Es gibt Besseres zu tun

Inzwischen bin ich schon so viele Jahre mit all dem vertraut. Die Gewalt, das Trauma, Vielesein; wer glaubt was wem warum; wer verfolgt welche Interessen mit dem Sprechen darüber und dem Sprechen dagegen. Organisierte (Rituelle) Gewalt ist für mich ein Gegenstand der Realität, an dem schon seit Jahren nichts mehr herumgedeutet werden kann. Es gibt Fakten, es gibt Zahlen, es gibt rechtskräftige Urteile in Fällen, die alle Merkmale dieser Gewaltform haben. Niemand muss mehr daran glauben, weil alle davon wissen (können).

Nach meinem Input mit Claudia Fischer bei der survivorship-conference kam mir wieder einmal in den Sinn, wie wichtig ist deutlich zu machen, dass es eine ganz natürliche Reaktion aus echtem Unwissen – aber auch eine ausgenutzte Täter_innenstrategie ist, die Wahrheit von Dingen zu bezweifeln, über die man noch kein umfassendes Wissen hat oder bestehendes Wissen nicht damit in Verbindung bringen kann/darf/will/soll. Es ist ein leichtes Spiel für Mit_Täter_innen, das oft nur deshalb viele Mitspieler_innen findet, weil Vermeidung so ein (über)lebenswichtiges Verhalten ist.
Am Ende ist es jedoch prozessfeindlich, opferfeindlich und damit gesellschaftsfeindlich wie jede andere zwischenmenschliche Gewalt auch.
Ein absolut konservativer Machtakt. Mit wenig anderem Willen dahinter als dem, bestehende Ungleichheiten und dementsprechend auch Ungerechtigkeiten nicht aufzulösen. Also nichts gegen Gewalt tun zu wollen.

Es ist wirklich nicht schwer das klarzukriegen. Wer sich heute hinstellt und sagt, es gäbe keine organisierte (Rituelle) Gewalt, hat die letzten 20 Jahre absolut isoliert von Menschen und ihren Medien gelebt – oder aus welchen Gründen auch immer – keinen Bock darauf, sich mit der Realität von Gewalt und ihren Folgen im Leben aller Menschen zu befassen. Sie_r ist also nicht geeignet als Verbündete_r etwas für Überlebende oder gegen die Gewalt und ihre Nutznießer_innen zu tun. Punkt.

Solche Menschen stellen die Falle auf, in die noch immer viele hineintappen: das Aufrauchen durch Überzeugungskämpfe.
Die Entwürdigung durch das ständige Suchen von Bestätigung über etwas, das längst durch andere Stellen bestätigt ist.
Diese Falle zwingt die Menschen, die sich eigentlich um die Überlebenden oder die Gewalt kümmern wollen, weg davon und in einen Kampf hinein, der als wichtig gerahmt wird, weil man ja miteinander zu tun hat und miteinander auskommen muss.
Zum Beispiel, wenn man Überlebende nach dem Ausstieg betreut und die Kolleg_innen sagen: „Ach komm – du glaubst doch diesen Quatsch von organisierter (Ritueller) Gewalt nicht wirklich!“ Mit dieser Aussage drängen sie sich in den Fokus der betreuenden Person. Sie zwingen sie dazu, sich um das zu kümmern, was die Kolleg_innen glauben oder nicht glauben und ziehen damit enorm viele Ressourcen weg von den Überlebenden. Ihr Verhalten ist also nicht nur inhaltlich opferfeindlich, sondern auch konkret, weil sie ihnen nehmen, was sie brauchen: Helfer_innen, die genug Ressourcen haben, um gut helfen zu können.

Neben dem Wissen um die Realität von organisierter Ritueller Gewalt ist also auch wichtig, erkennen zu können, welche Kämpfe wann und um wen relevant sind. Wir haben durch die Corona-Pandemie gerade einen hervorragenden Übungsplatz dafür. Alle können schauen: Ja, ist es mir wirklich eine Erkrankung mit ordentlicher Chance auf Long-Covid wert, dass Onkel Lutz durch stundenlange direkte Überzeugungsarbeit an das Virus glaubt? Wie krass bin ich von einem Job abhängig, in dem keiner glaubt, dass COVID19 eine richtig fiese Scheißkrankheit ist und deshalb keine Schutzmaßnahmen einhält? Wie viel Kraft stecke eigentlich in die Arbeit, die es macht, Menschen verständlich zu machen, dass Fakten auch dann bestehen, wenn niemand an sie glaubt? Was für ein Bild haben Menschen von sich, wenn sie erst etwas für alle Menschen tun, wenn sie persönlich von der Richtigkeit dessen überzeugt sind oder sich davon betroffen fühlen und sich deshalb einen Zugewinn versprechen? Sind das Leute, mit denen man sich verbinden möchte? Mit denen man Zeit, Kraft, Ressourcen teilen möchte – um sie mit allen zu teilen, weil alle etwas davon haben?

Wer die faktische Realität von organisierter (Ritueller) Gewalt anerkennen kann, weiß, dass sie_r auch davon betroffen ist.
Organisierte Gewalt entsteht nie aufgrund der Initiative von Einzelpersonen und frei von äußeren Kontexten. Niemals. Jede organisierte Gewalt braucht Strukturen, jede Struktur braucht funktionierende Systeme, jedes System braucht Kommunikation, um sich selbst zu erschaffen und zu erhalten. Niemand auf der Welt ist unbetroffen von organisierter (Ritueller) Gewalt. Auch die, die es noch nicht wissen. Auch die, die nichts davon wissen wollen.

Wer sich auf das Spielchen um die Zweifel einlässt, kann kaum noch hilfreich für den Prozess der gesellschaftlichen Anerkennung und Veränderung eintreten. Deshalb wird es immer wieder angefangen.

Spielt nicht mit.
Es gibt Besseres zu tun.

durchaushalten

Der Regen schneit in aller Unförmigkeit auf uns runter, als wir durch den Wald nach Hause laufen. Sie könnte schreien vor Schmerzen, doch wieder ist es das Fehlen einer konkreten Quelle, die einen Ausdruck dessen unlogisch macht. Die Haut ist taub. Kalt, aufgerissen, feucht unter Kleidung. Weh tut es darunter.

„Es ist ja kein Aufgeben von allem“, sagt sie und argumentiert uns in eine Mauer hinein. „Wir sind viele, ja, aber das allein bedeutet doch nichts weiter. Außer Arschkarte halt.“.

Sie hat zuletzt am Wochenende mehr als 2 Stunden geschlafen. In unser beidaller Blut schwimmen Medikamente, die man nicht ins Klo entsorgen darf.

Klausurenphase. Zweifelzeit. Beklommenheit.

Während die Schritte unter uns in Matsch und Regenwasser verwinden, denken wir einander mit Gefühlen und Wahrheiten zu. Wissen, der Schlafmangel verzerrt alles. Die Not hat keinen Platz, dort wo wir sind. Wissen, wo wir sind, hätten wir nie hingemusst.

Wir laufen weiter. Nach Hause. Zu Tee am Küchenfenster und Klausurenvorbereitung auf dem Schoß. In unsere Festung des Durchaushaltens.

Zweifel

Es begann mit dem Zeitungsartikel, in dem vom Insektensterben berichtet wurde.
Heute gibt es 75% weniger Insekten im Vergleich zu einem Zeitraum, der noch gar nicht so lange her ist.

Es ging weiter mit Artikeln zum Klimawandel. Nicht als “könnte eventuell vielleicht”-Blablabla, wie ich es als Jugendliche in den 2000ern noch lesen durfte, sondern als “HALLO WERDET AKTIV”- Ausrufezeichen mitten in meine Gefühle der Ohnmacht.
Dazu kam ein Atomstörfall in Russland, eine Regierung, die es gar nicht gibt, weil – ja warum eigentlich? Haben die Leute da vergessen, dass sie mit einem Job beauftragt wurden, oder was? – Puerto Rico hat noch immer keinen Strom überall, Flint kein sauberes Wasser, ständig brennt eine Unterkunft für Geflüchtete und immer noch gibt es Menschen, die anderen Menschen grundlegende Rechte nicht zugestehen wollen.

Ich saß unserer Therapeutin gegenüber und versuchte mich auszudrücken, obwohl ich gleichzeitig von der inneren Gewissheit eingenommen war, dass es sinnlos sein würde, darüber zu sprechen.
Mein Angefasstsein von solchen Dingen gehört einfach in mein kleines Kämmerlein, weil drüber heulen nur genau dort Sinn hat. Außerhalb dessen muss man den Arsch hoch kriegen, weiter machen, immer wieder ansprechen, bewusst machen, wo Verschwendung passiert und wie es anders besser funktionieren könnte sollte müsste.
Müllvermeidung, aufhören Tiere zu essen, Bus- und Bahn statt Auto fahren, solidarisch sein und bleiben, Gefallenen beim Aufstehen helfen – immer weiter immer weiter machen. Nicht aufhören, nicht ergeben, nicht fallen lassen, denn irgendwann bleibt man liegen und wofür hat mans dann überhaupt je gemacht?

