die to-not-do Liste

Ende Mai erlebte ich einen Meltdown in einer Fahrschulstunde und schrieb hier darüber.
Wenige Tage später ist Sookie gestorben. Die Prüfung hatte ich nicht bestanden.
Die zweite, wenige Wochen später, ebenfalls nicht.

Mein Problem: Angst.
Nicht vor dem Autofahren. Nicht vor dem Verkehr.
Vor Missverständnissen. Unverständnis. Druck. Unzutreffenden Motivationsphrasen. Beobachtet werden. Fehlannahmen über meine Fähig- und Fertigkeiten. Meine Ortskenntnisse. Meine Kraftreserven.

Und: Der Umstand, dass meine Angst bereits umfassend bestätigt wurde. Sowohl im kleinen Dauerelend, das meine Interaktion mit anderen Menschen ist, als auch im großen Horror des Meltdowns.

In zwei Wochen habe ich wieder Fahrstunden. Weil ich darum gebeten habe.
Ich will das weghaben. Es gibt gerade zu viele Bereiche in meinem Alltag, die mit Angst zu tun haben. Ich will Siege. Heroische Momente von Überlegenheit über die Angst.
Und jetzt sitze ich doch hier und habe

Angst.

So richtig mit Schwitzen, Durchfall und Puls im Hals. Einfach nur, weil ich jetzt Termine habe und entsprechend auch wirklich was damit machen muss.
Es ist nichts passiert. Außer eine reale Möglichkeit.

Ich weiß, dass das der Punkt ist, an dem ich üblicherweise Vermeidungsverhalten anbahne. Deshalb schreibe ich das hier auf. Sehr wahrscheinlich will ich mega mega busy sein in den nächsten zwei Wochen. Ich hab ja immer so wahnsinnig viel zu tun. Dies und das und ja, ich bin ja immer so wichtig für alles Mögliche, das natürlich auch immer des Todes unverschiebbar ist.
Aber vielleicht auch mal nicht?

Ich werde eine to-not-do Liste schreiben.
Alles, was ich machen will, um mich zu betäuben, schreibe ich auf.
Vielleicht teile ich sie hier.

„besser helfen“

Schnell zur Bewertung einer Situation zu kommen, ist überlebenswichtig. Niemand überlebt akute Bedrohungslagen durch Tiefenanalyse. Doch abstrakte Themen wie Helfen, Fürsorge, Miteinander sein können nur außerhalb von akuter Bedrohungslage konstruktiv bewegt werden.
Das ist Trauma 101: Wenn was brennt, trinken wir keinen Tee, sondern schütten ihn auf die Flammen. – Wenn der Brand gelöscht ist, trinken wir erstmal was, um uns zu erholen.
Wenn eins von beidem nicht oder nicht vollständig möglich ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung, weil der natürliche Mechanismus der Stressreaktion bzw. -verarbeitung gestört wurde.

In der Interaktion zwischen Helfenden und (in der Kindheit) komplex traumatisierten Menschen entstehen manchmal reaktive Dynamiken.
Da ist die eine Seite mit komplex traumatisierten Menschen, die nach Triggern, die so unbewusst und subtil sind, dass sie überhaupt nicht eingeordnet werden können, in einem Bindungsschrei feststecken. Sie rufen nach Hilfe, setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um nicht allein zu sein. Sie fordern und wollen, wünschen und bitten. Sind bereit, einfach alles zu tun, um ihr Leben zu retten – denn so fühlt es sich an. Als ob ihr Leben in akuter Gefahr ist.

Und da ist die andere Seite mit Helfenden, die über die Dauer dieses „Geschreis“ verzweifeln, weil sie einfach weder die Ursache finden noch beheben können; weil nichts von dem, was sie machen, keine Ressource, die sie aufbringen, zu helfen scheint und die Belastung kein absehbares Ende hat. Und: Weil sich zu erholen nach 8-Stunden-Schicht mit unvorhersehbar nötiger Überstundenzahl und eigenen Alltagsthemen praktisch unmöglich ist. Diese Leute kommen Tag für Tag/Termin für Termin mit einer leeren Teetasse in ein brennendes Haus.
So stellt es sich jedenfalls dar.

Solche Konstellationen führen zu den Dynamiken von Helfergewalt, über die ich hier bereits oft geschrieben und in Workshops und Vorträgen gesprochen habe.
Für beide Seiten geht es um alles oder nichts – beide Seiten werden so aktiviert, dass sie schnelle Bewertungen vornehmen, um handlungsfähig zu bleiben oder wenigstens die Illusion/das Gefühl davon aufbauen zu können.

Helfende, die sich in so einem Moment fragen „Wie kann ich besser helfen?“ haben oft noch nicht realisiert, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit leider noch gar nicht helfen.
Weil sie noch gar nicht helfen können.
Die Grundlage für Hilfe in so einer Situation ist die Fähigkeit zu erkennen, dass weder das Haus brennt noch die_r Klient_in in akuter Lebensgefahr ist. Und jede Möglichkeit nutzen und anwenden zu können, um Erholungsphasen traumabewusst anzubahnen, zu begleiten und abzusichern und zu integrieren. Sowohl für sich selbst als auch die_n Klient_in.

Klient_innen im „Bindungsschrei-Loop“ bewerten ihre Situation traumalogisch.
„Niemand ist für mich da/Ich bin allein“, „Ich kann nichts machen“, „Nichts hilft“, „Es wird nie enden“ ⇾ „Und deshalb werde ich sterben.“ Der Trigger ist in ihrem Bewertungsprozess gewissermaßen eingebaut. Der erste Auslöser hatte vielleicht noch etwas mit der Beziehung zu den Helfer_innen zu tun oder mit einem äußeren Umstand. Doch nach einer Weile wird der Einordnungsversuch zum Trigger-Perpetuum-Mobile, weil jeder Gedankengang mit der Bewertung der Lage als akut bedrohlich endet und entsprechend traumareaktives Wahr.nehmen, Denken und Handeln aktiviert.

Kommt man als helfende Person nun dazu und sagt: „Hey, du siehst das alles ganz falsch …“ fügt man eventuell das nächste triggernde Element hinzu: Das Absprechen der eigenen Wahrnehmung/ Verunsicherung durch Umdeutung von Außen
Und die nächste Runde geht los bei der_m Klient_in – und damit auch für die helfende Person, wenn die komplex traumatisierte Person etwa noch selbst- und/oder fremdschädigende Bewältigungsstrategien hat.
Helfer_innen, die ihren Auftrag gegenüber komplex traumatisierten Menschen vordergründig darin sehen, sie von der Wunderbarkeit des Lebens, ihrer Person oder anderen Dingen zu überzeugen, können so jahrelang anhaltende Loops mit ihren Klient*innen erzeugen, ohne jemals geholfen zu haben. Obwohl sie immer da waren. Immer alles gegeben haben. Immer alles möglich gemacht haben.

