und dann die Wahrheit

Es ist eine erwartbare Entwicklung.
Rot-schwarze Kuttenmänner und übergeschnappte Therapeutinnen im Spiegel, unachtsam und übereifrig reagierende Strukturen in Münster, Empörung folgt Verzweiflung von Betroffenen – und dann gehts um die Wahrheit in der Zeit. Erinnerungen sind trügerisch. Wahrheit ist rein. In ihrem strahlenden Licht: Elizabeth Loftus, amerikanische Gedächtnisforscherin, erfolgreiche Derailingstrategie in jedem strittigen Prozess mit dem Thema „sexualisierter Gewalt“ vor einem US-Gericht.

Ich bin noch gar nicht so alt, wie ich mich fühle, in diesem schon zigfach durchgekauten Zyklus. Das schon ein Mal vorweg.
Dieser Text wird kein Pro- und Kontra- Kann man Erinnerungen glauben oder nicht. Das Ross ist mir einfach zu hoch und ich sehe keinen Zweck darin, der allen dienlich ist.
Aber es wird ein Text, der die Strategie beleuchten will. Und wie schwierig es ist, hier von einer Strategie zu sprechen, ohne als verschwörungsgläubig oder befangen in einer eigenen (möglicherweise sogar falschen) Betroffenheit gedacht zu werden. Und entsprechend nicht ernst genommen zu werden. Angehört zu werden. Als aktiver, gleichberechtigter Part mit gleichen Intentionen an dieser Diskussion behandelt zu werden.

Denn auch wenn in keinem der letzten Berichte zu (organisierter (Ritueller)) sexualisierter Gewalt mit zweifelndem Unterton steht: „Die Leute, die hier als Opfer auftreten, sind nur Opfer von sich selbst (nachdem sie Opfer von Therapeut_innen waren)“, sie sagen es aus und instrumentalisieren Opferschaft als Status ziemlich ganz genau so, wie es die Instanzen tun, die in Fällen (juristisch) anerkannter Opferschaft über Opfer sprechen. Und das ist relevant.
Es zeigt, dass Opferschaft als ein vorteilhaft nutzbarer Status gilt, während das für die Täter_innenschaft nicht gilt. Deshalb ist allein der Zweifel das wichtigste Werkzeug für jemanden wie Loftus, False Memory Deutschland e. V. und andere Persönlichkeiten, deren Handeln zum Ziel (bzw. zur Folge) hat, die Anerkennung von Täter_innenschaft zu verhindern. Denn die juristische Rechtsprechung gilt im Zweifel immer für die_n Angeklagten.

Ein oft ignoriertes Problem: Opferschaft und Täter_innenschaft sind keine an den juristischen Kontext gebundenen Status.
Die Bindung an diese staatliche Autorität erfolgt ausschließlich dann, wenn es ein Interesse der Allgemeinheit an einem richterlichen Urteil (sowie einer Strafe) gibt und wenn es überhaupt ein Gesetz gibt, das die Tat zu einem illegalen Akt macht. Es ist die richterliche Instanz, welche die Wahrheit zu erfahren einfordern muss, um zu einem dem Recht Genüge tuendem Urteil zu kommen. Nicht: der Wahrheit Genüge tuend. Und auch nicht: Den Angeklagten oder den Anklagenden Genüge tuend. Dem Recht. Deswegen heißen Opfer und Täter_in vor Gericht auch nicht „Opfer“ oder „Täter_in“, sondern Beschuldigte_r/Beklagte_r bzw. Geschädigte_r/Antragsteller_in/Anzeigeerstatter_in.

In unserer Gesellschaft ist Wahrheit singulär gedacht. Als Wahrheit gilt, was als wahr annehmbar gedacht und erlebt werden kann, weil wir Menschen nur so Sinn und Bedeutung für uns herstellen können. Wir halten schwebende Äpfel für unwahr, weil wir jeden Tag Gravitation erleben. Eine Gewaltgeschichte, in der schwebende Äpfel vorkommen, ist entsprechend schnell bezweifelt. Denn so funktionieren wir Menschen eben auch: Wir picken uns raus, was uns am eindeutigsten für oder gegen etwas argumentieren lässt.
Das ist normal, das ist gut, das ist im Leben jedes Menschen eine sehr wichtige Sache. Diese Eigenschaft haben wir als Menschheit immer gebraucht, um zu überleben. Wir müssen wissen, wann uns jemand anlügt oder wir vergiftet sind und unserer Wahr.nehmung nicht mehr trauen können. Wir müssen aber auch wissen, wem wir wann, warum, was glauben. Und hier bewegt sich der Konflikt.

Wer glaubt, von Opferschaft hätte man Vorteile, die man als Täter_in nicht hat, ist versucht anzunehmen, dass dies ein erstrebenswerter Status sei – ein Grund zu lügen.
In den USA, wo es Prozesse um Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe gehen kann, ist es nicht sonderlich weit hergeholt, diese Annahme zu haben. Nimmt man hinzu, dass es dort kein Sozialsystem wie hier gibt, ergibt es noch mehr Sinn. Aber auch – und vor allem dann, wenn viel Geld im Spiel ist – ist es genauso legitim anzunehmen, dass es in solchen Prozessen nicht um die Wahrheit geht, sondern um Geld. Und damit um Macht und daran geknüpft einen Status, der tatsächlich erstrebenswert ist.
Hier gibt es solche Prozesse nicht. Vermutlich hat Deutschland deshalb so viele Wahrheitsexpert_innen im Dunstkreis von GWUP, FSM, oder dem Kopp Verlag.

„Opfer“ ist in Deutschland ein Schimpfwort. Opfer werden hier nie als benachteiligte Individuen verhandelt, sondern immer als Token benutzt. Also sehr wohl in ihrer Benachteiligung gesehen (und unter Umständen sogar juristisch zu Genüge beurteilt), jedoch ebenfalls immer eingesetzt, um Gewalt (und in der Folge Täter_innenschaft) zu definieren, statt sie zu beenden oder zu verhindern.
Entsprechend logisch ist das Vorgehen, Opferschaft extrem präzise zu definieren – das ist einfach enorm viel weniger anstrengend in seinen Auswirkungen. Würde immer als Opfer anerkannt werden, wer sich benachteiligt oder geschädigt nennt, müsste auch anerkannt werden, dass es sehr viel Gewalt und Täter_innenschaft gibt. Mit unserem derzeit institutionell etablierten Verständnis von Strafe und Wieder.gutmachung, von Recht und Recht haben, kämen wir als Gesellschaft schnell an Grenzen. Privilegien würden allgemein sichtbar und würden in Zweifel, ob ihrer Legitimität gezogen werden. Alle Normen und Werte unserer Gesellschaft kämen auf den Prüfstand. Alle, die sich für normal halten, wären mit dem Zweifel konfrontiert, der jetzt an der wahrhaftigen Legitimität benachteiligter, versehrter, unterdrückter, unnormalisierter Personengruppen gepflegt (und normalisiert) wird.

Mit einer ganz klaren, extrem engen Vorstellung von Opferschaft, werden viele Aspekte ihrer Natur beschnitten. So auch die Natur von Traumafolgen im Rahmen von Opferschaftserfahrung. Diese ist in sich schon schwer zu vermitteln, weil wir Menschen einander nun einmal lediglich ineinander hineinversetzen können – jedoch nie als die andere Person erleben.
Eine Person, deren Normalität, also ihrem Grundbaustein für ihre Entwicklung von Wahrheitskennzeichen, nie die gezielte, absichtsvoll hergestellte Verquerung der Realität enthielt, wird es niemals schaffen zu begreifen, was das für die Schilderung von Gewalterfahrungen für eine so umfassend getäuschte Person bedeutet. Für das Weltbild, für die inneren Konflikte, geschweige denn für die Interessen, die solch eine Person verfolgt, wenn sie dieser Täuschung gewahr wird. Es bleibt eine Annäherung, das zu verstehen. Es bleibt eine Idee, basierend auf den eigenen Erfahrungen, den eigenen in sich verankerten Konzepten von Wahrheit. Das macht den Richter_innenspruch nicht mangelhaft und auch das Suchen nach einer objektiven Wahrheit nicht obsolet, aber nicht zum Garant der Wahrheit an sich. Ein Richter_innenspruch ist kein Echtheitszertifikat, sondern ein Urteil, das sich aus den normalisierten und institutionalisierten Werten, Haltungen und Überzeugungen unserer mehrheitlich privilegierten Gesellschaft ergibt.

Natürlich beziehe ich mich hier auf Opferschaft nach sehr umfassender Gewalt, weil ich meine Argumentation daran sehr eindeutig machen kann und nicht in die Unschärfen von weniger weit entfernten Er_Lebensrealitäten einsteigen muss. Das würde den Rahmen und meine Kapazitäten sprengen, will ich mich doch vor allem auf die Strategie des Derailings als Teil von gesellschaftlichem Vermeidungsverhalten in Bezug auf (organisierte (Rituelle)) sexualisierte Gewalt beziehen.
Es ist meiner Ansicht nach aber wichtig, sich sehr sehr deutlich klarzumachen, dass Kinder, die unter Umständen von Geburt an, gezielt, absichtsvoll, organisiert und wie auch immer begründet, verletzt und ausgebeutet werden, in vielen Fälle keine Erwachsenen werden(.) – die der normalisierten Mehrheit unserer Gesellschaft angehören können/sollen/dürfen. Diese Personengruppe ist zum großen Anteil nicht normalisiert in ihrem Er_Leben, ihren Möglichkeiten zur Interaktion und Kommunikation und dazu oft auch eher mehrfach diskriminiert denn privilegiert. In der Folge ist der gesamtgesellschaftliche Schaden sehr viel geringer, wenn man diesen Personen glaubt, als wenn man privilegierteren Menschen, die als Täter_innen benannt werden, glaubt.

Ein Beispiel dafür ist meiner Meinung nach der Fonds sexueller Missbrauch, der keine Prüfung der Schilderungen vorgenommen, sondern die in Deutschlands Bürokratie üblichen Wartezeiten und Nützlichkeitsprüfungen als Hürde aufgestellt hat. Wurde der in 2 Wochen leergesaugt? Nein. Wurde deutlich, dass ein großer Teil der Antragssteller_innen von dem Geld daraus Leistungen bezahlen, die ihnen ohnehin zustehen, aber nicht gewährt werden, weil das Krankenkassen- und Sozialsystem Menschen wie sie diskriminiert? Ja.

Wer Opferschaft an die Bedingungen einer normalisierten Mehrheitsgesellschaft knüpft, knüpft entsprechend ebenfalls ganz automatisch Bedürftigkeit benachteiligter Personen mit daran. Die Idee von Opfern, die aufgrund ihres Opferstatus (nicht allgemein legitimierte) Bedarfe erfüllt bekommen müssen, ist also komplett aus sich selbst heraus produziert und dient in der Folge als Argument für weitere Diskriminierung.

Um davon abzulenken, wird also von Wahrheit gesprochen. Davon, dass man denen eigenen Erinnerungen nicht glauben darf. Vor allem nicht, wenn irgendwas mit Missbrauch darin vorkommt. Rein zufällig, nachdem eine Kampagne nach der nächsten gegen die wenigen privilegierten und in Solidarität organisierten Institutionen und Fürsprecher_innen gefahren wird.

Es wird überstrahlt, dass es bereits Richtlinien dafür gibt, wie Psychotherapeut_innen Patient_innen, die Unbeweisbares schildern, begegnen müssen und sollen, um ihnen bestmöglich zu helfen. Es wird diffus vermischt, welches Faktenwissen worüber bereits gibt. Was die Gesellschaft den Menschen, die zu Opfern wurden eigentlich schuldet und so viel mehr, das ich in früheren Artikeln bereits benannte.

