14072020 – #NonBinaryDay und #DisabilityPrideMonth

Heute ist „Non Binary Day“. Ein Tag, an dem der Hashtag #NonBinaryDay mit vielen hilfreichen Informationen zum Thema gefüllt, aber auch viel Solidarität und Liebe geteilt wird.
Es ist ein Tag, an dem wir noch einmal mehr Validierung von Außen erfahren als sonst. Das fühlt sich gut an und stärkt uns.

Im analogen Kontakt outen wir uns in der Regel nicht oder erst bei engerem Bezug als nicht binär. Das hat nichts mit einem Gefahrerleben zu tun oder mit Scham, sondern damit, dass oft niemand weiß, was das überhaupt ist oder bedeutet.
Für die meisten Menschen gibt es nur Menschen, die „männlich“ oder „weiblich“ oder „was anderes“ sind. Manchmal ist „was anderes“ noch mit „intersex“ bezeichnet, aber auch das ist eher selten und wird oft doch als „was anderes“ gedacht, nämlich als Abweichung von der Norm oder biologischer Quirk.

„Non binary“ bzw. „nicht binär“ ist ein Sammelbegriff. Unter ihm können sich Menschen verschiedener Gender einfinden. Es gibt agender Personen, die sich als nicht binär bezeichnen, genderfluide, genderqueere und auch Menschen, die trans sind. Mit dem Begriff bezeichnet man also eine Positionierung auf dem Genderspektrum und nicht unbedingt ein Gender an sich.

eine gerade Linie an deren Enden mit Vierecken markiert
What people think non-binary means
ein bunter Kreis, an dessen horizontalen Enden des Durchmessers male und female steht (verbunden durch eine schwarze Linie) auf dem Rest des Kreises sind verteilt an unterschiedlichen Punkten kleine Dreiecke über denen
what non-binary actually means

 

Unzureichende Bildung.smöglichkeiten/zugänge, hetero_normative cis sexistische Grundhaltungen, Ideale und Politiken tragen bis heute dazu bei, dass Menschen außerhalb des linear gedachten Gendergradients als Abweichung eingeordnet werden. Der Umgang mit nicht binären Personen (und anderen Menschen, die sich nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen (lassen)) der westlichen bis in ihren Kern ableistischen und gewaltkulturell definierten Gesellschaft, ist bis heute von Pathologisierung, Abwertung und der Negierung real erfassbarer Existenz geprägt.

Dieser Umgang ergibt für behinderte Personen eine Schnittmenge, die zu einer sogenannten „Mehrfachdiskriminierung“ führt.
Behinderte Menschen erfahren ebenfalls eine durchgehende Pathologisierung ihrer Normalitäten, aufgrund ableistischer Grundannahmen und Werte, die einzig durch cis Gender und heterosexuelles Begehren verkörpert bzw. belebt werden. Zudem wird behinderten Menschen aufgrund ihrer Behinderung jedwedes Begehren oder sexuelle Aktivität abgesprochen. Auch wird dieser Personengruppe in Korrelation zu der so eingeordneten, „Schwere der Behinderung“ abgesprochen, überhaupt eine Geschlechts_Identität zu haben und im Außen eine Entsprechung und Annahme dessen vorfinden zu wollen.
Behinderten Menschen wird damit eine für die allgemeine Er_Lebensqualität relevante Ebene ihrer selbst abgesprochen. Sie erfahren dadurch die Degradierung zu verkörpertem Leben in einer als minderwertig ein.ge_schätzten Form, da keinerlei andere Funktion.alität als der Selbsterhalt (so dieser ohne Hilfsmittel und medizinische Unterstützung überhaupt gegeben ist) zugetraut und anerkannt wird. Entmenschlichung wie diese, erleichtert es Politikern wie Jens Spahn, Gesetze, wie das aktuell vielstimmig kritisierte, da gegen Artikel 3 der deutschen Grundgesetze verstoßende, „Intensivpflege“stärkungs“gesetz“ überhaupt zu denken.

