hab den Mut deine eigene Stimme zu benutzen – ein Rant

Es war nach der Meldung über die unabhängige Aufarbeitungskommission und vor der Mail, die mir erzählte, dass Yoko Ono “Testamente des Leids” für eine Kunstaktion in Empfang nimmt.
Der bittere Moment, in dem mir klar wurde, dass ich als öffentlich schreibende Person, die Gewalt überlebte und die Folgen davon im Leben hat, die Rampensau bin, während all die “guten Opfer” sich bei der Aufarbeitungskommission melden oder ein Bild ihrer Augen über ein Schriftstück heften, das sie Yoko Ono schicken.

Immer wieder heißt es, Gewalt solle benannt werden. Immer wieder wird mit großen Worten ein Wertschätzungsluftballon aufgepustet, der den Mut der Überlebenden, der Betroffenen, der Menschen, die ES erfahren haben, der Menschen, die bis heute nicht wissen, zu wem oder was die Gewalt sie hat werden lassen, verkündet.

“Geschichten, die zählen” heißt es in der Broschüre der Aufarbeitungskommission.

“Profiliert sich im Internet mit ihrer Diagnose und (angeblichen) Geschichte”, heißt es, wenn man genau das Gleiche tut, jedoch nicht darauf wartet, dass eine Institution oder irgendein_e Künstler_in Bock auf die Auseinandersetzung mit Leid und Not hat.

“Ihre Geschichten helfen, zu verstehen.” heißt es grob übersetzt auf der Webseite des UBSKM.

“Wertet sich selbst damit auf, für Fachpersonal Workshops und Vorträge zu geben.”, ist aus unserem letzten Klinikbericht zu übersetzen.

“Was ist das bloß für eine Diskrepanz?”, könnte man sich da fragen. Und tut es doch nicht, denn die Dissoziation ist wichtig.
Es ist wichtig, hier die guten, die jungen, die starken, die resillienten Opfer zu haben, deren Kraft zum Widerstand, zur Autonomie, zur Macht über die eigene Stimme, die eigene Geschichte, die eigene Wahrheit, das eigene Selbst, dann doch aber bitte nur bis kurz vor das Ego der Helfer_innen, der Retter_innen, der Verkünder_innen eines selbst nie erfahrenen Leids, reicht.

Es ist wichtig dort die schlechten, die alten, die unfähigen, “die Anderen” zu haben. Die, bei denen “es dann doch wahrscheinlich alles ein bisschen anders war.”. “Die, “die noch ganz andere Probleme haben, als…”. Die, für die es nie hätte anders laufen können.
Man braucht sie, um sich Kraft zu sparen. Sich zu erhöhen. Sich zu trösten. Es ist so wichtig immer wieder jemanden zu haben, auf dessen Rücken man klettern kann, um selbst ein Wunder zu vollbringen oder wenigstens von einem angestrahlt zu werden. Es ist so wichtig, dass alles einen Sinn hat, den man sich ohne viel Anstrengung konstruieren kann.

“Meine Geschichte”, werde ich nie mit einer Öffentlichkeit teilen, die so funktioniert.
“Meine Geschichte” enthält so viele Geschichten und keine einzige davon ist es wert, zu etwas erhoben zu werden, das so tief eingegrabene Gewaltmuster aushebeln kann.
Ich wurde einfach nur misshandelt und ausgebeutet. Und aus Versehen hab ich das auch noch überlebt.
Sowas passiert. Jeden Tag. Immer.
Und wieder.

Viel schlimmer als das ist, was jeden Tag mit mir gemacht wird, nur weil ich das üb.erlebt habe.
Dass die Kenntnis über diese meine Erfahrungen ausreicht, um meine Intensionen, meine Person, mein Selbst, mein Werden und Wirken zu entwerten, zu pathologisieren und von Fremden für sich allein benutzen zu lassen.

Ich bin kein Opfer für dich Yoko.
Ich bin kein Opfer für dich UBSKM.
Ich bin kein Opfer für dich [random Stelle, die “den Opfern eine Stimme geben will”]

Ich war ein Opfer.
Ich bin ein Mensch mit Erfahrungshintergrund.
Wie jeder andere auch.

Was ich schlimm finde ist, für wen ich das ewige Opfer sein muss, um sich mit Gewalt auseinanderzusetzen oder die Auseinandersetzung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene immer wieder anzustoßen.
Das sind nicht immer die großen Held_innen der Psychotraumatherapie. Das sind nicht immer die aufopferungsvollen Pädagog_innen. Die against all odds pro Bauchgefühl – Menschen.

Das sind oft Menschen, die davon profitieren, dass unsere Gesellschaft eine Gewaltgesellschaft ist, in der sogar mit Not und Scheiße noch an Geld und Macht zu kommen ist. Die davon profitieren, dass die Wahrheit des Unterlegenen zum Vorteil des Überlegenen erklärt werden kann.

Wir wollen niemandem davon abraten sich an dem Vorhaben der unabhängigen Aufarbeitungskommission zu beteiligen. Oder an dem fancy Kunstdings von Frau Ono.
Es ist wichtig, dass über Gewalt gesprochen wird. Es ist wichtig, dass über die Folgen und die Leben danach gesprochen wird. Es ist wichtig, dass niemand sagen kann, si_er hätte noch nie davon gehört.

Aber – es ist wichtig, dass es direkt von denen zu hören ist, die es erlebt haben.
Nicht von irgendwelchen Stellvertreter_innen. Nicht von irgendwelchen Institutionen. Nicht von Menschen, die davon profitieren, dass sie die Stimme einer zum Opfer gewordenen Person im Hinterkopf haben und die eigene Stimme hörbar für alle erheben.

Ja, viele mit Gewalterfahrungen im Leben, haben Angst davor offen damit zu sein.
Es ist nicht geil, solche Kommentare auf das Ergebnis der eigenen Versuche in Worte zu kommen lesen zu müssen, wie wir sie hier mitunter reingedrückt kriegen.
Es ist verletzend zur Rampensau erklärt zu werden, weil man sich nicht versteckt. Es ist erschreckend welche negativen Konsequenzen es haben kann, wenn man offen als früheres Opfer von Gewalt vor andere Menschen tritt.
Man selbst hat nichts davon. Niemals. Unter keinen Umständen.

Aber es ist gesagt. Und je nach Form ist es unübersehbar. Unüberlesbar. Unausblendbar. Unzerstörbar da.

Und niemand kann je sagen, man hätte ja nicht wissen können, dass es so etwas wie zum Beispiel unser Leben und Sein, Wirken und Werden tatsächlich gibt.

Wir möchten euch sagen, dass ihr nicht warten müsst, um zu erzählen, was war. Um auszudrücken, was jetzt ist. Um sich mit den gemachten Erfahrungen auf die ganz individuelle Art zu befassen, wie es sich am Okaysten anfühlt.
Niemand wird kommen und euch danach fragen. Noch lange Zeit werdet ihr es sein, die von weit her dazu aufgefordert werden, etwas zu sagen und mit einer sozialen Umgebung zu teilen, der es nicht primär um euch und euren kleinen persönlichen Kosmos geht, sondern um die Gewalt und ihre Macht.

Ihr braucht keine Erlaubnis für euren Ausdruck, denn die Redefreiheit gilt euch für euch.

Ihr braucht nur den Mut, euch der eigenen Stimme zu bedienen.
Weil es sagbar ist.

die Revolution

ÜberblickMir fliegen die Fetzen im Kopf herum und ich weiß nicht wohin. Mit mir, den Fetzen, dem Gestern, dem Jetzt, dem Irgendwann irgendwie und dem, was könnte.
Also schreibe ich.

So mache ich das eben.
Ich schreibe, weil es das ist, was mich morgens aufstehen lässt.
Nicht, weil mich die Wortlust so reizt, ich so gern in Metaphern plansche und mich am Liebsten mit Silben parfümieren würde, sondern weil …

nun, einfach so.