Und das alles nur, weil sich Gewalt und ihren Folgen anders als abwehrend zu widmen, einer privilegierten Personengruppe die Grundlage ihrer Macht entziehen und so viel mehr Auseinandersetzung erfordern würde.
Das muss sich einfach ändern, wenn man demokratische Grundwerte wenigstens in ihrer Basis ernst nimmt und umgesetzt leben will.

der Text zur Debatte nach der Absage des Kongresses in München

Wir kommen aus Zeiten, in denen „das Schweigen der Opfer“ als gegeben hingenommen wurde. So sehr, dass man sich als Person, die zum Opfer geworden ist, zuweilen verpflichtet fühlte, außerhalb bestimmter Räume zu schweigen, um als Opfer an.erkannt zu werden und eine („richtige“) Stimme verliehen zu bekommen. Von Fürstreiter_innen, Stellvertreter_innen … Menschen, die sich einsetzen und ein Schweigen brechen, das über sie selbst hinaus geht. Menschen, die gehört werden, weil sie einen bestimmten Status haben und damit bestimmte Positionen vertreten können, die es ihnen erleichtern, bestimmte Interessen durchzusetzen. Formal vielleicht unabhängig von eigener Opferschaft, eigener Betroffenheit, persönlicher Involviertheit – rein praktisch aber nicht. Denn Opferschaft schwächt. Immer, alles. Auch politische Positionen, politisches Gewicht, soziale Macht. Entsprechend wichtig ist, dass Stellvertreter_innen selbst nicht als Opfer sichtbar werden und ihr soziales Kapital teilen – in diesem Fall also den Menschen, die zu Opfern wurden, Raum verschaffen, in dem sie gehört werden und ihre Forderungen ausdrücken können.

Im Kontext organisierter Ritueller Gewalt gab es diese Stellvertreter_innen lange nur bedingt. Behandler_innen haben sich zusammengetan. Auf Konferenzen und Tagungen gesprochen. Es gab Veranstaltungen, zu denen auch Überlebende kamen, manche konnten auch mal was sagen. Zeitung und Fernsehen haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal der Thematik gewidmet. Mal mit einer Spurensuche, mal ganz nah am Innen_Leben einer Person, die sich als Viele erlebt und Rituelle Gewalt als Ursache beschreibt, aber regelmäßig auch mit Beiträgen, die die Existenz Ritueller Gewalt anzweifeln und das Schweigen der Opfer zu einer Waffe machen.
Raum wurde also gegeben. Wenig, sehr wenig, und auch nie bedingungslos, barrierearm und wirklich frei, aber im Hinblick darauf, dass diese Räume überhaupt erst einmal geschaffen und durchgesetzt und etabliert werden mussten, ist es nur bedingt fair, daran große Kritik zu üben. Zumal sich Betroffene auch gewissermaßen öffentlich zusammengetan haben. In Foren, Selbsthilfezeitschriften, Facebookgruppen, Mailinglisten. Oft exklusiv. Anonymisiert. Aber nicht versteckt. Nie still_schweigend.

Und heute ist es vergleichsweise einfach, sich den Raum selbst zu nehmen geben. Ein Instagramprofil reicht aus. Eine Googlemailadresse. Ein Blog, ein Podcast. Es war noch nie zuvor möglich, gleichzeitig so privat und öffentlich zu sein, mit einem Thema. Man hat es dadurch leichter, sich zu positionieren und eigene Interessen zu verfolgen. Schöne Sache eigentlich. Verbindend auch. Viele erleben sich zum ersten Mal verbunden und gestärkt durch die Vielzahl von Menschen, denen es ähnlich geht wie ihnen.
Das trifft auf Gewaltüberlebende zu wie auf Menschen mit anderen Über_Lebensgeschichten. Gewaltüberlebenden gönnt man das aber vielleicht eher als Leuten, die leichteres Gepäck haben. Und Gewaltüberlebenden wird oft auch nur dieses Interesse unterstellt zugetraut: Schweigen brechen. Für die Gerechtigkeit. Die Rache. Der mal mehr, mal weniger diffuse Gedanke an Prävention.
Gibt es Zweifel an der Über_Lebensgeschichte kippt das Ganze in die Unterstellung, Lärm um nichts zu machen, eine Rampensau zu sein, soziale Bestätigung mit Zuneigung zu verwechseln – oder auch: davon zu profitieren, für ein Opfer gehalten zu werden.

In diesen Dynamiken bewegt sich der Diskurs zu Gewalt und ihren Folgen nach wie vor am meisten. Zumindest aus meiner Perspektive.
Es wird viel geschwiegen, um nicht als Lügner_in wahrgenommen zu werden und es wird viel darüber gesprochen, wen man warum für wie glaubwürdig hält und von welchem Ausmaß, welchen Formen und welchen Verstrickungen in gewaltvolle Kontexte man denn nun aber jetzt mal wirklich richtig und echt – LIKE ACTUALLY!!! – ausgehen kann. Bevor man sich irgendwie involviert. Bevor man an Strukturen herumschraubt. Oder sich umfassend informiert. Meinung und Gefühl mit Fakten ergänzt. Glauben schenkt.
Immer wieder werden die Interessen der Betroffenen, die sich aus Grundbedürfnissen ergeben, den strukturgewordenen Interessen, die sich aus sozialen Positionen ergeben (die irgendwann am Ende der Kette etwas mit Grundbedürfnissen zu tun haben) gegenübergestellt. Deshalb sehen wir – wenn wir denn mal Opfer mit eigener Stimme sehen – tendenziell eher Opfer, die (erfolgreich) angezeigt haben, deren Täter_innen(netzwerke) bekannt, verstorben oder im Gefängnis sind. Die „guten Opfer“ sozusagen. Vielleicht auch krank oder behindert durch die Gewalt, vielleicht sogar mal nicht deutsch und weiß, aber eben doch überwiegend Überlebende, die sich vor.bildlich verhalten haben. Die ordnende ordentliche Befragungen haben über sich ergehen lassen, die sich von jeder Behörden- und begutachtenden Person haben anzweifeln lassen, die materialistische Beweise haben anbringen können.

Die „schlechten Opfer“ sind die, die als lügend oder psychisch zerstört und also als unwert eingeordnet werden können. Weil sie dieser Systematik, die es nur gibt, um die sozialen Interessen unserer Gesellschaft zu sichern, nicht entsprechend handeln. Können. Wollen. Sie sind zu kaputt, zu schwer und/oder auf eine Art geschädigt, für die das bestehende System keine andere Verwaltungsoption hat als den Dropout. Den Ausschluss und damit die Diskriminierung.
Man muss sich das klarmachen. Es gibt die Justiz oder irgendwelche anderen Behördenstrukturen nicht, damit alle in unserem Land gut versorgt sind und alles haben, was sie brauchen, um ein gutes Leben zu führen. Es geht um Recht und Ordnung. Das schließt das Recht auf vieles ein – es gibt aber kein Recht auf ein gutes, rundum versorgtes Leben. Es wird primär die Existenz gesichert. Wie die aussieht und ob das fair ist, ist sekundär. Antragssache mit Ermessensspielräumen, die pervers und abstoßend sind, wenn man sich das mal genauer überlegt.

Es geht darum, dass niemand unbe.recht.igt ermächtigt wird. Denn Macht geht immer auch mit der Möglichkeit zu schaden einher. Es geht also – ganz grob heruntergebrochen – um einen Verteilungsvorgang, der von vornherein erfordert, dass man gewissen Normen folgen kann. Auch denen, die an Opfer von Gewalt angelegt werden. Und wie immer gibt es Menschen, die durchrutschen. Wer nicht kann, hat Pech. Es gibt keinen doppelten Boden in diesem System. Wer durchrutscht, ist auf das soziale Kapitel angewiesen, das außerhalb dieses Systems generierbar ist. Freund_innen, Familie, Fans und Follows. Mit genug Freund_innen und Fans kann man auch Recht bekommen und sich ähnlich frei und versorgt bewegen, wie jemand, die_r Recht hat. Vor allem, wenn unter diesen Freund_innen und Fans „die richtigen“ sind.
Das ist der Grund, weshalb die Einen immer Frau Benecke, die im Fernsehen viel Bühne bekommt, zitieren und sich ihr anbiedern und die Anderen an Frau Huber und andere Behandler_innen, die in der psychotherapeutischen Fachwelt (und ebenfalls in den Medien) viel Raum bekommen.

Die Wahrheit der Masse ist nicht die Wahrheit, aber Macht. Wahrheit ist Machtsache. Entsprechend ist Macht, worum die ganze Geschichte um die Abwehr der Anerkennung von organisierter Ritueller Gewalt, DIS als komplexe Traumafolge, Opferschaft als sozialer Status und die Verantwortung des Staates sie zu ver.teilen geht.
Es geht nicht um die Personen, die Stellvertreter_innen hinter denen man sich versammelt, weil sie „die richtigen Sachen“ sagen, die „die Wahrheit ans Licht bringen“ und „aufklären, damit sich etwas zum Guten verändert“. Es geht darum, dass allein mächtige Menschen über die Lebensrealitäten ohnmächtiger Menschen entscheiden und zusätzlich noch definieren (wollen/dürfen), wer denn nun wirklich und wahrhaft ohnmächtig ist.

Es geht um falsche Vorstellungen von Opferschaft und die Er_Lebensrealitäten von Menschen in organisierten, extrem kontrollierenden, ideologisch indoktrinierenden Umfeldern – genauso wie es um falsche Vorstellungen von Täter_innenschaft, Hilfe und Macht durch Wissen(schaft) geht. Beide Fronten, die im Zuge der letzten Aufregung um die Dokumentation in der Schweiz und die Absage des Kongresses in München sehr deutlich wurden, sprechen sich öffentlich als „für die Opfer“ aus. Und verlassen sich beide auf Konstanten, die es so nicht mehr gibt: Unwissen über die Gewalt und ihre Aus_Wirkungen, Unwissen in der Justiz, den Faktor „Seltenheit“ sowie letztlich auch das Schweigen der Opfer.

Hört man zum Beispiel der Vorsitzenden von False Memory Deutschland e. V. in diesem Radiofeature (Link zur WDR-Mediathek) zu, könnte man meinen, wir leben weiterhin in den 80er Jahren. Als hätte es keinerlei Fortschritt in Psychologie, Medizin und Justiz gegeben.
Das Gleiche könnte man aber auch denken, wenn man die_n eine_n oder andere_n Psycholog_in oder Überlebende_n mitkriegt, die_r auf der eigenen Plattform immer noch dafür trommelt, dass man doch endlich glauben solle, schließlich seien SIE überall und immer und die Arbeit damit begründet, dass ja immer noch niemand wirklich Bescheid wüsste. Als wäre Glauben alles, was es braucht, um zu wissen.

Ich kann nur über die Interessen dieser Fronten spekulieren. Ziemlich sicher bin ich mir darüber, dass „für die Opfer zu sein“ nicht das tatsächliche Interesse ist.
Wer „für die Opfer ist“, braucht die Opfer als aktive, handlungsfähige, ermächtige Stimmen und Akteur_innen in eigener Sache und nicht in einer untergeordneten Position, die die eigene Argumentation stützt. Wie ein Objekt. Ein seelenloser Fakt, beliebig einsetzbar, um Aussagen zu verstärken oder zu belegen.
Wer sich für Opfer einsetzt, spendet für ihre Selbsthilfegruppen, ihre Aufklärungsprojekte, verbündet sich mit ihnen auf Augenhöhe und gleicht sich mit ihnen ab. Behandelt sie wie gleichwertige Gegenüber und kritisiert sie also auch mal. Weißt auf Fehler und Fehlschlüsse hin. Verlangt Fakten statt Glauben und anekdotischer Evidenz. Schweigt nicht über eigene Gewalterfahrungen und ihre Folgen.