Aber auch Kinder und alte Menschen – die aufgrund ihrer noch nicht entwickelten oder durch ihr Alter und die damit einhergehenden Einschränkungen nicht mehr durchführbaren Fertig- und Fähigkeiten, „voll funktionsfähig“ („abliert“) sind – sind von „Entsexualisierung“ betroffen und erleben sich häufig nicht als sexuelle Wesen mit Geschlechtidentität akzeptiert und behandelt.
Hier ist besonders zu erwähnen, dass es in der Regel Ableismus ist, der zuerst zu dieser Diskriminierung führt und nicht Sexismus oder Hass auf Menschen anderer Geschlechtsidentität als „männlich“ oder „weiblich“. Sexismus fußt auf Ableismus, wie es praktisch jeder andere *ismus auch tut.

Nicht binäre Menschen und andere Personen, die in dieser Gesellschaft nicht als real existierend eingeordnet werden, sehen sich jeden Tag in verschiedenen Aspekten vor der Herausforderung, sich selbst zu validieren und als existent zu markieren. Sie werden nicht kriminalisiert, sie werden nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, ihnen wird die Ehe nicht verweigert, sie werden nicht davon ausgeschlossen ein politisches Amt zu bekleiden oder ein Land zu regieren – weil es sie offiziell gar nicht gibt.
So kommt es immer wieder zu Konflikten in Kreisen, die sich für die Rechte von LGBT+ Personen einsetzen. Unter anderem deshalb, weil z. B. der deutsche LGBT+-Aktionismus stark beeinflusst ist von weißen Menschen, die durch ableistische, klassistische, rassistische Strukturen und kulturelle Praxen kaum existenziell bedroht bzw. diskriminiert sind. Sie mussten nie den Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentanz führen, wie ihn alle Menschen, die mit diesem putzigen „+“, manchmal auch „*“ zusammengefasst wie eine homogene Masse hinter den Buchstaben stehen, jeden Tag führen und ertragen müssen.

In dieser Woche startet auch die „Non Binary Awareness Week“.
Ihr könnt diese Woche nutzen,

  • um @NBWeek auf Twitter zu folgen
  • um diesen umfangreichen Thread von @cuffedCatling zu lesen
  • um die Serie „One Day At A Time“ bei Netflix kennen und lieben zu lernen, denn es ist eine der ersten Serien, in der ein nicht binärer Charakter auch offen als solcher bezeichnet auftritt – ohne pathologisiert oder abgewertet zu werden
  • um euch die Beiträge unter #NonBinaryDay durchzulesen und sie zu teilen, um damit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen
  • um mal zu schauen, ob ihr schon mal ein Buch, ein Lied oder Kunst von einer nicht binären Person genossen und weiterempfohlen habt. Falls euch auffällt, dass ihr das noch nie getan habt: Viele Bücher und mehr zum Thema von Menschen, die es betrifft, findet ihr bei transfabel.de.
  • um euch darüber zu informieren, was geschlechtliche Vielfalt bedeutet. Um Texte dazu zu verstehen, kann das Queer-Lexikon hilfreich sein.
  • euch zu überlegen, ob ihr uns mal für einen Workshop zur Thematik einladet (wir bieten derzeit ausschließlich Online-Workshops an)
    Unsere E-Mail-Adresse ist im Impressum hinterlegt. Auch über speakabled.de und speakerinnen.org könnt ihr Kontakt mit uns aufnehmen.

note on: keine Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur #drittenOption

Der Freitag war für uns ein wichtiger Tag. Aus Gründen, die wir heute gar nicht einmal mehr abrufen können, waren wir davon überzeugt gewesen, dass der Bundesrat gegen den vorgelegten Gesetzesentwurf zur sogenannten „dritten Option“ Einwendungen erheben würde.
Als das nicht passierte, war es schlimm.

Nicht, weil wir nicht bekommen hatten, was wir wollen. Nicht, weil wir wieder daran erinnert wurden, wie weit unsere Belange hinter pseudopolitisch verkleideten Individualinteressen, wie denen von Seehofer und Co stehen, sondern, weil wir genau in dem Moment der Nachricht wussten, dass darüber zu sprechen ganz genauso schmerzhaft werden würde, wie die Ablehnung der Überarbeitung des Gesetzentwurfes.

Bei kaum einem anderen Thema spüren wir unsere Filterblase so deutlich, wie bei dem um die eigene Geschlechtsidentität.