Ich schreibe Wörter ins Internet, weil ich mich in meinem analogen Alltag zu Wort melden müsste, obwohl es eigentlich keinen zentralen zuWortmeldungsannahmeschalter gibt. Man zieht keine Nummer und wartet bis man aufgerufen wird. Wortmeldungen erfolgen so scheinbar willkürlich, wie sie gehört und weitergetragen werden.
Meine Internetwörter dürfen wirr sein. Sind so privilegiert, dass sie auch ohne meinen Sinn mit sich zu tragen, in die Köpfe anderer Menschen ziehen können.

Meine Wörter können angeguckt werden und weil sie nicht herumzappeln und ineinander verhakt über den hellen Hintergrund kullern, erscheinen wie auf den Bildschirm gebügelt.

Wo ein Wort ist, da darf kein anderes sein. Wo ein Sinn ist, da darf kein anderer sein.
Und überhaupt darf nur sein, was man sinnlich für wahr und logisch an sich nimmt.

So muss ich vor Angst erschlottern, könnte sich mein Leben ändern. So muss ich mich von anderen Personen abhängig machen. So muss ich mächtig sein. So muss ich sein, für wen ich gehalten werde.
Auch, wenn ich nur Worte und Wörter abstelle.
Auch, wenn ich nicht bin, wer meine Wörter erfasst. Anfasst. Sich berührt oder gar gepackt fühlt.

Es ist schwierig von Wort zu Wort zu gehen. Sie abzuschreiten und sie wie ein Bild im Museum zu betrachten. Sie vielleicht in sich hallen zu lassen. Zu gucken, wo sie wie Bomben einschlagen und Lawinen lostreten.
Wie furchtbar muss es für andere sein, zu wissen, dass ich mich von den Wörtern befreien kann, einfach, indem ich meine Hände um einen Stift lege und irgendwo in mir los lasse. Wie unaushaltbar muss es sein, eine Wortmeldung zu hören, die ungewohnt und fremd ist. In der die gleichen Worte, wie die eigenen verwendet werden, aber doch…

nicht gleich sind.

Oder schlimmer noch: die eigenen entsinnen, verque(e)ren. Etwas sagen, woran man lieber abstrakt, als konkret nachdenkt.
Lieber an Andere denkt, als die, in denen man sich selbst sucht.

Meine Wörter sind Minen. Wenn man sie berührt, tun sie weh. Wenn man sie liegen lässt, dann starren sie durch Zeit und Raum.

Mit meinen Wörtern male ich meine Unsichtbarkeit ins Internet.
Ich stricke kein Buchstabendeckchen um mein zum Opfer geworden sein. Ich klebe keine Protestrufe auf mein behindert werden, behindert sein.
Mein verkrüppelt worden sein.
Der Punkt am Ende eines jeden Satzes, ist mein Welten erschütternder Imperativ.
Dass ich meine Stimme mit Buchstaben einkleide, ihr eine Mütze aus Silben über die Ohren ziehe und mit Bedeutung besohle, ist die krasseste Revolution, die ich jeden Tag vom Schweigemauerzaun brechen kann.

Ich verstehe, wie erschreckend das ist.
Deshalb stelle ich meine Wörter ins Internet.
Eine Werbung, ein Katzenbild, eine Email später ist meine Revolution im großen,
nie enden wollenden Strom aus Einsen und Nullen aufgelöst.

Verschwunden.
Unsichtbar.
Erst dann passiert, wenn man danach sucht.
Erst dann gefährlich, wenn sie gefunden und so wie ist, weiter getragen wird.

12 Monate

das Mädchen ohne Mund, das Mädchen ohne Hände, das Mädchen ohne Kopf, das Mädchen, das von der Decke baumelt, das Mädchen, dessen Unterschenkel an seidenen Muskelfasern im Nirgendwo herumflattert, das Mädchen mit dem Loch in der Mitte, das Mädchen mit der Schere im Ohr, das Mädchen mit den Haarbüscheln in den Händen, das Mädchen ohne Kleider, das Mädchen mit der Naht zwischen den Beinen, das Mädchen im Dunkeln, das Mädchen hinter Gittern, das Mädchen ohne Augen, das Mädchen mit dem Preisschild am Fuß, das Mädchen mit dem Aufziehschlüssel im Rücken, das Mädchen im eigenen Blut,
das Mädchen mit der blauen Schleife

das weiße Papier

und das Mädchen, das den Stift nicht aus der Hand legen kann.

 

Ich presse meine Kopfbilder wie einen Schwamm zusammen und quetsche einen Gedanken aus ihnen heraus. “Das Mädchen ohne Mund muss sicher nie zum Zahnarzt”.

Und am Ende brennen meine Gemälde und Zeichnungen der letzten 12 Monate.
Weil ich mich nicht übergeben kann. Weil ich nicht schreien kann. Weil ich mich anwidere. Weil mir nichts anderes einfällt, womit ich mich zum Weinen reizen kann.

zum Begriff “Überlebende”

Es war eine Frage bei der Openmind Konferenz. Wie ich zu dem Begriff “Überlebende” stünde.
Mich hat es noch ein bisschen beschäftigt und jetzt kommen nachträglich  ein paar Worte von mir dazu.

Ich habe mich von dem Begriff für mich gelöst. “Überlebende” ist keine Selbstbezeichnung mehr für mich.
Eine ganze Weile fand ich den Begriff gut, weil er mir als Alternative zum Wort “Opfer” erklärt wurde und er auch die Wucht dessen, was ich erfahren habe, damals irgendwie passend transportierte.
Ich hatte ein Wort gesucht, das nicht nach Passivität klingt oder darüber definiert wird.

Und dann hatte ich mich an etwas erinnert, das mir klar machte, wie profan Über- und Weiterleben eigentlich ist.

Es ist keine Leistung und auch keine Fähigkeit zu überleben oder überlebt zu haben.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber mich macht der Versuch des Empowerments mit dem Satz: “You are not a victim – you are a survivor” inzwischen richtig wütend, weil er sich der simpelsten aller Maschen bedient, die das Sprechen und Verdrängen um Gewalt und ihre Folgen an sich hat: Abwertung von Opferschaft und der Implizit diese wählen zu können.

Der Satz könnte besser heißen: “You were a victim and you survived”.

In meinem Vortrag sagte ich, dass es keinen einzigen Begriff gibt, der Menschen, die zu Opfern wurden, in ihrem Leben nach der Gewalterfahrung benennt, ohne sie immer wieder als eine Person, die akut etwas oder jemandem unterworfen ist, anzusprechen.
Das ist die “ganz oder gar nicht”- Logik, welche die Macht – Ohnmacht – Dynamik mit sich bringt: Einmal Opfer immer Opfer- oder es ist nie etwas passiert.
Genau daraus kommt aber eben auch die Notwendigkeit, immer wieder auf das Gewaltereignis hinweisen zu müssen, um es (mit) zu erwähnen, wenn man sich selbst als Mensch, der zum Opfer wurde, beschreiben möchte, oder seine Perspektive erklären will.

Mir ist es heute natürlich nicht unwichtig, dass ich zum Opfer von Gewalt wurde. Es ist mir aber nicht mehr für andere Menschen wichtig, die mich mitsamt meiner Erfahrungen und Wuchsrichtungen anerkennen sollen, sondern für mich, um meine Erfahrungen vor mir selbst zu bewerten und auch zu beworten.

Für mich war dieses Überleben, das so oft fast glorifiziert herausgestrichen wird, zum Teil fast schmerzhafter als die Nahtoderfahrung vorher.
Zugeschwollen und blutend zu sich zu kommen ist auch “überlebt haben”.
Das Moment in dem man seine Glieder einsammelt und an sich dranbewusstet; das sich fragen, ob man da ist, oder nur so tut, oder sich selbst gerade träumt. Das ist auch “überleben”.
Es tut weh. Es ist vielleicht mit dem größten Ekel, den man je empfunden hat, verbunden. Es ist ohne Hoffnung, ohne Gedanke … es ist so verdammt weit weg von einem warmen Licht am Ende eines Tunnels, der einen ins Überlebendenwunderland mit Bällebad und Zuckerwatte führt.

