die andere Seite

Die eine Seite von Trauma ist leicht erkennbar. Nachvollziehbar. Da ist Schmerz, Blut, Tränen und Spucke. Da ist es laut und viel.
Die andere Seite ist einfach nicht.
Sie stehen sich nicht gegenüber, ergänzen einander aber auch nicht zwingend.

Manchmal denke ich, ich könnte alles, was gerade ist, auf ein großes Blatt malen. Wie eine Landkarte oder eines dieser Riesengemälde im Louvre. Doch dann gerate ich in Zustände, die einfach nichts sind. Weil ich nichts und niemand mehr bin. Oder – genauer gesagt – mir in nichts über mich sicher fühle. Und es mir gleichermaßen egal, wie zutiefst Angst machend ist.

Es ist sehr lange her, dass ich mich so grundlegend im Konflikt an so vielen Stellen im Leben fühle. Da sind Freund_innen, die mich massiv überfordern, nerven, verletzen, ärgern – zu denen ich aber nie zuvor solche Gefühle und Gedanken hatte. Da sind Ansprüche an mich selbst nicht mehr nur bloße Ideen, sondern so massiv in mich hineingepresster Druck, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes funktionsunfähig werde. Selbstbilder, die giddelig und staubig im Müll landen würden, wären sie echte Porträts, kleben jetzt untrennbar auf der Netzhaut meiner inneren Augen.
Immer wieder fühle ich mich so ohnmächtig und hilflos, weil ich nicht mehr unterscheiden kann, was reaktiver Traumashit ist und was hier-heute-jetzt-real, berechtigt und stabil verlässlich ist.

Das ist, was ich immer vermeide. Exakt dieses Momentum von Selbstverlust und Ohnmacht vor dem, was diese so viel weniger offensichtliche Seite des Traumas auslöst.
Das ist, was emotionale bzw. psychische Gewalt mit sich bringt. Man weiß einfach nicht mehr, was stimmt. Egal, wie viel man worüber weiß. Man hat keine Möglichkeit noch irgendwo Sicherheiten für sich zu generieren – außer in der Isolation. Der Abtrennung. Dem Nachgeben in dem, was Gewalt letztlich immer von einem Menschen will: Distanz, Vereinzelung, Fragmentierung, Vernichtung.

Ich kann diese Energie in mir zuordnen und weiß, dass es sich um Täter_innenintrojekte handelt. Weiß, dass die Gefühle, die mich immer wieder überschwemmen, von täterloyalen und traumanahen Anteilen kommen. Doch mein Wissen darum ist momentan nichts weiter als Treibgut, an dem ich mich so lange festhalten kann, bis es mir wieder aus der Hand geschleudert wird und an Relevanz verliert. Die Intellektualisierung solcher Zustände kann mir nur solange Sicherheit geben, wie ich keine andere Funktion ausführen muss.

Vielesein stellen sich manche an der Stelle so eindeutig vor. Hier sind die Bösen, da sind die Belasteten und da vorne ist Hannah, die muss jetzt nur hinkriegen, das zu kapieren und naja, dann wird das schon.
Tatsächlich ist aber eher so, dass Hier, Da und Vorne keine Bedeutung mehr haben. Die Bösen nichts kapieren, die Belasteten nicht mal einen Begriff von Zeit haben und Hannah sich maßlos erbärmlich und dämlich vorkommt, weil diesen Zustand zu beschreiben lediglich eine abstrakte Zeug_innenschaft nach Außen produziert – aber keine Entlastung, Befreiung, Veränderung auslöst.

Ich will dennoch nicht, nichts gesagt haben. Ich will nicht spurlos in diesem Wust verschwinden. Will nicht annehmen, dass ich hätte mehr anders besser sein werden machen können. Weder jetzt noch später. Ich habe nur noch diesen Willen als ich-kongruentes Erleben. Diese 5 % von mir sind die 100 %, die ich geben kann. Das will ich nicht vergessen.
Es gab schon so viele andere Phasen, in denen das gereicht hat. Manchmal weil es reichen musste, manchmal, weil es mehr nicht brauchte. Es gibt auch von diesen Phasen eine andere Seite.

Autismus von Trauma unterscheiden

Die Thematik kommt an. Die Frage wird häufiger gestellt.
Neue Literatur wird veröffentlicht. Zuletzt ist das Buch „Autismus, Trauma und Bewältigung, Grundlagen für die psychotherapeutische Praxis“ von Brit Wilczeck dazu erschienen. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen, da es ein umfassendes 101 zu Autismus, zu Trauma und Fragen der Therapie bietet.
Für mein eigenes Buch „Worum es geht, Autismus, Trauma und Gewalt“, hätte ich das Buch gern gelesen, denn meiner Ansicht nach sind es neben persönlich falscher Motivation von Behandler_innen auch unhinterfragte Multimythen und falsche Vorstellungen von Autismus, die eine Unterscheidung bei vorliegender dissoziativer Identitätsstruktur (DIS) schwer machen.

Menschen mit DIS wird häufig eine ähnliche Individualität wie autistischen Menschen nachgesagt. Viele Betroffene fordern deshalb sogar ein, nicht mit anderen Vielen verglichen zu werden.
Für mich ergibt sich daraus ein Momentum, in dem Sachstände zu Wahrnehmungen verklärt werden. So kann keine eindeutige Position mehr eingenommen werden und jeglicher Abgleich wird unmöglich. So auch in der Frage: Was ist die DIS und was der Autismus?

Die Herausforderung der Unterscheidung von DIS und Autismus liegt meiner Meinung nach darin, diesen Abgleich, die Diagnostik, mit angemessenem Mittel und einer grundlegenden Reflexion persönlicher Annahmen vorzunehmen.

Es gibt viele Aspekte im Leben mit DIS, die ich meinem Leben mit komplexer posttraumatischer Belastungsstörung (kPTBS) zuordne. Denn nur im Zusammenhang damit wird meine dissoziative Symptomatik überhaupt sichtbar, nachvollziehbar und letztlich auch therapierbar.
Die DIS ist eine Anpassungsleistung, eine Kompensationsstrategie. Sie ist eine messbare Reaktion – keine Grundlage, auf deren Basis allerlei Empfinden und Verhalten passiert. Die gesamte „Krankheitsmechanik“ hat mit Stressverarbeitung und -kompensation zu tun. Es hat sich für mich nie als hilfreich herausgestellt, das Konzept von Persönlichkeits- oder Verhaltensstörungen anzulegen, um die DIS zu verstehen oder zu behandeln.

In Bezug auf meinen Autismus hingegen ist das Konzept einer Kompensationsstrategie unzureichend. Autismus ist keine Anpassungsleistung, sondern eine neurobiologische Grundlage. Die meisten Symptome sind im Kontakt und im Vergleich mit nicht autistischen Menschen sicht- und messbar. Das, was meinen Autismus zur Störung bzw. Belastung macht ist, dass ich ihn immer aktiv kompensieren, verstecken und unter Umständen erklären muss, um in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.

Jemand, die_r aufgrund von falschen Vorstellungen glaubt, alle Menschen mit DIS und alle Menschen mit Autismus seien unvergleichbar verschieden, kann die Unterscheidung nicht korrekt vornehmen. Die Datengrundlage ist einfach nicht verlässlich. Jedes Ergebnis kann alles und nichts bedeuten. Jeder Hinweis kann alles und nichts bedeuten. Eine sichere Einschätzung und ein sicheres Ergebnis sind so nicht zu erwarten und in der Folge nichts wert. Die Individualisierungsfalle ist zugeschnappt. Keine Therapiemethode ist zweifelsfrei anwendbar, Medikation ohnehin nicht. Klinikbehandlungen werden undenkbar und die Frage, ob bestehender Leidensdruck überhaupt je gelindert oder behoben werden kann, bleibt immer bestehen.

In Bezug auf die Behandlung von Menschen mit DIS habe ich diese Falle schon oft zugehen sehen. Immer entstanden daraus re-traumatisierende (weil gewaltvolle) Beziehungserfahrungen mit Behandler_innen. Denn diese Unsicherheit betrifft nicht nur die Klient_innen, die sich oftmals bereits wegen ihrer Gewalterfahrungen und der davon bedingten Einsamkeit als one of a kind fühlen und in diesem Gefühl bestärkt werden, wenn sie erfahren, dass ihre Diagnose „umstritten“ oder selten oder besonders speziell sei, und/oder sie deshalb keine Behandlung oder sonstige Hilfestellung erhalten. Auch Behandler_innen haben nicht immer einen Umgang mit Unsicherheit, der ihren Patient_innen nicht schadet. Ich habe schon Therapeut_innen getroffen, die sich für allein verantwortlich gefühlt haben, Patient_innen zu behandeln, die „durch alle Raster rutschen (weil sie so individuell anders krank sind als alle anderen)“ oder weil „das Krankheitsbild ja so umstritten ist, dass man damit eigentlich nirgendwo ankommen kann (in Supervision, Fortbildung, Kliniken etc.).“
Besonders tragisch ist es, wenn es sich initial sogar um eine Fehldiagnose handelt.

