheit hinaus kontrolliert und ausgebeutet werden könnte.

Klar haben sie von Leihmutterschaft gewusst. Und Menschen, deren Einkommen von ihrer Leihmutterschaft abhängt. Von Eizellspenden. Und Menschen, die damit ihre Flucht und/oder den (Wieder)Aufbau eines Lebens finanzieren. Klar von künstlicher Befruchtung. Und Ärzten oder Samenspendern, die sich an dem tiefen Hoffen kinderwünschiger Menschen bereichern und/oder ideologische Motive für das anbringen, was Betroffenenorganisationen in den USA als „Fertility Fraud“ bezeichnen.

Doch dass diese Möglichkeiten in den Händen von (vorgeblich) religiös motivierten Terroristen und – wie nun passiert – hochgradig gefährlichen und dennoch demokratisch gewählten Machthabern ebenso verfügbar sind und zu umfassender Unfreiheit führen können, das wird für viele weiße Menschen erst jetzt mehr als bloßer Grusel vorm Schlafengehen.

Den nichtweißen Menschen, die von Ähnlichem berichten, hat man ja nicht zugehört. Nicht geglaubt. Ihre Erfahrungen rassistischen Ideen von Unziviliertheit und allgemeiner Rückständigkeit unterworfen.Den Menschen, die von (generationaler) organisierter sexueller Ausbeutung (in (pseudo)religiös begründeten Kontexten) berichten, wird ja gesagt, dass sie spinnen (weil Therapeut_innen ihnen was eingeredet haben). Ihre Erfahrungen werden saneistischen Ideen unterworfen und von egoistisch wie rücksichtslosen Menschen dazu missbraucht, sich als Fürsprecher_innen der Opfer zu gerieren und persönliche Anliegen zu verschleiern.

Den Menschen, die von (generationaler) organisierter sexueller Ausbeutung (in (pseudo)religiös begründeten Kontexten) berichten, wird ja gesagt, dass sie spinnen (weil Therapeut_innen ihnen was eingeredet haben). Ihre Erfahrungen werden saneistischen Ideen unterworfen und von egoistisch wie rücksichtslosen Menschen dazu missbraucht, sich als Fürsprecher_innen der Opfer zu gerieren und persönliche Anliegen zu verschleiern.

Entsprechend kritisch stehe also auch ich dem Vergleich gegenüber.„Handmaid’s Tale“ war nie eine ausgedachte Geschichte für sehr viele Menschen in so vielen Gemeinden, Kulturen, Staaten, Ländern. Lasst uns die Realität nicht zum abstrakten Schauder verklären, nur weil sich nun auch weiße, ungeschlagene Menschen mit der Not identifizieren können.

„Handmaid’s Tale“ war nie eine ausgedachte Geschichte für sehr viele Menschen in so vielen Gemeinden, Kulturen, Staaten, Ländern. Lasst uns die Realität nicht zum abstrakten Schauder verklären, nur weil sich nun auch weiße, ungeschlagene Menschen mit der Not identifizieren können.

Hinzufügen möchte ich meine Perspektive als weiße behinderte Person mit Kinderwunsch. Denn auch die reproduktiven Rechte behinderter Menschen, die schwanger werden können, sind bis heute nicht von allen Betroffenen anerkannt, gewährt und verteidigt.

Ich habe ein so gutes abled passing, dass mir konkret niemand im Weg steht, mir den Kinderwunsch zu erfüllen. Doch ermutigt oder darin begrüßt werde ich auch nicht. Im Gegenteil.
Der Umfang, in dem mein Wünschen hinterfragt wird, ist größer als bei nichtbehinderten Mitmenschen.
Mich hat noch nie jemand gefragt, ob und wann ich denn Kinder haben will. Aber jedes Gespräch über meinen Kinderwunsch enthält die Frage, ob ich mir das wirklich gut überlegt habe. Ob ich denn wirklich an alles gedacht habe. Ob ich mir das wirklich antun will. Und meinem Mann. Und den Leuten, die mir dann helfen müssen.
Dass jemand kommt und mir das Kind wegnimmt, war das Erste, was ich recherchiert habe, nachdem ich mich dafür entschied auf ein Leben hinzuarbeiten, in dem eine Familiengründung stattfinden kann.

