ein verbindendes Element

In der Autismustherapie sprachen wir darüber, dass Menschen manchmal Dinge sagen und keine Aussage damit machen wollen. Dass sie einander manchmal einfach nur Phasen vortragen, als wären sie Teil des traditionellen Miteinander-Tanzes, über deren Schritte man nicht nachdenkt, die vielleicht unnötig sind aber irgendwie doch dazugehören. Und, dass es weder eine Konzentrationsfrage noch eine Motivationsfrage ist, diese Kommunikationsform zu bemerken. Es ist vielleicht nicht einmal nur eine Frage des Erkennens oder Entschlüsselns, sondern der Ver_Bindung. Das denke ich zumindest jetzt, eine Woche später.

Denn ja, manchmal bemerken wir es nicht, wenn man uns aus einem Gespräch herausphraseln möchte oder auf einer unverbindlichen Ebene des Gesprächs bleiben möchte oder unausgesprochene Ziele verfolgt. Was darunter allerdings leidet, ist in unserem Fall nicht unbedingt das Gespräch, sondern die Bindungsbereitschaft der anderen Person und damit eine Grundlage für das Miteinander als Ganzes.

Wir können es nicht verhindern, wenn Menschen zum Beispiel unangenehm finden, dass wir ihnen auf (für sie) kurz zu beantwortende Fragen, alles antworten, was wir dazu wissen, weil ihre Frage zu unspezifisch für eine kurze Antwort war. Oder wenn sie sich ertappt (oder bedroht) fühlen, weil wir ihnen im Versuch einer Problemlösung statt prosozialer Phrasen eine Analyse mitteilen, in der sie vielleicht nicht so harmlos, lieb und gut gemeint wirken, wie sie sich selber sehen.
Wir können es nicht verhindern – merken aber deutlich, dass wir Erwartungen enttäuschen und deshalb oft unverbunden mit anderen Menschen bleiben oder eine Ver_Bindung haben, die von Furcht vor Exposition, eigennütziger Intention oder Projektion auf uns motiviert und getragen ist.

Es gibt nur wenige Menschen, mit denen wir zu tun haben, die unsere Bemühungen die Erwartungen anderer Menschen zu erkennen (für) wahr_nehmen und noch weniger, die dies nicht als nur traumabedingt einordnen. Denn die Erzählung über komplex traumatisierte Menschen mit DIS enthält nach wie vor auch, dass Kinder zum Überleben davon abhängig sind, immer zu wissen, was von ihnen erwartet wird und immer auch herstellen/präsentieren/machen können, was von ihnen erwartet wird. Und weil sie es als Kinder so perfektionieren mussten, haben sie auch als Erwachsene noch dieses Muster, um sich selbst zu schützen, beziehungsweise darin Sicherheit zu finden.

Auf meiner „Traumaachse“ kann ich das durchaus auch sehen. Ich sehe aber vor allem die Traumalogik darin. Wenn ich aus traumalogischen Gründen, die Erwartungen anderer Menschen erfahren will, dann tue ich das aus Todesangst heraus. Ich habe Angst zu sterben, wenn ich nicht verstehe oder erfülle, was Menschen erwarten, denen ich eine momentane oder generelle Autorität zuschreibe.
Auf meiner „Autismusachse“ bin ich manchmal beeinflusst von meiner Traumalogik, in der Regel jedoch funktioniere ich nach allgemeiner Überforderungslogik und dem folgend nach den Prinzipien der Effizienz. Autorität zum Beispiel ist extrem ineffizient in einem 1 zu 1-Kontakt, also beachte ich sie nicht weiter, sondern konzentriere mich auf den Gegenstand des Kontaktes, um genug Energie dafür bereitzuhalten. Dabei treffe ich keine Entscheidung gegen die Autorität der Person oder gegen das Zeremoniell oder die Person selbst, sondern nur die Entscheidung mich auf das zu konzentrieren, weshalb wir in Kontakt sind. Beziehungsweise das, wovon ich glaube, dass es der Grund für den Kontakt ist.

Das ist etwas, worüber ich mich anderen Innens – auch die, die noch gar nicht orientiert sind, also sich noch im Trauma erleben – nähern kann. Wir teilen die Zerrissenheit etwas auslassen zu müssen, um Kontakte machen, halten, gestalten zu können – die Unverbundenheit mit Menschen, die wir ganz sehen und verstehen, aber nicht gleichermaßen ganz fühlen können – die Fragmentierung, die nicht (nur) (trauma)reaktiv dissoziativ, sondern auf eine Art irgendwie bio_logisch ist – und die Verwirrung darüber, welche Funktion und welche Bedeutung die Erwartung anderer Menschen an uns hat. Besonders dann, wenn diese Menschen gewaltvoll mit uns umgehen.

31072020 – Ernte

Als wir noch in der Stadt gewohnt haben, war unsere Wohnung eine Insel. Manchmal auch ein Bunker.
Ja, wir haben den Nachbarn telefonieren gehört und wenn das Müllauto durch unsere Straße fuhr, hat alles gewackelt, aber es war ruhig. Ja, die Grünflächenpflege wurde nie angekündigt und deshalb kam das stundenlange Dröhnen der Aufsitzrasenmäher und Laubpuster stets unvermittelt – ja, das war auch da.
Aber dort wurde nie geernet. Nie mit Gülle gearbeitet. Nie hat dort jemand illegale Minimotorradselbstbauten gebastelt und Testfahrten gemacht. Um halb 8 am Abend ohne Sinn und Verstand. Keiner unserer Nachbarn war Truckfahrer. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich im Bullergeddo mal 3 Tage hintereinander immer wieder dröhnenden Krach über länger als 20 Minuten ertragen musste.

