note on: keine Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur #drittenOption

Der Freitag war für uns ein wichtiger Tag. Aus Gründen, die wir heute gar nicht einmal mehr abrufen können, waren wir davon überzeugt gewesen, dass der Bundesrat gegen den vorgelegten Gesetzesentwurf zur sogenannten „dritten Option“ Einwendungen erheben würde.
Als das nicht passierte, war es schlimm.

Nicht, weil wir nicht bekommen hatten, was wir wollen. Nicht, weil wir wieder daran erinnert wurden, wie weit unsere Belange hinter pseudopolitisch verkleideten Individualinteressen, wie denen von Seehofer und Co stehen, sondern, weil wir genau in dem Moment der Nachricht wussten, dass darüber zu sprechen ganz genauso schmerzhaft werden würde, wie die Ablehnung der Überarbeitung des Gesetzentwurfes.

Bei kaum einem anderen Thema spüren wir unsere Filterblase so deutlich, wie bei dem um die eigene Geschlechtsidentität.

In der Traumablase herrschen so viel unhinterfragte binäre Cisheteronormativität (also die Annahme normal sei, wer ganz klar Mann oder Frau und heterosexuell ist), dass die krasseste Abweichung noch „andersgeschlechtliche Anteile“ in Menschen mit sekundärer bzw. tertiärer DIS darstellt.
In der linken Blase zerbröselt man sich darüber, dass es ja in Wahrheit nichtmal links ist, sowas wie Trans- und Interrechte, Queertheory und intersektionalen Feminismus zu kennen, zu fordern, zu unterstützen, zu stärken, zu sichern.

Wir merken: wann, wie, wo auch immer wir Menschen, die uns beiläufig falsch einordnen, korrigieren, werden wir erneut eingeordnet. Als störend, anstrengend, durchgeknallt, schrill, Po-Mo – also nicht als Person, die ist, wie und wer sie ist, sondern als eine Eigenschaft oder ein Zustand, des Hier und Jetzt.

Wir mussten in den letzten Monaten oft Gespräche führen, in denen wir uns mit der Behauptung konfrontiert sahen, Identitätspolitik wäre an sich diskriminierend, irrelevant, ja sogar gefährlich.
Uns hat das jedes Mal tiefgreifend getroffen, verletzt, zuweilen auch einfach hoffnungslos überfordert.
Denn wo soll man auch anfangen, wenn Leute, die nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie das ist, wenn man selbst einfach nicht ist wie sie, obwohl man viele Eigenschaften teilt, vor eine.r.m sitzen und so etwas vertreten wie: „Na aber wenn jede_r selbst bestimmen, dürfte, dann würden ja Männer behaupten, sie seien Frauen und dann würden die Männer den Frauen die Frauenförderung wegnehmen.“ oder „Wenn alle ihren Geschlechtseintrag ohne jede Kontrollinstanz bestimmen dürften, dann gäbs ja noch mehr Fantasiegeschlechter!“

Worauf sollen wir uns beziehen, wenn wir vor Personen sitzen, die glauben unsere Gewalterfahrungen hätten unser Verhältnis zu Männern und Frauen so nachhaltig zerstört, dass wir uns selbst als keins von beidem identifizieren wollen? Als sei Identität – genauer Geschlechtsidentität – eine Wahl, die man trifft und nicht ein Bewusstsein zu dem man kommt, wenn man sich entlang aller Erfahrungen – auch Selbsterfahrungen – reflektiert und darüber definiert.

Selbst vor biologistischer Argumentation bleiben wir nachwievor jedes Mal fassungslos über die überraschend verbreitete Desinformation unserer Gesellschaft. Da wird immer noch geglaubt, Hormone allein bestimmten über ein Geschlecht, oder wie ein Genital aussieht. Oder welches Geschlecht begehrt wird. Oder welche Körperfunktionen wie zugelassen werden oder nicht. Ammenmärchen soweit das Auge reicht, und absolut 0 Bereitschaft mal ein Buch in die Hand zu nehmen, sich einen Vortrag anzuhören, sich weiterzubilden oder wenigstens in Betracht zu ziehen, dass nicht ganz so richtig und komplett sein könnte, was man in der Schule über das Thema „Geschlecht“ gelernt hat.

Im Ärzteblatt wurde kürzlich behauptet, trans sei ein Trend, was an Unprofessionalität kaum die Transfeindlichkeit überbieten kann.

Selbstbestimmung ist im Trend. Antidiskriminerung ist im Trend. Diversity ist im Trend.
Warum? Weil es Gesetzgebungen und EuGh-Urteile gibt, die es verbieten zu diskriminieren, fremdzubestimmen, Menschen die Identität abzusprechen bzw. Identitäten aufzuzwingen.