Ich bezeuge in der bedingten Öffentlichkeit von Social-Media-Kommentaren, mit was für einer Selbstverständlichkeit eugenische Argumentation weiterhin eine Rolle spielt, wenn es um behinderte Elternschaft geht. Niemand denkt daran, dass auch behinderte Menschen diese Kommentare lesen. Niemand denkt daran, dass Eugenik ein menschenfeindliches Konzept wie Rassismus ist. Dass es dabei darum geht, dass es Menschen wie mich einfach nicht geben soll. Dass jedes Mal, wenn jemand sagt: „Also ein behindertes Kind würde ich abtreiben“, die Abwertung behinderten Lebens fester in das gesamtgesellschaftliche Nachdenken und Werten integriert wird.

Meine reproduktive Freiheit hängt zu 100 % an der ökonomischen Autonomie meines Ehemannes, weil ich als behinderte Person in Bildung, Arbeit und – down the Line auch als behinderte Frau, die ich vor dem Gesetz bin – Entlohnung nicht gleichgestellt bin.
Kondome, die Pille, IUD – er bezahlt. Kinderwunschpraxis, IUI, IVF – er bezahlt. Weil er will. Aber auch und vornehmlich, weil er kann. Und ich nicht.
Reproduktiv frei bin ich nur in meinem Kinderwunsch. Meiner persönlichen Einstellung und meinem Willen zur Schwangerschaft und Familiengründung. Und darin, mit dem ich darüber spreche. Wie viel oder wenig ich davon sichtbar mache.

Für jemanden wie mich ist es egal, ob das Land, in dem ich lebe, Schwangerschaft zur ersten Pflicht jedes Menschen erklärt, der eine haben kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass man mich darin inkludiert, ist gering.
Und was das bedeutet, ist so egal in unserer Gesellschaft, dass es dazu keine Serie geben wird.

die to-not-do Liste

Ende Mai erlebte ich einen Meltdown in einer Fahrschulstunde und schrieb hier darüber.
Wenige Tage später ist Sookie gestorben. Die Prüfung hatte ich nicht bestanden.
Die zweite, wenige Wochen später, ebenfalls nicht.

Mein Problem: Angst.
Nicht vor dem Autofahren. Nicht vor dem Verkehr.
Vor Missverständnissen. Unverständnis. Druck. Unzutreffenden Motivationsphrasen. Beobachtet werden. Fehlannahmen über meine Fähig- und Fertigkeiten. Meine Ortskenntnisse. Meine Kraftreserven.

Und: Der Umstand, dass meine Angst bereits umfassend bestätigt wurde. Sowohl im kleinen Dauerelend, das meine Interaktion mit anderen Menschen ist, als auch im großen Horror des Meltdowns.

In zwei Wochen habe ich wieder Fahrstunden. Weil ich darum gebeten habe.
Ich will das weghaben. Es gibt gerade zu viele Bereiche in meinem Alltag, die mit Angst zu tun haben. Ich will Siege. Heroische Momente von Überlegenheit über die Angst.
Und jetzt sitze ich doch hier und habe

Angst.

So richtig mit Schwitzen, Durchfall und Puls im Hals. Einfach nur, weil ich jetzt Termine habe und entsprechend auch wirklich was damit machen muss.
Es ist nichts passiert. Außer eine reale Möglichkeit.

Ich weiß, dass das der Punkt ist, an dem ich üblicherweise Vermeidungsverhalten anbahne. Deshalb schreibe ich das hier auf. Sehr wahrscheinlich will ich mega mega busy sein in den nächsten zwei Wochen. Ich hab ja immer so wahnsinnig viel zu tun. Dies und das und ja, ich bin ja immer so wichtig für alles Mögliche, das natürlich auch immer des Todes unverschiebbar ist.
Aber vielleicht auch mal nicht?

Ich werde eine to-not-do Liste schreiben.
Alles, was ich machen will, um mich zu betäuben, schreibe ich auf.
Vielleicht teile ich sie hier.

„besser helfen“

Schnell zur Bewertung einer Situation zu kommen, ist überlebenswichtig. Niemand überlebt akute Bedrohungslagen durch Tiefenanalyse. Doch abstrakte Themen wie Helfen, Fürsorge, Miteinander sein können nur außerhalb von akuter Bedrohungslage konstruktiv bewegt werden.
Das ist Trauma 101: Wenn was brennt, trinken wir keinen Tee, sondern schütten ihn auf die Flammen. – Wenn der Brand gelöscht ist, trinken wir erstmal was, um uns zu erholen.
Wenn eins von beidem nicht oder nicht vollständig möglich ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung, weil der natürliche Mechanismus der Stressreaktion bzw. -verarbeitung gestört wurde.

