Weiterleben in andersneu

Nachdem ich den Partner vom Krankenhaus abgeholt hatte, begannen wir, den Tisch mit Medikamenten zu füllen. Haufenweise Schachteln, medizinisches Gerät und dessen Zubehör.
Dann kamen die Lebensdokumente dazu. Krankenkassenzettelage, Versicherungsbriefe. Irgendwann war etwas Steuerliches zu tun, der Tisch hats getragen.

In den vergangenen 4 Monaten konnte ich das Zimmer nicht betreten, ohne damit konfrontiert zu werden, was ihm passiert ist. Wie schlecht es ihm ging. Wie lebensgefährlich es war. Wie schlimm es war und wie viel schlimmer es noch hätte kommen können.

Für den Partner war es bequem so. Vor allem am Anfang, als er noch nicht lange stehen oder gehen konnte.
Ich bemühte mich um Desensibilisierung. Drücke die Gedanken weg, setzte mich auf meine Gefühle. „Es ist ein Ausnahmezustand, das geht auch wieder weg. Alles hat ein Ende“, habe ich mir gesagt und dieses Ding mit den Augen gemacht, bei man sehend nichts sieht.

Ich habe manchmal Anflüge von merkwürdigem Stolz auf meine Fähigkeit mich an Shit anzupassen und mein eigenes Darunter-leiden zu vergessen. In Bezug auf diese Situation ist er doppelt gestärkt.
Ich bin die_r Partner_in – es war gut, wie ich das hingekriegt habe. Ich habe mich bewährt. Ich war für ihn da. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich aktiv für einen anderen Menschen da – und habe es – mit meinen psychokranken Traumaskills !!! – hingekriegt – BÄM!
Denn das ist der Stoff aus dem „sich an Langzeitshit anpassen“ gemacht ist: „Nicht dran denken.“, „Auf die Gefühle setzen.“, „Durchziehen.“, „Nothing else matters because everything else matters.“

Im Nachhinein fragt man sich immer, wie man das überhaupt so ausgehalten hat. Aber guckt man genau hin, sieht man, dass da vor allem die Dissoziation aufrechterhalten werden musste und das alle Energie gebunden hat. Weniger ein akut bewusstes Leiden oder eine konkret definierte Not.
Deshalb finde ich diesen ganzen Überlebens-Wertschätzungstrallafitti so unsinnig. „Du hast überlebt – das war die Leistung“ – für mich ist das Quatsch. Die Leistung ist die Leistung. Dissoziation aufrechtzuerhalten, ist die Leistung. Das nicht damit aufhören. Das konsequent und immer und immer und jeden Tag den Balken so hoch halten, damit sich niemand dran aufhängt – DAS ist die Leistung.

Und natürlich das Klarkommen im Anschluss. Die Neutralisierung. Die Wiederanpassung. Der Wieder(neu)aufbau.
Denn jetzt ist der Tisch leer.
Die Steuer gemacht, der coronabedingte Diabetes ausgeheilt. Die Menge an Medis in einem kleinen Heidelbeerkörbchen untergebracht. Wir konnten wieder Flügelschlag spielen. Ein Besuch war da. Wir haben an dem Tisch gegessen und einige Stunden gequatscht.
Die Ausnahme ist zu Ende, der permanente Trigger ist abgebaut.

Ich merke jetzt sehr deutlich, wie irritiert meine Wahrnehmung davon ist, dass dort nichts mehr ist, das ich aktiv nicht beachte und bedenke. Wie vorsichtig und bedächtig ich dieses Danach befühle und auf Echtheit prüfe.

Auch das so ein Ding. Es gibt kein Puff und dann Hurra alles wieder fein. Keine große Ausatmung mit seligem Dusel.
Eher ein scheues Hinfühlen, immer bereit, sich sofort wieder in sich zu verstecken. Vorsichtiges Auftreten und gucken, obs hält. Ein neuer Abschnitt der Anpassung. Ein neues, anderes Level an Alltagsdissoziation.
Ein Weiterleben in andersneu.