Seit dem Klinikding, denke ich dauernd, ich müsse meine Motivationen und Gedanken rechtfertigen. Muss unterstreichen, dass ich wirklich und in echt nicht meinetwegen darüber verzweifle, nicht mehr tun zu können, als meinen Müll zu vermeiden, nachhaltig gewirtschaftet zu konsumieren und andere Leute damit zu nerven, dass sie die x-te Petition gegen Regenwaldzerstörung, Ölbohrungen im Meer, Monsanto und Glyphosat unterstützen sollen.
Jedes Mal drehe ich mich aus dem Gefühl nicht ernst genommen zu werden, weil man sich meine Worte zurechtdreht und in ihrer Wichtigkeit abtut. Jedes Mal unterdrücke ich den Wunsch Leute zu schütteln oder anzuheulen, wenn sie mir sagen, dass das doch eh alles gar nicht reicht oder genug ist. Noch mehr, wenn sie mir in ankumpelnden Ton sagen, sie halten Weltverbesserer für selbstsüchtige Gutmenschen und würden deshalb extra einfach gar nichts verändern.

Jedes Mal, wenn wieder sowas war und ich am Ende doch wieder in meinem Kämmerlein darüber heule, denke ich, dass das eigentlich alles ist, was das mit mir zu tun hat: dass es mich fertig macht und so viele andere nicht.
Vielleicht, eventuell, denn was weiß ich über die Kämmerlein anderer Leute.

Während der Therapiestunde kam noch eine weitere Komponente für mich über uns dazu.
Nämlich die des Dramas von Menschen, die an Dinge glauben und deshalb Dinge tun. Auch in anderen Kontexten.

Es ist ein Thema von uns, Dinge dafür zu tun oder wollen oder zu machen, weil wir davon überzeugt sind, dass sie das Richtige und Wichtige sind, um die Welt zu einem guten Ort für alles und alle zu machen. Dafür mache ich heute viel und dafür haben andere Innens früher viele Dinge getan. Und: an sich tun lassen.
Und zwar nicht, um selbst etwas davon zu haben oder deshalb für sich einzufordern, sondern, weil man ihnen sagte, dass es um den Fortbestand der Welt als eine bessere geht.

Natürlich kann man sich der Erzählung vom Sozialmärchen des Altruismus und der Selbstlosigkeit hingeben. Kann zynisch auf Gruppen wie die, in der wir über_gelebt haben schauen und sehen: “Ja ha genauso läuft das nämlich – mächtige Leute bringen dumme kleine Würstchen dazu zu denken, sie würden etwas für ein höheres Wohl tun, aber in Wahrheit…”
Man kann sich aber natürlich aber auch fragen, warum man selbst kein solches “höheres Wohl” im Kopf hat. Warum man so bereitwillig aufgibt, daran zu glauben, dass es mehr geben kann, als Unterdrückung, Zerstörung und Überlebenskampf. Oder warum man auf Menschen herabschaut, die das nicht tun.

Man kann sich fragen, warum manche Menschen so viel bereitwilliger Verantwortung für den Bockmist anderer einstehen und sich bemühen, Dinge besser zu machen und manche nicht. Warum manche Menschen im Grunde die ganze Zeit damit beschäftigt sind, sich nicht einzumischen, über Macher_innen zu lästern und selbst nichts anderes als Eskapismus zu zelebrieren und warum das für manch andere die schlimmste Form der Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen ist. (Selbst dann, wenn man erkannt hat, dass Eskapismus als solcher auch eine Protestform sein kann!)

Nach der Sitzung schrieb ich bei Twitter, dass ich festgestellt hatte, dass für mich die Apokalypse schon da ist.
Und zwar nicht, weil ich denke, dass jetzt schon alles kaputt ist, sondern weil ich bemerkt hatte, dass ich dieser unserer Gesellschaft nicht (mehr) zutraue, dass sie den Arsch hochkriegt, weil sie begreift, was hier gerade jetzt in dieser unserer gemeinsamen Lebenszeit passiert.
Zu einfach ist es, die Tage mit Dingen zu verbringen, die unser Klima negativ beeinflussen und Ausbeutung fördern, ohne es überhaupt zu bemerken. Zu leicht ist es, sich selbst nicht als Teil dessen zu empfinden, was alles krepiert, wenn Flora und Fauna, Klima und Planet abkratzen.

Und warum fasst mich das so an?

Weil ich dafür nicht überlebt haben will.
Weil ich die Enttäuschung darüber, dass es kein echtes “besser als früher” gibt, nicht einfach so akzeptieren will.

Es war für mich, für uns, damals schon schlimm genug zu merken, dass nach dem Ausstieg nichts aber auch wirklich gar nichts kam, das irgendwie “gut” war. Dass wir uns jedes und es sei es ein noch so kleines “besser” oder “okay” alleine erkämpfen und erbetteln mussten und selbst bei Erfolg nicht einmal davon ausgehen konnten, dass das für immer bleiben würde.
Es ist mir schlimm genug, bis heute diesen de facto unausgleichlichen Mangel im Leben zu haben und zu wissen, dass das niemand nachvollziehen kann, die_r das nicht genauso auch üb_erlebt (hat).

Wir haben in unserer Therapie noch nie viel darüber geredet. Über dieses Gefühl von Beschiss von beiden Seiten. Den “Guten” wie den “Bösen”.
Geschweige denn über das Gefühl, das auch nirgends wirklich genauso ausdrücken zu können, ohne diesen Touch von “Die glaubt wohl sie hätte was besseres verdient” oder “Undankbares Miststück, die Rosenblatt” oder “Das Leben ist kein Ponyhof – deal with it” als Reaktion miterwarten zu müssen.

Denn: ja klar haben wir was Besseres erwartet. Warum sonst hat man uns denn jahrelang damit unter Druck gesetzt auszusteigen und angebotene Hilfen anzunehmen, wenn nicht dafür, dass es uns besser er_gehen soll? (Vielleicht eventuell etwa doch, weil man uns etwas glauben lassen wollte, damit wir etwas tun, was wir aus uns selbst heraus gar nicht getan hätten, wenn wir es nicht geglaubt hätten…?)

Sicher erscheinen wir undankbar, wenn wir sagen, dass es uns nicht reicht so zu leben, wie wir gerade gezwungen sind zu leben. Gerade dann, wenn man sich schwer tut uns zu glauben, dass unser Leben ein unfreies und trotz vieler Fortschritte nachwievor scheiße nochmal schmerz_volles ist. Obwohl wir nicht mehr ausgebeutet und konkret verletzt werden. Und, obwohl es Millionen von Menschen noch ganz viel schlechter geht.

Es ist die Parallele, die es so unaushaltbar macht.
Für mich, weil ich zwar nicht genau weiß, was wir konkret nicht mehr erleben, aber sehr wohl weiß, was es bedeutet, keine Familie, keine gänzlich bewusste Geschichte und keine strukturelle Einbettung zu haben.
Und für uns als Person, die sich in einen Kontext einzubinden versucht, der von Trennung dominiert ist.

In jedem Fall geben wir viel uns weg, strengen uns an, verzichten, nehmen uns Verantwortungen an, auf die andere ganz gezielt scheißen – und bleiben mit nichts weiter da stehen, als dem Wissen, dass wir damit zwar nicht allein, aber auch nicht in einer Masse gemeinsam sind, die genau das verändern kann.
Manche Aktivist_innen beschreiben genau das Gefühl mit dem Begriff “activist burn out”. Das “sich aufrauchen” an einer Herausforderung, die überfordern muss, weil sie weit über das Individuum hinausgeht.

Vielleicht will ich am Ende einfach nur nicht akzeptieren, dass das Leben in dieser Zeit, dieser Gesellschaft, diesem Lauf der Dinge nun einmal so ist und wir einfach reingefallen sind. Vielleicht will ich es am Ende doch aus ganz eigennützigen Gründen nicht akzeptieren, für so eine Scheiße so gelitten und verzichtet zu haben, aber bedeutet das denn zeitgleich, dass meine Bemühungen nie um etwas anderes als mich selbst gekreist sind?

Immer wieder muss ich an den Grabstein denken, von dem H. uns mal erzählt hatte. “Ihr Leben war Last und Müh’ “ hatte da drauf gestanden.
Sowas nicht zu wollen – nicht akzeptieren zu wollen, dass es eventuell sein kann, dass dieses ganze Gekämpfe niemals aufhört, ganz egal was man warum und für wen und für welches Ziel auch immer – Himmel ja das ist egoistisch hoch zehn. Aber ist das nicht auch eine Hoffnung, die man braucht, um neugierig auf das zu sein, was man stattdessen tun könnte?

Als wir uns damals gegen die Familie* und alles entschieden haben, dachten wir, wir könnten ja vielleicht irgendetwas anderes lernen. Irgendwas machen, was für andere hilfreich ist. Irgendwas erschaffen, was das, was danach kommt, zu einem guten Zeit_Raum macht. Sowohl für uns, als auch für andere. Weil wir ja nicht mehr allein sein würden. Weil wir ja nicht mehr so seltsam fern und fremd von dem sein würden, was uns umgibt.
Ich hatte mir das so gut ausgemalt.

Vielleicht zu gut?
Vielleicht hätte ich das nie machen sollen? Würde es dann heute weniger weh tun?

weiter_gehen

Es ist eine Frage des Atmens. Weil ich gegen den Strom atme und immer schön weiterknirschKRACHplapfschepperBÄNGsplitter…gehe, habe ich noch nicht geweint.
Weil die Welt doch so schön ist. Zum Niederknien und in der Luft zerfleddern schön. Reich. Voll.

