Und da saß ich nun also. Das beratene Opfer, das weiß, was es möchte und was nicht.
Ich kenne das OEG, kenne die Fallstricke, die strukturelle Gewalt, der ich mich ausliefere und alles. Ja verdammt- ich bin zigfach gepanzert gegen die Naivität, dass schon alles gut werden würde. Ich bin unempfindlich gegen die Versuchung zu denken: “Wenn ich nur etwas sage, dann reagiert meine Umwelt schon und es wird nicht schlimm.”.
Und trotzdem.
Ich weiß, dass ich keine Strafanzeige erstatten und auch keine Regressforderungen an die TäterInnen zulassen muss, wenn das bedeutet bzw. die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ich dann nicht mehr geschützt bin. Das Gesetz weiß das. Die Strukturen wissen das.
Der Anwalt wusste das wohl
aber dann doch eher theoretisch.
Im Nachhinein kann ich sogar lachen und wissenschaftlich interessiert nicken, was für ein absurdes Gespräch wir da geführt haben.
Was für Dynamiken mir angetragen wurden und auch wie schnell ich unter Druck komme. Noch immer, obwohl ich heute noch mehr als früher klar habe, dass die TäterInnen eben auch (neben vielem anderem) TäterInnen an mir waren.
Wir haben noch 3 Monate bis die Taten, die vor dem 18 Lebensjahr geschahen, verjährt sind.
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige für meine Geschwister?
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige, egal ob mit oder ohne Schuldspruch am Ende auf das Leben der TäterInnen?
Und wieso the fuck, denke ich jetzt über die TäterInnen nach?!
Was ist, wenn ich jetzt ablehne und mich aber in x- Jahren dann genau dafür hauen will?
Was ist, wenn ich jetzt anzeige und mich aber dann, wenn ich einer geschlossenen Station hocke, dafür dann nicht einmal mehr hauen kann, weil ich wieder so abgeschossen, wie vor Jahren bin?
“Wissen Sie, die Strafprozessordnung sagt auch etwas zu den Rechten der Opfer. Es geht auch darum, dem Opfer Genugtuung zukommen zu lassen.”.
Jetzt, drei Tage später, könnte ich darüber, bitter wie 20 Jahre alte Kapern, lachend vom Stuhl fallen.
Genugtuung? Hallo?
Was habe ich denn bitte davon? Kann ich mit 100 Pfund Genugtuung meine Therapie bezahlen? Aus 200 Kilo Genugtuung Lebensqualität klöppeln? Kann ich schlafen, wenn ich mich auf Genugtuung bette?! Macht meine Genugtuung, dass meine Geschwister selbstbestimmt entscheiden können, ob sie sich zu unserer Kindheit überhaupt in irgendeiner Form äußern möchten?! Werde ich Kraft all der ganzen Genugtuung so etwas wie Selbstwert, Bindungs- und Beziehungsfähigkeit und kohärente Selbstwahrnehmung entwickeln?
“Und wenn Sie eine Anzeige erstatten, dann sind Sie ja auch aktiv. Dann ist es ja auch ein Schritt aus der Opferrolle heraus und selbstbestimmter.”
– “Naja, das ist nicht selbst bestimmt, weil ich das ja nur machen würde, weil es das Amt verlangt, für den Bescheid zu einem Antrag den ich eigentlich nur deshalb stelle, weil die Krankenkasse, die Therapie nicht durchgehend finanziert…”
“Ja, aber man ist ja immer fremd beeinflusst”
Ich hatte nicht damit gerechnet selbst bei jemandem, der meine Anliegen vertreten soll, so massiv klarmachen zu müssen, dass es mir auf keiner Ebene um die TäterInnen oder Selbsterhebung geht.
Ich bin entsetzt, wie weit oben Opferinteressen eingestuft werden- gerade wenn es um so schwere Schädigungen geht.
Die TäterInnen könnten jetzt schon hinter Gittern sitzen- ich würde trotzdem noch meine Symptome haben, mich dieser ekelhaften Behandlung vom Jobcenter, kranker Kasse und der Gesellschaft ™ ausgesetzt sehen und alles sein- nur nicht so selbstbestimmt und gesichert, wie mir so untergeschoben werden will.
Ich will in aller Ruhe an mir arbeiten, heilen und mein Leben nach dem Trauma so gestalten, wie ich das heute noch kann.
Nicht mehr und nicht weniger.
Der Rest ist den Raubbau an mir, für mich persönlich nicht wert.
Ich sehe es nicht als meine Verantwortung an, Täterverhalten zu beeinflussen oder einer Beeinflussung zuzuführen. Das habe ich so lange so hart versucht, dass ich Viele wurde- jetzt ist Schluss mit dem Abarbeiten an den TäterInnen. Auch auf der Ebene.
Der Rechtsanwalt sagte, er müsse über die Mandatsannahme nachdenken und seine Effektivität prüfen. So hat er noch keinen Antrag auf Entschädigung nach dem OEG aufgezogen.
Ich habe mir inzwischen die Telefonnummer einer erfahreneren Kollegin herausgesucht.
Auch Testzweckklientin werde ich heute nicht mehr sein.
Und sie schreibt sich auf einen Zettel:
“Bei diesem OEG- Ding geht es nur um mich und das Leben, das ich heute habe.”
und hängt ihn sich an den Schreibtisch.
Auf Augenhöhe.