Traumalogik ist brutal.
Aus meiner Innensicht als komplex traumatisierte Person beschreibe ich sie als genauso tief und umfassend beruhigend wie ängstigend. Es gibt kaum eine andere Keule, die mich so weit aus mir raus wie in mich hinein schlagen kann. Bin ich darin aktiviert, ist es bis heute mit gezielter Anstrengung verbunden, sie zu reflektieren, zu prüfen, zu hinterfragen, abzugleichen.
Nun ist es mit Traumalogik aber nicht so wie mit Alltagslogiken, die sich aus vielen kleinen Aspekten und Wahrscheinlichkeiten entlang sozialer Bedingungen, Tageszeiten, Zustandsoptionen einzelner Elemente zusammensetzen und mehr oder weniger orchestral funktionieren.
Traumalogik ist 1 oder 0 und egal welche Seite man wählt, wird die gesamte Selbst- und Umweltwahrnehmung verzerrt zu dem, was man als in der Kindheit komplex traumatisierter Mensch am sichersten und einfachsten einordnen kann: eine potenziell lebensbedrohliche Umgebung
Eine Umgebung, in der man sich auf nichts und niemanden verlassen kann. Eine Umgebung, in der nichts ist, wie es scheint. Eine Umgebung, in der man um jeden Preis (wenigstens das Gefühl von) Handlungsfähigkeit aufrechterhalten muss.

Und das alles, ohne dass man sich dessen selbst bewusst sein kann. Denn das bereits in der Kindheit komplex traumatisierte Gehirn hat dafür Strukturen angelegt, als es noch keine oder nur wenig ausentwickelte Einordnungsfähig- und -fertigkeiten gab.
„Am Anfang war das Wort“ trifft für diese Personengruppe also nicht zu. Sprechen ist Miteinander. Bewertung (1 oder 0) ist überleben. Überleben ist Leben. Leben gewinnt immer.

Etwas von so umfassender Relevanz wie Traumalogik ist extrem energieaufwändig.
Diese Energie wird an anderen Stellen eingespart.  Der Selbstfürsorge-Skill kann komplett abgeschnitten sein. Funktionen, über die man im Alltag nicht nachdenken muss, werden plötzlich unmöglich. Der Miteinander-Modus kann massiv zusammenschrumpfen. Zum Beispiel auf den Bindungsschrei.
An dem Punkt ist es unerlässlich als helfende Person zu begreifen, dass die_r Klient_in gewissermaßen durchgehend und mit aller Kraft sendet – ohne die Antworten vollständig und richtig empfangen und einordnen zu können. Das hat nichts mit der Beziehungsqualität zu tun, nichts mit dem Vertrauen und nichts mit der emotionalen Bewertung der Person.

Es kann etwas damit zu tun haben, dass die_r Klient_in:

  • eventuell noch nicht weiß, wie das ist, wenn jemand (angemessen) auf den Bindungsschrei antwortet und wiederum mit Angst reagiert bzw. getriggert wird von der Antwort
  • eventuell noch nicht geübt darin ist, sozial angemessen auf Reaktionen von außen hin zu handeln
  • eventuell eine ganz spezifische Antwort erwartet (und davon abweichende Antworten nicht übersetzen kann)
  • am Ende der Kraft ist und der Kollaps kurz bevorsteht (oder bereits passiert ist)
  • der Auslöser in realen, chronisch stressenden Lebensumständen liegt (keine sichere Unterkunft, Finanzlage, soziale Sicherheit, dauerhaft überfordernde Ansprüche)

Die Herausforderung in so einer Situation besteht also nicht nur darin, „richtig zu reagieren“, sondern auch noch darin, dass jedes Reagieren gleichzeitig richtig und gut – und belastend und triggernd (und dadurch schnell als „falsch und schlecht“ eingeordnet) sein kann. Oder dass der Auslöser etwas mit Umständen zu tun hat, die nicht „weggetröstet“ oder „wegentspannt“ werden können, sondern ganz konkrete Zusammenarbeit erfordert. Es also gar nicht um Miteinander, sondern um Füreinander geht.
„Besser helfen“ ist zu diesem Zeitpunkt ein unerreichbares Ziel.

*

Ich verstehe, dass Menschen, die auch ich in diesem Text als „Helfende“ benenne, in ihrem Handeln immer Hilfe verkörpert sehen – beziehungsweise den Auftrag haben, ihr Handeln immer nur im Zusammenhang mit Hilfe zu sehen. Niemand geht in eine Hilfeeinrichtung, um Blumenerde zu kaufen oder die Haare gemacht zu bekommen. Andererseits kann Blumenerde zu kaufen und das Haar gemacht zu haben eine große Hilfe sein. Was also Hilfe ist, ist nicht in jedem Fall davon definiert, was der Beruf oder das Berufsbild oder die Stellenausschreibung als solche vorsieht.
Deshalb gibt es ja so etwas wie den „klient_innenzentrierten Ansatz“.

Menschen mit DIS, also i. d. R. frühkindlich komplex traumatisierte Menschen, benötigen diesen Ansatz in jedem Kontext von Hilfe, Begleitung, Betreuung, Unterstützung, Assistenz insofern als dass ihre Fähig- und Fertigkeiten der Ausgangspunkt sein müssen.
Viele Menschen mit DIS haben ein enorm uneinheitliches und sich zuweilen auch (scheinbar) widersprechendes Fähig- und Fertigkeitenprofil. Die gleiche Person, die nach einer Meinungsverschiedenheit über Kaffee einen emotionalen Zusammenbruch erlebt, bei dem sie das Verhältnis aufkündigt, alle Absprachen fahren lässt und sich dann verletzt, weil sie sich fühlt, als hätte sie niemanden auf der Welt und ihr Leben so nicht aushalten kann – die gleiche Person kann keine 10 Minuten später zur Schule/Arbeit gehen und Leistung bringen. Kann andere Menschen versorgen. Kann der Mittelpunkt einer Party sein. Und beides ist gleichzeitig wahr.
Allerdings aufgrund unterschiedlicher Funktionsmodi.