Ich war 21 Jahre lang genauso Opfer, wie Überlebende und keins der beiden Wörter reicht an das heran, was ich an mir in Bezug auf das, was diese Erfahrungen mit und an mir gemacht haben, wahrnehme.
Ich bin weder stärker geworden, noch zäher, noch bin ich davon gebrochen oder zerstört worden. Es war mein Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich bin eine “damit lebende”. Manchmal bin ich auch eine “damit versuchen zu lebende”, eine “damit hadernde” und manchmal bin ich auch eine “darunter leidende” Person.
Aber ich bin eine “Eine”. Ich bin immer ein Mensch, der unter bestimmten Bedingungen gewachsen ist, wie jeder andere Mensch auch.

Ich bin nicht an der Reihe mich und die Gewalt sichtbar zu machen.
Die Welt ist an der Reihe mich und andere Menschen, die zu Opfern wurden, die Gewalt und das Leben mit ihren Folgen zu sehen, auch wenn wir das nicht immer wieder sagen.

von Gewaltbetroffenheit, dem Traumabegriff und individueller Schlimmskala

Man wollte keine Differenzierung machen zwischen Gewaltbetroffenheit und Traumatisierung, weil man niemandem sein Leiden absprechen mag. Und soll.
Ich stand in meinem eigenen Workshop und und hatte knäulweise lose Fäden in der Hand.
Ich hatte nicht daran gedacht, dass mein Sprechen direkt ins Englische, Spanische und Russische übersetzt werden würde. Nicht daran, dass die Tür immer wieder auf zu und zu gehen würde. Dass mir mein Hund, als Assistenz inmitten des Inmitten einmal so wahnsinnig fehlen würde. Ich bin geschwommen wie ein Kind auf dem Weg zum Seepferdchen und hatte mir den Faden der Differenzierung aufgespart.

Gestern aber ging erneut die Nachricht einer Gewalttat auf dem Alexanderplatz in Berlin durchs Netz und ich hatte endlich klarer, worum es mir bei der Differenzierung geht.

Mehrmals hintereinander berichteten verschiedene Nachrichtenportale darüber, dass jemand jemanden erstochen habe.
Mehrmals hintereinander wurden Gewaltbetroffene produziert und Erfahrungswunden (Traumatisierungen) dabei unsichtbar gehalten.

Jede Polizeimeldung ist die Meldung von Gewaltbetroffenen und einer Tat.
Jede/r* BeobachterIn* der Situation, jedes medizinische und (notfall)psychologische Personal, der beschriebene Täter (und alle, die für ihn gehalten werden), das verstorbene Opfer und dessen Familie, Freunde, ArbeitskollegInnen* – alle Gewaltbetroffene.
Jeder Mensch, der diese Nachricht gelesen hat, wurde von der Gewalt mit einer Fingerspitze berührt.

Wer hat dabei Seele geblutet?
Die Verwundeten. Die Traumatisierten.

Die, die eben nicht nach Hause gehen; einmal sagen was war; unter der Dusche alles abspülen und am nächsten Tag weiter leben. Um eine Erfahrung erweitert, eine Rille in der Reizverarbeitung vertieft. Angedellt, geknickt, durchgeschüttelt- aber nicht aufgerissen, gebrochen, mit einem Loch in sich selbst.

Es gibt einen massiven Unterschied zwischen dem Erfahren von Gewalt und dem Traumatisiertwerden von Gewalt. Auf jeden Fall.
Was aber bedeutet das für uns* im Umgang mit Menschen, die von Gewalterfahrungen sprechen? Müssen wir da differenzieren? Wozu?
Um zu unterscheiden wer mehr leidet? Wen es am Schlimmsten getroffen hat? Wer jetzt was verlangen darf und gestattet bekommen muss? Wem wir wie viel Opferschaft zugestehen?

Ich habe einen sogenannten Twittertroll am Arsch, der mir genau das immer wieder aufdrücken mag. Immer wieder kommen da Tweets an mich heran, die immer wieder meine Aussagen gegen die Vorstellung des Menschen stellt, was ein Opfer so ist. Was es seiner Meinung nach darf und muss und sollte und könnte und was nicht, wenn es denn kein echtes Opfer (mehr) ist.
Der Mensch merkt nicht und reflektiert offensichtlich nicht einmal, dass er seine Schlimmskala an mich dran hält und mir seine aufdrücken will- was wiederum zwischenmenschliche Gewalt ist.

Es ist die gleiche zwischenmenschliche Gewalt, die passiert, wenn man sagt, ein Trauma sei viel schlimmer, als eine Gewalterfahrung.
Zum Einen, weil man dem Menschen abspricht seinen eigenen Zustand selbst bewerten zu können – das ist was in unserem Gesundheitssystem schon so eklig ist: Niemand ist krank oder leidend bis es ein/e MedizinerIn oder anders Behandelnde/r sagt – und zum Anderen, weil man sich mit jeder Bewertung selbst in eine Position bringt, die Macht beinhaltet (ergo Gewalt inne hat).

Inzwischen wurde viel geforscht, weshalb manche Menschen von ein und demselben Ereignis traumatisiert (erfahrungsverwundet an der Struktur des Selbst) werden und manche nicht.
Aber auch das ist letztlich irrelevant für den Umgang mit diesen Menschen. Nur weil jemand keine offene Wunde von einem Ereignis davon trug, sondern eine Beule, heißt es doch nicht, dass er weniger Schmerzen hat, weniger Schonung braucht, weniger Raum zur Verarbeitung.
So sehr Gewalt als Fakt unsere Gesellschaft auch dominiert, normiert und aufrechthält, so ist sie als Ereignis doch nicht alltäglich in der Form, als das sie die Leib-Seelen-Integrität massiv und direkt erschüttert und auch verletzt. Alle haben immer das Recht zu sagen: “Das und das, war für mich krass/schlimm/arg/erschütternd/belastend/verletzend/traumatisch” – wer sind die ZuhörerInnen*, dass sie Ihnen absprechen wollen, wie etwas für jemanden war?

Ich kann nicht sagen, dass ich selbst diese Haltung immer zu wahren schaffe. Erst neulich las ich einen Artikel über “das Ferientrauma” von jemandem in der Zeitung und wollte einmal drüberkotzen, weil mir der Traumabegriff verwässert erschien. Ich habe den Artikel nicht ganz gelesen. Ergo habe ich meine Wortwutkotze für mich behalten – was weiß ich denn, worum es in dem Artikel am Ende noch ging? Vielleicht ging es ja doch nicht nur um etwas, was ich mit meinem individuellen Erfahrungsschatz als Wohlstandsgenörgel bezeichne.
Wenn jemand zu mir kommt und mir sagt, dass er sich an einem Ferienort so arg abgeschnitten, eingeengt, fremdgesteuert und unfrei gefühlt hat, dass er dort nie wieder sein mag und es als traumatisierend empfunden hat, dann nehme ich das an. Punkt aus.
Ich bin nicht diejenige, die über seine Wunden, Dellen, Erfahrungsfolgen zu beworten hat. Was für ihn schlimm ist, ist für ihn schlimm, egal wie viele Kanister Erfahrungswundwasser Marke “schlimm” ich daneben stellen kann.

Von der Gewalt sind wir beide betroffen, sobald wir unsere Erfahrungen teilen.
An der Stelle hätte ich gern etwas mehr Aufmerksamkeit. Ich fühle mich oft für Menschen (mit)verantwortlich, sobald sie mich ins Vertrauen ziehen und von ihren Erfahrungen sprechen.
Erfahrungen sind, was uns Menschen formt und diese zu teilen und darüber Verbundenheit aufzubauen ist Teil dessen, was uns zu sozialen Wesen macht.
Deshalb spreche ich mich sehr dagegen aus, den Begriff der Gewaltbetroffenheit nur auf Tatanwesende zu verwenden. Das ist ein Mittel Gewalt als eingrenzbares Einzelschicksal und/oder Phänomen darzustellen und gesamtgesellschaftliche Verantwortung an jeder einzelnen Gewalttat unsichtbar zu machen.
Außerdem trägt diese Ausdrucks- und Sichtweise dazu bei, dass Erfahrungswunden durch Bystanding noch weiter ins Dunkel rücken- obwohl gerade ZeugInnen, BeobachterInnen (JournalistInnen zum Beispiel, aber auch LiveberichterstattungskonsumentInnen vor dem Fernseher zu Hause! ) und auch notfallpsychologisches Personal durch die (erzwungene) (körperliche) Passivität vor einer Gewaltszene, ein nicht  zu unterschätzendes Risiko haben, vom sinnlich Wahrgenommenen verwundet zu werden.

