Weltautismustag 2025

Gestern ist mir bewusst geworden, dass schon 10 Jahre vergangen sind, seit die Autismusdiagnose feststeht. Soweit meine eigene Autism Awareness.

10 Jahre, das fühlt sich komisch an, weil es gleichzeitig viel und wenig Zeit war.
Ich habe einige Texte geschrieben, wenn Weltautismustag war und ich finde sie alle gut. Und wichtig. Sie machen meine Entwicklung, meine Auseinandersetzung nachvollziehbar und ich freue mich darüber, das geschafft zu haben. Auseinandersetzung und Entwicklung.

Als ich „worum es geht“ geschrieben habe, war ich am Ende meiner Arbeit dazu, wie ich so lange nicht als autistisch erkannt werden konnte. Und was das bedeutet. Worum es dabei ging. Warum mir das immer noch weh tut. Was ich akzeptieren muss, während nicht autistische Menschen nichts akzeptieren müssen.
Das Buch war ein guter Schlusspunkt für meine Auseinandersetzung zum Warum.

Jetzt schreibe ich über das Wie. Jetzt kann ich das.
Seit meine Therapeutin und ich den Autismus mitdenken, seit meine Therapeutin besser verstanden hat, funktioniert die Traumatherapie für mich.
Ich habe kein stressbedingtes Fieber mehr nach den Stunden. Ich kann mich an die Stunden erinnern. Ich kann sagen, worüber ich sprechen möchte. Ich kann außerhalb der Stunden ausprobieren, was helfen könnte und meine Erfahrungen damit vermitteln. Ich kann mich körperlich und seelisch fühlen, obwohl es nach wie vor schwierig für mich ist, von ihr beobachtet zu werden. Der ganze Druck über die Möglichkeit, sie in ihrem Eindruck, ihren Annahmen über mich zu enttäuschen, ist nur noch sehr selten da. Und wenn – dann kann ich das sagen. Und in ihrer Reaktion Sicherheit finden. Ich kann sie dann verstehen. Und ihr glauben.

In den letzten Jahren konnte ich mich meinen Traumatisierungen als Erfahrungen widmen. Nicht mehr nur als abstrakt diffuse, eindeutig schlechte, falsche, schlimme, unaushaltbare Symptomquelle. Als Ursprung allen Übels. Sondern als Momente, die mit Empfindungen, Gedanken und Emotionen, mit Ideen und Überzeugungen zu tun hatten.
Das tut mir gut. Ich kann sagen, dass ich an einem Punkt bin, an dem ich mein Leben in die Hand nehmen kann, um es zu befühlen. Nicht wie ein Stück frische Lava, sondern wie ein Fossil. Nicht betäubt von Dissoziation, nicht erschöpft von Vermeidung und Kompensation, sondern von Sicherheitsgefühl ermutigt und gestärkt von inzwischen auch angenehmen Selbsterfahrungen.

Ohne die Kaskade der Klarheit über mich selbst nach der Diagnosestellung wäre ich da nicht angekommen. Ohne die Anpassungen, die meine Therapeutin leistet, erst recht nicht.

Dass ich eine Mitwelt brauche, in der sich andere Menschen an mich anpassen und sich anstrengen müssen, etwas dafür zu tun, dass etwas für mich erlebbar wird – zugänglich, verständlich, möglich, aushaltbar, erträglich – das ist eine brachiale Erkenntnis für mich gewesen. Eine, die ich abgewehrt habe, bis ich bemerkte, dass diese Abwehr ableistisch ist. Und eine Wiederholung. Eine Selbstverletzung.
Ich arbeite inzwischen in einem Inklusionsbetrieb. Der Prozess um diese Stelle und mein Wechsel von der freien Buchwirtschaft dahin hat mir sehr deutlich aufgezeigt, wie umfassend ich mich überstreckt habe, um überhaupt ins Arbeitsleben der Nichtbehinderten zu kommen. Dass ich sehr wohl massive Schwierigkeiten in der Selbstorganisation habe. Sehr wohl Unterstützung bei der Definition und Verteidigung von Leistungsgrenzen brauche.
Dass diese ganze Arbeitsnummer überhaupt nur funktioniert, wenn ich jemanden dafür an der Seite habe. Wenn mein Mann die Kraft hat, meine Kraftverluste zu kompensieren. Wenn meine Freund_innen mich an die Beiderseitigkeit unseres Kontaktes erinnern. Wenn meine Projektfreund_innen mich an die Allerseitigkeit von Verantwortung erinnern und mich dabei unterstützen, nicht in soziale Fallen zu geraten, die mich letztlich ausbrennen.

Für mich ist es nach wie vor ein heikles Unterfangen, meine Behinderung, speziell den Autismus, zu benennen und anderen Menschen zu vermitteln, was ich brauche. Immer noch ist das ein Trauma-Autismus-Mischpunkt.
Ich will nicht stören – tut mir leid, dass ich existiere, ich weiß, das nervt so hart (Trauma)
Ich muss stören, denn nichts hier ist so gemacht, dass mein Existieren kein Problem ist oder zu Problemen führt, die andere Menschen möglicherweise an den Gedanken bringen, dass es besser wäre, ich würde nicht existieren. (Autismus)
Ich wünschte ich wäre unsichtbar (Trauma)
Ich wünschte meine Behinderung wäre sichtbar (Autismus)

Besonders in diesen Momenten – den Momenten, in denen ich es sagen muss, wenn ich meine Selbstfürsorge, meine Gesundheit, meine seelische Integrität ernst nehmen will – brauche ich, dass sich andere für mich mit anstrengen.
Ich brauche, dass sie es nicht persönlich nehmen. Dass sie den Impuls der Abwehr als die Kraft nutzen, die es erfordert, auf mich zuzugehen. Dass sie nicht ihre Selbsterfahrungen in einer ähnlichen oder auch der gleichen Situation zur Grundlage nehmen, um einzuschätzen, wie es für mich ist.
Denn erst dann fühle ich mich nicht mehr bedroht oder gefährdet. Erst dann komme ich in den Zustand, in dem ich selbst überhaupt die Chance habe, mich selber zu fühlen und ganz bewusst zu erfahren, was mit mir passiert. Wie sich das anfühlt, diese Erfahrung zu machen. Was das für eine Erfahrung ist. Wie ich in dieser Situation bin. Nur so komme ich überhaupt in die Lage, die Situation zu erinnern und beschreiben zu können.

Wie umfassend ist, was mir unmöglich wird, wenn ich es nicht sage, macht mich inzwischen traurig. Für mich selbst. Um mich selbst. Obwohl ich auch verstehe, dass mein Crip Privilege da eine Rolle spielt – es ist einfach oft besser so unsichtbar behindert zu sein, weil in unserer Gesellschaft behindert zu sein mit scheiße sein gleichgestellt ist, darüber brauche ich nichts mehr schreiben.
Aber gerade weil ich das verstehe, macht es mich traurig. Denn mehr als Überleben sichert mir auch mein Crip Privilege nicht.
Jetzt, wo meine dissoziative Störung zurückgeht und ich auch mehr und mehr Zugang zu Erinnerungen an meine Jugend und Kindheit habe, wird mir bewusst, was ich für ein Leben hatte bis die Therapie wirklich funktioniert hat. Es war nicht immer schlecht und schlimm. Aber lebenswert halt auch nur bedingt.

Wäre ich kein autistischer Mensch, wäre es sicher ganz anders für mich gelaufen.
Aber wäre meine Umwelt, meine Mitmenschen nicht behindertenfeindlich, dann auch.

der Moment, der noch nie war

R. ist mein Stein im Schuh.
Wenn sie darüber redet, wie das für sie war, dass sie niemand verstanden hat, dann spüre ich das wie ein besonders heftiges Stechen ihrer Härte. Peripher, aber deutlich.
Die Verschlossenheit, die sie in Bezug auf DIE ALLE hat und hält, war und ist bis heute manchmal noch ein echtes Hindernis in Hilfe- und Unterstützungskontexten.
Sie würde es nie sagen, mir jedoch ist es total klar: Das frühere Unverständnis der Menschen über ihre Gefährdung hätte ihr das Leben kosten können. Uns. Mir.
Was man ihr, uns, mir in Medien, Schule, Sportverein beigebracht hat: „Sag was, wenn jemandem oder dir etwas Schlimmes passiert.“, das hat sie gemacht. Sie hat gesagt, dass anderen etwas passiert. Und weder sie noch die Menschen haben gemerkt, verstanden, gewusst, dass sie diese anderen war. Niemand hat geholfen.

