Übergabe

Wie wir gestern in einem Termin zur Fallübergabe saßen, war es anders als früher.
Natürlich gab es dieses verletzende Moment, in dem wir hören müssen, dass wir ein arbeitsintensiver Fall waren und wie selbstverständlich erscheint es uns, dass es keine Übergabe ist, die von uns ausgeht, sondern von äußeren Bedingungen.
Und doch.
Es ist anders.

Heute ist es kein freier Fall ins Nirgendwo mit einem harten Aufschlag in einer neuen und fremden Realität.
Heute ist es eine geordnete Sammlung unserer Angelegenheiten, die einem neuen gesetzlichen Betreuer übergeben wird.

Es ist als hätten wir uns gewandelt. Von einer Wolke frei umherflatternder Briefe und Dokumente unklaren Nutzens, zu einer in einem Regal stehenden Akte mit Anfang und Ende. Als könnte all das Chaos, die Unübersichtlichkeit unseres War und Ist erfassbar sein. Als könnte man damit umgehen. Als gäbe es eine Möglichkeit, mehr davor zu empfinden als Angst, Verwirrung, Überforderung und den Wunsch sich zu Tode zu prügeln, weil es ist, wie es ist.

Seit wir uns für die gesetzliche Vertretung entschieden haben, spüren wir mehr von der Abwertung und Stigmatisierung behinderter Menschen. Wir erfahren mehr Stellvertreterdenken und haben weniger Möglichkeiten uns dem Moment zu entziehen, in dem uns wahlweise Faulheit oder Bequemlichkeit, Verantwortungsübernahmeverweigerung oder naturgegebene Unfähigkeit zur Vernunft unterstellt wird.
Seit wir gesetzlich vertreten werden, ist der Preis für unsere Selbstbestimmung nicht mehr nur das Gefühl sich etwas anzueignen, das uns nicht zusteht, sondern auch noch Beschämung bis Verachtung.

Und doch.
Wir haben unsere Dokumente beisammen. Sie sind aktuell und gültig. Jemand ist verbindlich dazu verpflichtet mit und manchmal auch für uns darauf zu achten, dass das so bleibt. Wenn wir ein Recht auf etwas haben, dann haben wir jemanden, der verbindlich dazu verpflichtet ist, uns zu unterstützen und zu vertreten, damit wir es auch wirklich erhalten.

Unsere gesetzliche Betreuung kennt sich nicht aus mit DIS. Und wahrscheinlich auch nicht mit Autismus, organisierter Gewalt, Traumafolgen allgemein.
Für uns ist das nicht relevant. Wir raten anderen ähnlich oder gleich diagnostizierten Menschen auch nicht dazu, nach so einem Kompetenzprofil zu suchen.
Relevant ist strukturell abgesichert zu sein soweit es geht und in der eigenen Selbstbestimmung unterstützt bzw. dazu befähigt zu werden.
Für unsere Behandlung und Therapie sind andere Menschen zuständig.
Um mit uns als gesetzliche Vertretung angemessen umzugehen, braucht es die Fähigkeit zu achtsamer, respektvoller, offener und verbindlicher Grundhaltung uns gegenüber und die Bereitschaft relevante Aspekte zu berücksichtigen, wenn sie nötig sind.
Der neue Betreuer klingt nett.
Wir haben im letzten Jahr viel darüber gelernt, was es uns leichter macht, sich Behörden- und anderen bürokratischen Angelegenheiten zu widmen und Schwierigkeiten zu kommunizieren.
Es ist ein Neuanfang, bei dem es vielleicht mit weniger Anstrengung auf unserer Seite klappen kann.

Das ist neu.

Und es fühlt sich gut an.

der rosenblattsche Weg zur freiwilligen gesetzlichen Betreuung

Heute gabs mal wieder was aus der Serie “Frau Rosenblatt auf der Jagd nach dem goldenen Schnatz im Bereich Unterstützung und Fürsprache”

Kurzer Rückblick: August 2013 – Frau Rosenblatt möchte einen Abzweigungsantrag in Bezug auf das Kindergeld, das sie erhält, weil sie schwerbehindert und erwerbsunfähig ist, stellen, damit nicht jedes Jahr Post von der Herkunftsfamilie in ihre Kniekehlen tritt
– die folgenden 8 Monate verbringt Frau Rosenblatt damit, Menschen, die ihr Unterstützung und Fürsprache in ihren Belangen zugesichert haben, damit zu nerven, dass da was passieren muss, weil sie ohne Weiterbewilligung von 184€ weniger leben muss
– die Menschen versuchen und versuchen – lauschen gespannt Wartezeitenmelodien bis plötzlich … nun ja wahrscheinlich hatte man sich an die Unklärbarkeit und Unlösbarkeit gewöhnt oder das Rauschen, das aus Frau Rosenblatts Mund heraus kam, irgendwie auch einfach nicht mehr wahrgenommen. Kann ja passieren. Passiert ja allen ein “ich brauche Unterstützung- ich kann das nicht allein- es geht mir zu schlecht, ich habe keine Kapazitäten mitzuwirken- ich kann nicht helfen mir zu helfen” einfach irgendwann nicht mehr zu hören. That’s life und so was Frau Rosenblatts‘