Ich spare mir das Weinen auf, weil ich weiß, dass ich die Kraft, die es kostet mich in Tränen aufzulösen, noch brauche.
Für den Herztermin, einen Testtermin nächste Woche. Für zwei 4 Stunden Zugfahrten mit Hund. Für 4 themenintensive Arbeitsstunden in 6 Tagen.
Für die Foto- und Filmbearbeitung. Fürs nicht Loslassen. Fürs Aushalten dieses weiterkaputtgehens, ohne zu wissen wohin und wozu eigentlich.

Vielleicht geht man nur um zu gehen.
Ich weiß es nicht.

Unsere Therapeutin hat bald Urlaub und zum ersten Mal habe ich wirklich Angst davor den Sommer nicht zu überstehen, weil ich mir zu viel und zu wenig vorgenommen hab und nicht einmal weiß, ob ich irgendetwas davon wirklich schaffe.

Der Körper ist im Moment ein mitunter unaushaltbarer Ort, weil er auf vielen Ebenen als zu raumeinnehmend erlebt wird. Zum Einen, weil er seit Wochen, wenn nicht Monaten immer irgendwie irgendwo weh tut, versorgt werden will und doch dauernd den Dienst versagt und zum Anderen, weil die einzige Antwort, die mein Denken darauf hat, die MagersuchtBulimie ist, die nur auf der Verhaltensebene aktiv gedämpft werden kann.

Daneben rieselt es vom Inmitten bis zu mir, wie krass der Schmerz um soziale Verluste eigentlich ist und wie viel Untröstlichkeit um die Nichtlösung, die wir leben müssen. Es reicht nicht, dass sich weite Teile in ihrem Denken um die menschliche Natur bestätigt fühlen, es reicht nicht, dass andere Menschen uns in unserer Abgrenzung und Perspektive bestätigen, wenn ich doch eigentlich nur darauf warte auch mal positiv von Menschen überrascht zu werden.
Wenn ich eben doch darauf warte, dass das Telefon klingelt oder das Mailpostfach blinkt.

Da ist diese Versuchung loszulassen. Diesem Sog nachzugeben und einfach nicht zu denken. Mich eben nicht mehr an die Dinge zu erinnern, die ich machen willmusssollkannmöchte damit ich sie nicht aus Versehen dissoziiere. Da ist diese Idee, in den Zug nach Budapest zu steigen und einfach eine ganz wirklich Fremde unter Fremden zu sein. Ein Nichts. Ein Niemand. Ein ganz und gar richtig im Falschen und Unbekannten.
Und diese Hoffnung dann irgendwie okay weg zu sein.

Da ist der Wunsch nie ausgestiegen zu sein.
Da ist der Wunsch nie weggelaufen zu sein.
Da ist der verzweifelte Schrei ins Universum um 15 Jahre Fehlentscheidung.

Vielleicht lebt man nur, um zu leben.
Ich weiß es nicht.

der Zukunftskongress “Inklusion 2025”– ein Rückblick mit neuen Selbst.Ansichten

Ich könnte jetzt einen Artikel schreiben, der hübsch in ein kleines Kästchen passt: “vom 2. bis 3. Dezember fand der Zukunftskongress “Inklusion 2025” ausgerichtet von der “Aktion Mensch” in Berlin statt. Etwa 450 Personen trafen einander und diskutierten. Alles war toll.”

So bin ich aber nicht.
Und jetzt mag ich schreiben: “und genau das ist wichtig.”.

Mein Viel(e)-Sein ist okay. Nicht okay ist, dass es keinen üblichen Platz hat. Weder in der Gesellschaft ™ noch in den Strukturen, die diese Gesellschaft nutzt, um sich selbst zu organisieren.
In den Tagen des 2. und 3. Dezembers sind in mir so ziemliche alle Konflikte, die sich in den letzten Jahren rund um meine Hochbegabung, die DIS, die Gewalterfahrungen, die Lern- und Arbeitsk.r.ämpfe und auch meine Zukunftsängste immer wieder gebildet haben, einmal durchgerauscht.
Da waren Momente von Angst, von Ärger, von Verzweiflung, Hoffnung, Heilung, von Verstehen und Begreifen. Für ein Kästchen ist das zu viel. Ein Kästchen würde abschneiden. Ein weiteres Kästchen mit Informationen, die in jeder Zeitung und auch manchen anderen Webseiten und Blogs stehen, braucht diese Bewegung zu einer inklusiven Gesellschaft einfach auch nicht.

Ich werde nun also wieder ein rosenblattsches Megaepos schreiben. Raum einnehmen.
Nach den zwei Tagen und all den Begegnungen mit Menschen, von denen manche für Zeiteinheiten der Widmung bezahlt werden, hat sich meine Haltung zu negativen Äußerungen darüber noch einmal mehr verändert.
Zum Einen dahin, dass ich mich weniger für den Raum, den ich mit mir als Körper, Geist und Seele.n bilde, noch für den Raum, den ich genau damit – mit meinem Körper, meinem Denken, meinem Seele.n.-Sein – einnehme, entschuldigen will.
Ich habe gemerkt, dass mir die Kraft, die ich permanent für eine Entschuldigung meines Da.Seins aufbringe, fehlt, wenn ich respektvoll, nährend, warm, offen, freundlich, annehmend und einander haltend mit Menschen umgehen möchte. Außerdem habe ich gespürt, dass diese Entschuldigung, dieses mein so vielfach, so tiefgreifend eingewurzeltes Schuldgefühl für meine bloßes Existenz, für den Rest der Welt kontextlos erscheint.

// Ich kann es nicht anders tun, als ich es tue, deshalb tue ich es, wie ich es tue.
Und das ist okay. //

Zum Anderen will ich mich noch häufiger daran erinnern, dass Widmung passiert, wie Leben einfach so passiert.

// Es kommt wie es kommt, es ist wie es ist und es muss nie mehr sein, als das. //

Der Kongress beginnt für mich damit, meinen ersten: “Aaaaah – die kenn ich von YouTube!!!” – Moment zu haben, als ich erst Kübra und später auch Christian, die für die “junge Aktion Mensch” seit 3 Monaten Webshows moderieren, in denen sie jungen Menschen Inklusion vorleben möchten, treffe.
Ich mag nicht alles an der Sendung, bin aber mit meiner Behinderung und meinem Alter wohl auch einfach nicht mitgemeint.  Christian erzählte mir, dass sie vornehmlich versuchen Berührungsängste abzubauen und junge Menschen grundsätzlich erst einmal für das Thema “Miteinander” und “Gesellschaft” zu begeistern.
Warum das mit teils opferfeindlicher Sprache (wie in der aktuellen Webshow zum Thema Mut der Fall ist) und für Menschen mit seelischer Behinderung (die einfach bis heute immer wieder mit “Verrücktheit” gleichgesetzt wird) schmerzlichen Bemerkungen, passieren muss, scheint daran zu liegen, dass “man einfach nicht alles rausnehmen und ja auch nicht mit dem Zeigefinger kommen kann”.

// Autsch.
Darf man Tipps und Ideen einreichen, wie der Zeigefinger ausbleibt und trotzdem solche Wörter und Phrasen nicht mehr vorkommen?//

Dann gibt es bis zur Eröffnung viel Kaffee und das erste Gespräch mit einem Menschen, der Unternehmen darin unterstützt, sich mit der Thematik der Teilhabe von Menschen mit Behinderung auseinanderzusetzen. Sehr spannend und erfreulich. Ich dachte, es gäbe gar niemanden, der das an genau dieser Schnittstelle tut.

// Davon sollten mehr Menschen (und Unternehmen) erfahren. //
In meinem Kopf lege ich einen Faden aus und binde ihm den Menschen an den Schnürsenkel.

Nach der Eröffnung: Professor Jonathan Kaufmann, Denker und Berater in den USA.
Er beginnt damit, dass er seine Behinderung als Geschenk oder auch Gabe empfindet und diese ihm eine ganz einzigartige Perspektive bietet. Er beschreibt, was für ein Potenzial im Leben mit Behinderung läge und wie außergewöhnlich das sei.
Und irgendwann hören seine Worte auf in mir und auf meinen ganzen hochpotenten und doch wertlosen Ichs herumzutrampeln. Nicht, weil sie in ihrem “Yeay – Kapitalismus geht für alle Menschen!” aufhören, sondern, weil ich anfange seine Perspektive stehen zu lassen.

// Ich lasse sie stehen. Unterstütze sie nicht. Ich lasse diese Perspektive einfach nur stehen.
Vielleicht im Geldregen. Aber allein. Für sich. //

Nach ihm spricht Professorin Elisabeth Wacker (TU München Diversitätssoziologie – you why i loved her?! ^^) , die viele gute Sätze formulierte als sie ein “Kursbuch Inklusion” aufbaute.
Sie beschreibt Inklusion als Ziel einer Reise und mir fiel zum ersten Mal auf, dass ich ein Wort falsch benutze.