Es gibt im Moment sehr viele rechts_konservative Stimmen, die von einer Debatte oder Diskussion sprechen, wenn es um die Rechte von marginalisierten (also als Minderheit einordneten) Menschen geht.
Dabei muss eigentlich allen Menschen klar sein, dass Identitäten, genauso wie jede andere persönliche und möglicherweise absolut individuelle Eigenschaft und ihre Anerkennung vor Recht und Gesetz, niemals zur Diskussion stehen dürfen.

Man stelle sich mal vor es ginge um Leute mit lockigem Haar.
Niemand sieht eine belockte Person und stellt erstmal zur Debatte, ob diese Locken nun da sind oder nicht, oder, ob das nicht vielleicht einfach nur glatte Haare sind, die um Kurven in der Luft gewachsen sind.
Genauso absurd sind die Debatten, die gerade passieren und genauso sprachlos wie eine jede, wie auch immer stolze oder bewusste Lockenkopfperson, sind wir immer wieder.

Besonders für uns als Person mit DIS war es viel anstrengende und zeitweise auch enorm schmerzhafte Therapiearbeit an den Punkt zu kommen, an dem wir uns der Tatsache stellen konnten zu sagen: Ja, wir sind uns sicher und können das stabil, unabhängig von unserer Identitätsstruktur und damit verbundenen Problemen fühlen: Wir sind keine Frau. Wir sind kein Mann. Wir sind viele, wir sind wir, wir alle.s sind eine queere Person.

An diesen Punkt sind wir übrigens auch nicht gekommen, weil wir Frauenberatungsstellen nutzen konnten oder weil überdurchschnittlich viele unserer behandelnden Therapeut_innen auch Feministinnen waren, sondern trotzdem das so war.
Das sagen wir nicht gerne, aber wir müssen das sagen. Weil es Teil dessen ist, was uns so oft so geschmerzt und auch in Solidaritätskonflikte gebracht hat. Da waren und sind Menschen hilfreich – allerdings nur und manchmal auch ausschließlich, weil sie uns als Frau eingeordnet haben. Ohne jemals danach zu fragen, als was wir uns selbst identifizieren.

Früher ging das noch irgendwie okay. Heute geht es nur mit Überwindung, schlechtem Gewissen und immer wieder mit dem Wunsch nach Angeboten, die sich genau an Menschen wie uns richten. Solche Angebote gibt es aber nicht bzw. nur sehr selten. Wie sollte es sie auch geben, will man noch nicht einmal in der Politik, die für alle Menschen gleichermaßen gut und sichernd wirken soll, anerkennen, dass es uns gibt.

Gestern lasen wir ein Interview mit dem Philosophen Robert Faller, in dem er sagte, dass wer nichts mehr werden könne, mehr Bezug dazu aufbaut, wer er (sic!) sei und das als Waffe im Kampf um Ressourcen nutze.
Eine Unterstellung, die nur aufbauen kann, wer sich in einem ständigen Kampf um Ressourcen wähnt bzw. Anerkennung als Ressource zu instrumentalisieren versteht.
Aber natürlich ist das auch ein Punkt. Haben wir ja gerade selbst geschrieben, dass wir uns anerkannt haben wollen, um Ressourcen fordern zu können, die speziell für uns gemacht werden.
Doch stellt sich für uns diese Forderung nicht als eine Forderung, um der Forderung selbst willen dar.

Wir wollen nicht als nicht binär anerkennt werden, um es zu sein.
Wir sind nicht binär und haben die gleichen Rechte auf Anerkennung und Versorgung, Sicherheit und Selbstbestimmung, wie alle anderen Menschen auch.

Das ist alles, worum es geht.
Wir haben Rechte und die werden uns nicht zugestanden.
Mehr muss man nicht verstehen. Wenn man keinen Bock hat, das eigene Welt- und Menschenbild zu verändern – bitte. Ist ja auch viel und anstrengend und kann irgendwie unheimlich, weil unübersichtlich sein.
Aber glaubt bitte nicht, nur weil man uns nicht anerkennt, wären Menschen wie wir „in Wahrheit“ nicht da und unsere Forderungen deshalb nichts weiter als nerviges, weil anmaßendes, unötiges Gejammer von Leuten, die irgendein special Extra wollen, das ihr dann nicht haben könnt, weil ihr ja „nur normal“ seid.

„Normal“ sein ist ein Privileg.
Eins, das allen zusteht.

 

P.S. Danke Filterblase <3