Fundstücke #83

Gespürt habe ich es schon am Mittwoch bei der Blutspende. Aber der übliche Huch-der-Arm-ist-voller-Narben-Sozialtanz hatte mich abgelenkt. Nun steige ich durch die Wildpflanzen vor unserem Haus und spüre den Schwindel wie Fahrtwind. Ich konzentriere mich auf mein Ziel. Freie Fläche für das vom Partner geschenkte Gewächshaus schaffen. Nächste Woche kommen Gemögte zu Besuch und dann bauen wir es auf. Bei dem Gedanken daran steigen kleine weiche Bläschen in mir auf. Das wird schön.

Also weiter. Ich greife nach den verblühten Pflanzen, ziehe sie aus dem trockenen Sandboden und schüttle sie vorsichtig aus. Entdecke Insekten, spüre F. wie einen Klumpen durch meine Adern wandern als sie_r Fotos macht und weiß nicht, ob ich mich übergeben muss oder gleich ohnmächtig werde, als ich aufstehe, um die Pflanze in die Schubkarre zu legen. Dann kommt der Menstruationsschmerz im Unterkörper und der Flashback im Oberkörper als real in meinem Bewusstsein an.

Ich bin verschwitzt, meine Füße stecken unbeweglich im letzten klassischen Schuhpaar, das ich habe. Es ist schwül, immer wieder kommen Nachbar_innen, die wir nicht kennen, mit ihren Hunden an uns vorbei. Schauen mich an, schauen weg. Gehen weiter. Ich denke mich flackernd zwischen Hier und Woanders, beobachte mich weiter nach Pflanzen greifend. Wieder stehe ich auf, wieder erfasst mich der Schwindel, diesmal wanke ich nicht. „Rein. Hoch. Ausziehen. Waschen. Abtrocknen. Anziehen. Wassertrinken. Hinsetzen. Pause. 10 Minuten“. Ich schlage die Worte zu Etappen des Handelns in den Treibsand meines Fühlens. Arbeite sie ab und merke wie sich an der inneren Gegenbewegung andere formen. R. auf jeden Fall, aber auch K. und W. „Klar“, denke ich, „alle, die Angst davor haben zu fallen, aus Angst, sie würden nicht wieder aufstehen (und abwehren) können.“

Das Wasserglas in der Hand betrachte ich die geschaffte Arbeit von oben. Es ist nicht mehr viel. Ich kann es noch vor dem Besuch schaffen. Und wenn nicht, dann muss der Aufbau etwas warten. In meinem Kopf entwickeln sich alternative Pläne, etwas Entspannung, in meiner Hand finde ich eine Schmerztablette.

Als die Hunde den Partner aus dem Bett genervt haben, stehe ich im Tomatenurwald. Es schmerzt weniger, der Schwindel macht mir keine Angst mehr. Später kann ich mich sogar hinlegen, ohne eine Erinnerungsmine auszulösen. Noch später anerkennen, dass ich mich gerade richtig gut schlage. Und noch später begreifen, woran ich mich erinnere.

Abläufe

Ich hätte es lieber geübt. Den Ablauf geplant, im Kopf weitergeübt, mich so sehr in den Plan reingesteigert, dass er unumstößlich von Störungen und Ablenkungen klar und deutlich in mir drin bleibt.
Aber es ist eine Pandemie. Alle sind müde. Alle sind knapp. Ich kann auch anders und für „wie sonst“ fehlen die Kapazitäten von allen.

Und so flattere ich also in die Teststation der Apotheke. Bin zu spät, mit drei von vier Beinen noch in der Therapie und fühle mich so schutzlos, dumm und nutzlos für die in dieser Zeit nötige Effizienz des allgemeinen Krisenmanagements wie lange nicht mehr.
Aber es klappt.
Statt eines Würgereflexes unterdrücke ich einen Beißreflex, statt alles falsch mache ich alles awkward. Ist aber nicht schlimm, vorher war eine Omi da, die war auch nicht Erika Mustermann.