Ein Konflikt mit anderen Menschen aktiviert das Bindungssystem. Schule oder Arbeit kann das Kampf- oder Fluchtsystem aktivieren. Dass die Person also auch direkt nach dem absoluten Crash zur Arbeit geht oder etwas tut, von dem sie unter anderen Umständen sagen würde, dass sie es nicht kann, bedeutet nicht, dass die Person „nicht weiß, was in ihr steckt“ oder lügt oder „es sich in der Krankenrolle bequem macht“. Sondern, dass sie es im mittleren Erregungslevel nicht kann – aber wenn sie bzw. ihr Körper sich in Lebensgefahr wähnt schon.
„Klient_innenzentriert“ zu begleiten würde in so einem Moment also bedeuten, dass man (gemeinsam) registriert, wahr.nimmt, sammelt (und in der Traumatherapie bespricht) wann ein_e Klient_in etwas „geschafft hat“ und in welchem Modus. So lassen sich wertvolle Informationen darüber generieren, was wie viel Kraft kostet. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Menschen, die sich in Lebensgefahr wähnen, weit über sich hinaus wachsen. Es kann aber eine wichtige Erkenntnis für ein Helfer_in-Klient_in-Team sein, wie viele Aktivitäten, die für die Mehrheit der Menschen zum normalen, mittelschweren Alltag gehören, von der_m Klient_in nur dann überhaupt möglich werden, wenn sie_r sich bedroht fühlt bzw. in einer Schutzreaktion steckt. Also im Überlebensmodus ist.

Meiner Erfahrung nach kommt man als Team kaum anders auch an den Punkt zu akzeptieren, dass Todesangst und Überlebenskampf auch in der Begleitung ohne Täter_innenkontakt und Gewalt oder chronisch traumatisierende Lebensumstände relevante Alltagsbestandteile sind.
Die_r Klient_in braucht diese Akzeptanz, um die eigene innere Mechanik begreifen zu können, um von einer Traumatherapie, wie sie in Deutschland überwiegend durchgeführt und kassenfinanziert wird, profitieren zu können.
Die_r Helfer_in braucht diese Akzeptanz, um sich selbst aus der Dynamik von Bindungstraumareaktion herausnehmen zu können und die gleichzeitige Wahrheit von (scheinbar) widersprüchlichen Verhaltensweisen annehmen zu können.

Die Zusammenarbeit muss also zu einem gewissen Maß immer darin bestehen, ein gemeinsames Wissen darüber zu haben, worauf – also auf welche Fähig- und Fertigkeiten – sich sowohl Klient_in als auch Helfer_in beziehen, wenn Handlungsvorschläge, Lösungsideen oder Anforderungen besprochen werden.

Wenn „Bindungsschrei-Loops“ etwas sind, das immer wieder passiert, es ist etwa eine Möglichkeit, die_n Klient_in in eine Umgebung zu bringen, in der immer „Schrei-Beantwortung“ gewährleistet ist. Zukunftsfähiger und Selbstbestimmung wahrend ist es jedoch, die_n Klient_in dazu zu befähigen, sich selbst zu regulieren und damit in die Lage zu versetzen, die Antworten, die auf „den ersten Pieps vor dem ausgewachsenen Schrei“ kommen, zu verstehen.
Das wiederum erfordert einen durch und durch stabilen Lebensraum. Immer vorhersehbare, nachvollziehbare Prozesse. Kenntnis und Sicherheit über alle Handlungsmöglichkeiten bei Abweichung. Klare Zuständigkeiten über Aufgaben, die mit der Sicherung und Gestaltung des Kontaktes und der Lebensumstände zu tun haben. Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme zu jedem Zeitpunkt.
Und das, während die Strukturen sind, wie sie sind: ein permanenter Trigger an Bindungstraumata, weil sie voller Bedingungen stecken, die nie sicher und für immer auch erfüllt werden können. Die Hilfe, die man also mal gewährt bekommt, bekommt man nie für immer.
Sie dennoch anzunehmen, sich einzulassen und auf ihre Wirkung zu vertrauen, ist ein unfassbar großer Ver/Zutrauensvorschuss. Den muss ein Mensch aufbringen, der unter Umständen nie zuvor im Leben die Erfahrung gemacht hat, dass so etwas überhaupt im Ansatz eine gute Idee sein könnte.
Auch dieser Umstand kann als empfindlicher Triggerpunkt während jedes einzelnen Kontaktes berührt werden. Egal, wie lange die Betreuung/Begleitung/Hilfe schon läuft. Egal, wie gut das Verhältnis ist. Egal, was für tolle, liebe, nette Menschen, die Helfenden sind. Und auch egal, wie gut die Hilfe prinzipiell ist. Hat sie Bedingungen, ist sie nicht zweifellos sicher.

„Besser helfen“ ist also auch unter den strukturellen Gegebenheiten nur mit einer Abwärtsbewertung erreichbar: Besser als nichts – was wiederum zu vielen weiteren ungünstigen Folgeannahmen und Haltungen führen kann.
Dabei ist das wichtigste doch das Helfen – die antragende, kompensierende Zuwendung zu anderen Menschen – das, worum es geht. Die Möglichkeit, die Realität, dass da eben nicht nichts und niemand ist.

Am Anfang jedes Lebens steht der Kontakt.
Dann kommt der Austausch.
Dann die Entwicklung.

Jeden einzelnen dieser Schritte muss man als Mensch im übertragenen Sinn kennen und können lernen. Bei Menschen, die sicher gebunden aufgewachsen sind, hat diese Phase früher und anders eingesetzt als bei Menschen, die ohne diese Sicherheit groß wurden – aber die Möglichkeit zum Kontakt besteht immer und bringt immer Potenzial mit sich, diesen Lernprozess durchzumachen.
Und das ist, was Hilfe generell wichtig und wertvoll macht.
Der Kontakt.

Miteinander probieren

Was ich immer gemacht habe, war zu zeichnen und zu schreiben. Alles andere habe ich irgendwann gelassen. Das Tanzen, die Sportgymnastik, Handball, Judo, Klavier spielen, Gitarre spielen, Singen, Logikrätsel. Alles hatte für mich entweder Kindheitsschleim oder Psychiatriemodder an sich. Traumaschlonz gewissermaßen.
Es hat keinen Spaß mehr gemacht, als es mir helfen sollte, mich zu regulieren, auszudrücken oder darzustellen. Dann war es eine Aufgabe. Arbeit. Wurde zu etwas, das mich mit Anteilen verbinden sollte, deren Wahrnehmung mich überfordert hat.
In der Folge habe ich diese Dinge vermieden.

Ich wollte nichts mehr riskieren, was andere Innens nach vorn bringen würde und auch gar nicht mehr wenigstens mal versuchen, wie es sich außerhalb von therapeutischem Nutzdruck anfühlen würde. Für mich war alles, was ich tat, mit Therapie verbunden. Für mich habe ich einfach nichts mehr gemacht. Außer das Schreiben hier im Blog und das Zeichnen an meinem Schreibtisch. Aber nicht bewusst. Zum Glück. Das ist nach wie vor meine Verbindung zu den anderen, der einzige Handlungsraum, in dem ich mich sicher fühle.