// Inklusion sollte kein Verb haben. Inklusion wird gelebt – nicht “gemacht”. //

Die “interaktive Kurzpause”, von der ich annahm, sie hätte etwas damit zu tun, das man sich in der Warteschlange vor der Toilette unterhält, bis es weitergeht, füllte die Theaterwerkstatt Bethel mit der Darbietung der “Be.Bots”. Es spielten Menschen mit Behinderungen mit und das hat mir gut gefallen. Was sie dort gespielt haben, hat mir nicht gefallen. Vielleicht, weil ich den Witz nicht verstanden habe.

//Menschenausstellungen. Keine Pointe.
Oder doch? //

Und dann ploppten die Flügel meines Gehirns durch meine Schädeldecke und flirrten in dem großen viereckigen Saal umher, an dessen Decke blaue und grüne Sterne geleuchtet wurden.
Ich dachte an die “
Traumdisco” in Berlin und daran, dass der demographische Wandel, von dem vorne auf der Bühne die Rede war, nicht der demographische Wandel ist, der mich beschäftigt.

// Wer wird sich 2025 kümmern, weil er sich kümmert und eben nicht, weil er dafür bezahlt wird?//

Es gibt Mittagessen und es guckt mich komisch an.
Natürlich.
Es ist gelb und scharf, ist durcheinander gewürfelt und heißt trotzdem nicht “Salat” oder “Müsli”.
Der Salat war kein Salat sondern “Essen das komisch guckt und “Salat” heißt, weil es jemand dran geschrieben hat”. Ich hapse, drücke und schlucke so schnell es geht.
An meinem Tisch sitzen Menschen, die einen Film machen möchten.
Sie fanden “
Gold – du kannst mehr, als du denkst” ganz prima.

//Ich schlucke auch alles, was ich zu dem Film noch sagen möchte, direkt mit einem Puppentässchen Kaffee herunter.
Übrig bleiben viele gute Wünsche für ein Gelingen und Erfolg.
Ich weiß, wie viel Arbeit “Filme machen” bedeutet.//

Nach einer inhaltlichen Einführung geht es in die Themenpanels.
Ich habe mir das Panel “Gesellschaftliche Entwicklung und soziale Verantwortung” ausgesucht und twittere, was ich noch twittern kann, bevor mein Handy mit einem letzten Aufbegehren des Vibrationsalarms den Akkutod stirbt.
Um von mir tot Geglaubtes, geht es auch im Panel. Jeannette Gusko von
Change.org gab einen kurzen Input über das Potenzial von Onlinepetitionen als Bestandteil von Öffentlichkeitskampagnen.
Laut ihren Erfahrungen gibt es nachwievor die Chance über eine Petition auch zu erreichen, was man erreichen möchte. Allerdings nur, wenn daneben noch jede Menge andere Vernetzung und Unterstützung von Verbündeten steht.

// Ich denke an die #idpet und daran, dass die CDU unser Land quasi im Alleingang regiert.
Und schlucke erneut.
Mit Stellvertreter_Innen “neutraler” Plattformen kann man nicht politisch diskutieren. Neutralität ist apolitisch.//

Der Philosoph, Künstler und Kurator Günther Friesinger aus Wien, trägt eine schwarze Kapuzenjacke und ich kann ihn leider nicht fragen, ob er zufällig auch Twitterer ist. ^^
Er versucht und das Internet begreiflich zu machen, indem er uns alle Daumencatchen lässt und dabei miteinander verbindet.

//LOL//

Theoretischer wird es dann wieder mit der Vorstellung der explorativen Studie, die Professorin Dr. Berit Sandberg mit ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter_In vorstellt.
Es geht um die Motivation zu ehrenamtlichem Engagement von Menschen mit Behinderungen. Größte Faktoren: Arbeitslosigkeit und der Wunsch, der Gesellschaft etwas (zurück)zugeben.

// Ich erinnere mich an die “Plattform Inklusion” meiner Stadt und die scheelen Blicke, die mit meiner Nachfrage einhergingen, ob Ehrenämter als die Jobs der Zukunft für Menschen mit Behinderungen betrachtet werden. Aushilfen, die freiwillig und unentgeltlich tun, was sonst vom Jobcenter geschickte Minijobber tun – ja kann denn ein Unternehmerherzchen davor zurückschrecken?//

Studien wie diese sind wichtig.
Ich wünsche der Professorin, dass sie es schafft eine größere Studie zu dem Thema auf die Beine zu stellen.
Sie könnte dazu beitragen, das Vorurteil von einzig betüddelten Menschen mit Behinderungen zu brechen und in ein Bild von auch aktiven Menschen, die mit einer Behinderung leben zu verwandeln.

// Wenn sie es aus dem ewigen Kreislauf im Elfenbeinturm “Wissenschaft” herausschafft.//

In Erinnerung bleibt (weil mit ganzen vielen Geistesherzchen überschüttet) mir auch Dr. Mark Terkessidis, von dem ich nicht einen Satz behalten habe – aber alle Energie, die er in seine Sicht des Themas brachte.

//Geistesherzchen Geistesherzchen Geistesherzchen //

Am Abend treffe ich einen Menschen vom Verein “Menschen helfen Menschen in und um Berlin e.V.” welcher komplett ohne öffentliche Zuschüsse arbeitet und sich nur mit Spenden und ehrenamtlichen Helfer_Innen hält. Die Liste der Tätigkeiten dieses Vereins im Flyer hat mich umgehauen.
Wenn ihr noch ein klitzekleines Scherflein zum Spenden habt – da ist es gut aufgehoben.

//Werden wir es schaffen unser Nachwachshaus* aufzubauen und genauso hartnäckig bei der Sache bleiben können?//

Ich lasse mich von dem Berliner Abend zurück zu meinem Schlafplatz schieben.
Zweifel schlagen über meinem Kopf zusammen und alles Runtergeschluckte drückt sich an meinen Augäpfeln vorbei nach draußen.

Ich kann zu selten sagen, dass mich die Unsichtbarkeit meiner Behinderung als solche bewegt. Ich kann zu selten sagen, dass es mich stört, wie oft apolitisch und vertreter_Innenzentriert Diskussionen zum Thema Inklusion und Teilhabe aller Menschen funktionieren. Ich muss meine Abhängigkeit von anderen Menschen zu oft als Hilfebedürftigkeit bezeichnen. Ich bekomme öfter zu hören, ich müsse mich bewegen und etwas tun, als Fragen danach, wie meine Bewegungen und Projekte unterstützt werden könnten, damit sie überhaupt als solche bemerkt werden. Man kann keine Prothese an mich klemmen. Dass ich viele geworden bin, ist die Prothese, die zu entwickeln ich gezwungen war. Man kann mich nicht mehr gebrauchen und verwerten. Inmitten der Realität, in der wir uns heute befinden, ist meine Behinderung weder Sprungbrett für tolle Perspektiven, noch ist die Tatsache eine Person, die mit einer Behinderung lebt zu sein eine Qualifikation.
Was heute zählt, sind Entwicklungsmöglichkeiten, die sich mit kapitalistischen Strukturen vereinbaren lassen. Vielarmige Krausköpfe wie meiner, die obendrauf nicht einmal kontinuierlich an sind, weil so ziemlich alle Schrauben locker sind, die sind vielleicht noch als Objekte wichtig, wenn es um Lückenforschung geht.

// Wie wichtig Lücken sind, merkt man heute nur noch wenn die Leertaste am MacBook spinnt oder man einen Parkplatz in der Innenstadt sucht//

Ich weine und ekle mich vor dem Geräusch, das mir dabei aus dem Mund kommt.
Ich kann niemanden anrufen. Es ist ja schon alles gesagt. Ich sage seit Jahren kaum etwas anderes als das, was ich jetzt sagen würde. Es würde mich trösten, läge eine Hand auf meiner und sagte jemand: “Es gibt ein Morgen.” und es würde mich zerfetzen, läge eine Hand auf meiner, während mir jemand sagt: “Es gibt ein Morgen.”.
Als ich in die Nacht spüre, höre ich hinter mir Federn rascheln.
Etwas streichelt mein Herz in den Schlaf.

Am Morgen dusche ich die Trümmer des Abends von mir und zeichne kleine Dankegrüße.
Ich gehe mit neuer Kraft in den zweiten Tag des Kongresses. Jeder Schritt von mir zieht ein zartes Federstreichen nach sich.

Wir hören Anja Förster, die querdenken als Business betreibt. Sie erzählt von Fehlern, vor denen Angst zu haben Kraft raubt und die Geschichte von den Blumen in der Wüste, die bestimmte Bedingungen brauchen um zu blühen. Kennen wir schon aus dem schönen Mixtape von KapuzenAuf.

// Warum müssen es eigentlich immer die Blumen sein, die in der Story als lohnenswert erscheinen? Die Fähigkeit lange in der Erde ruhen zu können, ohne seine Potenz zu verlieren, ist ebenfalls ziemlich cool. Kakteen sind verdammt cool. Wüsten sind wichtige Bestandteile unserer Natur. Wüsten als Orte [Räume], sind Konsequenzen aus Folgen von Anpassungen an Gegebenheiten.//

Dinge anders machen zu wollen, finde ich aber gut. Schade, dass es mit dem bewährten “Motivations- Trau dich mal” einher gehen muss, bei einer Veranstaltung, die zu besuchen für viele Personen aus ganz unterschiedlichen Gründen, schon mit sehr viel “Trau dich mal” verbunden ist.
Aber wer weiß, vielleicht war dieser Input ja bei irgendjemandem das Quäntchen Wasser, das gebraucht wurde.