In der Interaktion zwischen Helfenden und (in der Kindheit) komplex traumatisierten Menschen entstehen manchmal reaktive Dynamiken.
Da ist die eine Seite mit komplex traumatisierten Menschen, die nach Triggern, die so unbewusst und subtil sind, dass sie überhaupt nicht eingeordnet werden können, in einem Bindungsschrei feststecken. Sie rufen nach Hilfe, setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um nicht allein zu sein. Sie fordern und wollen, wünschen und bitten. Sind bereit, einfach alles zu tun, um ihr Leben zu retten – denn so fühlt es sich an. Als ob ihr Leben in akuter Gefahr ist.

Und da ist die andere Seite mit Helfenden, die über die Dauer dieses „Geschreis“ verzweifeln, weil sie einfach weder die Ursache finden noch beheben können; weil nichts von dem, was sie machen, keine Ressource, die sie aufbringen, zu helfen scheint und die Belastung kein absehbares Ende hat. Und: Weil sich zu erholen nach 8-Stunden-Schicht mit unvorhersehbar nötiger Überstundenzahl und eigenen Alltagsthemen praktisch unmöglich ist. Diese Leute kommen Tag für Tag/Termin für Termin mit einer leeren Teetasse in ein brennendes Haus.
So stellt es sich jedenfalls dar.

Solche Konstellationen führen zu den Dynamiken von Helfergewalt, über die ich hier bereits oft geschrieben und in Workshops und Vorträgen gesprochen habe.
Für beide Seiten geht es um alles oder nichts – beide Seiten werden so aktiviert, dass sie schnelle Bewertungen vornehmen, um handlungsfähig zu bleiben oder wenigstens die Illusion/das Gefühl davon aufbauen zu können.

Helfende, die sich in so einem Moment fragen „Wie kann ich besser helfen?“ haben oft noch nicht realisiert, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit leider noch gar nicht helfen.
Weil sie noch gar nicht helfen können.
Die Grundlage für Hilfe in so einer Situation ist die Fähigkeit zu erkennen, dass weder das Haus brennt noch die_r Klient_in in akuter Lebensgefahr ist. Und jede Möglichkeit nutzen und anwenden zu können, um Erholungsphasen traumabewusst anzubahnen, zu begleiten und abzusichern und zu integrieren. Sowohl für sich selbst als auch die_n Klient_in.

Klient_innen im „Bindungsschrei-Loop“ bewerten ihre Situation traumalogisch.
„Niemand ist für mich da/Ich bin allein“, „Ich kann nichts machen“, „Nichts hilft“, „Es wird nie enden“ ⇾ „Und deshalb werde ich sterben.“ Der Trigger ist in ihrem Bewertungsprozess gewissermaßen eingebaut. Der erste Auslöser hatte vielleicht noch etwas mit der Beziehung zu den Helfer_innen zu tun oder mit einem äußeren Umstand. Doch nach einer Weile wird der Einordnungsversuch zum Trigger-Perpetuum-Mobile, weil jeder Gedankengang mit der Bewertung der Lage als akut bedrohlich endet und entsprechend traumareaktives Wahr.nehmen, Denken und Handeln aktiviert.

Kommt man als helfende Person nun dazu und sagt: „Hey, du siehst das alles ganz falsch …“ fügt man eventuell das nächste triggernde Element hinzu: Das Absprechen der eigenen Wahrnehmung/ Verunsicherung durch Umdeutung von Außen
Und die nächste Runde geht los bei der_m Klient_in – und damit auch für die helfende Person, wenn die komplex traumatisierte Person etwa noch selbst- und/oder fremdschädigende Bewältigungsstrategien hat.
Helfer_innen, die ihren Auftrag gegenüber komplex traumatisierten Menschen vordergründig darin sehen, sie von der Wunderbarkeit des Lebens, ihrer Person oder anderen Dingen zu überzeugen, können so jahrelang anhaltende Loops mit ihren Klient*innen erzeugen, ohne jemals geholfen zu haben. Obwohl sie immer da waren. Immer alles gegeben haben. Immer alles möglich gemacht haben.