Die inneren Jugendlichen schreiben nicht. Aber sie kennen viele Wortbilder und nutzen sie auch. Das ist für mich eine gute Verbindung. Wenn ich sie wahrnehme, kann ich mir das aufschreiben und muss meinen sicheren Modus nicht verlassen, um mich tiefer damit zu befassen.
So kommt es, dass ich weiter relativ gut dranbleiben kann, wenn sie mit der Therapeutin sprechen oder die Therapeutin sie einbezieht. Ich kann meine Ängste gut damit beruhigen, dass ich alles aufschreiben kann und nichts sofort verstehen, bearbeiten oder beurteilen muss.
Das funktioniert gut. So gut, dass ich sie inzwischen auch außerhalb des Therapiekontextes wahrnehmen und aushalten kann. Zumindest, wenn es um Dinge geht, die nichts mit Gewalterfahrungen zu tun haben.

Was sich nach Sookies Tod besonders deutlich zeigt, ist, dass Einsamkeit ein massiv großes Thema bei ihnen ist. Und zwar ganz klar nicht meine Art von intellektueller Einsamkeit, sondern soziale Einsamkeit, die dadurch entsteht, dass niemand auf sie zukommt, um gleichzeitig zu sein.
Durch unseren Kontakt spüre ich das sehr deutlich.
Sie wollen Freund*innen haben, wollen Dinge mit anderen erleben, wollen dazugehören.

Alles Dinge, bei denen ich echt nicht zu gebrauchen bin und die sie auch nie wirklich erfolgreich haben umsetzen können. Sie leiden mehr oder (vielleicht richtiger) anders als ich darunter. Ich kann ins Internet gehen und mit Leuten schreiben, die mir gewachsen sind – was sie sich wünschen, geht nur analog. Wo die sensorische Überreizung ist, wo soziale Normen zu navigieren sind, wo man sich aufraffen und aktiv handeln muss, wo man generell eine ziemlich genaue Idee davon haben muss, was man wann und wie machen muss/kann/darf/soll.

Naja.
Wir haben uns entschieden, es nochmal mit dem Handballspielen zu versuchen.
Und es hat geklappt.
Und es war toll.

Ich hätte mich zwar gerne nicht mit „Hallo seid ihr die Handballmenschen – ich will mitmachen“ vorgestellt und auch die Erkenntnis, dass sich so überhaupt kein Wumms mehr hinter meinen Würfen befindet, hätte ich mir gern erspart, aber … Naja, vielleicht ist das ein bisschen der Preis von innerem und äußerem Miteinander.

Grenzen, Limits, Möglichkeiten

Was ich vergessen hatte, war, dass unser Zug in unserer Herkunftsstadt halten würde.
Und dass sich mit dem Öffnen der Waggontüren die Zeit zurückdrehen würde. Dass alles sein würde wie vorher, als wäre das wie Normalität nun einmal funktioniert. You never know anything. Alles ist immer möglich.

Zum Glück.
Es war möglich, stützenden Kontakt zu anderen Menschen herzustellen. Veränderungen zu suchen und zu finden. Angst zu fühlen. Traurigkeit zu fühlen. Fremdheit zu fühlen. Vermissen zu fühlen. Verrat wahrzunehmen. Und weiterhin einen festen Stand in mir selbst zu haben. Zu sein und zu bleiben und zu werden, wie ich sein will. Belastbar. Konfrontierbar. Berührbar. Kontaktierbar.

20 Jahre später ergibt diese komische Therapie-Übung mit den Seilen, die man vor sich auf den Boden legen sollte, Sinn. Endlich kapiere ich: Das ist gemeint – Die Möglichkeit, dass da nicht nur die Dinge möglich sind, die ich so gut kenne, dass ich sie in aller Gründlichkeit fürchten und vermeiden kann, sondern auch Dinge, die ich noch gar nicht oder nur vage kenne. Und dass es etwas gibt, das ziemlich genau und deutlich aufzeigt, wo das eine anfängt und das andere aufhört: Grenzen.
Und nicht: Limits.

Ich weiß, dass viele Menschen diese Worte synonym verwenden, doch please hold the line – Ich habe einen Punkt. Einen wichtigen.
Denn für viele komplex traumatisierte Menschen gibt es so etwas wie Grenzen des Möglichen nicht – es gibt viel mehr points of no return. Eskalationsstufen, die mit Bewusstlosigkeit enden. Mit Dissoziation, mit Betäubung, mit Meltdown, Shutdown, Überdosis, Suizidversuch, reale Todesnähe.
Die Grenze, die Menschen in chronisch toxischem Stress permanent (zu) managen (glauben) ist die zwischen Leben und Tod. Und das ist ein Limit. Da geht es um ein Kontingent, das irgendwann einfach aufgebraucht ist. Nicht um Möglichkeiten.

Dieser Umstand ist es, der Helfenden, Begleitenden und manchmal auch Behandelnden schwer einsichtig ist. Vor allem, wenn die Gewalt, die Traumatisierung, das traumatisierende Umfeld nicht mehr besteht. Und wenn da doch Anteile sind, die den blauen Himmel und die bunten Schmetterlinge so toll finden können. Und eh viel tolle Alltagsstabilität da ist und tralla la.

Gerade Alltagsstabilität ist für viele Viele so lange ein Thema von Limits, weil sie nicht mit Grenzen aufgewachsen sind. Man kann nur sehen, was man kennt und auch Vorstellungen nur von dem entwickeln, was man schon einmal erfahren hat.
Deshalb war diese Übung damals vor 20 Jahren für mich auch ziemlicher Käse. Wie um alles in der Welt hätte ich diesen doppelten Geistes-Rittberger hinkriegen sollen? Erstmal die Abstraktion vom Seil auf dem Boden vor meinen Füßen hin zu dem, was berührt wird, wenn mir was im Leben passiert und von mir eingeordnet werden muss. Was ich damals ja kaum mitgekriegt habe. Und als ich es mitgekriegt habe, nicht einordnen konnte, weil meine Affektverarbeitung gestört ist und ich außer den Grundemotionen keins meiner Gefühle ohne aktives Nachdenken einordnen kann.

Und – nichts, kein einziger Aspekt in meinem damaligen Leben hatte nichts mit Limits zu tun. Ich hatte menschlichen Kontakt nach Stundenlimit – Therapie, Betreuung, Lehrplanzeiten. Meine Unterkunft, meine allgemeine Versorgung, meine körperliche Integrität – alles hing davon ab, wie weit ich meine Limits ausstreichen konnte. Es musste immer genug sein, um allen, die (ihre Arbeitskraft und -zeit) in mich investiert haben, mit Erfolgen bei der Stange zu halten, weil es so schwer, so herausfordernd war, mit mir klarzukommen. Und gleichzeitig genug, um jenen, die mir diese Räume zu nutzen gewährt haben, den grenzenlosen Zugriff auf meinen Körper und meinen Geist zu überlassen.