Die Ernte gerade verlangt uns wirklich viel ab. Die Nachbarn auch.
Und wir noch oben drauf. Logisch. Trauma_logisch.

Wir verlangen von uns, den Schmerz wegzudrücken. Wir verlangen uns Atemübungen ab, zählen uns runter. Aktivieren unsere Rationalität und halten sie aktiv so weit es geht. Wir tragen unseren Gehörschutz unter den noise cancelling Kopfhörern, um im Büro arbeiten zu können. Lassen nicht zu, dass uns die Motorik komplett entgleist, während links von uns eine Maschine so groß wie ein Einfamilienhaus und rechts eine kleinere Roggen ernten, direkt am Weg jemand Steine schneidet, während wir telefonieren und die Hunde links und rechts an all dem so schnell wie möglich vorbeidrängen. Mein Gang wird dennoch staksig, mein Verständnis für das, was ich sehe, verzögert sich immer weiter, wir stolpern den Weg so weit es geht, nur um zu merken, das da noch eine dritte Maschine unterwegs ist und die Welt einen Moment lang eine ausweglose Hölle. Und wir atmen, staksen, sind Kopf, Wort, Gespräch, stolz nicht zu weinen, nicht gefallen zu sein, nicht in Traumashit zu rutschen. Die Hunde noch fröhlich schnuppernd an den Leinen zu haben.

Wir gehen weiter. Da vorne ist ein Miniwäldchen. Schatten. Entfernung zu dem Krach. Endlich. Wir erwarten von uns, uns nicht zu bemitleiden, nicht zu bedauern, dass wir jetzt hier sind und nicht im Teutoburger Wald, wo durchgehend Schatten und überwiegend Waldstille ist. Wir erwarten von uns, dass wir akzeptieren, dass es so ist wie es ist und immer wieder so sein wird.

Wir haben früher schon ländlich gelebt. Da haben wir in solchen Zeiten Paracetamol überdosiert. Später Ibuprofen, weil Paracetamol ja so schlecht für die Leber ist. Damals haben wir nicht von uns verlangt, den Schmerz, der mit dauerhafter Überreizung einhergeht, einfach so zu ertragen. Da haben wir uns dazu geäußert und die Menschen haben uns gesagt, man könne da nichts dran ändern, nur damit leben. Es nervt ja alle. Von „Schmerz“ zu sprechen sei völlig übertrieben und reparaturbedürftiger Fehler in uns. Und dann haben wir angefangen uns aufzuschneiden, um den Schmerz echt zu machen. Einen Schmerz zu erleben, gegen den man etwas machen kann. Mit dem uns niemand zu leben wünscht. Den alle sehen und anerkennen. Der die Erwartungen an uns weniger statt mehr werden lässt.

Heute sind die Erwartungen an uns nicht mehr formuliert. Wir enttäuschen sie in der Regel ohne jedes Vorzeichen. Erwarten von uns, nicht so viel darüber nachzudenken, weil Erwartungen mehr mit Gewohnheit zu tun haben als damit, dass sie berechtigt sind.

Heute ist Krachtag 3. Ich habe beinahe einen Nachbarschaftskrieg angefangen, den der Freund noch rechtzeitig verhindert hat.
Er kann bei offenem Fenster schlafen, während die Erntemaschinen dröhnen und der Nachbar seinen 10 Quadratmeter-Rasen mit seinem Aufsitzmäher von 5 Millimeter Höhe auf 2 Millimeter Höhe schneidet.

Ich weiß, dass niemand von uns erwartet, mit etwas zurechtzukommen, das sich für uns zuweilen als nicht vereinbar mit dem Leben darstellt. Ich weiß das, weil ich weiß, dass es sich für die meisten nicht so anfühlt, sondern einfach nur laut. Wenn überhaupt.

Erwartungen haben

Wir fuhren die Landstraße entlang und sahen das Auto, das uns keine 20 Sekunden später rammen würde, dem Fahrzeug vor uns ausweichen. Dann ein Knall. Rauch. Schmerzen, die sich vertraut und dennoch unangenehm ausbreiteten.
Das war vor ein paar Jahren. Ein Autofahrer war zu schnell unterwegs und hatte die Kontrolle über sein Auto verloren, weil er niesen musste.

Ich weiß noch, dass ich eher genervt als panisch “Scheiße” dachte. Dass ich den Aufprall, den Schmerz und die Notwendigkeit sich an den Erste Hilfe-Kurs, der schon länger her war, zu erinnern, erwartete. Und ich weiß noch, wie sehr ich mich dafür gehasst hatte, nicht handeln zu können. Wie ich mich dabei beobachtete von einem Baby-Sein verdrängt zu werden und um ein Leben zu schreien, das als solches gar nicht richtig bewusst ist.
Wie erbärmlich und wehleidig ich mir vorkam, meine Bewegungen so abzuzirkeln, dass es möglichst wenig weh tat.

Dieses Ereignis war keine traumatische Erfahrung für mich.
Ich hatte den Aufprall erwartet. Wusste zwar nicht, ob ich ihn überleben würde, ging aber davon aus, dass ich ihn auch überleben könnte. Ich hatte Schmerz erwartet. Wusste zwar nicht, welchen und in welchem Ausmaß, wusste aber, dass mein Körper schon viele Schmerzarten “weggesteckt” hatte.
Ich hatte erwartet, dass Ersthelfer_innen kommen würden. Sie kamen.
Ich hatte erwartet, dass andere Menschen mir ansehen können würden, dass mir dieser Unfall passiert war und mit mir darüber sprechen würden. Und sie konnten. Und sie sprachen. Manchmal auch mit mir.