Aufgrund von Annahmen wie: „Autismus ist extrem selten.“, „Autismus betrifft Jungen häufiger als Mädchen.“, „Autismus ist offensichtlich.“, „Autist_innen sind in sich gefangen/unfähig zur Kommunikation.“, wurde ich erst mit 30 als autistisch erkannt. Das Glück zur Diagnostik an jemanden geraten zu sein, der seine Verantwortung in Bezug auf sein nötiges Fachwissen so ernst genommen hat, ist unermesslich. Es war eine der wenigen Diagnostiken in meinem Leben, bei der ich das Gefühl hatte, jemand würde sich die Mühe machen, meine Persönlichkeitsstruktur, mein Verhalten und meine Schwierigkeiten mit den meisten anderen Menschen abzugleichen. – Und nicht nur mit denen, bei denen der Vergleich (aufgrund verschiedener Vorannahmen) angemessen erscheint.
Zudem war hilfreich, es mit jemandem zu tun gehabt zu haben, für den die DIS keine soziale Aussage hatte. Der also nicht dachte: „Ui – exotisch“ oder „Wow – Satanisten“ oder „[insert völlig schräges Medienprodukt, in dem Vielesein der Gag oder Grusel ist]“

In meinem Leben und in meiner therapeutischen Behandlung war die Unterscheidung von Traumafolgen und Autismus ausschließlich für die saubere Diagnostik wichtig.
Ich habe ein Er_Leben, das von diversen schwerwiegenden und komplexen inneren Konflikten flankiert und ohne gewisse Formen der Unterstützung bei der Einordnung, Verarbeitung und Integration nicht zu ertragen ist.
Geholfen haben mir immer die Therapeut_innen, welche die sozialen Implikationen der DIS meiner konkreten Lebensrealität nachrangig und ihre Vorurteile über Autismus wirklich gründlich als solche aufgearbeitet haben bzw. immer wieder mit Fachwissen konfrontieren. Und zwar nicht für mich oder meinetwegen, sondern weil das zur Grundlage der Behandlung gehört. Weil sie es gut und richtig machen wollen – und nicht weil sie richtig Recht haben wollen.

die Fragen und die Antworten

„When I thought I know the answers, they changed the questions.“ Das stand auf einer Karte, die mir eine Therapeutin geschenkt hat. Da war ich fast 18 und hatte außer der Nische im Doppelzimmer der Ballerburg keinerlei Bezugspunkte. Ich reagierte beliebig, verstand nicht, wieso sie diese Karte angemessen fand, wusste nicht, was sie mir damit sagen will. War mir allerdings sehr sicher darüber, dass sie mich weder aufheiterte noch bei etwas half. In dem Zusammenhang war die Karte vielleicht eine Manifestation dessen, was dieser therapeutische Kontakt letztlich war: Unnütz, zynisch, pseudo-nah.

Neulich dachte ich wieder an die Karte.
Es gab eine außerordentlich großzügige Spende für „Viele Leben“, meine Podcastinterviewreihe, in der ich mit Vielen spreche, die ein besonderes Thema haben. Weil ich für meine Arbeit daran bezahlt werden möchte, produziere ich immer erst dann eine Ausgabe, wenn sie finanziert ist. Die Interviews mache ich, wenn ich kann. Ich bin sehr frei in dieser Arbeit und froh, dass weder Zeitdruck noch die Ansprüche Dritter definierende Größen sind.
Doch ich denke auch über Sympathie nach und darüber, ob es nicht besser für das Projekt wäre, würde ich einfach nur im Hintergrund rummachen und jemand anderes stellt es nach außen dar. Oder wenn ich statt eines Podcasts ein Buch daraus mache. Oder wenn ich es ganz lasse.

Ich dachte an diese dusslige Karte, weil mir auffiel, dass ich selbst die Fragen ändere, sobald ich Antworten habe. Und schlimmer noch: Wenn es die richtigen Antworten sind.

In meiner inneren Traumalogik kann es nicht sein, dass ich etwas richtig mache. Oder wenigstens prinzipiell richtig. Sobald ich etwas mache und nichts Schlimmes passiert, stimmt was nicht. Und wenn mir nicht selbst auffällt, was nicht stimmt, dann fange ich an danach zu suchen. Und immer immer immer finde ich mich selber. Ich stimme nicht. Ich bin der Fehler in dem Ganzen. Nicht [beliebiges Attribut einfügen] genug. Nie. Punktum.

Dinge machen, ist gruselig.
Ich weiß das und mache sie in der Regel trotzdem. Manche Menschen finden das gut, den meisten ist es egal. Es ist für mich selbst ein riesen Ding, denn es gibt dieses „trotzdem“. Ich mache die Dinge nicht einfach, sondern mache sie trotzdem. So sind es immer zwei Dinge, die ich da mache.
Wenn man etwas trotzdem macht, dann muss man die ganze Zeit gleichzeitig gegen die eigene Vermeidung, den eigenen Selbsterhaltungstrieb ankämpfen. Man muss ihn niederdrücken, weil man sonst keine Dinge machen kann. Wenn mir das leicht fällt, bedeutet es in meinem Fall immer, dass ich umfassend dissoziiere, während ich es mache. Ich mache die Dinge wie und als jemand, die_r dieses „trotzdem“ nicht mitmacht. Ich mache meine Anstrengungen als Einsmensch für mich selbst unsichtbar, unspürbar, pseudo-weg. Wann immer etwas unsichtbar wird, verliert es Relevanz. Bietet keinen Anlass mehr beachtet und geprüft zu werden. Ich vernachlässige also etwas, das eigentlich von großer Relevanz für mein Überleben ist und das ist dann doch einigermaßen ungünstig. Also, wenn man leben möchte.

„Viele Leben“ habe ich angefangen, weil ich die Realitätsbezüge in der Außendarstellung von Menschen, die sich als Viele erleben, vermisse. Meine Frage ist: „Welche Leben(sthemen) haben Menschen mit (p)DIS?“
und nicht „Wie sollten die Lebensthemen von Menschen mit (p)DIS rübergebracht werden?“. Ich hatte mir sogar eine Antwort dazu überlegt, warum ich mich auf die Inhalte konzentriere und weniger auf die massengerechte Darreichung. – Ich bin einfach kein super sympathisches Massenmäuschen. Ich bin ein Sachstandsmonolith – und das ist okay so.
Ich hatte also nicht nur Antworten auf meine eigenen Fragen, sondern auch noch Antworten, die anerkennend und wertschätzend mir selbst gegenüber waren.

Da arbeite ich mich jetzt wieder hin.
Und im September gibts die 4. Ausgabe „Viele Leben“.

gute Chancen auf Zahnshit

Vielleicht ist es ein Zahn. Unbemerkt verstorben in meinem Mund, entzündet meinen Gesichtsnerv reizend. Totenruhe neu interpretiert. Lang wirke das Modernde.

Gegen 1 kann ich es nicht mehr aushalten. Mein Nerv ist ruhig, der Zahn nicht. Mir ist schwindelig vom Schmerzmittel, es ist Montagnacht, mein Inneres summt. Am Sonntagmorgen hatte ich meine Sachen schon gepackt. Mein Magen, mein Bauch, mein Kopf, mein Gesicht, alles tat weh. Und dann nicht mehr so stark. Wir fuhren nicht ins Krankenhaus, sondern tranken lauwarmen Kamillentee zu zimmerwarmem Haferbrei. Schauten einen Film von 1985 und schliefen mitten am Tag 6 Stunden durch.
Die Wahrscheinlichkeit am Wochenende an einen Bereitschaftsarzt zu geraten, der die Gesamtlage falsch einschätzt, erschien zu groß. Mein Partner, dessen heftiges Bluthusten aus der kranken Lunge, initial für „aus dem Mund kommend“ gehalten wurde und ich, die_r bei egal welchem Notfall auch immer eine Psychodiagnose mit auf dem Zettel stehen hat, haben damit so unsere Erfahrungen. Und es ging gut.
Bis 1 Uhr morgens.

Ich begann nach dem zahnärztlichen Notdienst zu suchen. Ging runter, um meinen Partner zu wecken. Der war noch wach und schnell genauso verwirrt wie ich. Denn so einfach ist das mit der notfallmäßigen Versorgung mitten in der Nacht nicht. Schon gar nicht für Zähne, das offenbar allgemein zu vernachlässigende Spezialorgan des menschlichen Körpers. So kam es, dass wir um dreiviertel 2 vor einer dunklen Praxis standen und lernten, dass der Notdienst, der von Samstag um 8 Uhr bis Montag 8 Uhr zuständig war, in Wahrheit nur am Samstag von 10 bis 12 Uhr Patient_innen behandelte. Wie auch die Praxis, die für die Stadt Notdienst hatte.
Wir lernten außerdem, dass „Zähne nachts immer schwierig ist“. Und dass uns die 116 117 nur bestätigen konnte, dass eine Vorstellung beim Arzt dringlich angeraten sei – aber niemanden in ganz Niedersachsen vermitteln konnte.

Knapp – ganz ganz knapp – wirklich um Haaresbreite – entging ich einer wutbürgerlichen Empörungsentladung. Mein Partner blieb ruhig, konnte nicht glauben, dass das jetzt wirklich nicht zu lösen sei. Er googelte für Bremen, ich dachte an die anstehende Krankenhausreform, die die Versorgung von kranken Menschen verbessern soll, indem weniger Versorgungsangebot gemacht wird. Dann googelte er für Nordrheinwestfalen und ich nach dem Gefahrenpotenzial von dem Medikamentenmix, den ich bis zum nächsten Morgen noch einnehmen könnte.
Ich entschied, dass ich eine akute Magenruptur schon rechtzeitig mitkriegen und Ohnmachten, Leber- und Nierenüberbelastung überleben würde. Wir fuhren also nach Hause, um die nächsten 3 Stunden, bis wir uns auf den Weg zu meiner Zahnärztin machen könnten, zu überstehen.

Tatsächlich bin ich eingeschlafen. Ein Bett mit verstellbarem Kopfteil – Gold.
Als ich den Lattenrost damals gekauft habe, hatte ich an Schmerztage gedacht, an denen ich vom Bett aus arbeiten muss – nicht an Erstickungsängste und die Notwendigkeit, nicht so viel Blutdruck auf meine Zähne auszuüben. Trotzdem – gut, dass ich ihn habe. Er hat auch in dieser Situation sehr geholfen.