Und dann kam eine “steife Brise” auf – das Improvisationstheater “Steife Brise” um genau zu sein.
Ich kann nicht gut beschreiben, was sie gespielt haben – nur so viel: es hatte damit zu tun, dass das Publikum Wörter einbrachte, die in eine Szene eingeflossen sind und am Ende gab es “Weini” den Weihnachtsmann, der seine Frau an den Metzger verloren hatte und “Stefan”, den Elfen.

//so cool – einfach loslegen und spontane Ideen umsetzen – Fehler sind erlaubt//

Für den zweiten Tag habe ich das Themenpanel “Bildungschancen und Lebensweggestaltung” gewählt und twittere, so viel ich kann.

Dr. Siegfried Saerberg erzählt von der Kunstausstellung “artblind”, die von ihm für den Verein Blinde und Kunst e. V kuratiert wurde. Künstler_Innen, die mit Sehbehinderungen oder Blindheit leben, erfreuen mich. Meine Kunst war bisher eher etwas, das ich jetzt viel mache, weil ich nicht, weiß, wie sich die Funktion meines linken Auges im Alter auswirken wird. Ich profitiere bereits jetzt sehr von digitalen Möglichkeiten der Gestaltung, wenn es um Nachbesserungen oder Arbeiten mit bestimmen Mitteln geht. Aber die Haptik von Materialien ist für mich auch wichtig. Es hat mich ermutigt, zu hören, dass es Menschen gibt, die ihre Kunst nicht nur auf die visuelle Wahrnehmung auslegend machen und dann auch ausstellen.
Wir hören eine Audio Transkription zu einem Bild und werden darüber mit zwei Bildern beschenkt. Das eine entsteht beim Zuhören, das andere beim Sehen. Beides zusammen vermischt sich zu einem runden Subjekt (ja- nicht: Objekt, wie das sonst gerne bei Kunst passiert) in mir drin. Unter der Bildbeschreibung ist Musik, am Ende gibt es Worte zur Aussage des Bildes vom Künstler selbst.

//Schön, dass wir Zeit haben, um uns zu widmen.//

Es spricht Jun. – Prof. Dr. Ingo Bosse über die Medialisierung des Lernens und welche Probleme sich dabei zeigen. Es fehlen ordentliche Lehrmittel und Ausbildungen zum Lehren der Nutzung dieser Mittel.
Ich denke an Dr. Terkessidis und die Parallelwelten, die Rasse, Klasse und Alter voneinander wegspalten.
Ich denke an die Person, die mir im März bei der Tagung “Wir sind Viele” sagte: “Hoffentlich reichen meine technischen Fähigkeiten, Ihr Blog im Internet zu finden.”.
Ich denke daran, dass viele Unternehmer_Innen Facebook für das Internet halten, sich anmelden, Gelder in die Plattform bringen und die Nutzung für Non-Profit oder gemeinnützige Unternehmen und Privatpersonen ad absurdum führen.

//Facebook wird im nächsten Jahr auch ausgeloggte Nutzer_Innen in ihrem Surfverhalten ausspionieren.//

Um Mediennutzung und Einbindung in den Unterricht geht es im Vortrag von Norbert Schröder, der in seiner Schule Jugendliche, die mit körperlichen und Lernbehinderungen leben, unterrichtet. Sie machen Videotutorials zur Nutzung der Gerätschaften, die sie in ihrer Ausbildung verwenden und erstellen so quasi die Lehrmittel der nachkommenden Schüler_Innen – die wiederum die Lehrmittel der vorhergehenden Schüler_Innengeneration überarbeiten oder verbessern.
Eine Idee, die in ihrer Umsetzung mit einem Video gezeigt wurde, das sehr professionell wirkte und komplett von den Schüler_Innen selbst gemacht wurde.

Es folgen Worte von Prof. Dr. Olaf Burow zur Erkennung und Förderung individueller Potenziale, die in der Folge vom Journalist Erik Albrecht in einen Kontext mit Bildung als Lebensbausatzelement erneut auftauchen und von Prof. Dr. Hinz und Ines Boban (tolle Menschen! da flogen wieder Geistesherzchen- beide sitzen im Institut für Rehabilitationspädagogik der Universität Halle-Wittenberg) in einen Kontext des hinterfragbar kapitalistischen Wertes “Bildung” und “Entwicklung” gestellt werden.
Für mich entsteht ein angenehmes Knäul aus losen Fäden, festen Strängen und Mustern, die in der darauf folgenden Diskussion noch ergänzt werden.

// Unser sogenanntes Informationszeitalter instrumentalisiert Bildung vom Begreifen weg. Es wird weniger gelernt, als gebildet. Unsere Bildungssysteme führen zu Abzieh.Bildern, die wir in unsere Stickeralben kleben. Wer das schönste Album vorzeigt, bekommt die Möglichkeit weitere Sticker zu erwerben, um am Ende, das unvorhersehbar, unsicher und von wirtschaftlichem Denken und Taktieren Dritter abhängig ist, ein Einkommen zu haben. Das nicht sicher ist.
Nichts ist sicher und deshalb wünscht man sich eine “Kultur des Vertrauens”. Wir, ich bin Teil der Generation Y. Um mich herum, hätte die Welt schon zwei Mal massiv zerstört werden können. Tschernobyl, Fukushima. Es gab und gibt so viele Kriege und sie kommen alle zunehmend unausweichlich nah, denn jeder Monitor wird zum Fenster in die Nachbarschaft von Menschen, die mit dem Grauen Tür an Tür, oder Hütte an Zelt leben müssen.
Ich denke an transgenerationale und durch unsere technischen Möglichkeiten auch transnationale oder vielleicht besser gesagt: transmediale (Psycho)Traumatisierungen und daran, dass niemand Vertrauen von Menschen lernen kann, die in einer Zeit aufwachsen, in der nichts und niemand wirklich bedingungslos vertrauenswürdig ist, weil einfach nichts und niemand so sicher und kontinuierlich ist, wie der Lauf der Dinge selbst.
Ich sage zum ersten Mal in meinem Leben: “Ich bin hochbegabt – leider.”, vor anderen Menschen und bringe mein Bildungsdrama in einen Kontext von Klasse, als Diskriminierungsachse. Am Ende traue ich mich, meinen Wunsch nach stärkerer Etablierung der Langeweile als Quelle von Kreativität und Sozialität zu äußern.
Ich bin stolz auf mich und spüre, dass meine Worte auch willkommen sind. Es fühlt sich so unfassbar großartig an. //

Das Mittagessen guckt nicht komisch. Es gibt Tomatensuppe, rote Grütze mit Vanillesoße und klitzekleine Süßigkeiten. Der Cateringservice “Lebenswelten” ist übrigens integrativ – es arbeiten auch Menschen mit Behinderung dort. Ich führe wieder ein interessantes Tischgespräch und lerne später eine Mitbegründerin des Vereins “Wild:lachs für alle e.V.” kennen.

//Eine Mutwelle in Richtung Nachwachshaus*//

und dann treffe ich Mareice Kaiser und Raul Krauthausen.
Sie sitzt neben mir im Publikum und wir klatschen Raul auf der Bühne zu, der in der Talkrunde “Inklusion 2025 – Realistisches Gesellschaftsmodell oder Utopie?”, direkt mit wichtigen Punkten
loslegt.
Er sagt: “Überhaupt schon Utopie in dem Kontext Inklusion zu erwähnen, öffnet zu viel Platz für Bedenkenträger.”.
Raul wird als einzige Person geduzt und das ärgert mich. Er hat doch einen schönen Nachnamen, wie alle anderen auf dem Podium auch.

//Inklusion ist das Ergebnis einer emanzipatorischen Bewegung. Emanzipatorische Bewegungen sind wichtig. Man erreicht sie nicht mit Quoten – schon gar nicht mit Quoten wie einer von 30% für Frauen.
Dass diese Emanzipation schwierig ist, wenn Unternehmen und Politik erst auf Druck handeln, und immer wieder mit Optionenhonig um die Vorstand- und Vertreteregos gelockt werden müssen, was wiederum getan wird, weil Abhängigkeiten zu Hilfebedarf umbenannt werden, ist nach dieser Veranstaltung für mich sehr deutlich geworden.

