14072020 – #NonBinaryDay und #DisabilityPrideMonth

Heute ist „Non Binary Day“. Ein Tag, an dem der Hashtag #NonBinaryDay mit vielen hilfreichen Informationen zum Thema gefüllt, aber auch viel Solidarität und Liebe geteilt wird.
Es ist ein Tag, an dem wir noch einmal mehr Validierung von Außen erfahren als sonst. Das fühlt sich gut an und stärkt uns.

Im analogen Kontakt outen wir uns in der Regel nicht oder erst bei engerem Bezug als nicht binär. Das hat nichts mit einem Gefahrerleben zu tun oder mit Scham, sondern damit, dass oft niemand weiß, was das überhaupt ist oder bedeutet.
Für die meisten Menschen gibt es nur Menschen, die „männlich“ oder „weiblich“ oder „was anderes“ sind. Manchmal ist „was anderes“ noch mit „intersex“ bezeichnet, aber auch das ist eher selten und wird oft doch als „was anderes“ gedacht, nämlich als Abweichung von der Norm oder biologischer Quirk.

„Non binary“ bzw. „nicht binär“ ist ein Sammelbegriff. Unter ihm können sich Menschen verschiedener Gender einfinden. Es gibt agender Personen, die sich als nicht binär bezeichnen, genderfluide, genderqueere und auch Menschen, die trans sind. Mit dem Begriff bezeichnet man also eine Positionierung auf dem Genderspektrum und nicht unbedingt ein Gender an sich.

eine gerade Linie an deren Enden mit Vierecken markiert
What people think non-binary means
ein bunter Kreis, an dessen horizontalen Enden des Durchmessers male und female steht (verbunden durch eine schwarze Linie) auf dem Rest des Kreises sind verteilt an unterschiedlichen Punkten kleine Dreiecke über denen
what non-binary actually means

 

Unzureichende Bildung.smöglichkeiten/zugänge, hetero_normative cis sexistische Grundhaltungen, Ideale und Politiken tragen bis heute dazu bei, dass Menschen außerhalb des linear gedachten Gendergradients als Abweichung eingeordnet werden. Der Umgang mit nicht binären Personen (und anderen Menschen, die sich nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen (lassen)) der westlichen bis in ihren Kern ableistischen und gewaltkulturell definierten Gesellschaft, ist bis heute von Pathologisierung, Abwertung und der Negierung real erfassbarer Existenz geprägt.

Dieser Umgang ergibt für behinderte Personen eine Schnittmenge, die zu einer sogenannten „Mehrfachdiskriminierung“ führt.
Behinderte Menschen erfahren ebenfalls eine durchgehende Pathologisierung ihrer Normalitäten, aufgrund ableistischer Grundannahmen und Werte, die einzig durch cis Gender und heterosexuelles Begehren verkörpert bzw. belebt werden. Zudem wird behinderten Menschen aufgrund ihrer Behinderung jedwedes Begehren oder sexuelle Aktivität abgesprochen. Auch wird dieser Personengruppe in Korrelation zu der so eingeordneten, „Schwere der Behinderung“ abgesprochen, überhaupt eine Geschlechts_Identität zu haben und im Außen eine Entsprechung und Annahme dessen vorfinden zu wollen.
Behinderten Menschen wird damit eine für die allgemeine Er_Lebensqualität relevante Ebene ihrer selbst abgesprochen. Sie erfahren dadurch die Degradierung zu verkörpertem Leben in einer als minderwertig ein.ge_schätzten Form, da keinerlei andere Funktion.alität als der Selbsterhalt (so dieser ohne Hilfsmittel und medizinische Unterstützung überhaupt gegeben ist) zugetraut und anerkannt wird. Entmenschlichung wie diese, erleichtert es Politikern wie Jens Spahn, Gesetze, wie das aktuell vielstimmig kritisierte, da gegen Artikel 3 der deutschen Grundgesetze verstoßende, „Intensivpflege“stärkungs“gesetz“ überhaupt zu denken.

Aber auch Kinder und alte Menschen – die aufgrund ihrer noch nicht entwickelten oder durch ihr Alter und die damit einhergehenden Einschränkungen nicht mehr durchführbaren Fertig- und Fähigkeiten, „voll funktionsfähig“ („abliert“) sind – sind von „Entsexualisierung“ betroffen und erleben sich häufig nicht als sexuelle Wesen mit Geschlechtidentität akzeptiert und behandelt.
Hier ist besonders zu erwähnen, dass es in der Regel Ableismus ist, der zuerst zu dieser Diskriminierung führt und nicht Sexismus oder Hass auf Menschen anderer Geschlechtsidentität als „männlich“ oder „weiblich“. Sexismus fußt auf Ableismus, wie es praktisch jeder andere *ismus auch tut.

Nicht binäre Menschen und andere Personen, die in dieser Gesellschaft nicht als real existierend eingeordnet werden, sehen sich jeden Tag in verschiedenen Aspekten vor der Herausforderung, sich selbst zu validieren und als existent zu markieren. Sie werden nicht kriminalisiert, sie werden nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, ihnen wird die Ehe nicht verweigert, sie werden nicht davon ausgeschlossen ein politisches Amt zu bekleiden oder ein Land zu regieren – weil es sie offiziell gar nicht gibt.
So kommt es immer wieder zu Konflikten in Kreisen, die sich für die Rechte von LGBT+ Personen einsetzen. Unter anderem deshalb, weil z. B. der deutsche LGBT+-Aktionismus stark beeinflusst ist von weißen Menschen, die durch ableistische, klassistische, rassistische Strukturen und kulturelle Praxen kaum existenziell bedroht bzw. diskriminiert sind. Sie mussten nie den Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentanz führen, wie ihn alle Menschen, die mit diesem putzigen „+“, manchmal auch „*“ zusammengefasst wie eine homogene Masse hinter den Buchstaben stehen, jeden Tag führen und ertragen müssen.

In dieser Woche startet auch die „Non Binary Awareness Week“.
Ihr könnt diese Woche nutzen,

  • um @NBWeek auf Twitter zu folgen
  • um diesen umfangreichen Thread von @cuffedCatling zu lesen
  • um die Serie „One Day At A Time“ bei Netflix kennen und lieben zu lernen, denn es ist eine der ersten Serien, in der ein nicht binärer Charakter auch offen als solcher bezeichnet auftritt – ohne pathologisiert oder abgewertet zu werden
  • um euch die Beiträge unter #NonBinaryDay durchzulesen und sie zu teilen, um damit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen
  • um mal zu schauen, ob ihr schon mal ein Buch, ein Lied oder Kunst von einer nicht binären Person genossen und weiterempfohlen habt. Falls euch auffällt, dass ihr das noch nie getan habt: Viele Bücher und mehr zum Thema von Menschen, die es betrifft, findet ihr bei transfabel.de.
  • um euch darüber zu informieren, was geschlechtliche Vielfalt bedeutet. Um Texte dazu zu verstehen, kann das Queer-Lexikon hilfreich sein.
  • euch zu überlegen, ob ihr uns mal für einen Workshop zur Thematik einladet (wir bieten derzeit ausschließlich Online-Workshops an)
    Unsere E-Mail-Adresse ist im Impressum hinterlegt. Auch über speakabled.de und speakerinnen.org könnt ihr Kontakt mit uns aufnehmen.

“Wir sind Viele” ~ Teil 9 ~

Ich wollte mich spontan auf den Raumboden fallen lassen, als das Wort “Cybermobbing” fiel.
Wir saßen im Workshop mit dem Titel “Tatort Kinderseele – Die gesellschaftspolitische Dimension der Verleugnung sexualisierter Gewalt”. Ein Workshop über dessen Teilnahme ich lange, allein schon wegen der Überschrift, gründlich nachgedacht hatte.

Ich bin bis heute davon überzeugt, dass die Gesellschaft ™  gar nicht mal so viel Gewalt verleugnet, wie das bis heute gerne in den Medien ™ die Runde macht, sondern viel eher einfach gar kein einheitliches Verständnis davon hat, was Gewalt ist, welche Formen wann und wo auftreten und – dass sie einen so alltäglichen Stellenwert in sowohl unserer Gesellschaft, als auch unseren Vorstellungen von Moral und allgemeinen Umgang hat, dass die Auseinandersetzung damit einfach immer schwierig und an vielen Stellen undifferenziert ist- obwohl das allgemeine Framing ist: “Gewalt ist schlecht/ böse/ schlimm/ darf nicht sein”

Wir hatten nur eine Tasse Kaffee, viel zu wenig Schlaf und dann auch noch diese Themen. Und dann war ich wiederholt live dabei als über “dieses Internet” gesprochen wurde, als wäre es einzig das Darknet in dem sowohl “Silk Road” als auch andere illegale Plattformen zu Hause sind und auf kleine unschuldige Kinderseelchen, die doch nur ein bisschen unschuldigen Spaß mit dem Smartphone machen, warten, um sie sich einzuverleiben und ihnen Gewalt anzutun.