Die Erwartungen, mit denen Menschen durchs Leben gehen, sind wichtig. Zu erwarten, dass bestimmte Dinge passieren, spielt maßgeblich in ihre Bewertung und in die Entscheidungen, die man trifft ein.
Erwartungen entstehen aus Erfahrungen mit Dingen, die passieren.

Die Lebenserfahrungen, die ein Mensch durchgemacht hat, helfen sich ein Bild von der Welt und sich selbst zu machen.
Je kongruenter und vielfältiger diese Bilder sind, desto besser sind Menschen davor geschützt, Abweichungen oder Widersprüche als irritierend oder nachhaltig verwirrend, verunsichernd oder sogar tiefgreifend schockierend, lebensbedrohlich und unaushaltbar zu erleben.

Das heißt nicht, dass jede_r schon einmal einen Autounfall gehabt haben muss, um den nächsten gut zu verarbeiten.
Das heißt, dass es hilft einen Autounfall gut zu verarbeiten, wenn man beispielsweise schon einmal Schmerzen hatte (diese Wahrnehmungsqualität und mögliche Umgänge damit kennt), schon einmal davon gehört hat oder einen gesehen hat und erlebt, dass dieses Wissen bzw. diese und ähnliche Erfahrungen auch bei den Menschen im direkten Umfeld vorhanden sind.

Es hilft, vieles zu erwarten. Je mehr man erwartet, desto mehr kann davon bestätigt werden. Wird von 50 Erwartungen eine enttäuscht, sind da immer noch 49, die bestätigt werden. Und obwohl menschliche Gehirne darauf ausgerichtet sind, sich besonders die Enttäuschungen, Schmerzen oder andere weniger angenehme Dinge zu merken und besonders zu verarbeiten, so sind es die angenehmen Erfahrungen und Bestätigungen, die diese Einordnung überhaupt erst möglich machen.

Man kann sich bestätigte Erwartungen wie einen Stoff vorstellen, der dem Gehirn Futter und Arbeitsanlass zugleich ist. Ein Gehirn, das in schöner Regelmäßigkeit leichte Arbeiten zu verrichten hat und dabei immer gut versorgt wird, kommt mit einem Zeitraum härterer Arbeit besser zurecht, als eines, das durchgehend überfordert ist und mangelhaft versorgt.

„Erwartung“, das ist ein Wort, das heute einen fast negativen Beigeschmack hat, weil es oft mit “Anspruch” übersetzt wird.
Eine Erwartung zu haben, sagt aber mehr über innere Er_Lebens:qualitäts:gewohnheiten aus, als darüber, was man im Zusammenhang mit dem Außen als legitim oder gerechtfertigt einordnet.

Wenn ich zum Beispiel erwarte, dass ich etwas sehe, wenn ich die Augen öffne, dann hat das etwas damit zu tun, dass ich mein Leben lang immer sehen konnte, sobald ich sie geöffnet hatte.
Wenn ich aber in einem dunklen Raum sitze, dann ist etwas sehen zu wollen ein Anspruch, den ich erhebe, weil mir die Gewohnheit meines Sehens legitim erscheinen lässt, auch hier etwas zu sehen.

Das heißt: Anspruch ist von Erwartung nicht zu trennen – es handelt sich aber um zwei unterschiedliche Dinge.
Und das ist wichtig im Hinterkopf zu haben, wenn man sich damit auseinandersetzt, warum manche Erfahrungen traumatisch sind und manche nicht. Und warum ein und dasselbe Ereignis für die eine Person traumatisch war und für eine andere nicht.
Und warum es für Menschen, die bereits als Säugling oder Kleinkind immer wieder Gewalt erfahren haben, noch einmal schwieriger ist, sich im Lebensalltag danach zurechtzufinden. Selbst dann, wenn sie keine posttraumatischen Belastungen im Sinne einer PTBS oder ähnliches erleben.

 


 

Der Autounfall, den ich zu Beginn schildere, war eine krasse Irritation für mich. Der Schmerz, die Hilflosigkeit und die Idee jetzt gleich sofort zu sterben, jedoch nicht. Schließlich bin ich 16 Jahre lang immer unfallfrei in Autos mitgefahren, hatte aber auch immer wieder Situationen erlebt, in denen ich mit unvorhersehbaren, unausweichlichen, unbeeinflussbaren Schmerzen, Todesangst und globaler Hilflosigkeit konfrontiert war.

Waren meine Gewalterfahrungen in dem Moment also ein Schutzfaktor von dem Autounfall traumatisiert zu werden?
Keine Ahnung – in jedem Fall haben sie mich davor bewahrt, diese Empfindungen bzw. Wahrnehmungsqualitäten gleichermaßen krass irritierend zu empfinden, wie den Umstand, dass da ein Auto in das Auto hineinfährt, in dem ich sitze.

Die Person, die damals das Auto gefahren hatte, hatte diesen Erfahrungshintergrund nicht. Und soweit ich das mitgekriegt habe, hatte sie erheblich  mehr mit der Verarbeitung des Unfalls zu kämpfen, als ich. Für sie muss es sowohl um den Aspekt “da ist ein Auto in mein Auto gefahren – das ist aber gar nicht üblich” als auch “ich fühle etwas, womit noch nie oder bisher nur ein zwei Mal konfrontiert war” gegangen sein. Wenn nicht noch um mehr, denn sie war zum Zeitpunkt des Unfalls erwachsen, weiß, abliert,  Elter eines Kindes, aufgrund des Berufs für mich in gewisser Hinsicht verantwortlich …

Die Person hat, soweit ich das weiß, diese Erfahrung am Ende doch gut verarbeitet.
Aber nehmen wir mal an, es wären für sie sehr viele Erwartungen an sich und die Autofahrt und eintreffende Ersthelfer und spätere Versorgungsinstanzen enttäuscht worden.

