Vor einiger Zeit erhielt ich immer wieder Emails, in denen wir als “Herr Rosenblatt” angeschrieben wurden.
Es ging um eines dieser unsinnigen Marketing/Verkaufs… irgendwas mit kapitalistischer Verwertungslogik-Dinger. Kennen wir. Machen wir nicht. Ignorieren wir.
Aber das “Herr Rosenblatt” saß.
Nicht nur, weil es mal wieder eine Anfrage an uns als Blogger_in ist, der so offensichtlich anzusehen ist, dass man sich absolut gar nicht damit befasst hat, was das hier ist, sondern, weil man obendrein nicht eine Sekunde überlegt hat, was für eine Person diese Inhalte produziert hat. Sowas nervt.
Und schmerzt.
Misgendering ist, neben unausweichlicher Reizkakophonie und der ständigen Konfrontation mit dem, was unsere Traumatisierungen ausmacht, der tägliche Schmerz mit dem wir umgehen. Die Welt um uns herum ist entlang von Männern und Frauen strukturiert, die sich selbst übereinstimmend mit dieser Einordnung empfinden (also cis sind) und wir werden dort mit hineingequetscht, ganz egal, wie wir das finden, ob wir passen oder nicht. Und völlig gleich, wie wir selbst uns sehen. Denn jemand, die_r so empfindet, gibt es schlicht nicht in dieser Welt.
Wir selbst erleben uns oft machtlos davor.
Wir haben Freund_innen und Verbündete, die wissen, das wir viele und nonbinary/genderqueer sind – vor denen wir uns vor Jahren damit schon geoutet haben! – und uns trotzdem vor anderen als Frau ansprechen, weil wir Uterus und Brüste haben.
Dass wir diese Menschen trotzdem noch als Freund_innen und Verbündete betrachten, verstehen wir selbst manchmal nicht. Aber was sollen wir denn auch machen? Sie fallen lassen, weil sie versuchen uns in dieser Welt irgendwo einzuordnen, was an sich doch total gut ist – das wollen wir doch? Was können sie denn für die Binärität unserer westlichen Kultur?
Und was ist mit jenen, die weitaus weniger mit uns zu tun haben, aber doch freundlich eingestellt sind, weil bestimmte Dinge verbinden? Sollen wir sie hauen, weil sie mit dem Namen “Hannah”, der für die Mehrheit der Menschen einfach mal ein “weiblicher” Vorname ist, eine Frau verbinden? Das kommt für uns nicht in Frage – aber was genau denn “weiblich” und was “männlich” sein soll, das wollen wir auch nicht immer mit allen diskutieren. Denn am Ende landet man immer entweder an schlichtem Transhass oder an kognitiver Dissonanz, bei der man einerseits total klar hat, dass Namen, Dinge, Körper an sich erst mal gar kein Geschlecht haben, aber irgendwie doch alles eins hat, weil … kulturelle Realität?
Und dann kommen noch Terf (trans exclusive radical feminist)-Argumentationen wie “Nonbinary sein zu wollen ist internalisierter Frauenhass” oder “Wenn sich jemand nicht mit seinem Körpergeschlecht (zing da ist sie wieder, die Idee Körper könnten ein Geschlecht haben) übereinstimmend erlebt, ist psychisch krank, womöglich sogar tief traumatisiert und muss in einer Psychotherapie umgepolt repariert normalisiert cis gemacht behandelt werden.”.
Tja und wer ist komplex traumatisiert und erlebt sich nicht als Frau, obwohl der eigene Uterus seiner Pflicht als alleiniges Frauenerkennungsmerkmal zuverlässig nachkommt? Richtig – wir.
Das eigene Gender zu erforschen, sich damit auseinanderzusetzen, wer man auf dieser Achse ist, das ist und bleibt einer unserer krassesten Therapiefortschritte.
Dazu gehörte die Etablierung von einer Grenze zwischen dem, wie man angesprochen wird und ob das etwas ist, das in sich resoniert. Dieser ganze Abgrenzung-ist-so-wichtig-Zauber, den wir in der Klinik lernen sollten, den haben wir gelernt und peng kommt raus: Hier resoniert so gar nichts außer einer alten “Fuck meine Mutter ist hier?!”-Panik, wenn uns jemand mit “Frau Herkunftsfamiliennachname” anspricht – hier resoniert aber auch nichts, wenn uns jemand mit “Herr Herkunftsfamiliennachname” anspräche.