Ich dachte wieder darüber nach, ob es ein Thema der Generationen ist. Ob man mit dem Internet irgendwie groß geworden sein muss, um nicht nur in Sorge oder mit einem moralischen Zeigefinger in der Höhe damit zu interagieren.
In der ganzen Tagung war ganz oft die “Internet als Raum”- Metapher und so auch der Faden “dort drin in diesem Internet, da sitzen auch TäterInnen und dort lassen Menschen ihre Kinder rein”, obwohl das Internet nichts weiter ist (und auch nie mehr war) als ein Kommunikationsmittel bzw. korrekter ausgedrückt ein Datentransfermittel.

“Cybermobbing” ließ mich wieder an die 90 er Jahre denken. Der Begriff dafür ist heute “virtuelle Gewalt” und dieser ist in meinem persönlichen Empfinden einerseits besser, weil er alle Formen von Gewalt, die via Internet passieren, unter einen Hut bringt (vom unaufgefordert geschickten Pimmelfoto bis zur Hassmail mit Morddrohung) andererseits aber auch schwierig, weil die Gewalt nicht virtuell ist, sondern nur virtuell transportiert wird. Die Einschläge, die sie hinterlässt, sind genau die gleichen, wie es analog/ direkt/ physikalisch transportierte Gewalt tut, was man zum Beispiel am Leidensweg der Amanda Todd sehr gut nachzeichnen kann.

Alles in allem hat mir in der gesamten Tagung, wenn das Thema Internet zur Sprache kam (und das kam es oft), sehr der, für mich persönlich auch sehr wichtige, Leitsatz gefehlt, dass es Menschen sind die Gewalt ausüben und das Internet als Mittel dazu benutzen- und zwar a) Menschen jeden Alters b) in jedem über das Internet verfügbaren Medium und c) mit jeder Intension, die Gewalt haben kann- das Internet als solches, aber weder Brutstätte noch Ursache für Gewalt und ihre Folgen sind.

Wir sprachen über das “Sexting” und darüber, dass das wirklich schlimm ist.

Das Thema hatten wir auch schon im Workshop mit Claudia Fischer am Vortag und mir ist dabei diese Haltung gegenüber den Jugendlichen aufgefallen, bei der ich immer wieder denke: “und genau deshalb kommen sie dann nicht zu Erwachsenen, wenn sie mit sexualisierten Inhalten konfrontiert sind, sie selbst produzieren und verteilen oder jemanden sie sogar nötigt dies zu tun”.
Das war für mich sehr von der Verleugnung getragen, dass Kinder und Jugendliche eine Sexualität haben und natürlich auch leben. Irgendwo darunter war für mich die Kette: “Kinder sind immer unschuldig, rein, sauber und unantastbar wertvoll- aus ihnen selbst heraus kann nichts “Schlimmes” (moralisch Falsches/ Böses) kommen- schon gar nicht, wenn das Umfeld gut ist.”

Dass dieses Umfeld aber mehr beinhaltet, als die Kernfamilie und den Pausenhof, und, dass Medienkompetenz nicht meint “da ist der Knopf zum An- und Ausmachen”, fehlt mir oft, wenn ich mit dem Thema “Sexting”, sexualisierte Gewalt & Internet & Jugendliche zu tun habe.
Für mich persönlich ist Sexting die logische Folge aus (weiblicher) Sexualität als Mittel zum Zweck, die gerade unter Jugendlichen, die in ihrer Entwicklungsphase sehr klar mit den Themen der Außenwirkung und (sexueller) Identität befasst sind, gar nicht Halt machen kann und im Zuge der massiven Konsumkultur mit all ihren Mitbringseln auch gar keinen Platz mehr zur Kritik haben kann. So denke ich, liegt das Entsetzen (?) Erwachsener nicht im Sexting selbst, sondern in der Selbstverständlichkeit und eher positiven Belegung der Jugendlichen, beim Hergeben ihrer Intimität.
Als gäbe es die Option im Internet (wieder die Raummetapher) wirklich intim, geheim, anonym zu agieren. Die Währung des Internet sind Daten und diese Daten sind immer personenbezogen. Wir bezahlen unsere Vernetzung über das Internet immer und immer mehr mit Teilen von uns selbst. Und Jugendliche tun das schon ihr ganzes Leben lang so massiv, wie wir heute, die wir das im Verlauf beobachten.
Privatsphäre ist, wie auch persönliche Intimität ein Mittel zum Zweck und hat mit Selbstwert eher später etwas zu tun. Nämlich dann, wenn auffällt, dass man “im Internet” nur ist, was man produziert, teilt und am Ende für andere Menschen als sich selbst darstellt- was cool ist, wenn Selbst- und Fremdwahrnehmung kongruent sind- nicht aber, wenn dem nicht so ist und eine Abwertung passiert.

Und dann- die Scham, die trotzdem noch irgendwo da ist.
Darf man sich heute noch unverblümt für Sex oder noch eine Stufe darunter: Körperlichkeit schämen, ohne pathologisiert oder aus anderen Gründen darin nicht respektiert zu werden? Was für eine soziale Rolle blüht Menschen, die sagen: “Der letzte Unterwäscheclip von C & A hat mich grad näher an Sex herangeführt, als es der Mitternachtserotikfilm bei Kabel 1 vor 10- 15 Jahren tat.”.
Es ist das Eine als Jugendliche/r da zu stehen und zu sagen: “Ich habe über das Internet Kontakte mit der ganzen Welt und einer von denen, hat mir ein Bild von seinem Penis geschickt und hört nicht auf, mich damit zu ekeln” – das erfordert Mut und ein gutes Verhältnis.
Das Andere ist es aber, Eltern/ Erwachsene/ ein soziales Umfeld auszuhalten, das dann nicht etwa sagt: “Das ist Gewalt und es tut mir leid, dass du diese Erfahrung machen musstest. Hast du das Bild und den Kontakt gespeichert? Ja?- dann komm zack!- wir gehen zur Polizei und blocken dann den Kontakt in deinem Netzwerk (oder reagieren sonstwie irgendwie konstruktiv und gehen in eine Diskussion, wie Netzwerke sicherer nutzbar sind/ werden könnten)” sondern mit höherer Wahrscheinlichkeit sagen: “Mit was für Leuten treibst du dich rum? Was hast DU getan, damit der das macht? Handyverbot- Internet gestrichen… weil ich muss dich schützen.”.

An der Stelle beginnt für mich auch der konstruktive Ansatz in Sachen Strafverfolgung und Verantwortung der DienstleisterInnen und BetreiberInnen von Netzwerken, Diensten, Programmen und Portalen. Wenn man heute zur Polizei geht und solche Dinge anzeigt, dann kann man Glück haben und eben nicht zu hören bekommen: “Ja, du hast es provoziert/ du hast dich unvorsichtig verhalten/ ihr Jugendlichen mit eurer Dummheit- war doch klar… “; man kann aber auch Pech haben und genau dieser Glanzvorführung von “rape culture” zuschauen, um dann aber am Ende immer gleich vor einer Ohnmacht der Justiz zu stehen, die schlicht nicht in der Lage ist, auf diese Art der sexualisierten Gewalt/ sexuellen Belästigung etc. einzugehen, weil die Handhabe fehlt oder die (technischen) Möglichkeiten fehlen, um zum Beispiel zu beweisen, dass der Inhaber des PC dessen IP- Adresse nachweisbar ist, auch derjenige ist, der die Gewalt verübte.

Das ist eine Krux, doch nichts, wovor man weiter ohnmächtig bleiben muss.
Bleiben wir mal beim Sexting, sehe ich schon Möglichkeiten des Umgangs und zwar die, dass den Kindern und Jugendlichen klar gemacht wird, dass ihre Fotos, vielleicht nicht sofort hier in Deutschland aber in den Staaten, in denen die Server stehen, über die ihre Fotos wandern und weitergesendet werden, als illegales pornografisches Material gelten und dies eine Straftat ist. Das ist die Sachebene in der ich mir viel mehr Medienkompetenz in der breiten Masse wünsche, die über: “Ebay, Amazon, große böse Täterlandschaft = Internet” hinausgeht. Die Jugendlichen wissen um ihre Reichweite, sie wissen, was sie damit erreichen wollen und in der Regel wissen sie auch um das Risiko, das sie eingehen. Sie wissen es aber nicht auf allen Ebenen und können in der Regel noch keine so umfassenden Abwägungen anstellen, wie Erwachsene. Das heißt nicht, dass man sie davon entbinden muss- das heißt, dass sie Vorbilder brauchen.

Dann ist da die individuelle Ebene in der es darum gehen muss, Kindern und Jugendlichen eine Sicherheit in Bezug auf sich selbst zu vermitteln. “Du bist deine Daten, aber du bist nicht, was ein Algorhythmus oder sonst irgendjemand aus deinen Daten macht!”.
Damit meine ich nicht “Du musst deine Kinder zu Selbstbewusstsein erziehen” sondern “Es ist wichtig sich seiner selbst bewusst zu sein und genau den Blick dafür zu stärken und als ausschließlich von und für sich selbst als wertig zu schätzen.”.

