Inklusion ist radikal

Inklusion ist radikal.
Wer sie fordert, fordert, dass sich die Welt verändert.
Die Welt.
Also, alles.
Like: Ja wirklich, so richtig alles, was man kennt.

Inklusion ist unmöglich in einer Gesellschaft, die von *ismen, also abgeschlossenen, sich selbst am Leben erhaltenden, Wertkonzepten definiert wird.

Mir ist das klar. Aber vielen, vielleicht auch den meisten, anderen Menschen nicht.
Nicht einmal vielen behinderten Menschen. Nicht einmal den öffentlichkeitswirksam aktiven behinderten Menschen.
Und ja, das ist nicht hilfreich, wenn man die Inklusion aller Menschen will.

Hatte man sich zu Integrationszeiten noch hinstellen können und einfach den neuen Begriff erklären können, so ist es heute üblich, nach der Inklusion zu fragen. Zum Beispiel setzt sich Charlotte Zach im Online-Magazin „Die neue Norm“ mit der Frage auseinander, wie inklusiv Instagram ist und wie sie sich als behinderte Frau dort darstellen kann, um viele Menschen zu erreichen, ohne jedoch dabei zu wirken, als wäre sie keine behinderte Frau, weil genau das oft schlechter ankommt und zu weniger Reichweite beiträgt.
Ihr Text endet mit dem Entschluss für einen Mittelweg, was sich kaum neoliberaler und einer gesellschaftlichen Mitte gefälliger lesen lässt, als ein lapidares „You do you.“ und also nicht taugt für radikale Weltveränderung.

Die Systemfrage wird nicht gestellt – es wird die Frage gestellt, wie man sich als behinderte Person ins System hineinfügt.
Ein Problem für behinderte Menschen – für eine Gesellschaft, die kein aufrichtiges Interesse an der Inklusion aller Menschen haben muss, weil sie von der Exklusion profitiert, hingegen nicht.

Natürlich wird Inklusion und alles, was der vermeintlich nicht behinderte Mainstream dem Begriff zuordnet, auch nach wie vor erklärt. Mitten im Schwung von #AbleismTellsMe veröffentlichte Sukultur das Leseheft „Ableismus“ von Tanja Kollodzieyski, ihres Zeichens @Rollifräulein bei Twitter – und Initiatorin des „Satireprojektes“ „Nichtbehinderte und ihre Freunde“ (@nebhis_friends). Ein Account, der die Plattitüden und Mikroaggressionen, mit denen sich behinderte Menschen täglich konfrontiert erleben, auf vermeintlich nicht behinderte Menschen ummünzt. Ein harmloser Witz, ein Ventil für Frust über die eigenen Benachteiligungen als behinderte Person, der pfiffige Versuch Aggressoren mal zu zeigen wie das ist, wenn man so angesprochen wird, damit sie mal darüber nachdenken, dass sich etwas ändern muss – so wird der Account von vielen wahrgenommen und gefeiert.
Unter den Accounts, die Futter für den Account lieferten: Rebecca Maskos. Autorin des bei der Edition F erschienenen (ebenfalls bemerkenswert erklärbärerischen) Textes „#AbleismTellsMe: Behinderte Menschen teilen Diskriminierungserfahrungen“, mit dem im Zusammenhang mit dem Tweet zum „Satireprojekt“ doch ganz bemerkenswerten Satz: „Das Ideal des voll einsatzfähigen, autonomen, nichtbehinderten Menschen kann niemand wirklich erreichen – und dennoch ist es so wirkmächtig, dass wir uns alle danach ausrichten.“

Der Satz deshalb interessant, weil er wahr ist. So wahr, dass ich hier in meinem Büro saß und in Tränen ausbrach, weil die medial breit hörbaren Stimmen meiner Themen um Behinderung und Inklusion offenbar nicht eine Sekunde lang reflektiert hatten, dass sie mit ihrem „umgedrehten Spieß“-Spässken gerade genau das taten: sich nach dem Witz der Überlegenen, der Wirkmächtigeren ausrichten. Für Likes, für Spaß, für ein oberflächliches und absolut folgenloses, weil eben nicht gleichermaßen wirksames Stückchen vom Machtkuchen. Für dieses kurze Moment der Verbundenheit, weil man die Sprüche kennt und die Gefühle, die sie auslösen, schon zigfach durchlebte.

Das Problem: Gleichstellung ist nicht das Gleiche wie Gleichberechtigung. Und Gleichberechtigung allein bedeutet immer noch keine Inklusion in einer Gesellschaft, in der Gesetze von Autoritäten gemacht, gesichert und durchgesetzt werden.
„Wie du mir, so ich dir“ löst kein einziges Problem, ja, benennt es nicht einmal. Tatsächlich braucht es dieses Problem, um als Witz überhaupt verstanden zu werden.

In meiner ersten Kritik nannte ich den Account einen „reverse-ableism“-Witzaccount und verzichtete bewusst darauf, @Rollifräulein zu konfrontieren. Sie und auch sonst niemand, die_r zu dem Ding beiträgt, ist in meinen Augen das Problem und ich möchte auch nicht, dass meine Kritik darauf runtergebrochen wird. Das Problem ist, dass die Beiträge, die Likes, die Retweets, die Replies, das Gefühl der Verbundenheit und des „endlich mal was bewegen“-Eindrucks bei dieser Art von „Witz“ kommen und nicht bei Forderungen, Kritiken, Ideen, Vernetzungsaktionen, die explizit und ganz konkret einen Wandel der Politik, der Gesellschaft – der Welt, in der wir alle miteinander leben müssen, weil wir alle auf eben dieser Welt leben – in Gang setzen wollen oder könnten.

Auf meine Kritik reagierten etwa 5 Leute mit einem Like. Zwei schrieben mir in ihren Replies, warum der Account legitim sei. Mit ableistischer Logik. Natürlich.
Ich schrieb nichts mehr. Schaltete @Rollifräulein stumm, damit ich nicht 50 mal am Tag denke, sie hätte irgendetwas kaputt gemacht oder würde alles zerstören. Denn das ist einfach nicht wahr.
Ableismus, Mehrheitsdenken, „abled supremacy“, ausbleibende Herrschaftskritik, jeder *ismus und sich daraus ergebende Diskriminierungen zerstört alles. Es zerstört nicht nur den gemeinsamen Grund, auf dem wir einander verbunden fühlen und sein könnten, es zerstört auch alle Möglichkeiten, miteinander Konsens zu entwickeln und einander zu Macht zu verhelfen.
Es zerstört jede Möglichkeit auch nur in die Nähe von dem zu kommen, was der Begriff „Inklusion“ meint.

Inklusion ist radikal.
So zu handeln wie Leute, die sich für nicht behindert halten, ist es nicht. Es ist vielmehr die Weiterführung dessen, was Inklusion verhindert.

Das muss sich ändern.
Radikal.

es ist falsch, “unvorstellbare Gewalt” zu sagen

Und wieder ist es “unvorstellbar”. Wieder sorgt ein Fall organisierter sexualisierter Ausbeutung von Kindern für Schlagzeilen und wieder wird, ohne jedes Bewusstsein dafür, das Privileg der “Ungeschlagenen” präsentiert.
Ja, Unvorstellbarkeit von Gewalt ist ein Privileg.
Es ist ein Privileg, sich Gewalt nicht vorstellen zu können und nie aufgefordert zu sein, es zu müssen. Es ist ein Privileg so selbstverständlich zu vermeiden und damit alle Opfer und zu Opfern gemachten zu dissoziieren.

Es ist falsch, von “unvorstellbarer Gewalt” zu sprechen, wenn es um Gewalt_taten geht, die mit Gesetzestexten einzuordnen sind. „Unvorstellbare Gewalt“ kann nicht geahndet werden, denn sie ist nicht erkennbar. Jede Vorstellung (von Gewalt) beruht auf Erfahrungen, Beobachtungen, Lerninhalten. Man kann sich nur vorstellen, was man kennt. Selbst das fantastischste Wesen, das man sich ausdenken kann, wird immer aus Elementen des eigenen Wissensschatzes und der inneren Bereitschaft zu neuen Verbindungen entstehen. Was unvorstellbar ist, das ist noch nie geschehen. Wurde noch nie gesehen. Wurde noch nie erfahren.
Gewalt aber haben wir alle schon gesehen. Gewalt geschieht jeden Tag und wir alle er_leben sie in unterschiedlichen Aspekten und Auswirkungen. Einzig unser Bewusstsein und unsere Offenheit zur Wahr_nehmung dafür ist unterschiedlich.

Wer glaubt, es gäbe Menschen, für die manche Gewaltform durchaus “unvorstellbar” ist, spürt das Ziel der Vermeidung und trägt dazu bei, das Privileg der Ungeschlagenen zu erhalten.
Denn wozu dient die Formulierung “unvorstellbare Gewalt”? Vielleicht denken wir erst einmal: “Oh, da gehts um super krasse Gewalt – etwas, das man nicht alle Tage sieht.” – verarbeitet wird daneben aber auch: “Aha, unvorstellbar krass, deshalb ist es vermutlich ganz besonders schwierig, da jetzt irgendwas gegen zu machen – vielleicht sogar viel zu viel. Und, naja, wenn es sogar für die Polizei unvorstellbare Gewalt ist, die jeden Tag richtig viel mit Gewalt zu tun hat, – und es für die vielleicht viel zu viel ist – ja dann ist das ja erst recht nichts für mich. Da kann ich ja nun mal wirklich echt gar nichts machen. Und wenn es für die Profis unvorstellbar ist, dann ist es das für mich vermutlich erst recht.” Und 2 Monate später kommt der nächste bundesweit aufgedeckte Fall und man fasst sich wieder an die Brust.