Angesprochen fühlen wir uns von dem Namen “Hannah”. Der ist irgendwann gewachsen. Aus uns heraus und aus einer aufrichtig innigen Affinität zur Namensbedeutung, nämlich “Gnade” oder auch “Barmherzigkeit”. So wollen wir sein und im Miteinander in dieser Welt wirken. Barmherzig- herzig, herzlich im weitesten Sinn. Warm, weich, weit, fürsorglich, für andere da, die jemanden brauchen, der da ist.
Dass das Eigenschaften sind, die als weiblich eingeordnet werden, weil wir in einem Patriarchat leben und in einem solchen niemals ein Mann ein Mann sein kanndarfsoll, der auch nur den Hauch von Gnade, Barmherzig- oder gar Fürsorglichkeit am Leib hat, war uns damals scheiß egal. Wir wissen ja, das so ziemliche jede Eigenschaft universell ist. Und wir sind ja unter anderem genau deshalb feministisch aktiv, damit sich genau diese Universalität niederschlagen kann.
Der Name “Hannah (Cecile) Rosenblatt” hat sich ursprünglich aus der Notwendigkeit eines Autor_innennamen, bzw. eines ernstzunehmenden Pseudonyms, ergeben.
Wir wollten einfach nicht als “kleine Wattewölkchen” oder “Donnerschlag22” ins Internet schreiben. Wir wollten als Person, mit Namen und anderen mehr oder weniger unverwechselbaren Eigenschaften auftreten und gesehen werden, wenn uns schon jemand anguckt bzw. wir einfach sichtbar sind. Wir wollten uns kongruent erleben und darin ernstgenommen werden.
Wir wollten nicht als “weibliche Bloggerin” oder “weibliche Autorin” verstanden werden.
Doch das werden wir. Immer wieder, ganz selbstverständlich und automatisch. Ohne Zweifel, Hinterfragen – selbst dann, wenn man unsere Arbeiten schon seit Jahren verfolgt und also auch irgendwie – und sei es subtil durch die Art, wie wir gendern – mitbekommen muss, dass wir uns seit inzwischen 6 Jahren offen als nonbinary/genderqueer einordnen oder mindestens mal selbst die Haltung vertreten, dass es mehr als zwei Gender gibt.
Wir sind mit dem Blog von Vielen auf verschiedenen Listen von “Blogs, die von Frauen gemacht werden”. Das Podcast ist auf der Liste der Podcasts, in denen Frauen sprechen.
Und warum lassen wir das so?
Weil es keine Listen gibt, die Angebote von Personen anderer Gender auflistet.
Weil so eine Liste für genau diese Menschen zum Teil Lebensgefahr bedeutet.
Denn man soll ja nicht glauben, dass so eine emotionale Watsche, die die Ablehnung des Nichtfraunichtmannseins jeden Tag mit sich bringt, das Einzige ist, was Menschen mit eben jener Identität begegnet. Schaut mal in die Twittermentions von offen (aktivistischen) Transpersonen, Nonbinarys und Queers, schaut bei hatr.org in die Sammlung des Hate Speech. Es gibt Menschen, die Menschen verletzten, vergewaltigen, töten wollen, einzig weil sie nicht das Geschlecht haben, das ihnen aufgrund von nicht mehr als Machtgewohnheiten und (patriarchaler) Gewaltkultur zugeordnet wird.
Manche Menschen denken, das sei nicht vergleichbar. “Uns als Frau denken und ansprechen” versus “Uns aufgrund des nonbinary/genderqueer seins verletzen”, aber letztlich ist beides Gewalt. Beides verletzt. Beides weist uns einen Platz in der Gesellschaft zu, an dem wir nicht als respektable, in ihrer Verortung zu achtende Person behandelt werden.
Jan Phillip Reemstma schreibt, dass jede Gewalt einen Körper trifft und auch hier an dieser Stelle stimmt das. Es trifft immer uns und immer verkörpern wir uns. Uns als Frau aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale einzuordnen, verkörpert nichts außer das biologistische Konzept, nachdem aufgrund von (als unveränderlich angenommener) Merkmale eingeordnet und klassifiziert wird.
Auch hier berühren wir einen Therapiefortschritt.
Nämlich den zu begreifen und es als kongruent zu erleben, dass wir selbst uns auch verkörpern. Und zwar mit diesem Körper, der bestimmte Grenzen der Belastung, ein bestimmtes Aussehen, der bestimmte Eigenschaften und Funktionen hat.
Dazu kommt das Gefühl sich selbst zu gehören. Selbst zu sein, weil man selbst neben sich auch Körper ist.