Okay, so geht das also. Diese Testerei, die wir bei uns mit wenig Wartezeit im Dorf 12 Kilometer weiter oder viel Wartezeit neben der Schwimmhalle haben können, während in Bielefeld praktisch überall kleine Rüsselhütten für einen Abstrich stehen.
Ich fühle mich wie in einer Realitätsspalte. Weiß, dass ich mich jetzt auf keinen Fall fragen darf, was echt ist und was nicht, denn sobald diese Frage Gewicht bekommt, ist der Weg zurück in die bedingungslose Akzeptanz des Moments tausend Tränen weit. In einer Stunde fährt mein Zug zurück, ich sollte etwas essen, mich aufwärmen, den größtmöglichen Umweg zum Bahnhof nehmen.

Die abgestrichene Stelle ist wie ein Punkt im Kopf, der versucht ein Zentrum zu werden. Ich schütte Kaffee drauf und drücke ein Brötchen hinterher. Stehe am Gleis, im Wind, denke über die Therapiestunde nach und finde das Beste, das ich machen konnte, ziemlich gut.
Irgendwann bald werde ich aufschreiben, wie das Autismuscoaching die Traumatherapie unterstützt – wie anders das jetzt alles ist, seit dem neuen Anfang im März. Das will ich unbedingt teilen, niemand soll so viele Jahre so leiden wie ich und denken, so geht Traumatherapie nun mal.

Im Zug gehe ich wieder Straßenverläufe durch. Übe Autofahren, überlege mir Strategien, um präsent und konzentriert zu bleiben. Weiß, dass ich mehr nicht tun kann, weiß, dass mein Bestes für 50 Minuten innerstädtische Reizüberflutung vermutlich einfach (noch) nicht reicht. Will aber doch am Montag die Prüfung versuchen. Will bestehen, will keine drei, vier Wochen bei zwei Grad über null und Gegenwind die fünf Kilometer zum Einkaufen radeln müssen.

Ich gehe schwimmen, bis ich nicht mehr kann, dann lasse ich meine Muskeln weichsprudeln und meine Gedanken vom Dröhnen der Düsen übertönen. Der Partner holt mich ab, wir schauen eine Serie, essen Abendbrot, ich gehe ins Bett und merke um Viertel nach drei, dass ich gar nicht wirklich sterbe, sondern nur jemandes Erfahrung erinnere.
Gut, dass ich schon weiß wie der Ablauf da heraus ist.

„schwere psychiatrische Erkrankung“

Wir stehen auf dem Gleis, eine Möwe im Wind über dem Baggersee neben uns. Die Sonne scheint und der Zugführer sagt uns, dass wir weiter warten müssen. Weichenstörung, Signalstörung.

Ich falle in mir zusammen. Wir sind auf dem Weg nach Bielefeld zu unserer Neurologin von der wir neben Rezepten auch ein Attest haben wollen, das uns berechtigt in der zweiten Gruppe geimpft zu werden. Wenn man eine „schwere psychiatrische Erkrankung“ hat, geht das. Haben wir jedenfalls gehört. Und wir wollten fragen, ob das wirklich so ist. Und ob das wirklich geht. Weil wenn, dann könnten wir kurz nach dem Partner geimpft werden und dann … wow. Einkaufen und Behandlungstermine wahrnehmen, ohne Sorge ihn umzubringen.

Wie schon beim letzten Mal muss ich auch diesmal gegen Derealisation ankämpfen, noch bevor ich die Reizüberflutung als solche wahrnehme. Die Entwöhnung von Betonbauten und Fliesenhall, von Straßenlärm und Menschengruppen ist krass. Es fühlt sich nicht nach einem Angriff an, eher nach einer Annexion. Nach 4 statt anderthalb Stunden Reise wanke ich durch die Stadt zu K. wo wir schlafen, essen, arbeiten werden. Es summt unter der Haut, brummt im Kopf. Ist das hier eigentlich wirklich?

Später laufen wir durch den botanischen Garten. Machen Fotos, denken nichts. Durchqueren einen Friedhof, denken an den Vater vom Partner und daran wie typisch für unser Leben ist, dass die erste Beerdigung, die wir je besucht haben, die von jemandem ist, den wir uns länger im Leben gewünscht haben.

