Getriggert.sein

„Aufgewühlt“, das Wort brachte mein Partner ein, als ich ihm sagte, was in mir vorging. Ja, „aufgewühlt“, das kam diesem Gefühl nahe. Blubbernder, wälzender Treibsand, der mich in ein unendlich dumpfleeres Blaugraugrün ziehen würde, wenn ich ihn nicht bald verlasse.

Mir gefällt es, wenn ich neue passendere Worte unter den Bedeutungsschirm „getriggert“ schieben kann. Denn was soll das denn eigentlich sein „getriggert“? Doch immer nur „angestoßen“, „berührt“, „ausgelöst“ … und – „angefasst“ im unangenehm nahen, wahrhaften Wortsinne.
Ich aber war verwirrt, uneindeutig, innerlich hin- und hergeschoben zwischen Er.innern und Er.wachsen. Wusste, dass der Text, den ich lektorierte, nicht deshalb triggerte, weil er Vergewaltigung zum Thema hatte, sondern, weil ich vergewaltigt worden bin und seine Inhalte meine harte Alltagsschutzschale berührten.
Eine auslösende Berührung, das ist ein Trigger. Die Triggerreaktion ist alles danach.

„Ich bin getriggert“ wollte und will ich auch heute nicht sagen. Ich bin nie getriggert. Ich bin nie die Reaktion auf einen Trigger. Ich bin das Ergebnis einer Trigger.reaktion – in meinem Selbstempfinden aufgrund der DIS und selbst das eigentlich nur gewissermaßen – aber „getriggert“ ist kein Adjektiv für mich.
Es ist ein diffuser Begriff, genutzt als soziales Adjektiv. Gemacht nur, um anderen zu sagen, dass man gerade „was mit Trauma hat“, aber nicht, was. Eine widersprüchlich anziehend abstoßende Kommunikation.

In mir waren mehrere Prozesse ausgelöst worden.
Vor dem Tag, an dem ich den Vergewaltigungstext bearbeitete, hatte ich in dem Buch „Ist das okay?“ gelesen. Ein Kinderfachbuch zum Thema des sogenannten „sexuellen Missbrauchs“. Darin gibt es Texte und Fragen, die man sich offenbar selbst irgendwie beantworten muss. Wie, dahinter bin ich bislang nicht gekommen. Die Antworten stehen nicht im Text. Oder ich habe die Texte nicht verstanden. Oder mir fehlen bestimmte Eckpunkte im Grenzverständnis. Oder ich habe dieses Buch lesend zeitweise keinen Zugang zu meinem erwachsenen Grenzverständnis, weil mein kindliches Grenzverständnis irritiert, verwirrt … aufgewühlt … berührt und aktiviert wird. Vom Thema. Vom erinnernden Thema.

Der feste Boden unter den Füßen meines Gemütes war also schon in Bewegung. Oder – weniger so formuliert, als wäre mein Gemüt ein eigenständiges Wesen, das sich meiner Kontrolle entzieht, was es mir leichter machen würde, mich in der Traumawahrheit zu bestätigen, dass ich eh nie Einfluss auf mein Empfinden (oder irgendwas sonst) habe –
Ich war bereits in einem geistigen Prozess von Verarbeitung, von Neuordnung, von Konfliktbewusstsein und – lösung.ssuche. Logisch, dass meine Alltagsschutzschale nicht die 100 % meiner Energie bekam. Sie war nicht so stabil, ich war nicht so stabil. Ich war nicht mehr hart und starr – sicher wie ein Leuchtturm im Sturm oder Grundmauern in der Erde – sondern in Bewegung ohne Plan, Struktur, Halt, Anfang, Ende. Eine Bewegung, die von Natur aus sehr viel Ähnlichkeit mit dem todesängstlichen Greifen ins Leere, dem Schreien in globale Stille, dem Leiden ohne absehbares Ende des Traumas hat.
„Ich bin getriggert“, sagt überhaupt nichts über diese Bewegungen aus. Nichts über die mühevolle Konzentration in die Ruhe hinein, die man im Umgang mit dem mentalen Treibsand des Traumaerinnerns braucht. Das so viel anstrengendere ruhig in die Luft Reinatmen, statt in sie hineinzuschnappen. Nichts über das Misstrauen gegenüber den eigenen Gedanken zur Situation, das einerseits zwingend nötig ist, um Traumawahrheiten zu erkennen und andererseits ohnehin schon immer so sehr da war, dass man eigentlich nie weiß, welcher Gedanke nun richtig ist und welcher nicht.

„Getriggertsein“ bedeutet für zu viele Menschen zu viele unterschiedliche Dinge. Es ist keine zuverlässige, keine konkrete, sichere Zustandsbeschreibung. Der Begriff kann nur der Zuordnung dienen. Und auch das nur in sozialen Kontexten, in denen ein kongruentes Verständnis vom Zuordnungsrahmen besteht.
In einer Welt, in der der Begriff des Triggers aber beliebig und willkürlich genutzt wird, kann er eigentlich nur der eigenen inneren Ordnung zuträglich sein. Er kann helfen, eine erste Grundordnung vorzunehmen. „Hier das Okaysein, hier das Getriggertsein, dort das Happysein.“ Oder: „Hier das Freundinsein, hier das Getriggertsein, dort das Richtigsein.“
Geben wenige zu, aber ja, hier deute ich an, dass „Getriggertsein“ auch eine soziale Rolle bekommen kann. So etwas passiert und viele schauen verächtlich darauf, weil sie es gleichsetzen mit einer Opferidentität. Die man als Opfer aus Gründen des Ableismus niemals entwickeln, haben oder verkörpern soll – obwohl genau das in dem Prozess der Bewegung, der Verarbeitung einer Berührung (von einem Trigger) mit den Menschen passiert, ob sie wollen oder nicht.
Für mich ist die innere Ordnung wichtig. Auch meine innere Zu.ordnung.
Deshalb schätze ich es, wenn mir neue Worte zur Beschreibung angeboten werden. Wie „aufgewühlt“.

Ich meine – wie großartig ist, dass man Dinge auch mit vielen Worten eingrenzen und konkretisieren kann? Wie schön, dass es nie nur des EINEN Zauberwortes bedarf, um zu vermitteln, auszudrücken und durch das Sprechen auch zu verkörpern, was man aus.sagen will? Wie gut, dass man nicht auf bloße Substantivierungen des Traumasprechs setzen muss, um traumabedingte Belastungen sichtbar zu machen.
Man denkt so oft, dass man besondere Worte für diese besonderen (diese besonders schlimmen, unangenehmen, peinlichen, unfasslich, unendlich erscheinenden) Gefühle, Gedanken und Erfahrungen wählen muss, aber das stimmt überhaupt nicht. Man muss nur die finden, die passen und die, die verstanden werden.
Und anerkennen, dass das manchmal nicht die gleichen sind.

Flügel

Ein Kind, dem die großen bunten Schmetterlingsflügel vom Rücken abgeschnitten werden. Eine Grafik, die ich öfter sah, als meine Autismusdiagnose noch neu und ich einigermaßen unbedarft in der autistischen Netzbubble unterwegs war. Ich dachte schon damals, dass diese Grafik vermutlich in vielen anderen Kontexten auch benutzt wurde, um die radikale Natur so mancher Grausamkeit gegenüber Kindern aufzuzeigen. Eine Grausamkeit, die als solche oft gar nicht bewusst ist. Eine Radikalität, die einen Für-immer-Abdruck hinterlässt.

„Alle Menschen sind anders“, das ist ein dünnes Läppchen, das man sich manchmal gegenseitig auf den Kontakt patscht. Ich nehm dich, wie du bist – ich will nicht, dass du bist wie ich – wir können alle anders sein, dann muss niemand darunter leiden anders zu sein, töröö!
Darüber dachte ich gestern nach einem Gespräch mit jemandem nach.
„Was wäre die gewünschte Reaktion auf deine DIS-Diagnose?“, war die Frage. Ich habe geantwortet, dass die beste Reaktion Grundlagenkenntnis wäre. Dass es cool, wäre, wenn ich mich nicht immer darauf einstellen müsste, anderen Menschen zu vermitteln, dass mein Aufwachsen so anders war als ihres, dass ich sehr anders, radikal anders, geworden bin als sie. Ohne so Dinge zu sagen wie: „Ich habe Abgründe gesehen und Tode überlebt, die du dir im Fernsehen just for fun reinziehst. Oder zum Entspannen.“ Obwohl es wahr ist. Und auch bewusst gemacht werden muss.

Es wäre schön, wenn die Alltage, die Er_Lebensnormalitäten von Menschen mit DIS bekannter wären als die Ausnahmezustände, die Kontrollverluste. Wenn nicht jede Film- und Fernsehpräsenz des Themas die Gewalt ihres Ursprungs fokussiert und jede, die es nicht tut, vorgeworfen bekommt zu bagatellisieren oder romantisieren.
Ich wünsche mir oft, dass meine DIS als ich begriffen wird. Dass endlich mal allen Menschen klar ist, dass ich meine eigene Symptomlage bin. Dass ich das bin, wenn ich switche, dass ich das bin, wenn ich panisch erinnere, wenn ich ängstlich vermeide und so weiter und so weiter – ganz egal, ob ich das als mir zugehörig empfinde oder nicht. Mein Identitätserleben dabei ist nicht der Krankheitswert – die Krankheit ist nicht, dass ich so bin. Sondern, dass ich darunter leide. Dass ich der Norm zwischenmenschlicher Interaktion nicht zuverlässig entsprechen kann. Dass ich nicht zuverlässig funktionieren kann. Aber immer immer immer muss. Weil es andere immer können. Andere, die anders angepasst aufgewachsen sind. Andere, die andere Chancen zu lernen und zu reifen hatten. Andere, die mit ganz anderen Sicherheiten durchs Leben gehen.

Chronisches Trauma in der frühen Kindheit ist eine massive Entwicklungsstörung.
So logisch wie es ist, dass chronisch traumatisierten Kindern metaphorisch gesehen große bunte Schmetterlingsflügel wachsen, um das Schlimmste zu überstehen, so brutal ist es, sie ihnen abzuschneiden, wenn sie erwachsen sind. Oder so zu tun, als könnten sie wie alle anderen anders sein, wenn sie sie nie zeigen, nie darüber reden, nie einfordern, dass man sie akzeptiert. Sie nie wieder benutzt, wenn es nötig erscheint.