Nehmen wir mal an, es wäre ein Unfall auf der Route 66 mitten in der Wüste gewesen. Anderer Autofahrer tot (enttäuschte Erwartung: Menschen, mit denen man zu tun hat, leben), die Person selbst hat überlebt (enttäuschte Erwartung: ich sterbe jetzt).
Sie muss sich allein aus dem Auto befreien (enttäuschte Erwartung: wenn ich Hilfe brauche, bekomme ich sie).
Muss allein zu Menschen kommen, die helfen könnten und dafür sorgen, dass sie dies auch tun (enttäuschte Erwartung: wenn mir etwas passiert, wird jemand kommen/sehen, dass ich Hilfe brauche).

Da es keine Zeug_innen außer ihr für den Unfall gibt, ist sie die einzige Person auf der Welt von der sie sicher weiß, wie das ist, auf der Route 66 einen schweren Autounfall gehabt und überlebt zu haben. (enttäuschte Erwartung: ich bin nicht allein mit dem Wissen darum, dass es so etwas gibt und wie sich das anfühlt und wie genau diese Situation war)

Nehmen wir an, die Person lebt allein und hat eine gesellschaftliche Rolle inne, die bestimmte Anforderungen an sie legitimiert (weil es normalisiert ist diese zu haben).
Ist die Person ein Mann, können diese Anforderungen sein, allgemein “hart”, “taff”, “stark” zu sein (nicht verweichlicht wie eine Frau – wer wie eine Frau ist, ist kein “richtiger Mann”).
Ist die Person eine Frau, kann die Anforderung sein, aus dem Umstand sich allein um Hilfe bemüht zu haben, eine emanzipatorische Kraft zu entwickeln (welche die Erfahrung auf fast magische Weise in ihren Auswirkungen verwandelt (weil wer sich selber ganz toll stark um sich kümmert, ist ja fast schon ein ganz toll starker Mann und damit besser als eine “richtige Frau”) oder aus anderen Gründen bitteschön die Klappe über irgendwelche Gefühle zu halten.
Ist die Person behindert, arm, rassiert oder schon älter oder jünger, kann die Anforderung sein, sich in seinen Reaktionen und Kompensationsformen der (weißen, ablierten, ökonomisch unabhängigen mittelalten) Norm anzupassen, um überhaupt als NORMaler Mensch an.erkannt zu werden, der in der Lage ist bestimmte Gefühle oder Belastungen zu erleben.

Nehmen wir an, dass die Person diesen Anforderungen nicht entsprechen kann und in der Folge nicht mit anderen Menschen über die gemachte Erfahrungen sprechen kann. (enttäuschte Erwartung: Ich muss nicht allein mit der Erfahrung bleiben und muss sie nicht allein aus eigener Kraft verarbeiten)

Man soll ja keine Rezepte zu psychischen Belastungen schreiben. Doch wenn man eines suchen würde, so würde man es in dieser angenommenen Konstellation finden. Und zwar nicht nur, weil dieser Person etwas passiert ist, das außergewöhnlich war und vielleicht außergewöhnlich schrecklich, sondern, weil sie allein damit bleibt und diese Erfahrung mit einem gestressten (also auf eine spezifische Art zu funktionieren gezwungenem) Gehirn zu verarbeiten, das eine Menge enttäuschter Erwartungen zu verdauen hat.


 

Kommen wir mal weg von einzelnen Erfahrungen und gehen über zu Menschen, deren Erwartungen immer auch ein Szenario der Todesangst, Hilflosigkeit und wie auch immer gearteten Versehrung (die mit Schmerzen vom Körper gemeldet werden) beinhalten.

Wie gesagt speisen sich Erwartungen aus der Gewohnheit bestimmter Er_Lebens:qualitäten.
Wer immer wieder erlebt, dass schöne Situationen in schreckliche kippen, ohne, dass es vorher konkrete oder absehbare oder erkennbare Hinweise darauf gibt oder auch immer wieder mit bizarren sozialen Konstellationen konfrontiert wird oder auch immer wieder tiefgreifend im eigenen Verstehen von sich selbst und der Welt um sich herum verunsichert wird, hat am Ende andere Erwartungen an den Lauf der Dinge, als eine Person, bei der das nicht passiert.

Es kann normal werden, sich auf nichts verlassen zu können, außer darauf, dass viele und regelmäßig auch jede Erwartung enttäuscht wird.
Denn dafür sind Erwartungen wichtig.
Für das Zu- und Vertrauen in sich und die Welt, die Menschen um sich herum, den Lauf der Dinge, den man jeden Tag beobachten kann. Kann man die eigene Umgebung nicht abschätzen – nicht zuverlässig erwarten, was wann warum und wie und mit welchen eventuell absehbaren Folgen passiert, gibt es weder Chance noch Anlass über das Hier und Jetzt hinaus zu denken oder zu planen.

Erwartungen sind jedoch eine Art kleine Idee von Zukunft.
Und die Zukunft als konstante Idee ist, neben vielen anderen Dingen, etwas, das Menschen ganz konkret am Leben hält.