In der Traumablase herrschen so viel unhinterfragte binäre Cisheteronormativität (also die Annahme normal sei, wer ganz klar Mann oder Frau und heterosexuell ist), dass die krasseste Abweichung noch „andersgeschlechtliche Anteile“ in Menschen mit sekundärer bzw. tertiärer DIS darstellt.
In der linken Blase zerbröselt man sich darüber, dass es ja in Wahrheit nichtmal links ist, sowas wie Trans- und Interrechte, Queertheory und intersektionalen Feminismus zu kennen, zu fordern, zu unterstützen, zu stärken, zu sichern.

Wir merken: wann, wie, wo auch immer wir Menschen, die uns beiläufig falsch einordnen, korrigieren, werden wir erneut eingeordnet. Als störend, anstrengend, durchgeknallt, schrill, Po-Mo – also nicht als Person, die ist, wie und wer sie ist, sondern als eine Eigenschaft oder ein Zustand, des Hier und Jetzt.

Wir mussten in den letzten Monaten oft Gespräche führen, in denen wir uns mit der Behauptung konfrontiert sahen, Identitätspolitik wäre an sich diskriminierend, irrelevant, ja sogar gefährlich.
Uns hat das jedes Mal tiefgreifend getroffen, verletzt, zuweilen auch einfach hoffnungslos überfordert.
Denn wo soll man auch anfangen, wenn Leute, die nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie das ist, wenn man selbst einfach nicht ist wie sie, obwohl man viele Eigenschaften teilt, vor eine.r.m sitzen und so etwas vertreten wie: „Na aber wenn jede_r selbst bestimmen, dürfte, dann würden ja Männer behaupten, sie seien Frauen und dann würden die Männer den Frauen die Frauenförderung wegnehmen.“ oder „Wenn alle ihren Geschlechtseintrag ohne jede Kontrollinstanz bestimmen dürften, dann gäbs ja noch mehr Fantasiegeschlechter!“

Worauf sollen wir uns beziehen, wenn wir vor Personen sitzen, die glauben unsere Gewalterfahrungen hätten unser Verhältnis zu Männern und Frauen so nachhaltig zerstört, dass wir uns selbst als keins von beidem identifizieren wollen? Als sei Identität – genauer Geschlechtsidentität – eine Wahl, die man trifft und nicht ein Bewusstsein zu dem man kommt, wenn man sich entlang aller Erfahrungen – auch Selbsterfahrungen – reflektiert und darüber definiert.

Selbst vor biologistischer Argumentation bleiben wir nachwievor jedes Mal fassungslos über die überraschend verbreitete Desinformation unserer Gesellschaft. Da wird immer noch geglaubt, Hormone allein bestimmten über ein Geschlecht, oder wie ein Genital aussieht. Oder welches Geschlecht begehrt wird. Oder welche Körperfunktionen wie zugelassen werden oder nicht. Ammenmärchen soweit das Auge reicht, und absolut 0 Bereitschaft mal ein Buch in die Hand zu nehmen, sich einen Vortrag anzuhören, sich weiterzubilden oder wenigstens in Betracht zu ziehen, dass nicht ganz so richtig und komplett sein könnte, was man in der Schule über das Thema „Geschlecht“ gelernt hat.

Im Ärzteblatt wurde kürzlich behauptet, trans sei ein Trend, was an Unprofessionalität kaum die Transfeindlichkeit überbieten kann.

Selbstbestimmung ist im Trend. Antidiskriminerung ist im Trend. Diversity ist im Trend.
Warum? Weil es Gesetzgebungen und EuGh-Urteile gibt, die es verbieten zu diskriminieren, fremdzubestimmen, Menschen die Identität abzusprechen bzw. Identitäten aufzuzwingen.

Es gibt im Moment sehr viele rechts_konservative Stimmen, die von einer Debatte oder Diskussion sprechen, wenn es um die Rechte von marginalisierten (also als Minderheit einordneten) Menschen geht.
Dabei muss eigentlich allen Menschen klar sein, dass Identitäten, genauso wie jede andere persönliche und möglicherweise absolut individuelle Eigenschaft und ihre Anerkennung vor Recht und Gesetz, niemals zur Diskussion stehen dürfen.

Man stelle sich mal vor es ginge um Leute mit lockigem Haar.
Niemand sieht eine belockte Person und stellt erstmal zur Debatte, ob diese Locken nun da sind oder nicht, oder, ob das nicht vielleicht einfach nur glatte Haare sind, die um Kurven in der Luft gewachsen sind.
Genauso absurd sind die Debatten, die gerade passieren und genauso sprachlos wie eine jede, wie auch immer stolze oder bewusste Lockenkopfperson, sind wir immer wieder.