Vielleicht generalisiere ich, wenn ich denke, dass jede Reaktion, wenn sie mehr als bloße Akzeptanz ist, einen Schnitt in diese Flügel bedeutet. Vielleicht bin ich überempfindlich, wenn mir interessierte Neugier auch wehtut. Vielleicht sollte ich mich nicht so haben, wenn ich nach Film- oder Romanfiguren gefragt werde – ich weiß ja, dass die meisten Leute mich davon unterscheiden können.
Es ist trotzdem immer auch ein Angriff. Ein Schnitt. Und damit immer auch die Botschaft doch bitte nicht ich zu sein. Und also lieber tot, denn ich bin ja immer ich, egal, wie anders ich mich verhalte, wie sehr ich anderen gleiche. Traumalogik trifft Gewaltlogik.

Tja.
Vielleicht ist die bessere Antwort auf die Frage, dass ich mir keine Mikroaggressionen wünsche. Vielleicht ist auch mein Wunsch nach Grundlagenkenntnis, eigentlich der Wunsch nach einer speziellen Mikroaggression, weil ich damit mehr anfangen kann als mit allen anderen.
Vielleicht ist mir ganz tief drinnen, an meiner Wurzel, an meinem Ursprung einfach klarer, als an meinen Rändern, dass ich sie, wie so vieles andere an mir, immer brauchen werde. Meine Flügel.

die Absichten der anderen

Vor kurzem wurde die Frage an mich gerichtet: „Was brauchen Betroffene (organisierter, Ritueller) Gewalt, um sich sicher zu fühlen?“
Sie erschien mir banal und ich antwortete sinngemäß, dass es Sicherheit braucht. Wenn man Angst hat, braucht man Sicherheit.
Das Gespräch ging noch lange und am Ende fragte ich mich, ob die fragende Seite selbst zu unsicher war, um anderen Sicherheit zu bieten. Im Nachhinein wurde mir klar, dass es bei der Frage im Kern nicht um die Bedarfe gewaltbetroffener Menschen ging, sondern um Dinge, die nicht ausgesprochen wurden. Mein Punkt loszulassen und aus dem Kontakt zu gehen – um nicht noch mehr Angst zu bekommen.

Es war klar, es ging um etwas anderes und mir war klar, dass ich es nicht erraten können würde. Zu wenige Informationen, zu wenig naher Kontakt, zu wenig Relevanz meiner Sicht auf die Dinge, um darauf zu beharren, sie gesagt zu bekommen.
Und – die Kluft.

Die gleiche Kluft, mit der ich mich in den letzten Tagen auch befasse.
Ich bin verbundener mit einem jugendlichen Funktionssystem in mir. Mein Bild von meinem jugendlichen Lebensalltag wird umfassender. Meine Möglichkeiten, die eigene kindjugendliche Perspektive auf die Gewalt in der Herkunftsfamilie zu erinnern, vermehren sich.
Es sind existenzielle Leiden und Fragen, auf die ich auch heute keine Antwort finde und kaum Linderung einbringen kann. Und es sind schwerwiegende Entscheidungen, die in einer Einsamkeit getroffen wurden, die ich zuweilen passender als „Isolation“ bezeichnen muss.

Denn schon früher konnten wir die Absichten anderer Menschen nicht erkennen. Ein autistisches Feature. Für mich das Element, das meinen Autismus zu einer sozialen Behinderung macht.
Denn wenn man nichts voraussetzen kann, ist immer alles möglich.
Im Guten wie im Schlechten.

Menschen können wirklich sehr nett, sehr liebevoll, sehr fürsorglich, sehr hilfsbereit sein – vor allem, wenn man sie selbst ohne Vorannahmen über sie anspricht und im Gespräch alles erzählen lässt, was sie erzählen wollen. Die allermeisten Menschen fühlen sich wohl, wenn sie mir ihr Bild von sich gestalten können und je wohler sie sich fühlen, desto sicherer fühle ich mich im Kontakt mit ihnen.
Und da ist die Falle.
Denn manche Menschen lügen. Und obwohl ich weiß, dass es Menschen gibt, die das tun, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich es merke, gering. Das hat nichts mit Vertrauensseligkeit zu tun oder Naivität oder Dummheit. Es hat damit zu tun, dass die Lüge ein Handeln mit einer Absicht ist, die ich nicht wissen kann, wenn ich der Person weder nah noch verbunden, noch ähnlich bin, was den Status angeht. Niemand kann das – aber die meisten Menschen können sich intuitiv in andere Menschen hineinversetzen und Annahmen machen, mit denen sie sich sicher fühlen, weil sie in der Regel zutreffen oder (in Bezug auf die Sache) irrelevant sind. Die meisten Menschen erkennen sich selbst in anderen Menschen. Das ist der Trick, das Ding, die Fähigkeit. Ich erkenne mich oft nicht einmal in mir selbst.

So bleiben mir im Kontakt mit anderen Menschen nur zwei Optionen:
Entweder es ist immer wahr (richtig), was andere Menschen mir mitteilen oder es ist immer gelogen (falsch). Mit diesen Optionen habe ich mich schon als Kind befasst. Die grüne, mit Kunststoff überzogene Wäscheleine in der Hand, mit der ich mich erhängen wollte, nachdem mich meine einzige ~„Freundin“~ schon wieder belogen hatte, um mich vor anderen Kindern bloßzustellen. Nachdem ich meine Lehrerin damit enttäuscht hatte, nicht zu wissen, was sie von mir wollte, nachdem die Horterzieherin sich laut gefragt hat, ob ich denn nie mal richtig zuhöre, wenn sie etwas sagt. Während ich meine eigenen Eltern nie verstand, nie zufrieden machte.
Ich wusste einfach nie, was sie wollen und erst recht nicht warum.

Damals habe ich für mich entschieden, dass immer alles wahr ist, was andere Menschen mir sagen. Auch, weil das mit dem Erhängen nicht geklappt hat. Denn das wäre die Alternative gewesen: Menschen für immer meiden. Einfach nie wieder jemals mit irgendwem in Kontakt gehen. Nie wieder für immer. Auf ewig ganz allein sein. Solch ein Vorhaben lässt sich nur tot umsetzen.
Und das hatte nun einmal nicht geklappt. Und ich hatte Angst bekommen. Auch irgendwie nachvollziehbar.
Woher dann der Mut kam sich für ein Leben in Option „alles ist wahr“ zu entscheiden, weiß ich noch nicht. Vielleicht ging es auch nicht um Mut. Aber mutig erscheint es mir heute. Mutig und vielleicht nur möglich, weil ich bereits eine dissoziative Identitätsstruktur hatte.

Viele Menschen erwarten von mir, heute sehr misstrauisch zu sein. Auch, weil ich nicht vertraue. Für mich sind „Misstrauen“ und „Vertrauen“ aber kein Gegensatzpaar und ich bin nicht misstrauisch – ich bin absolut trauisch. Ich traue allen alles zu und kann mich in der Folge der Logik anderer Menschen einigermaßen anpassen.
Sie tun mir schreckliche Dinge an und begründen sie mit Lügen, die ich nicht durchschauen kann? – Sie haben Gründe, die schrecklichen Dinge ergeben Sinn, ich kann sie rationalisieren und zumindest so verpacken, dass ich handlungsfähig bleibe. Solange sie mir ihre Gründe sagen, kann ich mich in ihrer Logik sicher fühlen.
Sie sagen mir schöne Dinge und sind nett zu mir, belassen es aber bei mir, herauszufinden oder „einfach zu wissen“ wieso oder, genauer gesagt, mit welcher Absicht? – Stress pur. Angst, Unsicherheit, Unwohlsein.

Sobald ich keine äußere Wahrheit vermittelt bekomme, bin ich mit dem Nichtvorhandensein einer eigenen Wahrheit aufgrund von tausenden möglichen Wahrheiten konfrontiert. Und ich bin gezwungen zu raten. Oder viel zu fragen – was üblicherweise zur Folge hat, dass mich die Leute für dumm, naiv, ignorant, desinteressiert oder empathielos halten – oder außergewöhnlich einfühlsam und interessiert an ihnen. In jedem Fall sehen sie nicht, in was für einer prekären Situation ich bin. Wie anstrengend es für mich ist. Mit was für einem Ausmaß an Unsicherheit – und also praktisch grenzenloser Angst – ich gerade im Kontakt bin. Für mich gibt es in solchen Momenten keinerlei Sicherheiten und das ist der einzige Fakt, dessen ich mir sicher sein kann.

Meine Kompensation in solchen Momenten ist ein parallel zum Kontakt ablaufender Abgleichprozess. Denn ich kann zwar das Verhalten und die Absichten anderer Menschen nicht gut vorhersehen, aber ich bin gut in Mustererkennung. Einige Geschichten wiederholen sich – manchmal erkenne ich sie wieder und kann zeitgerecht reagieren. Zum Beispiel in der Situation am Anfang dieses Textes.

Ich denke außerdem viel über Gespräche nach und gehe dabei wie ein_e Forensiker_in vor. Logiken und Motivationen lassen sich in der Regel gut zurückverfolgen bzw. herleiten, wenn man das Ergebnis kennt. Im Nachhinein komme ich also oft noch dahinter, wer mir was warum erzählt hat und auch Lügen kann ich dann erkennen oder zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausschließen oder annehmen.

Ein weiterer kompensierender Akt ist die Dissoziation. Dieser ist allerdings nicht willkürlich von mir einsetzbar, sondern stellt sich ein, wenn ich erschöpft oder auch zusätzlich zu meiner „normalen Alltagsangst“ mit getriggertem Erinnern an traumatische Erfahrungen belastet bin.
An dieser Stelle ist es mir wichtig zu betonen, dass es nicht der Stress durch die Vielzahl an möglichen Wahrheiten ist, der die Dissoziation auslöst. Häufig ist es eher die Notwendigkeit oder der traumareaktiv von mir angenommene Zwang zur absoluten Wahrheit, obwohl ich keine Ahnung, Meinung, Idee, kein Wünschen, keinen Willen dazu habe. Da greifen Traumalogiken, die ich in dem Moment selbst nicht bemerke – weil sie ja sehr logisch sind und scheinbar zur (fehlinterpretieren) Situation passen.
Die Dissoziation greift in dem Moment, in dem ich Angst davor habe, der falschen Annahme zu folgen und damit andere Menschen zu enttäuschen, zu verletzen, zu beleidigen, zu kränken, zu irritieren … und also nicht zu bestätigen, zu erfreuen, zu befriedigen … auf, dass sie mich nicht zerstören wollen, sondern heil lassen. Vielleicht sogar okay finden. Kontakt zu und mit mir wollen.