Menschen würden verhungern, hätten sie nicht (aufgrund vieler Erfahrungen des Sattseins und Sattwerdens) die Idee, dass sie nach (also in der Zukunft) dem Verzehr von etwas keinen Hunger mehr haben. Besonders Menschen als Wesen mit extrem langer Nesthockdauer, hätten keinen Anlass zur Fortpflanzung oder Nachwuchsversorgung, zu allgemein angenehmer sozialer Interaktion und ergo verstehbarer Kommunikation, hätten sie kein Verständnis von Ursache und Wirkung im Sinne einer Entwicklung, die über einen Moment oder mehrere einzelne Momente hinausgeht.

Wir halten also fest: es ist für Menschen schon ziemlich vorteilhaft einen breiten Blick auf die Zukunft in der Gegenwart wahrnehmen und als wahrscheinlich annehmen (erwarten) zu können.
Umgekehrt muss es also auch ziemlich ungünstig sein, wenn man so gewachsen ist, dass der Zukunftsblick nicht weiter als einige Minuten oder vielleicht Stunden oder Tage reicht, weil mehr einfach nicht verlässlich vorhersehbar (bestätigend erwartbar) ist.

Das Risiko für Menschen mit komplexer Traumatisierung durch zum Beispiel Gewalt in der Familie oder Krieg (also einem langen Zeitraum in chaotischen Umständen, die nicht selbst beeinflusst oder verlassen werden können), eine Problematik, wie eine Essstörung, eine Sucht oder eine chronische Suizidalität zu entwickeln, ist 7 Mal so hoch, wie für Menschen die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Aus Gründen, die genau damit zu tun haben, dass bestimmte Erwartungen anzustellen nicht möglich war.

Diese Menschen haben manchmal über Jahrzehnte nicht die Möglichkeit gehabt, ihrem Gehirn das Planen und Erwarten über einen langen Zeitraum hinweg anzutrainieren. Und was Gehirne nicht trainieren, das verlernen sie oder lernen es nie. Solche Gehirne lernen “überleben und kompensieren” statt “überleben und spezialisieren” – ganz ganz ganz grob gesagt.
Ganz grob gesagt, weil natürlich auch traumatisierte Gehirne sich ausspezialisieren.
Nur eben an anderen Schaltstellen, die wiederum eine Ausentwicklung von zum Beispiel Süchten oder ähnlichem zu begünstigen scheinen – aber das Leben in der “Misshandlungsfamilie” oder anderen schwierigen Umfeldern, akut immer wieder gerettet und gesichert haben.

 


 

Ich habe diesen Artikel angefangen, weil ich mich im Moment viel mit meiner Zukunft auseinandersetze und merke, wie fremd sich das anfühlt.
Es erscheint mir nicht verlässlich, dass passiert, was ich mir überlege – es erscheint mir aber überhaupt und das ist der bemerkenswerte Aspekt.
Es erscheint mir möglich auch in einem Jahr noch zu leben. In zwei Jahren noch Wünsche und Ideen zu haben. Es ist mir greifbar, heute, morgen, nächste Woche, in zwei Monaten… noch daran arbeiten können, dass ich in zwei oder drei oder 10 Jahren etwas tun kann.

Es ist eine Annahme, die sich aus einer Erwartung, die ich ohne es zu merken habe, weil das, was sie beinhaltet eine Konstante in meinem jetzigen Leben ist. Ich habe ein relativ unangreifbares Jetzt und Heute und Morgen und nächste Woche.
Erschien mir vor 4-5 Jahren die Abschiedsworte meiner Therapeutin “Wir sehen uns nächste Woche” einigermaßen schräg, weil nicht zuverlässig, verabschiedete ich mich vor ein paar Wochen selbst sehr bewusst mit den Worten: “Tschüss – bis nächste Woche”.

Weil mir diese nächste Woche sehr zuverlässig erschien. Weil ich sehr klar hatte und auch mit einem gewissen aktiven Rückgriff auf meine in den letzten Jahren entwickelte Er_Lebens:qualitäts:gewohnheit fühlen konnte: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich nächste Woche noch lebe und hier ankomme und etwas sagen kann und etwas arbeiten kann. Sehr viel höher als, dass das nicht der Fall ist.

Das geht über einen bloßen Lernerfolg hinaus. Ein Lernerfolg war, dass ich überhaupt für jede Woche einen Termin vereinbarte. Denn einerseits machen das viele Therapeut_innen so (und ist es ja auch allgemein bei Leuten, die Leute über einen langen Zeitraum behandeln oder betreuen oder sonstwie begleiten wollen, so, dass sie lieber regelmäßige als spontane Treffen machen) – andererseits hatte ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass die Termine nicht konstruktiv oder sonstwie hilfreich sind, wenn ich einfach irgendwie so eventuell vielleicht in einen Termin reinstolpere.

Was da jetzt besteht, ist, denke ich, das Ergebnis von Neuroplastizität.
Ich muss nicht mehr intensiv aus einer fest verankerten, weil x-fach bestätigten, Unsicherheit heraus darüber nachdenken, wie sehr ich darauf vertrauen kann, dass meine Annahme richtig ist, in der nächsten Woche noch am Leben zu sein und den Termin auch wahrnehmen zu können.
Irgendwie denke ich einfach, dass das so ist.
Einfach so. Kurzer Dienstweg. Automatische Annahme. Normalisierte Erwartung, dass das auch so eintreten wird.

Emotional ist sowas natürlich nachwievor “gefährlich” und mein traumatisiertes Gehirn erinnert mich auch immer wieder daran, dass Erwartungen enttäuscht werden können. Es hat einen Grund, weshalb ich der Therapeutin “Tschüss – bis nächste Woche” sagte und einen Grund, weshalb ich mir dessen ganz bewusst bin: Ich bekam ziemlich bald darauf Angst, sie könnte die Behandlung jetzt beenden. Könnte nächste Woche nicht mehr da sein – oder ich könnte nächste Woche nicht mehr da sein. Und überhaupt: nächste Woche – wie konnte ich denken, das sei ein überschaubarer, eingrenzbarer Zeit_Raum?!