Ich mag es nicht, wenn Opferschaft limitiert wird und erst recht mag ich es nicht, wenn Opfer erst dann als Opfer gelten, wenn irgendjemand anders sie als solche markiert.
Opferschaft definiert sich allein durch Ohnmacht in einem Machtgefälle (einem (dualen) Gewaltkontext) und wo diese anfängt und wo aufhört, obliegt denen, die sie empfinden.
Für mich bedeutet das übrigens nicht, dass TäterInnen*schaft allein von Macht definiert wird bzw. von einer Aktivität, die in Form einer Tat sichtbar wird (und Wunden schlägt). Für mich wird TäterInnen*schaft davon definiert, dass eine Wahl getroffen werden kann über die Art der Tat bzw. Aktivität. Das sind zwei Dinge, die nicht immer zusammen auftreten und deshalb die Frage nach der TäterInnen*schaft bzw. auch die nach der TäterInnen*opferschaft und der OpfertäterInnen*schaft aufwerfen und das Thema der Gewaltbetroffenheit as a thing markiert.

Ich möchte mich dafür aussprechen von Traumatisierungen zu sprechen, wenn man es mit (Erfahrungs)Wunden und Leiden, an Leib, Seele und Geist (gleichzeitig) zu tun hat, die auch noch lange nach dem Ereignis schmerzen und/oder behindern und diese als übliche Dimension unter dem Begriff (Gewalt)Erfahrung zu belassen.

Für mich ist es wichtig, dass ich und mein Leben weder als Schlimmskala herhalten, noch einer entsprechen muss. Ich leide nicht weniger oder mehr, wenn ich meine Erfahrungen “traumatisch” nenne oder nicht.
Von mir aus mag die Psychologie und die Medizin gerne weiter ausdifferenzieren was ein “traumatisches Ereignis” ist, und was nicht. Welche Parameter, wann und wofür erfüllt sein müssen, damit man in der Psychologie als Wissenschaft noch von einem Trauma sprechen kann. Ich bin keine Wissenschaftlerin.
Von mir aus, mag die Justiz auf die Psychologie hören, wenn es darum geht, die Schwere einer Tat zu beurteilen. Letztlich sprechen wir hier aber von zwei Gewalten, die sich über mein Erleben stellen und das gesellschaftlicher Gewaltennormierung entsprechend auch dürfen.

Sie sprechen Tatsprache – nicht meine als Opfer von Gewalt, die auch traumatisierend war.

Die Schlimmskala und die Worte derer, die zu Opfern wurden sind existent und gültig. Mindestens für diese Menschen.
Und diese nicht unterwandern, zu sabotieren, für falsch und nichtig zu erklären, zu relativieren und als übertrieben darzustellen, ist die Aufgabe derer, die ihnen zuhören*.

 

(*als Teil der Gesellschaft)
(*ich habe an der Stelle eine andere Haltung, wenn ich es mit FakerInnen* zu tun habe, weil sich diese in aller Regel genau daran orientieren, was die Gesellschaft ™ als schlimm wahrnimmt und von mir, als Teil dieser Gesellschaft spezifische Reaktionen erwarten, die mit einer Wertung einher geht, die ich nicht vornehmen will. Sie sind nicht an mir und meinen Reaktionen auf ihre Erfahrungen interessiert, sondern daran, was ich als Symbol für sie wie auch immer bewerte und mit Reaktionen belege. Das ist kein respektvoller Umgang mit mir und ergo ziehe ich mich raus. Kann man drüber streiten, ob das so schlau ist- aber ich lasse mich nicht zu einer Schlimmskala degradieren.)

un-gesicht-bar

menschAls ich eine Teenagerin war, bin ich einmal mitten auf dem Schulhof stehen geblieben und habe meine Gedanken gebrülldacht. In meinem Kopf schrie ich mein wortloses ES über den ganzen Hof.
Als nichts passierte, ich so deutlich spürte, dass ES nicht _ist_, wenn ES nicht aktuell passiert, brach einmal mehr etwas in mir.

Es ist das Eine, wenn man mit Menschen unter einem Dach lebt, die ein ES produzieren und immer wieder vermitteln: “Was hier passiert, bleibt hier. Dort draußen bist du nichts.”. Das Andere ist zu spüren, dass das, was dort passiert, sehr wohl an einem selbst kleben bleibt und so nicht nur dort bleibt, sondern immer mit sich herumgetragen wird.

Und dann der Konflikt des eigenen Seins. Heute denke ich, dass meine Multiplizität auch genau ein Produkt dieses sozialen, und emotionalen Sprengfasses war. Ich war nämlich sehr wohl etwas und zwar immer und überall- nicht nur dort. Mal war ich Schülerin, Sportlerin, Sängerin, Tänzerin, Künstlerin, Schriftenmacherin, manchmal aber auch Spinnerin, Lügnerin, Verkorkste, Freundin, Aktivistin.
Tochter und Objekt war ich nur dort.
Trägerin des ES war ich aber immer und überall.
Von allen Zuschreibungen, die ich durch mein Verhalten, Ausüben oder Bremsen meiner Fähig- und Fertigkeiten mehr oder weniger steuern konnte, war der Umstand ES zu erleben- ES zu überleben- ein blinder Fleck in meinem Selbst, den ich zwar so in seiner Unfassbarkeit deutlich als etwas spürte, das dort nicht hingehörte, weil ich ihn bei anderen Menschen (außer meiner Familie*) nicht wahrnahm, aber auch nicht ablegen konnte, weil ich keinen Ort dafür kannte.

Damals hatte ich eine Broschüre vom Mädchenhaus der Stadt in der Hand. Diese war bebildert mit einem Mädchen* mit einem blauen Auge.
Ich legte sie weg. Nicht, weil ich dachte: “Oh ich habe kein blaues Auge- für mich gilt das nicht.”, sondern, weil ich wusste, dass ich ES nicht gleichsam sichtbar machen können würde, solange ich keins hätte.

Seit ein paar Tagen kursieren die ach so empowernden Zeichnungen von Frauen*, die Menschen darin bestärken sollen, sich an sich selbst zu orientieren und ihre Entscheidungen zu leben.
Wer kein Gesicht hat ist “Ana”, die vergewaltigt wurde (und ein lesbisches Paar).

Ich fühle mich von dem Bild alles andere als empowert. Dadurch, dass meine Twittertimeline diese Bilder aber offenbar super findet, bin ich schon wieder verunsichert, ob irgendetwas an mir falsch ist, wenn niemand außer mir markiert, dass der Mensch, der von einer Vergewaltigung übrig ist, ohne Gesicht und in gekrümmter (sitzender) Haltung dargestellt wird und sich inmitten von Menschen befindet, die nicht durch das, was andere Menschen ihnen angetan haben zu ihrem Label gekommen sind.
Auch der Untertitel ist, zumindest für mich, ein Widerspruch zum Bild: “Du bist nicht allein und es ist nicht dein Fehler”, denn das Bild zeigt einen Menschen der allein ist und denkt (offenbar, denn nicht einmal die Gedanken des Menschen werden klar gezeigt), es sei sein Fehler. 

Vergewaltigung bzw. (sexualisierte) Gewalt allgemein, erscheint mir bis heute von GrafikerInnen und anderen Menschen, die Medien produzieren, als entweder unansehnlich (“Das kann man doch nicht zeigen- und wenn dann nur im Film”) oder so weit über “normal”, dass man ein Symbolbild verwenden “muss”, das gleichfalls in alle Richtungen DAS DA auf so vielen Ebenen wie möglich herausbrüllt (Kind in Ecke mit Schatten von Mensch drüber- Szene; kaputter Teddy, leere Schaukel, zerschmetterte Scheibe etc. ).
Einfach einen Menschen abzubilden, der sagt: “Ich habe dies und das erlebt”, funktioniert nur als Einzelschicksalgeschichte, die durch Gerichtsverfahren, TäterInnenstrafe oder HelferInnen bestätigt (bewahrheitet) ist.