Inzwischen schreibt man Mai 2014 – Frau Rosenblatt hat ein Riesenglück mit ihrem Jobcentermenschen: die Kindergelddifferenz wird ausgezahlt bis die Sache geklärt ist (das Jobcenter ist nicht verpflichtet das zu tun!)
– da ihre HelferInnen* taub für ihre Worte geworden und konfliktfähig wie ein Stück Landstraße sind, stellt sie einen Antrag auf eine freiwillige gesetzliche Betreuung

und wartet

meanwhile ist sie eigentlich eher Wrack als irgendetwas anderes und stemmt trotzdem ein Vorhaben nach dem anderen. Niemand soll ihr je nachsagen können, sie würde sich gehen lassen, würde schwach werden unter dem Verlust von Gemögten, Verbündeten und Gemochten, dem Infragestellen von Lebenssinn und Zukunftsperspektive. Sie verbringt viel Zeit damit Menschen zu sagen: Ich kann nicht mehr – ich bin müde – ich bin traurig – ich bin verletzt – ich bin ungerächt – ich bin überfordert , bis es auch in ihren Schädel geht: Es ist scheiß egal, was sie eben nicht kann. So lange sie es nicht für andere Menschen sichtbar nicht kann, kann sie eben doch alles.

Also atmet sie anders und beißt sich vorwärts bis in den Juli, wo ein Sozialbericht erstellt wird.
Man sagt ihr,
sie könnte noch immer eine Strafanzeige erstatten – bis die Gewalt an ihr verjährt ist, hat sie ja noch 4 Wochen.
Sie lacht die Frau fast aus und mariniert sich erneut in Bitterkeit.

“plätscher plätscher” machte die Zeit bis September, als Frau Rosenblatts Konto dann plötzlich leer blieb.
Überraschung. Nicht.
Das Jobcenter möchte selbstverständlich gerne endlich einmal Zettelage über das Kindergeld, die Frau Rosenblatt nicht hat. Aus Gründen.

Frau Rosenblatt hat inzwischen Kompetenzwut aufgebaut und ruft beim Gericht an. “Macht mal bitte schneller – ich habe kein Geld, bin zahlungssäumig und man will Zettel von mir, die ich nur mit eurer Hilfe bekommen kann”, sagt sie sinngemäß (und viel sachlicher, denn eigentlich war sie im September größtenteils tot).
Eine Woche später, bekommt sie Post zur Ansicht, die auch an die Medizinerin gegangen war, die sie begutachten sollte. “Machen sie mal schneller ihr Gutachtendings- Frau Rosenblatt hat Angst”.
Ja, es gab eine klitzekleine Hassexplosion in Frau Rosenblatts Bauch.

Dann die medizinische Begutachtung, die dankenswerterweise weder nervig noch schmerzlich noch sonst wie respektlos oder doof war.

Es folgte Warten bis heute.
9. Oktober: Anhörung bei Gericht. Nun gibt es die Erklärung vor dem Richter, warum Frau Rosenblatt denn gerne diese Betreuung möchte. An dieser Stelle kann ich es nicht lassen, darauf hinzuweisen, dass es immer wieder heißt: “Warum möchten Sie denn die Betreuung?” und nicht “Warum brauchen Sie denn die Betreuung?”.

Frau Rosenblatt braucht ja nie etwas- Frau Rosenblatt ist der wandelnde Imperativ – Frau Rosenblatt WILL immer etwas.
Das ist ja Nervige an ihr – STÄNDIG hat sie kein Geld – IMMER fehlt ihr irgendwas, will sie irgendeine Unterstützung, braucht Zuspruch, will Schutz – G’tt wie anstrengend!
Erst mal weggehen. Eine Rauchen… Kataloge blättern… sich gut fühlen, weil man nicht so ist, wie sie.

Scheibenwischer- Richteranhörung
Frau Rosenblatt erfährt, dass man eigentlich jemanden ausgesucht hatte, aber “in Anbetracht der Komplexität ihres Falls” sei eine volljuristische Betreuung, die sich engagiert, nötig.  Da müsse man jetzt aber nochmal schauen, wer sich das zutraut. Wer die Kapazitäten dafür hat. Kann noch mal 2 – 3 Wochen dauern.

“Ist diese Betreuung von jemandem anfechtbar?” – “Nein”.
”Schönen Tag  noch, ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich für mich genommen haben”. Falten aus dem Mädchenkostüm gezupft und mit dem üblichen Gefühl nichts weiter als eine Last für sich und eine Belästigung für den Rest der Welt zu sein, stieg sie in die Bahn nach Hause.

Alleine, wie sie in dem Flur aus 50 shades of grey saß, gar nicht so weit weg von dort, wo man ihr alles Unrecht, dass ihr je widerfahren ist, anerkennen und als Unrecht markieren hätte würde wenn können. Hätte sie angezeigt. Würde sie das durchhalten. Wäre alles anders und ganz besonders sie nicht sie.

Als sie nach Hause kommt, erwartet sie eine bombastische Rechnung über säumige Zahlungen.
“Es war nicht Ihre Schuld – Sie haben getan, was Sie konnten”, sagt die Frau bei der Telefonseelsorge.

Schon wieder ihren Gemögten und Gemochten oder der Therapeutin mit ihrem Kummer auf die Nerven gehen, wollte sie nicht.
Also rief sie dort an und freute sich, die eine achte Anruferin zu sein, die dort überhaupt nur durchkommt.