Ich spürte, wie sich kompensatorische Dynamiken warmliefen. Wie mein Denken umklappte und mir den Horizont bis auf das akute Hier und Jetzt verdunkelte.
Daneben spürte ich aber auch, wie ich das spürte. Wie ich merkte, dass mein Funktionieren sich von jetzt auf gleich verkürzte, verknappte, wie sich in mir etwas ganz klein zusammenschrumpelte, hart machte, ängstlich anspannte und in dieses schreckliche rein reaktive Sein zu balancieren versuchte.

Ich konnte das als Unterschied wahrnehmen. Als etwas, dass so irgendwie aber eigentlich gar nicht sehr so üblich ist. Merkwürdig überraschenderweise. Irritierenderweise. Das will ich jetzt aber lieber so, wie sonst auch – weise.
Oh G’tt oh G’tt, was passiert mit mir-weise.

Die Oh G’tt oh G’tt, was passiert mit mir-Schleife aber, kenne ich. Die kenne ich schon ziemlich gut. Ich habe mich vielseitig und lange damit auseinandergesetzt, was mit mir los ist und glücklicherweise habe ich dazu einige Antworten gefunden, die mir valide und brauchbar sind.
Ich weiß, dass mir bestimmte Dinge Angst machen.
Ich weiß, dass das Bewusstsein jederzeit sterben zu können bzw. nicht mehr zu sein oder Menschen nicht mehr im Leben zu haben, in mir drin ganz besonders gut ausgebaute Reizautobahnen haben, die ganz gerne mal benutzt werden, um 100% sicher zu gehen, dass ich auch ganz wirklich echt und absolut sicher weiß, dass das passieren kann (oder: “WIRD!!11!1”, wie es das mir ins Hirn schreit) und eventuell vielleicht mein Leben bedroht.

Und ich weiß, dass gerade weil es diese Autobahnen gibt – ich noch etwas warten muss, bis das, was da im Volvo auf der Landstraße noch unterwegs ist, auch bei mir angekommen ist. Ich weiß, dass es die Zukunft gibt und ich kann sie er_warten.

In dem Fall der Angst darum, dass die Therapeutin die Behandlung beenden würde oder nächste Woche nicht mehr da sein könnte, ging es darum auf das Gefühl zu warten, das man hat, wenn man sich auf die Kontinuitäten der Vergangenheit besinnt.
Es hat mich beruhigt zu wissen, dass sie uns immer Bescheid gesagt hat, wenn ein Termin mal ausfallen muss (und das nie etwas mit uns zu tun hat) und wie selten das war. Wie viele Wochen wir uns schon kennen, weil wir uns so viele Wochen schon getroffen haben.
Es hat aber auch beruhigt zu erinnern, wie oft wir das schon überstanden haben, wenn Therapeut_innen nicht mehr da waren. Wegen uns oder wegen was auch immer.
Und es hat beruhigt zu wissen, dass ich schon sehr oft hätte sterben können, es aber nicht tat. Wie oft ich überhaupt am Tag denke: “Jetzt sterbe ich” oder “Jetzt könnte ich sterben” – aber dann doch nichts passiert.

Meine kleinen Volvofahrgedanken helfen mir die Autobahnfahrgedanken in ein Verhältnis zu setzen. Sie helfen mir zu planen und Zukunft als feste Größe einzubeziehen. Selbst dann, wenn sie mir gerade sehr unsicher, unkonkret, undenkbar oder auch unvorstellbar erscheint.
Aber ich muss sie abwarten. Ich muss dafür sorgen, dass sie überhaupt losfahren und ankommen können.
Wie das gut klappt, habe ich auch schon gelernt.

Ich brauche einen guten Warteraum.
Was ich in solchen Momenten nicht ertragen (und generell nicht gebrauchen) kann ist eine Umgebung, die mich und meine Autobahngedanken bestätigt oder verstärkt. Sei es durch Unzuverlässigkeit oder Unübersichtlichkeit oder fehlende Möglichkeiten mich in Bezug auf irgendwas selbst_wirksam zu erleben.

So nutzt es mir nichts von 10 Leuten in meinem Leben zu hören, dass ich mich jederzeit melden kann, wenn ich etwas brauche – doch niemanden davon auch wirklich akut erreichen kann.
Es hilft auch weniger “mich abzulenken” als mich “perspektivisch umzulenken”. Kein Wortspiel – ganz richtiger Ernst.
Ich fange heute in solchen Momenten kein Projekt mehr an, das mich absorbiert und 5 Wochen später (schön am Krisenpunkt vorbei) wieder ausspuckt – ich beginne etwas, das mir hilft eine Sicht auf mein Jetzt und mein Nachher zu stärken. Zum Beispiel hilft es mir, mich damit zu befassen, wie ich es gerne hätte – erlaubt auch als völlig zusammengesponnene Utopie.

Gerade in Bezug auf “Ich könnte sterben oder die Therapeutin bricht den Kontakt ab” hilft mir eine Utopie um Volvofahrgedanken anzustoßen.
Denn die Idee für immer und ewig niemals getrennt von der Therapie bzw. der Therapeutin zu sein, kommt mir lächerlich vor – obwohl sich in dem Fall die Angst der Kontakt könnte unerwartet enden, dann erledigt hätte.
Genauso wie mir der Gedanke missfällt, ich könnte sie und die therapeutische Arbeit mein Leben lang brauchen.