5 Uhr morgens fuhren wir los. Um 7 öffnet die Praxis. 120 km Hoppellandstraße, Bundesstraße, Autobahn. Erst im Dunklen, dann im Dunkelblauen, bald im Hellgrauen, besprenkelt mit immer mehr Beleuchtungspunkten. Ich strenge mich an, mit meinem Partner zu sprechen. Er soll nicht müde werden, sich gut mit mir fühlen. Ich möchte, dass er merkt, dass er das nicht wirklich umsonst macht, obwohl er es nicht-autistisch betrachtet, komplett umsonst macht. Denn natürlich hätten wir auch bis um 7 schlafen und dann wieder zu der Dorfpraxis fahren können, die wir in 10 Minuten mit dem Auto erreichen. Aber um 7 Uhr morgens hat auch meine Zahnärztin auf. Die weiß, dass ich eine konkrete Ansprache brauche, wenn ich Schmerzen habe, übernächtigt bin und Medikamente intus habe. Die weiß, dass sie mir schon mit Kleinigkeiten sofort Todesangst macht, die ganz real sind, in meinem Körper wirken und die Behandlung traumatisch werden lassen kann. Die weiß, dass ich bei ihr bin, weil ihre Behandlung in meinen Abwägungen darüber, was der effizienteste und am wenigsten belastende Weg ist, das Problem, das Unwohlsein, die Krankheit anzugehen.

Abwägungen wie diese sind vor allem in dem Umfang für nicht-autistische, nicht traumatisierte, nicht chronisch kranke Menschen oft nicht 1 zu 1 nachvollziehbar. Und ich habe das internalisiert. Meine Grundannahme in solchen Situationen ist bis heute: Ich stelle mich an, mache mich besonders, ich mache unnötige Umstände, ich überstrapaziere die Güte anderer Menschen, ich muss entsprechend ganz besonders dankbar, lieb, demütig sein. Alles organisieren, alles fürs Wohlbefinden derer tun, die mir helfen. Das ist das Mindeste und in Wahrheit – ganz unter uns – nicht im Ansatz genug.
Und diese Grundannahme ist generell. Betrifft also auch meinen Partner, meine Freund_innen, meine Therapeutin – alle. Immer. Und weil ich weiß, dass manche von ihnen davon verletzt sind, weil sie ja aus ihrer Sicht immer nur Gutes für mich wollen und vielleicht auch nie (bewusst) so über mich gedacht haben, habe ich auch ein schlechtes Gewissen darüber. Und weiß gleichzeitig doch sehr sicher: Diese Grundannahme ist so wenig falsch wie richtig.
Leider. Es ist einfach verflixt mit mir, meiner komischen Merkwürdigkeit m Autismus und dieser Traumasache. Das Generelle sitzt nie da, wo die stets Generalisierenden es erwarten und das Konkrete bestimmt das Konkretisierende, nämlich mich. Schwierig schwierig.

Zum Glück habe ich schon viele selbstbestimmte Entscheidungen treffen und absichern können.
Meine Freundin K. teilt Räume ihres Wohnraums mit mir, wenn ich in der Stadt bin. So kann ich sie an Therapietagen besuchen, bei ihr arbeiten und übernachten, wenn ich für die Arbeit noch weiter wegfahren muss. Und wir, mein Partner und ich können bei ihr auf ein Bett fallen, wenn wir um 7 Uhr morgens nach 2 Stunden Fahrt erfahren, dass wir erst um 11 in die Praxis können.
Nicht aufzuwiegen dieses doppelte eternal Glücksgold in life.

Der Termin selbst bringt nur einen Verdacht, noch keine ganz feste Sicherheit darüber, was den Nerv initial gereizt hat. Aber die Chancen stehen gut auf Zahnshit.
Mir wäre das ganz lieb, denn ich habe prinzipiell lieber lösbare Probleme bekannter Größe, als kompliziert bis unlösbare Probleme unbekannter Größe.
Nun beginnen wir also eine Antibiose und haben das Ziehen der Nervleiche im Zahn geplant.
Derweil betrachte ich im Stillen den Spaten, mit dem ich auch diesen Zyklus für meine Erschwangerung begraben muss und versuche meine Enttäuschung mit Rationalisierung zu lindern. Es soll einfach auch diesmal nicht sein. Irgendwas Gutes findet sich schon noch daran. Irgendwie. Bald. Hoffentlich.
Das wär schön.

die Bewerbung

Spät am Abend sitze ich am Computer und schreibe eine Bewerbung. Kein neuer Job. Ein Assistenzhund.
Nun also doch. Vielleicht. Wenn.
Und wenn.

Es sind klassische Hundevermittlungsfragen, die der Verein stellt. Wer, wie, wo? Was sind die Wünsche und Hoffnungen in Bezug auf das Tier? Und die Frage, wie meine Krankheit denn aussieht.
Es wühlt mich auf. Macht mich unsicher.
Ich schreibe auf wie ich wohne und das Bewusstsein um meinen Platzreichtum umspült mich mit Scham. Es geht mir so gut und ich will noch mehr. Meine Lebensumstände sind so stabil, so gesichert und gestützt und was will ich: etwas anderes.

Meine Krankheit ist chronisch, deshalb begreife ich sie als Behinderung.
Meine Traumafolgestörung ergibt sich aus psychischen wie physischen Anpassungen an für mich ungünstige Lebensumstände. Wieder spüre ich Scham und wie viel Anstrengung es mich kostet, trotzdem weiterzuschreiben. Ich weiß inzwischen sehr sicher, dass meine Symptomatik nicht unüberwindbar sein muss, um als solche anerkannt zu werden. Weiß, dass ich, um als Mensch mit Behinderung verstanden und anerkannt zu werden, nicht in Asche und Ohnmacht leben muss. Es darf mir gut gehen. Ich darf gut eingepackt in Fürsorge, Unterstützung und Freiheiten leben und gleichzeitig anerkennen, dass es Punkte gibt, die davon für mich ganz persönlich einfach nicht berührt sind.
Aber diese Punkte sind mir peinlich. Sie berühren Aspekte meines Seins und Erlebens, die schon mein ganzes Leben eine Rolle spielen und konstant Teil der konflikthaften Interaktion mit anderen Menschen sind.
Seit ein paar Wochen spulen sich diese Erfahrungen in einer ständigen Wiederholung in mir ab. Egal, was ich mache, ich nehme die innere Abwertung wahr und den Druck, den sie aufbaut. Nach 15 Jahren, in denen ich mich über meinen Hund daraus orientieren, versichern und beruhigen konnte, baut sich der Strudel wieder auf und ich gerate in die gleichen kommunikativen Momente der Ohnmacht und Starre wie vorher. Es kostet unfassbar viel Kraft, trotzdem weiterzumachen. Mich trotzdem zu ver- und umsorgen. Mich trotzdem zu behandeln, als wäre ich es wert. Mit anderen Menschen zu sprechen, als wäre ich es wert. Mir etwas vorzunehmen und zu versuchen, als sei es nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, bescheuert, abstoßend oder unsinnig, gerade, weil ich es tue. Mich nach Misserfolgen oder Fehlern nicht massiv zu verletzen oder meinen Suizid als unausweichlich notwendig einzuschätzen.

Ich weiß, was da los ist. Weiß, dass ich das in der Therapie zum Thema machen muss.
Es ist in dieser Lage keine Lösung, einen Assistenzhund zu haben. Aber ein Umgang. Ein anderer als Selbstverletzung, Vermeidung oder ein mentaler Zehnkampf jeden Tag, an dem es keine Momente der Regulierung, keine Augenblicke allgemeiner Okayheit gibt. Es ist ein Umgang, der mir in den letzten Jahren ermöglicht hat, hier herzukommen. In eine stabile fürsorgliche Partner_innenschaft, in eine Arbeitsstelle, die mich fördert und auf mein autistisches Erleben zugeschnitten ist. In ein therapeutisches Momentum, in dem für mich real annehmbar ist, dass ich an den Dingen arbeiten kann, die mich belasten. In eine Situation, in der ein Assistenzhund nicht nur gut arbeiten, sondern auch gut leben kann.

Diese Bewerbung ist nur ein erster Schritt für ein erstes Gespräch.
Dieses Mal habe ich nicht die Zeit für eine Selbstausbildung. Und dieses Mal möchte ich einen Hund, der weniger reizoffen ist, als Sookie es war. Ich brauche jetzt keinen Hund mehr, um zu lernen, wann Umstände wirklich aufregend und möglicherweise überfordernd sind. Heute brauche ich einen Hund, der mich in meinem Bedürfnis nach Beruhigung und Versicherung unterstützt. Ich denke also über eine andere Rasse nach und eine entsprechende Zucht.
Das ganze Vorhaben wird eine Zeit dauern. Jemand anderes wird die Ausbildung für mich übernehmen und ich die süßeste und härteste Zeit mit diesem Hund nicht miterleben.
Ich muss mir noch genau überlegen, ob ich das wirklich so möchte oder als etwas akzeptiere, das anders einfach nicht geht.

