so ziemlich Ich

„Männer gibts in allen Formen“ kleinlautete ich durch die Geräuschkulisse des Ladens. Beschämt bis auf die Knochen, bemüht mich nicht beirren zu lassen, blieb ich weiter im Kontakt mit dem Berater der Herrenabteilung von Peek und Cloppenburg.
Ich ließ mir Sakkos zeigen, Westen, Anzugoberteile und versuchte mich weder von meiner fettigen Hülle noch den Blicken der anderen Kunden in der Anprobe aufhalten zu lassen. „Ich möchte nichts Falsches. Ich möchte, was alle hier machen. Ich bin hier, weil ich hier etwas kaufen kann, was sie an alle verkaufen. Ich bin nicht falsch.“ In jeder Blicklücke, jeder Peinlichkeitspause sagte ich mir das und trampelte meinen aufkochenden Selbsthass nieder wie Altpapier in der Tonne.
Später saß ich dann in einem doppelten Selbsthassgewitter. Warum bist du so fett so hässlich so falsch so schräg bescheuert // Warum akzeptierst du dich nicht endlich liebst dich nicht kümmerst dich nicht ordentlich um dich Mach doch endlich

Ich fing an zu weinen, weil ich über meine Optionen nachdenkend bemerkte, dass ich, selbst wenn ich mich für diesen Anlass als Mädchen verkleiden würde, genauso wenig Kleidung finden würde, die ich sowohl sensorisch aushalten, als auch an mir schön finden würde. Frauen gibt es auch in allen Formen. Das weiß die große Modeindustrie nur leider nicht. Und ich – ich weiß, dass meine Form (noch?) keine hat, die ähnlich festgeschrieben ist wie die für Männer und Frauen.

Nicht Fisch nicht Fleisch sein bin ich. Nicht passen bin ich. Ohne Zutun, ohne Wollen.
Es tut mir so leid.

Ich verwende viel Kraft darauf, mich nicht im negativen Selbstbild zu verlieren und dabei auch ganz klar im Bewusstsein zu behalten, dass mein Gefühl bei der Anpassung zu versagen, aus einer Fehlannahme meines (früheren) Umfeldes kommt. Das Umfeld, das es für eine Kleinigkeit hält, sich als Person mit einem Körper wie meinem, in Kleidung für Personen mit meinem Körper gut zu finden. Oder wenigstens okay. Sie machen eine Zuordnung, die ich nicht mache. Das ist schon alles. Ich kenne diesen Fehler. Ich weiß, dass sie aufgrund dieses Fehlers falsche Erwartungen an mich haben.
Ich weiß, dass ich nichts dafür kann. Dass es nichts mit mir zu tun hat.
Ich muss ein Stein sein, der nicht nachgibt. Der sich von dem sandstrahlenden Anspruch nicht beeinflussen lässt.

Zwei Wochen und langes Suchen später fahren mein Partner und ich in eine Stadt mit vielen Geschäften. Ich bin emotional gepanzert und damit beschäftigt nicht daran zu denken, wie viele Fressattacken ich diese Woche hatte. Aus Stress, aus Kummer, aus Überforderung, aus dem Druck mich nicht aufzuschneiden, zu schreien, zu weinen, sondern klar, sachlich und konzentriert zu arbeiten, zu interagieren und kommunizieren. Ich will das hier schön finden. Wir finden so selten zeitgleich Kraft, Zeit und Lust für solche Ausflüge, ich will es schön finden und mir nicht von meinem Seelenscheiß oder der dya cis sexistischen Dickenfeindlichkeit kaputtmachen lassen.