Dieser Fokus – dieses Kreisen um die Absichten und Gefühle anderer Menschen ist typisch für komplex traumatisierte Menschen. Das Leben vieler Menschen hing und hängt davon ab, zu wissen, wann jene, die an ihnen zu Täter_innen werden, nicht zufrieden mit ihnen sind. Wann Gefahr droht, weil diese Menschen nicht bekommen, was sie wollen. Welche Fehler und Handlungen man besser lässt, weil sie gefährlich für eine_n sein könnten.

Ich habe, was das angeht, nie Glanzleistungen vollbracht und bin heute geteilter Meinung darüber. Denn einerseits weiß ich, dass die Gewalt an mir nichts mit meinem Verhalten und mir zu tun hatte, sondern mit den Entscheidungen, die die Täter_innen getroffen haben. Andererseits gibt es Erfahrungen, die für mich erst dann überhaupt nur eine Chance auf Logik durch forensische Spurensuche bekommen, wenn ich eine gewisse Kohärenz darin schaffe. Die Erinnerungen daran also zusammensetze und dann Stück für Stück auf Hinweise für die Motivationslage untersuche.

Das wiederum bedeutet für mich eine Unsicherheitslage. Ein ständiges Abwägen darüber, welche Erinnerungen wie valide sind und wovon in welcher Art verzerrt oder falsch sein könnten. Es bleibt immer das Risiko der Unterstellung, da ich natürlich die Perspektive der anderen Person substituiere. Ich lebe damit, dass meine eigene Geschichte, meine eigene Wahrheit über meine Erfahrungen und mich nur zu einem unbestimmbaren, niemals fest und eindeutig definierbaren Grad „wahr“ (richtig) ist.
Für mich ist das identisch mit meinem Alltagsgefühl im Kontakt mit anderen Menschen und dadurch – nicht immer und nie leicht – beruhigend. Es passt in mein Lebens- und Ichgefühl.

Das ist nicht toll und oft würde ich gerne mehr Sicherheit empfinden können. Ich würde auch gerne jemand sein, die_r sich versichern lassen kann von den Handlungen anderer Menschen, weil sie_r die guten Intentionen wahrnehmen kann.
Ich bin aber nicht so jemand. Ich muss es gesagt bekommen und nachvollziehen können. Sonst wird das nichts. Außer enttäuschend. Verwirrend. Belastend. Komisch.
Isolierend.

#1 „Ich bin da“

Die Präsenz anderer Menschen ist für mich schwierig.
Einerseits war oft niemand da, wenn ich es gebraucht und zutiefst gewünscht habe – andererseits kann mich die Anwesenheit anderer Menschen sensorisch überwältigen.
Ein Dilemma.

Denn natürlich habe ich auch mit den klassischen Bindungsthemen zu tun. Ich möchte Kontakt mit anderen Menschen. Ich möchte Nähe, Liebe, Geborgenheit, Gehaltensein, Miteinander und was wir Menschen nicht noch alles füreinander herstellen können.
Aber. Meine Er_Lebensrealität war lange: Ich kann mich nicht drauf verlassen. Es tut weh. Es schadet mir. Ich habe wenig bis gar keine Kontrolle über die Natur, die Ausgestaltung, den Einfluss des Kontaktes auf mich. Ich muss bei jedem Kontakt mit allen Kanälen offen sein, um mich zu schützen. Ich muss mich immer an andere Menschen anpassen (Ich darf nicht ich sein). Jeder Kontakt ist irgendwie unangenehm, anstrengend und auf die eigene Art schwierig.

Im Kontakt mit professionell helfenden, begleitenden, unterstützenden, behandelnden Menschen habe ich manchmal den Eindruck, dass sie sich selbst von allem Unangenehmen frei sehen wollen. Manche sind gekränkt oder unangenehm berührt, wenn ihnen klar wird, dass ich sie auf eine Art nicht viel anders empfinde als Menschen, die an mir zu Täter_innen wurden. Oder generell nicht nur allgemeine Gefühle von „Okay, wir sind jetzt hier miteinander“ mit ihnen verbinde.
Sie fühlen sich dann in ihren Taten gleichgesetzt und als Mensch abgewertet, weil sie Täter_innen abwerten und die eigenen Taten nicht als gewaltvoll denken können, wollen, sollen.

Erst mal ist jeder Mensch eine diffuse Reizmasse für mich. Eine Lärmquelle, die nur mit viel Konzentration, Willen zum Verstehen und Kraftaufwand zu einer menschlichen Stimme, Körpergeräuschen und Ort von Körper-Umwelt-Interaktion wird. Eine Masse, die ich mir in Abgrenzung zur Umgebung definieren muss. Ein Etwas, das ich mir erst dann als Jemanden verständlich machen kann, wenn ich Zeit und Raum hatte, alle ihm_r eigenen Muster zu erfassen, zu erkennen und verlässlich wiederzuerkennen.
Und selbst dann bin ich noch lange nicht an dem Punkt, an dem ich das Handeln einer Person und ihrer Wirkung auf mich einordnen, begreifen oder beurteilen kann.

Auf eine Art ist meine Wahrnehmung anderer Menschen also immer sehr gegenwärtig und konkret – zeitgleich aber auch diffus. Denn wenn ich mich nicht konzentrieren kann, bekomme ich kein Bild von der Person und unser Kontakt bleibt gewissermaßen virtuell oder auch hypothetisch in meinem Kopf. Ich rate, intellektualisiere, stelle Thesen auf und verfolge sie. Aber die Person ist für mich dann nicht präsent. Ich weiß zwar, dass sie da ist – dass es sie gibt – aber sie ist nicht mit mir da. Nicht wie ich präsent.
Nicht in meinem Raum, meiner Zeit, meiner Ein.ordnung des Ist da.

Ich betrachte meine sensorischen Quirks als erste Hürde für den Kontakt. Die zweite Hürde ist traumabedingt. Auch ein Flashback kann mich in meiner Ein.ordnung von Menschen verwirren und verunsichern. Und natürlich sind meine Vermeidungsstrategien für sowohl Flashbacks als auch sensorische Überwältigung und soziale Schwierigkeiten hauptsächlich deshalb effektiv, weil sie beinhalten, keinen Kontakt mit Menschen zu haben.

Aber auch die professionelle Abstinenz (oder ihre berufsspezifischen Pendants), die so oft so wichtig im professionellen Hilfe-, Unterstützungs-, Begleitungs- und Behandlungskontext ist, kann eine solche Hürde darstellen.
Das Abstinenzgebot ist eine Schutzmaßnahme für Patient/Klient_innen. Danach darf das spezielle Vertrauensverhältnis nicht für eigene Ziele und Zwecke ausgenutzt werden. Private (wie sexuelle) Kontakte sind untersagt. Auch mit nahestehenden Personen der behandelten/begleiteten/unterstützten Person.

Um so einem Gebot zu entsprechen, ist eine gewisse emotionale Entfernung wichtig und auch eine bewusst gestaltete Grenze bezüglich persönlicher Involviertheit. Zumindest im Ausdruck gegenüber der behandelten/begleiteten/unterstützten Person.
Man darf sich also im professionellen Kontext verbinden – aber irgendwie auch nicht. Nicht so jedenfalls. Wie Freund_innen. Familie. Arbeitskolleg_innen. Hobby-Kumpels. Eher so wie … Ja – wie eigentlich?
Kompliziert.

Ich hatte schon Therapeut_innen, die nie irgendeine emotionale Reaktion gezeigt haben. Das hat einerseits erleichtert – und gleichzeitig unangenehme Erinnerungen ausgelöst.
Ich hatte aber auch schon mit Betreuer_innen und Therapeut_innen zu tun, die sich mir praktisch grenzenlos geöffnet haben. Das hat mich überfordert und an vielen ungünstigen Strategien festhalten lassen, weil ich daraus Verantwortung abgeleitet habe, die nicht meine war.

Inzwischen bin ich in mir selbst so weit orientiert und versichert, dass ich weiß, welche Art der Verbindung im professionellen Hilfe-/Begleitungs-/Unterstützungs-/Behandlungskontext für mich am zuverlässigsten funktioniert, nämlich die sachbezogene. Eine klar definierte und eindeutige abgesteckte Kontaktregelung, ein klarer Arbeitsauftrag, ein eindeutiges Ziel sowie eine kontinuierliche und vorhersehbare Herangehensweise entlastet mich davon, meine Behandler-/Helfer-/Unterstützer-/Begleiter_innen als Jemanden zu erkennen (und in der Folge dazu passend zu interagieren). Sie werden zu den Operatoren, wie es ihr Beruf (auf dem Papier) vorschreibt: „Für mich (im Sinne von ‚für mein Therapie-/Ziel‘) da“ – aber nicht „mit mir da“.

In 99 % der Zeit, die ich mit professionell begleitenden, helfenden, unterstützenden oder behandelnden Personen zu tun habe, will ich nicht mehr, brauche ich nicht mehr und würde verwirrt oder überfordert, wenn mir mehr gegeben werden würde.
Das eine andere Prozent der Zeit bin ich so tief in traumatischen Gefühlen von Verlassenheit verstrickt, dass es mir hilft, wenn mir jemand sagt: „Ich bin da“.
Nicht: „Ich bin ((für) immer) für dich da.“
Und auch nicht: „Ich bin da.“

Sondern: „Ich bin da.“, oder „Ich bin hier.“
Auch wenn es mir nicht immer sofort gelingt – früher oder später werde ich mich fragen, wo „da“ oder „hier“ eigentlich ist und eine erste wichtige Stufe zur Re-Orientierung darin finden.
Denn dieses Verlassenheitsgefühl, diese „Ich werde jetzt sterben, weil niemand da ist“-Empfindung ist so global, dass sie Zeit und Raum für mich zu praktisch irrelevanten Faktoren machen. Datumsangaben, sensorischer Input, der ganze daily Skillkrempel ist in dem Moment nutzlos, weil ich sie nicht mit irgendetwas verbinden kann. Mir fehlt ein Anfang. Ein first contact mit dem Hier und Jetzt, sozusagen. Eine erste Berührung, eine erste Verbindung angebahnt von jemandem, die_r es für diesen Zeitraum professionell, im Sinne von abstinent, er.tragen und halten kann, mein erster Bezugspunkt zu sein. Nicht nur mit der Stimme und den Worten „Ich bin da“, sondern auch mit der eigenen körperlichen Präsenz (und ihrer Wirkung auf mich).