Aber nichts machen, weil ich unsicher bin, ist genau das, was ich jetzt nicht machen will.
Gerade jetzt ist es wichtig, mir keine Traumawahrheiten zu bestätigen.

ein Datum von vielen

Eigentlich hilft es mir nicht, andere von ihren Erfahrungen sexualisierter Gewalt sprechen zu hören. Meine erste Reaktion ist nie das erleichterte Aufatmen, das dem Gefühl nicht allein zu sein folgt. Im Gegenteil. Ich erstarre, wenn ich mir bewusst mache, wie sehr ich nicht allein bin. Wie sehr ich nicht sicher bin – andere sind es schließlich auch nicht. Nie.
Meine Themen werden nie kleiner, nur weil andere die gleichen haben. Vielmehr wächst es zu einem Riesenproblem, das die ganze Welt angeht, interessieren und zur Lösung motivieren sollte. Mein Gefühl, der Welt und ihrem Geschehen egal zu sein, verstärkt sich dadurch, dass einfach keine Lösung in Sicht ist.
Manchmal finde ich das dann allerdings entlastend. Wenn nicht nur ich egal bin, sondern auch noch viele andere – und damit vielleicht sogar alles, was mir wichtig ist – dann braucht mir ja gar nichts mehr wichtig zu sein.

Als ich am Montag in der Kinderwunschpraxis saß, spürte ich diesem Gedanken nach.
Ich überlegte, wie wichtig mir meine Scham im Moment ist. Wie wichtig wäre jetzt, wenn ich da reingehe – in diesen Behandlungsapparat, zu einer neuen Ärztin, der ich vorher schon gesagt hätte, dass ich schwere Gewalterfahrungen gemacht habe –, dass mein Körper so ist, wie der von tausenden anderen verletzten, misshandelten, vergewaltigten, ausgebeuteten Menschen. Eigentlich wäre die Scham unnötig. Nicht wegen der Professionalität und der berufsbedingten Desensibilisierung der Ärztin, sondern wegen der Kollektivität meines Überlebens. Der Normalität sexualisierter Gewalt und der sich daraus ergebenden Normalität ihrer Wunden und Narben.
Aber für mich ist sie wichtig. Es ist das einzige Gefühl, das ich zu meinem verletzten Genital- und Intimbereich wirklich eindeutig wahrnehmen kann.

Scham ist kein Gefühl, das ohne andere Menschen entsteht. In gewisser Weise und Tragik, bin ich anderen Menschen nie so nah gewesen, wie denen, die mich verletzt haben. Ob ich vergewaltigt oder geschlagen wurde, machte dabei keinen Unterschied. Allein der Kontext der Gewalt hat die_n Täter_in(nen) und mich verbunden und in Teilen sogar verschmelzen lassen. Meine Scham ergibt sich daraus. Aus dem bis heute sichtbaren und wirksamen Kontext dieser Intimität. Ich war da, wo jemand war, dem mein Er_Leben nicht wichtig war. Jemand war mir so nah, dass sie_r meine Körpergrenzen überwunden hat. Die allgemeine Erwartung und die eher akzeptierte Lebenserfahrung ist aber von mehr Abstand geprägt. Diese Erwartung enttäusche ich und daraus entsteht die Scham, die ich gegenüber einer Gynäkologin oder jemandem empfinde, mit der_m ich Sex habe.

Meine Scham signalisiert mir aber auch, dass meine Erfahrungen und auch meine Körperlichkeit trotz ihrer allgemeinen Unnötigkeit, für mich als Individuum relevant sind.
Für mich ist das ein wichtiger Bezug zu meinem Körper als etwas, das mit anderen Menschen zu tun hat. Ich erlebe mich so oft getrennt von anderen, dass ich sehr bewusste kognitive Kompensationsleistungen aufbringen muss, um dieses Erleben nicht (wieder) zu meiner Lebensrealität zu machen. Ich muss mir immer wieder klarmachen, dass ich mich verhalten, interagieren und kommunizieren kann und selbst, wenn ich das nicht mache, kommunikative Signale für andere Menschen aussende. In Wahrheit bin ich immer mit irgendwas irgendwie im Kontakt, auch wenn ich das noch nicht verstanden, bemerkt oder gefühlt habe oder aktiv interagiere. Und immer bedeutet das etwas. Immer spielt Nähe, Intimität eine Rolle.

Sexualisierte Gewalt bedeutet für mich entsprechend auch aufgedrängte Intimität.
In diesem Kontext wollte mir jemand so nah kommen. So nah, dass meine Integrität dabei verletzt, bzw. zerstört wurde und einzig meine Existenz als Stoff in Zeit und Raum Relevanz hatte. Ich war egal und ich war absolut relevant dafür, denn es war nun mal mein Körper und nicht der von jemand anderem.
Entsprechend sind meine Narben heute auch Marker für mich, dass mir mal jemand so nah war. Dass ich also nicht immer komplett verkapselt aus der Ferne, nur mal so ein bisschen, in der Peripherie anderer Menschen passiert bin.
Für mich ist das manchmal ein gutes Gefühl, denn das ist der Beweis für meine Existenz inmitten vieler anderer Existenzen.
Und es ist ein ebenfalls schambehaftetes Gefühl, denn allein schon, dass ich hier von „Nähe“ im Kontext von sexualisierter Gewalt schreibe, entspricht nicht den Erwartungen, die allgemein an Opfer und Überlebende von Gewalt gerichtet werden.
Von mir wird Scham darüber erwartet, dass die Gewalt passiert ist – aber nicht darüber, dass mir im Zuge dessen jemand so nah war, dass es meine globale Integrität verletzt und manchmal auch zerstört hat. Man möchte mir so gern sagen, dass es nicht meine Schuld war, damit man nicht hören muss, dass mich aber eigentlich der Umstand der Verletzung, der Zerstörung umtreibt. Dass nicht heil, intakt, ganz zu sein, der eigentlich viel größere Erwartungscrash mit anderen Menschen ist. Die Scham, mit der ich lebe, ist dadurch oft viel ungesehener. Und viel unverstandener.
Und mischt sich in die allgemeinen Schamgefühle, die ich zu meiner Existenz als behinderte Person habe, weil ich in einer ableistischen Gesellschaft lebe. Aber das ist nur ein Seitenarm.

In der Kinderwunschpraxis fiel es mir leicht, mich von all dem zu distanzieren.
Es ist ein wissenschaftlicher Betrieb. Es zählen Daten und Fakten. Mein sozialer Status ist irrelevant, meine psychisch bedingten Eigenschaften sind Daten inmitten von Daten.
Wir hatten ein informatives Gespräch, einen überraschend fast schmerzhaften Ultraschall, eine Blutuntersuchung und ein insgesamt gutes Gefühl. Es kommen noch einige Termine auf uns zu, aber was mir früher passiert ist, wird keine Rolle dabei spielen.
Es ist ein Datum unter vielen.

der Meltdown in der Fahrstunde

„Eine schwierige Seite von Selbsterkenntnis ist, dass sie nicht alle teilen. Nur weil man selbst etwas über sich verstanden hat, haben das nicht auch alle anderen.“ Mit diesem Gedanken verließ ich die Schwimmhalle und lief zum Auto. Darin hatte ich anderthalb Stunden zuvor mit meiner Therapeutin telefoniert, nachdem ich meinen ersten öffentlichen Meltdown seit 2016 hatte. Während meiner vorletzten Fahrschulstunde vor der Prüfung.

*

Es ist schwierig offen damit zu sein, dass ich „so etwas“ habe. Meltdowns. Oder, wie es andere Menschen nennen: Ausraster. Nervenzusammenbrüche. Durchdrehen. Keine Beherrschung über mich. Es gibt viele Aspekte in meinem Leben, in denen Kontrollverlust eine Rolle spielt und jeder davon ist belegt mit Scham und einer sich darunter kristallisierenden Schicht Selbsthass.

Ein Meltdown ist scheiße. Es ist scheiße für alle um mich herum, wenn er passiert, weil er passiert – nicht wegen all der Dinge, die dazu führen, dass er passiert. Die sind nämlich immer mein Problem. Mein ganz persönliches, mein hochindividuelles Problem. So wird es mir jedenfalls oft von den direkt Betroffenen gerahmt. Klar, die hatten ja Angst. Vor mir. Vor dem Unbekannten. Die waren ja überfordert. Mit mir. Dem Unbekannten. Den Konsequenzen. Den unbekannten. Sie erleben sich nicht als Teil der Umstände, die zum Meltdown geführt haben, warum sollten sie also annehmen, sie hätten etwas damit zu tun?

Im schlimmsten Fall wollten sie mir nichts Böses, wollten nur helfen. Das ist für mich wirklich der allerschlimmste aller Fälle. Denn Menschen, die aus guten Absichten heraus handeln, können manchmal nicht annehmen, dass ihre Handlung vielleicht nicht gut ist.
Menschen können ihre guten Absichten nur mit viel Nähe vermitteln. Man muss einander sehr nahe stehen, um sich gegenseitig so wahrzunehmen und zu erleben, dass die Absichten eine relevante Rolle spielen. Menschen, die davon ausgehen, dass ich erkennen könnte, wie gut sie mir gegenüber eingestellt sind, gehen auch von dieser Nähe aus. Dieser gegenseitigen Perspektive, diesem gegenseitigen Verstehen. So nah komme ich Menschen in der Regel aber nicht, denn es kostet mich enorm viel Kraft. Die ich auch nicht lange aufbringen und halten kann. Die Absichten anderer Menschen werden dadurch zu Anmerkungen zur Übersetzung – nicht zum Rahmen der Grundhandlung, bildlich gesagt. Eine Lebensrealität, die die meisten Menschen einfach nicht teilen. Nicht verstehen.

Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich der einzige Mensch, der sich diese Annahmen aktiv denkt, aktiv im Bewusstsein hält, aktiv in die möglichen Antworten, Reaktionen und Optionen der Interaktion einarbeitet. Der einzige Mensch mit einem inneren Regal voller Skriptphrasen für Menschen, die es gut mit mir meinen und von mir via Sprache vermittelt bekommen müssen: „Ich weiß, dass du es gut mit mir meinst.“ Gerade nach einem Meltdown im sozialen Nahraum denke ich das und muss aufpassen, nicht in die Strudel jugendlicher Verzweiflungspaniken zu geraten. Dadrin denke ich nämlich auch, dass das nie aufhört. Dass ich gefährlich bin, mich fernhalten sollte. Dieses Vorhaben von Kontakt lassen sollte. Dass ich es nicht verdient habe, nach all den Chancen zuvor. Dass es ich es in Wahrheit vielleicht auch nie verdient, sondern immer nur geklaut habe. Dass ich nie genug bin und immer zu viel.

Dass ein Meltdown mir passiert wie ihnen, erleben die von mir oft überraschend und schmerzlich getroffenen Menschen nicht. Dass ich erst im Nachhinein und das nach einigen Stunden Analyse und Durcherzählen der Situation, selbst weiß, was die Anzeichen waren (und das eigentlich nur, wenn es um Situationen geht, die nicht zu weit von meinem Alltagsgeschehen weg sind) – und dies nicht bedeutet, dass ich den nächsten Meltdown abwenden kann – entspricht einfach nicht der Er_Lebensrealität der meisten Menschen.
Weil ich die Quelle ihrer Überforderung bin, weil ich ihre Wahrnehmung der Situation bestimmt habe, nehmen sie an, ich hätte über mich bestimmen können. Das ist ein Irrtum. Aber den Täter*innen Tätigen spricht man so etwas nicht gern zu. Ohnmacht. Angst. Hilflosigkeit. Vor sich selbst. Denn würde man das tun, dann würde das Schuldkonzept nicht mehr funktionieren. Verantwortung wäre schwieriger zu klären. Wieder.Gutmachung und Reparation müsste ein gegenseitiger Prozess sein. Alle wären Teil des Vorhers, des Geschehens und des Nachhers.

Ich habe zuletzt als Jugendliche auch andere Menschen im Meltdown verletzt. Bevor sich mehrere Erwachsene auf mich draufgeworfen haben, um mich mein Verhalten zu unter.brechen.
Inzwischen passieren die meisten meiner Meltdowns unsichtbar. Vor dem Computer, bei der Arbeit, manchmal im Laden, manchmal am Bahnhof. Deswegen unterscheide ich zwischen dem „öffentlichen Meltdown“ und „den anderen“.
Heute verletze ich mich nur noch selbst, denn eine erwachsene Person, die schreit, wird nicht angefasst. Ich kann mich selbst regulieren. Auch mit Selbstverletzung. Eine erwachsene Person, die man abstoßend, gruselig, gewaltvoll, ängstigend findet, lässt man alleine, um sich selbst zu schützen. Auch wenn es bedeutet, mich in einem schlimmen Zustand gewissermaßen zu verlassen, ist das für mich das Beste.
Wer mich in so einem Moment anders einordnet – sagen wir frech, enttäuschend unvernünftig, uneinsichtig, „in Wahrheit ganz kontrolliert/ganz bewusst um die Umstände“, narzisstisch motiviert, den eigenen Vorteil abzuringen – redet in der Regel weiter auf mich ein, kommt möglicherweise noch körperlich auf mich zu und/oder begrenzt meine Möglichkeiten mich zu bewegen oder die Situation zu beeinflussen. Diese Menschen merken nicht, dass sie mich in dem Moment sensorisch fluten und so gewissermaßen foltern. Meine Grenzen nicht nur berühren, sondern komplett ignorieren. Dass sie mir eine Einsicht abzwingen wollen, die ich nicht habe oder falsch finde. Dass sie ein Verhalten von mir fordern verlangen, das meinem Willen und mir zuwiderläuft. Sie meinen es nur gut. Oder haben Recht. In ihrer Logik, ihrer Wahrnehmung des Moments bin ich das Problem, weil ich ihre Hilfe, ihre Annäherung abwehre, mit der doch wieder alles gut werden könnte.

*

Es fällt mir schwer, aber ich habe einen aushaltbaren Punkt gefunden, seit ich meine „Zusammenbruch-Symptomatik“ als „Not-Aus“, das aktiviert wird, weil ich mich zu lange nicht traue, das „Stopp-Aus“ oder gar das „Ich fühle mich nicht mehr gut-Aus“ zu aktivieren, einordne. Niemand hat die Kontrolle, über das körpereigene „Not-Aus“. Darin bin ich anderen Menschen gleich. Alle Menschen haben so einen Punkt. Nur die Wege dahin sind unterschiedlich und unterschiedlich beeinflussbar.

Mein Wissen um mich und meine „Not-Aus“-Symptomatik hilft mir, eine Grenze zu anderen Menschen zu ziehen. Ob „nicht sprechen“, „nicht fühlen“, Krampfanfälle, Shutdowns oder Meltdowns – sie haben nichts mit den Personen um mich herum zu tun. Ich erlebe diese Symptome nicht, wegen der Leute und deren reiner Personality. Die Symptome sind keine sozialen Botschaften. Sie sind Körperreaktionen auf extremen Stress. Die Leute können es mir nur leichter oder schwerer machen, damit umzugehen. Und leider machen es sich Menschen, die einander nicht gut (genug) verstehen, ziemlich zuverlässig schwerer.
Und je älter ich werde, desto schwerer fällt es anderen Menschen, überhaupt in Betracht zu ziehen, dass ich mich nicht immer „zusammenhalten kann“. Die Lebenserfahrung ist ja eigentlich, dass man immer weniger von Dingen überrascht, erschreckt, erfreut, aufgeregt, empört, überanstrengt, überreizt … wird. Bei mir ist das scheinbar nicht so. Nicht wirklich. Eher habe ich manchmal den Eindruck, dass ich nach wie vor viele Situationen wie ganz neue Situationen erlebe. So, als ob ich sie noch nie zuvor erlebt hätte. Was ich ja – außer in dem äußert unwahrscheinlichen Fall, dass ich in einer Zeitschleife festhänge, in der doch alles exakt gleich wiederholt wird – auch wirklich so nie zuvor erlebt habe. Die wenigsten Situationen sind genau gleich. Es ist immer etwas anders. Entsprechend ist mein Stresslevel einfach immer etwas erhöht. Denn wo eine Abweichung ist, ist die zweite, dritte, vierte in der Regel nicht weit. Und auf jede reagiere ich gewissermaßen.

Seit Jahrzehnten lasse ich Menschen mit der Aufzählung von Abweichungen in Ruhe. Ich teile meine Beobachtungen nicht mehr. Lasse mir nicht anmerken, ob sie mich beunruhigen oder erfreuen. Ich habe in Kliniken trainiert, sie passieren und ohne Urteil ziehen zu lassen – bis ich gemerkt habe, dass ich das nur kann, wenn ich depersonalisiert bin. Ich habe verstanden, dass die meisten nicht-autistischen Menschen Abweichungen nicht von Unterschieden trennen und generell einfach mit sehr viel mehr Unschärfe zurechtkommen können als ich.
Ich schaffe viel Anpassungsleistung durch die Hinnahme und Kompensation dieser Umstände. Aber auch ein Gefühl falscher Sicherheit bei anderen im Kontakt mit mir. Ein Grund, weshalb Menschen von meinen Meltdowns und anderen Kontrollverlusten überrascht werden. Sie kommen für sie unerwartet. Aus heiterem Himmel. Sie haben keine Chance auf meine Selbsteinsicht und so auch nie auf mein Verständnis für die Dinge, die ich erlebe.
Andererseits wollen sie sie auch gar nicht haben. Sie können damit ja im überwiegenden Teil ihres Lebens gar nichts anfangen. Wozu also drum bemühen? Ich würde sie andersherum vermutlich auch nicht haben wollen, wäre ich nicht ständig und in allen Aspekten mit ihnen konfrontiert.

*

Zwei Dinge waren in dem Gespräch im Auto vor der Schwimmhalle passiert. Zwei hilfreiche Dinge.

Meine Therapeutin hat uns zu unserer Verletzung befragt. Ich war aus dem Fahrschulauto gestiegen und hatte mit der flachen Hand gegen eine Metallkonstruktion geschlagen. Das Hämatom ist etwa 2 2-Euro-Stücke groß und drückt auf die Sehnen vom kleinen und dem Ringfinger der Hand. Es tat immer noch weh und wurde im Inneren vor allem als Strafe gerahmt.
Das Interesse meiner Therapeutin hat das beendet. Eine Strafwunde wird nicht beachtet. Eine verdiente Verletzung nicht ver.sorgt. Böse Mädchen werden nicht gefragt, obs (noch) wehtut.