Natürlich können Unternehmer_Innen ihr Konzept nicht von jetzt auf gleich umstellen. “Never touch a running system” – ist in der Wirtschaftslage, die wir nun einmal jetzt haben, wichtig und es doch anzutouchen ist mit einem Mut und einem Grad an Etablierung innerhalb von Systemen von bestimmten rassischen, klassistischen, age-istischen, sexistischen und vielen anderen *istischen Achsen, verbunden, das nicht alle Unternehmen vorweisen können und/oder auch nicht bewusst haben.
Seit dem Zukunftsdialog 2012 habe ich bereits mit verschiedenen Menschen, die aus Unternehmen jeder Schicht kommen, gesprochen und oft – sehr oft – fehlt tatsächlich ein Bewusstsein nach unten, weil der Fokus immer wieder auf dem Bewusstsein und den Vergleich nach oben liegt. Liegen muss, weil ein Überleben daran hängt. Es gibt diese Überlebensmuster auf jeder Ebene und ich erlebe es als wichtig, sie anzuerkennen, bevor kritische Forderungen gestellt werden, die mit Druck einhergehen.
Trotzdem bin ich natürlich nicht objektiv und immer wieder wütend, wie vor sehr großen Unternehmen seit Jahren argumentiert wird, dass Menschen, die mit Behinderungen leben, ein Gewinn seien. Dass es sich wirtschaftlich lohnt oder lohnen muss – je nach Argumentationsstandpunkt – auch Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben teilhaben zu lassen oder auch: Menschen in ihrem Arbeitsleben und Er.Schaffen nicht zu behindern. Es widert mich an.
Es triggert Erinnern in mir an, weil ich schon so oft gekauft wurde. Es macht und hält mich “psychisch krank”, weil ich als Mensch mit diversen Eigenschaften nie ohne Verwertungslogik zu folgen betrachtet werde, wenn es darum geht, was von mir kommt. Ich kann das immer wieder in mir aufkommende Bild von Sklavenmärkten und Menschenausstellungen nicht unterdrücken. Ich komme nicht dagegen an, immer wieder an Menschenhandel zu denken.

Viele technische Neuerungen kommen auf den Markt, wie die “Lorm Hand”, die es Menschen mit Seh – und Hörbehinderung ermöglicht, auch digital zu kommunizieren. Unsere rasend schnelle technische Entwicklung wird uns greifbar und im direkten Erleben des Alltags in der Zukunft emanzipieren – von anderen Menschen. Deren direkte physische Präsenz wird dann nämlich nicht mehr wie heute gebraucht. Gleichzeitig müssen diese Hilfsmittel produziert und erdacht werden. Warum es noch so viel Argumentation “Pro Teilhabe” genau daran geben muss – warum Menschen ihre altunwürdigen Denkmuster aus Ökonomie und “hat sich schon immer™ so bewährt” nicht verlassen und erst vom Querdenken überzeugt werden müssen, ist mir unverständlich.
Vielleicht habe ich zu viele Visionen.  Vielleicht hören aber auch noch einfach viel zu viele Menschen Sätze wie: “mit Visionen macht man keine Politik” und erleben es zu selten, wie darauf jemand antwortet “Aber ohne Vision, keine Mission”, wie es Raul Krauthausen tat.

Vielleicht ist es aber doch genau diese meine Sicht, die Professor Kaufmann zu Beginn der Veranstaltung meinte, als er sagte: “das Leben mit einer Behinderung bietet andere Perspektiven”.
Meine Gewalterfahrungen haben mich in einer Art zur Anpassung gezwungen, wie sie nicht vielen Menschen passiert. Die Art, wie ich die Welt und ihre Akteure wahrnehme, in mir verarbeite und mit ihnen interagiere folgt keinem Muster, das einen Bonus zur Folge hat.
Ich lebe, dass ich lebe.
Ich tue, dass ich tue.

und, dass das so ist und, dass es okay ist, dass es so ist; dass ich nicht jeden K.r.ampf ums Mehr und Besser mitmachen muss, um mir wünschen zu dürfen mit anderen Menschen warm, offen, freundlich, respektvoll, nährend und einander haltend in Kontakt zu sein,

das habe ich so bewusst, wie auf der Fahrt nach Hause durch das Dezemberdunkel noch nie gehabt.//

Vielen Dank an die Aktion Mensch, die mir mit ihrer Blogparade zu einem Kongressticket verhalf, der Mädchenmannschaft e.V. , der Redaktion von „Weird„, meinen sichtbaren, wie unsichtbaren Patroni und Gemögten, die mir alle zusammen diesen Artikel ermöglicht haben. Ohne euch hätte es nicht geklappt- vielen vielen Dank!

von „Sybil“ und antiquierten Zweifeln

Wenn ich solche Tage habe wie vorgestern, wachsen nicht nur Krätzpickel auf meinen Gedanken. Auch die Zweifel an mir und allem was mich umgibt wachsen.

Irgendwann klopfen auch die Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose- an der Idee der strukturellen Dissoziation als Folge schwerer Traumatisierungen- an. Ich spüre die BÄÄÄMs und die MittelBÄÄÄMs mehr, die Wünsche, dass alles ein riesiger Irrtum ist. Meine Geschichte auf irrer Einschätzung eines von Natur auf falsch funktionierenden Gehirns beruht, auf die einige meiner Therapeutinnen hereingefallen sind, weil sie mir geglaubt haben. Glauben mussten, weil sie in ihrer Freizeit nicht Agatha Christie spielen dürfen/ können/ wollen.

Vorgestern habe ich dann doch mal wieder „False Memory“ gegoogelt. Foren angeguckt, in denen Menschen davon berichten fälschlich der (sexuellen) Misshandlung angeklagt worden und einer (feministischen) Großverschwörung zum Opfer gefallen zu sein.
Irgendwann landete ich bei folgendem Video:

Ich habe letztes Jahr die Neuverfilmung von „Sybil“ gesehen und auch hier kommentiert.
Ich habe sogar das Buch „Sybil“ im Bücherregal stehen und gelesen. Damals hatte ich es als historischen Beleg für die Wahrnehmung der Frau* als „psychisch krank“ gelesen. Nicht bzw. nur am Rande, als ein Buch, in dem es um „eine multiple Persönlichkeit“ geht.

Mir war beim Lesen von Anfang an klar, dass die Traumaforschung und vor allem das Verständnis der menschlichen Psyche zur Zeit der Buchveröffentlichung und auch der psychiatrischen Behandlung „Sybils“ damals eine andere war, als heute.

Ich möchte im Folgenden das Video kommentieren. Dabei verwende ich das Wort „Frau“ und meine das soziale Geschlecht, der als biologisch weiblich gelabelten Menschen. Biologisch männliche Menschen mit dissoziativer Identitätsstruktur schließe ich hier vermutlich leider aus, wie es bis heute oft passiert, weil der in Prävalenzstudien erfasste Anteil der biologisch männlich Menschen mit DIS, sehr gering ist (auf einen männlichen Menschen kommen, nach meiner letzten Information, 7 weibliche Menschen mit dieser Diagnose).
Dies bitte ich zu entschuldigen und nicht als Versuch zu sehen, biologisch männliche Menschen mit DIS unsichtbar zu machen. Inoffizielle Zahlen gehen von einem höherem Anteil aus, sind aber nicht in Zahlen belegbar, weil sich männliche Menschen eher weniger oft in Psychotherapie begeben als weibliche- ein Umstand auf den ich später noch zu sprechen komme.

Debbie Nathan ist Journalistin- keine Psychiaterin oder Psychotherapeutin. Moderne Traumaforschung liegt ihr offenbar fern, offensichtlich genauso fern, wie die Reflektion ihrer eigenen Sexismen (was meint ein Bewusstsein über die frauen*verachtenden Wurzeln ihrer Überzeugungen).

Was ihr in den ersten Minuten gut gelingt, ist auf die Dramaturgie des Films und auch des Buchs hinzuweisen. Das ist etwas, das mir selbst auch aufgefallen war. Die „Story Sybil“ ist sehr einfach gestrickt: schlimme Geschichte macht Frau krank, sie erinnert sich erst nicht, dann doch und schwupp ist sie geheilt. So wird verkauft- aber keine Lebensrealität transportiert.

Die Rednerin unterlässt den Schluss zu einen fundamentalen Faktor, der ebenfalls zu Interesse an der „Story“ führt: eigene Identifikation bzw. Betroffenheit. So weißt sie darauf hin, dass der Film von einem Fünftel der amerikanischen Bevölkerung geschaut wurde, als wolle sie von einer Massenimpfung und nicht einem Informations- oder Kontaktbedürfnis mit dem Thema „Weiblichkeit/ Frausein und Gewalt“ sprechen. Einem Thema, dass in den 70 er Jahren „auf dem Tisch“ war- vornehmlich in feministisch orientierten Kreisen bzw. durch selbige (mit-) verursacht, in der breiteren Öffentlichkeit.

Dann kommt sie auf Shirley Mason zu sprechen, die Person, die später zu „Sybil“ wurde.
Sie sagt, sie hätte keine Hinweise darauf gefunden, dass Shirley als Kind die Symptomatik einer DIS hatte.
In Hinblick auf die DIS als funktionell sichernden Mechanismus erscheint das logisch. In meinen Büchern zum Thema „Trauma und Dissoziation“ wird die „Störung“ erst dann zur „Störung“, wenn die Struktur der Dissoziation dysfunktional ist. Das heißt, dass, bis zu dem Zeitpunkt, in dem das lebensstrukturgebundene Dissoziieren als notwendig eingeordnet wird, auch keine Störung durch selbige wahrgenommen werden. Weder von den Menschen selbst, noch von außen.
Da sich dieses Dissoziationsmuster gerade in der frühen Kindheit entwickelt bzw. genutzt wird, gehe ich persönlich also davon aus, dass in Shirleys Fall, sollte sie multipel gewesen sein, ergo auch keine Symptomatik wahrnehmbar gewesen sein kann.