Ich habe lange gedacht, dass ich mich dafür schämen muss, dass es mir so gut nutzt, wenn mir dieser Satz gesagt wird. Ich wusste nicht, welches Bedürfnis von mir damit befriedigt wird, aber die Tatsache, dass es da war, hat bereits gereicht, um in mir praktisch alles zu aktivieren, was mich früher sicher gehalten hat.
– die Gewaltwahrheit, dass ich keine Bedürfnisse haben darf
– die Traumawahrheit, dass meine Bedürfnisse schlecht, falsch, krank sind, weil es meine sind
– die Gewaltwahrheit, dass Bedürfnisbefriedigung nur unter (undurchschaubar, unkontrollierbar, willkürlich aufgestellten oder auch realistisch gar nicht erfüllbaren) Bedingungen erfolgen darf
– die Traumawahrheit, dass befriedigte Bedürfnisse mich gegenüber anderen Menschen verpflichten

Heute weiß ich, dass meine Bedürfnisse zu meiner Lebendigkeit gehören. Es also tatsächlich und nicht nur abstrakt oder im übertragenden Sinne mein Leben gefährdend ist, sie zu unterdrücken, missachten oder schlicht nicht zu erfüllen. Und, dass es mein Bindungsbedürfnis ist, das mit dem Satz „Ich bin da“ befriedigt wird. Etwas, das im professionellen Setting in der Regel nicht von irgendjemand anderem erfüllt werden kann als von der Person, die dann gerade anwesend ist.
Und etwas, das Menschen haben, um ihren anderen Bedürfnissen einen höheren Zweck als sich selbst zuzuschreiben. Denn warum sollte man denn essen, trinken, schlafen, sich warm und sauber halten, wenn da niemand ist, mit dem man am Leben sein kann? Familie leben, gestalten, machen kann? Dinge erforschen, Abenteuer erleben und was sonst noch so viel geiler ist, wenn man sie mit anderen teilen kann?

Kein Bedürfnis ergibt Sinn ohne die anderen – kein Bedürfnis entsteht ohne Lebendigkeit.

Ein Kernaspekt meiner komplexen Traumatisierung und vieler Gewalterfahrungen im Leben spielt sich genau an dem Punkt ab. Ich wurde in vielen verschiedenen Kontexten beschämt, bestraft, verletzt und ausgenutzt, weil ich lebe.
Die Erfahrung zu machen, dass ich lebe, etwas brauche und es bekomme – ohne, dass es jemand ausnutzt – war und ist eine essenziell wichtige Erfahrung in meiner Traumatherapie. Nicht nur früher, sondern auch heute noch. Ich brauche diese Erinnerung und diese Versicherung immer wieder mal und zum Glück habe ich heute eine Therapeutin, die ein gutes Gespür dafür hat, wann das der Fall ist.

Und eine Therapeutin, die seit nun bald 11 Jahren da ist.
Auch das ist von Relevanz für mich. Ich habe in ihr einen Bezugspunkt im Leben, der kontinuierlich da ist. Und eben nicht nur so lange, wie es die Krankenkasse bezahlt, die Klinikregeln zulassen, der Träger das Konzept hält, die Projektförderung besteht, die persönliche Erfüllung/der Spaß an der Arbeit mit mir besteht. Sondern so lange, wie unsere gemeinsame Arbeit hilfreich und nützlich für mich ist. Ich schätze meine Chancen darauf, selbst bestimmen zu können, wann ich die Therapie nicht mehr brauche, als hoch ein und das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit durch Kontrolle. Ich kann wirklich gehen, wenn ich möchte. Ich kann wirklich bleiben, wenn ich möchte. Sie ist da.

die TOP 3 Sätze, die ich von professionell Begleitenden/Helfenden/Unterstützenden hören muss(te) – #0

Die Annahme, dass professionalisierte Helfer-/Begleiter-/Unterstützer_innen qua Aus-, Fort- und Weiterbildung wissen, was komplex traumatisierte Menschen brauchen, hat einen doppelten Boden.
Denn es gibt einen Unterschied zwischen „Know-what“ und „Know-how“.

In den folgenden Texten möchte ich näher ausführen, was ich konkret damit meine. Denn häufig wird „know-what“ und „know-how“ übersetzt mit „Theorie“ und „Praxis“. In diesem Zusammenhang jedoch reicht es nicht, nur diesen Unterschied vorzunehmen. Daher geht es in den nächsten Beiträgen um die TOP 3 Sätze, die ich von professionell Begleitenden/Helfenden/Unterstützenden hören muss(te) (- um Hilfs-, Behandlungs-, Begleitungs- und Unterstützungsangebote zu verstehen, anzunehmen und für mich zu nutzen):

  • #3: „Ich weiß, dass Sie tun, was Sie tun können.“
  • #2: „Ich höre zu.“
  • #1: „Ich bin da.“

Ich musste diese Sätze hören, weil sich die Anwesenheit oder Zuständigkeit dieser Menschen allein für mich nicht automatisch in „Ver_Bindung“ übersetzt hat. Also die Basis jedes professionalisierten Hilfe-/Begleitungs-/Unterstützungs-/Behandlungsangebotes.
Die Basis, die häufig nicht konkret ausgesprochen wird, weil sie implizit oder unbewusst einfach vorausgesetzt wird. Die meisten Menschen können sich das nämlich einfach übersetzen und die Ver_Bindung gestalten. Ein bestimmter Anteil der Kennenlern-Phase besteht dann fast komplett aus diesen Gestaltungsfragen: Wie sprechen wir einander an? Wer darf wann, wie, was sagen, fragen, manchen, wünschen? Wer kann was leisten? – Immer mit dem Hintergrund, den Bindungs- bzw. Beziehungsrahmen zu erfassen und bis an die Grenzen auszufüllen.

Wieso diese Sätze für mich so wichtig waren und warum sie mir geholfen haben, m.eine Verbindung zu mir zu etablieren, erkläre ich ebenfalls in diesen Texten.

#3. „Ich lerne gerne mit/von Ihnen.“

Meine DIS-Diagnose wurde gestellt, als ich 16 Jahre alt war.
Das hatte viele Vorteile für mich, denn meine Behandlungsprognose war sehr gut und ich bin gewissermaßen in die wissenschaftliche Auseinandersetzung sowie in die mediale Erzählung über und von Menschen mit DIS hineingewachsen.
Die Nachteile habe ich aus Loyalität und Unsicherheit lange verschwiegen. Ich wollte niemandem schaden, niemanden über sich selbst verunsichern und natürlich auch meine eigene Situation nicht verschlechtern. Und die war schlecht. Trotz bester Aussichten üb.er_lebte ich auch Jahre nach der Diagnose und ihrer Implikationen für Helfende in Strukturen organisierter Gewalt. In der Regel war ich die erste Person mit DIS in jeder Wohngruppe, jeder Betreuungssituation, jeder Schulklasse, jeder allgemein- und fachmedizinischen Praxis außer der Psychiatrie.

Dass ich wusste, was eine DIS ist und dass ich in der Lage war allen möglichen Menschen mit jedem möglichen Vorwissen zu vermitteln, was das ist, woher es kommt und welche Konsequenzen sich daraus für unser Miteinander ergeben, war zu der Zeit überlebenswichtig für mich. Ich war extrem darauf angewiesen, dass mein Verhalten als traumareaktiv und dissoziativ verstanden wurde, damit man mir glaubte, dass ich wirklich nicht gerne ausgebeutet und verletzt wurde. Aber auch, damit ich richtig und umfassend geschützt wurde. Damit man mir bei der Suche nach einer passenden Therapie half, damit man mich bei der Antragsstellung für bürokratische Schutzmaßnahmen unterstützte. Und letztlich auch, damit man ein wenigstens annäherndes Verständnis dafür bekam, wie umfassend meine Unterstützungsbedarfe im Alltag waren.

Damals war total klar, dass niemand tiefere Ahnung von DIS hat. Trauma war noch mehr als heute Soldatensache, irgendwas mit Krieg, Naturgewalten oder anderen Extremereignissen. Als Folge extremer Gewalt geframed hatte die DIS für viele Menschen, die dann doch davon gehört hatten, auch Elemente des widersprüchlich Fantastischen, ging es doch immer auch um „unvorstellbare Gewalt“ dabei.

Als Betroffene_r ist es für mich bis heute so, dass mich belastet, wie viele Begrifflichkeiten ich erst definieren muss, um überhaupt erst ein Mal einen gemeinsamen Grund zum Verständnis zu erschaffen. Was bedeutet Trauma? Was bedeutet „extreme Gewalt“ in speziell meinem Fall? Was ist Dissoziation? Um was für Strukturen geht es beim Begriff der „strukturellen Dissoziation“? Was ist Amnesie? Was sind Persönlichkeitsanteile/Innens/Innies?
Und was hat das alles mit meinem Bedarf in der Alltagsbegleitung zu tun?
Früher habe ich das allen erklärt, die es wissen wollten. Ich habe Betreuer_innen fortgebildet, Literatur weitergegeben und erklärt, habe zu anderen Fällen mit Vielen meine Perspektive geteilt, habe vermittelt und erklärt. Da war ich 18, 19, 20 Jahre alt und erlebte gleichzeitig noch jeden Tag, was als eine Ursache meiner DIS gilt.
Wenn mir damals jemand sagte, dass sie_r gerne bereit ist, mit mir und von mir zu lernen, wirkte das als Bindungsangebot auf mich. Und als Rettungsversprechen. Ich dachte, wenn nur alle wüssten und verstünden, dann würden sie mir auch helfen. Sie würden dann machen, dass es aufhört. Die Gewalt, aber natürlich auch die Hölle in mir und meinem Leben im Hier und Jetzt.
Das ist so nie eingetroffen.