Außerdem hat sie jemandem, die_r es hören musste, gesagt, dass sie nicht glaubt, dass diese Situation mit mehr Anstrengung abzuwenden gewesen sei.
Für mich war das im Kontakt mit ihr versichernd – für das Innen erlösend. Mit diesem Gefühl von sozialer Klarheit in dem Kontakt, entstand genug Kraft und Sicherheitsgefühl bei mir, um mich in die lösungsorientierte Kommunikation mit der Fahrschule einzubringen. Ich konnte von missachteten Grenzen und verlorenem Vertrauen in den Fahrlehrer sprechen und akzeptieren, dass er um sich selbst kreist in seiner Überraschung und Überforderung. Durch die Versicherung meiner Therapeutin wurde der Kontakt zum Fahrlehrer (und der Fahrschulchefin) nicht zur einzigen Quelle von Wahrheit über die Situation. Ich wurde auch von jemandem gehört und das verlief nicht im Stummen, Uneindeutigen ohne jede Bedeutung.
Die Grenze zwischen den anderen Menschen und mir war wieder hergestellt, es entstand ein Gefühl von Ordnung und Klarheit. Wir haben eine Lösung gefunden, wie wir die letzte Fahrstunde vor der Prüfung machen und wann der Fahrlehrer und ich uns wiedersehen, um darüber zu sprechen. Wir werden uns vermutlich beide entschuldigen, ein Eis essen und wieder versichert darüber sein, dass wir einander wirklich nie Böses wollten. Und mit dieser Feststellung von Offensichtlichkeiten werden wir, befriedigt über die Bestätigung unserer Wünsche an die soziale Umwelt, auseinandergehen.

das Wiedersehen

21 Jahre und eine Handvoll Zeitspaghetti.
So lange haben wir uns nicht gesehen. Wobei wir uns nie zuvor gesehen haben.
Und doch standen wir da am Bahnhof in den Armen der anderen, wie man das am Bahnhof oft sieht. Wenn der Lauf der Dinge zweier Menschen zu einem gemeinsamen Strom wird und sie sich in wirbelnd strudelnden Gefühlen halten. So standen wir auch da. Z.s Freundin C. und ich.

Wir waren Klapsfreundinnen mit Fastaussicht auf Draußenfreund_innenschaft, aber dann passierte alles Aber und wir verloren uns. Bis wir uns wiederfanden, aber nicht halten konnten. Bis wir es dann endlich doch konnten.

Ich lebe mit dem Bild von mir als fürchterlicher Teenager. Eingebildet, rücksichtslos, übergeschnappt, gemeingefährlich. Sehr unreif. Sehr affektgetrieben. Unsozial im Allgemeinen, berechnend und kalt im Speziellen. Im Grunde so, wie ich mich bis heute fürchte und bekämpfe zu sein oder zu wirken.
Dass wir bis auf J. und C. keine Freund_innen hatten und auch in der Kindheit für ein halbes Jahr nur eine L. eine Rolle spielte, war für mich immer darin begründet. Heute kann ich diese Freund_innen alle als mir ähnlich neurodivergent und im familiären Bereich verletzt erkennen.
Kommen ein Auti und ein_e ADHSler_in in ’ne Bar, gehen sie mit einer Start-up-Idee oder einem Heiratstermin wieder raus – das klingt nach einem Gag, ist aber keiner. Nicht wirklich. In meinem Leben ist das der rote Faden für fast alle meine Kontakte und Freund_innenschaften. Schade, dass ich das erst mit 30 gelernt und verstanden habe. Und mir erst heute so wirklich richtig anzunehmen traue. Schade auch, weil ich mit meinem Bild, meiner Erzählung von mir auch immer meine damaligen Freund_innen schlecht gedacht habe. Wie bekloppt, wie grundkrank, wie niedrig muss ein Selbstbewusstsein sein, um gerne mit mir Zeit verbracht zu haben – das tut sich doch niemand mit Rückgrat an, niemand, dem alle Uhren richtig ticken.

In meinem Lauf der Dinge ist das Bedauern darüber drin. So umarmte ich C. mit einer Entschuldigung in Gedanken und dem Gefühl des „Kurz vorm Auseinanderfallens“ von Z., die ob der Umstände des Wiedersehens so gut wie gar nicht klarkam. Ihre Freundin, sah noch aus wie ihre Freundin, war – ist – ihre Freundin, aber nicht so. Die 22 Jahre mit Zeitspaghettirändern haben sie groß und erwachsen gemacht. Zeitliche Orientierung mit dem Vorschlaghammer.

Wir haben 3 Stunden durchgehend gesprochen. Abriss Biografie seit 2002, Abriss Therapieweg bis heute. Ist heute alles gut? Besser? Anders? Wie gewollt? Wann hat man angefangen zu wollen? Will man müssen oder nicht? Was ist jetzt wichtig? Kurzer Check, ob wir einander vergleichen – gegenseitige Versicherung, dass diese Phase jeweils vorbei ist. Erleichterung. Gut fühlen. Eis essen. Verabschieden, mit Ideen, wie wir uns öfter sehen können.

Ich glaube, C. ist heute 36. Ich 37. Wir hatten die gleiche Psychologin in der Klinik.
Und heute begegnen wir uns in fast verwundertem Stolz darüber, dass wir überhaupt noch leben. Als hätten wir nur Glück gehabt, obwohl wir beide wissen, dass wir hart dafür arbeiten mussten und diese Arbeit nicht als „für immer fertig getan“ betrachten können.

Im Zug merke ich erst, wie voll und wie vermischt ich bin und was ich aufschreiben muss, damit ich es nicht verliere. Meine Therapeutin kriegt es ab. Ich hoffe noch im Rahmen und spüre der Abwesenheit von Angst dabei nach.
Es hat sich wirklich unfassbar viel verändert. Seit 2002, aber auch seit 2012 und 2015 und 2017 und 2020 …

in Sachen „Weitermachen nach (re)traumatisierenden Klinikerfahrungen“

Nach dem letzten Text hat mich jemand gefragt, wie wir „das mit der Verarbeitung der Klinikerfahrung“ gemacht haben.
Die Person beschrieb, dass es für sie nicht händelbar sei, Traumawahrheiten bestätigt zu bekommen und das Gefühl zu haben, sich nicht schützen zu können. Etwas, das wir schon von vielen Betroffenen gehört haben.

Ich musste eine Weile darüber nachdenken, ob das auch meine Ausgangslage beim Klinik-GAU war.
War ich verletzlich oder nicht doch durch die Verletzungen (Traumatisierungen, die mich krank gemacht haben) schon sehr empfindsam, fragil, wenig belastbar und dadurch gewissermaßen doppelt verletzlich?
Für mich war es letzteres. Und darin befindet sich schon der Sitz einer meiner Traumawahrheiten: Wenn ich eine wehe Stelle habe, wird mich jemand genau dort wieder verletzen. Sie wird gesucht und gefunden werden. Sie wird benutzt werden, um mich unter Druck zu setzen. Sie wird benutzt werden, um mich zu demütigen. Sie wird nicht versorgt. Sie wird nicht beschützt. Es ist sicherer, sie nicht zu erwähnen oder zu zeigen.
So passiert es mir natürlich schnell Behandler_innen mit früheren Täter_innen zu verwechseln oder ihr Handeln als gezielt und planvoll verletzend anzunehmen – für mich ist die Ähnlichkeit einfach enorm. Es erfordert sehr viel Kraft und noch viel mehr Mut, einfach mal anzunehmen, dass diese Situation keine der Gewaltsituationen ist, die ich so gewohnt bin, dass ich sie sofort annehme.
Nun kann ich also entscheiden: „Okay, ich bin Opfer gewesen, ich sehe schnell mal was, was in Wahrheit nicht da ist. Wenn ich mich von anderen Menschen verletzt fühle, ist das schnell mal eine Verwechslung oder Unterstellung, die mich schützen oder beruhigen soll, das ist eben Teil der Traumafolge …“ Ich kann also die Verantwortung für die Situation übernehmen und die Menschen in meiner Umgebung davon befreien, irgendwas damit zu tun zu haben. Denn ich bin ja der Wirrkopf und niemand kann etwas für meine W.Irre in der Situation.

In institutionellen und professionalisierten Kontexten sehe ich das aber anders.
Wenn das Verhalten von Behandler_innen und Betreuenden dem Verhalten von Täter_innen so sehr ähnelt, ist das ein Problem für beide Seiten. Vor allem, wenn es als solches einfach verschwiegen werden soll oder aus strukturellen Gründen nicht verändert werden kann. Dann braucht es die Verantwortungsübernahme der Behandler_innen und Therapeut_innen dafür zu sorgen, dass sie alternativ handeln können und auch eine gewisse Offenheit und Ehrlichkeit bei der Vermittlung des eigenen Handelns an die Patient_innen. Denn nur so können diese ihre Wahrnehmung und Einordnung der Situation korrekt vornehmen und das Erlebte einordnen.
Oh – aber Vorsicht beim Anbringen so einer Ansicht.
Als Patient_in ist man nicht in der Position, den Behandler_innen zu sagen, dass sie Mist machen, wenn es um Mist geht, den sie nicht beeinflussen können, weil sie ihn machen wollen oder sollen. Vielleicht weil „das Team“ (die große Eminenz, die jede Verantwortung auf Station diffus werden lässt) ihn sehen will, vielleicht weil die_r Ober- oder Chefärzt_in ihn sehen will oder vielleicht einfach weil man nur für Mist bezahlt wird.
Hinzu kommt, dass in Klinikkontexten mit großer Selbstverständlichkeit eine Rollenzuweisung passiert, die behandlungssuchende Menschen ihrer Einflussmöglichkeiten generell beraubt: sie werden zu Patient_innen. Gewissermaßen zu pathologischer Masse, mit der gewisse Umgänge und Behandlungen gemacht werden. Dabei sind die Patient_innen in doppelter Hinsicht Auftraggebende und die Behandler_innen Arbeits.Leistende. Wir gehen dahin, um etwas zu bekommen, das uns und unserer Krankenkasse zugesichert wird, weil wir es allein nicht schaffen. Es ist überhaupt nichts falsch, krank, anmaßend daran, das auch bekommen zu wollen. Gar nichts.
Aber Patient_innen wird dieser Wunsch oft als Forderung oder auch persönlicher Angriff unterstellt. Und daraus entstehen Verstrickungen, Re_Inszenierungen und auch massive Verletzungen der allgemeinen Integrität. Alles nur, damit die Verantwortung allein bei den Patient_innen und nicht eben nicht auch bei den Behandelnden und Betreuenden bleibt. Was die machen, geht Patient_innen nichts an. Geschlossene Gesellschaft. Zum Wohle aller.