Besonders für uns als Person mit DIS war es viel anstrengende und zeitweise auch enorm schmerzhafte Therapiearbeit an den Punkt zu kommen, an dem wir uns der Tatsache stellen konnten zu sagen: Ja, wir sind uns sicher und können das stabil, unabhängig von unserer Identitätsstruktur und damit verbundenen Problemen fühlen: Wir sind keine Frau. Wir sind kein Mann. Wir sind viele, wir sind wir, wir alle.s sind eine queere Person.

An diesen Punkt sind wir übrigens auch nicht gekommen, weil wir Frauenberatungsstellen nutzen konnten oder weil überdurchschnittlich viele unserer behandelnden Therapeut_innen auch Feministinnen waren, sondern trotzdem das so war.
Das sagen wir nicht gerne, aber wir müssen das sagen. Weil es Teil dessen ist, was uns so oft so geschmerzt und auch in Solidaritätskonflikte gebracht hat. Da waren und sind Menschen hilfreich – allerdings nur und manchmal auch ausschließlich, weil sie uns als Frau eingeordnet haben. Ohne jemals danach zu fragen, als was wir uns selbst identifizieren.

Früher ging das noch irgendwie okay. Heute geht es nur mit Überwindung, schlechtem Gewissen und immer wieder mit dem Wunsch nach Angeboten, die sich genau an Menschen wie uns richten. Solche Angebote gibt es aber nicht bzw. nur sehr selten. Wie sollte es sie auch geben, will man noch nicht einmal in der Politik, die für alle Menschen gleichermaßen gut und sichernd wirken soll, anerkennen, dass es uns gibt.

Gestern lasen wir ein Interview mit dem Philosophen Robert Faller, in dem er sagte, dass wer nichts mehr werden könne, mehr Bezug dazu aufbaut, wer er (sic!) sei und das als Waffe im Kampf um Ressourcen nutze.
Eine Unterstellung, die nur aufbauen kann, wer sich in einem ständigen Kampf um Ressourcen wähnt bzw. Anerkennung als Ressource zu instrumentalisieren versteht.
Aber natürlich ist das auch ein Punkt. Haben wir ja gerade selbst geschrieben, dass wir uns anerkannt haben wollen, um Ressourcen fordern zu können, die speziell für uns gemacht werden.
Doch stellt sich für uns diese Forderung nicht als eine Forderung, um der Forderung selbst willen dar.

Wir wollen nicht als nicht binär anerkennt werden, um es zu sein.
Wir sind nicht binär und haben die gleichen Rechte auf Anerkennung und Versorgung, Sicherheit und Selbstbestimmung, wie alle anderen Menschen auch.

Das ist alles, worum es geht.
Wir haben Rechte und die werden uns nicht zugestanden.
Mehr muss man nicht verstehen. Wenn man keinen Bock hat, das eigene Welt- und Menschenbild zu verändern – bitte. Ist ja auch viel und anstrengend und kann irgendwie unheimlich, weil unübersichtlich sein.
Aber glaubt bitte nicht, nur weil man uns nicht anerkennt, wären Menschen wie wir „in Wahrheit“ nicht da und unsere Forderungen deshalb nichts weiter als nerviges, weil anmaßendes, unötiges Gejammer von Leuten, die irgendein special Extra wollen, das ihr dann nicht haben könnt, weil ihr ja „nur normal“ seid.

„Normal“ sein ist ein Privileg.
Eins, das allen zusteht.

 

P.S. Danke Filterblase <3

gelb, weiß, lila, schwarz / lila, weiß, grün

Vor einiger Zeit erhielt ich immer wieder Emails, in denen wir als “Herr Rosenblatt” angeschrieben wurden.
Es ging um eines dieser unsinnigen Marketing/Verkaufs… irgendwas mit kapitalistischer Verwertungslogik-Dinger. Kennen wir. Machen wir nicht. Ignorieren wir.
Aber das “Herr Rosenblatt” saß.
Nicht nur, weil es mal wieder eine Anfrage an uns als Blogger_in ist, der so offensichtlich anzusehen ist, dass man sich absolut gar nicht damit befasst hat, was das hier ist, sondern, weil man obendrein nicht eine Sekunde überlegt hat, was für eine Person diese Inhalte produziert hat. Sowas nervt.