Ich probiere verschiedene Anzüge an, doch rutsche in die Lücke zwischen Über- und Normalgröße. Ich betrachte mich im Spiegel und merke, dass ich gar nicht wirklich dünn sein will. Ich will nur nicht ich sein, wenn mich jemand ansieht. Bemerkt. Einordnet. Beansprucht. Ich will nicht die Person sein, die ständig enttäuscht oder irritiert. Ich will unsichtbar sein, weil ich anders nicht verhindern kann, dass mir Menschen wehtun.
Für ein paar Sekunden bin ich mit einer Intensität suizidal, dass mir schlecht wird. Mit der gleichen Wucht wird in mir eine Tür zugeschlagen. Ich stehe in der Kabine, die auch eine im All umhertreibende Kapsel sein könnte.
Die Bräutigamsbrigade nebenan reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich spüre der Umarmung meines Binders nach und vergrabe mich im guten Grundgefühl, des Tragens, als wäre ich eine Krabbe am Strand.

Mein Partner ist auch nicht fündig geworden. Ein Mantel gefällt ihm. Er nimmt ihn dann aber doch nicht. Wir steuern den nächsten Laden an. Ein weicher heller Strickponcho fällt mir auf und dann doch wieder aus meinen Optionen. Ich möchte mich nicht verhängen, mich nicht verstecken. Dieses eine Mal will ich dem Umstand des Gesehenwerdens nicht aus dem Weg gehen. Doch langsam verliere ich meine Ideen und auch die Kraft für den Mut vor mir selbst, überhaupt diesen Wunsch zu haben.

Wir starten noch einen letzten Versuch. „Wie kaufen Sie denn sonst so Ihre Kleidung?“, fragt Frau Fischer und mustert mich interessiert. „Alle 4 -5 Jahre fahre ich zu C&A, kaufe 10 Basic Shirts und hoffe das Beste.“ Ich lache angespannt und bin erleichtert als ich merke, wie mein Partner das Gespräch sozial abpuffert. Frau Fischer schätzt meine Größe ab, fragt nach meinen Wunschfarben und bespricht meinen Typ mit ihrer Kollegin. Es ist meine erste Shoppingerfahrung wie aus dem Fernsehen. Aber der Laden hat keine Musikbeschallung. Keinen Raumduft. Frau Fischer hält Abstand zu uns. Bietet uns Kaffee an, denkt und plant und überlegt mit einer Aufrichtigkeit, die mir ein Pflaster auf die Verkaufskratzer der letzten Zeit ist. Es ist mein Partner, der erwähnt, dass ich mit einem Sakko geliebäugelt habe. Frau Fischer kommt mit einem Oberteil, das dem sehr nah kommt aus dem Sortiment.
Am Ende habe ich eine Form. Etwas maskulin, etwas sportiv, etwas elegant, ohne Schnickschnack.
„So gar nicht Mädchen“, wie Frau Fischer sagt, „So ziemlich Ich“, wie ich denke, als wir nach draußen gehen.

Buchrezension: „Von den Sternen im Himmel zu den Fischen im Meer“

Cover des Buches "von den Sternen im Himmel zu den Fischen im Meer", auf dem in großen Wellen mit kleinen Fischen und Sternen eine Person mit Fühlern und Schmetterlingsflügeln von rechts nach links geht.

Als „ein Bilderbuch für Kinder ab 3 Jahren zum Vorlesen und -singen, das Hoffnung auf eine Welt jenseits der 2-Geschlechter macht und uns zeigt, wie Akzeptanz in einer diversen Gesellschaft (er-)lebbar ist“ veröffentlichte die edition assemblage in dieser Woche das Kinderbuch „Von den Sternen im Himmel zu den Fischen im Meer“.

Miu Lans Mutter wie sie das Kind in einem schaukelstuhl wiegt und singt, auf der lehne sitzt eine blaue Eule mit Hirschgeweih, zu ihren Füßen ein rosa Fuchs.

Es erzählt die Geschichte von Miu Lan, die_r sich nicht entscheiden kann was sie_r ist. Ob Junge oder Mädchen, ob Vogel oder Fisch, Katze oder Hase, Baum oder Stern – und deshalb von allem etwas ist. Miu Lans Mutter liebt ihn aber sehr und singt ihr immer wieder ein Lied darüber vor, dass sie es immer lieben wird.