Traumalogik ist brutal.
Aus meiner Innensicht als komplex traumatisierte Person beschreibe ich sie als genauso tief und umfassend beruhigend wie ängstigend. Es gibt kaum eine andere Keule, die mich so weit aus mir raus wie in mich hinein schlagen kann. Bin ich darin aktiviert, ist es bis heute mit gezielter Anstrengung verbunden, sie zu reflektieren, zu prüfen, zu hinterfragen, abzugleichen.
Nun ist es mit Traumalogik aber nicht so wie mit Alltagslogiken, die sich aus vielen kleinen Aspekten und Wahrscheinlichkeiten entlang sozialer Bedingungen, Tageszeiten, Zustandsoptionen einzelner Elemente zusammensetzen und mehr oder weniger orchestral funktionieren.
Traumalogik ist 1 oder 0 und egal welche Seite man wählt, wird die gesamte Selbst- und Umweltwahrnehmung verzerrt zu dem, was man als in der Kindheit komplex traumatisierter Mensch am sichersten und einfachsten einordnen kann: eine potenziell lebensbedrohliche Umgebung
Eine Umgebung, in der man sich auf nichts und niemanden verlassen kann. Eine Umgebung, in der nichts ist, wie es scheint. Eine Umgebung, in der man um jeden Preis (wenigstens das Gefühl von) Handlungsfähigkeit aufrechterhalten muss.

Und das alles, ohne dass man sich dessen selbst bewusst sein kann. Denn das bereits in der Kindheit komplex traumatisierte Gehirn hat dafür Strukturen angelegt, als es noch keine oder nur wenig ausentwickelte Einordnungsfähig- und -fertigkeiten gab.
„Am Anfang war das Wort“ trifft für diese Personengruppe also nicht zu. Sprechen ist Miteinander. Bewertung (1 oder 0) ist überleben. Überleben ist Leben. Leben gewinnt immer.

Etwas von so umfassender Relevanz wie Traumalogik ist extrem energieaufwändig.
Diese Energie wird an anderen Stellen eingespart.  Der Selbstfürsorge-Skill kann komplett abgeschnitten sein. Funktionen, über die man im Alltag nicht nachdenken muss, werden plötzlich unmöglich. Der Miteinander-Modus kann massiv zusammenschrumpfen. Zum Beispiel auf den Bindungsschrei.
An dem Punkt ist es unerlässlich als helfende Person zu begreifen, dass die_r Klient_in gewissermaßen durchgehend und mit aller Kraft sendet – ohne die Antworten vollständig und richtig empfangen und einordnen zu können. Das hat nichts mit der Beziehungsqualität zu tun, nichts mit dem Vertrauen und nichts mit der emotionalen Bewertung der Person.

Es kann etwas damit zu tun haben, dass die_r Klient_in:

  • eventuell noch nicht weiß, wie das ist, wenn jemand (angemessen) auf den Bindungsschrei antwortet und wiederum mit Angst reagiert bzw. getriggert wird von der Antwort
  • eventuell noch nicht geübt darin ist, sozial angemessen auf Reaktionen von außen hin zu handeln
  • eventuell eine ganz spezifische Antwort erwartet (und davon abweichende Antworten nicht übersetzen kann)
  • am Ende der Kraft ist und der Kollaps kurz bevorsteht (oder bereits passiert ist)
  • der Auslöser in realen, chronisch stressenden Lebensumständen liegt (keine sichere Unterkunft, Finanzlage, soziale Sicherheit, dauerhaft überfordernde Ansprüche)

Die Herausforderung in so einer Situation besteht also nicht nur darin, „richtig zu reagieren“, sondern auch noch darin, dass jedes Reagieren gleichzeitig richtig und gut – und belastend und triggernd (und dadurch schnell als „falsch und schlecht“ eingeordnet) sein kann. Oder dass der Auslöser etwas mit Umständen zu tun hat, die nicht „weggetröstet“ oder „wegentspannt“ werden können, sondern ganz konkrete Zusammenarbeit erfordert. Es also gar nicht um Miteinander, sondern um Füreinander geht.
„Besser helfen“ ist zu diesem Zeitpunkt ein unerreichbares Ziel.

*

Ich verstehe, dass Menschen, die auch ich in diesem Text als „Helfende“ benenne, in ihrem Handeln immer Hilfe verkörpert sehen – beziehungsweise den Auftrag haben, ihr Handeln immer nur im Zusammenhang mit Hilfe zu sehen. Niemand geht in eine Hilfeeinrichtung, um Blumenerde zu kaufen oder die Haare gemacht zu bekommen. Andererseits kann Blumenerde zu kaufen und das Haar gemacht zu haben eine große Hilfe sein. Was also Hilfe ist, ist nicht in jedem Fall davon definiert, was der Beruf oder das Berufsbild oder die Stellenausschreibung als solche vorsieht.
Deshalb gibt es ja so etwas wie den „klient_innenzentrierten Ansatz“.