In den letzten Jahren habe ich mich gegenüber mehreren Menschen als “zum Opfer von sexualisierter Gewalt geworden” zu erkennen gegeben und habe mich stark gefühlt, weil ich das überhaupt so sagen konnte.
Doch so stark wie ich mich fühlte, so schnell ging es dann auch um die TäterInnen, das Drama, die Betroffenheit der Menschen über meine Erfahrungen. Um mich als diejenige, die damit leben muss und an so vielen Stellen im Alltag strauchelt, sich irgendwie halten und ein Leben in Richtung Zukunft leben muss, ging es schnell nicht mehr.

Manchmal dachte ich, dass es eine Art Tausch ist. “Sie sagen mir nicht, dass ich es wollte/ selbst schuld bin/ einfach eine bin, die man misshandeln muss, also muss ich sie beruhigen, versichern, bestätigen und ihnen zeigen, was ich trotzdem (!) noch kann.”
Heute denke ich: Nein.
Was mir passierte, ist Alltag für Millionen von Menschen auf der Welt und zwar jeden Tag. Millionen von Menschen da draußen, tragen ein ES mit sich herum und denken, sie wären zum allein sein damit bestimmt, weil sie weder bluten, noch schreien, noch “krank” sind – weil ihr ES weder Worte noch physische Substanz hat, wenn der Täter oder die Täterin nicht mehr da ist. Weil sie eben nicht gesichtslos und zusammengekrümmt irgendwo sitzen, sondern sich selbst lediglich innen so sehen.

Ich denke heute, dass es darum geht, auch die Opfer von Gewalt als exkludiert zu markieren, weil ihnen nicht nur in dem Moment, in denen ihnen Gewalt angetan wird, die Identität und das Selbst verletzt bis zerstört wird, sondern auch noch in der Gesellschaft ™ nicht anerkannt wird, wenn es darum geht ES zu benennen.
Es ist nicht die Entscheidung der Gewaltüberlebenden zu überleben – das passiert ihnen einfach so, wie ihnen auch die Gewalt passiert und liegt letztlich nicht in ihrer Macht.
Doch wenn die Gewalt vorbei ist, dann treffen die Gewalthinterbliebenen Entscheidungen ihr Leben und ihr Sein zu leben und müssen darin bestärkt werden.

Ich bin auch fast jeden Tag alleine und denke über meinen Anteil an den Taten nach- und es ist verdammt nochmal auch mein Recht allein zu sein und darüber nachzudenken.
Es ist kein Empowerment, wenn “Power” als das Gegenteil von (auch) Opfer (gewesen) sein dargestellt wird.

Ich merke, dass es mir in der letzten Zeit wichtiger geworden ist, auch als Opfer von Gewalt wahrgenommen zu werden. Nicht als Alleinstellungsmerkmal, aber mit einer deutlicheren Gewichtung auf dem “auch”.
Mir kommen zur Zeit viele Erinnerungsfetzen hoch und öfter spüre ich auch die Passivität (oder auch von jetzt auf gleich übermächtige körperliche Schwäche), um die ich all die Jahre meinen (unseren) Vermeidungstanz choreografiert habe, der seinerseits immer wieder auch davon motiviert wurde, das Opfersein so etwas Ähnliches wie “schwach sein” / “unproduktiv sein”/ nichts (und niemand) sein (denn “das Opfer”= sächlich, ungeschlechtlich, ein Objekt) / “Passivsein” in unserer Gesellschaft ™ bedeutet.
Ich erlebe es im Moment als Selbstermächtigung mein Bild von mir anderen Menschen gegenüber zu vervollkommnen, indem ich offen mit meinem zum Opfer geworden sein umgehe.

Denn: Ich entscheide, wem ich – von Angesicht zu Angesicht! – sage, dass mir Gewalt angetan wurde und wann, wie und wo es was für mich und mein (Er-) Leben bedeutet.
Ich tue das unabhängig davon, ob die TäterInnen oder irgendjemand anderes dies bewahrheitet oder durch seine Aussage dazu definiert. Ich definiere mich selbst als zum Opfer von Gewalt geworden und erhebe den Anspruch an meine Mitmenschen, diese Definition anzunehmen, auch ohne Gegen- oder Mitstück, einfach, weil ein Gegen- oder Mitstück dafür sorgt, dass ich wieder zum Opfer werde, anstatt mich in meinem “früher einmal Opfer gewesen sein” zu stärken.

Mein Leben heute – nach der Gewalt – ist kein “Opferleben”. Es ist ein Leben nachdem ich zum Opfer wurde.
Das heißt, dass es völlig legitim ist, wenn ich meine frühere Opferschaft (meine Passivität im Vergleich zu einer zerstörerischen Aktivität) zum Selbstbild dazu zähle, denn ohne diese Erfahrung wäre einfach alles anders.

Ich bin das Gesicht meines Lebens nach der Gewalt. Ich hab eins. Ich hab ein Leben, ich hab ein Sein. Ich bin da, obwohl das, was mich gemacht hat, nicht mehr da ist.
Und darum gehts.
Es geht nicht um meine Schuldfragen, nicht um meinen Körper und seine Integrität, nicht um meine Rasse, Klasse, Alter, Geschlecht oder sonst irgendwas. Es geht darum, dass ich lebe, wie ich lebe und wie Millionen andere Menschen auch leben.
Und nur, weil man das nicht in so eine Illustration reinbringen kann, muss man nicht zum Symbolbild greifen.

Es reicht zu markieren, dass ES und DAS DA einfach nicht immer zu sehen ist, statt zwanghaft einfach irgendwas sichtbar zu machen und damit Normen zu produzieren, die zwangsläufig exkludieren.

Nachtrag zum Tag des Folteropfers

flieder Gestern am 26.6. 2014 war internationaler Tag der Folteropfer.
Das
Institut für Menschenrechte trägt immer viele gute Sachinformationen zum Thema zusammen und macht auch in diesem Jahr, wie so ziemlich jede Organisation mit dem Schwerpunkt “Menschenrechte”, darauf aufmerksam, dass die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter bis heute im Grunde ein Ehrenämterposten mit dem Prüfungsauftrag sämtlicher Heime, Kliniken und Verwahrungsanstalten von Deutschland ist.
Es geht um Geld, Verantwortung, Schuld, den Begriff der Folter.

Es geht nicht darum Opferschaft als einen Zustand zu markieren, der vorbei geht und doch so tiefgreifende Spuren hinterlässt, dass das “nach der Folter”; “nach der Opferschaft”; “nach der Täter-Opferschaft”; “nach der Zeuge von Folter – schaft” gleichsam als sowohl Folter-, als auch Gewaltpräventionsraum anzusehen ist.

Folter ist ein Akt der Gewalt, der weit mehr als Symptome einer PTBS entstehen lässt, wie quälende Ängste, Flashbacks und darauf aufbauend Vermeidungsverhalten und Somatisierungen. Das Ziel von Folter ist es, zu Gunsten Dritter, sämtliche Internalisierungen über Werte, Normen, emotionale Bezüge in einem Individuum zu zerstören.

In manchen Kontexten steht am Ende der Folter eine Aufgabe Funktion des Individuums, zum Beispiel als SoldatIn Teil einer (Bürgerkriegs) Armee zu werden, oder als SpionIn, KurierIn oder auch bloßes Objekt zur Benutzung jeder Art eingesetzt zu werden.
In anderen Kontexten steht am Ende der Folter, die Integration in eine Gesellschaft, deren Normierungszwang die Folter erst ermöglichte. So sind geschlossene (Kinder und Jugend- ) Heime und die Psychiatrie als Ort zu betrachten, in denen das Sein der Irren und Ausgeschlossenen nicht nur in Gefahr ist, weil sie exkludiert sind und sich, warum auch immer, selbst- und/oder fremdschädigend verhalten, sondern auch, weil diese Art der Sprache, des Ausdrucks, als “verschwunden”/ “geheilt”/ “kompensiert” gelten muss, um eine Chance auf Reintegration zu erhalten. Das Stigma psychischer Krankheit verhindert jedoch bis heute gründlich die Inklusion von Menschen mit Psychiatrieerfahrung jeder Art.
In diesem Kontext hinterlässt die psychiatrische Folter also nicht nur den Verlust der Integrität über eigene Normen und Werte, sondern auch noch den individuellen Ausdruck dessen, zu Gunsten einer Gesellschaft, die sich selbst nach einem Anpassungsvorgang (selbst wenn das Individuum die totale Selbstentfernung und/oder Verleugnung vorgenommen hat und bereit ist sich neuen Aufgaben zu stellen) nicht dazu entschließen muss, sich diesem Individuum anzunehmen.