Es ist bemerkenswert, wie sich – speziell bei Gewalt an Kindern und Gewalt in Kontexten, in denen gleichermaßen ein gesellschaftlicher Konsens über ein Schadenzufügungsverbot besteht, diese Sprachführung als Vehikel zur Beweisanbringung der totalen Überforderung benutzen lässt.
Man drückt damit nicht nur aus: “die Gewalt ist krass”, sondern auch: “der Umstand, dass sie (hier, in Kontexten, wo “wir” uns doch alle einige sind, dass sie dort nicht passieren und Personengruppe XY ganz besonders nicht treffen soll) passiert, ist krass”.
Damit baut man ein Bild von Machtlosigkeit auf. Man tut so, als hätte man gar keine andere Wahl gehabt, als im Nachhinein Spuren zu sichern, Beweise zu sammeln und aufgrund dessen zu verurteilen und evtl. zu bestrafen – es war ja so unvorstellbar – man konnte das ja vorher oder im Moment des Geschehens gar nicht erfassen, begreifen, verstehen und ergo gar nichts tun.
Man sagt, dass eigentlich ja immer alles okay ist, aber diesmal nicht und niemand konnte was dafür – das war ja vorher nie gesehen, nie geschehen, nie erlebt. Von niemandem. Jemals.

Außerdem verstärkt es die Annahme, dass es das nicht gibt. Diese wirklich mega krasse Gewalt, die man den Menschen einfach nicht zutraut. Man kommuniziert damit ein Level der Gewalt, das zutraubar ist – das zu fassen, und zu kontrollieren ist und ein Level, das alle Normen sprengt und ergo keinen Bezug zur Realität (und darin verortet Menschlichkeit) hat. Deshalb fällt es auch dem Ermittlungsleiter Poll so leicht über die Täter_innen so etwas zu sagen wie: „Diese Menschen, wenn man sie überhaupt so nennen kann“.

Die Formulierung “unvorstellbare Gewalt” ist eine Verteidigung all derer, die niemals mal mehr als eine_n „relatable“ Gewaltüberlebende_n angehört haben.
Weil sie nicht müssen. Weil es einfacher ist, weil es mehr heil lässt, weil es ein Privileg ist, für sich im eigenen Bild von der Welt, als jemand zu leben, die_r nie nie niemals irgendwas ~damit~ zu tun hat. Es erhält die Normen innerhalb derer Opferschaft revidierbar, aufhebbar ist und es erhält die Normen innerhalb derer man Gewalt als real (in unserer Gesellschaft) passierend akzeptiert oder auch nicht.

„Wir Gewaltüb.erlebende.n“ werden davon definiert. Wir sind froh, wenn unsere Erfahrungen vorstellbar sind, denn das bedeutet, dass unsere Erfahrungen und damit auch wir, trotz der Erfahrung noch Teil der Gesellschaft sind.
Ist sie es nicht – gelten unsere Erfahrungen als „zu krass um wahr zu sein“, als “unvorstellbar” – haben wir diesen Zugang praktisch verloren. Und das auch – und das ist das Furchtbare für uns immer wieder – wenn Menschen diese Formulierung nicht in dieser Absicht verwenden, sondern nur, um ihre Fassungslosigkeit auszudrücken. Man verhandelt in diesem Vokabular immer automatisch auch den Konsens über die gemeinsame Realität. Und die ist einfach extrem unterschiedlich zwischen “Ungeschlagenen” und “Geschlagenen”.

Ich möchte diesen Beitrag damit beenden, zu sagen, dass das nicht fair ist.
Es ist noch viele andere Dinge für mich persönlich, die_r damit umgehen muss, dass es ist, wie es ist.
Doch alles Persönliche entfernt, ist es einfach nicht fair.

Es ist nicht fair.

Miteinander säen

Erinnerungskonfetti im Hintergrund meiner Alltagsgedanken, Päckchen und Warensendungen im Flur unseres Hauses, ein rechtes Attentat in Hanau. In dieser Woche kam ich mir vor wie ein losgelöstes Blatt auf wogender See. Irgendwie dabei und doch nur bewegt – nicht in Bewegung.

In meiner Twittertimeline gibt es seit Tagen kein anderes Thema, als die Notwendigkeit, etwas gegen rechten Terror zu tun, Beispiele versagenden Journalismus und stupider Meinungsquirle. Ab und an ein süßes Tier, dazwischen Worte von Menschen, die die nächsten Opfer sein könnten und damit 24/7 umgehen.
Wir haben überlegt, zu einer Demo zu gehen. Aber stemm das mal. Eine Stunde zur nächsten Stadt, in der eine Demo ist. Du weißt nicht, wie die Stimmung ist, kommen viele Leute, was wenn die Kraft plötzlich vorbei ist, dann ist es immer noch eine Stunde wieder nach Hause. Wir gingen nicht.
Später lag ich mit Heimweh im Bett, fragte mich, wie die Stimmung im Bullergheddo wohl ist. Würden wir da noch wohnen, wären wir auf jeden Fall bei der Demo gewesen. 15 Minuten mit dem Rad, Ortskenntnis, lauter safe spaces für den Fall, dass plötzlich nichts mehr geht. Und jetzt ist es vorbei, das privilegierte Demonstrieren gegen Dinge, die andere treffen und mich betroffen machen. Draußen fahren Laster vorbei, die kleine Sperlingsgang zwitschert in der Hecke, irgendwo tönt eine Heckenschere.

Noch später merkte ich, dass es vielleicht auch nur ein Vermeidungshandeln ist, zu einer Demo zu stürmen. Denn nun saß ich hier mit den Päckchen im Flur und dem Regen vor der Tür, meinen To do-Listen und den permanent einrieselnden Kindheitserinnerungen und musste wahrhaft fühlen, was das rechte Morden und seine Folgen mit mir machen. Mir. Einer weißen Person, die keinerlei enge Kontakte zu Leuten hat, die täglich mit rassistischer Gewalt in irgendeiner Form zu tun haben. Einer weißen Person, die ihr Privileg so ungreifbar eingewebt erfährt, dass es in den meisten Lebensbereichen unteilbar erscheint.
Ohnmächtig fühlt sich das an. Und lächerlich. Erzähl mal Leuten von deiner Ohnmacht über die Gewalt, die ihnen Lebensgefahr bedeutet, einfach, weil es Leute gibt, die entscheiden, es sei problematisch, dass sie gibt. Es hilft ihnen nicht, wenn sie nicht auf uns zählen können. Wenn wir einander eben nicht ‘wir’ sind.

In den Päckchen und Paketen sind Anzuchterde und ein Frühbeet.
Die ganze Woche trage ich die Formulierung “Hass säen” mit mir herum. Erinnere plötzlich einen Keramiktopf mit Gesicht, dem Kresse als Haare wuchsen. Wie dieser Topf vielleicht in D., vielleicht auch in L. auf der Fensterbank stand und der Mutter gehörte, die damals vielleicht mittellange dunkle oder kurze rote Haare hatte.
Kann man Liebe säen? Welchen Boden, welche Grundlage braucht Miteinander?
Die Kresse hatten wir Kinder mit der Mutter zusammen in dem Topf gesät. Es tat nicht weh, machte keinen Krampf im Bauch. War das Liebe? Sicher jedenfalls Miteinander. Immerhin, für einen Moment.

Zu Demos zu gehen, kann gerade nicht mehr mein Beitrag sein. Da ist aber die Verlagsarbeit, in der wir auch die Stimmen von rassistisch bedrohten Menschen weithin hörbar machen. Da ist achtsames Zuhören, solidarisches Handeln in Trauer- und Traumaarbeit. Lernen, Zuhören, Platz machen. Selbst der safest mögliche space werden. Anderen Weißen sagen, dass es Attentäter gibt, die Tobias heißen; dass Rassismus tötet; dass auch sie rassistisch denken und handeln und das ein Problem ist.
Ist das genug? Sicher nicht.
Es braucht mehr, um es gänzlich zu beenden. Es braucht aber genau das, um einen Anfang zu machen. Vielleicht.

Hoffentlich.

note on: keine Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur #drittenOption

Der Freitag war für uns ein wichtiger Tag. Aus Gründen, die wir heute gar nicht einmal mehr abrufen können, waren wir davon überzeugt gewesen, dass der Bundesrat gegen den vorgelegten Gesetzesentwurf zur sogenannten „dritten Option“ Einwendungen erheben würde.
Als das nicht passierte, war es schlimm.

Nicht, weil wir nicht bekommen hatten, was wir wollen. Nicht, weil wir wieder daran erinnert wurden, wie weit unsere Belange hinter pseudopolitisch verkleideten Individualinteressen, wie denen von Seehofer und Co stehen, sondern, weil wir genau in dem Moment der Nachricht wussten, dass darüber zu sprechen ganz genauso schmerzhaft werden würde, wie die Ablehnung der Überarbeitung des Gesetzentwurfes.

Bei kaum einem anderen Thema spüren wir unsere Filterblase so deutlich, wie bei dem um die eigene Geschlechtsidentität.

In der Traumablase herrschen so viel unhinterfragte binäre Cisheteronormativität (also die Annahme normal sei, wer ganz klar Mann oder Frau und heterosexuell ist), dass die krasseste Abweichung noch „andersgeschlechtliche Anteile“ in Menschen mit sekundärer bzw. tertiärer DIS darstellt.
In der linken Blase zerbröselt man sich darüber, dass es ja in Wahrheit nichtmal links ist, sowas wie Trans- und Interrechte, Queertheory und intersektionalen Feminismus zu kennen, zu fordern, zu unterstützen, zu stärken, zu sichern.

Wir merken: wann, wie, wo auch immer wir Menschen, die uns beiläufig falsch einordnen, korrigieren, werden wir erneut eingeordnet. Als störend, anstrengend, durchgeknallt, schrill, Po-Mo – also nicht als Person, die ist, wie und wer sie ist, sondern als eine Eigenschaft oder ein Zustand, des Hier und Jetzt.