Ich sehe auf beiden Seiten einen Kampf um soziale Positionen und den Versuch, die jeweils andere Position zu schwächen. Während die Folgen dieses Kampfes von Betroffenen thematisiert werden. Angst, Sorge, existenzielle Bedrohungsgefühle.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücken, dass ich mich als Opfer ausgenutzt fühle in diesem Gerangel. Angelogen und ausgenutzt. Einmal mehr auch schmerzhaft daran erinnert, dass wir an diesem Punkt tatsächlich einfach noch nicht weitergekommen sind: Die Anerkennung von (schwer kranken, behinderten) Opfern als Menschen in einer sozialen Position der Schwäche und Unwertigkeit, die mehr oder weniger absichtlich immer wieder hergestellt wird. Man muss sich klarmachen, dass Behandler_innen, die das Kreuz „für uns“ breit gemacht haben, uns immer krank und völlig zerstört gebraucht haben – genauso wie die Menschen, die, um „die echten Opfer“ zu schützen, umfassend vor „falschen Erinnerungen“ und schlechten Traumatherapeut_innen warnen. Unser Leid ist ihr Argument. Deshalb darf es nicht enden. Es muss so lange neue Opfer geben, bis eine Seite Recht und also die Wahrheit zugesprochen bekommt.
Wer auch immer das jemals zusprechen können sollte.
Diese Frage ist für mich nach wie vor offen in dem Interessenkonflikt. Wer soll durchsetzen, wer Recht hat? Und wie wird dieses Recht dann durchgesetzt? Was für Folgen wird es haben? Wessen Machtgewinn ist tatsächlich ein Gewinn für die Opfer? Die „guten“ wie die „schlechten“.

In der Schweiz hat die Fernsehserie um den auslösenden Fall bereits Folgen für Menschen mit DIS. Auch für die „guten Opfer“ mit DIS. Sie haben nämlich nun einen Behandlungsplatz weniger und eine Debatte darüber, was Behandler_innen glauben dürfen, um als „gute Behandler_innen“ zu gelten. Sie haben keine Debatte darüber, was Menschen, die von schlechten Behandler_innen indoktriniert wurden, brauchen. Wie sie entschädigt werden. Wo sie welche auf welchen Überzeugungen und Fakten basierende Hilfe erhalten. Sie haben, soweit ich das weiß, auch keine Fachdebatte darüber, wie professionelle Abstinenz von Behandler_innen und Verschwörungs_Glaube zusammengehen – oder wie man denn fachlich fundiert feststellen will, ob jemand aufgrund persönlicher Weltbilder oder (pseudo-) religiöser, esoterischer oder anderer (fundamentalistischer) Überzeugungen nicht geeignet für den Beruf ist. Man hat aus meiner Perspektive bisher mehr Menschen geschadet als geholfen. Und zwar nicht – und das will ich hier ganz klar verstanden wissen – weil man gegen jemanden vorgegangen ist, dem vorgeworfen wurde, er hätte jemandem etwas Falsches eingeredet, sondern weil man das ohne jede Rücksicht auf die Sachlage und die Realitäten vieler Menschen getan hat, denen das nie passiert ist – und die das nie getan haben.

Es ist dieses umfassend grobe Handeln und hinzukommend die reaktive Vereinnahmung des Falles für die eigene Argumentation gegen die Anerkennung organisierter Ritueller Gewalt im Rahmen satanistischer Indoktrination, die natürlich Auswirkungen hat und Reaktionen provoziert. Selbstverständlich. Es wäre dumm, nicht darauf zu reagieren. Es ist sinnvoll und klug, sich selbst zu reflektieren nach so einem Fall. Wer sich sachlich, fachlich und auch persönlich richtig mit dieser Thematik befassen und am Ende tatsächlich etwas für die Üb.erlebenden erreichen will, prüft sich auf Fehler. Kritisiert sich selbst, verbessert sich, prüft sich bis in die Tiefe. Schaut sich an: Mit wem ist welche Zusammenarbeit sinnvoll und mit wem (erst einmal) nicht? Nimmt übernommene Verantwortungen ernst und gibt sie wieder zurück, wenn sie nicht (mehr) 100 % sicher getragen werden kann.
Meiner Ansicht nach ist die Absage des Münchener Kongresses daher nur richtig und gut. Die Kommunikation hätte besser laufen können, ist aber sekundär in dieser Situation. Man muss sich immer erst ein Mal auf sich konzentrieren, für soziales Lieblieb und Beschwichtigen und Versichern nach Außen ist später noch Zeit. Genug Zeit. Unfassbar viel genug Zeit, denn es wird immer wieder vorkommen, dass so etwas passiert.
Es ist nicht das Ende der Welt. Es ist kein umfassender „Sieg der Bösen über das Gute“ oder überhaupt irgendeine Aussage über die Realität organisierter Ritueller Gewalt.
So sieht es aus, wenn jemand die eigenen Interessen mit dem eigenen Handeln abgleicht und selbstsichernd handelt. So sieht es aus, wenn jemand reagiert, um handlungsfähig zu bleiben. Konzentration auf die Basis, Überprüfen der Ressourcen, Bündelung der Kräfte, selbst_versichert weitergehen.

Das ist das Verhalten, das es braucht in dieser Auseinandersetzung, um die Dynamik ums Rechthaben und Wahrheiten „ermachten“ aufzulösen. In diesem Sinne ist mein Verständnis für hoch emotionalisierende Aufrufe in die Öffentlichkeit gering und geht nicht wirklich über die Anerkennung der großen Gefühle hinaus. Sie sind da, ja, es schlimm, dass jetzt viele Betroffene (wieder) Angst haben – aber ich persönlich finde viel schlimmer, dass diese Ängste eine Berechtigung haben, weil der Normalzustand bereits von Unterversorgung und viel Leid geprägt ist und sich daran auch in nächster Zeit nichts ändern wird – egal, ob diese Überlebenden tatsächlich und echt und wahrhaft organisierte Rituelle Gewalt erlebt haben oder nur davon überzeugt (worden) sind.

Die Sachlage enthält genug Baustellen. Niemand hilft, wenn nur soziale Interessen im Fokus stehen.

Transfeindlichkeit tötet

Letzte Woche ist Malte getötet worden. Malte war 25 Jahre alt, ein trans Mann. Er hatte den CSD in Münster besucht. Die Party, die mal ein Aufstand war, weil Schwule und Lesben, trans Personen und andere queere Menschen strukturell wie sozial diskriminiert – und getötet wurden. Werden. Wie auch an diesem Tag.
Malte hatte zwei lesbischen Frauen beigestanden, als diese am Rande der Veranstaltung – am Rand ihrer Community, ihrer Bubble, ihrem safer space – sexistisch und queerfeindlich beschimpft wurden. Und erlag wenige Tage nach dem Angriff seinen Verletzungen.

Transfeindlichkeit tötet.
Wir Transpersonen wissen das. Wir wissen das ganz genau, denn als Community betrauern wir jeden Tag den Tod eines weiteren Mitglieds unserer Familie auf der ganzen Welt. Wir alle werden, ob lebendig oder tot, ausgegrenzt. Wir werden zu Witzfiguren gemacht, zu Ausgeburten kranker, unter- oder fehlentwickelter Hirne erklärt. Wir sollen nicht leben, wie wir wollen, wir sollen dankbar dafür sein, dass man uns am Leben lässt.
Transfeindlicher Hass ist noch die einfachste Erklärung dafür. Transfeindlichkeit als Begriff, der niedrigste Zugang, den wir bieten können, um begreifbar zu machen, dass der Hass, die Gewalt, der Ausschluss spezifisch ist. Gezielt. Willentlich. Absichtlich. Gewollt. Und bösartig.

Transfeindlichkeit ist wählbar und viel zu viele Menschen entscheiden sich dafür. Im Großen wie im Kleinen. Aus Eigeninteresse oder ideologischen Überzeugungen heraus. Oft unreflektiert, in der Regel aus Gewohnheit. Aus kultureller, sozialer Praxisroutine heraus.
Weil es geht. Weil es ihnen nicht weh tut und auch sonst niemand, die_n sie so gut kennen, dass sie merken, wie viel Schmerz sie damit zufügen.

Ich sehe mich nicht in der Pflicht, transfeindlichen Menschen ihren Hass aufzuzeigen. Sie darüber zu unterrichten oder zu be.lehren, wo sie meine Menschenrechte mit ihren Ideen von Geschlecht und Sexualität, von Identität und sozialen Rollen antasten. Wo sie Stuss glauben, der schon längst widerlegt ist; wo sie empfänglich für menschenverachtende Propaganda sind, weil sie auch rassistisch, ableistisch, klassistisch erzogen, unterhalten, gebildet worden sind und dem nur allzu oft nichts entgegensetzen. Wollen. Sollen. Müssen.
Es gibt viele trans Menschen, die diese Aufgabe sehr gut übernehmen und tragen. Gegen alle Widerstände, Bedrohungen, Gefahren für Leib und Leben. Ihnen zuzuhören ist wählbar und viel zu wenig Menschen entscheiden sich dafür.
Viele erwarten einen gewissen Ton. Eine gewisse Ansprache. Eine spezifische Performance. Denn tone policing ist die Waffe, mit der die meisten von ihnen selbst schon effektiv niedergestreckt wurden. Zum Beispiel als lesbische Frau, die etwas dagegen hat, dass heterosexuelle Männer ihr sexuelles Begehren als Beleidigung oder Zurückweisung einordnen. Oder als Frau, die sich gegen Gewalt an Frauen auf die Straße stellt. Diese Frauen wissen, dass es nicht lange dauert, bis irgendwer um die Ecke kommt und ihnen sagt, dass sie ihre Forderungen höflicher formulieren sollten, wenn sie etwas erreichen wollen. Dass sie gegen Rollenzuschreibungen verstoßen, wenn sie überhaupt fordern. Dass sie in einer patriarchalen Weltordnung zu viel verlangen, wenn sie als Menschen an.erkannt und entsprechend behandelt werden wollen. Nämlich als Subjekt mit immanentem Recht auf Unversehrtheit und Entfaltung der eigenen Identität, sowie der eigenen Fähig- und Fertigkeiten entsprechend.

Ich habe nicht grundlos Frauen, aktivistisch tätige Frauen, als Beispiel gewählt. Und dir lesender Person überlassen zu definieren, was für Frauen das wohl sind. Cis Frauen oder trans Frauen. Denn ich weiß, obwohl ich nicht in der Pflicht bin zu be.lehren, werde ich in diesem Text Wissen vermitteln. Müssen. Ich muss erklären. Wenn nicht mich, so doch mindestens, warum ich heute keinen Text über transfeindliche Männer schreibe, sondern über Frauen. Transfeindliche Radikale Feministinnen. „Genderkritische“ Frauen. Bewegte Frauen, die Angst vor Männern in Frauenkleidern haben. Müssen. Sollen.