Generation “Wehr dich doch”, will, dass die Politik alles richtet. Will die Vorratsdatenspeicherung, will Internetpolizei; will, dass wem etwas passiert ist, sich auch wehrt und zur Not auf die VerursacherInnen draufhaut und donnert empört seine rechtschaffende Faust auf den Tisch, wenn das nichts bringt.
Ohne sich zu fragen, ob das einfach vielleicht auch daran liegt, dass Gewalt nicht mit Gewalt zu bekämpfen ist.
Auch nicht in Sachen Internet.

Ich glaube daran, dass wir die gesamtgesellschaftliche Aufgabe haben, Gewalt als solche zu benennen; die Betroffenen zu schützen und zu stärken; die Taten zu ächten und die TäterInnen zur Verantwortung zu ziehen und in Sachen Internet dafür zu sorgen haben, dass jedes Unternehmen sich geschlossen gegen Gewalt und Ausbeutung zu stellen hat- sowohl in der Unternehmensstruktur, als auch im Hinblick darauf, welche Inhalte mit ihrer Hilfe geteilt und so verbreitet werden.
Die Anbieter hinter Internetdiensten und Co. sind in meinen Augen bis heute und auf sehr vielen Ebenen die unsichtbaren MittäterInnen in jedem Fall von Kinderfolterdokumentation und ihrer Verteilung über das Internet, in jedem Fall von Selbstmord eines Menschen nach einem Shitstorm und an jeder Gefährdung eines Menschen, der sich zur Ware macht/ zur Ware gemacht wird (machen lässt), weil er analog keine andere Chance sieht bzw. leben kann, etwas zu erreichen.

Es ist unser Internet und wir haben die Verantwortung es so zu gestalten, dass Gewalt darin keinen Platz hat.
Dazu müssen wir lernen, was genau Gewalt ist und wann wir selbst gewalttätig agieren- egal, über welchen Kanal wir gerade miteinander zu tun haben.

 

Ich war so froh um den Kaffee, den es nach dem Workshop gab und so stolz auf mich, dass ich nicht still geblieben bin.
Aber so langsam breiteten sich auch unangenehme Gefühle in mir aus.

Wie viel “Opfer” steckt in meinem Genderlabel?

Faserfrühling2 Neulich hatte ich eine interessante Auseinandersetzung mit dem Thema “Geschlecht und Gender im Kontext von sexualisierter Gewalt in Form von Misshandlung in der Familie als Kind”. Dabei entstand in mir die Fragestellung, wie viel von meinem Selbstlabeling darin begründet ist, dass ich misshandelt wurde.

Fakt ist: Gewalt verändert die Wahrnehmung. Sowohl von sich selbst, als auch von der Umwelt und anderen Menschen.
Diese Wahrnehmungsveränderungen können dazu führen, dass der Umgang mit sich, der Umwelt und anderen Menschen verändert ist und etwas anderes mit sich trägt, als ohne diese Erfahrungen.
Hinzukommt der Prozess des Lernens. Man lernt basierend auf seiner eigenen Wahrnehmung von sowohl der direkten Rückmeldung von außen, als auch dem Effekt der sich auf einen selbst auswirkt.

So weit, so verkürzt, so aber ausreichend.

Ich habe gelernt, dass ich ein Stück Scheiße bin, das man eben misshandeln kann, weil man das kann.
Das ist so zusammengefasst, was ich mir aus der Gewalt, die ich erfuhr, mitgenommen habe. Ich bin kein Mädchen oder Junge, ich bin nicht von Wert für Menschen, die so viel Kraft/ Macht haben, dass sie einfach tun können, was sie tun, weil sie es eben können.
Das sind also so zwei Bereiche, die vielleicht- vielleicht aber auch nicht- von der Gewalt ver-rückt worden sein können: Die Wahrnehmung meines Körpergeschlechtes, daraus folgend, die meines sozialen Geschlechtes (Gender) und die Einschätzung des Wertes meiner Selbst vor Menschen, die Macht haben (Autoritäten).

Ja, es kann sein, dass ich mich als geschlechtslos wahrnehme, weil mir begegnet wurde, als hätte ich keins.
Auf der anderen Seite habe ich ja Augen im Kopf und kann sehen, dass mein Körper als weiblich kategorisiert werden kann, was in meinem Umfeld die Folge hat, auch dem sozialen Geschlecht der Frau zugeordnet zu werden, welches wiederum immer stärker von Medien und kapitalistisch motivierter Vermarktung definiert wird. Also nicht einmal mehr wirklich von Menschen um mich herum, sondern von einer grauen Eminenz- einer Macht, die tut, was sie tut, weil sie es kann.

Etwas, was Gewalt aber auch kann ist, Gefühle von Entfernung, Entfremdung machen. Irgendwie ist es immer wieder so, dass Gewalt, obwohl sie in vielen Formen auftritt und es keinen Menschen auf dieser Welt gibt, der keiner Form von Gewalt (und sei es der Naturgewalt) ausgeliefert ist, etwas ist, das Menschen an den Rand ihrer Welt bringt und manchmal auch von dort herunter fallen lässt.

Je tabuisierter die Art Gewalt ist, die das zur Folge hat, desto stärker ist dieses Gefühl. Und je mehrdeutig verwaschener die Kommunikation darüber ist, desto ferner (surrealer, fremder, unvereinbarer, spezieller) erscheint das eigene Sein in eben jener Position als Überlebende/r. Die Norm erscheint da oft als etwas, das nicht (mehr) für sich selbst gilt.

Ich habe so viel Zeit in meinem Leben damit verbracht Nichts (und nur vor mir selbst ein Jemand) zu sein, damit mir nichts Schlimmeres als ES widerfährt, dass ich das auf vielen Ebenen in mir drin habe. Da ist das innere Leitbild, dass es immer das Beste ist nicht nur das Nichts zu sein, sondern auch am Besten gar nicht zu sein. Da ist die Autarkie, die Unabhängigkeit als eine der höchsten Prioritäten, die alles einschließt. Auch in Bezug auf meine Art Sexualität zu leben: ich bin mir selbst völlig genug.
Das habe ich so definitiv nicht durch die Gewalt gelernt. Was ich in Bezug darauf gelernt habe ist, dass meine Gefühle, die im Zusammenhang mit meinem Genital stehen, völlig irrelevant sind, wenn sie jemand anderes benutzt.
Wenn ich welche hatte, dann wurden sie umgedeutet, wenn ich keine hatte, wurden mir welche unterstellt.
Das heißt nicht, dass ich im Zuge der Gewalt mein Geschlecht negierte oder nichts gespürt habe. Aber ich habe diese Empfindungen mit dem Menschen verbunden – nicht mit dem Umstand ein weibliches Geschlecht zu haben.

Wenn ich alles selbst tue, ist alles gut. Dann bin ich nichts, nehme nichts, brauche nichts (und niemanden). (Könnte auch heißen: “Ich muss dann nichts für jemanden sein”, aber da bin ich noch nicht dran.)
Ist das ein ausschließlich erlerntes Muster, das, wenn ich es änderte, all meine Selbstwahrnehmung verändern würde? Vielleicht in eine Cisfrau, die liebend gerne den ganz besonderen Kugelschreiber für Frauen benutzt und ihrem Mann die Chips für den Fußballabend mit Freunden am Grill kredenzt? Ist denn das die Norm? Ist Heterosexualität und die Cis-Genderperformance die Norm? Ist das, was ohne Gewalt/ Einfluss von außen entsteht, die richtige Norm?

Nein.

Heute bin ich von meinem Innenleben nicht mehr so sehr entfernt, wie noch vor ein paar Jahren. Ich merkte, dass andere Innens sich nicht als geschlechtslos wahrnehmen, sondern, dass es durchaus Innens gibt, die sich woanders auf dem Spektrum verorten oder sich selbst sogar auf diesem herumwandernd empfinden (also manchmal sehr weiblich, manchmal eher männlich, manchmal männlich, manchmal wie ich).

So entsteht in mir die Frage, ob die Verknüpfungen, die unter Gewalt entstehen, abhängig vom Selbstzustand sind.
Das Modell nach der Frage, wie viel meiner Selbstwahrnehmung bzw. meiner Selbsteinschätzung also aus dem “zum Opfer geworden sein” kommt, orientiert sich an der Idee, die Summe meiner Erfahrungen und Umwelten zu sein.
Das passt aber nicht mehr, wenn ich dann Menschen begegne, die sich gleichsam als geschlechtslos, trans, nonbinary, queer  etc. etc. etc. wahrnehmen, ohne (als Kind) sexuell misshandelt worden zu sein und erst dann sexualisierte Gewalt erfuhren, als sie sich nicht entsprechend ihrer Selbstwahrnehmung auch offen nach außen labeln und entsprechend agieren durften. (Also ja: ich persönlich halte es auch für sexualisierte Gewalt, wenn ein Transmann weiterhin Frauenperformance betreiben muss oder sich jemand, der sich als jemand ohne Geschlecht fühlt, mit “Herr” oder “Frau” angesprochen wird, weil because of fucking status quo).

Es gibt diese Haltung zu Gewalt, dass sie alles und jeden von Grund auf verändert.
Ich zweifle inzwischen mehr und mehr daran, dass das wirklich so ist.