Das (wissenschaftlich fundierte, mühsam rangeschaffte und von mir objektivierte) Wissen, das ich weitergab, wurde häufig als persönliche Erzählung, als individuelle Konstruktion zur Sinngebung meines Zustandes verstanden. Was man von und mit mir lernte, wurde in der Regel als eine Eigenschaft von mir verstanden, auf die man Rücksicht nehmen kann, wenn es passt. Die man erforschen kann, wenn man auf Problemsuche ist. Ganz als handle es sich bei der strukturellen Dissoziation der Psyche um eine Neigung oder spezielle Gedanken über sich selbst – und nicht um eine grundlegende Architektur, die jede Eigenschaft überhaupt erst ermöglicht und ausschließlich in ihrem Rahmen definierbar macht.

Dieses Verständnis von anderen Menschen zuzulassen, erfordert ein Begreifen vom Leben und der menschlichen Natur, das nicht mit einer Erklärung der DIS als diagnostizierbare Krankheit hergestellt werden kann.
Das gilt für jede Diagnose, jeden als divergent definierten Selbstzustand. Auch Autismus und Trans* sein zum Beispiel.
Niemand mit einem Verständnis von Autismus als persönliche Eigenschaft wird je wirklich kapieren, was es bedeutet autistisch zu er_leben und wird in der Folge immer wieder verletzen und missachten ohne es überhaupt zu merken oder im Nachhinein wirklich zu verstehen. Alle, die glauben Trans* sein könne allein über dya cis normatives Geschlechterverständnis erklärt werden – also in Abgrenzung der sozialen und biologistischen Konstruktion von „Mann“ und „Frau“ – werden nie dahin kommen zu kapieren, was es bedeutet, hier und heute in dieser Gesellschaft als trans* Person zu üb.er_leben. Da können sie noch so gern von und mit uns, die es betrifft, lernen. Denn wir müssen immer mitdenken, dass das, was sie glauben zu lernen, mit hoher Wahrscheinlichkeit geistige Schubladen füllt, die die grundlegend falschen sind.

In der Psychotherapie kann das anders sein. Dort geht man als Individuum hin, um individuell ganz auf sich bezogen zu sein und zu denken und zu fühlen. Man hat eine Diagnose erhalten und von dieser wird die Behandlung abgeleitet. In der Auseinandersetzung mit schwierigen Themen lernt man sich selbst besser kennen und die_r Therapeut_in kann gar nicht anders als mitzulernen, sie_r ist schließlich immer dabei.
Wenn mir meine Therapeutin also sagt, sie würde gerne mit mir lernen, dann übersetze ich mir das in etwa zu: „Ich bin gerne dabei, wenn sie sich besser verstehen.“ – weil ich in dieser Situation nicht grundlegend auf ihr Wissen über mein Selbstverständnis angewiesen bin.

Viele Menschen beginnen eine Psychotherapie aber nicht, um sich besser kennenzulernen. Die meisten (komplex) traumatisierten Menschen in meinem Umfeld suchen eine Therapie, um nicht an ihren Traumafolgen zu sterben. In so einer Situation ist es einfach zynisch, wenn ein_e Therapeut_in sagt, dass sie gerne mit der_m Patient_in lernt. Zynisch, ignorant und letztlich auch (unabsichtlich) gewaltvoll.
Denn es geht in dieser Phase nicht nur um das Individuum und das persönlichst Private, sondern häufig auch um Lebensumstände und gesellschaftliche Kontexte. In solchen Momenten ist es wichtig, dass andere Menschen ihr Wissen vermitteln.
Und als Psychotherapeut_in dann auch zu sagen: „Hier kann es nicht um diese großen Kontexte gehen. Hier machen wir Psychotherapie. Psychotherapie ist der Raum zur individuellen Auseinandersetzung darüber, wie Sie mit und in diesen Kontexten zurechtkommen.“
Diese Grenzziehung finde ich von einigen Behandler_innen oft nicht oder nicht eindeutig genug gemacht und vielleicht ist sie generell auch schwierig. Wichtig finde ich sie dennoch. Schon um als Patient_in diese Grenze nicht als Marker für Abwehr oder leichtfertig ausagierte Ignoranz (miss) zu verstehen. Es gehört zur notwendigen Orientierung dazu, zu erfahren, an wen man sich womit wenden kann und wo man welche Räume wofür hat.

Lebensgefahr (ob real oder so empfunden) ist einfach kein Zeitraum des Lernens, sondern des Erfahrens. Wenn man das als Behandler_in oder Betreuer_in oder Begleiter_in nicht weiß – im Sinne von basic Wissen über menschliches Funktionieren – hat man meiner Meinung nach nichts in der Nähe (komplex) traumatisierter Menschen (in existenziellen Krisen, Lebensgefahr, Täter_innenkontakt) zu suchen.

In den ersten 14 Jahren meiner DIS-Diagnose habe ich vor allem Erfahrungsräume gebraucht.
Ich brauchte Menschen mit vielen verschiedenen Lebenserfahrungen, die mich versichernd durch die eigenen Lebenserfahrungen begleiten, denn ich war in Gewalt erwachsen worden und wusste nicht, wie es ganz konkret anders gemacht wird. Ich brauchte also Menschen, von denen ich lernen konnte, wie (ihr) Leben geht, um mir selbst einen Begriff davon zu machen.
Ich brauchte Menschen, die mit mir zusammen ausgehalten haben, dass ich mein Leben immer wieder bedroht wahrnahm, weil ich angewiesen auf Jobcenter und andere Behörden immer wieder in de facto existenzieller Bedrohung lebte.

Niemals habe ich Menschen gebraucht, die an und von mir toll gelernt haben, was eine DIS ist. Diese Menschen haben immer mich benutzt gebraucht, um sich selber für sich selber über etwas zu versichern oder zu orientieren, statt sich selbst um Fort- und Weiterbildung zu kümmern und die Verantwortung für ihre Wissenslücke und die entsprechend niedrigere Qualität ihrer Arbeit zu übernehmen.
Es war meine Hilfsbedürftigkeit, die ausgenutzt wurde. Meine Hilflosigkeit, die verdeckt und auch für mich selbst verschleiert wurde, mit Lob über meine tolle Erklärungsfähigkeit, meine super Kompetenz so sperrige Inhalte gut zu vermitteln. Und ihr Missverstehen, das ich nicht auflösen konnte. Ihre fehlende Reflexion über das Machtverhältnis, in dem wir waren und die Kontexte, die es unaufhebbar machen.

Diese Verdeckung – dieses Vermeidungsverhalten – ist der Grund, weshalb ich diesen Satz von professionell Begleitenden, Unterstützenden und Behandelnden nicht mehr hören will.
Wir sind nicht auf der gleichen Ebene.
Wenn wir etwas voneinander lernen, dann muss es uns beide befähigen können und nicht aus der Not von einer_m von uns geboren werden. Denn sonst passiert Gewalt.

Fragmente einer Ausnahmesituation

In den Quetschfalten der letzten Wochen hat es mich manchmal überrollt.
Ja, mein Partner ist nicht gestorben – aber es hätte passieren können und
Meine liebe kleine alte NakNak* mit ihrem Krumpelfuß und dem leisen Stöhnen beim Aufstehen und Hinlegen – auch noch nicht tot, aber
Traumafachtag in München, warum ist das alles so kompliziert, achso achso aha, hmm, naja, aber da kann man ja was machen – einfach nur
Mein Buch ist veröffentlicht, jetzt
Buchmesse, hoppla ich bin Teil von etwas und
Oh, wir sind eine Gruppe mit Gruppenthings, da kann
Münster, Spiegel, False Memory, Wahrheit, Wissen, Wichtigtuer, was für ein Karussell oh man, oh man. Alles auf die Leseliste, das ist
Buchmesse, oh, ah, hui mit Aufzeichnung – obwohl ich so
Gruppenthings gonna always Gruppenthing aua uff oje oje oje

All die Dinge der letzten Monate, die außerhalb von mir passiert sind.
Über nichts konnte ich wirklich zu Ende nachdenken oder eine emotionale Verbindung entwickeln. Ich kenne das schon – es gibt einfach Phasen im Leben, da hat man viel im Zwischenspeicher und rumpelt in der eigenen Außenschale umher. Dass das ein Ausnahmezustand ist, habe ich erst am Sonntag begriffen. Nachdem es einen Konflikt gab, den ein jugendliches, aggressives Innen begann und durchzog bis ich die Kontrolle wieder übernehmen konnte. Solche Wechsel sind mir zuletzt vor 12–13 Jahren passiert. Als mein Leben eine endlose Kette von Ausnahmen, eine ganze Existenz im Zwischenspeicher war.
Diese Zeiten sind vorbei. Solche Wirrungen nicht mehr irrelevant. Ich erlebe meine Ausnahmesituation eingebettet in die Alltage und Er_Leben.srealitäten anderer Menschen. Deshalb geht es auch um Anpassungsleistungen. Also darum zu maskieren, zu funktionieren, während mir meine Grundlagen für die Kraft dazu fehlen und über Extrameilen beschafft werden müssen.

Bei allem Frohsein darum, dass ich jetzt nicht mehr allein im Bullergeddo wohne, eine Arbeit habe und viele Menschen kenne, mit denen mich viel verbindet, wäre ich jetzt gerne wieder an genau dem Punkt. Denn von da aus konnte ich mich immer fallen lassen. Wusste immer: „Ob ich mich jetzt aufreiße oder später oder ganz oder gar nicht, es ist im Grunde egal.“ Niemand hat nach mir gefragt, niemand auf mich gewartet, niemand etwas von mir gewollt.
Menschen sind in mein Leben gekommen, weil ich gegeben habe. Obwohl niemand darum gebeten oder darauf gewartet hat.
Das war insgesamt einfacher für mich.
Auch weil es selten vorkam, dass explizit mehr von mir verlangt wurde, als ich sowieso gegeben habe.