Wir mussten in den letzten Monaten oft Gespräche führen, in denen wir uns mit der Behauptung konfrontiert sahen, Identitätspolitik wäre an sich diskriminierend, irrelevant, ja sogar gefährlich.
Uns hat das jedes Mal tiefgreifend getroffen, verletzt, zuweilen auch einfach hoffnungslos überfordert.
Denn wo soll man auch anfangen, wenn Leute, die nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie das ist, wenn man selbst einfach nicht ist wie sie, obwohl man viele Eigenschaften teilt, vor eine.r.m sitzen und so etwas vertreten wie: „Na aber wenn jede_r selbst bestimmen, dürfte, dann würden ja Männer behaupten, sie seien Frauen und dann würden die Männer den Frauen die Frauenförderung wegnehmen.“ oder „Wenn alle ihren Geschlechtseintrag ohne jede Kontrollinstanz bestimmen dürften, dann gäbs ja noch mehr Fantasiegeschlechter!“

Worauf sollen wir uns beziehen, wenn wir vor Personen sitzen, die glauben unsere Gewalterfahrungen hätten unser Verhältnis zu Männern und Frauen so nachhaltig zerstört, dass wir uns selbst als keins von beidem identifizieren wollen? Als sei Identität – genauer Geschlechtsidentität – eine Wahl, die man trifft und nicht ein Bewusstsein zu dem man kommt, wenn man sich entlang aller Erfahrungen – auch Selbsterfahrungen – reflektiert und darüber definiert.

Selbst vor biologistischer Argumentation bleiben wir nachwievor jedes Mal fassungslos über die überraschend verbreitete Desinformation unserer Gesellschaft. Da wird immer noch geglaubt, Hormone allein bestimmten über ein Geschlecht, oder wie ein Genital aussieht. Oder welches Geschlecht begehrt wird. Oder welche Körperfunktionen wie zugelassen werden oder nicht. Ammenmärchen soweit das Auge reicht, und absolut 0 Bereitschaft mal ein Buch in die Hand zu nehmen, sich einen Vortrag anzuhören, sich weiterzubilden oder wenigstens in Betracht zu ziehen, dass nicht ganz so richtig und komplett sein könnte, was man in der Schule über das Thema „Geschlecht“ gelernt hat.

Im Ärzteblatt wurde kürzlich behauptet, trans sei ein Trend, was an Unprofessionalität kaum die Transfeindlichkeit überbieten kann.

Selbstbestimmung ist im Trend. Antidiskriminerung ist im Trend. Diversity ist im Trend.
Warum? Weil es Gesetzgebungen und EuGh-Urteile gibt, die es verbieten zu diskriminieren, fremdzubestimmen, Menschen die Identität abzusprechen bzw. Identitäten aufzuzwingen.

Es gibt im Moment sehr viele rechts_konservative Stimmen, die von einer Debatte oder Diskussion sprechen, wenn es um die Rechte von marginalisierten (also als Minderheit einordneten) Menschen geht.
Dabei muss eigentlich allen Menschen klar sein, dass Identitäten, genauso wie jede andere persönliche und möglicherweise absolut individuelle Eigenschaft und ihre Anerkennung vor Recht und Gesetz, niemals zur Diskussion stehen dürfen.

Man stelle sich mal vor es ginge um Leute mit lockigem Haar.
Niemand sieht eine belockte Person und stellt erstmal zur Debatte, ob diese Locken nun da sind oder nicht, oder, ob das nicht vielleicht einfach nur glatte Haare sind, die um Kurven in der Luft gewachsen sind.
Genauso absurd sind die Debatten, die gerade passieren und genauso sprachlos wie eine jede, wie auch immer stolze oder bewusste Lockenkopfperson, sind wir immer wieder.

Besonders für uns als Person mit DIS war es viel anstrengende und zeitweise auch enorm schmerzhafte Therapiearbeit an den Punkt zu kommen, an dem wir uns der Tatsache stellen konnten zu sagen: Ja, wir sind uns sicher und können das stabil, unabhängig von unserer Identitätsstruktur und damit verbundenen Problemen fühlen: Wir sind keine Frau. Wir sind kein Mann. Wir sind viele, wir sind wir, wir alle.s sind eine queere Person.

An diesen Punkt sind wir übrigens auch nicht gekommen, weil wir Frauenberatungsstellen nutzen konnten oder weil überdurchschnittlich viele unserer behandelnden Therapeut_innen auch Feministinnen waren, sondern trotzdem das so war.
Das sagen wir nicht gerne, aber wir müssen das sagen. Weil es Teil dessen ist, was uns so oft so geschmerzt und auch in Solidaritätskonflikte gebracht hat. Da waren und sind Menschen hilfreich – allerdings nur und manchmal auch ausschließlich, weil sie uns als Frau eingeordnet haben. Ohne jemals danach zu fragen, als was wir uns selbst identifizieren.

Früher ging das noch irgendwie okay. Heute geht es nur mit Überwindung, schlechtem Gewissen und immer wieder mit dem Wunsch nach Angeboten, die sich genau an Menschen wie uns richten. Solche Angebote gibt es aber nicht bzw. nur sehr selten. Wie sollte es sie auch geben, will man noch nicht einmal in der Politik, die für alle Menschen gleichermaßen gut und sichernd wirken soll, anerkennen, dass es uns gibt.

Gestern lasen wir ein Interview mit dem Philosophen Robert Faller, in dem er sagte, dass wer nichts mehr werden könne, mehr Bezug dazu aufbaut, wer er (sic!) sei und das als Waffe im Kampf um Ressourcen nutze.
Eine Unterstellung, die nur aufbauen kann, wer sich in einem ständigen Kampf um Ressourcen wähnt bzw. Anerkennung als Ressource zu instrumentalisieren versteht.
Aber natürlich ist das auch ein Punkt. Haben wir ja gerade selbst geschrieben, dass wir uns anerkannt haben wollen, um Ressourcen fordern zu können, die speziell für uns gemacht werden.
Doch stellt sich für uns diese Forderung nicht als eine Forderung, um der Forderung selbst willen dar.

Wir wollen nicht als nicht binär anerkennt werden, um es zu sein.
Wir sind nicht binär und haben die gleichen Rechte auf Anerkennung und Versorgung, Sicherheit und Selbstbestimmung, wie alle anderen Menschen auch.

Das ist alles, worum es geht.
Wir haben Rechte und die werden uns nicht zugestanden.
Mehr muss man nicht verstehen. Wenn man keinen Bock hat, das eigene Welt- und Menschenbild zu verändern – bitte. Ist ja auch viel und anstrengend und kann irgendwie unheimlich, weil unübersichtlich sein.
Aber glaubt bitte nicht, nur weil man uns nicht anerkennt, wären Menschen wie wir „in Wahrheit“ nicht da und unsere Forderungen deshalb nichts weiter als nerviges, weil anmaßendes, unötiges Gejammer von Leuten, die irgendein special Extra wollen, das ihr dann nicht haben könnt, weil ihr ja „nur normal“ seid.

„Normal“ sein ist ein Privileg.
Eins, das allen zusteht.

 

P.S. Danke Filterblase <3

Fastenzeit – Merk_würdigkeit

Mir kommt es vor, als würden sich zunehmend mehr Menschen der christlichen Tradition (des christlichen Ritus) des Fastens widmen. “Ein Jahr keinen Alkohol”, heißt es dann oder “Dieses Jahr verzichte ich komplett auf Essen vom Lieferservice” oder “Dieses Jahr verzichte ich auf Verpackungsmüll.”.

Merkwürdig kommt mir das aus vielen Gründen vor.
Erstens, weil die gleichen Leute, die jetzt das große Fasten verkünden, die Leute mit Neujahrsvorsätzen noch herablassend belächelt haben.
Zweitens, weil so manch Fastenwillige_r an Karfreitag noch extra derb auf die Partypauke gehauen hat, weil Jesus’ Todestag für sie kein Grund für Zurückhaltung, Trauer oder schlichte Rücksichtnahme auf den Glauben der Christen, für die das anders ist, war.
Drittens, weil Verzicht mit Fasten etwa so viel zu tun hat, wie Baden mit Desinfektion oder Lernen mit Dressur.

Es sollte mich nicht verwundern, dass in Zeiten von rechtsmotivierter Verstärkung von Traditions- und Heimatbewusstsein auch die Wiederentdeckung christlicher Kultur und Religion einhergeht. Und doch, es wundert mich, verorte ich mein Umfeld doch als anarchistisch ~ links_radikal bis liberal mit Selbstverortung als links.

Doch wieder einmal brauche ich nicht von einer so engen Verbindung mit politischer Orientierung ausgehen, die das eigene Handeln definiert. Viel treibender scheint the good old Selbstoptimierung zum Zweck der Abgrenzung zu anderen Menschen zu sein. Vorzugsweise jenen Menschen mit weniger Privilegien und implizit weniger Werten.

Verzicht ist eine Praxis des Luxus.
Etwas muss immer und jederzeit verfügbar sein, sonst ist Verzicht nicht möglich.
Was das für eine privilegierte Grundlage ist, das machen sich die wenigsten Menschen klar, die ihren Unkonsum als Verzicht deklarieren und darauf warten ein besserer Mensch zu werden, weil sie sich auf die Erfahrung einlassen, einer Gewohnheit ausnahmsweise mal nicht zu folgen.

Das Fasten hat in allen Weltreligionen einen festen Platz als rituelle Praktik.
Es geht um Widmung, um die Vertiefung des Glaubens, um einen Akt, der von Verbundenheit und Hingabe zeugt.
Wer religiös fastet, enthält sich bestimmten Speisen oder bestimmten Tätigkeiten, um ihre Existenz bzw. die Möglichkeit jenen Tätigkeiten nachzugehen, als das Geschenk, das Glück, das Wunder, das es ist, hervorzuheben. Es geht darum sich selbst zurückzunehmen und eben dem, was von einem wie auch immer benannten G’tt oder einer Kraft oder Energie kommt oder gegeben ist, Raum und damit auch Wert zu geben bzw. anzuerkennen.

Natürlich kann der Verzicht auf Alkohol auch dazu dienen, selbiges wieder mehr als Ausnahmegetränk zu begreifen, aber führt der Verzicht auch zu mehr Wertschätzung von sauberem Trinkwasser und anderen Getränken? Nicht für alle, wage ich mal zu behaupten. Denn wer verzichtet, muss sich auf das Objekt des Verzichts konzentrieren.
Den Effekt kennen viele Raucher_innen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, jedoch nie Erfolg damit haben, auf ihre Zigaretten zu verzichten: Wenn du weißt, worauf du gerade verzichtest, obwohl du es immer und jederzeit haben könntest, dann denkst du immer an etwas, das du jederzeit und immer haben kannst. In diesen Gedankengängen braucht es nur noch einen kurzen Moment des Wollens (und bei körperlich abhängigen zusätzlich noch den des Brauchens, um unangenehme Entzugserscheinungen zu beenden), um letztlich doch wieder zu rauchen.