Miu Lan ist glücklich, bis xier in die Schule muss und feststellt, dass dort nur Mädchen und Jungen sind. Die vii nicht akzeptieren, sondern ärgern und ausschließen, selbst nachdem sie sich wie einen Jungen hat aussehen lassen. Trotzdem Miu Lan sich so geliebt fühlt, fühlen sie auch Sorge und Traurigkeit.

Nachtszene aus vielen Farbtönen mit blassem Mond und bunten Blumen, darin in weißer Schrift: "Was, wenn den anderen Kindern nicht gefällt, was ich bin?", schniefte Miu Lan."Es erzählt seiner Mutter davon und diese hört nim zu und tröstet sie. So gestärkt verändert sich der Kontakt zu den anderen Kindern und der Prozess der Akzeptanz beginnt.

Dieses liebevoll illustrierte Kinderbuch ist sicherlich für viele Menschen eine neue Erfahrung, ist man es im Alltag doch so gewöhnt, dass alle nur ein Pronomen nutzen, eine Form haben, einer Kategorie zugehörig sind. Doch im Lesen ist zu spüren: Eigentlich ist es überhaupt kein Akt, denn es geht um Respekt. Darum, jemandes Leben und Fühlen zu benennen.
Sehr eindeutig wird in diesem Buch aufgezeigt, dass der Konflikt von Miu Lan gar nicht darin liegt, das Miu Lan keine Entscheidung darüber trifft, was Miu Lan ist, sondern, dass eine Entscheidung erwartet wird und diese eine Bedingung für einen angemessenen Umgang miteinander ist. Der Konflikt wird nicht von Zauberei gelöst, nicht von außen durch Erwachsene oder irgendeine andere Autorität, sondern Miu Lan selbst, gestärkt von der Mutter, was für vorlesende Erwachsene vielleicht eine interessante Perspektive ist.
Miu Lans Pronomen wechseln immer wieder, doch Neopronomen wie in dieser Rezension, werden keine verwendet.

„Von den Sternen am Himmel zu den Fischen im Meer“ wurde von Kai Cheng Thom geschrieben, von Wai-Yant Li und Kai Yun Chong illustriert und von Katja Anton Cronauer aus dem Englischen übersetzt.
Es kostet 14,90 € und ist in jedem Buchhandel und über die Webseite der edition assemblage erhältlich.

der Throwback auf „Menstruation als trans Person“

Dieser Artikel enthält Werbung für Kulmine, einem Onlineshop für umweltbewusste Menstruationshygieneprodukte.

Vor 5 Jahren schrieben wir den Artikel „der Bindentest und die Männlichkeit im menstruierenden Körper„.
M., der damals die Binden für uns getestet hat, gibt es so nicht mehr. Er ist so sehr Teil von mir, dass ich seine Männlichkeit nicht mehr als „männlich, so wie M. ist“ fühle, sondern eher als „das männliche, neben allem anderen von mir, das mich zu einer nicht binären und also im weiteren Sinne trans Person macht“.
Was Menstruation für uns heute vor allem bedeutet, ist das Ende einer Woche von zunehmender Genderdysphorie und der Anfang einer Woche der Trauer um eine Schwangerschaft, die hätte sein, aber nicht werden konnte.

Wenn wir heute bluten, dann schwellen die Finger, die Füße, der Bauch, die Brüste wieder ab, die prämenstruelle Stimmungslage hellt sich auf. Es wird wieder leichter Dinge zu machen, die uns guttun – unter anderem auch Umfelder und Kontakte zu verlassen, die unsere geschlechtliche Identität missachten oder ignorieren.
In den letzten 5 Jahren hatten wir keine Ruhe mehr für freies Menstruieren – und auch nicht mehr die dissoziative Distanz zum Trauma sexualisierter Gewalt, die dazu beitrug, dass wir Viele wurden. Es ist uns zuweilen unerträglich zu fühlen, wie man aus der Vagina blutet und wir sind froh, nach wie vor die meiste Zeit der Blutung auf Menstruationstassen zurückgreifen zu können und die Kulmine-Stoffbinden eher für die letzten Tage zu nutzen.