Was mir passiert ist, hatte eine ganz eigene Dynamik mit der ich aufgewachsen bin. Da ist das Paradox: Ich hatte früher nie das Gefühl Unnormales zu erleben oder selbst unnormal zu sein- aber als klar wurde, dass es Gewalt war, fiel ich über den Rand der Welt.
Alles, was mir hätte sagen können: “Du, das ist nicht okay, wenn jemand deinen Körper manipuliert- das ist Gewalt- du kannst/ darfst/ musst das jetzt hier schlimm finden und dich so und so verändern, um damit zurecht zu kommen”, war mir nicht bewusst und spielte so überhaupt gar keine Rolle. Wenn ES passierte, dann ging es darum, dieses ES so kurz und knapp wie möglich zu halten (und mir gelang das immer am Besten, wenn ich mich eben darauf besann, dass ich _nicht bin_. Ein Jemand, aber ansonsten Nichts.
Da spielten lediglich die sozialen Rollen von “mächtig”/ “Etwas und Jemand” und “ohnmächtig”/ “Nichts und Jemand” eine Rolle. Weniger oder zumindest nicht ausgesprochen meine soziale Rolle als Kind oder mein biologisches Geschlecht.

Ich werde nie herausfinden, ob ich mich anders wahrnehmen würde, wenn ES mir nie passiert wäre. Denn es ist mir passiert und ich erinnere keine Zeit, in der das nicht so war. Ich habe mich nie anders wahrgenommen und eingeschätzt. Und ich erlebe es nicht als Verlust oder als einen Akt von Abwehr gegen meine Biologie oder soziokulturelle Rolle. Auch so ein bequemer Normengewaltmythos: Non-Cisgender und Homo- und Non-binary- Sexualität als abweichender Lebensstil, weil die Gewalt “gemacht hat”, dass die betroffenen Menschen sich und ihre Rolle und ihr Geschlecht so sehr ablehnen, dass sie ihre Genitalien nicht mehr normgerecht benutzen wollen oder können (also heterosexuell entsprechend ihres biologisch eingeteilten Geschlechtes).

In den ganzen Überlegungen traf mich ein Gedanke, wie ein Asteroid beim Wandertag, als ich das Viele- sein auch noch einmal in den Kontext hineinbrachte.
Nämlich der, dass die Gewalt, die mich zu Vielen hat werden lassen, auch vielschichtig war und sich da die Frage eröffnet: Wenn das alles nicht gewesen wäre- wie würde ich mich dann labeln?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass mein Selbstlabeling ein Anderes wäre- aber wäre ich dann ganz grundlegend auch ein anderes Jemand?

Ich glaube nicht. Aber- und das ist, was ich als größten Verlust wahrnehme- ich werde das nie herausfinden können, denn passiert ist passiert. Da ist ein Ende der Persönlichkeitsentwicklungsoptionen abgeschnitten und für immer verloren.
Alles, was ich heute zusammenführen und integrieren kann, hat sich getrennt entwickelt und in Autarkie gebracht. Ich denke, dass es wichtig sein kann, an manchen Stellen zu sehen, welche Verknüpfungen sich wo, wann und warum gebildet haben und ob sie heute noch genauso übereinstimmend mit dem jeweiligen Selbst wahrgenommen werden.

So gab es früher schon die Notwendigkeit und auch die innere Übereinstimmung damit, die Rolle eines Cismannes inne zu haben, die dann aber nach der Bearbeitung der Entstehungssituation dieses Selbsts nicht mehr als so übereinstimmend wahrgenommen wurde und in ein Selbst mit anderem Gender integriert wurde. Das Gleiche erlebten wir aber auch schon anders herum, genauso, wie ich auch schon Innens mit binärer Geschlechterzuordnung in mir integriert habe.

Am Ende wird, denke ich, ein Selbstlabeling dabei herauskommen, das ist wie es ist. Nicht mehr oder weniger hinterfragbar oder mit dem “zum Opfer geworden sein” in Zusammenhang stehend, als das, was ich jetzt an mir und anderen Innens sehe.
Es ist die Gewalt, “die machte”, dass ich mir das jetzt alles zusammensuchen muss. Aber ob sie das, was da jetzt so herumfliegt, auch alles gemacht hat?
Keine Ahnung.

Und wer weiß- vielleicht finden wir Menschen irgendwann heraus, dass unser Selbst so oder so immer anteilig gemischt ist und wir durch die Summe unserer Erfahrungen und Umwelten lediglich unterschiedlich gewichten.

Und vielleicht vielleicht vielleicht… darf dann ja auch irgendwann jeder Mensch einfach so sein, wie er sich wahrnimmt.

viel Einfalt bei Maischberger

Gänseblümchen2 Gibt es eine Möglichkeit die 60er Jahre nachzuempfinden? Oh ja- einfach mal dem Ersten dabei zusehen, wie er versucht sich dem Thema sexueller Vielfalt anzunehmen.
Gestern Abend bei “Menschen bei Maischberger”, gab es wieder eine Gelegenheit dazu. Unter dem, zumindest übers Internet, heiß diskutierten Titel “Homosexualität auf dem Lehrplan- droht die “moralische Umerziehung”?” sprachen der offen schwule gesundheitspolitische Sprecher der CDU Jens Spahn, die Travestiekunstfigur “Olivia Jones”, die Autorin Hera Lind, die Journalistin Birgit Kelle und Hartmut Steeb, der Generalsekretär der “evangelische Allianz” miteinander.

Ich hab mir die Sendung angesehen und zwischen “arrgh” und “äääächtz” und “noooiiiin” und “Boa geh weg du…” einen schweren Seegang empfunden.

Klar, sind solche Sendungen nicht der Hebel, der die Welt aus den Angeln hebt und natürlich war es wieder so klar, dass der Altersdurchschnitt (immerhin sind wir im Ersten) irgendwo in der Mitte des Durchschnittsalters von Deutschland liegt und jaaaa, es war auch sehr klar, dass es wieder keine offen lebende Lesbe, kein Mensch mit Transidentität, kein offen A- oder Pansexuell positionierter Mensch dort aufs Sofa schafft; dass das Konzept der Queerness nicht genannt wird und ach… das strahlend reine weiß aller Gäste- ph selbstverständlich.
Es geht darum, ob sexuelle Vielfalt in der Schule als Teil der Norm vermittelt wird und das Fernsehen pickt sich das Stück Norm raus, was am Genehmsten ist.

Ich hab keine Lust diesen ganzen Dreck nochmal wiederzugeben- und ja- es ist Dreck. Auf vielen Ebenen und mit viel zu wenigen Stellen an denen ich zustimmend nicken konnte.
Travestie ist nicht Transidentität/ Transsexualität, sondern Kunst. Die freie Entscheidung eines Menschen ein anderes Geschlecht dramaturgisch aufzugreifen und umzusetzen. Der Auftritt von Olivia Jones, hat Menschen mit Transidentität eher geschadet als geholfen- so sinnig ihre Beiträge zur Diskussion auch waren.

Jens Spahn ist ein offen lebender Schwuler, der es sich leisten kann, offen schwul zu sein. Viele tausend andere können das nicht- er wird nie derjenige sein, der das nach außen vertritt.
Mal abgesehen davon ist lesbisches Leben noch einmal ein ganz anderes, als schwules.

Birgit Kelle rechtfertigt ihre verachtenswerte Ignoranz mit einer Wortklauberei um die Begriffe “Akzeptanz” und “Toleranz” und argumentiert nicht sauber recherchiert. Peinlich.

Hera Lind fragt sich, wieso sich alle so aufregen (und haut damit ebenfalls in die Schneise der gesellschaftlichen Ignoranz für all jene Menschen, deren Verbindung zu Menschen, die nicht heteronormativ leben/wahrnehmen, nicht die ihre ist). Unangebracht auf vielen Ebenen.

Hartmut Steeb schießt den Vogel ab und kräht nach dem Kindeswohl, kurz bevor er Homosexualität als unnatürlich degradiert.
Homophob.
Irgendwann wird die gesamte Debatte von ihm als “überdreht” bezeichnet und die Ehe zwischen Mann und Frau- ja sogar der Fortbestand der Menschheit als bedroht eingestuft, nachdem der Schluss gezogen wird, dass Identität nicht anerziehbar sei. (Das war dann der Punkt an dem ich als Zuschauerin die Absurdität der Argumentation als überdreht empfand).

Bei mir blieb so ein Ding hängen, das Frau Kelle gerissen hat- ich mein- sie hat eine Menge gesagt, an das güldene Facepalmen zu tackern sind, aber da war der Nebensatz: “Es ist mir doch egal (was für eine Sexualität jemand hat)”, den ich wirklich gerne fett markiert aufgegriffen gehabt hätte.

Denn nein- es ist eben nicht egal. Das ist ein verlogener Satz- denn wenn es ihr egal wäre, dann hätte sie nicht da gesessen.
Wenn es wirklich egal wäre, dann würde “Elternrecht” nicht bedroht gesehen werden, weil in der Schule dann nichts einschneidend Wichtiges vermittelt wird.
Wenn es wirklich allen (cis- sexuellen) Menschen da draußen egal wäre, wie sich andere Menschen wahrnehmen und ihr Leben gestalten, dann würden wir ganz anders miteinander leben.