Irgendwann tun die Füße weh, wir gehen zurück. Ich bin eine diffuse Hannahmasse auf zwei Schmerzpunkten, hab vergessen, die Banane zum Mittag zu essen, schaue zum fünften Mal nach, wieso ich eigentlich hier bin und was meine Anliegen sind. Die Sonne geht unter, ich muss eine kleine Panikwelle veratmen, weil jemandem in mir nicht klar ist, wo wir schlafen und wie wir wieder nach Hause kommen werden. Ist das wohl meine „schwere psychiatrische Erkrankung“?

Dissoziation ist kein One-Size-Pullover – Ostern, 13 Jahre später

Im ersten Jahr, war es, als würde ich wie eine Fliege gegen die Fensterscheiben dotzen, ohne wissen, wieso überhaupt. Wieso ich so viel Energie aufbrachte, wo ich hinwollte, was ich erwartete. Erst einige Zeit später bemerkte ich überhaupt, dass ich das getan hatte.
Wir lebten damals in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es gab Schokoeier und mehr ruhige Alleinzeit mit den Pflegepersonen. Alles Dunkelbunte brummte von innen gegen meine Haut an.

Nach unserem Entschluss, es nicht „Ausstieg“ zu nennen, sondern „nicht hingehen – nicht mitmachen – DAS DA stumm schalten und weggucken“ zu machen, war es in den ganzen letzten Jahren auch immer genau so. Als liefe ein stumm geschalteter Fernseher in unserem Rücken. Dunkelbunt-TV, wenn man so will. Und mit jeder Distanzierungsübung ihrer Inhalte, rückten auch sie weiter weg. Und weiter. Und weiter. Bis wir sie auch nicht mehr als etwas fühlten, auf das man wirklich mal achten muss, anstatt es als irreal platt zu machen, zu bügeln und in einen Schrank am Anfang des Nirgendwo zu stecken.

In Wahrheit gibt es sie, aber in Wahrheit kann und will niemand etwas mit ihnen zu tun haben. In Wahrheit haben sie unsere Solidarität, unsere Kraft und alle Ressourcen der Welt verdient, aber in Wahrheit brauchen sie sie überhaupt nicht. In Wahrheit brauchen wir endlich wirkliche Ausstiegsbegleitung, aber in Wahrheit sind wir schon seit inzwischen 13 Jahren ausgestiegen.

Durch die aktuelle Situation können wir gut erkennen, dass es wirklich so ist, dass man immer der jeweiligen Situation angepasst dissoziiert. Die Dissoziation funktioniert bei uns nicht wie ein One-Size-Pullover. Hier einmal um die Dunkelbunten rum und fertig ist der Lack für immer und ewig. Es ist mehr wie eine Kaugummiblase, die man sich dann und wann wieder von der Haut puhlen muss, um eine noch größere zu machen, damit alles reinpasst.
Denn, es ist ja auch nicht so, dass diejenigen in der Blase sich nicht bewegen. Dass sie nicht reagieren.
Es ist ja so, dass wir diejenigen sind, die gelernt haben, dass sie und ihre Reaktionen in dieser unserer jetzigen Lebensrealität weder für uns, noch für andere okay sind. Dass sie uns gefährden und dass das, was sie mitbringen so etwas wie das goldene Ticket ins Balla-Land ist.
Wir sind die, die seit 13 Jahren Kaugummi fressen und schon längst automatisiert haben, Löcher zu stopfen, bevor sie die Blase zum Platzen bringen.