*

Ich musste auch darüber nachdenken, ob ich die Erfahrung, den Klinik-GAU, überhaupt verarbeitet habe.
Und muss sagen: Nein, habe ich nicht. Und so, wie ich das gerne hätte, werde ich sie vermutlich auch nie verarbeiten können.
Eine Erkenntnis, die so bitter ist, wie die, um jede andere Gewaltwahrheit meiner Kindheit, Jugend und frühen Erwachsenenzeit. Es wird keinen Täter*in_Opfer-Ausgleich geben. Keine Mediation. Keine Wieder_Gutmachung. Keine Entschädigung. Gar nichts. Es ist passiert und niemand bedauert es.
Außer, dass ich nicht darüber schweige, in welchem Haus das war, wenn mich jemand fragt und welche Personalie in Verantwortung war, wenn es relevant ist, kann ich in der Sache überhaupt nichts weiter tun als sie zu er.tragen. Meine Gefühlsstürme spüren, den Auslösern nachempfinden, die Erfahrung so weit wie möglich zu objektivieren und immer darauf achten, dass ich meine Erfahrung von denen anderer abgrenze.
Ich muss darauf achten, mir nicht zu viele Klinikstories anzuhören, weil ich sonst von dem Meltdown oder schlimmeren Momenten des Kontrollverlusts in anderen Kliniken wie Fixierungen, den Missbrauch durch einen Pfleger oder soziale Schikanen in der Psychiatrie träume. Ich muss darauf achten, meine innere Brandrede an die damalige Therapeutin, die seit dem Klinik-GAU läuft, nicht in meine Argumentation für gute Traumatherapie-Richtlinien zu mischen. Wenn Behandler_innen mit mir sprechen, weil sie meine Arbeit interessant finden, verbiete ich mir, die aufkommenden Gefühle von Stolz, Gehörtwerden und Freude über den Kontakt zu bewerten. Ich nehme sie wahr und ordne sie weg wie ein Verwaltungsfachangestellter die Abrechnung. Nicht, dass ich wirklich irgendwann glaube, ich wäre irgendwie besonders oder in irgendeiner Weise gut in dem, was ich mache. Ich will diese Täterinnenperspektive über mich nicht bestätigen.
Der Schaden durch diese Erfahrung ist heute also dauerhaft schmerzlich schwelender Teil meines Lebens und entsprechend schwer überhaupt einzugrenzen.

Aber ich hatte vorher auch schon einen Schaden, der nie behoben werden, sondern gleichsam mehr oder weniger immer in Sanierung befindlich sein wird. Also was solls.
Vermutlich kommt man einfach nicht ohne Dellen durchs Leben. So entschmerze ich mir das manchmal, um meine Wahlmöglichkeiten bewusst zu halten. Denn auch wenn es total zynisch klingt, ist es so, dass man sich für den Schmerz entscheiden kann, wenn man sich für Vermeidung als okay und den Rest des Lebens als Option öffnet.

Ich dachte lange, ich dürfte im Leben nicht mehr vermeiden, weil ich das in Bezug auf viele traumabezogene Dinge bereits tue. Irgendwie hat sich bei mir die Überzeugung eingeschlichen, Vermeidung sei genauso schlecht wie meine PTBS-Symptomatik selbst. Vielleicht sogar eigentlich Teil der Krankheit, weil ich in der Therapie ja genau das Gegenteil tue und von mir erwartet wird. Ich soll mich widmen, ich muss mich konfrontieren, ich darf Trigger, Erinnerungen, traumabezogene Gefühle und Gedanken wahrzunehmen, nie mehr vermeiden – sonst funktioniert die Therapie nicht.
So stimmt das aber gar nicht. Jedenfalls nicht für mich.
Meine Therapieerfahrung ist, dass ich ohne bewusst zugelassene Vermeidungsstrategien überhaupt keine Kraft habe, um das zu verarbeiten, was ich mich traue, nicht mehr zu vermeiden.

In Bezug auf re.traumatisierende Klinikerfahrungen funktioniert das in etwa so:
Um mir von Behandler_innen und Pflegenden mitfühlend und verstehend anhören zu können, wie überarbeitet, überfordert, überlastet und strukturell niedergeworfen sie sind, muss ich vermeiden, an die Angewiesenheit von Patient_innen und meine Erfahrungen zu denken.
Um nicht in das Gefühl zu rutschen, mich selbst im Stich zu lassen, wenn ich „solchen Leuten“ gegenüber Mitgefühl und Solidarität ausdrücke, muss ich ganz bewusst wegschieben, dass es „solche Leute“ waren, die mich überlastet und strukturell ermächtigt, legitimiert, zuweilen gewissermaßen dazu beauftragt, verletzt haben. Wir können diesen Prozess auch gerne „Abgrenzung“ nennen, ich selbst nenne es aber „Vermeidung“, weil ich mich gegen meinen Schmerz und für die mitfühlende Fürsorge anderer entscheide. Ich bin lieber fürsorglich zu anderen als mir selbst, weil ich sonst meinen Schmerz fühlen müsste.
It’s a classic dance in the Vermeidungstanzdisco.

Und total okay für mich.
Ich habe nach dem Klinik-Gau beschlossen, erst dann wieder eine Klinik für Psychotherapie, Psychosomatik oder Psychiatrie als Hilfe in Betracht zu ziehen, wenn dieses Versorgungssystem so reformiert wurde, dass es in sich nicht mehr gewaltvoll ist.
Not so Fun Fact – aber wir sind ja bei Ähnlichkeiten: Das ist so ziemlich der gleiche Beschluss, den wir über unsere Herkunftsfamilie auch gefasst haben. Wir gehen wieder zurück, wenn sie sicher keine Gewalt mehr an uns ausüben.

Das ist kein „Nie“ – das würde viel zu viel Druck aufbauen und auch kein: Ich muss ganz allein irgendwas schaffen oder machen, damit das wieder geht. Es hängt nicht allein von mir ab, sondern bezieht beide Seiten mit ein.
Das kann ich gut er.tragen und halten, weil es mir auch Kraft dafür übrig lässt, mich um alternative Bedarfsbefriedigung zu kümmern.

Ich war immer sehr auf Kliniken und die Leute dort angewiesen, weil mich in meiner Jugend niemand haben bzw. behalten wollte. Als ich ein_e junge_r Erwachsene_r war, war die Klinik der einzige Ansatzpunkt für geschützte Tagesstruktur, Diagnoseverständnis und – verstörend eigentlich – Gemeinschaft. Ich war so allein in diesem Lebensabschnitt, dass Kliniken mehr Zuhause waren als meine eigene Wohnung und Behandler_innen mehr Familienersatz als zugegeben. Meine Angewiesenheit war so umfassend, dass ich mich den strukturellen und sozialen Gewalten dort praktisch rückhaltlos hingeworfen habe. Mit allen Konsequenzen.
Zum Beispiel der, dass ich nicht dachte, eine ambulante Therapie allein würde je für mich reichen, damit es mir besser geht. Oder der, dass ich Angst vor den Herausforderungen der Normalität was berufliche Bildung oder Arbeit bekam, weil ich dann ja nicht mehr im Intervall in die Klinik gehen könnte (und entsprechend allein und überfordert mit mir selbst und meiner Symptomatik bleiben würde, wenn der Funktionsmodus aus ist). Oder der, dass ich mich nicht getraut habe die Medikation abzusetzen, obwohl sie mich auch wesentlich daran gehindert hat, Fortschritte zu machen.
Das war so ein unfassbar hoher Preis, den ich für ein bisschen Bessergefühl, für einige stabile Stunden und hilfreiche Gesprächskontakte auf mich genommen habe. Heute würde ich den nicht mehr zahlen.
Und ich muss es auch nicht mehr. Zum Glück.

Ich konnte über das Bloggen und Twittern so viel mehr Kontakt und Austausch herstellen. Zusammen mit NakNak* hat das mein Gefühl der Einsamkeit gelöst. Durch ihre Ausbildung zur Assistenzhündin konnte ich lernen, dass viele der Dinge, die mich täglich belasten und ängstigen, beeinflussbar sind. Und zwar ganz direkt von mir. Ich muss es nur machen – und dafür sorgen, dass ich es auch durchgehend machen kann. So entstanden ganz konkrete Handlungsaufträge an mich, die über „fühlen sie mal rein, wer was dazu sagt“ und „16 Uhr Mandalas ausmalen zu Panflötenmusik“ hinausging und überhaupt ganz davon unbeeinflusst sind, ob und wie sehr ich gerade mit welchen Symptomen kämpfe.
Für mich ist das heute immer noch essenziell klar zu haben: Nichts von den Dingen, die ich benötige oder will, ist davon abhängig, ob ich Patient_in bin oder nicht, welche Diagnose ich habe oder nicht oder ob ich sie aufgrund eines Merkmals von mir verdient habe oder nicht. Dass ich das früher dachte, hat mich maximal dafür prädestiniert, meine Grenzen für Behandler_innen und Betreuende zu missachten und teils auch übergehen zu lassen. Und trotzdem war das weder meine Schuld noch Verantwortung.
Ich darf diese Situationen als man made trauma einordnen und für mich bearbeiten.

Es hilft mir auch, diese Arbeit schon zu anderen Traumatisierungen gemacht zu haben und dabei von einer Therapeut_in unterstützt zu werden, die mir das auch lässt, obwohl sie als Behandler_in ganz eigene Themen dazu haben könnte.