Ich wollte immer mehr von mir. Und habe das auch Stück für Stück geschafft.
Jetzt bin ich daran gewöhnt, viel geben zu können.
Und mein Umfeld in Teilen auch.
Sich jetzt an ein niedrigeres Niveau zu adaptieren, fällt mir schwer.

Es sind gerade tatsächlich nur 3 Stunden Konzentration, die ich aufbringen kann. Es ist gerade tatsächlich so, dass ich nicht die ganze Zeit um die möglichen Gefühle und Gedanken anderer Menschen kreise. Sondern darum, meine eigenen überhaupt mal zu empfinden und erkennen zu können. Wenn mir etwas nicht angetragen wird, denke ich nicht darüber nach. Wenn mich niemand anspricht, spreche ich nicht. Ich denke nicht in Wörtern für den Fall, dass ich jemandem davon erzählen will oder muss oder möchte, sondern in dem mir eigenen Irgendwie so.

Früher hätte ich das gemacht und mich dafür bestraft. Denn ich wollte ja mehr – weil ich sollte. Einfach nur arbeitsunfähig sein, einfach nur chronisch erkrankt sein, dafür muss es echte Anlässe geben – die habe ich mir nie an.erkannt, weil sie mein Umfeld nicht an.erkannt hat.
Heute erkennt mein Umfeld das an – und ist zuweilen verunsichert, mich so zu erleben. Freund*innenschaften werden in Frage gestellt, gemeinsame Pläne ob ihrer Umsetzbarkeit generell bezweifelt, meine gesteckten Ziele hinterfragt. Es wird bedauert, wenn ich unter einen Instagrampost schreibe, dass ich viel geschafft und wenig ganz und gar miterlebt habe in der letzten Zeit. Während ich denke: „Leute! Was denkt ihr denn, wie ich gerade durchs Leben gehe? – Mir ist vor wenigen Wochen der Partner – mein von mir geliebter, mein in mein Leben reingebackener Mitmensch – fast gestorben. Ich habe genau in der Zeit eine Retraumatisierung erlebt, die ich jetzt noch mit viel Kraftaufwand aufarbeite. Meine in den letzten 15 Jahren immer da gewesene Assistenzhündin knabbert ihr letztes Stück Lebenszeit. Seit 3 Jahren leben wir in einer Pandemie, die unsere Teilhabe- und Teilgabemöglichkeiten begrenzt – worüber unser Umfeld nur noch aus Höflichkeit nachdenkt. Was denkt ihr denn, wie viel Raum noch in mir drin ist? Wie viel von mir gerade irgendwo anders drin sein kann?“

Ich denke, dass ich viel gebe, wenn ich mich aus dem Rückzug reiße und Pläne oder Vorhaben nicht aufgebe. Wenn ich weiter ehrenamtlich arbeite. Wenn ich mich nicht krankschreiben lasse.
Gleichzeitig merke ich, dass ich mich auch dazu zwinge. Die Angst zu fallen und nie wieder aufstehen zu können – dieses Traumafragment, aus dem ich meine ganze Überlebenskraft, meinen ständigen Antrieb, ziehe – die wirkt unfassbar stark im Moment.
Manchmal rede ich auch mir ein, besonders jetzt aktiv zu bleiben, würde helfen. War ja schließlich das, was sie in der Psychiatrie mit mir gemacht haben: Wenig schlafen, viel Programm. Sinnvolles tun. Sich selber hinter irgendein aktives Handeln stellen.

Tatsächlich will ich aber nur schlafen oder liegen und mein Gesicht in den Bauchflausch von NakNak* halten, während ich Bubi die Öhrchen streichle. So wäre es gerade gut.
Aber wenn es so ist, ist es schon nach 2 Minuten nicht mehr auszuhalten.
Und die Dissoziation fängt mich auf.
Meistens passend.
Und nun auch mal total schwierig für andere.

Aber wäre das nicht passiert, hätte ich es nicht verstanden.
Ist das der Preis?

Aufgaben im System überdenken

Und wieder eine Sprachfalle.
Meine Aufgabe im System. Jemand, ein Anteil von mir – nicht ich, aber nun mal ja doch ich irgendwie – soll mal über die Aufgabe im System nachdenken. Natürlich ohne Angabe, von welchem System die Rede ist. Selbstverständlich ohne Antwort auf die Frage, wer die Aufgabe vergibt.

Es ist schwierig für mich das zur Seite zu stellen.
Obwohl ich weiß, dass das vermutlich ✨nur so✨ gesagt ist. Gemeint ist sehr wahrscheinlich keine vergebene Aufgabe. Nicht: „Überleg mal, was du hier eigentlich für wen machst.“
Sondern: Dein Empfinden, Denken und Handeln, dein Sein, erfüllt eine oder viele Funktionen. Welche sind das? Bist du zufrieden damit? Wie wirkt es sich auf andere Aspekte deines Lebens als Einsmensch aus?
Aber es bleibt Unsicherheit. Denn es ist eine Übersetzung. Meine Annahme darüber, was meine Therapeutin mit der größten Wahrscheinlichkeit gemeint haben könnte. Ich habe gerade keine Möglichkeit, mich darin zu versichern und bin abgelenkt von den Ängsten, die das bei mir auslöst. Alle schon tausendmal durchlebt und überstanden. Reflektiert, geprüft, bewusst aufgelöst, orientiert, aber weiter da wie ein abgefräster Baumstumpf.

Ich bin mir meiner Funktion bewusst. Weiß, dass ich so wie ich damit umgehe, schon alles genau richtig mache für mein Alltagssystem. Ich kaue das einfach nur so Gesagte durch, übersetze mir die diffuse Masse in feste Formen und arbeite damit weiter, obwohl ich jagende Angst habe, weil ich praktisch nie sicher sein kann, ob das so gut geht. Ob ich richtig liege. Ob das nicht doch irgendwie falsch ist. Ich etwas vergessen oder übersehen habe. Ob ich nicht doch etwas ignoriert oder fälschlicherweise außer Acht gelassen habe. Ich habe Angst, weil ich Fehler machen könnte – um weniger Fehler zu machen. Um mir den Stoff zu liefern, den ich brauche, um meine exekutiven Dysfunktionen zu kompensieren: Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Die Stresshormone, die mich zu einem „guten Opfer“ machen, weil es den Arsch hochkriegt, statt für immer malad dem Siechtum anheimzufallen.

Was ich höre, wenn mir jemand sagt, dass ich mal über meine Aufgabe Funktion nachdenken soll, ist oft: „Das ist so schlimm/nicht okay/krank/falsch/schlecht. Lass das mal. Hör mal auf damit. Ist doch krass anstrengend. Mach mal weniger – Mir egal wie – du wirst das schon rausfinden. Du bist kompetent, das seh ich ja. Du bist aktiv und kriegst alles irgendwie hin – Wenn du es nicht packst, würd mich das schon sehr wundern, also ich hab da schon andere Erwartungen an dich – Die Konsequenzen – dein Ding. Da bin ich raus, das ist ja nicht meine Verantwortung.“
Ich erlebe es also nicht wirklich als Anreiz, ergebnisoffen darüber nachzudenken, was ich eigentlich finde oder möchte oder will. Sondern viel mehr als offene Ansage darüber wie ich sein soll oder in welche Richtung ich mich entwickeln oder verändern dürfte, wenn ich wollte.
Und könnte.

Mein Alltagssystem ist ein Angst-Kompensier-und-Nutz-System. Kein Aus-Angst-irgendetwas-anderes-mach-System. Mein Rahmen daran etwas zu ändern ist von meinem System begrenzt. Dem System, das mich in meiner Funktionalität entwickelt hat.
Das heißt nicht, dass ich nie etwas ändern kann – ich kann es aber nicht über meine Systemfunktion hinaus.
Alle Schritte aus dem traumareaktivem Angstfunktionieren heraus habe ich zum Beispiel nur machen können, weil ich kompatible Beruhigungsmechanismen angeboten bekommen habe. Die ich unterstützt ausprobieren konnte. Die anzupassen mir gezeigt wurde. Die kleinen Inseln, in denen ich heute ohne übermäßige Angst funktionieren kann, habe ich entdeckt, weil andere Menschen mir vorgemacht haben, wie das geht. Wie ich das machen muss. Womit ich rechnen muss. Wie ich damit umgehe, wenn es nicht klappt. Weil ich nicht damit alleingelassen wurde, herauszufinden, wie und wer ich bin, wenn ich nicht permanent im größten Angststress bin – obwohl ich Angst habe.

Im Moment geht es in meiner Therapie nicht um mein System und mich, sondern um Wut und ein jugendliches System.
Meine Funktion für uns als Einmensch-System ist es, Systeme wie dieses zu kompensieren, genauer gesagt zu unterdrücken. Wut ist saugefährlich in unserer Gesellschaft. Vor allem in Kontexten wie unserer Herkunftsfamilie, aber auch den Hilfesystemen, in denen wir jugendlich waren und erwachsen wurden. Da gab es nie eine andere Möglichkeit als Angst vor der eigenen Wut – völlig egal wie gerechtfertigt oder rational begründet sie war – zu entwickeln. Sie war immer genauso lebensgefährlich wie die falschen Fragen, die falschen Worte zu den falschen Menschen.
Und sie war oft ein unterstelltes Empfinden oder eine angenommene Empfindung, um Melt- und Shutdowns mit der Annahme eines nicht-autistischen Erlebens verknüpfen zu können. Mir wurde also vielfach auch dann Wut unterstellt, wenn ich schon jenseits jeder Emotionswahrnehmung war – was dazu führte, dass ich mich selbst oft als wütend dachte, obwohl ich es nicht war. Was meine Angst vor Gefühlen ins Extrem generalisiert hat. Ich bin so schon nicht gut darin zu wissen, was ich fühle, wenn es um mehr als Grundemotionen geht – mein Außen hat das aber nicht gewusst und teils auch nicht glauben wollen. Wie mir gespiegelt wurde, was man an mir für Gefühle sieht und annimmt, konnte entsprechend nur selten nicht verwirren und verunsichern – und ist auch heute noch kein Feld, auf dem ich mich sicher fühlen kann. Wer Angst hat, kann halt schlecht nochmal genau über den Anlass drüberfühlen, um sich selbst Klarheit zu verschaffen.
Was das angeht, muss ich immer schneller sein als meine Angstkurve. Immer immer immer. Bei egal was. Im Laden, auf einer Veranstaltung, im Gespräch mit Freund_innen, in der Therapie. Folgerichtig habe ich im Leben auch immer Angst vor der Angst – obwohl und wahrscheinlich gerade weil ich anders überhaupt nicht funktionsfähig (und also ich selbst, Hannah) bin.