Eine ernsthafte und aufrichtige Widmung dessen, was mit dem Fasten einhergehen soll, hat einen grundlegend anderen Ansatz.
Um bei der Rauchmetapher zu bleiben, geht es nicht darum aufzuhören zu rauchen, sondern darum zu entdecken, was neben dem Rauchen bzw. der Zigarette alles da ist. Was man noch alles tun kann, anstatt zu rauchen. Es geht nicht darum, ein Nichtraucher zu werden, der Joggen kann und nicht stinkt wie ein Aschenbecher, sondern darum sich Zigaretten zu ent_halten (also: nicht halten, im Sinne von: keinen Kontakt dazu zu haben), zu joggen und sich darum zu kümmern, dass man nicht stinkt – und irgendwann nach Wochen, Monaten, Jahren festzustellen: “Wow, seit ich nicht mehr rauche, hat sich mein Leben/ meine Haltung zu bestimmten Dingen, total verändert.”

Das religiöse Fasten wird von vielen Gläubigen als eine Möglichkeit begriffen, die eigene Beziehung zum Glauben und der religiösen Praxis zu verstärken oder auch zu erneuern. Für manche Menschen geht es auch um die engere Beziehung zu den Menschen in der Glaubensgemeinschaft. Es werden Wertbindungen erschaffen und gemeinsam etabliert. Das ist etwas, was Religionen bis heute erhält und weiterentwickelt.

Wir hier in unserer säkularisierten Gesellschaft, leben im Kapitalismus. Unsere gemeinsame Wertbindung passiert über Güter und darüber definierten Status.
Wir können rein theoretisch alles immer haben. Verzicht bedeutet im Kapitalismus im Grunde nichts anderes als: “etwas anderes konsumieren” (um den eigenen Status zu halten oder vielleicht sogar zu verbessern).
Das auf Konsumgüter übertragene, aufrichtige, religiöse Fasten würde bedeuten, ein schlechter Kunde zu werden und sich auf sich selbst zu besinnen (also insgesamt anders zu konsumieren).
Es würde darum gehen Dinge anders zu machen und möglicherweise damit anzuecken, ausgeschlossen zu werden und auch mit einer fremden Langeweile konfrontiert zu sein. Denn heute machen wir viele Dinge nicht mehr nur aus Selbstzweck, sondern sehr oft auch aus Gründen der kapitalistischen Verwertungslogik.

Nun will ich nicht allen Menschen, die sich vorgenommen haben zu fasten, unterstellen, sie wären nicht aufrichtig in ihrem Vorhaben. Wohl aber will ich aufzeigen, wie wenig Tiefe in dem, was von vielen als “fasten” bezeichnet wird, steckt und aus was für einer privilegierten Perspektive so manche Fastvorsätze kommen.

Die Folge ist für manche Menschen mit weniger Privilegien nämlich der Ausschluss über etwas, was für sie bereits Realität ist: Verzicht.
Arme (und anders minderprivilegierte) Menschen haben bereits keine Option auf eine Veränderung des Status durch Veränderung des Besitzes, denn ihr Besitz ist bereits das Ergebnis von Verzicht. Natürlich können auch arme Menschen noch verzichten, doch ihre Rolle im Kapitalismus lässt keine gleichermaßen “klassenübergreifenden” neuen Wertbindungen zu.

So viel Verachtung und weniger Wertschätzung es heute für Religion und religiöses Leben gibt, so hat dieses Leben und Werten dann doch etwas für alle Menschen gleich freigehalten: die Möglichkeit der Widmung dessen, was über den Menschen bzw. das Individuum hinausgeht.

Beim religiösen Fasten ist die soziale Rolle, der gesellschaftliche Status praktisch egal.
Enthaltsamkeit und Askese kann in jeder Form und zu jeder Zeit praktiziert werden. Das Bewusstsein um das Wunder der Schöpfung oder schlichter ausgedrückt: die Krassheit des eigenen am Leben seins – hier und jetzt, da wo man gerade ist – kann nur mit einer gewissen Selbst_zurückhaltung wirklich wahr_(an)genommen und er.ge.lebt werden.

Und, dass das immer weniger Menschen bewusst und wichtig ist – das ist doch interessant.

Merk_würdig.

in einem anderen Kampf

… am Ende gehts dann doch immer wieder um die Demut, die man davor hat, überhaupt (noch) am Leben zu sein…

Das ist das Ende eines Gedankenganges, den ich diese Woche hatte.
Die Geschichte begann dort, wo mein Textteil bei der Mädchenmannschaft von jemandem verrissen wurde, weil ich schrieb, dass Arbeit für mich ein Privileg ist, das ich mir erkaufe. Der Preis dafür sind körper_eigene Fähig- und Fertigkeiten und der Gewinn ist das, was ich als Gewinn erlebe.

Da es der erste Mai war, schrieb ich noch dazu, dass nach meiner Ausbildung weder die Selbstständigkeit, noch die Festanstellung etwas sein werden, das für mich wirklich passt, weil es als behinderter /Mensch/ mit Behinderung strukturell bedingt oft nicht möglich ist, so verlustfrei zu arbeiten bzw. zu erwirtschaften, wie für Menschen ohne diesen Status. Und dass meine Forderung ist, dass das verändert wird.

Wenn man sich meinen Text durch eine marxistische Brille ansieht, ist die “Kritik” nachvollziehbar. Auf der sachlichen Ebene.
Persönlich ist es allerdings eher peinlich, sich ausgerechnet den Text einer behinderten Person zu nehmen und daran zu kritisieren, dass diese Person Arbeit als etwas, das in kapitalistischen (und also gewaltvollen) Kontexten passiert, nicht ablehnt oder von Grund auf neu gedacht haben will, sondern als Privileg für sich selbst betrachtet.

Es ist deshalb peinlich, weil es offenbart, wie wenig die Kämpfe und Lebensrealitäten von behinderten /Menschen/ mit Behinderung bewusst sind und wie noch weniger sie als sowohl aktuelles, als auch in der Zukunft bestehendes Ding in der antikapitalistischen Linken mitgedacht werden.

Mein Leben ist dem Kapitalismus scheiß egal. Meine Arbeitsfähigkeit steht ihm nicht zur Verfügung. Er will sie nicht. Er fragt nicht danach.
Der Kapitalismus braucht die Wohlfahrt als Vehikel, um irgendetwas mit mir und meiner Existenz anfangen zu können. Erst durch den moralischen und vielleicht ethischen Überbau von Fürsorge als zwischenmenschliche Pflicht werde ich, mein Körper und auch meine Seele, zu etwas, das der Kapitalismus für sich nutzen kann.
Stichwort: Pflege- und Gesundheitswirtschaft

Darauf aufbauend geht es weiter mit dem ganzen Wirtschaftszweig, der sich durch die neuen Technologien entwickelt.
Stichwort: Cyborgs
Oder dem, der sich entlang der neuen Möglichkeiten zu forschen entwickelt.
Stichwort: Gentherapie und Pränataldiagnostik

Und dann die Ökonomie, die sich im Bereich des sozialen Engagements inzwischen etabliert hat.
Stichwort: Inklusion, die von Menschen ohne bzw. problemlos kompensierbarer Behinderung erklärt, etabliert und gemacht wird.

Behinderte /Menschen/ mit Behinderung und das ableistische Wohlfahrtsdenken, das sich an ihnen entsponnen hat und bis heute gepflegt wird, ist es, was ganze Wirtschaftssektoren braucht, um überhaupt zu funktionieren bzw. legitimiert zu sein.
Und zwar für und von Menschen, die nicht behindert sind und/oder werden.

So hart es klingt: unsere Gesellschaft hält sich “uns behinderte Menschen /Menschen/ mit Behinderung”™ , weil die Moral es verlangt und die (Aus-)Nutzung möglich ist. Nicht, weil das, was von uns kommt als gleichermaßen menschlich und wertig betrachtet wird, wie das, was von Menschen ohne bzw. problemlos kompensierbare Behinderung kommt.

Natürlich wird auch der ablierte Mensch von der Gesellschaft aus diesen Gründen gehalten. Jedoch dient er eher der aktiven Produktion, als der passiven Existenz, die ohne die Produktivität anderer nicht lange da sein würde.

Und da ist der Punkt.
Passive Existenz.
So habe ich mich in meinen 10 Hartz 4 Jahren erlebt. So erlebe ich mich heute noch, wenn ich nichts weiter kann, als mit Schmerzen am ganzen Körper in meiner dunklen Butze zu liegen und zu hoffen, dass meine Assistenzhündin noch so lange warten kann, bis jemand kommt, der sie rauslässt.

Ich rede hier nicht von einem nicht wertschätzenden Blick auf sich selbst. Oder von einem Budenkoller, den man eben bekommt, wenn man, aufgrund von Krankheit und allgemeinem Scheiß, lange keine Stimulation hat.
Ich rede davon, wie man sich selbst auflöst, wenn man nichts produziert, erschafft, erdenkt, spricht – sich und die eigenen Ränder mit dem definiert, was aus dem eigenen Inneren kommt, weil man nicht kann.
Weil man einfach überhaupt _gar_ nichts kann, außer zu sein.
Irgendwie.

Dieses Auflösungsgefühl kenne ich aus den Nahtoderfahrungen, die ich in meinem Leben mehrfach machen musste.
Dieses Moment, in dem man nichts und niemand mehr ist. Wo man denkt: “Jetzt ist es vorbei” – ohne sofort zu begreifen, dass es da um da eigene Leben geht, dessen Ende man da kommen zu sehen glaubt und spürt.

Sterben ist leise.
Passives Existieren ist sterben.

Und das ist etwas, das, wenn man das durch hat, die Perspektive verändert.
Es macht nicht dankbarer.
Es macht demütig.

Und es macht die Momente, in denen man etwas er_schafft wert.voll.
Sei es ein Tag mit Schmerzen, den man durchsteht oder ein 8 Stunden-Arbeitstag für den es Geld gibt.