Und es hilft mir zu merken, wie lange ich inzwischen schon ohne Klinikanbindung zurechtkomme.
Und wie schnell ich WTF denke, wenn mir andere Viele von massiven Einschränkungen ihrer individuellen Freiheiten und gewaltvollen Verstrickungen mit Behandler_innen erzählen. Wenn ich früher anderen so etwas erzählt habe, hat nie jemand WTF dazu gesagt und mich daran erinnert, dass ich Menschenrechte habe und mit einem Auftrag, dem nachzukommen sich eine Klinik verpflichtet hat, dahingekommen bin. Nie.
Das kann ich heute für andere machen und mache das auch. Es tut mir gut, wenn ich in Austausch und Diskussion über Alternativen gehen kann. Es gefällt mir, zusammen mit anderen an theoretischen Grundlagen für Reformen und Richtlinien mitdenken zu dürfen.

Dass ich nicht hinnehmen muss, dass das für immer für so viele Patient_innen, Behandler_innen und Betreuende weitergeht, sondern aktiv Dinge versuchen und machen kann, gibt mir die Kraft, es eben so lange unverarbeitet zu lassen, wie nötig.
Manchmal ist einfach so: Wenn du es nicht loslassen kannst, musst es halt tragen.
Hauptsache, du bleibst nicht stehen. Es wird niemand kommen und es dir abnehmen.

Wut und Traumawahrheit

„Wut hat etwas mit den eigenen Grenzen zu tun“.
Noch eine Woche später hänge ich daran fest wie im Knäuel dicker, zähklebriger Seile. Einfarbig. Im Halbdunkel zunehmender Erkenntnis. Ich habe Angst.
Das kenne ich nämlich. Wut als Auslöser. Nachdenken über Wut als Einstieg in kreiselnde Kaskaden aus Traumashit und Kontrollverlust, an dessen Ende nur Erschöpfung und Dissoziation stehen.
Dabei kann ich gut wütend sein. Allein. Für mich. Ich kann sie fühlen, ich kann sie einordnen. Alles kein Problem – solang es um mich geht und ich das Problem bin. Dann nämlich kenne ich mich aus, weiß, was zu tun ist, fühle mich halbwegs kongruent.

Wut als Reaktion auf die Berührung, Irritation, Verletzung eigener Grenzen – das ist schwierig.
Schon Grenzen zu haben, ist wirklich schwierig für mich. Nicht mehr so viel wie früher, aber es gibt noch genug Momente im Verlauf einer Woche, im Zuge von sozialen Kontakten, körperlicher oder geistiger Umtriebigkeit, in denen ich es zum Kotzen finde, dass ich nicht einfach alles immer gleichzeitig kann. Einfach immer verfügbar sein und mitmachen, das ist der Modus, den ich, den wir, auch heute noch ständig anstreben. Obwohl wir ihn noch nie erreicht haben und vermutlich, sehr wahrscheinlich, auch nicht erreichen werden.
Menschen sind begrenzt. Das macht Grenzverletzungen so schlimm und zuweilen auch traumatisch. Wenn der äußere Rand von etwas verletzt wird, verliert, was auch immer dahinter ist, an Schutz. Keinen vollumfänglichen Schutz zu haben, ist ein Problem. Ein unter Umständen lebensbedrohliches Problem.

Die Gewalt, in der ich aufgewachsen bin und auch die Gewalt, in der ich heute als autistischer Mensch, noch immer lebe, verzerrt mein Verhältnis zur Wahrnehmung dieser Bedrohung und auch meine Bewertung dieses Problems.
Das ist die Abzweigung zu Themen wie Narzissmus, Ideen von Omnipotenz, aber auch gnadenloser Selbstzerstörung aus Selbsthass. Denn viele Täter_innen vermitteln ihren Opfern, dass ihre Grenzen ein Problem sind. Ein Anlass, ein Grund, eine Rechtfertigung, eine Eigenschaft, die es zu verlieren gilt. Und vor allem Kinder, deren Eltern die Täter_innen sind, haben keine andere Möglichkeit, als das zu glauben. Sie übernehmen die Perspektive des Außen auf sich und versuchen eine Kongruenz herzustellen. Nicht weil sie Opfer sind oder noch nicht sehr schlau, sondern weil sich so Identität und Selbstbild entwickeln. So machen Menschen das. Ohne Feedback vom Rand ihrer Selbst, gibt es keine Kenntnis darüber. Und ohne Kenntnis keine Meinung, kein Wert – keinen Ansatz für eine eigene Haltung oder eigene Wünsche an sich. Ohne berührte, gespürte, erklärte und verstandene Grenzen gibt es also auch keine Möglichkeit des Wissens darüber. Und ohne Wissen darum gibt es weniger Selbstverständnis, was dann wiederum zu einem Problem wird, wenn man in soziale Interaktion und Kommunikation geht. Dann ist es nämlich ganz praktisch, eine Idee von sich zu haben, um eine Idee von anderen Menschen zu bekommen und sich ihnen grenz-wahrend, verständnisvoll und konfliktarm zu nähern.

Ich gehöre zu den Menschen, denen oft vermittelt wurde, Dinge zu können.
Meine Hochbegabung gepaart mit meinem (Überlebens)Willen, die Dinge richtig zu machen, hat mich für viele Menschen älter und reifer, allgemein kompetenter wirken lassen, als ich war. Ich wurde sehr oft extrem überfordert, habe sehr oft sehr viel zu wenig Unterstützung, Anleitung oder Führung beim Erlernen neuer Dinge, beim Lösen von Problemen und dem Prozessieren von Selbst_Erfahrungen bekommen. Das war in meiner Kindheit, Jugend, jungen Erwachsenenzeit für viele Menschen – Betreuer_innen, Behandler_innen, Freund_innen wie Täter_innen gleich – einfach ein sehr kongruenter Umgang mit mir.
Selbstverständlich war Wut als Reaktion auf Grenzverletzungen wie diese dann immer ein massives Problem. Und hatte aus Sicht der Menschen um mich herum, immer nur mit mir selbst zu tun. Wurde als Ausdruck von Undankbarkeit vor dem Geschenk der Aufmerksamkeit, die man „den Reiferen“ / „den Cleveren“/ „den Verständigeren, mit denen man so gut reden kann, weil sie alles so tiefgreifend verstehen“ gibt, angenommen und entsprechend bestraft. In der Traumaklinik genauso wie in der Wald- und Wiesenklapse. In meiner Familie* genauso wie in meiner Familie°. In meinem Freundeskreis genauso wie in fremden Kontexten.

Es ist eine elendige Situation, wenn man so leben muss. Wissend, dass man eben nicht alles immer kann. Aber doch muss, weil es der einzige Weg, der einzige Anlass für andere Menschen ist, mit einem_einer in Kontakt zu gehen. Ob nun gewaltvoll oder nicht. Die Kontaktbedürfnisse verschwinden ja nicht, nur weil Kontakt auch gefährlich sein kann. Sie nehmen vielleicht ab oder richten sich auf ungefährliche Dinge, aber da bleiben sie und müssen befriedigt werden.

Wie umfassend, wie zuweilen sogar quälend weit über die eigenen Grenzen der Kontakt mit anderen Menschen für mich ist, habe ich erst nach der Autismusdiagnose und der Aufarbeitung des Klinik-GAU wirklich verstanden. Da gab es so eine Wutsituation ja auch. Und damit meine ich nicht den Meltdown im Büro der Oberärztin, sondern die Wochen davor. In denen ich, die_r sowieso massiv in der Krise war, mich noch dazu verpflichtet hatte, wenigstens annehmbare_r Patient_in zu sein. Mit zu wenig Ruhe, mit zu viel Menschenkontakt, zu viel Anpassung an Sozialperformances, die weder Sinn noch Nutzen für mich hatten und – klar, selbstverständlich, so ist mein Leben – so viel Kraft für Selbsterklärung, Wissensvermittlung und Barrierenkompensation.
Ich war die ganze Zeit in dem Modus, der mir schon als ganz kleines Kind das Leben gerettet und mir die Anpassung an lebensfeindliche Umfelder ermöglicht hat – und ich hatte das bemerkt. Und als Problem erkannt, denn niemand würde eine Klinik für Psychosomatik als allgemein lebensfeindlich einordnen. Da sollte es mir ja besser gehen, ich sollte behandelt werden, ich sollte Hilfe erhalten.
Dieser Widerspruch ist die berührte Grenze.
Ich brauche eindeutige Verhältnisse. Brauche Klarheit. Dann fühle ich mich sicher. An dem Aufenthalt war überhaupt nichts klar – außer, dass ich das Problem war. Und das kannte ich ja schon. Indem ich meine Behandlungszeit damit verbrachte, meine Grenzen niederzuschleifen und mich dafür zu hassen, wenn ich Widerstände von innen spürte (bzw. den Hass an den Innens zelebrierte, die ihren Widerstand auch nach außen hätten tragen können), stellte ich Kongruenz für mich her. Klarheit. Sicherheitsgefühle. Ich bewahrte andere Grenzen in mir. Kann ja nicht angehen, dass meine Traumawahrheiten über mich selbst falsch sind. Ich muss mich (meine Grenzen) verletzen. Es muss wehtun. Das gehört dazu. (Denn das Umfeld verletzt sie ja auch.)

Wut als Schutzreaktion anzunehmen, fällt mir also noch schwer, weil diese Perspektive viele Traumawahrheiten in Frage stellen würde.
Das Monster in mir wäre vielleicht keins. Das unwürdige Viech in mir vielleicht doch, was meine Therapeutin seit Jahren sieht. Selbst mein Selbsthass wäre nichts weiter als ein Schutzschild vor dem ableistischen Hass, den andere mir gegenüber ausgelebt haben.

Und wie soll ich dann weiterleben?