Frau Nathan gibt auch an, dass sie keine Belege dafür gefunden habe, dass die Mutter Shirleys jemals schizophren oder psychotisch gewesen sei. Etwas, dass mich in Anbetracht der (brutalen) psychiatrischen Versorgung und der Stigmatisierung von psychischer Krankheit, gerade bei Frauen, zu der Zeit, ebenfalls nicht groß wundert.
Ebenso spricht auch die religiöse Lebensweise der Familie nicht dafür, dass überhaupt eine Offenheit für die Notwendigkeit einer professionellen Behandlung durch die Medizin vorlag. Sie waren Adventisten. Eine sektuöse Glaubensgemeinschaft, deren Lebensweise auf ein jederzeit eintretendes Armageddon ausgerichtet ist. Wie nah mag da der Schluss: „Nun ja- sie ist verrückt, aber G’tt hat sie so erschaffen und so wird er sie auch mitnehmen- wozu noch zum Arzt und verändern?“ liegen?

Sehr wohl spricht die abgeschlossene Lebensweise und auch die geistige Doktrin, die individuelle Neigungen im Bereich des Schöpferischen unterdrückt und ablehnt, für einen Nährboden von Gewalt an der Psyche an Menschen. Gerade bei Menschen, die so der Kunst zugeneigt sind wie Shirley. Frau Nathan bezeichnet ihre Lage mit „She was a troubled child“ und erhebt sich so über das subjektive Erleben des damaligen Kindes.

Dann kommt sie auf einen umfassenden Themenbereich: Hysterie
Beziehungsweise: die hysterische Frau, die „nur mal ordentlich durchgevögelt werden muss, damit sie wieder klar im Kopf ist“- Na? Welche (feministische) Bloggerin fühlt sich gerade an diverse Kommentare und Hassmails erinnert?
Sie beschreibt in dem Film einigermaßen vollständig, wie die Ideen und auch die psychiatrische Begegnung mit dem Cluster ausgesehen haben. Lässt aber hier einen wichtigen Faktor aus: die Ursachen für das, was früher als Hysterie im Kontext der Psychiatrie und Krankheitsverständnis bezeichnet wurde.

So kommt sie darauf zu sprechen, dass „Hysterikerinnen“ unter Verdacht standen immer wieder zu tun, was (vermeintlich) von ihnen erwartet wurde und von einer erhöhten Empfänglichkeit für Suggestionen gesprochen wurde. Heute würde man von „Anpassung/Unterwerfung vor einer (subjektiv empfundenen) Dominanz sprechen.

Dann beginnt sie eine thematische Schleife und beschreibt die Psychiaterin C. Wilbur (Shirleys Behandlerin) als eine Frau auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, das ihr als Frau in einer von Männern dominierten Welt, einen Karriereschub im ersten und einen Egostreichler im Weiteren zusichert.

Das mag sein und kommt bis heute immer wieder vor, denn a) sind Frauen bis heute seltener in Führungspositionen als Männer und haben es schwerer, zum Beispiel in ihrer (Forschungs-) Arbeit, anerkannt zu werden (auch und vor allem, wenn es um Themenbereiche geht, die eine Relevanz für Frauen haben) und b) weil MedizinerInnen und (Psycho-) TherapeutInnen nun einmal Menschen sind. Menschen mit Ego, das ab und an hungrig ist.

[Es regt mich übrigens auf, mit was für einer Attitüde die Sprecherin das Video darbietet, auf dem zwei Mädchen offenbar dabei gefilmt werden, wie sie sich ihrem Arzt unterwerfen. Ganz offensichtlich hat sie kein bis wenig Gespür dafür, dass es sich um eine Form von dokumentierter Gewaltanwendung handelt.]

In Minute 14 erwähnt sie, dass Shirley Mason von Dr. Wilbur ein Buch über Dissoziation empfohlen bekommen habe, was diese als Anleitung zum „Multipel spielen“ benutzt haben soll. Hier legt sie also den Schluss nahe, Shirley habe zu diesem Zeitpunkt bereits die implizierte Anforderung ihrer späteren Behandlerin vorgelegt bekommen, die sie später dann „vorführt“.

Ich habe mal durch die Bücher, die ich hier von anderen Menschen mit DIS stehen habe, geblättert und überlegt, ob man sich daraus eine Anleitung zum „multipel spielen“ basteln kann.
Fazit: Kann man durchaus. Einer echten Diagnostik würde dies aber nicht standhalten können, denke ich. Schon gar nicht über längeren Zeitraum.

In der Zeit zu der Dr. Wilbur und Shirley Mason aufeinander trafen, gab es aber noch nicht den gleichen Forschungsstand und entsprechend ausgelegte Diagnostikinstrumente, wie heute.
Es kann also durchaus sein, dass die Auskleidung der Grundproblematik Shirleys in Form von „multipel spielen“ um einer Behandlerin zu gefallen, passiert ist.

Debbie Nathan selbst schmückt den damaligen Behandlungsstandart und Wissensstand der Nachkriegszeit aus, indem sie auf die gerade frisch populär gewordene Psychoanalyse und Drogen als Allheilmittel eingeht.
„Psyche“ war „in“- die Ursache für zum Beispiel „Hysterie“, geschweige denn die wahre Verbindung zu posttraumatisch bedingter Symptomatik (in Form von somatoformer Dissoziation, die damals- wie von der Rednerin selbst noch immer- als „hysterische Lähmung/Blindheit/Taubheit/Anfallsleiden“ bezeichnet wurden), hingegen nicht.

Posttraumatischer Stress von Soldaten nach dem zweiten Weltkrieg, war nicht etwa ein Problem, weil eine ganze Generation von Männern plötzlich pflegebedürftig, seelisch und körperlich verkrüppelt war, sondern, weil sie sich plötzlich „weibisch“/ „weiblich hysterisch“ verhielten!
Das ist bis heute ein Problem auf das männliche Menschen, meiner Meinung nach, zu Recht sagen können, dass auch sie unter Sexismus leiden.
Seelische Zustände, die auf das weibliche Geschlecht limitiert sind, dürfen Männern nicht passieren, weil sie sonst „keine echten Männer“ mehr und ergo genauso schwach/wertlos wie Frauen sind. Weil dies mit einem massiven Verlust von Macht/ Einfluss einher geht, haben sie in ihrer Rolle zu bleiben und nehmen dadurch Schaden. Was aber bis heute nicht dazu geführt hat Weiblichkeit oder mit Weiblichkeit Assoziiertes vielleicht mal weniger zu entwerten.

Dies und auch die Existenz dieses Sexismus in den Köpfen vieler Menschen in psychiatrisch/medizinischen Bereichen, sorgt dafür, dass es Männern weniger leicht fällt, sich in, zum Beispiel, psychotherapeutische Hände zu begeben und dort auch korrekt diagnostiziert zu werden. Die Schwelle zur Hilfe nach traumatischen Erlebnissen ist für männliche Menschen enorm hoch- nicht aber ausschließlich, weil es zu wenig Hilfen gibt, sondern weil diese Hilfe auf der gesellschaftlichen Ebene auf (vornehmlich weibliche) Schwäche/ Irre/ „Krankheit“ limitiert ist.

Die Ursache für Symptome außerhalb der PatientInnen zu suchen, ist erst seit wenigen Jahren „im Kommen“ nachdem sich die Rollenbilder der Männer und Frauen (im Schneckentempo zwar) verändern und zwar vollkommener, als zu der Zeit in der Shirley Mason und Dr. Wilbur miteinander arbeiteten.
In dieser Hinsicht finde ich den Ausflug in die Werbung der damaligen Alltagsdrogen („Mothers little helpers“), den die Sprecherin des Vortrages macht, ganz sinnvoll.

Debbie Nathan beschreibt die (aus heutiger Sicht) katastrophale psychotherapeutische Behandlung von Shirley. Sie bekam Drogen, Elektroshocks und wurde auch hypnotisiert, um ihren Problemen auf den Grund zu gehen. Alles Dinge, die heute in der Form nicht mehr angewendet werden. Was Debbie Nathan interessanterweise in ihrem Vortrag zu erwähnen unterlässt.
Hypnotherapeutische Verfahren gibt es, werden allerdings nicht zur Exploration erlebter Traumata angewendet. Ich habe nicht viel dazu gefunden, doch das, was ich fand, waren Beispiele zur Etablierung von Selbstfürsorge oder Selbststärkung nach traumatischen Erlebnissen.
Psychopharmaka (Drogen) werden ebenfalls noch heute eingesetzt, doch gleichsam nicht um „an ein Trauma heranzukommen“, sondern um den Patienten die Symptome zu erleichtern oder zu nehmen, die sich in der Folge von Traumatisierungen entwickelt haben können. Etwa Depressionen, Angststörungen, Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen, allgemeine Unruhe, sexuelle Dysfunktionen.
Elektroschocks sind ebenfalls noch nicht tot, finden in der Behandlung von Traumafolgestörungen hingegen keinen Platz mehr, sondern in der Behandlung von bipolaren Erkrankungen. Der Einsatz dessen wird scharf kritisiert. Zu Recht wie ich finde.

Die Rednerin geht im gesamten Vortrag übrigens nicht auf die genaue Diagnosebeschreibung der DIS ein. So zum Beispiel nicht auf eine der wichtigsten Voraussetzungen, die vorschreibt, dass eine psychophysische Erkrankung (wie zum Beispiel der Tumor im Gehirn) oder der Status nach Drogenkonsum ausgeschlossen sein muss.
Damit verleitet Frau Nathan die Zuhörerschaft zu glauben, dass dieses Vorgehen noch heute so ist und damit jeder Diagnose von DIS zu misstrauen ist.