Also. Ja.
Wie hätte ich das früher verstehen können. Gar nicht.
Vielleicht war selbst dieser Moment im Zug ein Glückstreffer?
Oder ein erster Treffer? Wie Babys erster Schritt nach viel Hochziehen und Umfallen, komisch Weitermurksen und Wackeln und plötzlich, endlich, haben sich die neuronalen Netzwerke passend gekabelt und es klappt immer wieder?
Oder hab ichs schon ganz lange und es ist mir jetzt endlich auch selbst mal aufgefallen?

Alles ist immer möglich.

Viele Leben, Ausgabe 4: „nonbinär Viele“

„Was auch immer ist, wir kommen klar“

Jirka sind nonbinär und verorten sich als trans.
Wir sprachen miteinander über das Doppelleben auf Dokumenten, in Behandlungskontexten und der Umkleide – und darüber, was das für ihr Leben bedeutet.

Hier anhören: https://vielesein.de/ausgabe-4-nonbinaer-viele

Kapitel

00:00:00 Intromusik und Einleitung
00:01:20 Intromusikende, Jirka stellt sich vor
00:02:21 die offiziellen Dokumente
00:07:02 Wie zeigt sich eure Nichtbinärität in eurem täglichen Handeln?
00:10:45 Habt ihr die Entscheidung, euch nicht mehr zu verstecken, gemeinsam getroffen?
00: 15:09 die transfeindliche Erzählung von Genderdysphorie als Symptom nach sexualisierter Gewalt
00:18:29 Was bedeutet es für eure Versorgung, dass sich so wenige Behandler*innen sowohl mit DIS als auch Trans-Themen auskennen?
00: 29:30 Wie war das, als ihr die Mastektomie habt vornehmen lassen?
00:39:44 Wie ist eure Prognose?
00:53:03 das Passing
00:57:03 die Habachtstellung, die immer nötig ist
00:59:31 Outromusik und Ausleitung

Transkript

Hier als PDF herunterladen.

Shownotes

Cis, trans, Passing … in dieser Episode auf Begriffe gestoßen, die unbekannt sind?
Hier kannst du erfahren, was sie bedeuten: Nichtbinär-Wiki

*

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Konflikt und Traumalogik – Sicherheitsbedürfnisse und ein Umbau bei laufendem Betrieb

Nach dem dritten oder vierten emotionalen Flashback voller Verzweiflung und Angst habe ich den Auslöser verstanden. Und möchte meinen Kopf eigentlich gleich wieder vergraben, denn Wissen ist nichts ohne Macht.

Aber von vorn.
Ich bin in einem Konflikt mit jemandem. Und das ist eine Sache von verschiedenen Zeitebenen, Annahmen und Überlegungen. Ich hatte schon länger einen Punkt, war schon länger nicht zufrieden oder allgemein gesagt „glücklich“ mit dem Kontakt. Und habe nichts gesagt. Klassiker der Problemkreation, ja, wer kennt das nicht.
Darunter gibt es noch die Ebene, auf der die Gründe dafür liegen.
Der Person ging es sehr lange, sehr umfassend schlecht wegen Dingen, die nichts mit mir zu tun hatten. Ich wollte für sie da sein und war es auch. Ich habe zugehört, mitanalysiert, mitgefühlt, getröstet, Lösungen gesucht und zu vermitteln versucht.
Während es mir in den Wochen vor und auch nach Sookies Tod so schlecht ging, wie lange nicht. Während ich in eine neue Arbeit ging und die alte mitnahm, die zwischenzeitlich extrem belastend war. Parallel zu der emotionalen Achterbahn, die mit einem unerfüllten Kinderwunsch einhergeht.

Für mich liegen auf dieser Ebene einige Momente, in denen ich mich nicht gesehen gefühlt und das immer wieder mit der Erklärung weggedrückt habe, dass man diese Art von Support und Begleitung, die ich mir wünschte, auch leisten können muss. Und dass diese Person es einfach nicht kann. Jetzt gerade. Schon länger. Und vermutlich auch noch eine ganze Weile nicht. Dass das keine Aussage über mich ist. Dass das keine Aussage über unsere Beziehung ist. Dass das alles nur bedeutet, dass diese Person jetzt einfach um sich selbst kreisen muss und es bei mir liegt zu entscheiden, ob ich weiter mitkreise oder nicht.
Man kann ja auch Pausen voneinander einlegen und sich wiederfinden. Vielleicht irgendwann. Wenn es sich ergibt.

So lose und unverbindlich funktioniere ich nur leider nicht.
Kontakte mit anderen Menschen sind so anstrengend und fordernd für mich, dass ich eine Funktion, ein Ziel und klare Rahmenbedingungen brauche. Ich treffe niemanden anlasslos, ich bin nicht mit Menschen zusammen, die eventuell vielleicht dann spontan überlegen wollen, was wir wofür und wie miteinander machen.
Das hat etwas mit meinem traumabedingten Sicherheitsbedürfnis zu tun – aber auch damit, dass ich ein angenehmer Kontakt sein will. Ein fähiger, belastbarer Kontakt, der sich an das Zusammenkommen auch noch erinnern kann und nicht zu Hause angekommen komplett crashed, weil keine Energie mehr verfügbar ist.

Man kann diese Eigenschaft so framen, dass ich nur Kontakte will, die meinem gierigen Ego etwas bringen und die ich kontrollieren kann – man kann sie aber auch als gelebte Selbstfürsorge, Therapieerfolg in action und soziale Traumafolgereaktion begreifen. Und zwar gleichzeitig.
Wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt gehe, ist meine Komfortzone etwa 50 Kilometer hinter mir. Bei Menschen, die ich schon länger kenne (also round about 10,12, 13 Jahre), etwa 10. Es ist nichts und wird vielleicht auch nie etwas sein, das ich ohne Druck von meinem überlebenswichtigen Kontaktbedürfnis mache.
Und doch gibt es auch darin eine Ebene von Wohlfühlen, Genuss, Spaß, Inspiration und Wachstumspotenzialen. Nur weil es sauschwer für mich ist, heißt es nicht, dass es keinen Spaß macht oder immer schwer ist. Aber die Anstrengung, meinen sicheren Bereich zu verlassen, ist immer da und inzwischen, endlich, nach tausend Therapiejahren, auch etwas, das ich meinem „Gewinn“ daraus entgegenstelle.

*

Früher habe ich mir diesen „Gewinn“ immer eingeredet und heute bin ich zunehmend streng mit mir, was das angeht. Ein bisschen Einrederei ist gut – das kann motivieren. Aber wenn es so viel ist, dass es Selbstbeschiss wird, dann ist es selbstverletzendes beziehungsweise in meinem Fall auch ein soziales Trauma reinszenierendes Verhalten aufgrund von traumalogischer Überlegung (von Kinderinnens und Jugendlichen). Vor allem dann, wenn ich als erwachsener Anteil lieber das glauben will, als die Realität zu sehen und mich damit zu befassen.