Und jetzt? Jetzt brummt es nicht. Jetzt bewegt sich nichts. Es schneit panische Schreie wie Pollenschirmchen ins Innere.
Was machen wir jetzt Was mache ich jetzt Was ist jetzt los Was bedeutet das jetzt Was mach ich jetzt Was machen wir jetzt Was bedeutet das jetzt Was machen wir jetzt Was mache ich jetzt Was ist jetzt los Was bedeutet das jetzt Was mach ich jetzt Was machen wir jetzt Was bedeutet das jetzt

Und ich pflanze Radieschen. Und ich baue einen Schutzwall für die Radieschen, damit die Spatzen sie nicht fressen, wie sie die Salatpflänzchen gefressen haben.
Was machen wir jetzt Jetzt pflanze ich kleine Kräuterpflanzen ein. Was ist jetzt los Jetzt pflanze ich das Bäumchen ein. Was bedeutet das jetzt Ich kann einen Käfer sehen, der durch die Blütendolde krabbelt. Was mache ich jetzt Jetzt rolle ich 50 Meter verknörgelten Gartenschlauch auf, um ihn morgen wieder abzuwickeln, denn ich habe ein Anschlussstück zu kaufen vergessen. Kaugummi Kaugummi Kaugummi

Es ist keine Verankerung im Außen oder in der Gegenwart, es ist die konsequente Verankerung in mir, die_r das Früher, das Alte überhaupt nicht kennt und Zeit spürt, statt sie zu berühren. In Wahrheit mache ich das hier also eigentlich konsequent falsch, in Wahrheit ist es das Einzige, das funktioniert und Funktion wird belohnt.

Was bedeutet das jetzt
Es ist und wird.
Heute säe ich Erbsen aus.

zahnarztschlimme Traumascheiße

„So ist das jetzt also. Wenn ich denke, dass nichts passieren wird, passiert was und ich bin allein. Damit und mit dem, was es mit mir macht. Aha.“ Und in mir drin klickt eins ins andere, als wäre das nie nie nie niemals anders gewesen. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Bin nicht mal wütend, bin Schock, Überwältigung, Not. Es weint und weint und krampft und ich mache Schritte durch die Stadt, die viel zu groß für mich und viel zu klein sind, um so schnell vorwärts zu kommen, wie ich und mein rasendes Herz das wollen. Brauchen.
Der Vertretungsarzt in der kieferchirurgischen Praxis hat uns beim Ziehen der Fäden von der Op vor 10 Tagen, wehgetan. Und weiter gemacht. Und weiter. Und uns angewidert? von den Tränen und der Sprachlosigkeit? weggeschickt.
Und nichts – kein Erklärungsversuch, keine Relation, kein „In Perspektive setzen“ hilft.
Es ist einfach scheiße. Nicht, weil ich das so finde, sondern weil es das immer ist, wenn jemand übergriffig ist. Ab da kann man die Scheiße nur noch aufquirlen, anheizen, verbreiten. Indem man so tut als wäre nichts. Zum Beispiel. Als wärs nicht schlimm, weils schlimmere Dinge gibt.

Unser Zahnarztschlimm hat fast 7 Jahre durchgehend Zahnschmerzen und 3 Zähne, eine Wurzelspitze und ein kreisrundes Stück Kieferknochen gekostet. Es hat bedeutet, keine 2 Minuten in einem Wartezimmer warten zu können – obwohl der Termin so hart umkämpft wurde. Es hat bedeutet über Wochen hinweg Pseudotermine zu brauchen, bei denen nichts passiert außer Konfrontation mit der Umgebung, Werkzeugschau, angucken und untersuchen lassen aushalten – üben! Um zu einer Basis zu kommen, die halbwegs stabil ist und Angst, Panik, rapid switching und andere Anpassungsreflexe aushalten kann. Um glauben zu können, dass diese dann neue Zahnärztin uns so lange Zeit gibt, wie wir brauchen.

Wir haben keine Zahnarztangst entwickelt, weil wir traumatisiert sind und sich unsere Ängste automatisch generell auf alles drauflegen. Wir haben sie entwickelt, weil wir uns zu lange nicht von einer Ärztin getrennt haben, die uns immer wieder wehgetan hat. Und weiter gemacht hat. Und weiter. Und weiter. Wir haben unser Bindungstrauma wiederholt.
Und danach haben wir unseren Ausstieg wiederholt. „Wenn du nicht verletzt werden willst, dann geh halt nicht hin. Zu niemandem von denen mehr. Jemals. Alle, die auch nur ansatzweise so sind wie diese Person, alle, die machen und bieten, was diese Person bietet: nie wieder.“

Wir haben lange mit Zahnschmerzen, Entzündungen und Löchern wie Einzimmerappartements gelebt.
Und als das von der neuen Zahnärztin in einer großen Behandlung unter Vollnarkose behandelt worden war, war das wie ein Sonnenaufgang.