Als trans Person mit Uterus er.lebe ich sowohl die Diskriminierung als trans Person als auch als Frau. Wenn es um (cis) sexistisch sexualisierte Gewalt geht, die die Idee von nur zwei echten Geschlechtern als Grundlage hat, fürchte ich sowohl Männer als auch Frauen. Egal, als was sie sich verkleiden oder ausgeben, um sich mir über meine Grenzen hinweg zu nähern. Ich weiß, dass der heterosexuelle cis Mann keine echte Strafe für seine Gewalt zu erwarten hat und ich weiß, dass die heterosexuelle cis Frau mit größerer Wahrscheinlichkeit solidarisch mit mir ist, wenn sie nichts von meinem Transsein weiß, ahnt, erkennt.
Während ich im umgekehrten Fall für beide da bin. Weil ich ihr Geschlecht, ihre geschlechtliche Identität nicht an Bedingungen knüpfe.

Mein cis Partner ist immer wieder fassungslos, wenn ich ihm Einblicke in die Schlachten von Terfs und Swerfs, Maskulinist_innen und dummen Propagandaschleudern gebe. „Was gehts die denn an?“, fragt er dann. Und ich spüre ein bisschen Neid, denn wow, wie muss es sich mit dem Gefühl leben, das eigene Geschlecht gehe niemanden etwas an? Sei eine individuelle Privatsache. Ein Raum, frei zur eigenen Gestaltung. Kein Gegenstand von öffentlicher Debatte um Echtheit oder Legitimität.
Seine Frage kommt mir aber auch unangenehm bekannt vor. Erinnert mich an bifeindliche Texte wie „Es ist mir egal, mit wem du schläfst.“ und an das eine oder andere Lady*fest, wo der Uterus als Zentrum der Weiblichkeit, des starken, wunder.vollen Frauseins gefeiert wurde. Also zu dem Organ erklärt wurde, was eine Person zur Frau macht. Frauen, die warum auch immer keinen Uterus (mehr) haben, wurden als Ausnahmen verhandelt. Als Exoten. Marginalien. Niemand stellte dort die Frage: „Was geht uns denn an, wer einen Uterus hat?“ Es blieb völlig außer Frage, ob ein Organ oder irgendeine andere körperliche, biologische Eigenschaft wirklich dazu taugt, eine soziale Rolle geschweige denn eine geschlechtliche Identität zu definieren. Vor allem, wenn man sich in Diskursen um geschlechtsspezifische Gewalt bewegt.

Was ich aus dieser feministischen Strömung mitbekommen habe, ist eine zuweilen extreme Definitionswut der Opfer, zur Erklärung der Gewalt, die sie erfahren haben. Es wurde und wird bis heute erschöpfend erklärt, warum und auf wie vielen Ebenen Frauen öfter und schneller zu Opfern von Gewalt durch Männer werden. Und beides wird nach großen weiten sozialen Betrachtungen und vielleicht auch noch umfassenden Erklärungen zu strukturellen Gegebenheiten auf die Körper, die Gene, die Biologie reduziert. Als könne sich Geschlecht nur im unbeeinflussbarsten Lebensbereich der Menschen manifestieren. Als sei Geschlecht genauso unverhinderbar wie Gewalt. Oder G’tt.

Komischer Schwenk, oder? Von Geschlecht als von Anfang an im Körper festgeschrieben zu G’tt. Der im Christentum oft als Mann interpretiert wird und nur zwei Arten von Mensch geschaffen haben soll – Mann und Frau. Man denkt sich heute oft, dass das Christentum mit diesem ganzen Kram doch nicht wirklich noch Einfluss hat, das stimmt aber nicht. Wir sind ein säkularer Staat, der von einer christlich demokratischen Union vertreten wird. In unser aller Kulturgedächtnis ist die christliche Lehre eingegraben und jeder Akt dagegen wird sozial sanktioniert. Manchmal absurd – zum Beispiel, wenn man einen Jahrmarkt im Winter auch Wintermarkt nennt, weil einfach nicht alle Menschen zu der Zeit Weihnachten feiern – und manchmal erbittert, unfair und gewaltvoll – zum Beispiel, wenn Menschen mit Uterus selbst darüber bestimmen, ob sie schwanger werden/sein/bleiben wollen oder nicht, weil es eben weder ein biologischer Imperativ ist, Kinder zu bekommen noch eine unbeeinflussbare, unverhinderbare Naturgewalt Hand G’ttes ist, die dort wirkt.

Wenn es aber um sexistisch begründete Gewalt geht, dann ist bei vielen (Trans Exclusive) Radikalen Feministinnen oft eine ganz ähnliche Denke vorhanden. Es ist immer das Patriarchat und deshalb sind es fast immer Männer, die sich als (unveränderbar) gewaltvoll darstellen. Die Wurzel (lat. „radix“ ⇾ radikal) ist damit eindeutig definiert und die Möglichkeit eine dualistische Erzählung aufzubauen auch. Da hat man dann in einer großen Menge ganz diverser Frauen die guten Frauen, die sich gegen die bösen Männer in einer großen Menge ganz diverser Männer stellen. Ich weiß, der Satz ist merkwürdig, aber es ist wichtig zu verstehen, dass es eine willentlich bösartige Unterstellung ist, dass „die (radikalen) Feministinnen“ etwas gegen „die (alle) Männer“ haben. Das stimmt nicht und sie verbringen enorm viel Energie darauf, das immer wieder zu kommunizieren. Den meisten weißen cis Feministinnen geht es um alle. Außer die am Rand. Die nicht so sind, wie sie. Zum Beispiel nicht weiß. Behindert. Arm. Nicht cis.

Und dort spielt sich ab, was ich meinem cis Partner zeige. Der zurecht nicht versteht, wie das kommt, dass ausgerechnet Feminist_innen sich transfeindlich zeigen. Den ich verschonen will zu wissen, was Kiwifarms sind und wie perfide christlich ((evangelikale) (ultraorthodoxe)) Propaganda im Internet zum Thema Geschlecht(errollen) manipuliert. Mit dem ich absichtlich selten darüber spreche, dass es noch verwirrender ist, wenn es lesbische Feministinnen sind, die sich ganz offen transfeindlich äußern. Oder wenn es lesbische Feministinnen sind, die therapeutisch oder beratend mit Opfern sexualisierter Gewalt arbeiten und ihre Transfeindlichkeit mit psychologischen Theorien stützen, die von weißen heterosexuellen cis Männern verfasst wurden.

Es ist der außerordentliche Verrat, der daran so schmerzt. Die so unfassbar, unnachvollziehbar grausame Verweigerung von umfassender Solidarität, die es so schlimm macht. Manchmal noch mehr als die Transfeindlichkeit des_der Angreifer_in. Denn die ist antizipierbar. Damit können wir rechnen und uns anpassen. Es klar, dass es für uns trans Menschen nur sehr wenige safe(r) spaces auf dieser Welt gibt, wo wir wirklich akzeptiert sind und unsere ganz eigenen Entwicklungsprozesse durchmachen können.
(Psycho)Therapieräume gehören häufig nicht dazu. Medizinische Praxen auch nicht. Die Kirche, die Synagoge, die Moschee, der Tempel auch nicht. Der öffentliche Raum erst recht nicht.
Ein Grund dafür ist Transfeindlichkeit, ein weiterer, dass sie von cis Personen noch nicht genug als Problem verstanden und behandelt wird.

Ich habe in den letzten Tagen häufig Tweets gelesen, in denen Malte gezielt als Mensch benannt wurde, um seinen Wert anzuheben bzw. seine Tötung als „wirklich schlimmes Verbrechen“ zu markieren. Auch so etwas ist transfeindlich. Denn es bedeutet, seine Identität zu verschweigen zu müssen, um ihm einen Wert zukommen lassen zu können. Nämlich die Anerkennung als Mensch.
Malte war nicht zufällig beim CSD. Malte war nicht nur als Mensch da. Er war als trans Mensch dort. Er hat als trans Mensch zu helfen versucht. Er wurde als trans Mensch angegriffen und getötet.
Vielleicht hat der Täter ihn nicht wegen seines Transseins getötet, das werden wir vermutlich nie erfahren, selbst wenn er gefasst wird. Aber die transfeindliche Rezeption des Angriffs wird das Leben von trans Menschen weiter verschlechtern und ihre Sicherheit entsprechend verringern. Bis sie ganz offen getötet werden, weil sie trans sind. Und nicht mehr nur, weil sie mit irgendeinem Eigentlich – nämlich dem „Eigentlich ein Mann/eine Frau“ oder „Eigentlich eine (durch die patriarchale Weltordnung entstandene Gewalt) psychisch gestörte/in die Abwehr des eigentlichen Geschlechts traumatisierte Person“ oder „Eigentlich eine biologisch fehlentwickelte Person“ – verbunden sind, das ihre Tötung „eigentlich nicht so schlimm“ macht und jede weitere Gewalt an ihnen legitimiert.

Das versuchen wir als Community zu vermitteln, wenn wir sagen, dass Transfeindlichkeit tötet.
Niemand sagt damit, dass andere Feindlichkeiten weniger tödlich sind. Oder dass Frauenfeindlichkeit nicht tötet. Wir sprechen für uns, weil wir noch nicht in einer Gesellschaft leben, in der wirklich alle Menschen gemeint sind, wenn wir schreien „Menschenfeindlichkeit tötet“.
Weil wir trans Personen noch viel zu vielen Menschen nicht wirklich und echt Mensch genug sind.

 

Bilden. Lernen. Solidarisch werden.
Mit Büchern, Zines und Kunst zum Beispiel aus dem trans*fabel Shop.

Reichtum bekämpfen | note on: #IchBinArmutsbetroffen

Gestern habe ich mich zum ersten Mal an #IchBinArmutsbetroffen beteiligt. Als Beitraggeber_in in einem Space, der das Thema „Wishlists in Tweets mit Aktionshastag“ hatte. Zufällig, spontan, weil der Partner die Leute unterstützt, die versuchen die Aktion so lange wie möglich in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. Von mir aus hätte ich mir den Space nicht angehört. Ich kenne solche Debatten als den Anfang vom Ende. Das waren sie bei #NudelnMitKetchup, das sind sie in jeder Gruppe, die im Wachstumsrausch verpasst, dass Community mehr als Macht durch Masse ist. Aber nun lief die Veranstaltung und ich beteiligte mich. Bis ich abgewürgt wurde, wegen des Zeitlimits. Und dann nicht auf die Reaktion des Moderators antworten konnte, weil so viele andere auch noch sprechen wollten.

Hier habe ich dieses Limit nicht. Hier also der Rest dessen, was ich sagen wollte. Und meine Gegenrede auf die Antwort.

Ich bin nicht mehr arm, weil ich einen gut verdienenden Partner habe. Meine Arbeit allein würde mich in einem städtischen Umfeld ohne unterstützende Community, ehrenamtliche Helfer_innen und alternative Konsumoptionen (second hand shops, Tausch- und Leihzirkel etc.) gerade so über Wasser halten.
Für mich bedeutet das: Armut ist relativ auf allen Achsen – und die wenigsten davon sind von „der Politik“ abhängig. Was soll das überhaupt bedeuten: „Die Politik“? „Die Politik muss da was machen“, „Millionen arme Menschen sind ein Zeichen für das Versagen der Politik“
Die Politik ist euer Ziel, ihr wollt, dass „die Politik“ sich dem Thema annimmt – aber was, wenn sie das schon längst tut? Wenn „die Politik“ schon längst richtig dick dabei ist, Armut zu bekämpfen?

Für mich geht in dem ganzen Bewegungsversuch völlig unter, dass die Armut in Deutschland auch politisch gewollt – in einigen Bereichen sogar gebraucht wird, um Reichtum und Macht zu erhalten bzw. zu steigern.
Denn wer Armut bekämpfen will, hat generell zwei Optionen.
Erstens: Arme Menschen werden getötet, denn in ihnen verkörpert sich die Armut. Das ist effizient und passiert in jedem kapitalistischen Land und Deutschland ist da keine Ausnahme.
Die zweite Option ist, Reichtum zu bekämpfen. Doch das wird „die Politik“, wer oder was auch immer sie nun ist, nicht für euch machen.