In meinem aktuellen Konflikt ist mir diese Einrederei aufgefallen. Und irgendwann auch, dass ich schon länger verpasst habe, darauf zu achten, was ich mir für den Kontakt mit der Person eingeredet habe. Was ich mir und uns alles versprochen habe, was wir auch von dem Kontakt hätten, ohne nach innen zu erklären oder zu trösten oder nach außen zu handeln, als sich nichts davon eingestellt hat.
In diesem Nimbus nach Sookies Tod war jeder Kontakt ein Gewinn, einfach, weil wir dann zeitweise nicht allein waren. Es war dieser verletzliche Zeitraum, in dem man uns auch hätte ernsthaft verletzen und ausnutzen können und wir es nicht als verletzend oder ausnutzend empfunden hätten. Weil wir ja nicht allein waren in der Zeit.

*

Aus Gründen, die mir jetzt fern und fremd erscheinen, dachte ich, es würde reichen, der Person, mit der ich den Konflikt habe, das zu sagen. Das hat es aber nicht.
Auch das ist etwas, worüber ich mich heute total ärgere. Weil ich genau solche Unachtsamkeiten ja eigentlich kenne, täglich kompensiere und sogar eine Phrase dazu kenne: „Die_r Auti sagts ein Mal und hat damit alles geklärt. Die_r Neurotypische sagt: Woher hätte ich wissen sollen, wie wichtig dir das ist – du hast ja nur ein Mal was gesagt.“

*

Ich wurde also schon länger enttäuscht, habe mich nicht gesehen gefühlt und als ich etwas dagegen tun wollte, wurde auch das übergangen.
Aber der Person ging es so schlecht, dass ich wochenlang auf Anzeichen von Suizidalität geachtet habe. Es war nicht die Zeit für das, was ich zu dem Zeitpunkt schon längst als mein albernes, erbärmliches, komplett bescheuertes Mimimi empfand. Denn wer in der Zeit vor allem für mich da war, um unsere Einsamkeit, meine Trauer und unsere allgemeinen Verlorenheitsgefühle logisch zu machen, waren (und sind) Täter_innenintrojekte.
Ich reagierte nicht mehr auf Nachrichten der Person, die für mich einigermaßen abrupt nichts mehr über ihre inneren Vorgänge schrieb, sondern über ihre veränderte Lebensumgebung. Für mich waren die Nachrichten ein weiteres Krisenanzeichen und Merkmal eines verschlechterten Allgemeinzustandes. Wer sich nicht mehr fühlt, kann halt auch nichts mehr dazu schreiben. Wer sich nicht mehr fühlt, kann andere nicht mehr fühlen. Ich wusste, dass der gewaltvolle Innenterror, mit dem ich zu kämpfen habe, im Kontakt mit der Person in diesem Zustand immer neues Futter finden würde. Egal, wie minimal die Unachtsamkeit, die Nichtbeachtung sein würde – sie würde reichen, um Prozesse in mir zu starten, die mich tiefgreifend und grundlegend verletzen, in Flashbacks stoßen und im Gefühl maximaler Ohnmacht zurücklassen.
Völlig egal, ob die Person noch in der Krise ist oder nicht – also egal, ob sie sich und mich gerade fühlen kann oder nicht.

Das ist einer dieser sozialen Aspekte von Traumafolgestörungen, wo mein Autismus praktisch nicht mehr von meiner Traumafolgestörung zu unterscheiden ist. Ich kann die Lage einfach nicht lesen, nicht richtig bzw. eindeutig und real-objektiv einordnen, abschätzen, abgrenzen, bewerten. Damit habe ich absolut keine Chance auf Klarheit, festen Boden, Ordnung … die grundlegende Sicherheit, die einfach jeder Mensch für jeden Kontakt braucht.
Egal, ob autismus- oder traumabedingt ist die Lage für mich belastend und gerade im jüngsten Verlauf auch retraumatisierend, wenn ich nicht ganz bewusst reflektierend, meine Ressourcen nutzend damit umgehe. Also nicht – wie es sich sicher anfühlt – dazu schweige, mir keinen Trost und Versicherung von außen hole und nur meine eigene Position sichernd darüber nachdenke.

Mir hilft es gerade, diesen Komplex wie ein Mehrebenenmodell zu betrachten, in dem verschiedene Strömungen und Sachstände zusammenkommen, weil es ihn weniger persönlich macht und mir Sicherheit durch Klarheit gibt.
Im Moment stehen immer wieder Scham über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche an diesen Kontakt im Vordergrund. Immer wieder merke ich, dass wir uns in einem perfiden Gedankenspiel darum befinden, was wir hätten besser oder anders machen können – das wir nie beenden können, weil der Zeitpunkt vergangen und die Person gerade nicht mit uns im Kontakt ist. Aber zur Sicherheit – zum Wohlbefinden in dieser Kacksituation – geht das immer wieder los. Das ist bekannt. Das verspricht das Finden eines zukünftigen Handelns, in dem uns das nicht nochmal passiert. Ohne dieses Versprechen je einlösen zu können, denn das Leben ist nicht so kontrollierbar. Aber man weiß ja nie!

*

Das so hingeschrieben klingt so klar und überlegt. Das ist es auch. Das ist die Ebene, die ich gut kann. Ich kann super gut intellektualisieren und analysieren. Auch solche Situationen.
Womit ich aber gerade an den Rand meiner Kraft komme, ist der emotionale Teil. Der Teil, der mich gewissermaßen gemacht hat. Das Kompensieren emotionaler Nichtverfügbarkeit von anderen Menschen. Das Funktionieren, obwohl weite Teile meines psychischen Systems massiv Bedürfnismeldungen auf mich pressen, die ich nicht mit meinem Intellekt, meiner geistigen Haltung, meiner Selbstmotivation befriedigen kann. Ich kann ihnen (mir) in der Angelegenheit (noch) nicht (immer und effizient) helfen.
Und das ist ein massiver Trigger.

Und das ist jenes Wissen, das mir überhaupt nichts bringt, wenn ich nicht die Macht/die Kontrolle/die Kraft/die Kenntnis/die Fähig- und Fertigkeiten habe, daran etwas zu ändern.