Der Freund bot an, da anzurufen und den Arzt anzumeckern. Das war schön. Schöner Quatsch.
Und dann haben wir aufgelegt. Ich lief in die Innenstadt, fing die restlichen Tränen wie Erkältungsschnodder auf, spürte mich als Lücke zwischen Jahreswechselkälte und abgrundtiefer Kindernot. Dachte wieder: „So ist das jetzt also. Da schreit ein Kind, das niemand außer mir wahrnimmt. Aha.“
Ich konnte nichts tun. War bis spät in den Abend überwältigt. Plattgewalzt von der Willkürlichkeit des Arztes, der sich mit seinem Handeln in eine Reihe überwältigender Ereignisse des Tages, die in ihrer schockierenden Wirkung auf mich von anderen Menschen kaum nachvollziehbar sind, einreihte.

Am 7. haben wir den nächsten Zahnarzttermin.
Ich habe Angst, dass jetzt alles wieder so ist, als wäre nie nie nie niemals irgendetwas anders gewesen.
So ist das jetzt und es ist scheiße.

Traumascheiße.

Kongruenz

„Dieser Monat wird der Wahnsinn“, das denke ich seit Januar oder Februar.
Ich denke das in vollem Bewusstsein über alle Implikationen des Wortes „Wahnsinn“ und doch auch in vollem Bewusstsein darum, dass mir einfach kein anderes Wort dazu einfällt. Und schon beim Aufschreiben dieses Satzes beginnt in mir eine Bewegung darum, die Schlimmheit dieser Ohnmacht zu spüren, ihr so hilflos gegenüber zu stehen. Wächst da eine weitere Schicht Anspruch an mich, gefälligst nicht so zu sein. So hilflos. Vor all dem.
Es ist ja gewählt, es ist ja gewollt, in Wahrheit ist es von mir gemachte Ohnmacht, eingebildete Ohnmacht, lieber als angenommene Verantwortung-Ohnmacht. Und doch auch nicht. Denn am Ende zählt nicht, was „in Wahrheit“ ist, sondern, was in uns passiert. Und das ist Ohnmachtsgefühl. Egal wovor eigentlich genau.

Nach dieser langen, dichten, schönen Woche in Wien fahren wir nach Hause und wissen einmal mehr, was wir alles schaffen können. Wir können durch die Fremde laufen, stundenlang auf Beton in Barfußschuhen. Können ohne NakNak*, ohne irgendjemand anders an unserer Seite sein. Wir schaffen es, „den Faden zu halten“ zu unseren Leuten, ohne sie zu sehen, zu hören, zu lesen, mit ihnen zu sprechen. Wir fühlen sie und können sie uns auch dann als zu uns gehörend einordnen, wenn wir gerade nicht bei ihnen sind. Das ist viel. Enorm viel. Objektkonstanz. Wow.

Und gleichzeitig fühlen wir aber auch die anderen. Innen. Und zwar konstant. Selbst dann, wenn unsere Grenzen und Kapazitäten schon weit ausgereizt sind und uns eigentlich in die Schmerzlosigkeit des Funktionierens, der Euphorie, des einzig Reagierens hineindissoziiert haben müsste.
Die beschriebene Ohnmacht hat genau damit zu tun. Und mit ihnen.
Damit, dass wir ohnmächtig vor ihrer Existenz sind. Sie sind da und wirken in unser Er_leben hinein und es gibt nichts, was wir dagegen tun können. Nicht einmal „dagegen sein“, denn wir wollen das ja. Merken ja selbst, wie viel mehr da ist, wenn beides da ist – wir und sie –

aber

Wir merken, was für ein Wahnsinn das alles ist.
Dass wir tun, was wir tun, obwohl sie und alles von ihnen da ist und obwohl nicht zuletzt auch sie ja überhaupt ein Grund dafür sind, tun zu können, was wir können und letztlich genau das zu tun, was wir tun.
Aber auch, dass wir es tun. Dass wir das tun und nichts anderes. Zum Beispiel auf Wände starren und uns im Muster der Tapete oder den Geräuschen aus uns selbst zu verlieren. Oder uns zu betäuben oder uns wegzugeben.