So ein folgenschweres Missverständnis ist nicht nur „ein harter Schlag“ oder etwas, was das Ego ein bisschen anklatscht, wer ist schon gern unverstanden dies das. Solche Erfahrungen lösen nicht nur Enttäuschung aus. Sie führen auch dazu, dass man sich auf sich allein zurückzieht. Annimmt, die Menschen würden wollen, dass man gefährdet ist. Glaubt, die Gefährdung, die (angenommene) Lebensgefahr sei von allen (also von der ganzen Welt) gewollt. Die Todesangst gewünscht.
Ich reagiere auf solche Annahmen mit Depression, Angst, Suizidalität. R. mit Wut, Härte und authentisch kompromissloser Konsequenz. Nicht einen Filter hält sie noch hoch, wenn sie merkt, dass sie, dass wir, dass ich nicht verstanden, gehalten, getragen werde.

Innere wie R. sind es, die ich bei Vorhaben wie der Operation, aber auch der Traumatherapie möglichst weit raushalte. Noch weiter als aus anderen Interaktionen mit anderen Menschen.
Zum Einen, weil ihre Wut in der Regel zu Problemen führt, die meine kommunikativen Fähig- und Fertigkeiten weit überschreiten. Was sich unter anderem daraus ergibt, dass ich dieses Gefühl nicht mir, sondern ihr zugehörig empfinde und erst nach bewusster Reflexionszeit und manchmal auch erst nach einer Besprechung mit meiner Therapeutin den Anlass überhaupt erkenne und verstehe.

Zum Anderen, weil R. einfach bis heute nicht richtig orientiert ist. Sie kann im Heute agieren, kann den ganzen „Wissen Sie welches Jahr wir haben“-Reigen vortanzen, ohne einen Zweifel aufkommen zu lassen. Aber für sie geht es nach wie vor bei jedem Kontakt, der irgendwie und sei es noch so abstrakt darum geht, dass ihr, uns, mir jemand in irgendeiner Form hilft oder etwas unternimmt, was sie, wir, ich nicht alleine kann, um Leben und Tod.
Wenn diese mit Hilfe oder Unterstützung oder irgendeinem anderen mich betreffenden Ding beauftragten Menschen irgendetwas nicht können, nicht schaffen, nicht wollen – egal ob intentional oder natürlich bedingt – beginnt ein inneres Wiederleben von Traumatisierungen. Davon merke ich, Hannah, bis heute nichts. Ich merke nur R., die es wiederum als flutend und massiv überfordernd erlebt und reagiert. Ihre Reaktion, also die innere Schutzreaktion, macht mir wiederum Angst, weil ein Wechsel zu ihr für mich Kontrollverlust und relativ spezifische zwischenmenschliche Konsequenzen bedeutet.
R. geht im Zweifel nämlich auch einfach aus dem Kontakt und bringt absolut keine Motivation dafür auf, die Kraft zur angepassten Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen aufzubringen. Wer sich im Kontakt mit ihr nicht darum bemüht und kümmert, sie in ihrem authentischen Ausdruck zu verstehen, bekommt von ihr auch kein Bemühen. Sie behält diese Energie für sich, um selbstständig handlungsfähig zu bleiben.
Traumalogisch absolut sinnvoll. Alltagskommunikations-logisch ebenfalls absolut sinnvoll. Sozial und in Bezug auf jede Option der Kontaktgestaltung hingegen eine absolute Katastrophe.
Jedenfalls für mich. Denn R. markiert diese Kontakte den Energieaufwand nicht wert, den die reparierende oder wieder-verbindende Kommunikation für mich bedeutet, die_r in so einem Fall alle Kraft einfach aufbringt, egal, ob ich sie wirklich habe oder nicht. Bis das nicht „wieder gut“ ist, kann ich nichts anderes machen, als daran zu denken, Gespräche in meinem Kopf durchzuanalysieren, Aussprachen im Kopf üben, um auf jede Möglichkeit des Gesprächsverlaufs vorbereitet zu sein und mich auf Alternativen bzw. andere Lösungen zu konzentrieren. Das ist in der Regel die Phase, in der ich dann missverstanden werde, weil die allgemeine erste Annahme ist, ich sei durch mein Trauma so beziehungsunsicher, dass ich Konflikte nicht ertragen kann. Tatsächlich aber kann ich die Emotionalisierung von Konflikten kaum ertragen, weil sie eine oft überaus kräftezehrende Übersetzungshürde für mich darstellt und ich nicht davon ausgehen kann, dass mein Gegenüber das überhaupt weiß, versteht, berücksichtigt oder, wenn es bekannt ist, nicht als Waffe gegen mich einsetzt.

Mal ganz davon abgesehen ist es mir peinlich, wenn R. übernimmt und meinen Körper steuert. R. erlebt sich als 13 Jahre alt und allein gegen die ganze Welt am eigenen Weiterleben überhaupt interessiert. Das ist einfach kein guter Zustand, wenn man inzwischen überwiegend mit Menschen zu tun hat, die es verletzen würde, würde man ihnen Desinteresse an unserer Lebendigkeit unterstellen. So wie es R.s Grundannahme über DIE ALLE ist.

Es ist R., die sich ohne jeden Skrupel hinstellt und sagt, dass es Helferversagen gibt. Wie es wirkt. Dass es mit.schuldig macht. Dass es Teil des Unrechts ist, das Opfern von zwischenmenschlicher Gewalt passiert. R. ist die einzige Seite von mir, die Entschuldigungen von Erzieher_innen, früheren Psychotherapeut_innen und auch Betreuer_innen goutieren würde. Die Einzige, die sich nicht mal dafür schämt zu sagen, dass sie das gerne hätte.
Sie kann das, weil sie sich sehr weit entfernt von diesen Menschen erlebt. Ihre Wut und ihre harte Verschlossenheit schützen sie davor, jemals wieder irgendetwas von DEN ALLEN zu brauchen.

Sie schützen sie aber nicht davor, etwas zu bekommen, wenn sie, wir, ich es brauche.
Die Situation im Krankenhaus, die Operationsvorbereitung und die Pflege danach, war so ein Moment des Bekommens. Einer der Ersten, die ich so je wahrgenommen habe.

Man ist auf allen Ebenen auf mich zugekommen. Nicht ein Schritt in dem ganzen Voruntersuchungsprozess, der Aufnahme und Vorbereitung war gehetzt oder ungeduldig mit mir. Man hat für alles immer wieder meinen Konsens abgewartet. Immer jede alternative Möglichkeit erklärt und über alle Ressourcen aufgeklärt. Alles, was ging, ging auch wirklich. Sobald ich unsicher wurde, wurde ich versichert – ohne dass ich meine Verunsicherung erklären oder entschuldigen musste.
Es war nicht im Fokus, was mich verunsichert hat, sondern dass ich weiß, worüber ich mir sicher sein kann.
Das an sich war bereits außerordentlich wohltuend für mich. Es hat verhindert, dass ich in den traumalogischen Schluss rutsche, die Kontrolle über Unkontrollierbares behalten zu müssen. Diejenigen, die in der Verantwortung für mich waren, haben sie auch übernommen und meinen Konsens darüber immer wieder abgefragt. Ich hatte bis zum Schluss das Gefühl, die Kontrolle darüber zu haben, ob dieser Weg zum Eingriff oder der Eingriff selbst passiert oder nicht.

Offenbar habe ich beim Aufwachen immer wieder gesagt, ich hätte Angst, dass ein Täter da wäre oder käme. Daran habe ich keine Erinnerung.
Aber ich erinnere, dass eine Stationsschwester mir dann im Patient_innenzimmer gesagt hat, dass sie aufpassen würden, dass niemand käme. Dass ich bei ihnen sicher sei.
Der kleine R.-Stein in meinem, naja, meiner Krankenhaus-Laufsocke, war deutlich spürbar, aber nicht relevant für mich. Ich war noch eine ganze Weile nicht richtig wach und dissoziierte abwechselnd mit Schlafsequenzen.

Und dann gab es den Moment, in dem mein Mann egomäßig leicht angedötscht am Bettrand saß und erzählte, wie er beim Betreten der Station erst einmal klar und unmissverständlich gefragt wurde, ob er auch wirklich mein Mann sei.
Das war dann der Moment, in dem der kleine Stein zu einem kleinen Lehmklumpen wurde.

die DIS-Diagnose – ein Kurzabriss geschrieben für Menschen, die sie gerade bekommen haben

Neulich hat mich jemand gefragt, wie das bei mir war, als ich die DIS-Diagnose bekommen habe.
Für die Person war es schlimm. Für mich auch.

Ich war nicht erwachsen. Ich war 16 Jahre alt.
Das war meine 7. Diagnose in der 5. Psychiatrie in 3 Jahren.
Ich glaubte nicht mehr daran, dass mir irgendjemand mit irgendetwas helfen könnte. Ich war allein. Hatte keine Familie, kein Zuhause mehr. Ich war lange nicht mehr in der Schule. Machte Suizidversuche, ohne zu wissen warum. Zeit und Raum waren für mich kaum noch Bezugsgröße.
Man hätte mir jede andere Diagnose geben können, aber gepasst hat keine. Die der DIS erklärte meinen Zustand am besten.