Am Ende blieb der Konsens, dass die Debatte noch nicht zu Ende sei, worin ich zustimme.
Ich aber wünsche mir eine andere Art Debatte. Es geht um Identität- nicht darum, wie wer mit wem wo und wann Sex hat.
Es geht darum einander frei und wertschätzend zu begegnen. Das fehlt der Debatte meiner Meinung nach als gemeinsame Grundlage bzw. gemeinsames Anliegen. Mit dieser Maischbergersendung wurde vorallem transportiert, dass es okay ist, wenn Hass im Fernsehen verbreitet wird und sich Minderheiten gefälligst selbst zu schützen haben. Ein Fail deluxe.

Ich denke: So lange es Eltern gibt, die ihren Kindern nur eine ausgesuchte Norm präsentieren, die es verdient hat, frei und wertschätzend wahrgenommen zu werden, so lange besteht der Bedarf, dass Bildungseinrichtungen die Vermittlung des gesamten Normspektrums übernehmen. Genauso wie es wichtig ist, als BloggerIn, als JournalistIn, als AutorIn, als KünstlerIn… als Mensch von nebenan, das Spektrum der Norm aufzuzeigen, zu kultivieren und nicht zuletzt offen und frei zu leben, welche das Fernsehen mit solchen Sendungen ausgrenzt.

Solange “Vielfalt” kein Synonym für “Norm” ist, ist es eben nicht egal!

Ein guter Artikel zur Sendung erschien auch auf queer.de. Leseempfehlung!

von Schleim, Blut, Sex und lila Schmetterlingsplastikbindenverpackungen mit Freshnessgestank

MenskunstWir sind im Sommer weggefahren und waren erstmals seit einigen Jahren wieder auf Wegwerfmonatsbinden angewiesen und das Thema Menstruation(sartikel) kam auf.

Dann dachte ich, dass ich das Thema in meinem Blog nicht so wirklich aufgreifen kann- aber eigentlich sollte und ja auch wollte und ach… eigentlich geht es ja eh nur darum zu bluten und dafür blöde Produkte zu verwenden… alles drum rum ist ja nichts, was ich einfach mal so schreiben könnte… man weiß ja nie… Wenn das jemand liest!

Dann fiel mir, dass ich bereits einen Artikel darüber geschrieben habe, welche Machtgefühle ich in Bezug auf Aspekte meiner Sexualität erlebe und dachte, dass es eben doch mein Blog ist und Eigenmacht eben auch so aussehen kann, dass ich über die Renovierungszeit meines Uterus schreibe und alles was mir so drum rum auffällt.

Also. Ich schreibe jetzt was über Menstruationsartikel, das Bluten und was, für mich, sonst noch so dazu kommt.

Ich verwende Stoffbinden und versuche mich immer wieder im „freien Menstruieren„.
Ersteres ist nett zur Umwelt und meiner Scheidenflora und Letzteres bedient mein Kontrollbedürfnis, während es mich dazu bringt, mich bewusst mit meinem Körper auseinanderzusetzen und nicht die ganze Zeit des Blutens zu verdissen (meint: zu dissoziieren-
FAQ’s helfen).

Ich stand also im Sommer in der Drogerie und … naja… dachte ernsthaft darüber nach, die Reise abzusagen oder alternativ zu überlegen, wie viele Tage am Stück meine gebrauchten Stoffeinlagen in wie vielen Plastiktüten bleiben könnten, ohne, dass ich mich doch wieder vor meinem eigenen Blut ekelte, wenn ich wieder zu Hause und in Waschmaschinennähe wäre.

Es gibt inzwischen so absurd vermarktete Produkte, um das Menstruationsblut und ominöse andere Schleimig- und Flüssigkeiten aufzufangen, dass ich darüber nachdachte, darüber zu bloggen.
Ich kaufte ein lila Päckchen mit Schmetterlingen drauf.
Mein erstes selbst gekauftes Bindenpäckchen Mitte der 90 Jahre, war eins mit einer Ballerina drauf. Ich fand die Ballerina schön- die Binden da drin scheiße. Das waren welche, die sowohl am Slip als auch den Oberschenkeln klebten. Das fiel mir in dem Moment ein und ich musste gleich mal überprüfen, ob ich wieder so ein Modell erwischt hatte.

Sitzt ne Frau in der Bahnhaltestelle und macht ein Päckchen Binden auf…
Ups Stilbruch- verpackt wie die Kinderüberraschung für Mädchen, aber angucken ist erst allein aufm Klo okay. Hm. Interessant…

Folgende Informationen fand ich auf der Packung:
– ohne Duft, „Ultra Binden“, 4 Tropfen, die Bezeichnung „new Generation“, die Stückzahl, eine Entsorgungsanleitung (gelber Sack..!), eine Trageanleitung (mit Lageplan an einer Abbildung einer Binde), den Hinweis auf Latexfreiheit , einen Kreis in dem „Hautverträglichkeit dermatologisch getestet“ steht und eine Beschreibung der 5 Komponenten des Schutzes (Saugkern, Geruchschutz, Oberflächen- und Tragekomfort (denn wir* wissen ja: je komfortabler desto sicherer!) und Flexibilität).

Die Sache mit der Hautverträglichkeit interessierte mich als Erstes, denn nicht ohne Grund verwende ich Stoffbinden. Ich bin so oder so eine Dauerkandidatin für Infektionen und sonstige (Schleim-) Hautproblematiken im Intimbereich und sowohl Tamponverstopfung als auch Wegwerfbinden haben diese nie positiv beeinflusst.
An dieser Stelle auch ein Danke an meine Gewalterfahrungen, ohne euch wäre dies in dem Umfang und Ausmaß vielleicht nie möglich geworden.

Ich wollte wissen, worauf genau da dermatologisch getestet wurde und unter welchen Bedingungen. Was nützt mir denn das Wissen, dass die Dinger unter Laborbedingungen, wo so eine Binde vielleicht nur eine oder zwei Stunden auf der Haut eines gesunden Menschen verweilt, als „Hautverträglich“ eingeschätzt werden?
Wir sprechen hier von Produkten, die inzwischen fast komplett aus synthetischen Stoffen bestehen. Plastik in allen Verwandtschaftsgraden, versetzt mit Vitamin E und Seidenprotein, wie ich noch auf der Rückseite zum Oberflächenkomfort lesen konnte.

Wenn ich mein Gesicht für 2-3 Minuten in Klarsichtfolie wickle, still stehenbleibe und die Luft anhalte, würde ich auch von einer gewissen „Verträglichkeit“ im Abschluss sprechen können. Nicht aber, wenn ich das Gleiche bei einem Wettrennen über 2-3 Minuten tue.
Die Homepage des Herstellers schwieg dazu, gab aber das Testurteil der Stiftung Warentest an. Also rief ich bei der Servicehotline an.
Und dann rief ich dort noch mal an.
Und noch mal.
Und noch ein Mal, weil mir die Melodie der Warteschleife, aus der ich immer wieder flog, so gut gefiel.
Erreicht habe ich nichts (außer vielleicht genervte TelefonistInnen).
Ich fand einen interessanten
Artikel bei Ökotest.de und beließ es dann dabei- obwohl ich irgendwann dann doch mal beim Verbraucherschutz fragen will, ob Hersteller von- gerade solchen- Produkten, das überhaupt dürfen (vermutlich nicht… oder?).

Als Nächstes dachte ich über die Tropfen nach.
Ich bemühe mich ja schon, mich relativ bewusst damit zu befassen, wie viel da aus meinem Körper heraus kommt, doch die Menge in Relationen zu setzen erscheint mir schwierig mit nur einem Produkt. Netter Versuch der Kundenbindung- gleich mal zig Produkte für einen Lauf oder wie?!
Und dann: BOOM! Konnte ich überhaupt nicht mehr einschätzen, wie viel da kam. Alles weg. Verschwunden in diesen 2,5mm dicken Dingern. Egal wie oft oder weniger oft ich die Einlage wechselte, sah es immer gleich viel aus. Auch die Einschätzung, ob wir uns bei letzten Überresten am Ende der Menstruation befanden oder nicht, war kaum möglich: egal ob das Blut tiefrot oder geronnen und eher braun aussieht- die Plastikbinde machte daraus ein undefinierbar blutfarbiges „Mittendrin- Rot“.

Kann sein, dass das nicht vielen Menschen wichtig ist. Mir aber schon. Ich bin keine regelmäßig und vorhersehbare Regelbluterin. Auch hier wieder ein herzliches Dankenicken in Richtung Gewalterfahrungen: „Danke- auch dies etwas, das ihr direkt mit beeinflusst.“.
Meistens sind es bei mir nur zwei Tage oder drei. Wenn ich mehr als 4 Tage auslaufe, weiß ich, dass ich direkt kurz vorher an einem Problem oder Konflikt gekaut haben und alles angehalten muss. (Wie das noch aussehen kann hab ich
hier mal beschrieben) Die langen Phasen haben bei mir immer irgendwas damit zu tun, endlich loszulassen. Laufen- und eben auch aus-laufen zu lassen.
Wenn ich Stress, Ängste, Kummer oder Ärger habe, blute ich eben auch mal Monate lang gar nicht. Doch wenn es soweit ist, will ich wenigstens sehen und abschätzen können, wo ich gerade im Verlauf stehe.
Die Anfälligkeit biologisch in einen Stressmodus zu schalten, hat sich mein Körper von früher antrainiert, um mit einem Gewaltalltag umzugehen. Ergo habe ich dann doch auch relativ selten „Erdbeerwoche“ und fühle mich schon auch ein bisschen beklaut, wenn ich dann nicht so richtig alles davon auch wahrnehmen kann.