Die Binden sind jetzt nach 5 Jahren immer noch absolut gut in Schuss. Keine raushängenden Fäden, die Nähte sitzen. Der Stoff hat nicht gefranst, nichts ist verzogen. Gerade bei den Flügelbinden mit Druckknopf hatte ich erwartet, bald Rost zu entdecken, doch sie sind immer noch völlig in Ordnung. Verfärbt haben sie sich vom Menstruationsblut auch nicht – aber von einem Medikament, das wir eine Zeit lang nehmen mussten. Das zeigt uns, dass sie ihr Geld wirklich wert sind.
Tatsächlich haben wir in den letzten 5 Jahren kein Geld mehr für Menstruationshygiene ausgegeben, was schon sehr toll ist, wenn man sich mal grob überschlägt, was Tampons pro Monat und Jahr kosten – auch der Umwelt und also unser aller Zukunft.

Vor 5 Jahren war mir wichtig zu vermitteln, dass in vielen Binden und Tampons Pestizid und Bleichmittelrückstände gefunden wurden, der Müll ein Problem ist und das viel des Marketings von Menstruationshygieneprodukten dazu beiträgt, zu definieren, was weiblich ist, was hygienisch ist, was sicher ist. Heute erscheint es mir fern, wie viel Abwehr und Furcht und auch Abwertung ich selbst, bedingt durch sexistisches Marketing und sich im Zusammenspiel mit der patriarchalen cis hetero zentrierten Gesellschaft entwickelnden Wertvorstellungen, meinen Körperfunktionen gegenüber hatte. Und wie schwierig es jedes Mal war, auszuhalten mit verzerrter Bodypositivity konfrontiert zu werden, die mich als trans Person, die Behinderung und Traumafolgen im Leben hat, überhaupt nicht mitdenkt, aber trotzdem den Appell an mich richtet, mich doch zu lieben und meinen Körper zu feiern.

Heute weiß und merke ich sehr deutlich: Mein Körper ist einfach da. Ich bin einfach da. Daran ist nichts positiv und nichts negativ, aber alles lebendig.
Mich darauf zu konzentrieren und zu schauen, wie und womit ich mein Leben mit ihm und all seinen Funktionen, Bedarfen und Potenzialen so gestalten kann, dass ich gut zurechtkomme, mich wohlfühle und an eine lebenswerte Zukunft glauben kann, ist für mich allgemein sehr wichtig geworden. Meine Menstruation ist nur ein kleiner Teil meines Lebens, aber er ist einer, der mein Leben jeden Monat erheblich beeinflusst. Dafür eine gute Lösung gefunden zu haben, ist mir sehr wertvoll geworden.

 

Bei Kulmine gibt es inzwischen ein interessantes neues Stoffbindenmodell – die Hela. Für zwei Lagen, die bleiben, wo sie sein sollen.
Im Shop gibt es aber auch noch Cups, Schwämmchen und vieles mehr. Schaut doch mal rein.

14072020 – #NonBinaryDay und #DisabilityPrideMonth

Heute ist „Non Binary Day“. Ein Tag, an dem der Hashtag #NonBinaryDay mit vielen hilfreichen Informationen zum Thema gefüllt, aber auch viel Solidarität und Liebe geteilt wird.
Es ist ein Tag, an dem wir noch einmal mehr Validierung von Außen erfahren als sonst. Das fühlt sich gut an und stärkt uns.

Im analogen Kontakt outen wir uns in der Regel nicht oder erst bei engerem Bezug als nicht binär. Das hat nichts mit einem Gefahrerleben zu tun oder mit Scham, sondern damit, dass oft niemand weiß, was das überhaupt ist oder bedeutet.
Für die meisten Menschen gibt es nur Menschen, die „männlich“ oder „weiblich“ oder „was anderes“ sind. Manchmal ist „was anderes“ noch mit „intersex“ bezeichnet, aber auch das ist eher selten und wird oft doch als „was anderes“ gedacht, nämlich als Abweichung von der Norm oder biologischer Quirk.