Menschen mit DIS, also i. d. R. frühkindlich komplex traumatisierte Menschen, benötigen diesen Ansatz in jedem Kontext von Hilfe, Begleitung, Betreuung, Unterstützung, Assistenz insofern als dass ihre Fähig- und Fertigkeiten der Ausgangspunkt sein müssen.
Viele Menschen mit DIS haben ein enorm uneinheitliches und sich zuweilen auch (scheinbar) widersprechendes Fähig- und Fertigkeitenprofil. Die gleiche Person, die nach einer Meinungsverschiedenheit über Kaffee einen emotionalen Zusammenbruch erlebt, bei dem sie das Verhältnis aufkündigt, alle Absprachen fahren lässt und sich dann verletzt, weil sie sich fühlt, als hätte sie niemanden auf der Welt und ihr Leben so nicht aushalten kann – die gleiche Person kann keine 10 Minuten später zur Schule/Arbeit gehen und Leistung bringen. Kann andere Menschen versorgen. Kann der Mittelpunkt einer Party sein. Und beides ist gleichzeitig wahr.
Allerdings aufgrund unterschiedlicher Funktionsmodi.

Ein Konflikt mit anderen Menschen aktiviert das Bindungssystem. Schule oder Arbeit kann das Kampf- oder Fluchtsystem aktivieren. Dass die Person also auch direkt nach dem absoluten Crash zur Arbeit geht oder etwas tut, von dem sie unter anderen Umständen sagen würde, dass sie es nicht kann, bedeutet nicht, dass die Person „nicht weiß, was in ihr steckt“ oder lügt oder „es sich in der Krankenrolle bequem macht“. Sondern, dass sie es im mittleren Erregungslevel nicht kann – aber wenn sie bzw. ihr Körper sich in Lebensgefahr wähnt schon.
„Klient_innenzentriert“ zu begleiten würde in so einem Moment also bedeuten, dass man (gemeinsam) registriert, wahr.nimmt, sammelt (und in der Traumatherapie bespricht) wann ein_e Klient_in etwas „geschafft hat“ und in welchem Modus. So lassen sich wertvolle Informationen darüber generieren, was wie viel Kraft kostet. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Menschen, die sich in Lebensgefahr wähnen, weit über sich hinaus wachsen. Es kann aber eine wichtige Erkenntnis für ein Helfer_in-Klient_in-Team sein, wie viele Aktivitäten, die für die Mehrheit der Menschen zum normalen, mittelschweren Alltag gehören, von der_m Klient_in nur dann überhaupt möglich werden, wenn sie_r sich bedroht fühlt bzw. in einer Schutzreaktion steckt. Also im Überlebensmodus ist.

Meiner Erfahrung nach kommt man als Team kaum anders auch an den Punkt zu akzeptieren, dass Todesangst und Überlebenskampf auch in der Begleitung ohne Täter_innenkontakt und Gewalt oder chronisch traumatisierende Lebensumstände relevante Alltagsbestandteile sind.
Die_r Klient_in braucht diese Akzeptanz, um die eigene innere Mechanik begreifen zu können, um von einer Traumatherapie, wie sie in Deutschland überwiegend durchgeführt und kassenfinanziert wird, profitieren zu können.
Die_r Helfer_in braucht diese Akzeptanz, um sich selbst aus der Dynamik von Bindungstraumareaktion herausnehmen zu können und die gleichzeitige Wahrheit von (scheinbar) widersprüchlichen Verhaltensweisen annehmen zu können.

Die Zusammenarbeit muss also zu einem gewissen Maß immer darin bestehen, ein gemeinsames Wissen darüber zu haben, worauf – also auf welche Fähig- und Fertigkeiten – sich sowohl Klient_in als auch Helfer_in beziehen, wenn Handlungsvorschläge, Lösungsideen oder Anforderungen besprochen werden.