In jedem Fall bedeutet das Ende der Folter, den Anfang von einem Leben in dem vorrangig folterbedingte Internalisierungen das Individuum wenn nicht kontrollieren, so doch früher oder später, mehr oder weniger beeinflussen.
Die Möglichkeit selbst zum Folternden oder zum Folter nicht ablehnenden Menschen zu werden bzw. so zu handeln, weil keine Alternativen erlernt/eingeübt wurden und/oder gesellschaftlich akzeptiert und somit gesichert (privilegiert) werden, ist vielleicht nicht in 100% der Fälle zu beobachten, dennoch aber nicht von der Hand zu weisen.
Gewalt gebiert Gewalt – das gilt auch und in manchen Kontexten sogar explizit für Folter (siehe “Kindersoldaten”).

Am Tag des Folteropfers nicht über die Situation der zu Opfer gewordenen Menschen zu sprechen, halte ich persönlich für einen gewaltkulturellen Reflex unserer Zeit und ein Symptom für als selbstverständlich betrachtete Dualismen, die nicht als Gewaltmechanismen anerkannt werden.
Es ist offenbar selbstverständlich, dass zu Opfer gewordene Menschen weder in der Politik noch im ehrenamtlichen Engagement mitmischen dürfen, sondern bestenfalls als Fallgeschichte oder emotionalisierendes Einzelschicksal auftreten dürfen (!). Es ist offenbar nicht möglich, die verschiedenen Instanzen, die mit der Versorgung von Menschen die Folter überlebt haben (überleben mussten) zusammenzubringen und das Wissen über die Entstehung, Ausübung und Folgen von Folter zusammenzutragen, um es zu einem Einfluss für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Unterdrückung … Exklusion werden zu lassen.

Es heißt konstruktive Vorschläge wären neben der Formulierung der Problematik, dem Informieren über diesen Tag und sein Thema gern gesehen.
Hier meine Vorschläge und Ideen zur Prävention von Folter und folterähnlicher Zustände in geschlossenen Einrichtungen von Deutschland

1) Jeder/ jedem PatientIn*/ KlientIn*/ HäftlingIn* eine/n FürsprecherIn*
Diese/r muss:
– geschult sein in PatientInnenrechten bzw. in Haftkontexten in Rechten von Gefangenen
– global unabhängig vom Kostenträger der Einrichtung bzw. Anstalt sein
– befugt sein jederzeit Kontakt zu seinem/ seiner KlientIn* aufzunehmen (gleiches gilt für die KlientInnen*)
– befugt sein sofort und auch ohne Zustimmung und Kenntnis der Einrichtung Meldung über Missstände zu machen – im günstigsten Fall an eine kontrollierende Instanz, die, wenn nötig Maßnahmen zur Veränderung der Situation einleiten kann

2) geschlossene Einrichtungen müssen sich (entsprechend Punkt 1) vom Privileg der Selbstorganisation und freiwilligen Selbstkontrolle verabschieden

3) die Personalschlüssel in geschlossenen Einrichtungen werden angehoben

4) das Personal wird in im gewaltfreien Umgang mit ihrer Verantwortung als Definitionsmacht geschult

5) Für KlientInnen* wird ein größeres und besser nutzbares Netz an Alternativen zur Veränderung ihrer Lage geboten
Das bedeutet:
– ein Ausbleiben von Einweisungen auf “freiwilliger Basis, weil Alternativen der (sicheren) Unterbringung fehlen”, was wiederum der Nutzung der Psychiatrie als exkludierende Instanz entgegenwirken kann
– die Förderung von Projekten und Wohn- und Therapiekonzepten, die ambulante wie stationäre Aufenthalte in bisher neuem Umfang und fern psychiatrischer Kontexte zum Ziel haben
– die Finanzierung ambulanter Therapieangebote ist bis zur Heilung* eines Individuums gesichert – auch Erhaltungstherapie wird so lange gesichert, wie es nötig ist*
– die Bedarfsplanung zur Behandlung psychisch erkrankter Menschen orientiert sich an sowohl der angenommenen Dunkelziffer von Gewaltüberlebenden, wie an der Dunkelziffer noch nicht durch MedizinerInnen diagnostizierter Menschen
– stationäre Einrichtungen (wie zum Beispiel traumatherapeutisch arbeitende Kliniken mit offenem Konzept) werden in die Lage versetzt ihre PatientInnen* so lange und so individuell zu behandeln, wie es sowohl den BehandlerInnen, als auch den PatientInnen effektiv erscheint

[Menschen die zu Opfern von Folter wurden, warten derzeit bis zu 2 Jahre auf einen Therapieplatz in Kliniken unter Umständen weit entfernt von ihrem Wohnort, wo es oft genug weder konzeptionelle noch räumliche noch finanzielle Möglichkeiten gibt, sie in der Verarbeitung ihrer Erlebnisse wie auch der autonomen Gestaltung eines gewaltfreien Lebens zu unterstützen]

6) Traumata und die Behandlung ihrer Folgen für Körper Geist und Seele wird allgemeiner Bestandteil in sowohl der Ausbildung von Menschen, die mit Menschen arbeiten (PsychologInnen/ PsychotherapeutInnen, MedizinerInnen, LehrerInnen, ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen, PflegerInnen, Hebammen, PolizistInnen, JuristInnen) als auch der zivilen Bevölkerung

7) politische Initiativen, Gremien, Vorstände etc. arbeiten zusammen mit Menschenrechtsorganisationen, Überlebenden von Folter/folter ähnlichen Umständen und BehandlerInnen (sowie VertreterInnen oben genannter Berufsstände) um am Problem bestehender Risikofaktoren in geschlossenen Einrichtungen zu arbeiten und Lösungen zu formulieren bzw zu erarbeiten

8) Menschenrechte werden in den Schulunterricht eingebunden
– jedes Mitglied unserer Gesellschaft sollte wissen wann und wo seine Menschenrechte eingeschränkt und/oder verletzt werden und wo er die Wahrung selbiger einfordern bis einklagen kann

 

*Heilung meint in diesem Zusammenhang den von BehandlerIn und behandelten Menschen kongruent benannten Zeitpunkt einer solchen
*Erhaltungstherapie muss als Lebenserhaltende Maßnahme anerkannt werden und entsprechend finanziert

 

 

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Dieser Text darf sowohl über das Internet, als auch in institutionellen Kontexten verbreitet werden, sowohl um eine Diskussion mit dem Ziel der Verhinderung von Folter und folterähnlichen Umständen entstehen zu lassen, als auch bestehende Diskussionen um Opferhilfen, Gewaltprävention und Wege zu einer inklusiven Gesellschaft zu unterstützen.

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vom Macht- “Ja” im “Nein”

aq Ich habe über Protest nachgedacht. Über Nicht- Zustimmung und seine Folgen.
Das Zusammenspiel von Ablehnung und Abgrenzung.

Ich habe dabei an die Verselbstständigungsphasen von Kindern und Jugendlichen gedacht und mir ist aufgefallen, dass es einen scheinbar stillen Satz gibt, der sagt: “Wo ein “Nein” ist muss ein “Ja” sein. (Man muss es nur finden, produzieren, erzwingen, Machtgewicht entsprechend drüber legen)”.

So werden dann Kinder die Treppen hoch getragen, weil das Hochgehen alleine zu viel Zeit in Anspruch nimmt (Macht des Erwachsenen zu definieren, was wie lange dauern kann oder soll oder darf – aus Erwachsenensicht, welche umfassender, erfahrungsreicher, in anderen Sicherungsdynamiken als die des Kindes entsteht vs. Wunsch des Kindes alleine (abgegrenzt vom Erwachsenen) die Treppe hochzugehen, Selbstbestimmung aus einer Sicht heraus, die sich auf Abgrenzungsprozesse und Selbstwahrnehmung bezieht)
und obendrauf kommt die Haltung, die mehr Bestätigung durch Machtposition erfährt: “Du sagst Nein zum Getragen werden – ich sage Ja zum endlich mal nach Hause kommen- das ist ja auch für dich besser/du willst es doch auch/ es ist wichtig/ nötig etc.”