Und so ist auch diese Situation wieder ein Umbau bei laufendem Betrieb.
Ich versuche mein Gefühl von Klarheit über die Situation zu einem Sicherheitsgefühl zu konvertieren, das auch die Inneren fühlen können. Ich muss darauf achten, meinen Anteil an diesem Konflikt nicht größer werden zu lassen, als er ist – damit die Inneren merken, dass so etwas nicht dafür taugt, mich als Person zu bewerten. Und ich muss üben, wie es ist und was es mit mir macht, wenn ich ihre Bedürfnisse fühle. Wie viel Kontrolle verliere ich, wann und warum, wenn ich ihre Ängste spüre? Kommt es zu Wechseln? Wenn ja: Kann ich sie beeinflussen? In welcher Art? Kommt es zu Flashbacks? Welches Handeln unterbricht sie? Wie viel davon ist wirklich so wort- und kopflos, wie ich es befürchte? Welche Umstände sind gerade gut für diese Auseinandersetzung und welche nicht? Was gibt mir Sicherheit während dieses Prozesses von ständigem Probieren, Wahrnehmen, Kontrolle verlieren, Angst haben, mich ohnmächtig erleben und trotzdem zurück in die Kontrolle arbeiten?

Und auch: Wie dringend muss es diese Person sein? Wie wichtig ist es, wofür ganz objektiv und ganz subjektiv und ganz ideell, dass dieser Kontakt bestehen bleibt?
Die Person will uns keinerlei Sicherheiten über Klärungsräume oder -potenziale geben – woraus können wir alternativ Kraft und Sicherheitsgefühle ziehen, um eventuell vielleicht doch gegebene Chancen in der Zukunft effektiv zu nutzen? Und ist ein Kontakt, der uns keine Sicherheiten geben will, ein sicherer Kontakt? Wie wichtig ist uns Sicherheit in diesem Zusammenhang? Woraus haben wir vor dem Konflikt Sicherheiten für uns gezogen? Steht das jetzt alles infrage oder fühlt es sich nur sicherer an, es in Frage zu stellen?
Welche Dinge wie alleingelassen werden, nicht gemocht/bestraft werden wegen Selbstausdruck, Dinge zeitlich nicht überschauen können sollen, sind Folgen eines Angriffs (aus Selbstverteidigung oder Kontroll/Sicherheitsbedürfnis) und welche sind Annahmen, die wir machen, weil wir sie für unsere Traumalogik brauchen (um uns sicher zu fühlen)? Welche anderen Logiken können wir jetzt anwenden?

*

Das ist ziemlich viel für eine_n allein.
Und ich habe noch viele andere Dinge zu bearbeiten.
Die leichter sind. Die nicht so wehtun. Für die ich schneller und sicherer auch belohnt werde.

Grmpf.
Ich will meine Dissoziation zurück.
Mimimi 😅

die andere Seite

Die eine Seite von Trauma ist leicht erkennbar. Nachvollziehbar. Da ist Schmerz, Blut, Tränen und Spucke. Da ist es laut und viel.
Die andere Seite ist einfach nicht.
Sie stehen sich nicht gegenüber, ergänzen einander aber auch nicht zwingend.

Manchmal denke ich, ich könnte alles, was gerade ist, auf ein großes Blatt malen. Wie eine Landkarte oder eines dieser Riesengemälde im Louvre. Doch dann gerate ich in Zustände, die einfach nichts sind. Weil ich nichts und niemand mehr bin. Oder – genauer gesagt – mir in nichts über mich sicher fühle. Und es mir gleichermaßen egal, wie zutiefst Angst machend ist.

Es ist sehr lange her, dass ich mich so grundlegend im Konflikt an so vielen Stellen im Leben fühle. Da sind Freund_innen, die mich massiv überfordern, nerven, verletzen, ärgern – zu denen ich aber nie zuvor solche Gefühle und Gedanken hatte. Da sind Ansprüche an mich selbst nicht mehr nur bloße Ideen, sondern so massiv in mich hineingepresster Druck, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes funktionsunfähig werde. Selbstbilder, die giddelig und staubig im Müll landen würden, wären sie echte Porträts, kleben jetzt untrennbar auf der Netzhaut meiner inneren Augen.
Immer wieder fühle ich mich so ohnmächtig und hilflos, weil ich nicht mehr unterscheiden kann, was reaktiver Traumashit ist und was hier-heute-jetzt-real, berechtigt und stabil verlässlich ist.

Das ist, was ich immer vermeide. Exakt dieses Momentum von Selbstverlust und Ohnmacht vor dem, was diese so viel weniger offensichtliche Seite des Traumas auslöst.
Das ist, was emotionale bzw. psychische Gewalt mit sich bringt. Man weiß einfach nicht mehr, was stimmt. Egal, wie viel man worüber weiß. Man hat keine Möglichkeit noch irgendwo Sicherheiten für sich zu generieren – außer in der Isolation. Der Abtrennung. Dem Nachgeben in dem, was Gewalt letztlich immer von einem Menschen will: Distanz, Vereinzelung, Fragmentierung, Vernichtung.

Ich kann diese Energie in mir zuordnen und weiß, dass es sich um Täter_innenintrojekte handelt. Weiß, dass die Gefühle, die mich immer wieder überschwemmen, von täterloyalen und traumanahen Anteilen kommen. Doch mein Wissen darum ist momentan nichts weiter als Treibgut, an dem ich mich so lange festhalten kann, bis es mir wieder aus der Hand geschleudert wird und an Relevanz verliert. Die Intellektualisierung solcher Zustände kann mir nur solange Sicherheit geben, wie ich keine andere Funktion ausführen muss.

Vielesein stellen sich manche an der Stelle so eindeutig vor. Hier sind die Bösen, da sind die Belasteten und da vorne ist Hannah, die muss jetzt nur hinkriegen, das zu kapieren und naja, dann wird das schon.
Tatsächlich ist aber eher so, dass Hier, Da und Vorne keine Bedeutung mehr haben. Die Bösen nichts kapieren, die Belasteten nicht mal einen Begriff von Zeit haben und Hannah sich maßlos erbärmlich und dämlich vorkommt, weil diesen Zustand zu beschreiben lediglich eine abstrakte Zeug_innenschaft nach Außen produziert – aber keine Entlastung, Befreiung, Veränderung auslöst.

Ich will dennoch nicht, nichts gesagt haben. Ich will nicht spurlos in diesem Wust verschwinden. Will nicht annehmen, dass ich hätte mehr anders besser sein werden machen können. Weder jetzt noch später. Ich habe nur noch diesen Willen als ich-kongruentes Erleben. Diese 5 % von mir sind die 100 %, die ich geben kann. Das will ich nicht vergessen.
Es gab schon so viele andere Phasen, in denen das gereicht hat. Manchmal weil es reichen musste, manchmal, weil es mehr nicht brauchte. Es gibt auch von diesen Phasen eine andere Seite.