Wenn „Bindungsschrei-Loops“ etwas sind, das immer wieder passiert, es ist etwa eine Möglichkeit, die_n Klient_in in eine Umgebung zu bringen, in der immer „Schrei-Beantwortung“ gewährleistet ist. Zukunftsfähiger und Selbstbestimmung wahrend ist es jedoch, die_n Klient_in dazu zu befähigen, sich selbst zu regulieren und damit in die Lage zu versetzen, die Antworten, die auf „den ersten Pieps vor dem ausgewachsenen Schrei“ kommen, zu verstehen.
Das wiederum erfordert einen durch und durch stabilen Lebensraum. Immer vorhersehbare, nachvollziehbare Prozesse. Kenntnis und Sicherheit über alle Handlungsmöglichkeiten bei Abweichung. Klare Zuständigkeiten über Aufgaben, die mit der Sicherung und Gestaltung des Kontaktes und der Lebensumstände zu tun haben. Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme zu jedem Zeitpunkt.
Und das, während die Strukturen sind, wie sie sind: ein permanenter Trigger an Bindungstraumata, weil sie voller Bedingungen stecken, die nie sicher und für immer auch erfüllt werden können. Die Hilfe, die man also mal gewährt bekommt, bekommt man nie für immer.
Sie dennoch anzunehmen, sich einzulassen und auf ihre Wirkung zu vertrauen, ist ein unfassbar großer Ver/Zutrauensvorschuss. Den muss ein Mensch aufbringen, der unter Umständen nie zuvor im Leben die Erfahrung gemacht hat, dass so etwas überhaupt im Ansatz eine gute Idee sein könnte.
Auch dieser Umstand kann als empfindlicher Triggerpunkt während jedes einzelnen Kontaktes berührt werden. Egal, wie lange die Betreuung/Begleitung/Hilfe schon läuft. Egal, wie gut das Verhältnis ist. Egal, was für tolle, liebe, nette Menschen, die Helfenden sind. Und auch egal, wie gut die Hilfe prinzipiell ist. Hat sie Bedingungen, ist sie nicht zweifellos sicher.

„Besser helfen“ ist also auch unter den strukturellen Gegebenheiten nur mit einer Abwärtsbewertung erreichbar: Besser als nichts – was wiederum zu vielen weiteren ungünstigen Folgeannahmen und Haltungen führen kann.
Dabei ist das wichtigste doch das Helfen – die antragende, kompensierende Zuwendung zu anderen Menschen – das, worum es geht. Die Möglichkeit, die Realität, dass da eben nicht nichts und niemand ist.

Am Anfang jedes Lebens steht der Kontakt.
Dann kommt der Austausch.
Dann die Entwicklung.

Jeden einzelnen dieser Schritte muss man als Mensch im übertragenen Sinn kennen und können lernen. Bei Menschen, die sicher gebunden aufgewachsen sind, hat diese Phase früher und anders eingesetzt als bei Menschen, die ohne diese Sicherheit groß wurden – aber die Möglichkeit zum Kontakt besteht immer und bringt immer Potenzial mit sich, diesen Lernprozess durchzumachen.
Und das ist, was Hilfe generell wichtig und wertvoll macht.
Der Kontakt.

Miteinander probieren

Was ich immer gemacht habe, war zu zeichnen und zu schreiben. Alles andere habe ich irgendwann gelassen. Das Tanzen, die Sportgymnastik, Handball, Judo, Klavier spielen, Gitarre spielen, Singen, Logikrätsel. Alles hatte für mich entweder Kindheitsschleim oder Psychiatriemodder an sich. Traumaschlonz gewissermaßen.
Es hat keinen Spaß mehr gemacht, als es mir helfen sollte, mich zu regulieren, auszudrücken oder darzustellen. Dann war es eine Aufgabe. Arbeit. Wurde zu etwas, das mich mit Anteilen verbinden sollte, deren Wahrnehmung mich überfordert hat.
In der Folge habe ich diese Dinge vermieden.

Ich wollte nichts mehr riskieren, was andere Innens nach vorn bringen würde und auch gar nicht mehr wenigstens mal versuchen, wie es sich außerhalb von therapeutischem Nutzdruck anfühlen würde. Für mich war alles, was ich tat, mit Therapie verbunden. Für mich habe ich einfach nichts mehr gemacht. Außer das Schreiben hier im Blog und das Zeichnen an meinem Schreibtisch. Aber nicht bewusst. Zum Glück. Das ist nach wie vor meine Verbindung zu den anderen, der einzige Handlungsraum, in dem ich mich sicher fühle.