Für mich ist Arbeit nicht zwangsläufig “Lohnarbeit”.
Für mich ist es unüblich irgendetwas mehr als den Selbsterhalt für die harte Arbeit, die das Leben auf der ganz alltäglichen Basis für mich bedeutet, zu erhalten.
Am Leben zu sein ist für mich kein Lohn. Es ist eine scheiß Glücksache.
Etwas worum ich nicht gebeten hab und doch behalten will, wenn ich es zu verlieren drohe.

Für mich ist Brot zu backen genauso eine Arbeit, wie mich selbst sauber zu halten.
Es ist für mich Arbeit, anderen Menschen zu kommunizieren, was ich denke oder wahrnehme – ganz genauso wie es Arbeit für mich ist, einen ganzen Tag nur mit kreativem Tun zu verbringen.

Alles das muss man erstmal können. Alles das muss man lernen und mehrfach üben, bis man es unter vielen äußeren Umständen und vielen inneren Zuständen (gleich gut) kann.
Meine Ausgangslage zu lernen und zu üben, ist eine andere als die von Menschen, die Behinderungen problemlos kompensieren können.
Alles was ich tue, tue ich neben 24/7 Kompensationsarbeit, die nicht objektivierbar und damit auch nicht kapitalisierbar ist.
Aber sie ist da. Und zwar immer.
Auch dann, wenn ich in der Rolle des passiven Betreuungs-/Versorgungsgegenstandes (also passiver Existenz) bin.

Nicht alle Aspekte des behinderten /Lebens/ mit Behinderung ergeben sich aus dem Kontrast zu ablierten Menschen bzw. dem was als “der Mensch ohne Behinderung” gedacht wird.
Behinderungen sind keine Probleme, die man mit nur genug Schläue umgehen oder wegmachen kann.
Behinderungen sind die Folge von falschen Erwartungen an und Ideen von Fähig- und Fertigkeiten und Ignoranz bestehender Vielfalt von Menschen.

So zum Beispiel auch die Idee, dass jemand in meiner Situation und meiner “Bauart” die gleichen Fähig- und Fertigkeiten hätte, von einer antikapitalistischen Revolution zu profitieren, geschweige denn die gesamtgesellschaftliche Werteverschiebung einer solchen überhaupt zu überleben.

Auch im Kommunismus, im Sozialismus oder wie auch immer es heißen würde, würde ich jemanden brauchen, der mir entsprechend meiner Fähig- und Fertigkeiten hilft, einen Beruf zu erlernen, meinen Alltag zu schaffen und neue Fähig- und Fertigkeiten zu erlernen. Auch dort wird es das geben, was mich von Menschen, die auftauchende Behinderungen problemlos kompensieren können, unterscheidet.

Doch wie damit umzugehen sei, damit hat sich die feine linke Herr_schaft meines Wissens noch nicht besonders viel beschäftigt.
Weshalb es mich nicht wundern würde, wäre jemand wie ich auch in einem anderen Wirtschafts- und Wertesystem nicht viel mehr als passive Existenz.
Oder weniger krass formuliert: “gesellschaftlicher Rand”.

In meinem Text bei der Mädchenmannschaft habe ich geschrieben, dass Arbeit für mich ein Privileg ist.
Nach über 150 Bewerbungen auf eine Ausbildungsstelle, x Vorgesprächen und Kämpfen darum, überhaupt noch irgendwo einen Platz zum Lernen zu bekommen, der nicht in einer Werkstatt für behinderte /Menschen/ mit Behinderung oder mein eigenes Wohnzimmer ist, ist das keineswegs so eine absurde Aussage, wie sie in der “Kritik” dargestellt wurde.

Ich weiß, was es mich jeden Tag kostet dahin zu gehen – und ich weiß, dass ich letztlich mit weitaus weniger aus der Nummer rausgehe, als ich reinstecke. Aber ich weiß genauso gut, dass man meine Kämpfe auch erstmal können muss.
Dass man mein Glück erstmal haben muss.

Ich habe an keiner Stelle von Lohnarbeit (in kapitalistischen Kontext) geschrieben.
Weil ich nicht entlohnt werde.
Weder jetzt noch in der Zukunft.
Egal, ob diese Zukunft in politisch linken oder rechten Zeiten passiert.

Mein Arbeitsbegriff gehört nicht zum Kampf um links oder rechts.
Mein Arbeitsbegriff gehört zu meinem Leben.

Mein Leben passiert in einem anderen Kampf.

mit der Nussschale im feministischen Mainstream herumschippern

Wie die Dinge manchmal zusammenkommen…

Haben mich heute morgen bereits 4 “kritische” Kommentare um einen Ehrenplatz im Papierkorb gebeten, schrieb Antje über schmerzhafte Diskurse unter FeministInnen* und über die Kultur um Kritik.
Ich habe den Artikel so verstanden, dass sie sich mehr Innehalten und Reflektieren, statt Abwehren und Zurückschlagen wünscht, worin ich in Bezug auf viele Themenbereiche sehr zustimmen mag.

Andererseits ist “Innehalten” und “Reflektieren” (und “Umsetzen”) ein Privileg, das mir als solches in dem Artikel, genauso unerwähnt erscheint wie der Umstand, das Deutung mit Definitionsmacht einhergeht.
Nehmen wir die 4 langen, sehr wissenschaftlich eingefärbten und dennoch ganz klar weder opfersolidarischen noch meine Betroffenenexpertise anerkennenden Kommentare, die mich heute morgen erreichten und vor allem zum Ziel hatten, meine Sprachkritik als unverständlich und deshalb nicht gerechtfertigt zu erklären, weil sie wissenschaftlich nicht haltbar sei und sinngemäß auch nichts mit der Realität zu tun hätte.

Mein “Innehalten” besteht bei solchen Kommentaren schlicht mal darin, dass ich weder antworte noch freischalte und damit einen Diskurs im Keim ersticke, der kein Diskurs werden würde, sondern eine 1 Mann Show auf meinem Rücken und meiner Argumentation gegen eine opferfeindliche und bagatellisierende Sprachführung in Bezug auf Gewalt.
Für diesen Menschen, dort am anderen Ende, kann sein Kommentarschwall wunderwas sachlich und konstruktive Kritik sein – für mich, als Person, die weder Wissenschaftlerin, noch Person in Machtposition ist, hingegen schlichte Missachtung der Intension, die völlig neben Machtanspruch steht, weil sie eben von mir kommt.

Jetzt hatte Antje natürlich von Diskursen unter Feministinnen geschrieben und damit vielleicht Diskurse markiert, die sich in Gruppen abspielen, die sich neben oder auch ganz bewusst fern des Mainstreams™ verorten und damit fast schon als Subkultur wahrnehmen. Sie schreibt darüber, dass man* sich in Kreisen, die über Call outs funktionieren möchten/müssen/sollen, kaum noch traut etwas zu äußern, weil man die Konfrontationen, die folgen, nicht möchte.
Ein Phänomen, dass ich beim Queerfemcamp an mir auch bemerkt hatte, wenngleich nicht, weil ich Angst vor einem Call out hatte, sondern davor, jemanden zu verletzen und keine Wiedergutmachung, die genug ist, leisten zu können.

Diese Angst vor der Konfrontation habe ich viel häufiger bei Twitter und zwar, weil ich mich viel öfter öffentlich beschämt empfinde, als auf *istische Äußerungen oder Verhaltensweisen hingewiesen, wenn ein Call out an mich gerichtet wird. Mich zu beschämen und an meiner Haltung zu dekonstruieren ist leicht, weil ich auf keiner Achse außer dem Phänotyp der Weißen privilegiert bin. Alles was ich sage, ist mit einem einzigen wissenschaftlichen, im Berufsleben stehenden, älteren, mehr Peergroupsicherheit genießenden, besser beworteten Tritt in meine Kniekehlen umzuschmeißen.  Das “guck mal was für ein Haufen Scheiße das hier ist”- Spiel wird schon seit immer an mir gespielt- aber nicht immer sichtbar vor anderen (vielen) Menschen (die mir wichtig sind und deren Solidarität ich natürlich auch nicht unwürdig sein oder werden möchte).

Ist das für die einen dann ein “schmerzhafter Diskurs”, ist es für mich wie eine Zerstörungserfahrung mehr, die dazu beiträgt, dass ich meine Perspektive nicht mehr für diesen Diskurs zur Verfügung stelle und ihn damit – vielleicht sogar ohne, dass die DiskutantInnen das spüren – um einen Faktor verarme.
Mein “aus dem Diskurs heraustreten”, kann dann wiederum für andere als “Innehalten” und “Reflektieren” gelesen werden – für mich ist es “Verstummen”.

Ich will überhaupt kein Muskelspiel, kein Abwehrverhalten oder “man wird jawohl noch sagen dürfen”, als “okay” markieren. Es ist einfach oft nicht okay, wie es manchmal oft immer wieder performed wird.
Allerdings denke ich auch, dass in manchen Diskursen genau das als offenes und allgemein anerkanntes Element fehlt, eben, weil sie innerhalb themenzentrierter Gruppen passieren.
Ich finde nicht, dass man alles und von jeder diskutierenden Person in sich aufnehmen und vereinen muss, um konstruktive Diskurse zu führen oder seinen Horizont zu erweitern. Ich denke, dass Diskurse genau davon leben, sich immer wieder abzugrenzen und zu definieren. Die Frage ist allerdings- und deshalb finde ich den Artikel gut – wie viele Schmerzen und Verstummungen es dafür braucht und bei wem.

Diskurs kann nicht Mainstream™ sein oder werden und kann sich immer nur entlang von Rändern bilden. Von Konflikt und Konfrontation. Und trotzdem sehe ich persönlich schon auch so etwas wie “feministische Mainstreamings” wo von Sichtbarkeit, Peergroupsicherheit, Lebenserfahrung, Gesundheit … jaja die Diskriminierungsachsen, profitiert wird und genau über diesen Anspruch von “nu reg dich mal ab”, “pluster dich nicht auf”, also so allgemeinem “mach ma friedlich hier” wiederum Machtdynamiken reproduziert werden, weil dieser Profit von Veränderungen bedroht werden könnte.