„Non binary“ bzw. „nicht binär“ ist ein Sammelbegriff. Unter ihm können sich Menschen verschiedener Gender einfinden. Es gibt agender Personen, die sich als nicht binär bezeichnen, genderfluide, genderqueere und auch Menschen, die trans sind. Mit dem Begriff bezeichnet man also eine Positionierung auf dem Genderspektrum und nicht unbedingt ein Gender an sich.

eine gerade Linie an deren Enden mit Vierecken markiert
What people think non-binary means
ein bunter Kreis, an dessen horizontalen Enden des Durchmessers male und female steht (verbunden durch eine schwarze Linie) auf dem Rest des Kreises sind verteilt an unterschiedlichen Punkten kleine Dreiecke über denen
what non-binary actually means

 

Unzureichende Bildung.smöglichkeiten/zugänge, hetero_normative cis sexistische Grundhaltungen, Ideale und Politiken tragen bis heute dazu bei, dass Menschen außerhalb des linear gedachten Gendergradients als Abweichung eingeordnet werden. Der Umgang mit nicht binären Personen (und anderen Menschen, die sich nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen (lassen)) der westlichen bis in ihren Kern ableistischen und gewaltkulturell definierten Gesellschaft, ist bis heute von Pathologisierung, Abwertung und der Negierung real erfassbarer Existenz geprägt.

Dieser Umgang ergibt für behinderte Personen eine Schnittmenge, die zu einer sogenannten „Mehrfachdiskriminierung“ führt.
Behinderte Menschen erfahren ebenfalls eine durchgehende Pathologisierung ihrer Normalitäten, aufgrund ableistischer Grundannahmen und Werte, die einzig durch cis Gender und heterosexuelles Begehren verkörpert bzw. belebt werden. Zudem wird behinderten Menschen aufgrund ihrer Behinderung jedwedes Begehren oder sexuelle Aktivität abgesprochen. Auch wird dieser Personengruppe in Korrelation zu der so eingeordneten, „Schwere der Behinderung“ abgesprochen, überhaupt eine Geschlechts_Identität zu haben und im Außen eine Entsprechung und Annahme dessen vorfinden zu wollen.
Behinderten Menschen wird damit eine für die allgemeine Er_Lebensqualität relevante Ebene ihrer selbst abgesprochen. Sie erfahren dadurch die Degradierung zu verkörpertem Leben in einer als minderwertig ein.ge_schätzten Form, da keinerlei andere Funktion.alität als der Selbsterhalt (so dieser ohne Hilfsmittel und medizinische Unterstützung überhaupt gegeben ist) zugetraut und anerkannt wird. Entmenschlichung wie diese, erleichtert es Politikern wie Jens Spahn, Gesetze, wie das aktuell vielstimmig kritisierte, da gegen Artikel 3 der deutschen Grundgesetze verstoßende, „Intensivpflege“stärkungs“gesetz“ überhaupt zu denken.

Aber auch Kinder und alte Menschen – die aufgrund ihrer noch nicht entwickelten oder durch ihr Alter und die damit einhergehenden Einschränkungen nicht mehr durchführbaren Fertig- und Fähigkeiten, „voll funktionsfähig“ („abliert“) sind – sind von „Entsexualisierung“ betroffen und erleben sich häufig nicht als sexuelle Wesen mit Geschlechtidentität akzeptiert und behandelt.
Hier ist besonders zu erwähnen, dass es in der Regel Ableismus ist, der zuerst zu dieser Diskriminierung führt und nicht Sexismus oder Hass auf Menschen anderer Geschlechtsidentität als „männlich“ oder „weiblich“. Sexismus fußt auf Ableismus, wie es praktisch jeder andere *ismus auch tut.