Geholfen hat mir die Diagnose nicht. Sie hat mich besonders gemacht und die Gewalt der totalen Institution an mir legitimiert. Und sie hat Tür und Tor für Erzählungen über mich geöffnet, denen ich nichts entgegensetzen konnte.
Sie hat mich grundlegend aus Hilfeangeboten ausgeschlossen. Sie hat mich von Helfer_innen abhängig gemacht, die die Regeln gedehnt und die Strukturen ihres Arbeitsplatzes aufgebrochen haben.

In den ersten Jahren nach meiner Diagnose gab es mehr Romane und fiktionale Filme über die DIS als wissenschaftlich fundierte Fachbücher und theoretische Forschung. Ich habe mich und meine Er_Lebensrealität nicht abgebildet empfunden, bis ich 30 Jahre alt war.
Das Versprechen von Verbundenheit durch gleiche Diagnosen hat sich für mich nie erfüllt. Weder in Mailinglisten noch Foren noch Blogs noch Social Media noch Selbsthilfegruppen heute.

Ich habe mit der Diagnose nie mehr gewonnen als Ausschluss.
Ausschluss als Realität, Ausschluss als soziokulturelle Praxis, Ausschluss als Konzept.
Ausschluss als etwas, das ich in meine Lebenszeit integrieren muss, wenn ich leben – wenn ich Teil dessen sein will, was Hier und Jetzt ist.

Die Person schrieb, sie fühle sich wie in einem Horrorfilm.
Sie führte das nicht aus, für mich brauchte sie das aber auch nicht. Es kann ja nur entweder um den gesellschaftlich legitimierten und orchestrierten Horror des Stigmas psychischer Erkrankung oder den Horror der Aussicht auf ein ganzes Leben damit gehen. Es kann einem ja niemand sagen, ob man davon jemals heilt. Ob man überhaupt jemals ein normaler Mensch wird.

Ich habe in den ersten Jahren mit der Diagnose keinen Trost darüber gefunden.
Heute bin ich an der Stelle taub. Es ist, wie es ist.
Ich bin ein autistischer Mensch, der Pech mit der Familie hatte. Dass ich eine DIS entwickelt habe, war vom gleichen Zufall wie der in dieser Familie und später in den Psychiatrien und Hilfeeinrichtungen zu überleben. Es hätte auch alles anders kommen können und ich hätte auch damit irgendwie klarkommen müssen. Man muss immer irgendwie klarkommen.

Mein Intellekt hilft mir. Das hat er auch in den Jahren, nach denen ich die Diagnostik auf eigenen Wunsch habe erneut machen lassen. Als erwachsene Person.
Ich habe gelesen. Mich nicht nur auf die Diagnose konzentriert, sondern auf alles, was mit dem Thema Psychotrauma und Gewalt zu tun hat. Dabei habe ich mich sowohl mit der Psychologie als Wissenschaft als auch der Soziologie und ihren Theorien darüber befasst, wie Menschen zu Erklärungen kommen und welche Dynamiken sich stets und ständig wiederholen. Mir hat geholfen nicht nur zu verstehen, dass ich nicht der einzige Mensch mit DIS nach komplexer Traumatisierung bin, sondern vor allem, dass die Menschen in meiner Umgebung (also die Gesellschaft, in der ich lebe) nur ein gewisses Mü im Leben davon entfernt sind, es auch zu sein.

Ich habe nicht mehr zugelassen, dass sich Helfer_innen auf meine DIS konzentrieren. Ich habe Gewalt als normal und ihre Folgen als gesellschaftlich dissoziiert angenommen. Meinen Ausschluss als Teil eines Ganzen begriffen.
Ich habe mich für das Leben entschieden, wie es ist und dann gemerkt, dass ich nicht weiß, wie es ist. Das herauszufinden ist mein Forschungsthema bis heute.

Meine DIS-Diagnose ist dafür unwichtig. Ich bin wichtig.
Es ist mein Leben.

Der kleinste einsame Ort

Sookie war 8, als ich bemerkt habe, wie nah sie mir war.
Dass sie den Unterschied gemacht hat zwischen „frei sein“ und „frei leben“.
Dass ich mir in ihrer Anwesenheit ein Gefühl von Ankommen und Sein zugestehen konnte, das andere Menschen mit ihrer Familie, ihren engen Freund_innen und Verbündeten haben.

Sookie ist jetzt seit fast 6 Monaten tot.
Und ich fühle mich so verlassen und einsam, dass ich mir den Käfig zurückwünsche, in dem ich früher so viel Zeit verbracht habe. Manchmal auch mit Sookie. Vor dem Rausgehen, weil ich Angst vor Gesprächen mit anderen Menschen hatte. Nach dem Rausgehen, weil mich der Selbsthass über mein Sein und Sprechen mit anderen Menschen innerlich verbrannt hat. Vor Betreuungsterminen. Nach Betreuungsterminen. Vor der Therapie, nach der Therapie. Jeden Tag während des ersten Ausbildungsjahrs.

Mit der Partnerschaft mit meinem Mann und den ganzen Entwicklungen, die sich daraus ergaben, habe ich den Käfig immer weniger gebraucht. Es hat sich immer weniger so angefühlt, als bräuchte ich einen Ort, an dem die Welt und ich in sicherem Abstand voneinander existieren. Ich habe die Blase von Sookie und mir für ihn erweitert.

Und jetzt ist da keine Blase mehr.
Wenn wir uns jetzt missverstehen, dann ist da nichts mehr, das mich in meinem Bindungsgefühl hält. Da ist der gleiche umfassend vernichtende Selbsthass, wie ich ihn im Kontakt mit jedem anderen Menschen in so einem Moment hätte. Da ist der gleiche Impuls zur Selbstvernichtung wie früher. Nichts, das sicher erscheint. Nichts, das Halt gibt. Kein Momentum in Bewegung. Nur die absolute Frei-von-heit im unendlichen Raum dessen, was man nicht vorhersehen, nicht überblicken, nie sicher wissen kann.

Da ist nur noch Erinnerung. Imagination.
Eine Blase in der Seele. Der kleinste einsame Ort.

Miteinander probieren

Was ich immer gemacht habe, war zu zeichnen und zu schreiben. Alles andere habe ich irgendwann gelassen. Das Tanzen, die Sportgymnastik, Handball, Judo, Klavier spielen, Gitarre spielen, Singen, Logikrätsel. Alles hatte für mich entweder Kindheitsschleim oder Psychiatriemodder an sich. Traumaschlonz gewissermaßen.
Es hat keinen Spaß mehr gemacht, als es mir helfen sollte, mich zu regulieren, auszudrücken oder darzustellen. Dann war es eine Aufgabe. Arbeit. Wurde zu etwas, das mich mit Anteilen verbinden sollte, deren Wahrnehmung mich überfordert hat.
In der Folge habe ich diese Dinge vermieden.

Ich wollte nichts mehr riskieren, was andere Innens nach vorn bringen würde und auch gar nicht mehr wenigstens mal versuchen, wie es sich außerhalb von therapeutischem Nutzdruck anfühlen würde. Für mich war alles, was ich tat, mit Therapie verbunden. Für mich habe ich einfach nichts mehr gemacht. Außer das Schreiben hier im Blog und das Zeichnen an meinem Schreibtisch. Aber nicht bewusst. Zum Glück. Das ist nach wie vor meine Verbindung zu den anderen, der einzige Handlungsraum, in dem ich mich sicher fühle.

Die inneren Jugendlichen schreiben nicht. Aber sie kennen viele Wortbilder und nutzen sie auch. Das ist für mich eine gute Verbindung. Wenn ich sie wahrnehme, kann ich mir das aufschreiben und muss meinen sicheren Modus nicht verlassen, um mich tiefer damit zu befassen.
So kommt es, dass ich weiter relativ gut dranbleiben kann, wenn sie mit der Therapeutin sprechen oder die Therapeutin sie einbezieht. Ich kann meine Ängste gut damit beruhigen, dass ich alles aufschreiben kann und nichts sofort verstehen, bearbeiten oder beurteilen muss.
Das funktioniert gut. So gut, dass ich sie inzwischen auch außerhalb des Therapiekontextes wahrnehmen und aushalten kann. Zumindest, wenn es um Dinge geht, die nichts mit Gewalterfahrungen zu tun haben.

Was sich nach Sookies Tod besonders deutlich zeigt, ist, dass Einsamkeit ein massiv großes Thema bei ihnen ist. Und zwar ganz klar nicht meine Art von intellektueller Einsamkeit, sondern soziale Einsamkeit, die dadurch entsteht, dass niemand auf sie zukommt, um gleichzeitig zu sein.
Durch unseren Kontakt spüre ich das sehr deutlich.
Sie wollen Freund*innen haben, wollen Dinge mit anderen erleben, wollen dazugehören.