Ich glaube, dass wir als Kinder viele dieser Dynamiken aufnehmen, unhinterfragt (lassen müssen) weitertragen und als Erwachsene in unsere Gesellschaft hinein installieren. Wir werden als Kinder (gerade auch als Kinder in einer Gesellschaft, die aus überwiegend Nichtkindern besteht) immer wieder damit konfrontiert, dass in jedem unserer “Neins”, immer mindestens im Außen ein “Ja” steckt. Und weil wir Menschen eigentlich alles per Gegenstück definieren, beziehen wir die Abwesenheit der Option eines Gegenstücks (bzw. die Anwesenheit beider Stücke nebeneinander) nicht ebenso ein.

Ich sehe darin viele Mitfaktoren für die Begünstigung zur Leugnung von Vergewaltigungskultur ja, irgendwie auch einer allgemeinen Gewaltkultur.
So werde ich als Eine, die radikal alle Dualismen als Gewalt(form) markiert, zur durchgeknallten Spinnerin, die ihre Erfahrungen nicht von der Realität abtrennt/ übertreibt/ Schwachsinn redet- nicht nur, weil ich als titelloses Gewaltopfer auf Hartz 4 und obendrein noch nicht cisgender, nicht heterosexuell und jüdisch; in meinen Neins, aufgrund meiner äußerlich weniger gestärkten Ansichten/Wahrnehmungen/ Überzeugungen, zu einem “Ja mit Sonderzeichen”.
Heißt: Mein “Nein” zu Gewalten wird gehört, aber zu einem “Ja, aber wenn…” verdreht.
So wird mir unterstellt, ich würde dieses oder jenes nicht mehr als Gewalt bezeichnen, wenn ich sie selbst ausüben könnte bzw. würde. Und auch mit diesem “Ja” in meinem “Nein” habe ich dann zu leben, weil es sich zwar um eine Hypothese handelt, durch die Markierung des mächtigeren (da gesicherteren) Menschen zu einem Fakt, der meine gesellschaftliche Position noch wieder eine Stufe weiter runterdrückt.
Dieser Mensch reagiert damit auf etwas, das er als Bedrohung vielleicht sogar Gewalt wahrnahm, weil die Option, dass ich diese Dinge nur so benenne- aber sie als Fakt allein nicht bewerte (also in einen weiteren Dualismus bringe), nicht gleichsam wie die Wahrscheinlichkeit einer Kritik (Nein mit Imperativkonnotation) in ihm war.

Ich habe darüber nachgedacht, dass ich mit meinem Artikel zu meiner Haltung zu Veganismus vor allem eines wollte: Nein sagen, um mich abzugrenzen.
Nicht nur von der Art des Protestes in Form von “etwas lassen”, sondern auch von der Schuld-Ekel-Moraldynamik, die manche VeganerInnen an mich herangetragen haben (bzw. wie ich sie bei PETA und anderen Organisation (nicht nur Tierschützer/retter/rechtlerInnenorganisationen) wahrnehme).
Ich erlebe Veganismus in meinem Umfeld allgemein als “nicht jüdisch”, “weiß”, “privilegiert” (nicht (nur) ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich gesichert zu sein in seiner (christlichen) Moral von Leid und Erbarmen, so wie der Vorstellung des Menschen als Zentrum einer Präsens und Fähigkeit), “passiv aggressiv” und vor allem frei-willig.
Ich feiere alle VeganerInnen, VegetarierInnen und was es sonst noch alles gibt, die von sich sagen: “Ich mach das, weil ich das kann- obwohl (und/ oder, weil) ich auch anders könnte.”.

Es gibt also Aspekte, von denen ich mich abgrenze, weil ich die Übereinstimmungen, die da sind (mein Weiße sein, meine Haltung zu Leid und meine Vorstellung vom nichtohnmächtigen Menschen) nicht kritisch genug betrachtet sehe bzw. nicht ausreichend auf mich übertragen kann.
Ich fühle mich nun einmal nicht freiwillig vegan lebend geworden, wenn mir durch Schockfotos, Menschtiergleichmachung, moralischen Druck, Verbotedruck, Schuld- und Ekelgefühle eine Entscheidung gemacht wird.

Das heißt nicht, dass ich in diesen VeganerInnen schlechte Menschen sehe, ihren Lebensstil ablehne, ihr “Ja” zum Veganismus mit meinem “Nein” füllen und ersetzen will.
Ich gehe aus dem Dualismus raus und sage: Ihr ja – ich nein = wir sind existent

Mir ist in meinen Überlegungen die Parallele zu dem großartig prägnanten Satz von Oprah Winfrey aufgefallen:
“No” is a complete sentence

Unsere Gesellschaft ™ fußt darauf, alles erklären zu müssen und nur mittels Erklärtsein zu gemeinschaftlichem Konsens und darüber wiederum zu Gütern, wie (sozialen) Privilegien durch Sichtbarkeit und damit Gewichtung zu kommen.

Damit wäre dann auch der Trugschluss des “Opferprivilegs” [Hashtag: #survivorprivilege] geklärt- hier geht man(n) davon aus, dass es etwas bringen müsste, ein Opfer zu sein, weil Opfersein erklärt werden kann durch die (im Vergleich so erscheinende) Abwesenheit von Aktivität – ist es nicht erklärbar (beweisbar durch das Gegenstück bzw. Zeugen/Beweise dafür) ist es Erschleichung von Anerkennung durch Erklärung. Ergo das Privileg als Opfer (Unschuldige) anerkannt zu sein. Nicht gesehen wird, dass das “Opferprivileg” allein in der gesellschaftlich notwendigen Anerkennung/Sichtbarkeit/das als (zum) Opfer erklärt sein ist, das anderen nicht gleichsam markierten Opfern nicht vergönnt ist, begründet liegt. Ohne Gesellschaft, die Opferschaft erklärt/begründet/bewiesen haben will, gibt es kein “Opferprivileg”.
Es gilt der gleiche Leitsatz, wie in allen Diskriminierungsdebatten: „Wer diskriminiert ist, hat keine Privilegien.“

Ohne Dynamik von “erklären” und “auf Erklärung reagieren” gibt es keinen (bzw. weniger häufigen) Konsens.
Insofern war mein Artikel zu dem Thema eigentlich dumm in dem Sinne, dass ich mein eigenes Nein, vom Satz zur Erklärung habe werden lassen. Er war aber konform im Sinne dessen, was von der Gesellschaft ™ anerkannt wird, als Mittel, das zu Konsens führt.
Mir erschien es als aktiveres, massiveres Nein, als der Satz, weil dieser nicht zur gleichen Abgrenzung führte.

Ich wollte mich selbst als abgegrenzt von Veganismus erklären, indem ich meine Ablehnung begründete, statt wie sonst im Alltag, mein scheinbar nicht gleichsam gewichtiges “Nein” ohne “Ja” anzubringen.

Am Ende stellt sich heraus, dass eine Gesellschaft ™ bzw. Individuen, die ihr “Nein” ausschließlich bzw. überwiegend im Dualismus erleben (müssen), diesen Dualismus sowohl internalisieren (und in sich selbst ausschließlich Dualismen arbeiten, bzw. die Fähigkeit diese zu suchen, zu finden, zu produzieren… ) als auch nach außen übertragen. Letztlich um sich in der eigenen Wahrnehmung/Sicht/Überzeugung zu bestätigen und darin zu manövrieren.
Was que(e)rschießt, fliegt raus und wird auf dem äußeren Rand gehalten bzw. exkludiert.

So wird meiner Ansicht nach sowohl Vielfältigkeit in sich selbst, als auch außen um sich herum, nicht nur aktiv unterdrückt, sondern auch die Fähigkeit dazu Vielfältigkeit wahrzunehmen und anzuerkennen, ohne sofort in Handlungs/Bewertungs/Gewaltdynamiken zu geraten.