Wir mussten das alles erst mal haben und können und stabil erleben, damit wir überhaupt an den Punkt kommen konnten, an dem wir merkten, dass wir in unserer Körper-Seele-Geist-Einheit durchaus passieren und sind – dass diese jedoch genau in nichts mit Männlichkeit oder Weiblichkeit kongruent ist, sondern in eben genau dem, wer und was wir sind: viele_s und alle_s.
Sich selbst einem Gender zuzuordnen ist kein Vermeidungstanz. Jedenfalls nicht bei uns und bei noch niemandem, di_en wir kennengelernt haben.
Aber das Trauma. Das hat doch bestimmt was mit uns gemacht. BESTIMMT, oder?
Ja klar hat es was mit uns gemacht. Vor allem die Erkenntnis, dass sich Männer und Frauen – und auch Leute, die etwas anderes sind – in nichts unterscheiden, was die Formen von Gewalt angeht, wenn sie welche ausüben.
Uns haben nicht nur Männer und ab und an mal Frauen miss.be.handelt. In dem Umfeld, in dem wir Gewalt erfahren haben, gab es x verschiedene Leute, die nur wegen einem da waren. Nämlich Macht empfinden. Manchmal auch: Selbst_Bestätigung fühlen. Oder: sich abreagieren von all dem, was sie als persönliche Kränkung im Alltag empfinden.
Dieser von uns üb.erlebte Kontext organsierter Gewalt ist genderlos, denn er funktioniert über so abstrakte Dinge wie Geld, Macht und soziale Verbünde, in denen nicht nur als männlich oder weiblich eingeordnete Eigenschaften relevant sind, um fortexistieren zu können. Es geht um Performance und die ist, im Gegensatz zum tatsächlich vorhandenen Gender, wandelbar.
Wir können überhaupt nur aufgrund unserer Traumatisierung davon sprechen, dass es keine eindeutig einem Gender zuzuordnende Eigenschaften gibt. Unsere Gewalterfahrungen sind insofern also durchaus ein Grund für unsere Einordnung als nonbinary/genderqueer – wir haben selbst erlebt, was für ein Stuss das “der aktive Vergewaltiger”, “die passiv Vergewaltigte”, “die durch Dinge wie BDSM oder ähnliches entstehende Transperson” – Narrativ ist.
Heute planen wir unsere Vor- und Nachnamens- und Personenstandsänderung.
Im September startet nämlich die Aktion Standesamt 2018, über die ihr euch mit einem Klick auf das Bild zur dritten Option informieren könnt und im Zuge dessen es Antragsformulierungen auf der Webseite zu finden gibt.
Ob wir auch bei der Aktion mit dabei sind, wissen wir jedoch noch nicht.
Denn, obwohl ein dritter Geschlechtseintrag vom Gesetzgeber bis Ende diesen Jahres ermöglicht werden soll, sehen die Umsetzungsvorschläge und Zugänglichkeiten bisher nicht auch für uns passend aus.
Die Aktion soll ein Zeichen dafür setzen, welche vielen verschiedenen Bedarfe es für diese dritte Option gibt. Deshalb beantragt man, den Eintrag, der mit dem eigenen Geschlecht kongruent ist (das wäre in unserem Fall nonbinary/genderqueer) zu bekommen, obwohl es diesen Eintrag jetzt noch nicht gibt.
Das heißt, man stellt einen Antrag, der von Anfang an nicht bewilligt werden kann und möglicherweise auch später nicht, wenn die dritte Option an sich dann etabliert ist, aber vielleicht ausschließlich für Interpersonen.
Wir können uns so etwas nicht leisten.
Allein für eine Vor- und Nachnamensänderung muss man mit Kosten zwischen 2,50€ und 2500 € rechnen, je nachdem, was da alles auf eine_n zukommt und wo man wohnt.
Bei uns kommt noch die Kraftrechnung dazu.
Wir müssen für Fremde erklären, dass wir Opfer organisierter Gewalt waren und uns von einem neuen Namen, und einem entsprechenden Sperrvermerk in den Archiven erhoffen, schwerer auffindbar zu sein und dadurch etwas mehr geschützt zu sein als jetzt.
Das ist ein Ding für uns und steht völlig neben unserer Geschlechtsidentität.
Und doch. Wäre es ein all-in-one-Abwasch, könnten wir alles gleichzeitig beantragen.