Nicht binäre Menschen und andere Personen, die in dieser Gesellschaft nicht als real existierend eingeordnet werden, sehen sich jeden Tag in verschiedenen Aspekten vor der Herausforderung, sich selbst zu validieren und als existent zu markieren. Sie werden nicht kriminalisiert, sie werden nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, ihnen wird die Ehe nicht verweigert, sie werden nicht davon ausgeschlossen ein politisches Amt zu bekleiden oder ein Land zu regieren – weil es sie offiziell gar nicht gibt.
So kommt es immer wieder zu Konflikten in Kreisen, die sich für die Rechte von LGBT+ Personen einsetzen. Unter anderem deshalb, weil z. B. der deutsche LGBT+-Aktionismus stark beeinflusst ist von weißen Menschen, die durch ableistische, klassistische, rassistische Strukturen und kulturelle Praxen kaum existenziell bedroht bzw. diskriminiert sind. Sie mussten nie den Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentanz führen, wie ihn alle Menschen, die mit diesem putzigen „+“, manchmal auch „*“ zusammengefasst wie eine homogene Masse hinter den Buchstaben stehen, jeden Tag führen und ertragen müssen.

In dieser Woche startet auch die „Non Binary Awareness Week“.
Ihr könnt diese Woche nutzen,

  • um @NBWeek auf Twitter zu folgen
  • um diesen umfangreichen Thread von @cuffedCatling zu lesen
  • um die Serie „One Day At A Time“ bei Netflix kennen und lieben zu lernen, denn es ist eine der ersten Serien, in der ein nicht binärer Charakter auch offen als solcher bezeichnet auftritt – ohne pathologisiert oder abgewertet zu werden
  • um euch die Beiträge unter #NonBinaryDay durchzulesen und sie zu teilen, um damit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen
  • um mal zu schauen, ob ihr schon mal ein Buch, ein Lied oder Kunst von einer nicht binären Person genossen und weiterempfohlen habt. Falls euch auffällt, dass ihr das noch nie getan habt: Viele Bücher und mehr zum Thema von Menschen, die es betrifft, findet ihr bei transfabel.de.
  • um euch darüber zu informieren, was geschlechtliche Vielfalt bedeutet. Um Texte dazu zu verstehen, kann das Queer-Lexikon hilfreich sein.
  • euch zu überlegen, ob ihr uns mal für einen Workshop zur Thematik einladet (wir bieten derzeit ausschließlich Online-Workshops an)
    Unsere E-Mail-Adresse ist im Impressum hinterlegt. Auch über speakabled.de und speakerinnen.org könnt ihr Kontakt mit uns aufnehmen.

note on: keine Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur #drittenOption

Der Freitag war für uns ein wichtiger Tag. Aus Gründen, die wir heute gar nicht einmal mehr abrufen können, waren wir davon überzeugt gewesen, dass der Bundesrat gegen den vorgelegten Gesetzesentwurf zur sogenannten „dritten Option“ Einwendungen erheben würde.
Als das nicht passierte, war es schlimm.

Nicht, weil wir nicht bekommen hatten, was wir wollen. Nicht, weil wir wieder daran erinnert wurden, wie weit unsere Belange hinter pseudopolitisch verkleideten Individualinteressen, wie denen von Seehofer und Co stehen, sondern, weil wir genau in dem Moment der Nachricht wussten, dass darüber zu sprechen ganz genauso schmerzhaft werden würde, wie die Ablehnung der Überarbeitung des Gesetzentwurfes.

Bei kaum einem anderen Thema spüren wir unsere Filterblase so deutlich, wie bei dem um die eigene Geschlechtsidentität.

In der Traumablase herrschen so viel unhinterfragte binäre Cisheteronormativität (also die Annahme normal sei, wer ganz klar Mann oder Frau und heterosexuell ist), dass die krasseste Abweichung noch „andersgeschlechtliche Anteile“ in Menschen mit sekundärer bzw. tertiärer DIS darstellt.
In der linken Blase zerbröselt man sich darüber, dass es ja in Wahrheit nichtmal links ist, sowas wie Trans- und Interrechte, Queertheory und intersektionalen Feminismus zu kennen, zu fordern, zu unterstützen, zu stärken, zu sichern.