Man muss schon ein sehr naives Verständnis von Demokratie in einem kapitalistischen Land haben, wenn man annimmt, dass arme Menschen einfach nur genug politisches Gehör brauchen, um bedarfsgerecht versorgt und abgesichert zu werden. Und ein noch naiveres Verständnis von politischer Macht, wenn man annimmt, dass wenn man nur richtig auftritt, das Anliegen richtig aufbereitet, die Not klarmacht – die Ungerechtigkeit, die Unmoral, den Rechtsbruch, die persönlichen Schicksale – dass dann schon das richtige passieren wird.
Als hätten all die Leute, die schon vorher (politisch) gegen Armut gearbeitet haben, einfach verkackt. Als wären die einfach nicht so geil gewesen wie ihr.

Mir erschließt sich auch nicht, warum vom Erfolg des Hashtags allein auf ein politisches Gewicht geschlossen wird, sind es doch Individuen der Twittercommunity, die diesen Erfolg gewissermaßen „erarbeitet haben“. Und zwar mit den klassischen Mitteln einer sozialen Bewegung: (einander) Zuhören, Mitfühlen, Teilen, Austauschen, Mit_gestalten
Soziale Bewegungen lassen häufig unterstützende Communitys entstehen – man sieht doch, wie viele Menschen sich unter diesem Hashtag zusammen tun, welche Verbindungen entstehen, wer wen kennenlernt und so, wenn nicht zu finanziellem, so doch sozialem Kapital kommt. Warum schützt ihr das nicht? Warum macht ihr einen Space zum autoritärem policing eurer eigenen Hashtagnutzer_innen – eurer Community! – statt einen zur Frage, wie ihr euch als bewegte Gruppe stabilisieren könnt? Wie man sich institutionalisieren kann. Wie man Aktionen wie „eine Sorge weniger“ größer machen kann. Wie man Leute, die wegen ihrer Wishlist von Trollen, Hatern und Sozialneidern angegriffen werden, als Community schützen und unterstützen kann.

In meinen Hartzjahren war es das Fehlen einer solchen Community, das mich unter meiner Armut hat leiden lassen. Mit dem wenigen Geld, der fehlenden Perspektive, der Not bin ich immer irgendwie klargekommen. Mit vielen Tränen, unfassbar viel Selbsthass, enormer Wut, doch es ging. Aber das Gefühl, dass alle um mich herum okay damit sind – das hat immer wieder neu etwas in mir gebrochen. Und dabei war mir die politische Aufmerksamkeit auf Leute wie mich irgendwann völlig egal. Mir ging es um meine Nachbar_innen. Die Leute in der Straßenbahn. Meine Ärzt_innen, Therapeut_innen, die Leute, die ich im Park gesehen habe. Die Leute, die im Fernsehen vom „Abrutschen ins Hartz 4“ gesprochen haben, als würde mein Leben am Grunde eines Brunnens stattfinden. Die Leute, die hier von meinem Leben und Denken lesen. Denn das war mein Bezugsrahmen und ist es noch heute.
Es waren nie Fremde, die mir etwas geschenkt oder in der Not geholfen haben – aber es waren und blieben für immer Fremde, die die Hartzgesetze schrieben, die die Sozialgesetzbücher füllen, die Stempel auf meine Anträge knallten.

Ich will nicht darauf hinaus, dass wir Armut nicht als politisches Problem behandeln sollen. Das muss auf jeden Fall passieren – aber die armen Menschen davon zu trennen, halte ich für essenziell.

Alle Menschen können allen Menschen alles geben – wenn alle alles geben. Dafür brauchen wir keine Gesetze und auch kein Rumgeschraube an bestehender Gesetzgebung. Es gibt kein Verbot einander zu helfen oder Wünsche zu erfüllen, keine Strafen für bedingungslose Zuwendung und Fürsorge. Es gibt nur Angst, dass keine_r da ist, wenn man selbst was braucht. Und die wird man nicht los, wenn man sich auf politische Lösungen verlässt.

Oder damit rechnen muss, dass man als „Saboteur_in der Bewegung“ gilt (und ausgeschlossen wird), wenn man die eigene Wishlist da teilt, wo sie von den meisten Menschen gefunden wird.

note on: Missbrauch bei Germanys Next Topmodel

Auch dieses Jahr wird sich über das Dschungel Camp von Pro7 aufregt – „Germanys Next Topmodel“.
Diesmal ist es Rezo, der sich in einem Video [Link zu YouTube] mit der Sendung auseinandergesetzt hat und darin Bezug auf Videos von früheren Teilnehmerinnen nimmt. So far nichts Neues, aber vielleicht Lauteres. Jüngeres. Und aus der Zielgruppe.

Seit 2006 gibt es die Sendung, die sich vordergründig um Mode, Kunst und Schönheit dreht, in ihrer Basis aber nie etwas anderes als eine anhaltende Dauerwerbesendung war. Heidi Klum ist Unternehmerin, sie verdient ihr Geld mit ihrem Körper und mit dem Körper anderer Menschen. Sie produziert eine Sendung, die vorrangig Zuschauer_innen findet, deren Medienkompetenz entweder nicht ausreicht, um Werbung zu erkennen (und so einen gewissen Schutz vor sehr starker Identifikation mit den dargestellten Personen bietet) oder die nicht mit dem Alltagsverständnis verknüpft ist (sodass den Menschen (sehr unangenehm) bewusst ist, was sie sich da eigentlich ansehen und warum sie sich davon unterhalten fühlen).

In diesem Beitrag geht es mir nicht darum, Menschen darüber zu beschämen, was sie sich gern im Fernsehen anschauen.
Es gibt Genres, die sind verknüpft mit dem Alltagsbewusstsein, den Alltagswerten, die man so hat, der letzte Quark sind. Ich liebe zum Beispiel das Marvel-Universum. Das sind Action-Comedy-Fantasy-Superhelden-Comicverfilmungen. Sexistisch, platt, oftmals gewaltvoll, immer geht irgendwas kaputt und logisch zusammengeschnitten sind sie auch nicht immer. Aber sie machen mir Spaß. Ich komme oft total aufgepeitscht aus dem Kino, verarbeite tagelang die schnellen Kampfszenen, nerde total gerne über den großen story arc der Reihe ab.
Aber ich kann kritisch dabei sein. Mir ist klar, dass diese Filme mich unterhalten sollen. Gibt es darin Dinge, die mich nicht unterhalten, sondern kränken, abstoßen oder die ich einfach nicht in Ordnung in einem solchen Film finde, dann kann ich als Zuschauer_in diese Kritik äußern und alle verstehen, warum ich das tue. Das Ziel ist nämlich ausschließlich meine Unterhaltung. Der Film wird für Leute wie mich gemacht. Natürlich interessiert Disney einen Scheiß, wie ich persönlich die Filme finde – aber das Fandom selbst, also alle Menschen, die diese Filme gern anschauen, sind schon wichtig für Disney.

Das ist bei Sendungen wie Germanys Next Topmodel anders. Es geht nicht darum, wie Leute die Sendung finden. Es geht darum, dass sie angeschaut wird. Denn jeder Klick, jeder View, jedes Einschalten bestimmt den Wert der Werbung, die in den offiziellen Werbepausen gezeigt wird – aber auch den Wert der Kooperationen, die im Rahmen dieser Sendung gemacht werden.
GNTM war nie ein Wettbewerb um etwas, das nichts mit Werbung zu tun hatte und das ist wichtig zu verstehen. Auch für die Kritik daran. Denn die ist ja nun, nach 15, 16 Jahren auch einigermaßen ritualisiert und geht für mich inzwischen oft am Punkt vorbei.

Denn Fakt ist: Diese Sendung ist nicht illegal, sie ist einfach nur unmoralisch.
Das sind viele andere Sendungen aber auch. Frauentausch zum Beispiel. Das Dschungelcamp. Big Brother. Temptation Island. Sommerhaus der Stars. Und sie werden angeschaut. Sie beeinflussen zum Negativen, sie tragen nichts zum Alltag der Menschen bei, außer einem Zeitraum, in dem sie sich nicht aktiv um ihren sozialen Status kümmern müssen. Sie schauen durch die Glotze herab auf irgendwelche Trottel, die sich zum Klops machen – oder auch nicht, es ist total egal.

Das Fiese an GNTM ist der Griff aus dem Fernseher heraus nach Menschen, die oftmals zu jung, zu unerfahren, zu ungeschützt und unaufgeklärt darüber sind, wie Fernsehen im Allgemeinen und Werbung im Zusammenspiel mit Konsum im Speziellen funktioniert. Was das mit ihrer Körperlichkeit zu tun hat, mit ihrer Persönlichkeit, mit Ansprüchen Dritter an ihrem Körper, aber auch ihre Zeit und ihren emotionalen Kräften.
Ich höre seit Jahren diese mir tatsächlich sehr naiv erscheinende Frage oder vielleicht eher Feststellung, dass „die jungen Mädchen“ das ja auch noch freiwillig mitmachen – diesen unsinnigen Müll. Als jemand die_r einige Jahre sehr viel Müll hat „mit sich machen lassen“ – „~freiwillig~“ – werde ich darüber oft wütend. Über diese Naivität. Diese dumpfe Dummheit. Weil – bitte, wie einfach kann man es sich machen. „Ja, wenn die das freiwillig mitmachen …“ dann ist es ok? Kein Problem? Selber schuld, wenn die Freiwilligkeit ausgenutzt wird?

Und was machen die Menschen denn da mit?
GNTM wird häufig als Wettbewerb gerahmt. Genauso wie das Schrottformat „der Bachelor“. Es kann nur eine gewinnen. Hier geht es um was, trallalala. Aber um was geht es denn für wen? Was hat der Dschungelkönig oder die Dschungelkönigin gewonnen – außer einer Erfahrung mit öffentlichem Ekeltraining und 100.000 € zusätzlich zu einer Gage, die neben dem, was der Sender damit generiert, einfach nur lächerlich sein dürfte? Sie_r hat vor allem gewonnen, weil sie_r nicht verloren hat. Und das ist schon alles.
Seit Jahren ist bekannt, dass die Gewinner_innen von GNTM ein Werbepüppchen im Unternehmensuniversum von Heidi Klum sind und weiter nichts. Sie erhalten einen Vertrag, der sie in Einkaufsmalls und auf Popelbühnen bringt – aber nicht auf die Laufstege von Top Designer_innen. Das ist besser als nichts und wenn man wirklich als Model arbeiten will, muss man irgendwo anfangen – aber dafür muss man sich nicht im Fernsehen demütigen und sexualisieren lassen. Es ist ein Beruf und der Zugang dazu ist kein Wettbewerb, sondern Arbeit.

Die Sendung als Wettbewerb zu rahmen ist jedoch das Element, das viele Teilnehmer_innen letztlich verführt. Denn was ein Wettbewerb ist, erfordert Fähig- und Fertigkeiten, die einfach entwickelt und gezeigt werden können. Es liegt an den Teilnehmer_innen wer gewinnt. Nicht an den Produzent_innen, die ja als solche nie in Erscheinung treten und dementsprechend gar nicht in ihrer Machtposition überhaupt erkannt werden können.
Nachdem man vielleicht jahrelang gesehen hat, wie andere versagen – wie schwer ist dann der Sprung zu dem Gedanken: „Was die können, kann ich auch. Sogar noch besser. Ich hab jetzt alles gesehen, ich krieg das hin, ich kann das. Ich mach das. Ich werde gewinnen und besser sein.“ Und das machen sie freiwillig. Beweisen, dass sie es besser können. Und wenn sie zufällig in das Schema passen, dass die Produzent_innen in der Staffel bedienen wollen, dann schnappt die Falle zu.