Was für ein Wahnsinn ist das, keine 2 Millimeter hinter sich eine traumaschleimige Hölle brodeln zu haben und gleichzeitig mit der Banalität des Hier und Jetzt zu verwachsen.
Ja, ich könnte das auch einfach „Widerspruch“ nennen, aber das ist es nicht. Hier spricht niemand jemandem zuwider. Wir er_leben hier keinen Widerspruch, sondern uns. Und ja, wir sind wahnsinnig.

Wir können nichts dafür, dass Wahnsinn und wahnsinnig sein für die meisten Menschen etwas schlechtes ist. Dass es mit Freiheitsentzug, mit Isolation bestraft wird. Wir können auch nichts dafür, dass wir gerade nur so unser Amlebensein ertragen können.
Ja, nein, ich schreibe nicht „Ich kann gerade nur am Leben sein, wenn ich mich überarbeite, überreize, zu viel mache. Ich brauche meine Vermeidung gerade so sehr.“, ich schreibe, dass wir sind, so wie wir sind. Dass es ist, wie es (für uns) ist und wir spüren, dass es wahrhaftig ist.

Wir stellen Kongruenz her.
Nicht mit dem Außen, mit dem Innen. Und das geht.
Es ist der Wahnsinn, wir fühlen uns ohnmächtig davor. Und es geht.

Traumascheiße

Es ist mittags, halb 1, ich fühle mich nach halb 1 in der Nacht.
”Das Runterkommen fühlt sich genauso scheiße an, wie das Aufrechthalten”, denke ich und beschließe, dann jetzt doch zu bloggen. Obwohl ich weiß, wer das alles liest, obwohl ich weiß, dass jede_r darauf reagiert, obwohl es nichts mit ihnen zu tun hat. Zur Zeit ist es kaum möglich, irgendetwas im weitesten Sinne “unbe(ob)achtet” zu tun, das ist so. Vielleicht hört das bald auf, vielleicht müssen wir später – mit mehr Kraft, mehr Haut, mehr Grenze – deutlich machen, dass das passiert und tief reintriggert. Wer weiß, jetzt nicht, nicht noch eine Baustelle öffnen. Obwohl und obwohl.
Jetzt ist Donnerstag. Gestern hat uns der Freund nach mehr als einer Woche voller Arzttermine, Arbeitstreffen, Festival-Workshop-Reise und Therapiestunde abgeholt. Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir das wie ein Traum vor. Das alles. Es war einfach so viel, so viel zu viel des Guten, Interessanten, Aufregenden, Neuen, Wichtigen. Es ist noch nicht realisiert, nicht verarbeitet. Jetzt will ich mich eingraben, fern sein, versorgt sein, schlafen, mich Gedanke um Gedanke abarbeiten, lochen, einordnen. Stempel drauf, Echtheitszertifikat drüber.
Aber.
Es fühlt sich scheiße an.
Traumascheiße.

Es ist die alte Dynamik: Alles ist aufregend, ich könnte auf einer Egowelle hoch zehn schweben, weil ich noch da bin, alles geschafft habe – nicht gestorben bin und alles immer noch da ist – doch alles Wasser steht mir am Hals und begräbt mich zuweilen unter sich. Vornehmlich dann, wenn ich allein bin. Mit meinen Gedanken, meinem Sein, mir – uns.
Und weil ich so aufgerieben bin, weil ich gerade nicht mehr so ganz richtig gut kann, ist es keine Option mehr, mit Menschen zu sein, mit jemandem zu reden, sich damit zu befassen. Niemand kann gerade etwas für mich tun, ohne, dass es meine wunden Stellen aufreibt oder mich zu sehr berührt.
Ich hasse das. Ich hasse mich, wenn ich so bin. Ich will nicht so zart, so sensibel sein. Will mich an die Wand schmeißen, damit das von mir abplatzt und meinen unzerstörbaren Kern freilegt. Meine Härte, meine Stärke – das, was unendlich hochfahren kann, ohne müde, hungrig, durstig, schmerzig zu werden.