Apropos beklaut- wieso wollen die Hersteller eigentlich neben Würde durch Schmetterlings- und Blümchenlastige Verpackung auch noch Eigengeruch klauen und durch chemischen Kackscheiß ersetzen, der dann auch noch „Freshness“ genannt wird?!
Das Nuf hat neulich schon mal was darüber gebloggt und ebenfalls zum kollektiven Kopfschütteln aufgerufen.
Ich würde gern ja gerne mal noch eine Entwicklungsschlaufe hinzufügen:
Jetzt nennt sich dieser Gestank noch „Freshness“- bald könnte dieser Geruch auch nur noch für Menstruation gelten- ja quasi eine Limitierung passieren: „Na- nee- dieses Persil kann nicht mehr nach „Freshness“ riechen- so riecht schon die „rote Tante“!“.

Außerdem: wer schnüffelt denn bitte im Alltag im Schritt anderer Menschen, wenn er Körpergerüche ekelhaft findet?!
Mal ganz davon abgesehen, dass Blut erst ab einer gewissen Menge und einem gewissen Alter nach „Blut“ riecht. Was mensch riecht, wenn er sich eine Wegwerfbinde zum Wechseln vornimmt, sind Bakterien, die sich über warm- feuchten Stau in wenig belüfteter Gegend freuen und dies gleich mal mit Wachstum feiern. Ja und vielleicht noch mit einem Hauch von Blutgeruch, wenn es eben 5 vor 12 mit dem Bindentauschen ist.

Wenn mensch gesund ist, riecht der ganze Mensch halt nach Mensch. Auch sämtliche Ausflüsse, die by the way nicht nur da sind um in Binden und Slipeinlagen zu tropfen, sondern auch um die Gesundheit zu erhalten.
Als Infektionserfahrene kann ich am Geruch und der Konsistenz immer wieder perfekt abschätzen, wie der Stand ist. Riechts da nach „Mensch“ ist alles gut.
Würde ich oder meine Geliebte da plötzlich nach „Freshness“ riechen, würd ich mir Sorgen machen (müssen).

Eigentlich ist das Bluten nichts irgendwie Großes finde ich.
Aber irgendwie dann doch.
Ich mein-hallo! mensch blutet, ohne verletzt zu sein. Manchen tuts weh und manchen nicht. Manche Menschen sehen, dass sie bluten und denken: „Hurra- nicht schwanger!“ und manche Menschen denken: „Mee das wars dann jetzt die nächsten Tage.“. Bei manchen Menschen geht alles ganz alltäglich weiter und bei manchen ist in der Zeit absolutes Berührungsverbot.
Auch an sich selbst.

Es gibt inzwischen Tampons mit Applikator zu kaufen. Was sagt mensch dazu?
Ich hab erst mal „Umweltverschmutzung“ gesagt, denn diese Applikatoren bestehen wieder aus Plastik, was um die 1000 Jahre zur Verrottung braucht und ebenfalls den Wertstoffmüllberg vergrößert. Mal abgesehen davon, dass Tampons selbst ebenfalls alles andere als umweltfreundlich sind. Wer denkt, diese Dinger bestehen nur aus Watte irrt. Inzwischen finden sich in  Tampons ebenfalls Kunststoffe, Bleichmittelrückstände und Pestizide, die sich unglaublich viele Menschen vor ihren Muttermund schieben, wenn aus diesem Menstruationsblut austritt.

Dann dachte ich, dass so ein Applikator Selbstberührung verhindert und fragte mich, ob es einen echten Vorteil geben kann daran. Einen habe ich gefunden: Warzen und Co oder vielleicht allgemein Infektionskrankheiten, bei gleichzeitiger Problematik rund um die Handhygiene aufgrund von zum Beispiel aufgeklebten Fingernägelkrallen. Es gibt ja Menschen, die sich Macheten heranzüchten oder aufkleben lassen und das Ganze dann „Nail-Art“ nennen. So einen Swarovskicrystalfingernagel mit Blut zu versauen ist vielleicht wirklich nicht so fein. Aber eine Woche BlingBling auf dem Zeigefinger für 1000 Jahre Rottungsprozess?

Überhaupt Tampons und die Geschichte mit Ursache und Wirkung.
Ich habe gesehen, dass es inzwischen Tampons „mit Probiotik“ gibt. Probiotik meint den verkaufsfördernden Ersatz des Naturjogurtklassikers als Hausmittelhelfer gegen juckende Infektionen. Dass genau dies überhaupt erst nötig wird, weil Tampons und stets und ständige Einlagentragerei diese Infektionen wenn nicht auslösen so doch aber mindestens erheblich mittragen, steht weder auf der Packung, noch wird dieser Umstand so breit kommuniziert, wie es eigentlich nötig ist.

Selbst eine Gynäkologin hatte mich lediglich darauf hingewiesen, dass mein damals übermäßiges Sauberkeitsbemühen Schuld an immer wiederkehrenden Infektionen sei- nicht etwa die Unmöglichkeit von Schleimverteilung als Grundlage für Wachstum von positiven Kulturen.

Schleim ist nicht so gern gesehen.
Im Fall von Krankheiten kann ich das ja sogar verstehen, aber die Abwesenheit von Schleim bedeutet eben nicht auch die Abwesenheit von Krankheit. Wenn es um den Intimbereich geht, ist Schleim eigentlich das, wofür ein roter Teppich und Empfangsmusik bereitstehen sollte.
Es ist halt ein ziemlich gut geeichtes Zeug, wenn mensch sich unsicher ist, ob es gut um die Gesundheit steht; wo mensch sich in seinem Zyklus befindet; ob das, was man selbst oder der Mensch, der einen dort gerade berührt, tut eigentlich das ist, was wirklich Lust auf mehr macht.

Mir ist diese ganze seltsam verschobene Schutz- und Kontrollgeschichte in Sachen Menstruation und- naja- durch Slipeinlagen eben auch, vielleicht generell in Sachen „ein weibliches Genital besitzen“, irgendwie befremdlich.
Auf meiner Lilaschmetterlingspackung Binden steht: Idealer Wäscheschutz
Ich weiß nicht, was andere Menschen so für Unterwäsche tragen, wenn es etwas ist, das so unglaublich doll geschützt sein muss. Ich persönlich trage ja Schlüpfer in erster Linie um vor Dreck geschützt zu sein. Meinen Schutz zu schützen, erscheint mir da einfach irgendwie seltsam.
Und was ist eigentlich mit den Menschen, die keine Unterwäsche tragen?
Christina Aguilera hat (angeblich) mal frei menstruiert und die ganze Welt konnte es sehen.
Absicht? Zufall? Wars ihr peinlich?

Ich glaube, es geht auch viel um Scham vor der sich geschützt wird. Vielleicht auch rein praktisch halt den Umstand, das Blut nicht leicht rauswaschbar ist- trotzdem denke ich, dass sich viele Menschen eher für die Sichtbarkeit ihrer Menstruation- vielleicht auch durch den Wäscheschutz an sich schämen, als sich darüber zu ärgern, dass die Unterwäsche nicht wieder ganz die Farbe hat, wie vorher.
Ich hab drei Kategorien Unterwäsche: für meine Tage (rotbraun verfleckt und eng anliegend), für meine anderen Tage (irgendwie halt das was mensch sich so greift) und für geplante „Ich will Sex mit dir haben und dich mit dieser wunderschicken Verpackung darauf hinweisen- du weißt, dass ich diesen Fetzen niemals im Alltag anziehen würde und ich weiß das auch- also…“- Situationen.
Alle Stücke kann ich hygienisch auskochen und bisher hat sich kein Mensch, mit dem ich Sex hatte oder sonst wie intim war, dazu geäußert.

Letztlich gehts mir bei meinen Binden nicht um Unterwäscheschutz, sondern um Sicht- und Kleidungsschutz. Einen Zwölferpack Schlüpfer gibts an jeder Ecke- ein schöner Rock findet sich nicht so schnell und günstig.
Ich möchte überhaupt ja auch selbst entscheiden, wer sehen und wissen darf, dass ich gerade blute. In der Hinsicht danke ich dem modernen Sozialdiktat.

In dem Artikel „The shame of menstruation“ steht, dass es noch um 1900 für weibliche Menschen aus der Unterschicht normal war, auf den strohbedeckten Boden zu bluten, weil es von ihrer Fruchtbarkeit zeugte, was wiederum attraktiv für männliche Menschen sein sollte.
Für mich wirkt diese Praxis wie eine Ausstellung der Körperlichkeit vor anderen Menschen, quasi wie eine Art freiwillige Funktionsdarstellung im Sinne der damaligen Werte: „Wenn du mich heiratest, garantiere ich dir viele Kinder- guck, wie ich blute“.