Die gleiche Falle, die ihnen Mackertypen stellen, die gleiche Falle, die Täter_innen aufstellen, die gleiche Falle, die in verschiedenen Formen überall in unserer patriarchalen Gesellschaft benutzt werden. Es ist immer wieder der Rückwurf und die Reduktion auf die Person allein. Zeig, was du kannst – beweise, was du über dich sagst – erkämpfe dir meine Gunst – und dann bekommst du eine Chance dich dessen würdig zu erweisen. Vergiss nie, dass du meine Gunst brauchst – Heidi muss dich gut finden, Hajo muss dich geil finden, der Kunde muss dich ficken wollen, dann hast du es richtig gemacht, dann stimmt, was du über dich glaubst. Dann bist du würdig einen Supermarkt in Castrup Rauxel zu eröffnen oder die nächste Generation GNTM Meeedchen zu rekrutieren.

Sendungen wie diese sind nur deshalb anschlussfähig, weil speziell Mädchen und Frauen und als Mädchen und Frauen behandelte/gedachte Menschen genau das immer und immer und überall erleben. Es gilt einfach nie, was sie im ersten Moment über sich sagen oder was sie von sich halten. Der Blick von außen auf sie ist immer noch wichtiger als ihr eigener auf sich.
Und das gilt für jede Fernsehsendung mit diesem Prinzip. Die Zuschauer_innen werden missbraucht, um eine Instanz des Außens zu erschaffen, das im Sendungsgeschehen selber überhaupt keine Rolle spielt – zumindest so lange nicht, bis es die Zuschauer_innen sind, die mit ihrem Anrufverhalten bestimmen, wer sich länger von Unsympathen wie Dieter Bohlen beleidigen lassen oder irgendwelche gefährlichen Challenges bestehen soll darf muss. Bei GNTM wird darüber gelogen, wer das Außen ist. Denn Heidi allein und ihre Jury ist es nicht. Und um die Teilnehmer_innen als Person geht es auch nicht. Deshalb können sie die Verantwortung dafür von sich weisen. Deshalb können sie so tun, als verstünden sie die Kritik nicht. Denn sie sind ja nur Vermittler_innen in die Welt des Modelns.

Das macht die Sendung unmoralisch und die Ausbeutung, die Sexualisierung von Minderjährigen und auch die Legitimation dieses Geschehens überhaupt erst möglich.
Entsprechend ist es unsinnig, sich darüber zu unterhalten, wie sich das Fernsehen verändern muss. Ob die Heidi das darf oder nicht. Ob und wenn ja, wie freiwillig die Teilnahme ist oder nicht. Solange Menschen Medien nutzen, um sich über andere zu erheben; solange Werbung die Haupteinnahmequelle für die Produktion von Medien ist und wir uns auf Einzelpersonen statt Gesamtzusammenhänge konzentrieren, werden wir reproduzieren, was diese Sendungen legitimiert: Gewalt und Macht.

die Verabschiedung

Gestern machten wir etwas Besonderes. Etwas, das wir erst ein Mal und dann doch nicht machen mussten, konnten, durften.
Wir verabschiedeten eine Behandlerin. Eine Unterstützerin, eine Begleiterin, seit gut 18, knapp 19 Jahren.
Ich verdanke ihrer Arbeit, ihrer Präsenz, ihrer Erreichbarkeit viel. Vielleicht mein Leben. Das kann man so genau nicht mehr sagen, ich sage es trotzdem. Denn für mich ist egal, wer es denn nun genau war – sie, meine Therapeutin, der Begleitermensch oder die Therapeut_innen vor ihnen – ich lebe noch und ich täte es nicht mehr, wäre da niemand von ihnen gewesen.

 

Sie war nicht die Behandlerin unserer Wahl und sie hat uns auch nicht nach Wahl behandelt, als wir uns kennengelernt haben. Es waren überforderte Menschen, die uns zusammengebracht haben und eine bittere Versorgungsrealität, die uns zusammenhielt.

Sie hat mich nie geschützt und nur ein Mal war das etwas, das mir geschadet hat.
Sie konnte nicht wissen, dass ich in der Klinik, in die sie mich einwies, sexualisiert misshandelt werden würde. Sie hätte mich vor einer psychiatrischen Heilbehandlung schützen wollen müssen und das hätte erfordert, die Psychiatrie als gewaltvollen Ort, als absolute Institution zu verstehen – und abzulehnen.
Und eine Alternative anbieten zu können.

Es hat 10 Jahre gedauert, bis ich verstand, dass sie mir wichtig ist und bis heute, dass ich ihr vertraue.
Jetzt, wo sie mir keine Gefahr mehr sein kann.

Ich glaube, dass es wichtig ist, diesen Umstand zu benennen. Denn ja, so tief, so heftig, so lange hat die Helfergewalt in mir gewirkt und gleichzeitig hat es nicht verhindert, dass ich ein tragfähiges Arbeitsbündnis aufbauen konnte. Ja, im Kontakt war ich immer dissoziiert. Ja, ich habe ihr gegenüber nie alles mit_geteilt. Ja, ich habe aktiv und bewusst verhindert, dass sie weiß, wie es in mir aussieht, wenn wir einen Termin mit ihr hatten – und erst bei unserem Abschied habe ich erwähnt, dass es für mich immer Arbeit war, überhaupt in die Praxis zu kommen. Aber das hat keine Rolle gespielt und das war eine wichtige Erfahrung für mich.

Viel zu viele Behandler_innen haben mich mit ihrem Verständnis von Vertrauen und Zugewandtheit bedrängt, verwirrt und überfordert. Haben nicht verstanden, dass ihnen nicht zu vertrauen weder eine Aussage über sie noch über meine Fähigkeit zu vertrauen ist. Haben nicht begreifen können, dass sie eine soziale Barriere erschaffen, wenn Vertrauen eine Bedingung für die gemeinsame Arbeit sein soll.
Mein Verhältnis zu Menschen, die mich einweisen könnten, ist einfach nicht unbelastet. Die Gewalterfahrung zu wenig als solche bewusst, als dass ich davon ausgehen kann, dass irgendjemand überhaupt versteht, was daran die Gewalt ist und was davon verletzt wird.
Und was die Wunde, das Trauma, daran ist.
Und weil das so ist, ist der Umgang damit, die Heilung wie die Kompensation von Triggern, von Flashbacks wie der Notwendigkeit, sich dem immer wieder auszusetzen, wenn man medizinische Versorgung nicht vermeiden will kann, sehr einsam.
Nicht „einsam im Regen stehen-einsam“ sondern „allein im Vakuum-einsam“.
Trauma-einsam.

Ich bin heute an einem Punkt, an dem ich vor Menschen darüber sprechen kann, was Helfergewalt ist und was sie macht.
Dass sie so etwas wie mein Verhältnis zu dieser Behandlerin macht, habe ich dabei selten thematisiert. Denn die Conclusio darf nicht sein: „Ja gut, das war mal scheiße, aber ging ja dann doch.“ Sie muss sein, dass eine Einweisung in die Psychiatrie, egal warum und wie legitimiert, mit Verlusten einhergeht, die nie wieder aufzufüllen sind. Nicht mit einer guten Anschlussbehandlung und auch nicht mit einem Reframing des Aktes als lebensrettend. Und, dass diese Verluste nicht nur die AbEingewiesenen betrifft, sondern alle Menschen dieser Gesellschaft.

Jetzt muss ich mir eine_n neue_n Behandler_in suchen.
Weiß, dass ich mit vielen Absagen umgehen muss – und vielleicht sogar niemanden finde, die_r wenigstens ein Grundverständnis von Komplextraumafolgen, DIS, Autismus hat. Weiß aber auch: Ich bin nicht zuständig für Fort- und Weiterbildung, für Qualitätssicherung, für das Aushalten dessen, was es bedeutet, wenn Behandler_innen am lebenden Objekt ihre ersten Erfahrungen sammeln. Solche Arbeitsbeziehungen kann ich nicht er_tragen. Will ich nie wieder er_tragen müssen.
Es wird nicht einfach.

Aber das war es vorher auch nicht.

 

 

 

Ist dir der Begriff „Trauma“ zu groß, ist dein Verständnis von Gewalt zu klein.

„Mir ist da das Wort „Trauma“ oft zu groß.“
Wir sprechen über Autismus und Trauma, ich darüber, dass es mich fassungslos macht, dass viele Autismustherapeut_innen mit Opfern von Peer-Gewalt („Mobbing“) arbeiten, aber sich primär auf deren Autismus konzentrieren.

Auf dem Weg nach Hause merke ich, dass ich wirklich Glück hatte.
Ein Haufen feministisch bewegter Frauen haben mich in den letzten Jahren therapiert und begleitet. Oft transfeindlich feministisch bewegte Frauen und in der Regel auch sexarbeit-feindlich feministisch bewegte Frauen, aber immer Frauen, denen klar war, dass meine Verfassung, mein InDerWeltSein ausschließlich mit meiner Verwundung zu tun hat – aber nie der wahre Grund für die Gewalt an mir war.
Ich musste niemals – wirklich, bei aller Falsch- und Schlechtbehandlung, die ich erfahren habe, niemals! – damit umgehen, dass jemand versucht hat, mir zu vermitteln, dass ich mich anders verhalten, anders mit den Menschen umgehen soll, die mich als Person absichtlich verletzen, damit sie mich nicht (weiter) verletzen. Vielen autistischen Kindern und Jugendlichen, die in der Schule gemobbt werden, passiert das aber und ich halte das für absolut miese Drecksscheiße, die nur von Erwachsenen kommen kann, die Kinder nicht als Täter_innen und Mobbing nicht als Gruppengewalt anerkennen können und/oder wollen. Und also bei aller guten Intention und Zugewandtheit trallalala – keine echten Verbündeten der Kinder und Jugendlichen sind.
Das sind in der Regel die gleichen Erwachsenen, die Wunden erst bei fließendem Blut oder maximaler Dysfunktion eines Menschen – also gewissermaßen im Katastrophenfall – als solche überhaupt verstehen und das Konzept von psychischer/emotionaler Gewalt nicht verstanden haben. Und oft – zumindest meiner Erfahrung nach – sind das Leute, die entweder selber als Kinder und Jugendliche (mit)gemobbt haben oder denken, dass sie nicht gemobbt wurden, weil sie alles richtig gemacht haben. Also Leute, die gewaltlogische Schlüsse nicht als solche reflektiert haben und heute entsprechend opferfeindlich denken und be_handeln.

Wer „Trauma“ für ein großes Wort hält, hat es nicht verstanden. Denn groß ist nie das Trauma selbst, sondern seine Ursache und/oder seine Nichtheilung/Nichtverarbeitung. Jedes aufgeschlagene Knie beweist das. Man knallt hin – das passiert halt, ist banal. Man hat eine Wunde, ein Trauma, und die heilt. Das juckt, man kann erstmal vielleicht nicht so gut laufen, muss sie regelmäßig säubern und trocken halten und irgendwann ist wieder gut. Trauma geheilt, bumms. Hier ist also erst einmal nur die Wirkung groß.
Aber, was, wenn man geschubst wurde. Wenn jemand wollte, dass man Schmerzen hat? Dann ist doch das Trauma nicht nur das kaputte Knie. Dann ist doch die Erfahrung, dem Willen eines anderen Menschen ausgeliefert zu sein, ganz klar auch etwas, das weh tut. Das kann man doch nicht weglassen aus der Wundversorgung oder nicht anerkennen, dass sich die Auseinandersetzung mit der anderen Person auch auf die Wunde, das Trauma und dessen Heilung auswirkt.