Die inneren Jugendlichen schreiben nicht. Aber sie kennen viele Wortbilder und nutzen sie auch. Das ist für mich eine gute Verbindung. Wenn ich sie wahrnehme, kann ich mir das aufschreiben und muss meinen sicheren Modus nicht verlassen, um mich tiefer damit zu befassen.
So kommt es, dass ich weiter relativ gut dranbleiben kann, wenn sie mit der Therapeutin sprechen oder die Therapeutin sie einbezieht. Ich kann meine Ängste gut damit beruhigen, dass ich alles aufschreiben kann und nichts sofort verstehen, bearbeiten oder beurteilen muss.
Das funktioniert gut. So gut, dass ich sie inzwischen auch außerhalb des Therapiekontextes wahrnehmen und aushalten kann. Zumindest, wenn es um Dinge geht, die nichts mit Gewalterfahrungen zu tun haben.

Was sich nach Sookies Tod besonders deutlich zeigt, ist, dass Einsamkeit ein massiv großes Thema bei ihnen ist. Und zwar ganz klar nicht meine Art von intellektueller Einsamkeit, sondern soziale Einsamkeit, die dadurch entsteht, dass niemand auf sie zukommt, um gleichzeitig zu sein.
Durch unseren Kontakt spüre ich das sehr deutlich.
Sie wollen Freund*innen haben, wollen Dinge mit anderen erleben, wollen dazugehören.

Alles Dinge, bei denen ich echt nicht zu gebrauchen bin und die sie auch nie wirklich erfolgreich haben umsetzen können. Sie leiden mehr oder (vielleicht richtiger) anders als ich darunter. Ich kann ins Internet gehen und mit Leuten schreiben, die mir gewachsen sind – was sie sich wünschen, geht nur analog. Wo die sensorische Überreizung ist, wo soziale Normen zu navigieren sind, wo man sich aufraffen und aktiv handeln muss, wo man generell eine ziemlich genaue Idee davon haben muss, was man wann und wie machen muss/kann/darf/soll.

Naja.
Wir haben uns entschieden, es nochmal mit dem Handballspielen zu versuchen.
Und es hat geklappt.
Und es war toll.

Ich hätte mich zwar gerne nicht mit „Hallo seid ihr die Handballmenschen – ich will mitmachen“ vorgestellt und auch die Erkenntnis, dass sich so überhaupt kein Wumms mehr hinter meinen Würfen befindet, hätte ich mir gern erspart, aber … Naja, vielleicht ist das ein bisschen der Preis von innerem und äußerem Miteinander.

Grenzen, Limits, Möglichkeiten

Was ich vergessen hatte, war, dass unser Zug in unserer Herkunftsstadt halten würde.
Und dass sich mit dem Öffnen der Waggontüren die Zeit zurückdrehen würde. Dass alles sein würde wie vorher, als wäre das wie Normalität nun einmal funktioniert. You never know anything. Alles ist immer möglich.

Zum Glück.
Es war möglich, stützenden Kontakt zu anderen Menschen herzustellen. Veränderungen zu suchen und zu finden. Angst zu fühlen. Traurigkeit zu fühlen. Fremdheit zu fühlen. Vermissen zu fühlen. Verrat wahrzunehmen. Und weiterhin einen festen Stand in mir selbst zu haben. Zu sein und zu bleiben und zu werden, wie ich sein will. Belastbar. Konfrontierbar. Berührbar. Kontaktierbar.

20 Jahre später ergibt diese komische Therapie-Übung mit den Seilen, die man vor sich auf den Boden legen sollte, Sinn. Endlich kapiere ich: Das ist gemeint – Die Möglichkeit, dass da nicht nur die Dinge möglich sind, die ich so gut kenne, dass ich sie in aller Gründlichkeit fürchten und vermeiden kann, sondern auch Dinge, die ich noch gar nicht oder nur vage kenne. Und dass es etwas gibt, das ziemlich genau und deutlich aufzeigt, wo das eine anfängt und das andere aufhört: Grenzen.
Und nicht: Limits.

Ich weiß, dass viele Menschen diese Worte synonym verwenden, doch please hold the line – Ich habe einen Punkt. Einen wichtigen.
Denn für viele komplex traumatisierte Menschen gibt es so etwas wie Grenzen des Möglichen nicht – es gibt viel mehr points of no return. Eskalationsstufen, die mit Bewusstlosigkeit enden. Mit Dissoziation, mit Betäubung, mit Meltdown, Shutdown, Überdosis, Suizidversuch, reale Todesnähe.
Die Grenze, die Menschen in chronisch toxischem Stress permanent (zu) managen (glauben) ist die zwischen Leben und Tod. Und das ist ein Limit. Da geht es um ein Kontingent, das irgendwann einfach aufgebraucht ist. Nicht um Möglichkeiten.