Wie ich nun also eine nicht kompensierende Verbindung zu diesem wütenden jugendlichen Innen und seinem System herstellen soll, weiß ich noch nicht sicher. Es hilft zu merken, dass sie nicht mehr die Gefahr wie früher darstellen. Es hilft auch zu merken, dass es im Kontakt mit der Therapeutin zu Zustandsveränderungen kommt, die ihr System ähnlich destabilisieren wie sich meins destabilisiert (und verändert) hat, als ich in Kontakt mit ihr ging und bleiben konnte. Es ist leichter zu erkennen, wer was wie aus.macht, wenn ein System nicht mehr perfekt funktioniert. Ich kann jetzt also leichter anfangen zu schauen, welche Funktion dieses wütende Innen für sein System hat und dann überlegen, ob ich diese Information für etwas nutzen kann, das Verbindung herzustellen hilft.

Also, wenn ich fertig bin mit der Angst vor dem Falschmachen, weil ich nicht über eine Aufgabe nachdenke, sondern eine Funktion.

Rückzug

Vor 4 Wochen ist mir etwas passiert.

So wie dieser Satz ist, fühlt es sich an. Banal und undefiniert konkret.
Ich glaube nicht, dass ich je öffentlich darüber schreibe oder spreche. Aber es ist passiert, es wirkt und auch das schreibe ich hier auf.
Auch, weil es zeigt, dass viel über Trauma und seine Folgen zu wissen im Fall einer erneuten Traumatisierung bzw. einer Re-Traumatisierung wenig zu Entlastung beiträgt einerseits und andererseits eine Reflexion ermöglicht, die eine Kontextualisierung erleichtert. Also dann doch – irgendwie – entlastet.

Zum Beispiel war mir schon in der Situation klar, dass ich traumareaktiv reagiere.
Dass ich auf Ressourcen zugreife, die mich geistig („frontalhirnig“) an meine gegenwärtige soziale Umgebung binden, weil sie eine gewisse Identität (im Sinne einer Übereinstimmung) haben. Ich habe mich absolut darauf konzentriert, dass ich erwachsen bin, weil ich weiß, dass die Menschen in meiner Umgebung daran keinen Zweifel haben. Ich wusste ganz genau, dass ich, wenn ich mich daran halte und dementsprechend erwartungsgemäß re.agiere, mit mehr Empathie, Hilfsbereitschaft und Fürsorge rechnen kann, als wenn ich re.agiere, wie ich kongruent mit meinem Selbstgefühl bin.

Mir war aber auch klar: Wenn ich „erwachsen re.agiere“ können andere Menschen nicht mehr erkennen, dass ich in Bezug auf die Erfassung der Situation, die Einordnung und die Anbahnung eines Handlungsablaufs hilflos bin.
Sie sprechen mich nicht an, als hätte ich eine wie auch immer gelagerte Verletzung. Sie bieten mir keine Unterstützung an, sondern fragen mich, warum ich welche von ihnen brauche. Wenn es vorbei ist, bietet mir niemand Fürsorge für mich an. Wund_Pflege.

Nun war mein Partner zu dem Zeitpunkt noch auf der Intensivstation und erlebte einen ganz eigenen verletzenden, todes.ängstigenden Horror. Keine_r meiner Freund_innen oder Gemögten konnte zu mir kommen. Nicht allen konnte ich überhaupt davon schreiben. Meine Therapeutin war im Urlaub – und krank. Sie telefonierte kurz mit mir, das ging fürchterlich schief und schon beim Auflegen war ich innerlich absolut blank.

Die nächste Traumareaktion.
Ich habe mich nicht mehr nach außen orientiert. Keine Kongruenz mehr gesucht, kein Trauen und auch keine Kraft mehr für die Angleichung gehabt.
Ich wurde von traumatischen Erinnerungen geflutet und das war die Kongruenz, die ich in mir selbst haben konnte. Gewissermaßen hat in der Situation also die Tatsache, dass ich nicht zum ersten Mal so unversorgt verletzt geblieben bin, mehr zu innerem Zusammenhalt (Assoziation) beigetragen als alle Skills, alles empowernde Wissen, auf das ich zugreifen hätte können.
Weird.

Dieses traumabedingte „nur in sich selbst zu Hause sein“ ist die Schnittstelle, die viele Menschen mit Autismus in Verbindung bringen, weil man über autistische Menschen bis heute noch denkt, sie wären in ihrem Körper oder einer inneren Welt gefangen.
Ich habe da eine Grenze.

Nach traumatisierenden Erfahrungen ist der Rückzug eine bio.logisch absolut perfekte Strategie. Das gesamte System „Körper“ war mehr oder weniger lange überfordert und wurde verletzt. Die Energiereserven sind aufgebraucht. Alle. Sich auszuruhen, ist zwingend notwendig. Es ist wichtig, dass man im Anschluss mehr von allem bekommt als sonst. Mehr Zuwendung, mehr Nahrung, mehr Schutz, mehr Unterstützung. Kein Körper kann aus „nichts“ „etwas“ machen. Er braucht das Außen, er braucht den Input, um Output zu generieren. Gefühle und Gedanken sind Output. Sie sind Körperprodukte. Lebenszeichen.

In einer Gesellschaft, in der das unversorgte Verletztsein die Norm ist, wird Rückzug oft nicht mehr intuitiv als Marker für Fürsorgebedarf verstanden. Also als ein Hinweis darauf, dass eine Person andere Personen zum Überleben braucht. Viel häufiger wird er als Abgrenzung verstanden. Als Akt der Individualisierung, der Betonung des Selbst oder auch der Konzentration auf sich selbst.
Deshalb erscheint es logisch in so einer Phase zu sagen: „Komm erstmal klar – du musst nicht zur Arbeit kommen, du musst nicht zum gemeinsamen Hobby kommen, du musst nicht zum üblichen Treffen kommen – sei unbesorgt, krieg dich erstmal auf die Reihe, wenn was ist, melde dich.“ Was man sagen will ist: „Wir verstehen, dass du im Ausnahmezustand bist – wir warten hier auf dich, bis wieder alles in Ordnung ist.“ Was man aber miteinander macht ist, die Wiederherstellungsarbeit zu verwalten. Die soll der verletzte Körper aus sich selbst heraus schaffen. In vollem Bewusstsein dafür, dass andere Körper erreichbar sind, wenn sie denn erreicht werden können. Mit den richtigen Worten, zur richtigen Zeit, der richtigen Ressourcenlage. Man kann also die Fürsorge bekommen, die man braucht – aber nicht sicher und schon gar nicht bedingungslos.

Vor allem nicht als autistische Person.
Meine autistische Isolation begann schon 2 Minuten nach der Realisation, dass ich gerade von etwas verletzt wurde. Nämlich in dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich jetzt etwas tun musste, das ich noch nie getan hatte. Ich war noch nie in der Situation. Ich habe noch nie gefühlt, gedacht, gemacht, was in dem Moment alles da war. In dieser Konstellation. Der Partner im Krankenhaus, ich alleine mit den Hunden, auf dem Land, zig Kilometer von allen entfernt, zu denen mir der Kontakt nicht so schwerfällt. Ich hatte kein Skript dafür. Und das einzige Skript, das mir einfiel, wurde quasi sofort niedergeschlagen. Und als ich es dann doch anbahnen konnte, nicht erfolgreich im Sinne von wie erwartet, erwünscht und erhofft, abarbeiten. Was zu einer ganzen Reihe von Unklarheiten führt, die meine Rolle in der Situation, meine Pflichten, meine Verantwortungen betreffen und dem nicht-autistischen Außen jetzt mühsam vermittelt werden müssen. Ohne in Gänze geklärt werden zu können.
Es bleibt gewissermaßen ein offener Topf, eine unfertige Sache, wie das unfertig abgearbeitete Skript. Für mich ist auch das ein Stück „offene Wunde“. Denn ich weiß, dass ich mit bestimmten offenen Stellen immer übrig bleibe. Dass ich damit allein klarkommen muss, obwohl ich nicht kann. Und in Bezug auf manche Aspekte auch nicht will.

Die oft fast romantisierte autistische Isolation ist die spezielle Hölle des Minderheitenstresses. Der sich in traumatischen Situationen vervielfacht. Zum Erleben der traumatischen Situation selbst kommt die stets potenziell traumatisierende Interaktion und Kommunikation mit nicht-autistischen Menschen, die ohnehin schon tendenziell nicht erkennen können, was für Bedarfe bestehen. Auch deshalb habe ich in der Situation „erwachsen“ gehandelt. Und nicht „ich (in einer überfordernden Situation, die Unterstützung von Außen nötig macht)“. Ich brauchte die größtmögliche Annäherung an die Erwartungen und Lesbarkeiten der nicht-autistischen Umwelt. Und wie schon im Supermarkt, bei der Arbeit, beim Hobby, im Ehrenamt habe ich also umgeschaltet. Ich habe mich rausgeschnitten. Dissoziiert und in mir selbst isoliert. Nur krasser. Dringlicher. Todes_Ängstlicher. Kontakt_Unterstützungs_Hilfe_Bedürftiger.

Ich habe mich zurückgezogen in den letzten Wochen. Obwohl ich im Kontakt mit anderen Menschen war. Gearbeitet habe. Spaß hatte. Kurzkettenproduktiv war. Mich auf eine Reihe gekriegt habe. Nämlich die, in der diese Erfahrung keine Rolle spielt. Nichts weiter bedeutet. Und auch nichts weiter bedeuten muss, denn so leben wir ja schließlich alle irgendwie – weshalb es für mich gerade auch Kongruenz herstellt. Obwohl es mir überhaupt nicht guttut. Und auch nicht richtig ist. Es ist nur normal.

alle sind immer genug

Es berührte mich mit Verspätung und unerwartet. Unerwartet, weil ich dachte, schon alles erfasst, verstanden und ins Außen gebracht zu haben. Aber vielleicht auch nicht? Ich kann mich nicht darauf verlassen und das ist ein Trigger. So offensichtlich wie ein 500 Kilo-Findling auf englischem Rasen. Jetzt.