Und jetzt schaut bitte mal darauf, wie mit Kindern umgegangen wird, die einander absichtlich schubsen … mobben … oder sonst wie verletzend miteinander umgehen. Was, wenn nicht opferfeindlich – und also „täterlich“ – ist es in solchen Zusammenhängen dem Opfer primär zu vermitteln, dass es sich davor nur schützen kann, wenn es sich nach Schema x verhält, auf Anzeigen y achtet und so weiter. Die Wirkung kann nur die von victim blaming sein. Sie kann nur sein, dass der Eindruck entsteht, es sei von größerer Wichtigkeit, sich nicht der Versorgung der Wunde zu widmen, sondern der Verhinderung von weiteren.

Das Problem ist, dass Schutz nicht das gleiche ist wie ein Leben ohne Gefährdung. Auch der resilienteste Mensch, mit den besten Selbstschutztechniken und -mechanismen in sich, lebt nicht sicher. Lebt nicht entspannt. Kann sich nicht entfalten. Kann niemals erfahren, wie es ist, sicher zu sein – er kann immer nur wissen, wie es ist, geschützt zu sein. Und das ist etwas völlig anders. Ein völlig anderes Er_Leben.

Die Anerkennung einer Verletzung ist für Opfer nicht nur wichtig, um sich selbst zu verstehen oder irgendwie ein bisschen geplüscht zu werden, um sich selbst (wieder) (in einem sozialen Status) zu versichern. Sie ist auch für alle anderen Menschen um sie herum wichtig.
Es ist unfassbar wichtig für menschliche Gesellschaften von verletzenden, schmerzenden und gefährdenden Dingen zu erfahren – nur so kann sie Strategien entwickeln, um diese Dinge effektiv zu umgehen, einander im Schmerz zu verstehen, einander in der Heilung zu unterstützen und auch um in konsensorientierte Verhandlung darüber zu kommen, welche Art des Umgehens wie ins Miteinander eingepflegt sein muss, damit sie effektiv und effizient sind.

Opfer und Täter_in nicht eindeutig zu benennen, weil man denkt, das wäre zum Beispiel bei Kindern und Jugendlichen irgendwie die zu große Rolle, weil sie noch nicht die Reife von Erwachsenen haben oder weil man die Gewalt nicht als „wirklich krass“ einordnet (weil man sie selber nicht so schlimm findet und nur, was man selber für schlimm findet als Gewalt anerkennt) oder weil man annimmt, dass der soziale Kontext eine_n dann für überdramatisch und also nicht ernstzunehmen hält oder weil man fürchtet mit dieser Einordnung ein Urteil zu fällen – führt dazu, dass Gewalt an sich nicht konkret genug definiert wird.
Und alles, was nicht eindeutig definiert ist, bleibt unsichtbar. Unerkennbar. Unbenennbar. Unveränderbar.

Wir haben in unserer Gesellschaft ein Gewaltproblem und sind selbst schuld daran.
Wir machen einander abhängig davon, immer von allen als Nichttäter_in und nur in absoluten Ausnahmefällen als Opfer gesehen zu werden, weil wir als Gesellschaft einfach noch nicht kapiert haben, was Gewalt ist, wie sie wirkt und was sie für uns bedeutet.
Wäre das anders, hätte niemand je ein Problem damit, jemanden als Opfer anzuerkennen, wenn sie_r verletzt wurde – oder als Mit.Täter_in, wenn sie_r verletzt hat bzw. beigetragen hat zu verletzen.
Wir hätten Wund_Versorgungskompetenzen. Ganz allgemein. Wir gingen in den Kindergarten und lernten nicht nur das Wort „Entschuldigung“ wie eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte in unser Verhalten zu integrieren, sondern auch (Wieder)Gutmachung. Wir lernten, dass wir einen direkten Einfluss auf das Befinden eines anderen Menschen nehmen können – im Guten wie im Schlechten – und dass es in unserer Verantwortung liegt, sich darum zu kümmern. Sich zu interessieren. Auch dann, wenn keine Autorität (eine erwachsene Person, ein_e Richter_in) uns dazu auffordert.

Es ist unser Gewaltproblem, das die Anerkennung von Traumata erschwert. Es ist unser Gewaltproblem, das die Therapie der Traumafolgestörungen zu einer special Spezialisierung macht. Es ist unser Gewaltproblem, das verhindert, dass wir alle in Frieden und Zufriedenheit, Glück und Bedingungslosigkeit miteinander leben können.

Niemandem ist damit geholfen so zu tun als wäre es nicht da.
Niemandes Hilfe ist wahrhaft, wenn sie nicht aus diesem Bewusstsein heraus geleistet wird.

 

tl,dr: Ist dir der Begriff „Trauma“ zu groß, ist dein Verständnis von Gewalt zu klein.

Be_Handlungsmotivation

Wir sprachen über Autismus Deutschland e. V. und darüber, dass es auch in der Trauma-Bubble so ist, dass „die Betroffenen“ viel zu wenig Austauschmöglichkeit mit „den Profis“ haben. Irgendwann ging es um die Motivation der Profis und um die Frage, welche Motivation denn die richtige sei. Sie sagte, für sie sei es wichtig, dass die Leute gern mit anderen Menschen arbeiten und ich, deren Kernkompetenz ist, gut Mitmenschen umgehen zu können, dachte, dass das doch irgendwie auch nicht die richtige Grundlage ist.

Ich weiß nicht, wie eine Therapeut_innenausbildung läuft. Wie man Mediziner_in, Behandler_in wird. Ob und wenn ja, wieviel Herzensbildung mit welchem Fokus passiert oder abverlangt wird. In jedem Fall denke ich, dass man irgendwann für sich überlegen muss, ob man das will. Jeden Tag mit anderen Menschen reden, sie anfassen, ausmessen, Mathe auf das Leben anwenden, Medikamente empfehlen, Verantwortung balancieren, eine Praxis organisieren, sich selbst nicht vergessen. Ich glaube, dass man alles das mehr wollen als können muss und dass es deshalb nicht selten vorkommt, dass Behandler_innen eine Motivationsquelle in sich selbst dafür haben. Intrinsische Motivation ist wirkmächtig und das ist ok. Wenn also jemand in erster Linie für sich behandelt, ist das nicht zwingend ein Problem für die behandelte Person. Das wird es wohl erst, wenn Behandler_innen eine innere Bedürfnis- oder Notlage mit intrinsischer Motivation für eine Berufsausübung verwechseln und ergo ihren Beruf brauchen, um sich selbst etwas zukommen zu lassen, dass sie anders nicht herstellen können. Anerkennung zum Beispiel. Be_Achtung. Respekt. Zwischenmenschlichen Kontakt, der (von ihnen) kontrolliert abläuft. Sinn im eigenen Leben. Orientierung in der Welt. Selbst_Versicherung.

Das therapeutische Verhältnis zwischen be_handelnder und behandelter Person ist von Distanz bestimmt, die diese Ebene nicht berühren soll. Und viele Menschen mögen das nicht. Manche, weil sie die Grenze nie gewahrt erlebten und entsprechend nicht erkennen und manche, weil sie sie mit Unpersönlichkeit verwechseln. Viele Menschen wollen, dass ihr_e Therapeut_in eine persönliche Rolle in ihrem Leben spielt, weil das Problem, mit dem sie in die Therapie kommen, ein so persönliches ist. Und viele Menschen können der Rolle, die eine kontinuierlich, stabile, zugewandte Person erfüllt, nur mit der eines (idealen) Elternteils übersetzen und wollen diese auf ihre Behandler_in anwenden. Ebenfalls mit oft negativem Outcome, denn nur Eltern können Eltern sein.

Und dann ist da auch noch die Sache mit der Macht, die sich aus der Gewalt in Form von Ableismus bzw. Saneismus ergibt.
Wenige Menschen sind sich darüber bewusst, dass Behandler_innen unter anderem deshalb so wertvoll und geschätzt sind, weil sie langfristigen Funktionsverlust verhindern (helfen). Also eine nicht unerhebliche Rolle bei der Verhinderung von Behinderung und damit Verlust auf vielen Ebenen spielen.
Wäre unsere Gesellschaft weniger ableistisch (und vor allem saneistisch) müssten sich weniger Menschen mit psychischen Belastungen in Behandlung begeben. Sie würden weniger Gewalt erfahren und bräuchten entsprechend weniger Schutz und Stärkungsmaßnahmen, um sich in sich und der Welt ok zu finden oder sich selbst zu verwirklichen. Psychotherapie wäre in einer so gestalteten Gesellschaft sicherlich weiterhin wichtig und relevant, sie hätte meiner Ansicht nach jedoch eine andere primäre Funktion.

Man darf nicht aus dem Blick verlieren, dass viele Menschen, die heute zu Behandler_innen werden, Macht und Gewalt in anderen Formen und anderen Auswirkungen auf das Leben damit gemacht haben als die meisten der Menschen, die sie später behandeln. Und zwar nicht, weil sie alle auf Rosen gebettet leben und hundert Jahre Studium vor tausend Jahren praktischer Ausbilderei im Grunde ein Kinderspiel sind, sondern, weil es mehr als einen brillanten Geist und Willensstärke braucht, um nicht an Leistungsdruck, Sexismus, Ableismus, Rassismus und so weiter zu leiden oder gar zu scheitern – privilegierte Menschen jedoch oft glauben, dass es an ihrem Intellekt und starken Willen zum Durchhalten lag, dass sie es geschafft haben. Und damit gehen sie durch die Welt.

Manche finden sich darin ziemlich geil und holen sich über ihren Kontakt zu Patient_innen und ihren Status die Bestätigung darin – und manche glauben, sie würden sich irgendwann bestimmt geil finden, statt ängstlich, selbst_unsicher oder als unentdeckter Deepfake, wenn sie nur genug „Kracher“ heilen, sich „den krassesten Fällen“ widmen, sich aufopfern für andere … oder „denen eine Stimme geben, die von der Welt nicht angehört werden“.
Dass das alles überhaupt nur geht, weil behandelte Personen „Patient_innen“ sind und damit in einer weniger ermächtigten sozialen Position, das ist den wenigsten Menschen wirklich als Problem bewusst. Unter anderem, weil sie ihren Beruf nicht mehr (da) ausüben könnten (wo sie es tun), würde es ihnen bewusst werden, denn es gibt einfach keine Klinik und keine Praxis außerhalb dieses Systems.

Treffen „die Profis“ auf „die Betroffenen“, dann ist dieses Bewusstwerden oft schon passiert. Und dann geht es nicht mehr nur darum, wer wem mehr oder das Richtigere zu sagen hat, sondern auch um Auf- und Abwertung. Viele Behandler_innen erleben sich abgewertet, wenn sie sich mit Patient_innen für etwas einsetzen, statt für sie vor anderen Behandler_innen zu sprechen und diese Abwertung ist für viele nicht kompensierbar. Was meiner Ansicht nach überhaupt kein Charakterfehler ist oder irgendein angeknacktes Ego, sondern ganz real. Jede_r kennt, wie das ist, wenn die eigene Peergroup eine_n auslacht, weil man etwas macht, was darin abgewertet wird. Es ist sehr schwer dann weiter gut und wertig zu finden, was man da gemacht hat. Und man hat das Gefühl sich entscheiden zu müssen, zwischen dem, was das Herz will und sagt und dem, was Erfolg und Sicherheit verspricht.
Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Behandler_innen sind Menschen. Sich gegen Dinge zu entscheiden, die sich zwar richtig aber unsicher anfühlen ist so logisch wie legitim. Das macht sie nicht zu schlechten Menschen oder zu Menschen einer falschen Motivation und auch nicht zu schlechten Behandler_innen. Zumindest so lange nicht, wie sie die Menschen, die sie behandeln, nicht abwerten, weil diese Behandlung brauchen oder einen Kontakt wünschen, der nicht von Hierarchie bestimmt wird.