Dieser Umstand ist es, der Helfenden, Begleitenden und manchmal auch Behandelnden schwer einsichtig ist. Vor allem, wenn die Gewalt, die Traumatisierung, das traumatisierende Umfeld nicht mehr besteht. Und wenn da doch Anteile sind, die den blauen Himmel und die bunten Schmetterlinge so toll finden können. Und eh viel tolle Alltagsstabilität da ist und tralla la.

Gerade Alltagsstabilität ist für viele Viele so lange ein Thema von Limits, weil sie nicht mit Grenzen aufgewachsen sind. Man kann nur sehen, was man kennt und auch Vorstellungen nur von dem entwickeln, was man schon einmal erfahren hat.
Deshalb war diese Übung damals vor 20 Jahren für mich auch ziemlicher Käse. Wie um alles in der Welt hätte ich diesen doppelten Geistes-Rittberger hinkriegen sollen? Erstmal die Abstraktion vom Seil auf dem Boden vor meinen Füßen hin zu dem, was berührt wird, wenn mir was im Leben passiert und von mir eingeordnet werden muss. Was ich damals ja kaum mitgekriegt habe. Und als ich es mitgekriegt habe, nicht einordnen konnte, weil meine Affektverarbeitung gestört ist und ich außer den Grundemotionen keins meiner Gefühle ohne aktives Nachdenken einordnen kann.

Und – nichts, kein einziger Aspekt in meinem damaligen Leben hatte nichts mit Limits zu tun. Ich hatte menschlichen Kontakt nach Stundenlimit – Therapie, Betreuung, Lehrplanzeiten. Meine Unterkunft, meine allgemeine Versorgung, meine körperliche Integrität – alles hing davon ab, wie weit ich meine Limits ausstreichen konnte. Es musste immer genug sein, um allen, die (ihre Arbeitskraft und -zeit) in mich investiert haben, mit Erfolgen bei der Stange zu halten, weil es so schwer, so herausfordernd war, mit mir klarzukommen. Und gleichzeitig genug, um jenen, die mir diese Räume zu nutzen gewährt haben, den grenzenlosen Zugriff auf meinen Körper und meinen Geist zu überlassen.

Also. Ja.
Wie hätte ich das früher verstehen können. Gar nicht.
Vielleicht war selbst dieser Moment im Zug ein Glückstreffer?
Oder ein erster Treffer? Wie Babys erster Schritt nach viel Hochziehen und Umfallen, komisch Weitermurksen und Wackeln und plötzlich, endlich, haben sich die neuronalen Netzwerke passend gekabelt und es klappt immer wieder?
Oder hab ichs schon ganz lange und es ist mir jetzt endlich auch selbst mal aufgefallen?

Alles ist immer möglich.

Viele Leben, Ausgabe 4: „nonbinär Viele“

„Was auch immer ist, wir kommen klar“

Jirka sind nonbinär und verorten sich als trans.
Wir sprachen miteinander über das Doppelleben auf Dokumenten, in Behandlungskontexten und der Umkleide – und darüber, was das für ihr Leben bedeutet.

Hier anhören: https://vielesein.de/ausgabe-4-nonbinaer-viele

Kapitel

00:00:00 Intromusik und Einleitung
00:01:20 Intromusikende, Jirka stellt sich vor
00:02:21 die offiziellen Dokumente
00:07:02 Wie zeigt sich eure Nichtbinärität in eurem täglichen Handeln?
00:10:45 Habt ihr die Entscheidung, euch nicht mehr zu verstecken, gemeinsam getroffen?
00: 15:09 die transfeindliche Erzählung von Genderdysphorie als Symptom nach sexualisierter Gewalt
00:18:29 Was bedeutet es für eure Versorgung, dass sich so wenige Behandler*innen sowohl mit DIS als auch Trans-Themen auskennen?
00: 29:30 Wie war das, als ihr die Mastektomie habt vornehmen lassen?
00:39:44 Wie ist eure Prognose?
00:53:03 das Passing
00:57:03 die Habachtstellung, die immer nötig ist
00:59:31 Outromusik und Ausleitung

Transkript

Hier als PDF herunterladen.

Shownotes

Cis, trans, Passing … in dieser Episode auf Begriffe gestoßen, die unbekannt sind?
Hier kannst du erfahren, was sie bedeuten: Nichtbinär-Wiki

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