Alles Dinge, bei denen ich echt nicht zu gebrauchen bin und die sie auch nie wirklich erfolgreich haben umsetzen können. Sie leiden mehr oder (vielleicht richtiger) anders als ich darunter. Ich kann ins Internet gehen und mit Leuten schreiben, die mir gewachsen sind – was sie sich wünschen, geht nur analog. Wo die sensorische Überreizung ist, wo soziale Normen zu navigieren sind, wo man sich aufraffen und aktiv handeln muss, wo man generell eine ziemlich genaue Idee davon haben muss, was man wann und wie machen muss/kann/darf/soll.

Naja.
Wir haben uns entschieden, es nochmal mit dem Handballspielen zu versuchen.
Und es hat geklappt.
Und es war toll.

Ich hätte mich zwar gerne nicht mit „Hallo seid ihr die Handballmenschen – ich will mitmachen“ vorgestellt und auch die Erkenntnis, dass sich so überhaupt kein Wumms mehr hinter meinen Würfen befindet, hätte ich mir gern erspart, aber … Naja, vielleicht ist das ein bisschen der Preis von innerem und äußerem Miteinander.

Grenzen, Limits, Möglichkeiten

Was ich vergessen hatte, war, dass unser Zug in unserer Herkunftsstadt halten würde.
Und dass sich mit dem Öffnen der Waggontüren die Zeit zurückdrehen würde. Dass alles sein würde wie vorher, als wäre das wie Normalität nun einmal funktioniert. You never know anything. Alles ist immer möglich.

Zum Glück.
Es war möglich, stützenden Kontakt zu anderen Menschen herzustellen. Veränderungen zu suchen und zu finden. Angst zu fühlen. Traurigkeit zu fühlen. Fremdheit zu fühlen. Vermissen zu fühlen. Verrat wahrzunehmen. Und weiterhin einen festen Stand in mir selbst zu haben. Zu sein und zu bleiben und zu werden, wie ich sein will. Belastbar. Konfrontierbar. Berührbar. Kontaktierbar.

20 Jahre später ergibt diese komische Therapie-Übung mit den Seilen, die man vor sich auf den Boden legen sollte, Sinn. Endlich kapiere ich: Das ist gemeint – Die Möglichkeit, dass da nicht nur die Dinge möglich sind, die ich so gut kenne, dass ich sie in aller Gründlichkeit fürchten und vermeiden kann, sondern auch Dinge, die ich noch gar nicht oder nur vage kenne. Und dass es etwas gibt, das ziemlich genau und deutlich aufzeigt, wo das eine anfängt und das andere aufhört: Grenzen.
Und nicht: Limits.

Ich weiß, dass viele Menschen diese Worte synonym verwenden, doch please hold the line – Ich habe einen Punkt. Einen wichtigen.
Denn für viele komplex traumatisierte Menschen gibt es so etwas wie Grenzen des Möglichen nicht – es gibt viel mehr points of no return. Eskalationsstufen, die mit Bewusstlosigkeit enden. Mit Dissoziation, mit Betäubung, mit Meltdown, Shutdown, Überdosis, Suizidversuch, reale Todesnähe.
Die Grenze, die Menschen in chronisch toxischem Stress permanent (zu) managen (glauben) ist die zwischen Leben und Tod. Und das ist ein Limit. Da geht es um ein Kontingent, das irgendwann einfach aufgebraucht ist. Nicht um Möglichkeiten.

Dieser Umstand ist es, der Helfenden, Begleitenden und manchmal auch Behandelnden schwer einsichtig ist. Vor allem, wenn die Gewalt, die Traumatisierung, das traumatisierende Umfeld nicht mehr besteht. Und wenn da doch Anteile sind, die den blauen Himmel und die bunten Schmetterlinge so toll finden können. Und eh viel tolle Alltagsstabilität da ist und tralla la.

Gerade Alltagsstabilität ist für viele Viele so lange ein Thema von Limits, weil sie nicht mit Grenzen aufgewachsen sind. Man kann nur sehen, was man kennt und auch Vorstellungen nur von dem entwickeln, was man schon einmal erfahren hat.
Deshalb war diese Übung damals vor 20 Jahren für mich auch ziemlicher Käse. Wie um alles in der Welt hätte ich diesen doppelten Geistes-Rittberger hinkriegen sollen? Erstmal die Abstraktion vom Seil auf dem Boden vor meinen Füßen hin zu dem, was berührt wird, wenn mir was im Leben passiert und von mir eingeordnet werden muss. Was ich damals ja kaum mitgekriegt habe. Und als ich es mitgekriegt habe, nicht einordnen konnte, weil meine Affektverarbeitung gestört ist und ich außer den Grundemotionen keins meiner Gefühle ohne aktives Nachdenken einordnen kann.

Und – nichts, kein einziger Aspekt in meinem damaligen Leben hatte nichts mit Limits zu tun. Ich hatte menschlichen Kontakt nach Stundenlimit – Therapie, Betreuung, Lehrplanzeiten. Meine Unterkunft, meine allgemeine Versorgung, meine körperliche Integrität – alles hing davon ab, wie weit ich meine Limits ausstreichen konnte. Es musste immer genug sein, um allen, die (ihre Arbeitskraft und -zeit) in mich investiert haben, mit Erfolgen bei der Stange zu halten, weil es so schwer, so herausfordernd war, mit mir klarzukommen. Und gleichzeitig genug, um jenen, die mir diese Räume zu nutzen gewährt haben, den grenzenlosen Zugriff auf meinen Körper und meinen Geist zu überlassen.

Also. Ja.
Wie hätte ich das früher verstehen können. Gar nicht.
Vielleicht war selbst dieser Moment im Zug ein Glückstreffer?
Oder ein erster Treffer? Wie Babys erster Schritt nach viel Hochziehen und Umfallen, komisch Weitermurksen und Wackeln und plötzlich, endlich, haben sich die neuronalen Netzwerke passend gekabelt und es klappt immer wieder?
Oder hab ichs schon ganz lange und es ist mir jetzt endlich auch selbst mal aufgefallen?

Alles ist immer möglich.

Konflikt und Traumalogik – Sicherheitsbedürfnisse und ein Umbau bei laufendem Betrieb

Nach dem dritten oder vierten emotionalen Flashback voller Verzweiflung und Angst habe ich den Auslöser verstanden. Und möchte meinen Kopf eigentlich gleich wieder vergraben, denn Wissen ist nichts ohne Macht.

Aber von vorn.
Ich bin in einem Konflikt mit jemandem. Und das ist eine Sache von verschiedenen Zeitebenen, Annahmen und Überlegungen. Ich hatte schon länger einen Punkt, war schon länger nicht zufrieden oder allgemein gesagt „glücklich“ mit dem Kontakt. Und habe nichts gesagt. Klassiker der Problemkreation, ja, wer kennt das nicht.
Darunter gibt es noch die Ebene, auf der die Gründe dafür liegen.
Der Person ging es sehr lange, sehr umfassend schlecht wegen Dingen, die nichts mit mir zu tun hatten. Ich wollte für sie da sein und war es auch. Ich habe zugehört, mitanalysiert, mitgefühlt, getröstet, Lösungen gesucht und zu vermitteln versucht.
Während es mir in den Wochen vor und auch nach Sookies Tod so schlecht ging, wie lange nicht. Während ich in eine neue Arbeit ging und die alte mitnahm, die zwischenzeitlich extrem belastend war. Parallel zu der emotionalen Achterbahn, die mit einem unerfüllten Kinderwunsch einhergeht.

Für mich liegen auf dieser Ebene einige Momente, in denen ich mich nicht gesehen gefühlt und das immer wieder mit der Erklärung weggedrückt habe, dass man diese Art von Support und Begleitung, die ich mir wünschte, auch leisten können muss. Und dass diese Person es einfach nicht kann. Jetzt gerade. Schon länger. Und vermutlich auch noch eine ganze Weile nicht. Dass das keine Aussage über mich ist. Dass das keine Aussage über unsere Beziehung ist. Dass das alles nur bedeutet, dass diese Person jetzt einfach um sich selbst kreisen muss und es bei mir liegt zu entscheiden, ob ich weiter mitkreise oder nicht.
Man kann ja auch Pausen voneinander einlegen und sich wiederfinden. Vielleicht irgendwann. Wenn es sich ergibt.

So lose und unverbindlich funktioniere ich nur leider nicht.
Kontakte mit anderen Menschen sind so anstrengend und fordernd für mich, dass ich eine Funktion, ein Ziel und klare Rahmenbedingungen brauche. Ich treffe niemanden anlasslos, ich bin nicht mit Menschen zusammen, die eventuell vielleicht dann spontan überlegen wollen, was wir wofür und wie miteinander machen.
Das hat etwas mit meinem traumabedingten Sicherheitsbedürfnis zu tun – aber auch damit, dass ich ein angenehmer Kontakt sein will. Ein fähiger, belastbarer Kontakt, der sich an das Zusammenkommen auch noch erinnern kann und nicht zu Hause angekommen komplett crashed, weil keine Energie mehr verfügbar ist.