Und schmerzt.
Misgendering ist, neben unausweichlicher Reizkakophonie und der ständigen Konfrontation mit dem, was unsere Traumatisierungen ausmacht, der tägliche Schmerz mit dem wir umgehen. Die Welt um uns herum ist entlang von Männern und Frauen strukturiert, die sich selbst übereinstimmend mit dieser Einordnung empfinden (also cis sind) und wir werden dort mit hineingequetscht, ganz egal, wie wir das finden, ob wir passen oder nicht. Und völlig gleich, wie wir selbst uns sehen. Denn jemand, die_r so empfindet, gibt es schlicht nicht in dieser Welt.

Wir selbst erleben uns oft machtlos davor.
Wir haben Freund_innen und Verbündete, die wissen, das wir viele und nonbinary/genderqueer sind  – vor denen wir uns vor Jahren damit schon geoutet haben! – und uns trotzdem vor anderen als Frau ansprechen, weil wir Uterus und Brüste haben.

Dass wir diese Menschen trotzdem noch als Freund_innen und Verbündete betrachten, verstehen wir selbst manchmal nicht. Aber was sollen wir denn auch machen? Sie fallen lassen, weil sie versuchen uns in dieser Welt irgendwo einzuordnen, was an sich doch total gut ist – das wollen wir doch? Was können sie denn für die Binärität unserer westlichen Kultur?

Und was ist mit jenen, die weitaus weniger mit uns zu tun haben, aber doch freundlich eingestellt sind, weil bestimmte Dinge verbinden? Sollen wir sie hauen, weil sie mit dem Namen “Hannah”, der für die Mehrheit der Menschen einfach mal ein “weiblicher” Vorname ist, eine Frau verbinden? Das kommt für uns nicht in Frage – aber was genau denn “weiblich” und was “männlich” sein soll, das wollen wir auch nicht immer mit allen diskutieren. Denn am Ende landet man immer entweder an schlichtem Transhass oder an kognitiver Dissonanz, bei der man einerseits total klar hat, dass Namen, Dinge, Körper an sich erst mal gar kein Geschlecht haben, aber irgendwie doch alles eins hat, weil … kulturelle Realität?

Und dann kommen noch Terf (trans exclusive radical feminist)-Argumentationen wie “Nonbinary sein zu wollen ist internalisierter Frauenhass” oder “Wenn sich jemand nicht mit seinem Körpergeschlecht (zing da ist sie wieder, die Idee Körper könnten ein Geschlecht haben) übereinstimmend erlebt, ist psychisch krank, womöglich sogar tief traumatisiert und muss in einer Psychotherapie umgepolt repariert normalisiert cis gemacht behandelt werden.”.

Tja und wer ist komplex traumatisiert und erlebt sich nicht als Frau, obwohl der eigene Uterus seiner Pflicht als alleiniges Frauenerkennungsmerkmal zuverlässig nachkommt? Richtig – wir.

Das eigene Gender zu erforschen, sich damit auseinanderzusetzen, wer man auf dieser Achse ist, das ist und bleibt einer unserer krassesten Therapiefortschritte.
Dazu gehörte die Etablierung von einer Grenze zwischen dem, wie man angesprochen wird und ob das etwas ist, das in sich resoniert. Dieser ganze Abgrenzung-ist-so-wichtig-Zauber, den wir in der Klinik lernen sollten, den haben wir gelernt und peng kommt raus: Hier resoniert so gar nichts außer einer alten “Fuck meine Mutter ist hier?!”-Panik, wenn uns jemand mit “Frau Herkunftsfamiliennachname” anspricht – hier resoniert aber auch nichts, wenn uns jemand mit “Herr Herkunftsfamiliennachname” anspräche.

Angesprochen fühlen wir uns von dem Namen “Hannah”. Der ist irgendwann gewachsen. Aus uns heraus und aus einer aufrichtig innigen Affinität zur Namensbedeutung, nämlich “Gnade” oder auch “Barmherzigkeit”. So wollen wir sein und im Miteinander in dieser Welt wirken. Barmherzig- herzig, herzlich im weitesten Sinn. Warm, weich, weit, fürsorglich, für andere da, die jemanden brauchen, der da ist.