Ich denke, wenn “der feministische Diskurs” ™ an eine Stelle kommen könnte, in der Kritik und auch Kritikabwehr (als Kritik an der Kritik) nicht mehr markiert und diskutiert werden müssen, sondern als themenimmanenter Fakt anerkannt werden, könnte so einiger Schmerz und eben auch Verstummen nachlassen.
Es sind nämlich genau die Personen, die gar nichts sagen, die am Ende als “der Mainstream” ™ wahrgenommen werden und letztlich in Gruppen, die sich thematisch auseinandersetzen, dann wieder benutzt werden, um sich selbst als Subkultur wahrzunehmen, anstatt als Hinweis auf Probleme in selbiger.

Vielleicht wollte Antje das auch ausdrücken? Ich bin mir nicht sicher.
Ich nehme sie eben als privilegierte Differenzfeministin in eben jenem feministischen Mainstream wahr, in dem ich selbst herumschippere… ¯\_(ツ)_/¯

Stigma, Enigma und was Outings eben nicht schaffen

In meinem Traum kamen die Worte ganz flüssig und glatt. Sie strömten aus mir heraus und schmiegten sich perfekt an das Denken meines Gegenüber an. Das war ein Reden übers Nichtheterosein, NichtFischnichtFleischnichtSojabratling-schlicht nicht konsumier-vereinbar_t_barsein. Das war ein Reden, das genau gemacht hatte, wofür Sprache, Worte, Kommunikation da ist.
Das war ein Traum, dessen Schmerz mit dem Aufwachen kam und auf seine Art weniger als 100 nicht heilende Wunden beim Bluten begleitet.

Anfang der Woche gab es eine kurze Spitze von Steinmädchen um den Tumblr “Ich bin in Therapie”. In meinem privaten Umfeld habe ich mich als queer ~~~ lesbische Person geoutet, die aus Angst und Unwillen zur Rechtfertigung des eigenen Seins vor ebenfalls jüdischen Menschen nicht in eine nichtliberale Gemeinde konvertieren will.
Ich habe mich in der letzten Woche mehrfach als schwerbehinderte Person und mich vor mir selbst als überfordert, müde, kaputt, schwach, kämpfend und ungerächt geoutet.

Man sagt das immer so: “geoutet”, dabei komme ich eigentlich aus gar nichts raus, sondern nehme die Hände aus den Taschen und trage kurzärmlig; spreche offen und ehrlich, statt meine Füße zum Vermeidungstänzchen zu schwingen.
Ich verwende keine soziale Enigma mehr, um mit diesem verschlüsselt, verdrehten Ich bei irgendjemandem als normal* anzukommen.

Mein Eindruck ist, dass “die Alten”, die heute die 50 bis 60 hinter sich haben, die Flucht nach vorn gut überstanden haben. “Ich bin schwul/lesbisch/anders als andere und bin trotzdem toll/ das ist gut so/ hat jede/r* zu akzeptieren!”. “Jede/r ist wie er/sie ist und das muss man tolerieren.”, “Alle können machen, was sie wollen…”. Einige (viele? die, die ansonsten eh schon eher privilegiert sind?) haben trotz ganz viel “trotzdem” ihre Positionen in der Gesellschaft ™ erkämpft und es geschafft, sie sich nicht abtrotzen zu lassen.

Ich habe das Gefühl heute nicht vorne flüchten zu können, weil da dauernd schon irgendjemand steht und mir erzählt, was ich da gerade tue und wieso und was das _eigentlich_ bedeutet und für Folgen für die ganze Welt haben kann.

Ich sage zum Beispiel: “Hey hm, ich glaube nicht, dass ich es verkraften kann, mich mit anderen jüdischen Menschen über mein lesbisch queer irgendwas sein, als “Entscheidung gegen G’tt” zu unterhalten.” und die Reaktion ist: “Hey ja hm, kenn ich, aber Homosexualität…”
What the fuck?! Ich rede über mein Sein- meine Identität, mein Ich und nicht nur über meine Sexualität. Wieso bestimmst du mein Thema?
Jedes Mal- auch gerade, wenn ich meine Schwerbehinderung erwähne, wird von mir ein “Aber ich komme gut zurecht” erwartet. Ein “trotzdem ist mein Leben prima”.
Nein, das ist es nicht. Die ganze letzte Woche war für mich so anstrengend, so zehrend, so mürbend und schmerzhaft, von Peinlichkeiten und dem Gefühl einfach nie zu genügen bestimmt – wer zum [piep] würde nach so einer Woche auf eine Erwähnung von Hilfebedarf ein “Aber eigentlich ist alles toll” nachschieben?!

Ich habe bei diesem bescheuerten Anti- Stigma- Tumblr sofort daran gedacht, dass sich so einen Quatsch nur Menschen ausdenken können, die randomly mitstigmatisiert werden. Zum Beispiel PsychologInnen*, PsychotherapeutInnen* und MedizinerInnen*, die, weil sie den ganzen Tag mit “Kranken” und Irren zu tun haben, selbst als “irgendwie krank” und irre gelten.
Die brauchen die Entstigmatisierung der “Kranken” und Irren, damit sie es selbst schön gemütlich haben in ihrem Nest aus Deutungshoheiten und RetterInnen*keksen ans Bett.

Wer heute noch glaubt, dass Entstigmatisierung damit beginnt, dass sich Stigmatisierte, als stigmatisiert zu erkennen geben- Wer heute noch glaubt, dass das “sich selbst outen” und offen mit seinem Sein umgehen, zur Folge hat, hat nichts mehr verborgen bleibt, der irrt und hat seine eigene Enigma laufen.
Jemand, den man ausgrenzt, hat man ausgegrenzt – ihn also in eine andere Sprache übersetzt, ihn rassiert; ihn klassiert, darüber degradiert und diskriminiert. Zu glauben, jemand, der einem in einer als fremd markierten Sprache sagt: “Du stigmatisierst mich- lass das mal!” würde schon richtig verstanden werden, grenzt an ein Maß von Ignoranz, das sich nur erlauben kann, wer davon keinen Nachteil zu erwarten hat.

Ich hätte mit meinem Sein weniger- vielleicht auch gar keine Probleme, wenn es nicht immer wieder in Abgrenzung zu anderen Menschen bzw. einer (angeblichen) Mehrheit konstruiert würde.
Anti- Diskriminierung, Anti-Stigmatisierung funktioniert nicht über das Gleichheitsprinzip, nicht über Toleranz und Mehrheitlichkeitsymbolik, sondern darüber, schlicht nicht zu diskriminieren bzw. zu stigmatisieren.
Die Ausgegrenzten™ immer wieder dazu zu bringen bzw.. dazu bringen zu können, sich vor Menschen, die mittendrin sind, zu outen, sich zu öffnen ist ein Privilegmarker. Die Äußerung anderer Menschen darüber, schwul/lesbisch/queer/ “irgendwie anders als, das was die Mehrheit ist/tut” zu sein, zu einem Outing, einer Offenbarung – einem Ereignis, das für andere Menschen als jene, die es äußern passiert- zu machen, ist bereits ein Akt der Ausgrenzung.

Ich habe diese Gedanken auch oft, wenn ich mich als Opfer von organisierter Gewalt sichtbar mache.
Ständig ist da dieses Gefühl, dass es als Outing oder Geheimnis aufgefasst wird, weil mein Gegenüber noch nie oder nicht oft, oder tatsächlich nur im Geheimen mit anderen Opfern organisierter Gewalt zu tun hatte.
Als wären Mobbing, Stalking, jeder verdammte Shitstorm nicht auch eine Form (mob)organsierter Gewalt. Als sei Opferschaft etwas, das man nicht als Selbstbezeichnung haben kann und/oder nicht auch in gewisser Weise zum Selbstbild zugehörig empfinden kann.
Jeder Mensch ist schon einmal zu einem Opfer geworden. Jeder Mensch auf diesem Planeten unterliegt jeden Tag einer Macht/Kraft/ Gewalt, die über den eigenen Möglichkeiten liegt.
Man muss Opferschaft nicht zu einem extremen Paradiesvogel menschlicher Selbstpositionen machen. Sie ist – losgelöst von juristisch/staatsgewaltiger Machtsysteme-  so normal* wie TäterInnen*schaft.

Ich bin es leid mich gleich machen zu sollen.
Ich bin nicht gleich mit anderen Menschen und habe noch nie zwei genau gleiche Menschen getroffen.

Für mich bedeutet das in Bezug auf Antidiskriminierungsarbeit, wie auf Antistigmatisierungsarbeit, sich genau zu überlegen, was man eigentlich ansprechen will. Was sagt uns denn “Ich bin in Therapie”?
Da geht’s nicht darum seelisches Leiden als Norm zu markieren und Psychotherapie als Option damit umzugehen, was meiner Ansicht nach viel sinniger wäre- sondern darum, das Stigma ganz gezielt nicht im Kopf der Stigmatisierenden zu suchen. Was wiederum wem nutzt?

Eben.

Wer das Blut aus den Stigmata der Stigmatisierten schon nicht sehen kann, sehen will  und seinen Anteil an der Verletzung der Stigmatisierten immer und immer wieder verleugnen kann und darf, der ist nicht der richtige Mensch um über ein Ende dessen zu sprechen.
Ganz einfach.

das gefräßige Monstrum

P1010238Paula Puzzlestücke und Riotmango haben zu Pseudo- Konsumkritik gerantschrieben und ich dachte einmal mehr darüber nach, was das Problem an Konsumkritik ist.

Selbst kritisiere ich weniger Konsum, als die Notwendigkeit bzw. die Unmöglichkeit von Nichtkonsum. Und vor allem- hey warum wird der Konsum kritisiert und nicht, was Konsum mit sich bringt und What about the capitalism?!
Für mich besteht das Problem „Konsum“ weniger in den Produkten, als in dem Kapital, das damit bewegt wird.
Natürlich bedeutet “mehr” von etwas immer “mehr”: Mehr Auswahl, mehr Müll, mehr Umweltbelastung, mehr Vielfalt, mehr Freude, mehr Möglichkeit, mehr Erbe an die nächste Generation – aber eben auch mehr Druck, diesen Status zu halten und auszubauen. Wo immer mehr ist, da wird auch immer mehr erwartet und je mehr Erwartung herrscht, desto größter ist die “Gefahr” der Enttäuschung.