Würde ich mir das auf ein Singleprofil oder Speeddating übertragen, könnte ich andere Menschen beim Schwimmen beobachten, was wiederum so lustig wäre, wie die Reaktionen der PassantInnen, als ich das Paket Binden in der Haltestelle öffnete und offen begutachtete.
Fruchtbarkeit wird irgendwie gar nicht mal mehr so an der Menstruation gemessen, oder? Wird heute überhaupt noch auf Fruchtbarkeit geachtet, wie damals? Wann in unserem Miteinander kommt der Punkt an dem über Fruchtbarkeit nachgedacht und gesprochen wird? Ist es noch cool fruchtbar zu sein?

Ich habe die These, dass die Scham rund um die Menstruation mit der Unsichtbarkeit einher ging.
Da wird etwas unsichtbar gemacht- vielleicht verheimlicht, dann muss es ja was Verbotenes/ Dreckiges/ Schlimmes sein. Und, dass die Menstruation eh etwas Schlimmes sein muss, beweisen ja schon diverse „Reinheits“-Mythen rund ums Bluten aus dem Uterus.
Dass es bei dem Verheimlichen darum ging, vielleicht trotz Menstruation seiner Arbeit nachzugehen, seine Fruchtbarkeit nicht fremdbewerten bzw. von Unbeteiligten einschätzen zu lassen, vielleicht auch um diverse religiös- kulturell verankerte Praktiken zu umgehen, muss laut „shame on the women“- Gesetzmäßigkeit mit Unglück und Schande und in der Folge: Scham belegt werden, damit es nicht zu bunt getrieben wird.

Dabei lädt heute gerade die Maschinerie rund um Damenhygieneprodukte, die inzwischen nicht mehr nur aus Binden, Tampons und Slipeinlagen bestehen, sondern auch noch aus Deos und Seifen speziell für Slipinhalte, dazu ein, unbedingt noch alles tun zu können, als würde mensch gar nicht menstruieren.
Das ist eine verwirrende Botschaft finde ich. Einerseits muss mensch sich sehr viel mit dem eigenen Körper und einigen Aspekten des Blutens befassen (diese Produkte wollen ja schon richtig angewendet werden)- andererseits wird es gehändelt, als sei es unwichtig (mensch kann ja noch alles tun), um dann aber doch wieder mit diesem Schamding belastet zu sein (es muss alles frisch und neutral riechen bzw. aussehen).

Außerdem stimmt es ja gar nicht, dass alle menstruierenden Menschen den gleichen Alltag haben, wie sonst. Manche haben sehr große Schmerzen und können dann gar nicht so unterwegs sein wie sonst.

Ich bins auch nicht. Bei aller Konzentration und Beherrschung über mich, ist das erste Bemerken meiner Regelblutung der Moment, in dem ich mich über Zeit und Raum, mein Erwachsen- und Unversehrtsein versichern muss. Ich muss am ersten Tag auch Schmerzmittel einnehmen, damit ich die Kontrolle halten kann- was aber nicht bedeutet, dass der Schmerz weg ist.
Der Druck und die Anspannung des Gewebes ist dann immer noch spürbar und das ist ein Gefühl, das mir mein Innenleben auf den Kopf stellt. So gehen da Schotten runter, was eben wiederum meine Produktivität nach außen auch erheblich mit beeinflusst.

Ich mache jetzt keine „Was hilft bei Menstruationsbeschwerden?“- Liste. Das haben sowohl Esme als auch Anna und viele andere Menschen schon oft getan.
Ich ziehe meine Socken aus und glitsche auf der Blutspur direkt zu einem verbindenden Element, das prima bei diesem Schmerz hilft: Orgasmen

Die nehme ich ganz gerne mal mit und wenn ich meine Tage habe noch ein Mal mehr. Ich weiß nicht genau warum es so gut hilft, wenn um die sich zusammenziehende Gebärmutter die Muskeln auch noch mal zusammenziehen, aber so ist es bei mir.
Manche Menschen halten Sex während der Menstruation für eklig. Manche menstruierenden Menschen wollen dann auch nicht angefasst werden.
Ich bin froh, dass das bei mir nicht so ist.

Das Einzige, worauf ich achten muss, ist nicht hinzugucken und auf penetrierende Praktiken zu verzichten, um keine Erinnerungsprozesse an erlebte Gewalt zu triggern. Wenn ich gerade eine Geliebte habe, die mit mir Sex hat, sage ich das auch so. Früher hab ichs nicht und hatte dann nicht mal was vom Sex, außer das blöde „knock- out“-Gefühl von früher nach Gewalterlebnissen. Und das Ganze neben der Erklärungsnot, wieso ich (ich sage meinen Geliebten nicht, dass ich multipel/ schwer traumatisiert bin. Dafür sind sie Geliebte- nicht Gemögte- andere Geschichte) geweint habe oder Ähnliches.

Ich habe festgestellt, dass es für mich nicht besonders sinnvoll ist auf einen Orgasmus hinzuarbeiten, wenn ich mich gerade scheiße finde oder richtige BÄÄÄMs in meiner Nähe wabern. Das wird meistens eher eine Selbstverletzungsarie und auch eine Geliebte habe ich dann nicht zur Hand (bin ja dann scheiße). Trotzdem ist ein vibrierendes Sexspielzeug dann wirklich praktisch und guttuend für mich. Einfach mal die Massagegeräte zur Massage des Unterleibs (nicht nur der Vulva) verwenden.

Übrigens habe ich inzwischen einen Mooncup im Haus, den ich bei Gelegenheit mal testen werde.
Bei diesem Produkt schlich ich ja ein bisschen herum, weil es Größenangaben gibt. S M und L  „Schade“, dachte ich, „Dass ich weder Maßband noch Spekulum noch finanzielle Ressourcen zum Kauf aller Größen zum Testen besitze“. Es ist ja nun doch ein Fremdkörper, den ich in meinen Körper einbringen muss, was ich halt nicht immer einfach mal so machen kann. Gibt halt Tage, da fühle ich mich zerstörter als an anderen.

Jetzt ist er da und kommt mit in mein Ressourcicum zur roten Welle fern von Daheim, wo ich eben nicht frei menstruieren und/ oder meine Stoffbinden verwenden kann.

Die lila Schmetterlingsplastikbindenpackung steht derweil in meinem Bad herum.
Vielleicht erwischt es mal unerwartet Besuch von mir und es wird eine gebraucht. Dann bin ich gerüstet.
Verrotten wirds ja frühestens in 1000 Jahren.

 

Bonusmaterial:
Ich hab zum Geburtstag ein Buch geschenkt bekommen, dass ich gerne weiter empfehle: „
Muschiland- Exkursion in eine kulturelle Intimzone“ von Ulrike Helmer. Darin sind neben angenehm leicht lesbaren Texten zu nicht immer leichten Aspekten, auch viele Literaturtipps und Verweise zu finden, was das Buch sehr wertvoll macht, wenn mensch sich (feministisch) mit dem Thema auseinandersetzen möchte.

Das „the period blog“  (englisch) mal durchzuschauen kann ich auch nur empfehlen. Leider wird es inzwischen wohl nicht mehr aktualisiert.

Ich hab das Thema „MenstruationsApp“ + „Gender“ nicht im Artikel erwähnt, weil ich meinen Zyklus weder von einer Maschine „berechnen“ lassen will, noch ein Smartphone besitze. Die Femgeeks haben sich aber schon mal damit befasst.
Meine „MenstruationsApp“ ist das Kalenderbuch „Alle meine Tage„, das sich für mich als am Besten geeignet herausgestellt hat.

Die rappende Gruppe „Hand Job Acamedy“ hat der Menstruation einen Song mit dem Titel „Shark Week“ gewidmet.

Allison von „Jew in the City“ erklärt in einem Video ausführlich die jüdische Mikvah.

Weitere Links und Literaturtipps zum Thema sind gern gesehen und werden in den Artikel übertragen.

Zahlenkrieg

Respekt und Miteinander.

Diese Begriffe umschwirren mein Denken zur Zeit wie ein Schwarm Schmetterlinge. Lange hingen sie von den Verästelungen meiner Nervenenden herab. In kleinen Puppen herumschwappend- weder Raupe von Schmetterling. Reine Ursuppe mitten im Prozess.537400_web_R_by_Dirk Röttgen_pixelio.de

Nun sind sie frei und stoßen an das Innere meiner Schädeldecke. Einen Ausgang suchend um ihre Flügel auszubreiten.
Wenn ich den Mund öffne, meine Zunge zu einer Startrampe werden lasse, dann ist es, als würden sie sich überlegen, ob sie nun abspringen oder sie nicht vielleicht doch lieber erst mal die Puppenreste rauswerfen. So ist es vielleicht kein Kommunizieren dieser Begriffe… doch in jedem Fall das, was sie umgab und schützte. Es ist ein Versuch.