Dass das Eigenschaften sind, die als weiblich eingeordnet werden, weil wir in einem Patriarchat leben und in einem solchen niemals ein Mann ein Mann sein kanndarfsoll, der auch nur den Hauch von Gnade, Barmherzig- oder gar Fürsorglichkeit am Leib hat, war uns damals scheiß egal. Wir wissen ja, das so ziemliche jede Eigenschaft universell ist. Und wir sind ja unter anderem genau deshalb feministisch aktiv, damit sich genau diese Universalität niederschlagen kann.

Der Name “Hannah (Cecile) Rosenblatt” hat sich ursprünglich aus der Notwendigkeit eines Autor_innennamen, bzw. eines ernstzunehmenden Pseudonyms, ergeben.
Wir wollten einfach nicht als “kleine Wattewölkchen” oder “Donnerschlag22” ins Internet schreiben. Wir wollten als Person, mit Namen und anderen mehr oder weniger unverwechselbaren Eigenschaften auftreten und gesehen werden, wenn uns schon jemand anguckt bzw. wir einfach sichtbar sind. Wir wollten uns kongruent erleben und darin ernstgenommen werden.

Wir wollten nicht als “weibliche Bloggerin” oder “weibliche Autorin” verstanden werden.
Doch das werden wir. Immer wieder, ganz selbstverständlich und automatisch. Ohne Zweifel, Hinterfragen – selbst dann, wenn man unsere Arbeiten schon seit Jahren verfolgt und also auch irgendwie – und sei es subtil durch die Art, wie wir gendern – mitbekommen muss, dass wir uns seit inzwischen 6 Jahren offen als nonbinary/genderqueer einordnen oder mindestens mal selbst die Haltung vertreten, dass es mehr als zwei Gender gibt.

Wir sind mit dem Blog von Vielen auf verschiedenen Listen von “Blogs, die von Frauen gemacht werden”. Das Podcast ist auf der Liste der Podcasts, in denen Frauen sprechen.
Und warum lassen wir das so?
Weil es keine Listen gibt, die Angebote von Personen anderer Gender auflistet.
Weil so eine Liste für genau diese Menschen zum Teil Lebensgefahr bedeutet.

Denn man soll ja nicht glauben, dass so eine emotionale Watsche, die die Ablehnung des Nichtfraunichtmannseins jeden Tag mit sich bringt, das Einzige ist, was Menschen mit eben jener Identität begegnet. Schaut mal in die Twittermentions von offen (aktivistischen) Transpersonen, Nonbinarys und Queers, schaut bei hatr.org in die Sammlung des Hate Speech. Es gibt Menschen, die Menschen verletzten, vergewaltigen, töten wollen, einzig weil sie nicht das Geschlecht haben, das ihnen aufgrund von nicht mehr als Machtgewohnheiten und (patriarchaler) Gewaltkultur zugeordnet wird.

Manche Menschen denken, das sei nicht vergleichbar. “Uns als Frau denken und ansprechen” versus “Uns aufgrund des nonbinary/genderqueer seins verletzen”, aber letztlich ist beides Gewalt. Beides verletzt. Beides weist uns einen Platz in der Gesellschaft zu, an dem wir nicht als respektable, in ihrer Verortung zu achtende Person behandelt werden.

Jan Phillip Reemstma schreibt, dass jede Gewalt einen Körper trifft und auch hier an dieser Stelle stimmt das. Es trifft immer uns und immer verkörpern wir uns. Uns als Frau aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale einzuordnen, verkörpert nichts außer das biologistische Konzept, nachdem aufgrund von (als unveränderlich angenommener) Merkmale eingeordnet und klassifiziert wird.

Auch hier berühren wir einen Therapiefortschritt.
Nämlich den zu begreifen und es als kongruent zu erleben, dass wir selbst uns auch verkörpern. Und zwar mit diesem Körper, der bestimmte Grenzen der Belastung, ein bestimmtes Aussehen, der bestimmte Eigenschaften und Funktionen hat.
Dazu kommt das Gefühl sich selbst zu gehören. Selbst zu sein, weil man selbst neben sich auch Körper ist.

Wir mussten das alles erst mal haben und können und stabil erleben, damit wir überhaupt an den Punkt kommen konnten, an dem wir merkten, dass wir in unserer Körper-Seele-Geist-Einheit durchaus passieren und sind – dass diese jedoch genau in nichts mit Männlichkeit oder Weiblichkeit kongruent ist, sondern in eben genau dem, wer und was wir sind: viele_s und alle_s.