Autismus von Trauma unterscheiden

Die Thematik kommt an. Die Frage wird häufiger gestellt.
Neue Literatur wird veröffentlicht. Zuletzt ist das Buch „Autismus, Trauma und Bewältigung, Grundlagen für die psychotherapeutische Praxis“ von Brit Wilczeck dazu erschienen. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen, da es ein umfassendes 101 zu Autismus, zu Trauma und Fragen der Therapie bietet.
Für mein eigenes Buch „Worum es geht, Autismus, Trauma und Gewalt“, hätte ich das Buch gern gelesen, denn meiner Ansicht nach sind es neben persönlich falscher Motivation von Behandler_innen auch unhinterfragte Multimythen und falsche Vorstellungen von Autismus, die eine Unterscheidung bei vorliegender dissoziativer Identitätsstruktur (DIS) schwer machen.

Menschen mit DIS wird häufig eine ähnliche Individualität wie autistischen Menschen nachgesagt. Viele Betroffene fordern deshalb sogar ein, nicht mit anderen Vielen verglichen zu werden.
Für mich ergibt sich daraus ein Momentum, in dem Sachstände zu Wahrnehmungen verklärt werden. So kann keine eindeutige Position mehr eingenommen werden und jeglicher Abgleich wird unmöglich. So auch in der Frage: Was ist die DIS und was der Autismus?

Die Herausforderung der Unterscheidung von DIS und Autismus liegt meiner Meinung nach darin, diesen Abgleich, die Diagnostik, mit angemessenem Mittel und einer grundlegenden Reflexion persönlicher Annahmen vorzunehmen.

Es gibt viele Aspekte im Leben mit DIS, die ich meinem Leben mit komplexer posttraumatischer Belastungsstörung (kPTBS) zuordne. Denn nur im Zusammenhang damit wird meine dissoziative Symptomatik überhaupt sichtbar, nachvollziehbar und letztlich auch therapierbar.
Die DIS ist eine Anpassungsleistung, eine Kompensationsstrategie. Sie ist eine messbare Reaktion – keine Grundlage, auf deren Basis allerlei Empfinden und Verhalten passiert. Die gesamte „Krankheitsmechanik“ hat mit Stressverarbeitung und -kompensation zu tun. Es hat sich für mich nie als hilfreich herausgestellt, das Konzept von Persönlichkeits- oder Verhaltensstörungen anzulegen, um die DIS zu verstehen oder zu behandeln.

In Bezug auf meinen Autismus hingegen ist das Konzept einer Kompensationsstrategie unzureichend. Autismus ist keine Anpassungsleistung, sondern eine neurobiologische Grundlage. Die meisten Symptome sind im Kontakt und im Vergleich mit nicht autistischen Menschen sicht- und messbar. Das, was meinen Autismus zur Störung bzw. Belastung macht ist, dass ich ihn immer aktiv kompensieren, verstecken und unter Umständen erklären muss, um in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.

Jemand, die_r aufgrund von falschen Vorstellungen glaubt, alle Menschen mit DIS und alle Menschen mit Autismus seien unvergleichbar verschieden, kann die Unterscheidung nicht korrekt vornehmen. Die Datengrundlage ist einfach nicht verlässlich. Jedes Ergebnis kann alles und nichts bedeuten. Jeder Hinweis kann alles und nichts bedeuten. Eine sichere Einschätzung und ein sicheres Ergebnis sind so nicht zu erwarten und in der Folge nichts wert. Die Individualisierungsfalle ist zugeschnappt. Keine Therapiemethode ist zweifelsfrei anwendbar, Medikation ohnehin nicht. Klinikbehandlungen werden undenkbar und die Frage, ob bestehender Leidensdruck überhaupt je gelindert oder behoben werden kann, bleibt immer bestehen.

In Bezug auf die Behandlung von Menschen mit DIS habe ich diese Falle schon oft zugehen sehen. Immer entstanden daraus re-traumatisierende (weil gewaltvolle) Beziehungserfahrungen mit Behandler_innen. Denn diese Unsicherheit betrifft nicht nur die Klient_innen, die sich oftmals bereits wegen ihrer Gewalterfahrungen und der davon bedingten Einsamkeit als one of a kind fühlen und in diesem Gefühl bestärkt werden, wenn sie erfahren, dass ihre Diagnose „umstritten“ oder selten oder besonders speziell sei, und/oder sie deshalb keine Behandlung oder sonstige Hilfestellung erhalten. Auch Behandler_innen haben nicht immer einen Umgang mit Unsicherheit, der ihren Patient_innen nicht schadet. Ich habe schon Therapeut_innen getroffen, die sich für allein verantwortlich gefühlt haben, Patient_innen zu behandeln, die „durch alle Raster rutschen (weil sie so individuell anders krank sind als alle anderen)“ oder weil „das Krankheitsbild ja so umstritten ist, dass man damit eigentlich nirgendwo ankommen kann (in Supervision, Fortbildung, Kliniken etc.).“
Besonders tragisch ist es, wenn es sich initial sogar um eine Fehldiagnose handelt.

Aufgrund von Annahmen wie: „Autismus ist extrem selten.“, „Autismus betrifft Jungen häufiger als Mädchen.“, „Autismus ist offensichtlich.“, „Autist_innen sind in sich gefangen/unfähig zur Kommunikation.“, wurde ich erst mit 30 als autistisch erkannt. Das Glück zur Diagnostik an jemanden geraten zu sein, der seine Verantwortung in Bezug auf sein nötiges Fachwissen so ernst genommen hat, ist unermesslich. Es war eine der wenigen Diagnostiken in meinem Leben, bei der ich das Gefühl hatte, jemand würde sich die Mühe machen, meine Persönlichkeitsstruktur, mein Verhalten und meine Schwierigkeiten mit den meisten anderen Menschen abzugleichen. – Und nicht nur mit denen, bei denen der Vergleich (aufgrund verschiedener Vorannahmen) angemessen erscheint.
Zudem war hilfreich, es mit jemandem zu tun gehabt zu haben, für den die DIS keine soziale Aussage hatte. Der also nicht dachte: „Ui – exotisch“ oder „Wow – Satanisten“ oder „[insert völlig schräges Medienprodukt, in dem Vielesein der Gag oder Grusel ist]“

In meinem Leben und in meiner therapeutischen Behandlung war die Unterscheidung von Traumafolgen und Autismus ausschließlich für die saubere Diagnostik wichtig.
Ich habe ein Er_Leben, das von diversen schwerwiegenden und komplexen inneren Konflikten flankiert und ohne gewisse Formen der Unterstützung bei der Einordnung, Verarbeitung und Integration nicht zu ertragen ist.
Geholfen haben mir immer die Therapeut_innen, welche die sozialen Implikationen der DIS meiner konkreten Lebensrealität nachrangig und ihre Vorurteile über Autismus wirklich gründlich als solche aufgearbeitet haben bzw. immer wieder mit Fachwissen konfrontieren. Und zwar nicht für mich oder meinetwegen, sondern weil das zur Grundlage der Behandlung gehört. Weil sie es gut und richtig machen wollen – und nicht weil sie richtig Recht haben wollen.