Wir merken: wann, wie, wo auch immer wir Menschen, die uns beiläufig falsch einordnen, korrigieren, werden wir erneut eingeordnet. Als störend, anstrengend, durchgeknallt, schrill, Po-Mo – also nicht als Person, die ist, wie und wer sie ist, sondern als eine Eigenschaft oder ein Zustand, des Hier und Jetzt.

Wir mussten in den letzten Monaten oft Gespräche führen, in denen wir uns mit der Behauptung konfrontiert sahen, Identitätspolitik wäre an sich diskriminierend, irrelevant, ja sogar gefährlich.
Uns hat das jedes Mal tiefgreifend getroffen, verletzt, zuweilen auch einfach hoffnungslos überfordert.
Denn wo soll man auch anfangen, wenn Leute, die nicht den Hauch einer Ahnung haben, wie das ist, wenn man selbst einfach nicht ist wie sie, obwohl man viele Eigenschaften teilt, vor eine.r.m sitzen und so etwas vertreten wie: „Na aber wenn jede_r selbst bestimmen, dürfte, dann würden ja Männer behaupten, sie seien Frauen und dann würden die Männer den Frauen die Frauenförderung wegnehmen.“ oder „Wenn alle ihren Geschlechtseintrag ohne jede Kontrollinstanz bestimmen dürften, dann gäbs ja noch mehr Fantasiegeschlechter!“

Worauf sollen wir uns beziehen, wenn wir vor Personen sitzen, die glauben unsere Gewalterfahrungen hätten unser Verhältnis zu Männern und Frauen so nachhaltig zerstört, dass wir uns selbst als keins von beidem identifizieren wollen? Als sei Identität – genauer Geschlechtsidentität – eine Wahl, die man trifft und nicht ein Bewusstsein zu dem man kommt, wenn man sich entlang aller Erfahrungen – auch Selbsterfahrungen – reflektiert und darüber definiert.

Selbst vor biologistischer Argumentation bleiben wir nachwievor jedes Mal fassungslos über die überraschend verbreitete Desinformation unserer Gesellschaft. Da wird immer noch geglaubt, Hormone allein bestimmten über ein Geschlecht, oder wie ein Genital aussieht. Oder welches Geschlecht begehrt wird. Oder welche Körperfunktionen wie zugelassen werden oder nicht. Ammenmärchen soweit das Auge reicht, und absolut 0 Bereitschaft mal ein Buch in die Hand zu nehmen, sich einen Vortrag anzuhören, sich weiterzubilden oder wenigstens in Betracht zu ziehen, dass nicht ganz so richtig und komplett sein könnte, was man in der Schule über das Thema „Geschlecht“ gelernt hat.

Im Ärzteblatt wurde kürzlich behauptet, trans sei ein Trend, was an Unprofessionalität kaum die Transfeindlichkeit überbieten kann.

Selbstbestimmung ist im Trend. Antidiskriminerung ist im Trend. Diversity ist im Trend.
Warum? Weil es Gesetzgebungen und EuGh-Urteile gibt, die es verbieten zu diskriminieren, fremdzubestimmen, Menschen die Identität abzusprechen bzw. Identitäten aufzuzwingen.

Es gibt im Moment sehr viele rechts_konservative Stimmen, die von einer Debatte oder Diskussion sprechen, wenn es um die Rechte von marginalisierten (also als Minderheit einordneten) Menschen geht.
Dabei muss eigentlich allen Menschen klar sein, dass Identitäten, genauso wie jede andere persönliche und möglicherweise absolut individuelle Eigenschaft und ihre Anerkennung vor Recht und Gesetz, niemals zur Diskussion stehen dürfen.