Wichtig ist mir da, das Ganze nicht in eine Imaginationsgeschichte zu drehen.
Imaginationen sind mir etwas total Intimes – etwas, was ich nicht gut mitteilen kann – eine Angst vor Beziehungsabbruch oder Todesangst hingegen will ich mitteilen können. Sie zum Anlass oder Teil einer Imagination zu machen, bedeutet für mich, dass ich niemals mit der Therapeutin darüber reden kann, als sei das real da. Vielleicht bin ich da komisch – aber es gehört zu unseren Therapiebedingungen, dass wir nur über Dinge sprechen, die uns real da und echt und wahrhaftig sind.

Andere Aspekte eines “guten Warteraums” ist die Zeit als greifbar erlebbares Ding, das beobachtbar ist und die Relationen der Dinge, die uns sicher erscheinen. Straßenbahnen sind dafür gute Werkzeuge. Es gibt sie – in einer gewissen Variation – und sie fahren – ebenfalls mit einer gewissen Variation der Zuverlässigkeit. Man kann Straßenbahnen gut zugucken und merken, dass alles irgendwie geht. Manchmal auch: vorbei geht.
Sowas beruhigt mich. Und wenn ich beruhigt bin, bummeln die Volvofahrgedanken langsam in mein Denken.

Früher habe ich nicht auf diese Gedanken gewartet. Ich musste lange daran arbeiten sie zu erkennen und gleichermaßen ernstzunehmen wie die Gedanken, die mir schrill den Alarm gemacht haben.
Doch heute – nach vielen Erfahrungen von Momenten, in denen ich sie bemerkte – erwarte ich sie.

Und in ihrer Ankunft – darin wurde ich noch nie enttäuscht.

 

*Text als PDF zur freien Weitergabe

es gibt einen Termin

In 4 Wochen ist der Aufnahmetermin in der Klinik und ich glaube, dass ich jetzt fertig mit meinem Erschrecken und Teilen meines Ärgers darüber bin.

Mein Ärger rührt daher, dass unsere Jahresplanung einen freien Mai zum bis-ans-Meer-fahren hatte und jetzt natürlich nicht mehr. Mein Ärger rührt daher, dass wir mit einer Aufnahme “Ende Februar/Anfang März” geplant hatten und Aufträge abgelehnt haben, an denen wir hätten Geld verdienen können. Um ohne Geldkummer in die Planung des freien Mai gehen zu können. Zum Beispiel.
Mein Ärger rührt daher, dass ich mich, trotz allen Wissens und aller Vorbereitung über den Umstand erschrecke, dass es jetzt einen Termin gibt.

Ich fühle mich eingesperrt in diesen Termin. Habe das Gefühl, trotz aller Möglichkeit, nicht ablehnen zu dürfen. Geschweige denn zu können. Ich kenne so viele, denen es akuter schlecht geht als uns. Weiß von so vielen, die weniger verkorkst für die Hilfe- und Heilungsindustrie sind, als wir.
Und merke wie so eine Hassenergie in mir über diesen Vergleich mit anderen Menschen hochwallt.

Die Therapeutin fragte, ob ich dort überhaupt hin will und ich weiß selbst nicht mehr, was ich ihr geantwortet hab. Jetzt, wo ich fertig mit meinen Gefühlen bin, denke ich, dass ich einfach nicht will, was ich fürchte, was alle dort in dieser Klinik, die Therapeutin, unsere Gemögten und Gemochten glauben, was ich will.
Dass ich nicht will, was ich befürchte, was ich wollen muss. Oder widerspruchslos akzeptieren.

Ich will dieses Moment nicht, das wir in der Krisenstation hatten. Wir haben so lange durchgehalten unsere psychische Dekompensation über die neue Diagnose und ihre Implikationen zu managen, dass wir nicht mal mehr für das Heilungsprogramm dieser Station noch Kraft hatten. Da war keine Kraft mehr sich vor Therapieansätzen zu schützen, die unser Vielesein ausblenden und die allgemein fragile Selbst- und Umweltwahrnehmung, die dahinter steht.
Ich konnte mich nicht dagegen wehren mehr Medikamente zu bekommen, als wirklich nötig waren. Wir konnten uns selbst nicht mehr einbringen in das, was auf der Station als Hilfsangebot gilt.

Ich war an der Entscheidung für den Antrag zur Aufnahme in der Klinik insofern beteiligt, als, dass ich unter dem Vorbehalt zustimme, dass ich die Zustimmung zurückziehe, wenn ich den Eindruck habe, dass wir uns dort behandeln lassen sollen, anstatt, dass wir die Möglichkeiten, die es dort eben so gibt, nutzen können und dort jemanden haben, der uns dabei unterstützt zu reflektieren, was jeweils dabei mit uns passiert.

Wenn man sich die Informationstexte und Behandlungsrahmen der Hilfe-und Heilungsindustriestandorte so durchliest, dann sollte man denken, meine Vorbehalte hätten keine richtige Grundlage. Überall geht es um Eigenverantwortung der Patient_innen oder auch darum, “den Kranken zu helfen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen”.
Der Punkt ist: Wir haben unser Leben schon selbst in der Hand. Wir leben schon eigenverantwortlich.
Und “krank” waren wir nie. Als “krank” müssen wir uns bezeichnen lassen, damit unser Leiden an der (Selbst- und Umwelt-Wahrnehmungs-)Qualität unseres eigenverantwortlichen Lebens nach schweren Gewalterfahrungen bis ins junge Erwachsenenleben hinein, anerkannt wird und wir um Unterstützung, die vielleicht auch Hilfe werden kann, über die gegebenen Strukturen auch gewährbar bitten können.