Das Problem: das kapitalistische “Mehr” interessiert nur deshalb, was “weniger” ist, damit es sich anpassen und dann weiter ver-mehren kann.
Auch deshalb ist Verzicht in Gesellschaften, die auf Kapital beruhen, dieses sowohl in ihren Gütern als auch in sich selbst und ihren Fertig- und Fähigkeiten sehen und einzig damit wirtschaften, keine “gelebte Konsumkritik” sondern einzig eine Herausforderung, die sich maximal zu einer Stasis entwickeln kann- nicht aber zu einer Veränderung führen.

Ich bin nicht böse, wenn ich schreibe: Einzig, weil mehr gehen soll, wird sich aktuell auch auf Menschen die behindert werden und/oder chronisch krank sind und auch auf Menschen, die mit 67 Jahren noch kräftig und motiviert genug sind, konzentriert. Einzig das kapitalistische Interesse steht hinter Inklusionsdebatten und scheitert immer wieder grandios an genau der Stelle, an der klar wird: “Oh, wären da nicht diese und jene kapitalistisch begründeten Barrieren allein, dann lebten wir schon längst (wieder) inklusiv(er)”.

Kapitalismus ist nicht reflektiv- er ist einzig aussendend und sich seine Bahnen suchend (und Dank kapitalistisch sozialisierter Gesellschaften: auch immer wieder findend).

Ich habe einmal darüber nachgedacht, ob ich in der Schule jemals überhaupt andere Wirtschaftssysteme als die des Kapitalismus gelernt habe. Natürlich habe ich etwas über Tauschkultur und Selbstversorgung gelernt, habe aber auch schnell die Grenzen dieser Systeme begriffen. Sie funktionieren nur in kleinem Kreis, weil sie Entwicklungen entschleunigen und sehr viel mehr äußeren (unkontrollierbaren) Bedingungen unterworfen sind.

Einmal wollte ich gerne in die Gemeinschaft der Selbstversorgenden hineingehen und merkte aber schnell: Meine Krankheit* würde mich in Gemeinschaften zu einem Mitglied werden lassen, das öfter mitgetragen werden muss. Ein Umstand, der für mich mit Abhängigkeiten und damit Unfreiheit, gleich der, die ich in kapitalistischen Systemen lebe, einhergeht.
Allein mich selbst versorgend, würde ich spätestens im Winter oder Frühling abkacken und in der Folge nicht einmal mehr die Aussaat für die Sommerernten schaffen.
Das sagt mir: Menschen brauchen Solidargemeinschaften (was für mich persönlich den Begriff von „Familie“ übrigens auch noch einmal umgemodelt hat).

Solidarität ist allerdings ein Privileg, das nicht auf Zwang oder Notwendigkeit hin entsteht, sondern, weil man es sich leisten kann.
Leisten kann man sich in unseren bestehenden Gesellschaftssystemen immer erst dann etwas, wenn man ein Etwas oder ein Jemand ist (bzw. verkaufen kann oder könnte). Ergo inkludiert, in Lohnarbeit oder wirtschaftlicher Selbstständigkeit oder mindestens in Besitz von Fähig- und Fertigkeiten, die für egal welches System von Nutzen ist.
Das heißt, dass auch Solidargemeinschaften, die sich weit weit weit am Rand der Gesellschaft bewegen, immer doch an irgendeiner Stelle auf diesem Privileg basieren, dass sich mindestens eine Person in ihr immer noch anders entscheiden kann.

Es ist ein dem Kapitalismus verschuldetes Privileg auch auf den Kapitalismus verzichten zu können.
Die VerliererInnen* im Kapitalismus sind in aller Regel die GewinnerInnen* der Solidargemeinschaften, weil sie dort nur gewinnen können. Wer nichts hat, kann nichts verlieren. Und wo alles etwas ist, da gelten andere Maßstäbe für die Begriffe “viel” oder “wenig”. Da ist das eigene Dasein, die eigene Präsenz etwas, das irrelevant für den Rest der Welt sein mag, doch gut, nahrhaft, wertig für die Gruppe, ihre Normen, Werte, ihre Kultur und damit ein Grundstoff, für den der Kapitalismus bis heute kein Substitut hat erfinden können.

Ich denke, dass es sich noch immer zu leicht gemacht wird und nur allzu gern letztlich doch der Kapitalismus das genutzte System ist, wenn es darum geht Dinge zu verändern, oder “kritisch” zu konsumieren.
Der Vegan- Bio- Ökoboom im Supermarkt ist ein Paradebeispiel. Dem folgen Fair Trade Kaffee und Schokolade und Biobaumwollshirts im Discounter, sowie Ökotrockenfutter für Heimtiere.
Man will weder giftverseuchte Kleidung, noch Hungerlöhne für die ProduzentInnen* bzw. LieferantInnen*, also kauft man etwas anderes oder verzichtet auf das Eine, um dann zum Anderen zu greifen. Die Frage, ob man als KonsumentIn*, der/die/* man nun einmal ist, weil man nun mal nicht mehr so lebt, als das man sich alles selbst machen und in Stand halten kann, überhaupt in der Position ist, die Dinge durch sein (Kauf)Verhalten zu verändern, kommt noch immer viel zu selten auf.

Wir leben derzeit in einem so ekelhaften Tauschsystem, das vielleicht auch gar nicht bewusst sein darf.
Jede/r* von uns ist KonsumentIn* und ProduzentIn* in einem und so bald die Fähigkeiten zur Produktion wegfallen, wird man selbst zum Werkstück, das verbessert und/ oder moduliert werden muss. “Lohnt” alles das nicht mehr, wird man zum Objekt der Pflegearbeit. Konsumieren tun wir aber alle und zwar die ganze Zeit und inzwischen über den ganzen Planeten verteilt. Wir tauschen permanent Fähigkeit und Existenz gegen Produkt und Status.
Moral und menschlicher Wert wird synonym mit Prüderie (Abwesenheit von Lust und Freude) und Zwang gedacht, was als verpönt gilt, obwohl auch das Leben ohne lebensbestimmende Moral seine gesellschaftlichen Zwänge produziert, die einzig über Konsum lösbar sind.

Die Lust unserer Kultur liegt im Wissen um Sicherheiten und direkt hinterdrein das allgemeine Wohlgefühl, das “satt”, “warm”, “allgemein angenehm” eben mit sich bringt.
Konsumkritik allein ist dumm und wie Paula schon schrieb: verkürzt.
Meiner Meinung nach, befindet sich der weiße Konsum an einem Punkt, an dem er sich alle, die er zuvor noch nicht vereinnahmt hat, jetzt fressen will, weil er denkt, er müsse dies tun.
Das beginnt bei dieser durchsichtigen Verwertungsinklusion und endet vermutlich noch lange nicht bei dem Unterricht in Kapitalismus für Menschen in so genannten “armen Ländern” in “unteren Schichten”, denn nichts anderes tut die sogenannte “wirtschaftliche Entwicklungshilfe” verschiedener weißer Hilfsorganisationen in Ländern wie zum Beispiel Indien, Indonesien, verschiedenen afrikanischen Staaten.

Kapitalismus kann und darf nicht denken: “So, jetzt haben wir genug.” Kapitalismus bedeutet “Hunger” und hat er früher einmal vielleicht tatsächlich Bäuche mit Nahrung gefüllt und füllt er heute vorrangig machtgierig aufgerissene Egos von eigentlich längst Satten.

Meiner Meinung nach, ist es wichtig sich klar zu machen, dass dieses gefräßige Monstrum genug gefressen hat und jemanden wie mich nicht haben muss, nur weil es jemanden, wie mich will.
Ich bin mit meinen Unfähigkeiten jetzt schon so lange so wertlos, so unverwertbar und einzig als Objekt nutzbar gewesen – es wird sich nichts verändern, wenn ich mich hergebe für etwas, von dem ich doch nichts habe. Und während ich das weiß und mich hoffentlich noch lange in klitzekleinen Solidargemeinschaften (und nicht zuletzt dem ,was wir hier als “sozial_staatliche Hilfe” bezeichnen) bewegen und halten kann/darf, bleibt vorerst nur zu hoffen, dass sich dieser Widerstand auch bei anderen Menschen in anderen Ländern, in anderen Kontexten, in anderen Gesellschaften regt und letztlich gewinnt.

Ich hoffe sehr, dass wir als Gesellschaft irgendwie und irgendwann an den Punkt kommen, an dem Dinge nicht erst dann wertvoll sind, wenn man sie reproduzieren und konsumieren kann, sondern, wenn sie schlicht da und nutzbar sind. An den Punkt an dem Menschenleben in ihrem Wert nicht an Status, Lebensumstand und Gestaltung gemessen werden, sondern vorrangig daran, was jeder einzelne Mensch in die Gemeinschaft einbringt, einfach weil es ihn gibt und, weil der Mensch tut, was er gut kann und auch können will.

Präsenz

glitzerNach jedem Artikel über häusliche Gewalt, über PartnerInnen*schaftsgewalt, gibt es mindestens eine Stimme, die davon redet, dass sich eine Partei als Opfer präsentiert.
Nein, obwohl- eigentlich keine Partei.
Eigentlich heißt es, dass sich Frauen* als Opfer von Männern* präsentieren. Weil sie sagen: Es gibt Gewalt an Frauen.
Frauen sagen: “Da ist Gewalt und Menschen (m)eines sozialen Geschlechterlabels erfahren sie.”
Der Kommentar sagt: “Frauen präsentieren sich als Opfer.”

Nach sanczny’s Artikel über männliche Anspruchshaltung im Internet habe ich darüber nachgedacht, welche Parallelen ich finden kann.
Ich fand für mich eine darin, dass immer wieder da, wo es um weibliche Präsenz in einem Kontext geht, von “Präsentation” gesprochen wird. Frauen (bzw. korrekter formuliert: “Diskriminierte”) sind nicht einfach nur _da_ , wenn Männer, oder um es differenzierter zu sagen: Menschen mit Definitions-Macht und damit Deutungshoheit (also “Diskriminierende”), sie wahrnehmen. Nein, “sie präsentieren sich”. Sie “stellen sich dar”.