In diesen Kontext kann das “Nicht alle [… beliebige Gruppe einfügen…] Syndrom” in Diskriminierungsdebatten ebenfalls als ein Versuch zu mehr Vielfalt im Diskurs betrachtet werden, würde es nicht immer wieder zu Zwecken der Gewaltausübung im Sinne einer Unterdrückungsgeste aus Dualismen heraus auftreten.

So ist als vorläufiger Schluss in Bezug auf Abgrenzungsbemühungen und Protestgesten, wiederholt klar geworden, dass unsere Gesellschaft ™ nicht nur auf Dualismen basiert, sondern auch auf ihrer Sicherung durch Unterdrückung von Vielfalt und Neutralität.

Mir ist klar geworden, dass Oprahs Satz erst gelten kann, wenn “Nein” immer und überall, in Bezug auf alles und jeden auch komplett frei von “Ja” sein kann und darf.
Was das für mich selbst bedeutet, weiß ich noch nicht.
Doch ganz sicher erscheint mir meine innere mal mehr und mal weniger diffuse Viel_heit, als ein Weg heraus aus genau den Dualismen, die sie mir produziert haben.
Auch wenn das bedeutet, diesen allein gehen zu müssen.

das Opferetikett

wildeRose2 Wie eine Sandburg in der Brandung, lösten sich meine Beine auf.
Bis ich fiel und alle Scherben in mir über den Boden des Wartezimmers klirren hörte.

Wir hatten eine Therapiestunde, die mir aus den Händen geglitten ist, nach einem Tag, der mir am Denken vorbeigerutscht war, nach Wochen, die mich nur als Zaungast neben sich hatten.
Während es in mir schreit, kämpft, sich hartkrampft und ziellos durch den Schmerz hindurch vorwärts beißt, taumle ich durch die Gedankenschlösser, die auf dem brennenden Fundament eines fremden Maßstabes stehen.

Was mir begegnet, was mir ablehnend konnotiert begegnet, ist der Komplex einer Opferidentität. Wenn jemand sagt: “Ich bin ein Opfer”, passiert ein Schritt zurück. Ein Blick, der Wunden, Male, Zerstörungen sucht, um sich zu vergewissern.
Abzusichern und nicht einmal, kein einziges Mal zu fragen, ob dieser Blick überhaupt in Ordnung ist.
Dieser Blick kommt nicht aus einem Kopf heraus, der sich fragt, was er dort eigentlich sieht und warum. Mit welchem Recht.
Dieser Blick fragt nicht, ob er als Verletzung, als erneute Demütigung wahrgenommen wird.

Mir wird bewusst, was für mich das Problem in OEG und Strafanzeige nach Gewalt, nach sexualisierter Gewalt, in der Kindheit ist.
Es ist der fremd wertende Blick, der mich nicht nur streift, sondern durchbohrt. Mein Sein, mein Mich, mein Da, mein Früher und Heute auf einen Objektträger klatschen lässt und in feinsten Scheiben seziert, be-verurteilt, in Paragraphensoße ertränkt und mit einem guten Wein aus rape culture darreicht.
Ohne eine Wimper zum Zucken zu haben.

Ich werde nicht gefragt.
Und wenn doch, dann hängt an den Äußerungen anderer Menschen, auch denen der TäterInnen, ob wahr –scheinlich- ist, was ich sage.

Selbst die Verjährungsfrist durchbreche nicht ich, sondern die Vorladung der TäterInnen.
Nicht einmal das wird mir zugestanden.
Und ja, ich habe es als mein Vorrecht betrachtet, dass ich selbst in der Hand habe, ob das, was die Justiz als strafbare Handlung betrachtet, verjährt oder nicht (innerhalb des festgesetzten Zeitraumes). Schließlich wird ja auch die ganze Zeit an mich herangetragen, Gewalt anzuzeigen und sichtbar zu machen. Nicht an die TäterInnen.
Wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass es irgendeinen echten Raum für Selbstbestimmung unter dem Schirm der opferbezüglichen Komplexe gibt?

Vielleicht hat es etwas mit dem sympathischen “Ich bin kein Opfer”- Gebaren zu tun, das immer wieder aus mir heraus kommt, sobald mir andere Menschen meine Kompetenzen und Rechte aufgrund der Gewaltfolgen absprechen wollen.
Die Etiketten “wehrhafter/resilienter/stolzer Grundcharakter”; “KämpferIn*”; “starke Persönlichkeit” machen gegen das schmerzhafte Bohren dieses einen speziellen Blickes immun.
Wenn ich das auf meine Stirn klebe und tue, was ich sonst auch tue, werde ich auf Ebenen unterstützt und gestärkt, die zwar in der Regel unfassbar weit an meiner Erwartung und Hoffnung vorbei gehen, aber mich einer Mehrsamkeit und damit Sicherheit versichern, die ich anders gar nicht oder tendenziell eher erneut in ungleichen Machtdynamiken eingebunden erhalte.

Das heißt, dass alles, was ein zum Opfer gewordener Mensch tatsächlich selbst bestimmen kann, ist, sich als ein solches zu erkennen zu geben oder nicht.
Alle Konsequenzen, alle Gewalten, die aufgrund dessen mit und an ihm passieren, hat er zu ertragen.
In Bezug auf das OEG nehme ich diesen Umstand als besonders infam wahr.

Denn ja: ich fühle mich dazu gezwungen einen Antrag zu stellen und mich damit als Opfer von Gewalt auf eine Weise sichtbar zu machen, die ich weder selbst bestimmen, noch beeinflussen kann- mit den Konsequenzen, die sich unter Anderem aus inexistentem Opferschutz, und anderen Leistungen zu meiner Unterstützung ergeben, hingegen wiederum unsichtbar zu bleiben.
Ich fühle mich gezwungen, weil es das einzige Mittel ist, meine Lebensrealität innerhalb des Systems, das für diese mitverantwortlich ist, sichtbar zu machen.
Natürlich könnte ich auch anfangen meine Krankenkasse zu verklagen, aber die Krankenkasse hat nicht im Schutz vor Gewalt versagt, wie der Staat.

Ich habe mich nie als Opfer betrachtet.
Jetzt fange ich damit an und spüre bereits, wie mir Boden und Beine unter all meinen kleinen und großen, zitternden und kämpfenden, frierenden und schmerzerfüllt weinenden Herzen wegrutschen- während mich der Lauf der Dinge unbeirrt an einer Schlinge um den Hals weiter hinter sich her zieht.

Es ist tröstlich, dass die Welt nicht stehen bleibt, weil ich das Etikett des Opfers neben all die eigenen hänge.
Es ist aber auch eine weitere Erfahrung, die mich in ein Gefühl der Machtlosigkeit bringt, weil sie keinen Effekt über mein klitzekleines Dasein hinaus hat. Wieder verortet sich alles in und an mir allein- nicht an den TäterInnen, nicht an dem System, nicht an unserer Kultur, nicht an G’tt.
Wieder bin ich mit etwas, auf diese eine ganz spezifische Art, die nur Gewalt produziert, allein.

In einem Moment des weißen Rauschens, da auf dem Boden des Wartezimmers gestern, schwamm dieser Satz des “Es ist vorbei” durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, an irgendeinen Menschen ein “Ja, aber…” zu richten.
Diesen  Punkt des Wiedererlebens, den Gewalt, die an die Schwelle zum physischen, psychischen und geistigen Tod treibt, den erlebt man so allein, dass die Lüge des “es ist vorbei” von sonst niemandem gesehen wird.
Jedes “Ja, aber…” provoziert den Blick, die Abwehr, die Einsamkeit auf allen Ebenen.

 

Ich muss anerkennen, dass ich versuchte das Falsche zu wollen.
Anerkennen, dass “nichts bis wenig”, noch das Beste ist, was ich an “gut” zu erwarten habe.

Dass es für mich eben doch nie vorbei sein wird, nur weil es mir jemand sagt, der mit mir ist.

stell dir vor…

xy-bild

 

du hättest deinen Tod überlebt
dein Leben ermordet
dein Sein geboren

Bist in der einen Welt Opfertäter,
in der anderen Täteropfer

einfach so
weil du bist, wie du bist
weil du bist