Wir waren bei einem den Beruf des Mediziners ausübenden Menschen und es war furchtbar.
Nicht, weil es da um etwas Intimes ging oder um das Ausmaß unserer Zerstörung, sondern weil wir verloren hätten, egal ob und wie verletzt und zerstört wir sind.

Es ist nichts Besonderes. Ja. Für Frauen die einmal im Jahr dahin gehen oder sogar noch öfter, weil sie chemisch verhüten, ist es das auch nicht. Sie lassen sich mehr oder weniger regelmäßig ausmessen, etikettieren, anfassen, begucken und irgendwie ungreifbar auch bewerten.
Ob sie noch normal sind.
Ob DA auch noch alles in Ordnung ist.

Ich habe das mal recherchiert- im Schnitt geht ein biologisch weiblicher Mensch mit 16 Jahren das erste Mal dorthin.
Frage: Was verdammt noch mal hat so eine Fehleranfälligkeit, dass es mit 16 Jahren schon kaputt sein kann? Und wie oft liegt tatsächlich eine so krasse Veränderung vor, dass die mehr oder weniger schallende Dauererinnerung an alle biologisch weiblichen Teenager gerichtet, “dann langsam mal da hin zu gehen”, gerechtfertigt ist? Seid wann geht man zu einem Heiler, wenn alles heil ist und nicht wenn etwas zum Heilmachen da ist? Und was ist das für eine Auffassung, in der Normalität- Gesundheit- ein potenzielles Verfallsdatum hat? Und wieso gilt das Gleiche nicht für biologisch männliche Teenager?

Als ich da so im Wartezimmer saß und mir ab und an die kalten Tropfen von der Oberlippe wischte, dachte ich, dass ich eigentlich tatsächlich an einem Ort sitze, der einfach insgesamt irgendwie schief ist.
Neben mir saß ein weiblicher Mensch, deren Fötus sich im Bauch bewegte.
Ich mag sowas. Man sieht es nicht bei allen schwangeren Menschen so gut, deshalb nahm ich es als Geschenk auf. Eine Art Lichtblick.

Und dann hörte ich dem Menschenpaar zu. Zahlen, Werte, Normen, Ängste, Sorgen, Anspannung.
Genau wie ich.
Meine Anzahl weißer Blutkörperchen war zu hoch, so ziemlich alle Werte in meinem Blut  sind einfach  schief. In meinem Körper tobt eine Entzündung und das schon eine ganze Weile.
Da ist Krieg in mir. Biologisch und seelisch gleichzeitig.
Ich bin nur hier, weil dabei eventuell etwas zerstört wird, was mir den Bauch auch so füllen könnte. Irgendwann. Vielleicht.

Dr Mensch neben mir hatte auch Krieg.
Obwohl er doch gerade eigentlich mit etwas Besserem beschäftigt sein könnte. Den ganzen Tag diesem Wackeln zugucken zum Beispiel. Sich schön finden so kugelig. Dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht. Dass man sich gut fühlt.
Statt dessen saß er da und dachte über die Zahlen nach.

Wenn wir zu einem den Beruf des Mediziners ausübenden Menschen gehen, ist das Erste das uns abschmiert die Sprache.
Das ist ein klassisches Merkmal von Panik.
Unser Gehirn hat gelernt trotzdem einigermaßen zu funktionieren. So ist es dann nicht so, dass wir noch der Ratio oder der Fähigkeit zur Bewegung hinterher winken müssen. Doch es ist ein stumpfes, roboterartiges Existieren und ich kann mir nicht vorstellen, dass das aussen nicht auffällt und etwas ist, das ein gesondertes Fachwissen zur Erkennung erfordert.
Wir wissen das von uns und, weil wir mit dem Menschen, der Medizin studiert hat, zusammenarbeiten wollen- miteinander sein wollen und unsere Verantwortung am Gelingen dieser Zusammenarbeit übernehmen wollen- bereiten wir uns peinlich genau vor.
Es ist eine Bedienungsanleitung im Grunde.
Dort steht alles drauf. Von “Ich kann nicht sprechen, weil ich in einem Zustand von Panik bin” (- sie haben gerade eine Macht über mich) bis “Sagen sie mir jeden Handgriff den sie tun- zeigen sie mir jedes Instrument mit dem sie das tun” (- erschrecken sie mich nicht noch mehr und zeigen sie mir, dass sie wissen, dass sie eine Grenze berühren).
Es steht alles drauf. Mit rotem Stift. Alarmfarbe. Unterstrichen wie wichtig das ist.
Mit dicken Ausrufezeichen, dass wir Hilfe brauchen werden, um uns zu orientieren. Dass sowas ganz Basales, wie der Name- der Ort in dem wir leben, die Funktion des Menschen, für mein Gehirn Informationen sind, die es in dem Moment nicht abrufbar hat- selbst wenn die Untersuchung an sich schon längst vorbei ist.

Doch es ist Krieg.
Menschen mit Kriegen in sich gegen Menschen die nicht merken, vielleicht nicht beachten, dass sie Krieg mit Zahlen machen.
Der Mensch dort vor uns hat die Karten nicht lesen wollen. Nur den Kurzbrief aus der Ambulanz. Den Laborzettel mit den Zahlen drauf.

Viele grüne spitzzähnige Rosenblätter lagen verstreut, wie tot, da herum, stießen wie die leeren Worte an die Decke des Raumes oder verkrochen sich in den Ritzen der Fensterfüllungen.
Der Mensch hat keine unserer Grenzen wahrgenommen und geachtet.
Wir verwandelten uns in das Plastikmodell eines Intimbereichs eines weiblichen Menschen und haben seelisch überlebt.
Die Worte gehört, das Unverständnis wahrgenommen. Wir spürten die Grenzen des Menschen und dessen Zahlen, Normen und Werte sehr deutlich. Und hätten wir sprechen können, hätten wir uns entschuldigt. Und wenn wir uns im Verlauf vernünftiger hätten bewegen können, hätten wir den Menschen umarmt und gesagt, dass es nicht so schlimm ist, dass er aufhören kann zu schimpfen.

Heute, zwei Tage später, denke ich, dass wir uns damit trösten müssen, dass es daran lag, dass der Mensch die Karten nicht gelesen hat. “Alles wäre sicher anders gekommen, wenn die FRAU unsere Karten gelesen hätte. Alles wäre vielleicht anders gekommen, wenn wir der FRAU gesagt hätten, dass wir ein Opfer von Gewalt wurden und sowohl Schäden davon, als auch die Schäden die vom Innen zugefügt werden, zu sehen sein werden.”

Doch dann fällt mir auf, dass noch keine der Frauen mit denen ich über ihre Erfahrungen mit Menschen die den Beruf des Gynäkologen- oft genug auch des Mediziners einer anderen Fachrichtung- ausüben, jemals davon gesprochen hat, dass es eine Zusammenarbeit gab. Ein Miteinander.
“Ja, sie hat gemeint…”; “Und dann hat sie…gesagt” , “Er hat …gemacht”, “Er sagte, ich soll…”, “Sie warnte mich, dass….”
Dass alle Frauen dort in einer Welt landeten die von Zahlen und Werten… vielleicht dem Status des unantastbaren Heilers oder auch Retters dominiert wird. Nicht so oft von dem Menschen, die sich zum Instrument dessen macht oder sich in der Rolle des Retters gefällt. Und erst recht nicht von dem Menschen, der dort mit einem Heilungs- oder Rettungswunsch hinkommt.

Ich denke, vielleicht ist es ein Krieg wie bei Hartz4 oder beim OEG oder bei der Krankenkasse…
Zahlen gegen Menschen.
Zahlen, Normen, Richt- und Lei (d) tlinien die wir Menschen erschufen wie dereinst Frankenstein sein Monster, die sich nun gegen uns richten.

Von den meisten Menschen hingenommen, akzeptiert als Werkzeug und Gradmesser. Die Art, wie man zu ihnen kommt wird nebensächlich, denn wenn man oft genug- und früh genug draufhaut, dann tut es irgendwann nicht mehr weh. Und falls doch einer heult, dann kann man ihm ja immer noch sagen, er sei selbst schuld.
Das funktioniert ja immer bei biologisch weiblichen Menschen, deren Grenzen gerade verletzt wurden.

Denn das sind ja nur Frauen.

Sterne schreien

Wartend unter Anwesenheit
Zitternd unter Nähe
Zuckend unter Berührung

Jede Pore ein hundert- Meter Brett in die bodenlose Schwärze
Die Metamorphose, 205268_web_R_by_Maren Beßler_pixelio.de
reizend schwingend, leidenschaftlich sprühend

Mit einem Knall nimmt sie die Herrschaft an sich
reißt sich Haut unter die Nägel,
fängt jeden Tropfen auf

Nimmt ihn zu sich und gebiert ihn neu

Sie beben, kreisen, schwirren wie die Schmetterlinge
Flehend, fast tötend lebendig,
schreit sie Sterne in die Nacht

Satt zufrieden, wiegend schaukelnd, sachte Wellen

Der letzte Stich
ihr Tod

Den Kuss zum Abschied von einem Fremden,
nimmt eine Andere,
um ihn hinter ihrem Lächeln zu erbrechen.