Sich selbst einem Gender zuzuordnen ist kein Vermeidungstanz. Jedenfalls nicht bei uns und bei noch niemandem, di_en wir kennengelernt haben.

Aber das Trauma. Das hat doch bestimmt was mit uns gemacht. BESTIMMT, oder?
Ja klar hat es was mit uns gemacht. Vor allem die Erkenntnis, dass sich Männer und Frauen – und auch Leute, die etwas anderes sind – in nichts unterscheiden, was die Formen von Gewalt angeht, wenn sie welche ausüben.
Uns haben nicht nur Männer und ab und an mal Frauen miss.be.handelt. In dem Umfeld, in dem wir Gewalt erfahren haben, gab es x verschiedene Leute, die nur wegen einem da waren. Nämlich Macht empfinden. Manchmal auch: Selbst_Bestätigung fühlen. Oder: sich abreagieren von all dem, was sie als persönliche Kränkung im Alltag empfinden.

Dieser von uns üb.erlebte Kontext organsierter Gewalt ist genderlos, denn er funktioniert über so abstrakte Dinge wie Geld, Macht und soziale Verbünde, in denen nicht nur als männlich oder weiblich eingeordnete Eigenschaften relevant sind, um fortexistieren zu können. Es geht um Performance und die ist, im Gegensatz zum tatsächlich vorhandenen Gender, wandelbar.

Wir können überhaupt nur aufgrund unserer Traumatisierung davon sprechen, dass es keine eindeutig einem Gender zuzuordnende Eigenschaften gibt. Unsere Gewalterfahrungen sind insofern also durchaus ein Grund für unsere Einordnung als nonbinary/genderqueer – wir haben selbst erlebt, was für ein Stuss das “der aktive Vergewaltiger”, “die passiv Vergewaltigte”, “die durch Dinge wie BDSM oder ähnliches entstehende Transperson” – Narrativ ist.

Heute planen wir unsere Vor- und Nachnamens- und Personenstandsänderung.
Im September startet nämlich die Aktion Standesamt 2018, über die ihr euch mit einem Klick auf das Bild zur dritten Option informieren könnt und im Zuge dessen es Antragsformulierungen auf der Webseite zu finden gibt.

Ob wir auch bei der Aktion mit dabei sind, wissen wir jedoch noch nicht.
Denn, obwohl ein dritter Geschlechtseintrag vom Gesetzgeber bis Ende diesen Jahres ermöglicht werden soll, sehen die Umsetzungsvorschläge und Zugänglichkeiten bisher nicht auch für uns passend aus.
Die Aktion soll ein Zeichen dafür setzen, welche vielen verschiedenen Bedarfe es für diese dritte Option gibt. Deshalb beantragt man, den Eintrag, der mit dem eigenen Geschlecht kongruent ist (das wäre in unserem Fall nonbinary/genderqueer) zu bekommen, obwohl es diesen Eintrag jetzt noch nicht gibt.

Das heißt, man stellt einen Antrag, der von Anfang an nicht bewilligt werden kann und möglicherweise auch später nicht, wenn die dritte Option an sich dann etabliert ist, aber vielleicht ausschließlich für Interpersonen.

Wir können uns so etwas nicht leisten.
Allein für eine Vor- und Nachnamensänderung muss man mit Kosten zwischen 2,50€ und 2500 € rechnen, je nachdem, was da alles auf eine_n zukommt und wo man wohnt.
Bei uns kommt noch die Kraftrechnung dazu.
Wir müssen für Fremde erklären, dass wir Opfer organisierter Gewalt waren und uns von einem neuen Namen, und einem entsprechenden Sperrvermerk in den Archiven erhoffen, schwerer auffindbar zu sein und dadurch etwas mehr geschützt zu sein als jetzt.
Das ist ein Ding für uns und steht völlig neben unserer Geschlechtsidentität.

Und doch. Wäre es ein all-in-one-Abwasch, könnten wir alles gleichzeitig beantragen.
Ein dritter Geschlechtseintrag, den wir auch nutzen könnten, würde uns weniger zu jemandem machen, die_r sich irgendwie besonders machen will und allein auf weiter Heide steht, weil es ja in der offizöslichen Welt keinerlei Entsprechung gibt. Wir hätten autoritäre Stützen auf unserer Seite, die uns validieren.