Man kann diese Eigenschaft so framen, dass ich nur Kontakte will, die meinem gierigen Ego etwas bringen und die ich kontrollieren kann – man kann sie aber auch als gelebte Selbstfürsorge, Therapieerfolg in action und soziale Traumafolgereaktion begreifen. Und zwar gleichzeitig.
Wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt gehe, ist meine Komfortzone etwa 50 Kilometer hinter mir. Bei Menschen, die ich schon länger kenne (also round about 10,12, 13 Jahre), etwa 10. Es ist nichts und wird vielleicht auch nie etwas sein, das ich ohne Druck von meinem überlebenswichtigen Kontaktbedürfnis mache.
Und doch gibt es auch darin eine Ebene von Wohlfühlen, Genuss, Spaß, Inspiration und Wachstumspotenzialen. Nur weil es sauschwer für mich ist, heißt es nicht, dass es keinen Spaß macht oder immer schwer ist. Aber die Anstrengung, meinen sicheren Bereich zu verlassen, ist immer da und inzwischen, endlich, nach tausend Therapiejahren, auch etwas, das ich meinem „Gewinn“ daraus entgegenstelle.

*

Früher habe ich mir diesen „Gewinn“ immer eingeredet und heute bin ich zunehmend streng mit mir, was das angeht. Ein bisschen Einrederei ist gut – das kann motivieren. Aber wenn es so viel ist, dass es Selbstbeschiss wird, dann ist es selbstverletzendes beziehungsweise in meinem Fall auch ein soziales Trauma reinszenierendes Verhalten aufgrund von traumalogischer Überlegung (von Kinderinnens und Jugendlichen). Vor allem dann, wenn ich als erwachsener Anteil lieber das glauben will, als die Realität zu sehen und mich damit zu befassen.

In meinem aktuellen Konflikt ist mir diese Einrederei aufgefallen. Und irgendwann auch, dass ich schon länger verpasst habe, darauf zu achten, was ich mir für den Kontakt mit der Person eingeredet habe. Was ich mir und uns alles versprochen habe, was wir auch von dem Kontakt hätten, ohne nach innen zu erklären oder zu trösten oder nach außen zu handeln, als sich nichts davon eingestellt hat.
In diesem Nimbus nach Sookies Tod war jeder Kontakt ein Gewinn, einfach, weil wir dann zeitweise nicht allein waren. Es war dieser verletzliche Zeitraum, in dem man uns auch hätte ernsthaft verletzen und ausnutzen können und wir es nicht als verletzend oder ausnutzend empfunden hätten. Weil wir ja nicht allein waren in der Zeit.

*

Aus Gründen, die mir jetzt fern und fremd erscheinen, dachte ich, es würde reichen, der Person, mit der ich den Konflikt habe, das zu sagen. Das hat es aber nicht.
Auch das ist etwas, worüber ich mich heute total ärgere. Weil ich genau solche Unachtsamkeiten ja eigentlich kenne, täglich kompensiere und sogar eine Phrase dazu kenne: „Die_r Auti sagts ein Mal und hat damit alles geklärt. Die_r Neurotypische sagt: Woher hätte ich wissen sollen, wie wichtig dir das ist – du hast ja nur ein Mal was gesagt.“

*

Ich wurde also schon länger enttäuscht, habe mich nicht gesehen gefühlt und als ich etwas dagegen tun wollte, wurde auch das übergangen.
Aber der Person ging es so schlecht, dass ich wochenlang auf Anzeichen von Suizidalität geachtet habe. Es war nicht die Zeit für das, was ich zu dem Zeitpunkt schon längst als mein albernes, erbärmliches, komplett bescheuertes Mimimi empfand. Denn wer in der Zeit vor allem für mich da war, um unsere Einsamkeit, meine Trauer und unsere allgemeinen Verlorenheitsgefühle logisch zu machen, waren (und sind) Täter_innenintrojekte.
Ich reagierte nicht mehr auf Nachrichten der Person, die für mich einigermaßen abrupt nichts mehr über ihre inneren Vorgänge schrieb, sondern über ihre veränderte Lebensumgebung. Für mich waren die Nachrichten ein weiteres Krisenanzeichen und Merkmal eines verschlechterten Allgemeinzustandes. Wer sich nicht mehr fühlt, kann halt auch nichts mehr dazu schreiben. Wer sich nicht mehr fühlt, kann andere nicht mehr fühlen. Ich wusste, dass der gewaltvolle Innenterror, mit dem ich zu kämpfen habe, im Kontakt mit der Person in diesem Zustand immer neues Futter finden würde. Egal, wie minimal die Unachtsamkeit, die Nichtbeachtung sein würde – sie würde reichen, um Prozesse in mir zu starten, die mich tiefgreifend und grundlegend verletzen, in Flashbacks stoßen und im Gefühl maximaler Ohnmacht zurücklassen.
Völlig egal, ob die Person noch in der Krise ist oder nicht – also egal, ob sie sich und mich gerade fühlen kann oder nicht.

Das ist einer dieser sozialen Aspekte von Traumafolgestörungen, wo mein Autismus praktisch nicht mehr von meiner Traumafolgestörung zu unterscheiden ist. Ich kann die Lage einfach nicht lesen, nicht richtig bzw. eindeutig und real-objektiv einordnen, abschätzen, abgrenzen, bewerten. Damit habe ich absolut keine Chance auf Klarheit, festen Boden, Ordnung … die grundlegende Sicherheit, die einfach jeder Mensch für jeden Kontakt braucht.
Egal, ob autismus- oder traumabedingt ist die Lage für mich belastend und gerade im jüngsten Verlauf auch retraumatisierend, wenn ich nicht ganz bewusst reflektierend, meine Ressourcen nutzend damit umgehe. Also nicht – wie es sich sicher anfühlt – dazu schweige, mir keinen Trost und Versicherung von außen hole und nur meine eigene Position sichernd darüber nachdenke.

Mir hilft es gerade, diesen Komplex wie ein Mehrebenenmodell zu betrachten, in dem verschiedene Strömungen und Sachstände zusammenkommen, weil es ihn weniger persönlich macht und mir Sicherheit durch Klarheit gibt.
Im Moment stehen immer wieder Scham über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche an diesen Kontakt im Vordergrund. Immer wieder merke ich, dass wir uns in einem perfiden Gedankenspiel darum befinden, was wir hätten besser oder anders machen können – das wir nie beenden können, weil der Zeitpunkt vergangen und die Person gerade nicht mit uns im Kontakt ist. Aber zur Sicherheit – zum Wohlbefinden in dieser Kacksituation – geht das immer wieder los. Das ist bekannt. Das verspricht das Finden eines zukünftigen Handelns, in dem uns das nicht nochmal passiert. Ohne dieses Versprechen je einlösen zu können, denn das Leben ist nicht so kontrollierbar. Aber man weiß ja nie!

*

Das so hingeschrieben klingt so klar und überlegt. Das ist es auch. Das ist die Ebene, die ich gut kann. Ich kann super gut intellektualisieren und analysieren. Auch solche Situationen.
Womit ich aber gerade an den Rand meiner Kraft komme, ist der emotionale Teil. Der Teil, der mich gewissermaßen gemacht hat. Das Kompensieren emotionaler Nichtverfügbarkeit von anderen Menschen. Das Funktionieren, obwohl weite Teile meines psychischen Systems massiv Bedürfnismeldungen auf mich pressen, die ich nicht mit meinem Intellekt, meiner geistigen Haltung, meiner Selbstmotivation befriedigen kann. Ich kann ihnen (mir) in der Angelegenheit (noch) nicht (immer und effizient) helfen.
Und das ist ein massiver Trigger.

Und das ist jenes Wissen, das mir überhaupt nichts bringt, wenn ich nicht die Macht/die Kontrolle/die Kraft/die Kenntnis/die Fähig- und Fertigkeiten habe, daran etwas zu ändern.

Und so ist auch diese Situation wieder ein Umbau bei laufendem Betrieb.
Ich versuche mein Gefühl von Klarheit über die Situation zu einem Sicherheitsgefühl zu konvertieren, das auch die Inneren fühlen können. Ich muss darauf achten, meinen Anteil an diesem Konflikt nicht größer werden zu lassen, als er ist – damit die Inneren merken, dass so etwas nicht dafür taugt, mich als Person zu bewerten. Und ich muss üben, wie es ist und was es mit mir macht, wenn ich ihre Bedürfnisse fühle. Wie viel Kontrolle verliere ich, wann und warum, wenn ich ihre Ängste spüre? Kommt es zu Wechseln? Wenn ja: Kann ich sie beeinflussen? In welcher Art? Kommt es zu Flashbacks? Welches Handeln unterbricht sie? Wie viel davon ist wirklich so wort- und kopflos, wie ich es befürchte? Welche Umstände sind gerade gut für diese Auseinandersetzung und welche nicht? Was gibt mir Sicherheit während dieses Prozesses von ständigem Probieren, Wahrnehmen, Kontrolle verlieren, Angst haben, mich ohnmächtig erleben und trotzdem zurück in die Kontrolle arbeiten?