Ich habe gerade einen Artikel geschrieben, für den ich mich intensiver mit der Geschichte der Medizin als Wissenschaft und damit einhergehend auch der Geschichte der Gynäkologie befassen musste.
Mir war nie so bewusst, wie inmitten all dieser Fallschilderungen, die sich auf Frauen bezogen, die an nichts weiter “litten” als an der Menstruation – die also einfach nur präsent waren und in entsprechend eher schlichten Worten von etwas berichteten, das mehr oder weniger regelmäßig präsent an ihnen selbst ist – wie krass sich die Deutung in Bezug auf Individuen verändert, wenn eine gewisse soziale Macht besteht, oder von einer Person als in sich manifestiert betrachtet wird.
So beginnen die Fallberichte immer wieder mit dem Satz: “Die Patientin präsentierte sich mit einem Leiden an…”, auch wenn diese Patientin gar nicht über ein Leiden sprach, sondern über ihre Wahrnehmung ihrer Menstruation, ihre Geburtswehen oder den Bewegungen eines Fötus in ihrem Körper und sich die Konsultation nicht in einer Zirkusvorstellung abspielte.

Mir erscheint nun klar, wie aus “Präsenz” eine “Präsentation” wird und warum.
Gerade in der Medizin ist klar, dass ein Humanmediziner kein Humanmediziner ist oder als einer gilt, wenn er keine Hominiden hat, an denen er herummedizinern kann. Sein Label ist hinfällig, wenn er niemanden hat, der es durch seine Merkmale bestätigt. Und mit dem hinfälligen Label auch die sozialen Kekse, die seine Sicherung in der Gesellschaft bedeuten.

Aus der Präsenz eines Individuums muss genau dann eine Präsentation werden, wenn man sein Handeln oder auch eine Deutungen/ Interpretationen und darauf basierenden Handlungen ihm gegenüber rechtfertigen muss oder begründen will.
In der Medizingeschichte hat manN von je her seine, zum Teil unfassbar grausamen Handlungen an Menschen, die weder in der sozialen/ gesellschaftlichen Position oder/ und in der allgemeinen körperlichen/kognitiven/psychischen Konstitution befanden (befinden) um sich zu wehren oder zu schützen, damit gerechtfertigt, dass ihnen gegenüber ein Leiden präsentiert wurde (wird) und damit implizit der Anspruch, auf dieses zu reagieren.

Eine gängige Rechtfertigung von Ausübenden von PartnerInnen*schaftsgewalt, körperliche Gewalt ausübenden PolizistInnen*, Gewalt ausübenden LehrerInnen* und ErzieherInnen*, PsychiaterInnen* und PsychologInnen* (Personen in gesellschaftlich/sozial oder auch nur von und für sich allein legitimierter Machtposition)  ist bis heute die Interpretation eines Verhaltens als präsentiert (dargeboten/ angetragen/ aufgedrängt/ aktiv oktroyiert) und damit aus der so rezeptionierten Nötigung zur Reaktion. “Ich musste meine Macht (meine Gewalt) nutzen, weil…”

Die Interpretation einer Anwesenheit eines Menschen macht also den Unterschied zwischen “existent, weil _da_” (Präsenz) und “existent, weil von BetrachterIn* wahrgenommen und rezeptioniert” (Präsentation)

Rezeption wahrgenommener Reize ist auch tragender Balken des Konsums und damit erklären sich erneut übergriffige und/oder gewaltvolle Kommentare unter Zeitungsartikeln oder auch Blogeinträgen.
In den Köpfen von Menschen, die es gewohnt sind, die Macht über Kontexte inne zu haben, kann und darf kein einziger Artikel, kein Film, kein Foto, kein Tweet, kein Facebookstatus einfach nur _da_ sein, weil Präsenz ohne Anspruch ist. Gegenkultur durch bloße Präsenz darf es für sie nicht geben, weil (re)präsentatives Gebaren allein etwas ist, was in der unseren etablierten Gewaltkultur als legitim angreifbar gilt.

Wir leben in einer Zeit, in einer Kultur, in der Gewalt anerkannt und je nach Machtverhältnis als “nötig” (weil abgenötigt durch (re)präsentative Gesten) oder “zu verurteilen”  (mittels Staats(gewalt)macht bzw. ihre Werkzeuge) ist. Aber _da_ ist sie immer. Gewalt ist das einzige Mittel der zwischenmenschlichen Interaktion, das ungehindert immer und überall präsent sein darf und selbst dann eine Legitimation erfährt, wenn sie sich (re)präsentiert.

Nun ist es mit Webpräsenz nichts anderes als mit physischer Präsenz von Individuen.
Nur, dass sich mit der Internetkommunikation Chancen für Diskriminierte ergeben, ihrer Präsenz mehr und dauerhafte Sichtbarkeit zu verschaffen und die Chancen steigen in dieser wahrgenommen zu werden.

Das Internet als Mittel der Gegenkultur ist beliebt, weil die Eigenmacht der Diskriminierten nicht direkt gekoppelt an die Legitimierung der Diskriminierenden ist. Natürlich ist sie das einige Stufen weiter sehr wohl, weil die Nutzung des Internet bis heute mit einer Reihe von Privilegien einher geht, die nur durch Legitimation der Diskriminierenden erfüllt werden können. Aber die kapitalistischen Interessen, die mittels Internet und bereits allein der Branche der Kommunikationstechnik verfolgt und befriedigt werden können, sorgen dafür, dass auch (gesellschaftlich/ staatlich gewollt) arme und unterversorgte Menschen für wenig Geld Zugang zum Internet bekommen und damit zu rechnen ist, das diese Art der Kommunikation in wenigen Jahren den gleichen Stellenwert wie Nahrung und andere Ressourcen hat und entsprechend gewährt wird.

So kann ich mir zum Beispiel auch erklären, wie es kommt, dass viele Menschen das Internet nicht als Kommunikationsmittel, sondern als Informationspool, als Supermarkregal, als Manege dessen, was sie haben dürfen auffassen: Gewohnheit und allgemeine Legitimation gewaltvoller Interaktion durch privilegierte Position.
Zum Anspruch wird diese Haltung des Konsum und der Vereinnahmung (Aneignung) genau dann, wenn diese Menschen über Menschen, die ihre Kultur, ihre Gedanken usw. eine Präsenz über das Internet verschaffen stolpern, die darauf beharren, dass es sich in ihrer Präsenz lediglich um eine Präsenz handelt- nicht um eine Präsentation für andere.

Die Gewohnheit ist:
„Ich nehme wahr, also wird mir etwas präsentiert”
„Mir wird präsentiert, also darf (muss) ich reagieren”
„Ich darf reagieren, weil ich über Mittel und Wege [Macht] verfüge, um reagieren zu können.”
„Es ist ein Angriff auf meine Persönlichkeit, wenn mir die Interpretation der von mir aufgenommenen Reize verboten bzw. als nicht erwünscht markiert wird, weil meine Position allein in der Macht begründet ist, die ich ausübe (wenn ich interpretiere).”
„Weil ich die Macht bin, darf der andere Mensch nur die Ohnmacht sein, doch sagen (sichtbar machen) darf es dieser Mensch nicht, weil es dann doch irgendwie verpönt ist, Macht über andere Menschen zu haben und also ergo Gewaltdynamiken für sich zu nutzen.”
„Weil der Mensch das aber sagt, poche ich auf mein Recht der Meinungsfreiheit, mische das mit Sexismen, Biologismen, Stigmatisierungen, Rassismus, Sozialdarwinismus, individueller Fehler des Menschen, die gesellschaftlich geächtet werden und so weiter und gebe so meiner Macht ein unumstößliches, durch allgemein legitimierte Abwertung gestütztes Fundament.”

Scheiße nur, wenn Gewohnheit in Frage gestellt wird, wenn der Mensch, an dessen Präsenz Anstoß genommen wurde, dann trotzdem noch _da_ ist, weil es ihm scheiß egal ist (sein kann, weil keine Verluste entstehen können), ob seine Präsenz von irgendwem anders als sich selbst und seinen persönlichen Werten legitimiert ist oder nicht und oben drauf auch noch die Macht hat, dem anderen Menschen schlicht keinen Raum zu gewähren.

Und noch ein Gedanke kam mir.
Repräsentanz kann nur von Objekten ausgehen. Von Symbolen.
Subjekte hingegen stehen für sich selbst und handeln eigenmächtig.
Genau deshalb denke ich, dass es HassfollowerInnen*, wie gewaltvoll kommentierenden SchriftenkonsumentInnen* nicht um mich als Person gehen KANN, wenn sie herkommen, über meine Texte, Bilder und Filme stolpern, die alle einzig für sich allein (und nicht für jemand anderen als mich allein) stehen und Gewalt an mir ausüben.

Sie ™ wollen (nicht: müssen) Gewalt ausüben, weil sie sich für mächtig halten und/oder von unserer gesellschaftlichen Gewaltkultur darin bestätigt werden, es zu auch tun zu können.

Werden wir* BloggerInnen*/ AutorInnen*/ Menschen, die über das Internet Inhalte mit der Intension einer Gegenkultur (einer Kultur ohne Gewalt) Präsenz (Sichtbarkeit) zu verschaffen, verteilen, also zu Symbolen (RepräsentantInnen*) beginnt die Dynamik der Gewalt bereits sich zu wiederholen.
Tragischerweise auch dann, wenn wir* über genau diese Dynamiken bloggen/ schreiben etc.

Dies würde bedeuten, dass wir* unsere Strategien für eine Gesellschaft ohne Gewalt, nicht mit Mitteln der aktuellen Gewaltkultur erstellen können.
Wir* müssten dabei nicht nur “außerhalb der Box” denken, wir müssten sie als Sondermüll markieren, komplett von uns als neue Gesellschaft abgrenzen und absolut autonom neben ihr weiter-entwickeln.
Sichtbar.
Präsent um des _Da_seins Willen.

 

Fortsetzung folgt