Ja – nein – leicht und einfach ist das alles nicht.
Leicht haben sich andere Innens das mal gemacht. Früher. Als wir 14 Jahre alt waren und wütend auf die Heilerinquisition der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die uns einfach gar nicht geholfen hat. Heute weiß ich ja, wie genau nicht einfach man Jugendliche unterstützen und schützen kann, wenn im Hintergrund organisierte Gewalt passiert.
Aber damals war das wichtig. Die waren scheiße und fertig. Böse Nichthelden! Mimimi.

Und heute – so viele tausend Grenzverletzungen durch Nichthelferheld_innen, die uns doch so gerne retten wollten oder wenigstens dabei sein wollten, wenn wir uns selbst retten, damit sie von sich sagen können, sie hätten auch einen Anteil dessen gehabt – bin ich das Innen, das alles komplizierter macht, als es ist. Angeblich.
Und natürlich, weil ich ja ein Innen bin, das in einer traumatischen Situation entstanden ist: hochgradig reaktiv und traumaperspektivisch. Zu deutsch: nicht so ganz orientiert und auf der Höhe der Zeit – also: nicht so ganz zu gebrauchen, wenn es um “vernünftige Auseinandersetzung mit diversen Themen des Hier und Jetzt” geht.
Das ist jetzt natürlich eine wilde Spekulation von mir. Weil gesagt hat mir das nie jemand. Nur gezeigt. Und zwar immer wieder. Indem man relativiert, was ich sage, oder jeden Aspekt, den ich aus einer Situation wahrnehme auf mich und meine Wahrnehmung(squalität) allein herunter individualisiert – das Problem der Situation zu genau einzig meinem Problem allein erklärt. Und damit am Ende genau mich und meine Wahrnehmung zu dem Problem macht.

Erste Klasse “kognitive Verhaltenstherapie” – “denke anders – handle anders”. Man möchte mich so gern davon überzeugen, dass Hilfe super ist, weil sie hilft – und das ja ist, was ich will. Angeblich.
Doch was ich will, habe ich in Bezug auf “Hilfe” noch nie gesagt. Ich spreche immer wieder von Unterstützung und Begleitung, von Möglichkeiten sich überhaupt erst einmal anzunähern an das, was ist, um zu prüfen, was eigentlich werden kann. Was vielleicht auch anders werden kann.

Die Annahmen und Ideen, die Menschen von meiner Idee von Unterstützung haben, poltern meistens unbesehen genau darüber hinweg. “Ja ja schon verstanden – sie wollen also aus ihrem Elend gerettet werden- alles klar – hier Ergo – hier Imagination – Einzelsitzungen zweiter Stock rechts – Mittag um 12 – Entlassung in 4 bis 6 Wochen – hier Ihre Tagesration Tavor – ruhen Sie sich jetzt mal aus – Doktor kommt gleich.”.

Und dazu kommt noch die  Kleinigkeit wegen des öffentlich selbstvertretenden Schreibens über das Leben mit DIS und dem Leben an sich, zu einer Person mit DIS, die Öffentlichkeitsarbeit macht, erklärt zu werden. Mit allen Konsequenzen, die das hat. Wie zum Beispiel der, dass wir immer wieder von vorn erklären müssen, dass wir für uns und unsere Ideen und Intensionen allein schreiben. Dass wir erklären müssen, dass wir nicht auf Du-und-Du mit den Heilungshelfer_innen der DIS-Szene sind. Dass wir schon schrieben, als noch niemand das Blog von Vielen mitlas und auch dann noch schreiben, wenn niemand mehr mitlesen möchte.
Die wenigsten Menschen wissen, was ein Blog ist, und viele, die es wissen, denken an Blogs, in denen Produkte platziert oder heilungsindustrielle Interessen weiterverarbeitet werden. Die meisten Menschen stellen sich uns wie eine geübte Selbstdarstellerin mit viel Kraft und Chuzpe für 50 Kerle vor und wir sind die, die das aushalten müssen. Egal, ob wir das können oder nicht.

Ich sehe an der Klinikaufnahme eines dieser Abgrenzungs- und Rechtfertigungsgespräche hängen, die wir in der Therapie führen müssen, wenn unsere Therapeutin einen ihrer (eher seltenen aber wenn dann) wilden “Und was bedeutet das jetzt?”-Ausfälle hat und sich völlig an uns vorbei in irgendwelchen Annahmen verfranst.
Ich will keine Kapazitäten für die Richtigstellung des äußeren Blicks auf uns freimachen müssen. Ich will, dass unsere Kraft für uns allein sein kann. Wenigstens für diesen Zeitraum in der Klinik.

Für mich gibt es nicht viel Anlass zu glauben, dass uns das wirklich gewährt wird. Ich hab nur Anlass zu Annahme, dass ich selbst auch falsche Annahmen habe, die ich überprüfen muss, bevor ich diesem Aufenthalt wirklich zustimmen kann. Immerhin sind gut 6 Jahre seit dem letzten Aufenthalt dort vergangen und wir haben viel für uns erarbeitet.

Aber, wenn sich meine Annahmen bestätigen, muss ich davon ausgehen, dass das alles zu meinem persönlichstindividuellen Privatproblem gemacht wird. Und nicht zu einem Problem, das sich nur niemand außer mir anguckt. Und entsprechend damit umgehen muss.
Egal, ob ich das kann oder nicht. Egal, ob ich das aushalte oder nicht.