Und auch: Wie dringend muss es diese Person sein? Wie wichtig ist es, wofür ganz objektiv und ganz subjektiv und ganz ideell, dass dieser Kontakt bestehen bleibt?
Die Person will uns keinerlei Sicherheiten über Klärungsräume oder -potenziale geben – woraus können wir alternativ Kraft und Sicherheitsgefühle ziehen, um eventuell vielleicht doch gegebene Chancen in der Zukunft effektiv zu nutzen? Und ist ein Kontakt, der uns keine Sicherheiten geben will, ein sicherer Kontakt? Wie wichtig ist uns Sicherheit in diesem Zusammenhang? Woraus haben wir vor dem Konflikt Sicherheiten für uns gezogen? Steht das jetzt alles infrage oder fühlt es sich nur sicherer an, es in Frage zu stellen?
Welche Dinge wie alleingelassen werden, nicht gemocht/bestraft werden wegen Selbstausdruck, Dinge zeitlich nicht überschauen können sollen, sind Folgen eines Angriffs (aus Selbstverteidigung oder Kontroll/Sicherheitsbedürfnis) und welche sind Annahmen, die wir machen, weil wir sie für unsere Traumalogik brauchen (um uns sicher zu fühlen)? Welche anderen Logiken können wir jetzt anwenden?

*

Das ist ziemlich viel für eine_n allein.
Und ich habe noch viele andere Dinge zu bearbeiten.
Die leichter sind. Die nicht so wehtun. Für die ich schneller und sicherer auch belohnt werde.

Grmpf.
Ich will meine Dissoziation zurück.
Mimimi 😅

Autismus von Trauma unterscheiden

Die Thematik kommt an. Die Frage wird häufiger gestellt.
Neue Literatur wird veröffentlicht. Zuletzt ist das Buch „Autismus, Trauma und Bewältigung, Grundlagen für die psychotherapeutische Praxis“ von Brit Wilczeck dazu erschienen. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen, da es ein umfassendes 101 zu Autismus, zu Trauma und Fragen der Therapie bietet.
Für mein eigenes Buch „Worum es geht, Autismus, Trauma und Gewalt“, hätte ich das Buch gern gelesen, denn meiner Ansicht nach sind es neben persönlich falscher Motivation von Behandler_innen auch unhinterfragte Multimythen und falsche Vorstellungen von Autismus, die eine Unterscheidung bei vorliegender dissoziativer Identitätsstruktur (DIS) schwer machen.

Menschen mit DIS wird häufig eine ähnliche Individualität wie autistischen Menschen nachgesagt. Viele Betroffene fordern deshalb sogar ein, nicht mit anderen Vielen verglichen zu werden.
Für mich ergibt sich daraus ein Momentum, in dem Sachstände zu Wahrnehmungen verklärt werden. So kann keine eindeutige Position mehr eingenommen werden und jeglicher Abgleich wird unmöglich. So auch in der Frage: Was ist die DIS und was der Autismus?

Die Herausforderung der Unterscheidung von DIS und Autismus liegt meiner Meinung nach darin, diesen Abgleich, die Diagnostik, mit angemessenem Mittel und einer grundlegenden Reflexion persönlicher Annahmen vorzunehmen.

Es gibt viele Aspekte im Leben mit DIS, die ich meinem Leben mit komplexer posttraumatischer Belastungsstörung (kPTBS) zuordne. Denn nur im Zusammenhang damit wird meine dissoziative Symptomatik überhaupt sichtbar, nachvollziehbar und letztlich auch therapierbar.
Die DIS ist eine Anpassungsleistung, eine Kompensationsstrategie. Sie ist eine messbare Reaktion – keine Grundlage, auf deren Basis allerlei Empfinden und Verhalten passiert. Die gesamte „Krankheitsmechanik“ hat mit Stressverarbeitung und -kompensation zu tun. Es hat sich für mich nie als hilfreich herausgestellt, das Konzept von Persönlichkeits- oder Verhaltensstörungen anzulegen, um die DIS zu verstehen oder zu behandeln.

In Bezug auf meinen Autismus hingegen ist das Konzept einer Kompensationsstrategie unzureichend. Autismus ist keine Anpassungsleistung, sondern eine neurobiologische Grundlage. Die meisten Symptome sind im Kontakt und im Vergleich mit nicht autistischen Menschen sicht- und messbar. Das, was meinen Autismus zur Störung bzw. Belastung macht ist, dass ich ihn immer aktiv kompensieren, verstecken und unter Umständen erklären muss, um in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.

Jemand, die_r aufgrund von falschen Vorstellungen glaubt, alle Menschen mit DIS und alle Menschen mit Autismus seien unvergleichbar verschieden, kann die Unterscheidung nicht korrekt vornehmen. Die Datengrundlage ist einfach nicht verlässlich. Jedes Ergebnis kann alles und nichts bedeuten. Jeder Hinweis kann alles und nichts bedeuten. Eine sichere Einschätzung und ein sicheres Ergebnis sind so nicht zu erwarten und in der Folge nichts wert. Die Individualisierungsfalle ist zugeschnappt. Keine Therapiemethode ist zweifelsfrei anwendbar, Medikation ohnehin nicht. Klinikbehandlungen werden undenkbar und die Frage, ob bestehender Leidensdruck überhaupt je gelindert oder behoben werden kann, bleibt immer bestehen.

In Bezug auf die Behandlung von Menschen mit DIS habe ich diese Falle schon oft zugehen sehen. Immer entstanden daraus re-traumatisierende (weil gewaltvolle) Beziehungserfahrungen mit Behandler_innen. Denn diese Unsicherheit betrifft nicht nur die Klient_innen, die sich oftmals bereits wegen ihrer Gewalterfahrungen und der davon bedingten Einsamkeit als one of a kind fühlen und in diesem Gefühl bestärkt werden, wenn sie erfahren, dass ihre Diagnose „umstritten“ oder selten oder besonders speziell sei, und/oder sie deshalb keine Behandlung oder sonstige Hilfestellung erhalten. Auch Behandler_innen haben nicht immer einen Umgang mit Unsicherheit, der ihren Patient_innen nicht schadet. Ich habe schon Therapeut_innen getroffen, die sich für allein verantwortlich gefühlt haben, Patient_innen zu behandeln, die „durch alle Raster rutschen (weil sie so individuell anders krank sind als alle anderen)“ oder weil „das Krankheitsbild ja so umstritten ist, dass man damit eigentlich nirgendwo ankommen kann (in Supervision, Fortbildung, Kliniken etc.).“
Besonders tragisch ist es, wenn es sich initial sogar um eine Fehldiagnose handelt.

Aufgrund von Annahmen wie: „Autismus ist extrem selten.“, „Autismus betrifft Jungen häufiger als Mädchen.“, „Autismus ist offensichtlich.“, „Autist_innen sind in sich gefangen/unfähig zur Kommunikation.“, wurde ich erst mit 30 als autistisch erkannt. Das Glück zur Diagnostik an jemanden geraten zu sein, der seine Verantwortung in Bezug auf sein nötiges Fachwissen so ernst genommen hat, ist unermesslich. Es war eine der wenigen Diagnostiken in meinem Leben, bei der ich das Gefühl hatte, jemand würde sich die Mühe machen, meine Persönlichkeitsstruktur, mein Verhalten und meine Schwierigkeiten mit den meisten anderen Menschen abzugleichen. – Und nicht nur mit denen, bei denen der Vergleich (aufgrund verschiedener Vorannahmen) angemessen erscheint.
Zudem war hilfreich, es mit jemandem zu tun gehabt zu haben, für den die DIS keine soziale Aussage hatte. Der also nicht dachte: „Ui – exotisch“ oder „Wow – Satanisten“ oder „[insert völlig schräges Medienprodukt, in dem Vielesein der Gag oder Grusel ist]“

In meinem Leben und in meiner therapeutischen Behandlung war die Unterscheidung von Traumafolgen und Autismus ausschließlich für die saubere Diagnostik wichtig.
Ich habe ein Er_Leben, das von diversen schwerwiegenden und komplexen inneren Konflikten flankiert und ohne gewisse Formen der Unterstützung bei der Einordnung, Verarbeitung und Integration nicht zu ertragen ist.
Geholfen haben mir immer die Therapeut_innen, welche die sozialen Implikationen der DIS meiner konkreten Lebensrealität nachrangig und ihre Vorurteile über Autismus wirklich gründlich als solche aufgearbeitet haben bzw. immer wieder mit Fachwissen konfrontieren. Und zwar nicht für mich oder meinetwegen, sondern weil das zur Grundlage der Behandlung gehört. Weil sie es gut und richtig machen wollen – und nicht weil sie richtig Recht haben wollen.

ent.täuschte Freund_innenschaften

Seit Sookie nicht mehr lebt, erkunde ich eine Einsamkeit, die mir sehr vertraut und gleichzeitig wieder neu ist.
Das ist insgesamt schwieriges Terrain, denn ich bin nicht mehr allein und das, was mich einsam macht, ist den nicht autistischen Menschen in meinem Leben kaum zu vermitteln.