In unserem Gespräch erzählte ich, wie es nicht geklappt hatte, einen der begehrten Ausbildungsplätze zur Peer-Beratung zu ergattern, dass ich es aber weiterhin versuchen werde, weil ich das gerne machen möchte.
Peer-to-Peer-Beratung ist für mich eine Möglichkeit Menschen mit Schwierigkeiten, die ich selbst schon erlebt habe, zu begegnen. Der Kontakt ist nicht hierarchiefrei, aber nicht in sich bereits gewaltvoll. Ich muss nicht heilen und auch nicht so tun, als ob irgendetwas von dem, was ich leisten kann, etwas Besonderes ist. Und es gibt die gleiche Grenze, die gleiche persönliche Distanz, die einzuhalten ist, wie im therapeutischen Kontakt. Ich spreche nicht mit Freund_innen, nicht mit meinen Kindern, sondern mit Menschen, die an einem Problem arbeiten wollen. Das Problem ist der Grund für unseren Kontakt – nicht wir.
Und das ist eine hervorragende Grundlage etwas zu tun, das ich gut kann: Probleme und ihre Dynamik auseinanderdröseln, analysieren, ordnen. Es befriedigt mich, wenn man es hinkriegt Probleme zu verstehen und sich mögliche Lösungswege zu überlegen. Wenn das jemand gut findet und sich gesehen fühlt, dann ist das ein schönes Add-On, brauchen tue ich das aber nicht, um mich dazu zu motivieren.

Ob das die richtige Motivation ist, um etwas zu machen, das mit Menschen zu tun hat, weiß ich nicht. Aber es ist eine Motivation, die mich wahrscheinlich am wenigsten verstrickt und gewaltvoll handeln lässt, weil es mir nicht primär um die Menschen und mich im Kontakt mit ihnen geht, sondern um das Problem. Das klingt für manche Menschen vielleicht hart und kalt, unpersönlich und nach etwas, was sie nicht glauben können, weil sie selbst nicht so funktionieren. Aber ich funktioniere so. Das ist meine Perspektive, so bin ich. Und alle Menschen, die mit Menschen arbeiten, arbeiten auch mit sich mit Menschen. Immer benutzt man sich selber, um Kontakt herzustellen, Empathie aufzubauen, Ideen zu entwickeln, was helfen könnte.
Ich halte das für das Ding, das alle be_handelnden, beratenden, begleitenden Menschen klar haben – und halten! – müssen. Lässt man da nach, ist selbst die richtigstmögliche Behandlung/Beratung/Begleitung der Welt nicht die bestmögliche.

Eltern, die ihre Kinder hassen

Diesmal ist es kein Schnelldurchlauf, sondern eine Zeitlupe und das Quietschen meiner Nackenmuskeln. Gedämpfter Straßenlärm, das Atmen der Therapeutin mir gegenüber.
„Meine Eltern hassen mich.“ „Ich glaub, er wollte mich umbringen.“ So schieben sie sich zusammen. Sie von links aus der Sitzung mit der Autismustherapeutin, er von weiter weg aus der Traumatherapie. Keine Kinder mit großen feuchten Augen, die einem das Mitleid aus dem Herzen zapfen wie den Sirup aus dem Baum, sondern bodenlos hoffnungslose, verdreckte, abstoßende … Ichs in einem Zeit-Raumempfinden von vor über 20 Jahren.
Ich bin so weit weg, dass ich sie wahrnehme aber nicht spüre. Sie bleiben Fremde für mich. Sind Einheimische in einer Welt, die ich nur begleitet aufsuche, um zu vermitteln, dass ES vorbei ist und DAS DA nicht wieder passiert. Jedenfalls nicht so. Nie wieder so.

Diesmal habe ich keine Feldnotizen. Kriege meine Gedanken nicht um die Dimension ihrer Not, weil es nicht um Mangel geht, sondern um etwas, das über das Tabu der Gewalt an sich hinaus geht.
Gegen Hass kann man nichts machen. Der ist nicht in Liebe zu verwandeln. Nicht einmal in achtsame Zuwendung oder Fürsorge. Hass ist absolut, deshalb kann man aus ihm heraus so einfach gewaltvoll sein. Braucht fast so wenig Anstrengung wie aus Ignoranz oder Todesangst.
Und ja, was anderes sollte ein Kind über die Motive von jemandem denken, der es praktisch zu zerreißen versuchte, als dass es um einen Tötungsversuch ging?

Elternschaft ist ein Status, kein Zustand.
Liebe, Achtsamkeit, die Fähig- und Fertigkeiten sich selber zu regulieren, um die eigenen Kinder zu begleiten, Fürsorge, Mitgefühl, Geduld – ja nicht einmal das Interesse am Mensch „Kind“ sind nicht einfach so da, nur weil man ein Kind geboren und es am Leben erhalten hat. Am Ende sind alle Eltern einfach nur Leute, die sich an jemanden gewöhnen, den sie selbst gemacht bzw. für immer in ihr Leben eingeladen haben. Sie bedeuten für ihre Kinder nichts, weil sie Eltern sind, sondern weil sie überlegen sind und mit jeder ihrer Entscheidung für oder gegen den liebevollen, achtsamen, interessierten, fürsorglichen Umgang eine Entscheidung über das Über_Leben treffen. Wenn Eltern hassen sind ihre Kinder nicht nur machtlos, wie es Kinder nun einmal sind. Dann sind sie ausschließlich über die Gewalt an sie gebunden, denn das ist alles, was Hass will und braucht. Dann ist das eigene Kindsein kein Zustand, sondern ein Status, der keinerlei Bedeutung für das Leben mit den Eltern hat. Es macht dann also weder einen Unterschied noch ein Kind zu sein, noch das Kind dieser Eltern zu sein. Man könnte auch ihre Haustür, ein Stück Klopapier, der Biomüll von letzter Woche sein.

Ich kann mich nicht erinnern schon mal davon gelesen zu haben. Hassende Eltern.
Natürlich wird das oft unterstellt, wenn jemand das eigene Kind getötet hat. Oder anderen zum Töten überlassen hat. Oder sich einfach nicht gekümmert hat. Es ist so leicht zu glauben, dass man nur tötet, was man hasst. So viel leichter als sich Mörder_innen zu widmen. Gewalttäter_innen. Leuten, die getötet haben, ohne so richtig klar zu haben, warum eigentlich.
Wir leben in einer Zeit in der Mütter nicht bereuen dürfen Kinder bekommen zu haben. Wo soll da der Raum für das Thema „Hass auf die eigenen Kinder“ herkommen? Wie soll das kein Tabu bleiben?

Und dann bin da auch ich selbst. Die_r mit dieser kindlichen Wahrheit in Kontakt geht und weiß, dass es für immer eine innere, eine vielleicht ausschließlich traumalogische Wahrheit bleibt, weil wir nie den Tag erleben werden, an dem sie uns sagen: „Ja, wir hassen dich.“ oder „Nein, wir hassen dich nicht.“

Noch so eine Opfersache mit der man Ende völlig allein zurückbleibt.

Behinderung #4 – Behindertenfeindlichkeit – #DisabilityPrideMonth

Ableismus hat große Schnittmengen mit Behindertenfeindlichkeit und wird deshalb oft gleichgesetzt.
Ich mache das bewusst nicht. Denn für mich gibt es einen Unterschied zwischen *ismen und *feindlichkeiten und ich halte es für wichtig, das nicht auszublenden.

Die Überschneidung von Ableismus und Behindertenfeindlichkeit liegt in der Idee vom Menschen ohne Makel und der Masse als normgebende Instanz. Behinderte Menschen sind weiter vom Bild des Menschen ohne Makel entfernt als die Mehrheit der Menschen und sie sind nicht eben jene Mehrheit der Menschen. Sie haben also in den herrschenden Verhältnissen keine Chance selbst normende Instanz zu werden und folglich das Maß, an dem sich bei allgemeinen, alltäglichen, ableistischen Überlegungen orientiert wird, zu sein.
Deshalb wirken die meisten im Alltag vorgenommenen ableistischen Annahmen und Überlegungen behindertenfeindlich. Mit ihnen werden Ausschlüsse (die häufig weder gerecht noch gerechtfertigt sind) legitimiert, die ihrerseits wieder zu behindertenfeindlichen Handlungen und weiterführenden Annahmen verleiten, welche hochskaliert, in die Gesellschaft hineintraditionalisiert und so von allen Menschen internalisiert zu einer allgemeinen Etablierung von negativen (weil behindertenfeindlichen) ableistischen Strukturen werden … können.

„Können“ deshalb, weil es einen Unterschied zwischen Denken und Handeln gibt.
Es ist eine Wahl feindlich zu sein. Es ist eine Wahl Gewalt auszuüben. Auch dann, wenn sie nicht als solche bewusst ist. Auch dann, wenn sie nicht bestraft wird, weil sie Teil des Alltags, der Strukturen, der allgemeinen sozialen Praxen ist.
Und es ist eine Wahl, wie sie geframed und kritisiert wird.

Ob man sie akademisch erforscht, bewortet und auf einen Stapel Schriften deuten kann, um sie (Menschen, die sich als nicht behindert einordnen bzw. so eingeordnet werden) als real existierendes Problem zu belegen oder ob sie in integrativen Kontexten direkt mit.erlebt wird, ist ein Unterschied. Und zwar einer, der häufig mit anderen Intersektionen von Diskriminierung zu tun hat.
Aber die Adressaten sind immer die gleichen. Es ist immer die Mehrheit, die behinderte Menschen als Maß der von Menschen zu erwartenden Fähig- und Fertigkeiten ausschließt. Weil sie es kann und weil sie es will.
Und die Kritik wird ihr gefällig geäußert und angepasst.
Das zeigt sich an der Akademisierung des Aktivismus, an der immer stärker herausgearbeiteten Vertretung von Partikularinteressen und der Entpolitisierung des Inklusionsbegriffs.

Es ist ein Problem – und eine ableistische Annahme – zu denken und zu vertreten, um es zu lösen, müsse nur allen Menschen erklären, was sie wann wie warum behindertenfeindliches tun und dass sie das tun, weil es Ableismus gibt mit dem wir alle leben.
Das hat in Bezug auf Sexismus nicht funktioniert, es funktioniert nicht in Bezug auf Rassismus und auch zu Klassismus wird es nicht funktionieren.
Weil Gewalt, Feindlichkeit, eine individuelle Wahl ist und ein *ismus eine kollektive Praxis braucht, um alle glauben zu lassen, er sei gewählt.

Um *ismen zu verändern, brauchen wir alle.
Um Feindlichkeiten zu transformieren jede_n Einzelne_n.
Es ist also ratsam Gewalt an behinderten Menschen als Akt der Behindertenfeindlichkeit und nicht des Ableismus zu framen und zu hinterfragen, ob das Konzept der normenden Mehrheit eigentlich je nicht feindlich sein kann.