*

Ich bin sehr froh darum, mit meiner Therapeutin sprechen zu können und einen Raum zu haben, in dem ich von Dingen befreit bin, wie „DIE Wahrheit“, „den Leuten“ oder „DER Normalität“. Ich vergesse manchmal, dass das nicht bedeutet, auch einen Raum zu haben, in dem ich nicht ganz genau darauf achten muss, was wie verstanden wird. In dem ich nicht einfach annehmen kann, dass ich in allen Selbstzuständen schon richtig verstanden werde. Ohne nochmal zu prüfen. Nochmal zu fragen. Und dann nochmal, weil es einfach nicht so einfach ist, sondern viel, komplex, alles.

Manchmal denke ich, dass sie mir in allem voraus ist, weil sie viel schneller als ich versteht oder einfach weiß?, welche Gefühle mit Geteiltem einhergehen. Dann aber gibt es diese Momente, in denen ich merke: Das sind oft Annahmen. Annahmen, die ebenfalls oft passen und wichtig sind und eigentlich ist alles gut damit, aber … es sind Glückstreffer. Glück für mich, weil ich so über die Therapeutin in Kontakt mit mir komme, aber sollte das nicht mehr sein?
Vielleicht nicht. Ich habe für mein Buch so viele Studien zur Kommunikation zwischen autistischen und nicht-autistischen Menschen gelesen, dass ich fast sagen würde: Jo, das ist typisch. Der Großteil der nicht-autistischen Kommunikation fußt auf routiniert getroffenen Annahmen über mehr oder weniger diffuse Reize. Glück ist darin nur, dass es mehr nicht-autistische als autistische Menschen gibt, die miteinander kommunizieren. So fällt es nicht auf. Und wenn doch, kann es jedem passieren. Nicht schlimm. Bis sich herausstellt, dass man (sich) als nicht-autistischer Mensch mit dem autistischen Gegenüber einfach sehr sehr oft nicht (richtig) versteht. Dann wirds anstrengend. Oft zu anstrengend.

Da ist die Gefahr von routinemäßigem Erfolg. Die Gewohnheit, immer richtigzuliegen. Das Sicherheitsgefühl. Die Überzeugung: „Ich weiß schon Bescheid, hier Checkbox 1 bis 5 passt, es kann nur Tor 3 sein, ein Zonk ist nicht dahinter zu erwarten.“ Aber dann ist da einer. Und es ist nicht einfach nur ein Irrtum oder ein Missverständnis, das man einfach ausräumen kann, indem man etwas auf andere Art formuliert oder strukturiert, sondern etwas, das aufzeigt, dass Checkbox 1, 3 und 4 doch nicht passen. Dass es nicht nur um ein Missverständnis geht, sondern um vier.
Ich weiß nicht, wie das für meine Therapeutin ist. Ich hoffe, dass sie Umgänge damit gefunden hat, die sie nicht entmutigen, frustrieren oder an sich selbst anzweifeln lassen. Hoffe einfach ins Tiefblaue hinein, dass sie nicht glaubt, ich könne ihr (ableistisch-) eigentlich besser helfen zu verstehen oder „in Wahrheit“ ja doch alles einfach aufklären.
Das ist nämlich meine Angst. Dass sie meine Fähigkeiten zur Auflösung ihrer Frustration oder Anstrengung in solchen Missverständnissen braucht, um dranzubleiben, aber ich kann sie nicht geben, weil ich wirklich und echt und tatsächlich – like profoundly, bottomline of all – nicht kann. Weder als Hannah, erwachsen, alltagsfähig und voller Bemühen um funktionierende Kommunikation mit dem Außen – noch in kindlichen oder jugendlichen Selbstzuständen, die weder erwachsen, noch in meinem Alltag problemlos fähig sind und in der Regel mehr oder weniger verzweifelt, frustriert, gekränkt, hoffnungslos, ohnmächtig, hilflos, überanstrengt vor den Herausforderungen der Kommunikation mit dem Außen stehen.

In den letzten Monaten waren wir so gut in der Arbeit zusammen. Und jetzt ist da wieder so eine Schleife. Eine etwa 30 Jahre alte in mir und eine, die ich mir als nachhaltig für immer aufgelöste und nie wieder auftauchend gewünscht hatte, in unserem Gespräch. Und vor beidem stehe ich mit so wenig. Kann ich so ganz offenkundig wenig tun, dass es möglicherweise nichts ist.
Ich könnte alles verlieren, denke ich. Alles könnte kaputtgehen. Es hängt alles von mir ab und ich versage. Ich bin schuld. Ich habe es ausgelöst, ohne es auflösen zu können. Wie unbedacht, unvorsichtig, dumm kann man sein. Ich habe nicht anders verdient, als dass alles kaputtgeht. Ich habe nicht genug getan. War nicht eindeutig, nicht eindeutlich genug. Bin einfach nicht genug. Das ist die nächste Schleife. Meine schöne Coping-Strategie aus autopoietischem Selbsthass, um bloß nicht zu viel Raum für die Möglichkeit entstehen zu lassen, dass es vielleicht natürlich, logisch, einfach so ist, dass man dann nicht viel tun kann. Oder auch nichts.

Neulich habe ich meinen ersten Wildunfall mit dem Auto gehabt. Ich habe einen Sperling angefahren. Sah ihn im Rückspiegel noch auf der Fahrbahn wild flattern, doch als ich umgekehrt war, hatte ein anderes Auto ihn schon totgefahren. Tagelang hatte ich das Bedürfnis, nochmal in die Situation zu können. Vor ihm abgebremst zu haben, sofort angehalten zu haben. Ich hätte ihn hochnehmen können – mich hätte das andere Auto nicht überfahren. Ich hätte ihn retten können, konnte aber nicht. Ich konnte in dem Moment noch nicht und ich kann jetzt nicht mehr. Es ist passiert und für immer so wie es war. Schlimm, traurig, tödlich, unbeabsichtigt.

Miss- und Unverständnisse erlebe ich nicht so selten wie Wildunfälle, aber ihre Wirkung in Bezug auf meine Ohnmachtsgefühle sind sich sehr ähnlich, nämlich traumanah. Ich denke mich darin automatisch ganz allein. Allein verantwortlich, allein betroffen, allein gelassen. Obwohl das nur in Bezug auf die traumatisierende Situation stimmt.
Ich kann durchaus sehen, dass ich nicht alleinverantwortlich für die Kommunikation in der Therapie bin. Dass ich schon getan hab, was ich konnte, weil ich mehr nicht kann. Ich weiß, dass es nicht meine Aufgabe als Patientin ist, passend für die Therapeutin oder das Therapiekonzept zu sein. Aber die Konsequenz dieses Wissens ist, dass ich etwas von meiner Therapeutin erwarten könnte. Und das macht mir Angst. Wieder irgendwas Traumanahes. Die nächste Kaskade, die mich erniedrigt, allein, weil da die Gefahr besteht eine Möglichkeit ist, dass unser Kontakt nicht nur für mich mit Anstrengung, Arbeit, dem Stoßen an Grenzen des Könnens verbunden ist, sondern auch für sie. Ich sie also nicht geschützt, nicht bewahrt, nicht verschont habe zu empfinden, was mich so oft im Leben schon gequält hat. Als wäre das etwas, das ich könnte. Das irgendwer könnte.
Kurz bin ich in dem Gedanken, dass der Kontakt mit mir einfach immer schwer ist. Immer anstrengend und viel. Wie unfassbar leid mir tut, dass es mich überhaupt noch gibt, obwohl das doch niemand wollen kann. Niemand kann doch wollen, dass so eine Belastung weiter besteht. Ich merke, wie es an mir zieht, das zu beenden. Aus dem Kontakt zu gehen, die Therapie zu beenden, meine Campingausstattung zusammenzupacken und wegzugehen. Fernwandern. Raus, weg, vielleicht plumpse ich unterwegs in eine Gletscherspalte oder werde von einem Problembären gegessen. Mutter Erde knows best how to manage Ballastexistenzen, darum brauche ich mich dann nicht mehr kümmern.

Da ist sie also. Die Gewalt, die ich mir selbst antue, um meine Gefühle der Trennung kongruent zur Situation zu machen. Gewalt kann das einfach so gut. Trennen, spalten, dissoziieren. Das funktioniert so zuverlässig.
Aber das ist nicht, was ich will. Für kurz war es jetzt aber vielleicht wichtig das zu glauben. Um es zu wissen.

*

Vielleicht muss man den Trigger manchmal ganz durchfühlen. Bis zum Schluss durchmachen – so weit, bis man wirklich kurz davor ist, die Koffer zu packen oder sich das Leben zu nehmen, um leichter an den Punkt zu kommen, an dem man sich fragt, was man eigentlich wollte. Ob man das wollte – getrennt sein von allen und allem – oder doch etwas anderes. Was man sich (noch) nicht zu wünschen traut, erlaubt oder zu wünschen aushalten kann. Oder, was (möglicherweise nur jetzt gerade in diesem Moment) einfach noch nicht funktioniert. Oder insgesamt unmöglich ist, aber nicht unersetzbar.

Ich wünsche mir, dass meine Therapeutin mit mir im Kontakt ist. Nicht mit Ideen von mir, die sie sich macht, weil sie Annahmen folgt, die sich aus Begriffen entwickeln, die wir unterschiedlich mit Bedeutung füllen. Wenn wir das hinkriegen (und wir haben das schon hingekriegt), dann fühle ich mich verbunden mit ihr. Nicht allein. Nicht getrennt. Sehr eindeutlich anders als traumanah. Das will ich. Das will ich nicht kaputtmachen, nicht verlieren. Das würde niemand verlieren wollen. Niemand hätte es verdient, das zu verlieren. Egal, wie viel oder wenig sie_r dafür tun kann. Alle sind immer genug für Kontakt, Beziehung, Verbindung.
Alle sind immer genug.