Ich muss mich vor ihren schnellen Schlüssen in Acht nehmen. Aufpassen, dass sie nicht annehmen, ich würde sie meinen. Prüfen, ob sie annehmen könnten, ich fühlte mich zu Unrecht abgelehnt. Oder nur deshalb nicht gewollt, weil mich schon meine Eltern eigentlich nicht wollten.
Diese Art des ungeprüften fixen Schlussfolgerns in sozialen Fragen kenne ich von mir nicht. Auch nicht, wie unbewusst diese Urteile und Gedanken bei ihnen aufkommen. Es ist mir ein Rätsel, wie sie nicht erst überlegen, analysieren und prüfen müssen und wollen.

Es gab nach Sookies Tod einen Moment, in dem ich gemerkt habe: Wenn ich nicht allen meinen Freund_innen die gleiche Nachricht geschickt hätte, wüssten sie es nicht und hätten es vermutlich erst in einem Moment erfahren, in dem sie mehr als ein „Oh, das wusste ich nicht“ kaum einbringen würden. Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre später.
Ich hatte eine Teilverstreuung geplant. Alle Leute in der Stadt, die ich nur durch Sookies Präsenz im Leben hatte, sollten kommen. Der Termin ist geplatzt. Von 7 Menschen hat einer zurückgefragt, wann denn der neue Termin sein würde. Wie es mir inzwischen geht. Wie ich zurechtkomme, jetzt, wo so vieles anders ist.
Von den anderen kam keine Nachricht. Kein Anruf. Nichts.

Der Aufprall hat mich in einer verletzlichen Phase erwischt und einen weiteren Trauerprozess nach sich gezogen. Ich fühle mich in sehr alten Traumawahrheiten bestätigt und erlebe immer wieder auch, wie in mir das große Orchester der Beschämung, der Abwertung und Ewigkeitsannahmen spielt.
Alle Kontakte sind auf dem Prüfstand und es sieht nicht gut aus. Spaßfreund_innenschaften habe ich gar keine. Kontakte für Krisentalk und Selbstfindung einige. Ein Mal im Jahr treffe ich die Leute, mit denen ich mich verbunden fühle, weil ich ihre Podcasts höre und Trööts lese. Und der Rest sind Projekt- oder Themenbekanntschaften. Wir arbeiten miteinander.
Der neurotypische Schnellschluss aus so einer Aufzählung ist, dass ich das zu schwarz sehe. Dass ich die Kontakte abwerte, weil ich mich gerade abwerte. Meine Einschätzung hingegen kommt aus 2 Monaten Analyse, Prüfung und Abwägung. Einer genauen Gegenüberstellung von Quantität und Qualität, Wünschen und Realität. Es ist verletzend, wenn das einfach weggewischt wird zugunsten einer Spielart von „Du machst es dir selber schwer/Du nimmst das alles ganz falsch wahr – in Wahrheit …“

Was ich initial sehr oft falsch wahrnehme, ist die Art Kontakt, die ich mit anderen Menschen habe. Vor allem, wenn sie nicht von Konflikten geprägt, sondern immer freundlich und grundsätzlich nicht unbefriedigend sind. Wer mich nicht schlägt oder beschimpft, ist im Grunde schon ein_e Freund_in für mich. Also fast. Ich muss dann natürlich gucken, dass wir uns oft treffen, damit ich die Person lesen lernen kann, um sie sicher von anderen unterscheiden zu können. Ich muss mir ihre Hobbys und Themen merken, mich dafür interessieren und dazu einlesen, damit mich Gespräche dazu weder verwirren noch überraschen. Und dann muss ich natürlich immer gucken, dass ich immer möglichst angenehm für die Person bin – vor allem, wenn sie Freund_innen hat, die ich über sie_ihn kennenlernen könnte. Naja und dann passiert das schon irgendwie mit der Freund_innenschaft, ne? Ne?
Ja, nein. Natürlich nicht. Aber bei anderen Menschen passiert es eben doch ziemlich genau so. IRGENDWIE.
Außer bei mir.

Bei mir ist es immer so, dass ich mich bemühe und in verschiedene Stadien der Überzeugung einer Freund_innenschaft komme, aus der ich an mehr oder weniger relevanten Punkten meines Lebens mehr oder weniger krass verletzend ent.täuscht werde. Menschen, denen ich mich sehr nah fühle, zum Beispiel, weil ich seit Jahren ihre Krisenbegleitung bin, haben dann irgendwann eine ganz gute Phase und melden sich überhaupt nicht mehr. Oder erwähnen beiläufig, was sie alles mit anderen Menschen erleben und unternehmen – während sie mich nie danach gefragt haben, ob wir das miteinander machen wollen. Mit anderen arbeite ich über lange Zeit an super empfindlichen Themen in komplexer Art und Weise – doch jede Einladung zu mir nach Hause, jedes Angebot für gemeinsame Zeit, die nicht von Schwere und Komplexität geprägt ist, wird ausgeschlagen. Manche sind immer für mich da, wenn es mir so schlecht geht, dass ich Suizidgedanken habe, haben aber absolut kein Interesse an Kontakt, wenn es ihnen nicht gut geht oder mir einfach gut. Auch in diesen Kontakten gibt es keine Leichtigkeit, keine umfassende, runde, ausgewogene Ausgeglichenheit, was Kraftaufwand und Gewinn am Kontakt betrifft.
Und wie viele Kontakte habe ich mit Menschen, die sich immer vornehmen, sich bei mir zu melden, es aber nicht schaffen. Es sind zwei. Zwei Menschen, die mir so so wichtig sind, dass ich diese Verletzung hinnehme und immer wieder damit beruhige, dass Komplextrauma und ADHS in ihre Lebensrealität gehört. Und es richtig schön ist, wenn wir dann endlich den Kontakt schaffen.

Meine erste Ent.täuschung dieser Art erlebte ich mit 13. Kinder- und Jugendpsychiatrie, Gruppentherapie. Wir sollten über unseren körperlichen Abstand darstellen, wie wir unseren emotionalen Abstand zueinander wahrnehmen. Wer am Ende allein in einer Ecke stand und sich vorher mitten in die Gruppe, teils sogar sehr nah an Einzelne gestellt hatte, war ich. Die Beschämung und den Kommentar der Krankenschwester, die diese Gruppe geleitet hat, habe ich nie vergessen und im Laufe meines Lebens in verschiedenen Formen immer wieder gehört. Vor allem von Menschen, die mich überheblich oder intellektuell bedrohlich erlebt haben. Solche Momente eignen sich einfach hervorragend, um sich stark und überlegen zu fühlen. Gemocht und befreundet zu werden, ist in solchen Momenten nicht einfach nur ein Grundbedürfnis, sondern eine Ressource. Es wird zur Quelle von Macht.
Und während die meisten neurotypischen Menschen nicht einmal genau wissen, wie sie dazu kommen, wissen sie jedoch ganz deutlich, dass ich nicht mal nah dran bin. Und die Schnellschusserklärung dafür ist von je her, dass irgendwas an mir persönlich nicht stimmt. Ob Klassenkamerad_innen oder frühere Therapeut_innen, ob Leute in der aktivistischen Bubble oder aus der Selbsthilfeszene – selbst mein Partner sagt: „Naja du bist halt auch …“
Was diesen drei Auslassungspunkten folgt, ist nie schmeichelhaft. Nie nicht verletzend. Nie etwas, das ich unterlassen oder ändern kann. Es ist immer mein Autismus bzw. das Fehlen dessen, was Brit Wilzcek den „sozialen Autopiloten“ [1] nennt.

Eine neue Entwicklung habe ich jedoch bei meiner neuen Arbeitsstelle.
Da fühle ich mich in einen sozialen Nimbus aufgenommen, in dem Kontakt ist, was es ist: Kontakt. Freund_innenschaften und soziales Kapital spielen keine Rolle und das ist sehr angenehm.
Ich habe aber auch eine wachsame Stimme in mir, die mir sehr deutlich aufzeigt, dass ich bei der Arbeit überwiegend mit Autist_innen zu tun habe. Dass das eine Sonderwelt sein könnte, die zerstört wird, sobald sie nicht mehr gebraucht wird, als unwirtschaftlich gilt oder anders wertlos für andere (neurotypische) Menschen.
Ich kann mich da wohlfühlen – aber.