Ein dritter Geschlechtseintrag, den wir auch nutzen könnten, würde uns weniger zu jemandem machen, die_r sich irgendwie besonders machen will und allein auf weiter Heide steht, weil es ja in der offizöslichen Welt keinerlei Entsprechung gibt. Wir hätten autoritäre Stützen auf unserer Seite, die uns validieren.
Auch wieder etwas, das Kraft frisst: Autoritätendenken und ihre Auswirkungen.
Wir wissen schon jetzt, wer und was wir sind. Wir brauchen nicht für uns, dass der Staat sich hinstellt und sagt: Leute, die keine Frau bzw. kein Mann sind, gibt es wirklich und alle haben das zu akzeptieren. Wir brauchen es für Leute, die nur so zu respektvollem, achtsam anerkennendem Verhalten gegenüber Menschen, die nicht Frau und auch nicht Mann sind, gebracht werden können. Oder an die Idee, dass das was sein könnte, was von ihnen verlangt wird.
Das ist wovor wir uns immer wieder machtlos fühlen.
Dass wir immer nur uns haben, wenn es darum geht als die Person anerkannt zu werden, die wir sind.
Die Leute können uns an der Stelle verletzen, ausgrenzen und manchmal auch demütigen, wie sie wollen, sie sind eindeutig, sie sind strukturell anerkannt, sie sind in ihrem Geschlecht normalisiert und etabliert. Sie können mit uns umgehen, wie sie wollen und wenn sie uns verletzen wollen, indem sie uns in ihre dyacissexistische Einordnung reindrücken, dann gibt es nichts außer der Bitte, das nicht zu tun, was wir dem entgegenstellen können. Rein gar nichts.
Außer vielleicht noch dem Appell an Moral, nachdem man andere Menschen bitte einfach nicht verletzt.
Aber wieviel Wert hat das, wenn es keinen Anlass gibt anzuerkennen, dass es überhaupt wirklich und echt verletzt, wenn man falsch eingeordnet wird.
Wir können verstehen, wenn es anderen Menschen schwer fällt oder erst mal komisch vorkommt, mit uns als Person umzugehen, die nicht okay damit ist als “Frau Rosenblatt/Herkunftsfamilienname” angesprochen oder vorgestellt zu werden. Vielleicht sind wir die erste Person, die das von ihnen abverlangt, vielleicht fühlt man sich selbst irgendwie aussätzig vor anderen, wenn man über eine andere Form der Kommunikation offenlegt, dass man mit so jemand wie uns überhaupt Kontakt hat.
Aber mehr als Verständnis wollen wir zunehmend nicht mehr aufbringen.
Denn Verständnis für die Anstrengung neue Formen der mitmenschlichen Kommunikation anzuwenden, bedeutet nicht, dass wir okay damit sind, wenn Gewohnheit oder die persönliche Einordnung unserer Bezeichnung als irrelevant, am Ende doch bestimmt, wie die Ansprache oder Darstellung vor anderen ist.
Besonders die persönliche Einordnung der Relevanz oder Wichtigkeit über unsere Relevanz oder Wichtigkeit zu stellen, ist eine Form der zwischenmenschlichen Gewalt.
Und damit etwas, das wir einfach nicht mehr in unserem Leben haben wollen.
Auch ein Therapiefortschritt übrigens.
Falls du ein_e Freund_in, Verbündete oder anders mit uns Bekannte bist, die das hier liest:
Nenn uns Hannah (C. Rosenblatt) oder Rosenblätter, benutz den Plural, wenn du über und mit uns sprichst, den Singular, wenn du gezielt mit jemand von uns sprichst.
Wenn es dir unangenehm ist oder es für dich (oder uns) gefährlich sein könnte, uns als viele und nonbinary/genderqueer zu besprechen, dann nenne einfach nur unseren Namen und vermeide Pronomen.
Wir gehen mit unseren Verletzungen aus Misgendering in der Regel nicht offen um.
Und gestern Abend, nachdem wieder so etwas war, dachten wir, wie eigentlich ungut das ist. Es sollte kein üblicher Bestandteil von unseren Kontakten sein, damit leben zu müssen, zum Einen nicht gänzlich anerkannt zu sein und zum Anderen mit Verletzung und Übergriffigkeit rechnen zu müssen.
Vielleicht ist die Arbeit daran das, was später einmal zu einem weiteren Therapiefortschritt wird:
Selber Grenzen setzen und halten. Egal vor wem.
Mehr Themen, die aus der binären Einordnung herausfallen, könnt ihr im großartigen Nichtbinär-Wiki nachlesen.
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