Und während ich das so aufschreibe, denke ich, dass das einfach genau das Problem ist.
Dass mein “Hochfahren” eins ist, das meinen von Trauma und Scheiße gestählten Kern erfordert und nicht einfach so ein zwei Hautläppchen weniger, auf die man mal kurz gut verzichten kann.
Es ist einfach kein aufregendes Abenteuer, eine lange Reise mit interessantem Input und ach ja uff, ist es nicht immer irgendwie anstrengend. Es ist immer – immer noch, nach so viel Traumatherapie – sofort eine traumafunktionelle Handlung. Ein Überleben.
Sicher eins, das Spaß macht, ganz sicher eins, dem ich mich auch entziehen könnte, wenn ich das wollte. Es ist kein Gewaltwiedererleben – aber es ist nachwievor ein Wie-auch-im-Trauma-üb_Er.Leben.

Vor allem für die, die ich jetzt – immer noch – in mir schreien spüre.
Scheiße ist das.
Traumascheiße.

Fundstücke #71

“Das Kind hat überlebt”,  hatte die Therapeutin gesagt. Montag. In unserer Therapiestunde.
Erst später kam das bei mir an. Also, so richtig.

Und jetzt fällt mir immer mehr auf, wie selbstverständlich in mir ist, dass die Gewalterfahrungen der anderen in einem eigenen Leben, einer eigenen Zeit stattgefunden haben und irgendwie immer an dem Punkt der völligen Zerstörung bzw. Dissoziation geendet haben. Haben müssen, denn alles Danach bin ja ich, sind wir, die Rosenblätter.
Obwohl wir erst Jahre nach ihnen da waren.

Wieder so ein Widerspruch, von dem ich spüre, dass er irgendetwas in mir machen sollte, aber nicht tut.

Der Unterschied zwischen Derealisation und Verdrängung

„Übrigens wusstet ihr, dass Herzinfarkt-Brustschmerzen sich auch wie ein Baumpfahl durch Brust und Rücken anfühlen können? Und, dass Übelkeit, Erbrechen und Schwindel auch Herzinfarkt-Sympome sein können?“ – das habe ich gestern bei Twitter gefragt, denn ich wusste das nicht.

Heute, nach einem sehr langweiligen Krankenhaussonntag und einem anstrengend langweiligen Krankenhausmontag, weiß ich das und, dass ich ganz sicher keinen Herzinfarkt hatte. Was es war, wird sich vielleicht in den Untersuchungen morgen und übermorgen zeigen.

Ich habe nichts zu erzählen, denke wenig, fühle noch weniger.
Zwischendrin lehne ich mich an die Weichheit des neuen Namens, der überall steht und anzeigt, was zu mir gehört. Unsere Freund_innen versorgen NakNak*, ein Freund hat uns das Tabletlaptop, Süßigkeiten und Lesefutter gebracht. Morgen kommt der Freund.

In den Daten zu mir steht noch H. als Kontaktperson, wie ein letzter Versuch des alten schmerzenden Lebens in das heutige hineinzugreifen. Mit einem Ratsch hab ich die Zeile gestrichen. Es tat weh, blutete aber nicht. Mehr als eine Narbe ist es nicht mehr. Auch gut zu wissen.

Es ist kühl draußen, wir sind eine Runde im Park gelaufen, als die Person in unserem Zimmer etwas Zeit für sich und die Verarbeitung ihrer Diagnose brauchte. Es hat angestrengt und Brustschmerzen gemacht. Und obwohl ich nicht mehr heimlich denke, in einem Traum zu sein, wie das Samstagabend bis Sonntagnachmittag war, kann ich nicht glauben, dass da jetzt so richtig wirklich was ist.

Das ist er also, der Unterschied zwischen Derealisation und Verdrängung.