Auch wieder etwas, das Kraft frisst: Autoritätendenken und ihre Auswirkungen.
Wir wissen schon jetzt, wer und was wir sind. Wir brauchen nicht für uns, dass der Staat sich hinstellt und sagt: Leute, die keine Frau bzw. kein Mann sind, gibt es wirklich und alle haben das zu akzeptieren. Wir brauchen es für Leute, die nur so zu respektvollem, achtsam anerkennendem Verhalten gegenüber Menschen, die nicht Frau und auch nicht Mann sind, gebracht werden können. Oder an die Idee, dass das was sein könnte, was von ihnen verlangt wird.

Das ist wovor wir uns immer wieder machtlos fühlen.
Dass wir immer nur uns haben, wenn es darum geht als die Person anerkannt zu werden, die wir sind.
Die Leute können uns an der Stelle verletzen, ausgrenzen und manchmal auch demütigen, wie sie wollen, sie sind eindeutig, sie sind strukturell anerkannt, sie sind in ihrem Geschlecht normalisiert und etabliert. Sie können mit uns umgehen, wie sie wollen und wenn sie uns verletzen wollen, indem sie uns in ihre dyacissexistische Einordnung reindrücken, dann gibt es nichts außer der Bitte, das nicht zu tun, was wir dem entgegenstellen können. Rein gar nichts.

Außer vielleicht noch dem Appell an Moral, nachdem man andere Menschen bitte einfach nicht verletzt.
Aber wieviel Wert hat das, wenn es keinen Anlass gibt anzuerkennen, dass es überhaupt wirklich und echt verletzt, wenn man falsch eingeordnet wird.

Wir können verstehen, wenn es anderen Menschen schwer fällt oder erst mal komisch vorkommt, mit uns als Person umzugehen, die nicht okay damit ist als “Frau Rosenblatt/Herkunftsfamilienname” angesprochen oder vorgestellt zu werden. Vielleicht sind wir die erste Person, die das von ihnen abverlangt, vielleicht fühlt man sich selbst irgendwie aussätzig vor anderen, wenn man über eine andere Form der Kommunikation offenlegt, dass man mit so jemand wie uns überhaupt Kontakt hat.
Aber mehr als Verständnis wollen wir zunehmend nicht mehr aufbringen.

Denn Verständnis für die Anstrengung neue Formen der mitmenschlichen Kommunikation anzuwenden, bedeutet nicht, dass wir okay damit sind, wenn Gewohnheit oder die persönliche Einordnung unserer Bezeichnung als irrelevant, am Ende doch bestimmt, wie die Ansprache oder Darstellung vor anderen ist.

Besonders die persönliche Einordnung der Relevanz oder Wichtigkeit über unsere Relevanz oder Wichtigkeit zu stellen, ist eine Form der zwischenmenschlichen Gewalt.
Und damit etwas, das wir einfach nicht mehr in unserem Leben haben wollen.
Auch ein Therapiefortschritt übrigens.

Falls du ein_e Freund_in, Verbündete oder anders mit uns Bekannte bist, die das hier liest:
Nenn uns Hannah (C. Rosenblatt) oder Rosenblätter, benutz den Plural, wenn du über und mit uns sprichst, den Singular, wenn du gezielt mit jemand von uns sprichst.
Wenn es dir unangenehm ist oder es für dich (oder uns) gefährlich sein könnte, uns als viele und nonbinary/genderqueer zu besprechen, dann nenne einfach nur unseren Namen und vermeide Pronomen.

Wir gehen mit unseren Verletzungen aus Misgendering in der Regel nicht offen um.
Und gestern Abend, nachdem wieder so etwas war, dachten wir, wie eigentlich ungut das ist. Es sollte kein üblicher Bestandteil von unseren Kontakten sein, damit leben zu müssen, zum Einen nicht gänzlich anerkannt zu sein und zum Anderen mit Verletzung und Übergriffigkeit rechnen zu müssen.

Vielleicht ist die Arbeit daran das, was später einmal zu einem weiteren Therapiefortschritt wird:
Selber Grenzen setzen und halten. Egal vor wem.

 

Mehr Themen, die aus der binären Einordnung herausfallen, könnt ihr im großartigen Nichtbinär-Wiki nachlesen.