Man stelle sich mal vor es ginge um Leute mit lockigem Haar.
Niemand sieht eine belockte Person und stellt erstmal zur Debatte, ob diese Locken nun da sind oder nicht, oder, ob das nicht vielleicht einfach nur glatte Haare sind, die um Kurven in der Luft gewachsen sind.
Genauso absurd sind die Debatten, die gerade passieren und genauso sprachlos wie eine jede, wie auch immer stolze oder bewusste Lockenkopfperson, sind wir immer wieder.

Besonders für uns als Person mit DIS war es viel anstrengende und zeitweise auch enorm schmerzhafte Therapiearbeit an den Punkt zu kommen, an dem wir uns der Tatsache stellen konnten zu sagen: Ja, wir sind uns sicher und können das stabil, unabhängig von unserer Identitätsstruktur und damit verbundenen Problemen fühlen: Wir sind keine Frau. Wir sind kein Mann. Wir sind viele, wir sind wir, wir alle.s sind eine queere Person.

An diesen Punkt sind wir übrigens auch nicht gekommen, weil wir Frauenberatungsstellen nutzen konnten oder weil überdurchschnittlich viele unserer behandelnden Therapeut_innen auch Feministinnen waren, sondern trotzdem das so war.
Das sagen wir nicht gerne, aber wir müssen das sagen. Weil es Teil dessen ist, was uns so oft so geschmerzt und auch in Solidaritätskonflikte gebracht hat. Da waren und sind Menschen hilfreich – allerdings nur und manchmal auch ausschließlich, weil sie uns als Frau eingeordnet haben. Ohne jemals danach zu fragen, als was wir uns selbst identifizieren.

Früher ging das noch irgendwie okay. Heute geht es nur mit Überwindung, schlechtem Gewissen und immer wieder mit dem Wunsch nach Angeboten, die sich genau an Menschen wie uns richten. Solche Angebote gibt es aber nicht bzw. nur sehr selten. Wie sollte es sie auch geben, will man noch nicht einmal in der Politik, die für alle Menschen gleichermaßen gut und sichernd wirken soll, anerkennen, dass es uns gibt.

Gestern lasen wir ein Interview mit dem Philosophen Robert Faller, in dem er sagte, dass wer nichts mehr werden könne, mehr Bezug dazu aufbaut, wer er (sic!) sei und das als Waffe im Kampf um Ressourcen nutze.
Eine Unterstellung, die nur aufbauen kann, wer sich in einem ständigen Kampf um Ressourcen wähnt bzw. Anerkennung als Ressource zu instrumentalisieren versteht.
Aber natürlich ist das auch ein Punkt. Haben wir ja gerade selbst geschrieben, dass wir uns anerkannt haben wollen, um Ressourcen fordern zu können, die speziell für uns gemacht werden.
Doch stellt sich für uns diese Forderung nicht als eine Forderung, um der Forderung selbst willen dar.

Wir wollen nicht als nicht binär anerkennt werden, um es zu sein.
Wir sind nicht binär und haben die gleichen Rechte auf Anerkennung und Versorgung, Sicherheit und Selbstbestimmung, wie alle anderen Menschen auch.

Das ist alles, worum es geht.
Wir haben Rechte und die werden uns nicht zugestanden.
Mehr muss man nicht verstehen. Wenn man keinen Bock hat, das eigene Welt- und Menschenbild zu verändern – bitte. Ist ja auch viel und anstrengend und kann irgendwie unheimlich, weil unübersichtlich sein.
Aber glaubt bitte nicht, nur weil man uns nicht anerkennt, wären Menschen wie wir „in Wahrheit“ nicht da und unsere Forderungen deshalb nichts weiter als nerviges, weil anmaßendes, unötiges Gejammer von Leuten, die irgendein special Extra wollen, das ihr dann nicht haben könnt, weil ihr ja „nur normal“ seid.

„Normal“ sein ist ein Privileg.
Eins, das allen zusteht.

 

P.S. Danke Filterblase <3