Ich kann nicht davon ausgehen, dass diese eine spezifische Einsamkeit, die sich aus der Kluft zwischen mir und nicht autistischen Menschen ergibt, irgendwann kein Teil meines Lebens mehr ist.
Das macht mich sehr traurig und führt zu einem ständigen Arbeitsaufwand für mich. Denn ja, den Mut nicht zu verlieren, die Hoffnung nicht aufzugeben, Freude an dem zu empfinden, was sich an Kontakten ergibt und was diese Kontakte dann jeweils für mich ermöglichen, ist Arbeit. Es ist unfassbar harte, zehrende Arbeit, Freude an einem Leben zu haben, das mit so einem unlösbaren Dilemma einhergeht und so viel Verletzungspotenzial hat.
Und sie wird nicht leichter, je besser ich sie benennen, verstehen und in ihrer Wirkung kommunizieren kann.
Zumindest im Moment nicht.

[1] Stimmen – Brit Wilczek | Teil 2
| Sozialer Autopilot, 3. Ebene und Wahrnehmung
| https://www.youtube.com/watch?v=Dz19jH1jk2s

gute Chancen auf Zahnshit

Vielleicht ist es ein Zahn. Unbemerkt verstorben in meinem Mund, entzündet meinen Gesichtsnerv reizend. Totenruhe neu interpretiert. Lang wirke das Modernde.

Gegen 1 kann ich es nicht mehr aushalten. Mein Nerv ist ruhig, der Zahn nicht. Mir ist schwindelig vom Schmerzmittel, es ist Montagnacht, mein Inneres summt. Am Sonntagmorgen hatte ich meine Sachen schon gepackt. Mein Magen, mein Bauch, mein Kopf, mein Gesicht, alles tat weh. Und dann nicht mehr so stark. Wir fuhren nicht ins Krankenhaus, sondern tranken lauwarmen Kamillentee zu zimmerwarmem Haferbrei. Schauten einen Film von 1985 und schliefen mitten am Tag 6 Stunden durch.
Die Wahrscheinlichkeit am Wochenende an einen Bereitschaftsarzt zu geraten, der die Gesamtlage falsch einschätzt, erschien zu groß. Mein Partner, dessen heftiges Bluthusten aus der kranken Lunge, initial für „aus dem Mund kommend“ gehalten wurde und ich, die_r bei egal welchem Notfall auch immer eine Psychodiagnose mit auf dem Zettel stehen hat, haben damit so unsere Erfahrungen. Und es ging gut.
Bis 1 Uhr morgens.

Ich begann nach dem zahnärztlichen Notdienst zu suchen. Ging runter, um meinen Partner zu wecken. Der war noch wach und schnell genauso verwirrt wie ich. Denn so einfach ist das mit der notfallmäßigen Versorgung mitten in der Nacht nicht. Schon gar nicht für Zähne, das offenbar allgemein zu vernachlässigende Spezialorgan des menschlichen Körpers. So kam es, dass wir um dreiviertel 2 vor einer dunklen Praxis standen und lernten, dass der Notdienst, der von Samstag um 8 Uhr bis Montag 8 Uhr zuständig war, in Wahrheit nur am Samstag von 10 bis 12 Uhr Patient_innen behandelte. Wie auch die Praxis, die für die Stadt Notdienst hatte.
Wir lernten außerdem, dass „Zähne nachts immer schwierig ist“. Und dass uns die 116 117 nur bestätigen konnte, dass eine Vorstellung beim Arzt dringlich angeraten sei – aber niemanden in ganz Niedersachsen vermitteln konnte.

Knapp – ganz ganz knapp – wirklich um Haaresbreite – entging ich einer wutbürgerlichen Empörungsentladung. Mein Partner blieb ruhig, konnte nicht glauben, dass das jetzt wirklich nicht zu lösen sei. Er googelte für Bremen, ich dachte an die anstehende Krankenhausreform, die die Versorgung von kranken Menschen verbessern soll, indem weniger Versorgungsangebot gemacht wird. Dann googelte er für Nordrheinwestfalen und ich nach dem Gefahrenpotenzial von dem Medikamentenmix, den ich bis zum nächsten Morgen noch einnehmen könnte.
Ich entschied, dass ich eine akute Magenruptur schon rechtzeitig mitkriegen und Ohnmachten, Leber- und Nierenüberbelastung überleben würde. Wir fuhren also nach Hause, um die nächsten 3 Stunden, bis wir uns auf den Weg zu meiner Zahnärztin machen könnten, zu überstehen.

Tatsächlich bin ich eingeschlafen. Ein Bett mit verstellbarem Kopfteil – Gold.
Als ich den Lattenrost damals gekauft habe, hatte ich an Schmerztage gedacht, an denen ich vom Bett aus arbeiten muss – nicht an Erstickungsängste und die Notwendigkeit, nicht so viel Blutdruck auf meine Zähne auszuüben. Trotzdem – gut, dass ich ihn habe. Er hat auch in dieser Situation sehr geholfen.

5 Uhr morgens fuhren wir los. Um 7 öffnet die Praxis. 120 km Hoppellandstraße, Bundesstraße, Autobahn. Erst im Dunklen, dann im Dunkelblauen, bald im Hellgrauen, besprenkelt mit immer mehr Beleuchtungspunkten. Ich strenge mich an, mit meinem Partner zu sprechen. Er soll nicht müde werden, sich gut mit mir fühlen. Ich möchte, dass er merkt, dass er das nicht wirklich umsonst macht, obwohl er es nicht-autistisch betrachtet, komplett umsonst macht. Denn natürlich hätten wir auch bis um 7 schlafen und dann wieder zu der Dorfpraxis fahren können, die wir in 10 Minuten mit dem Auto erreichen. Aber um 7 Uhr morgens hat auch meine Zahnärztin auf. Die weiß, dass ich eine konkrete Ansprache brauche, wenn ich Schmerzen habe, übernächtigt bin und Medikamente intus habe. Die weiß, dass sie mir schon mit Kleinigkeiten sofort Todesangst macht, die ganz real sind, in meinem Körper wirken und die Behandlung traumatisch werden lassen kann. Die weiß, dass ich bei ihr bin, weil ihre Behandlung in meinen Abwägungen darüber, was der effizienteste und am wenigsten belastende Weg ist, das Problem, das Unwohlsein, die Krankheit anzugehen.

Abwägungen wie diese sind vor allem in dem Umfang für nicht-autistische, nicht traumatisierte, nicht chronisch kranke Menschen oft nicht 1 zu 1 nachvollziehbar. Und ich habe das internalisiert. Meine Grundannahme in solchen Situationen ist bis heute: Ich stelle mich an, mache mich besonders, ich mache unnötige Umstände, ich überstrapaziere die Güte anderer Menschen, ich muss entsprechend ganz besonders dankbar, lieb, demütig sein. Alles organisieren, alles fürs Wohlbefinden derer tun, die mir helfen. Das ist das Mindeste und in Wahrheit – ganz unter uns – nicht im Ansatz genug.
Und diese Grundannahme ist generell. Betrifft also auch meinen Partner, meine Freund_innen, meine Therapeutin – alle. Immer. Und weil ich weiß, dass manche von ihnen davon verletzt sind, weil sie ja aus ihrer Sicht immer nur Gutes für mich wollen und vielleicht auch nie (bewusst) so über mich gedacht haben, habe ich auch ein schlechtes Gewissen darüber. Und weiß gleichzeitig doch sehr sicher: Diese Grundannahme ist so wenig falsch wie richtig.
Leider. Es ist einfach verflixt mit mir, meiner komischen Merkwürdigkeit m Autismus und dieser Traumasache. Das Generelle sitzt nie da, wo die stets Generalisierenden es erwarten und das Konkrete bestimmt das Konkretisierende, nämlich mich. Schwierig schwierig.

Zum Glück habe ich schon viele selbstbestimmte Entscheidungen treffen und absichern können.
Meine Freundin K. teilt Räume ihres Wohnraums mit mir, wenn ich in der Stadt bin. So kann ich sie an Therapietagen besuchen, bei ihr arbeiten und übernachten, wenn ich für die Arbeit noch weiter wegfahren muss. Und wir, mein Partner und ich können bei ihr auf ein Bett fallen, wenn wir um 7 Uhr morgens nach 2 Stunden Fahrt erfahren, dass wir erst um 11 in die Praxis können.
Nicht aufzuwiegen dieses doppelte eternal Glücksgold in life.

Der Termin selbst bringt nur einen Verdacht, noch keine ganz feste Sicherheit darüber, was den Nerv initial gereizt hat. Aber die Chancen stehen gut auf Zahnshit.
Mir wäre das ganz lieb, denn ich habe prinzipiell lieber lösbare Probleme bekannter Größe, als kompliziert bis unlösbare Probleme unbekannter Größe.
Nun beginnen wir also eine Antibiose und haben das Ziehen der Nervleiche im Zahn geplant.
Derweil betrachte ich im Stillen den Spaten, mit dem ich auch diesen Zyklus für meine Erschwangerung begraben muss und versuche meine Enttäuschung mit Rationalisierung zu lindern. Es soll einfach auch diesmal nicht sein. Irgendwas Gutes findet sich schon noch daran. Irgendwie. Bald. Hoffentlich.
Das wär schön.