Dann geht sie auf das Buch bzw. dessen Umstände ein.
Sie unterstreicht, die Fiktionalität, die benutzt wurde, um einen Bestseller zu kreieren, zwar mit der Erwähnung, welche positiven Auswirkungen dies auf die Behandlerin und die Autorin hatte, doch ohne explizit zu erwähnen, was für einen Verlust an Lebensqualität und Verstärkung der Abhängigkeit das Leben nach der Veröffentlichung für die Patientin Shirley Mason entstand.
Diese war durch die Behandlung zwischenzeitlich drogensüchtig und auch emotional abhängig von ihrer Therapeutin geworden und konnte sich offenbar erst mit ihrem Tod befreien, da sie sogar zusammengezogen sind.

Debbie Nathan gibt an, dass sie sich gefragt hat, warum diese Geschichte geglaubt wurde, als sie das Buch las und beginnt davon erzählen, was sich für die Frauen in den 70 er Jahren in Bezug auf ihre Lebensrealität verändert hätte. Sie könnten die Arbeit von Männern machen, Geburtenkontrolle praktizieren, Sex haben wann und mit wem sie wollten…
Sämtliche Abstriche, etwa das, was wir heute als „gläserne Decke zu leitenden Positionen“ bezeichnen und auch die Abwertung keine „richtige Frau“ zu sein in diesem Kontext, oder die Abwertung des Berufsstandes, der in der Folge von Frauen bekleidet wurde; die Abhängigkeit von der Erlaubnis des Mannes zur Geburtenkontrolle und wiederum die Abwertung der Frau durch selbige; genauso wie die verstärkte Etablierung der Frau, die nicht nicht mehr nur „immer Sex bekommen muss (um nicht hysterisch zu sein)“ sondern auch noch immer will (sonst würde sie ja nicht verhüten), was sich wiederum zur verstärkten Legitimierung von sexualisierter Gewalt ihnen gegenüber entwickelte, erwähnt Debbie Nathan mit keinem Wort.

Sie geht auch nicht darauf ein, was es für Betroffene von (sexualisierter) Gewalt mit ähnlicher Symptomatik bedeuten kann, wenn sie von einer Geschichte, die mit einer Heilung- einem Ende ihres Leidens handelt. Wenn da eine Geschichte auftaucht, in der sie sich in Teilen oder Gänze wiederfinden. Was für Hoffnungen entstehen und natürlich auch Kommunikationsbedürfnis plötzlich greifbar zu befriedigen erscheint.

Deshalb nur habe ich zum Beispiel Bücher von anderen Menschen mit DIS im Bücherregal stehen.
Die Botschaft wenigstens damit nicht allein zu sein. Eine (vielleicht im Hinterkopf dämmernde) Ursache aufgezeigt zu bekommen, die auch angenommen und nicht unter den Teppich gekehrt wird. Das Gefühl von Hoffnung auf ein Morgen, ohne diese Belastungen. Das ist unglaublich mächtig und anziehend, wenn man selbst vor sich steht und nichts als wirre, verängstigende Symptome an sich sieht und stets und ständig die Kontrolle über sich selbst verliert.
Sie erwähnt nicht, dass das Glauben an diese Geschichte der gleiche Mechanismus ist, der Menschen zu PsychiaterInnen oder PsychotherapeutInnen gehen lässt.
Da geht es um die Hoffnung auf ein Ende von dieser Qual.

Debbie Nathan führt aus, wie die Diagnose in den Achtzigern zur Modediagnose wurde und welche Blüten diese Massenbehandlung mit Drogen und Hypnose auf der Suche nach dem Trauma trieb.
Unter anderem verortet sie hier die, wie sie es nennt „satanic abuse panic“ in der Entstehung. Sie deklamiert sämtliche Äußerungen der PatientInnen als unter Drogen zusammenfantasiert- wiederum ohne zu erwähnen, wie die Traumatherapie von Menschen ganz allgemein heute aussieht.

Die Journalistin Nathan hängt sich in der Fragerunde am Ende des Vortrag so weit aus dem Fenster, dass es mir persönlich fast eine Freude ist, sie in mittels meines Wissens um die Strukturen, die zum DSM (in Deutschland des ICD) bzw. den Diagnosen darin führen, heraus fallen zu lassen.

So gibt sie an, dass im Diagnosekommitee der DIS, noch immer Menschen sitzen, die früher diese Diagnose „gebastelt“ und nachwievor die gleiche Überzeugung hätten, wie damals. Sie gibt an, keine Ahnung zu haben, wieso die Diagnose noch nicht herausgenommen wurde.
Mit keiner Silbe erwähnt sie die durchaus vorgenommenen Änderungen, den Einfluss der Traumaforschung, die heutigen Behandlungsstandarts und ebenfalls nicht das grundlegende Vorhandensein des Symptomclusters, das mit komplexer Traumatisierung einher geht.
Die Symptome sind ja da- auch wenn die Menschen keine Erinnerungen von sich geben. Dass es bei der Auflistung im DSM aber genau darum handelt- die Aufzeichnung von vorhandenen Mustern, die auch „Kopfsalat“ oder „Schweinebraten“ genannt werden könnten und nicht um eine Darstellung dessen, was „wahr“ im Sinne von Patienten gebundenen Fakten, ist, lässt sie unerwähnt.

Im Verlauf macht sie für mich sogar noch einen Salto aus dem Fenster, in dem sie die Aussage einer Feministin als Sprungbrett benutzt und „dem Feminismus“ die „Schuld“ an der Entstehung der Diagnose gibt.
Wenn ich sowas höre, habe ich immer so ein Bild im Kopf von einem wabbligen grünen Flubber, das ein F auf der Brust hat, und von Tür zu Tür geht und fühle mich an die Inquisition erinnert: „Die Hexe kam und hat mir den Kopf verwirrt- deshalb schlachtete ich mein einziges Hausschwein und ernährte meine Familie! Brennen soll sie und als Entschädigung will ich ihre 20 Hausschweine!“.

Sie postuliert einen Schaden durch die Diagnose an der Gesamtgesellschaft, der de facto zu keinem Zeitpunkt eingetreten ist. Immer wieder impliziert sie einen (sekundären) Krankheitsgewinn durch die Diagnose und die damit einhergehende Aufmerksamkeit.
Sie sagt, ihr wäre aufgefallen, dass PatientInnen zur „Prinzessin“ würden, sobald die Diagnose der DIS erhalten hätten. Nach bis zu 7 Jahren in denen diese Menschen von Arzt zu Arzt und von Klinik zu Klinik gewandert seien, sei dieses Gefühl doch wunderbar.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Nein.
Es stimmt, dass man mit anderen Diagnosen tatsächlich wie Müll behandelt wird. Meine eigene Behandlung unter der Diagnose „Schizophrenie“ und „Psychose“, war die Hölle. Aber nicht nur, weil mir gesagt wurde, ich würde für immer krank sein, oder weil die Medikamente zum Teil einfach nur furchtbare Wirkungen hatten, sondern, weil sie auf keiner Ebene heilsam wirkte!
Ich hätte das alles auf mich genommen, wenn es mir die Symptome genommen hätte. Würde auch heute liebend gern mit einer Diagnose herumlaufen, die mit Medikamenten eingestellt werden könnte. Nichts lieber als das- ehrlich! Warum wohl sonst, hätte ich mir solche Inhalte, wie diesen Film reingezogen, wenn nicht auf der Suche nach tragenden Gegenargumenten für meine Diagnose und alles, was sie impliziert?

Ich wäre lieber die Durchgeknallte die Medis schluckt, als ein Opfer von Gewalt.
Es gibt keinen- absolut keinen echten Gewinn durch das Labeling als Opfer. Schon gar nicht als Frau.

Ich war 16/17 als die Diagnose zum ersten Mal gestellt wurde und die Aufmerksamkeit, die ich damals bekam, fand ich furchtbar. Das war so eine Mischung aus Versuchskaninchen und Neuland. Sowohl für meine damalige Therapeutin als auch das Pflegeteam und die Klinik.
Ich musste mich nach 2 Jahren Kraut und Rübendiagnostik, ständige Lebensumbrüche und Entwurzelung ganz auf das verlassen, was mir meine Therapeutin sagte und hatte keine Möglichkeiten das mit irgendetwas abzugleichen, da ich geschlossen in einer Klinik untergebracht war und kein soziales Netz außerhalb hatte, das sich ernsthaft und global für mich interessierte.

Ich wollte einfach nur normal sein. Nicht zugeben, dass ich Amnesien hatte, fühlte mich immer wieder tief ertappt, wenn irgendeine Wahrnehmung, die ich zu verstecken versuchte benannt wurde. Versuchte immer wieder mich anzupassen und scheiterte mit Pauken und Trompeten, weil immer wieder etwas aufgedeckt wurde. Ich hatte vor wohlwollender Begegnung meiner Person genauso viel Angst, wie nicht wohlwollender. Kein toller Zustand, wie sich das Frau Nathan vorstellt.

Und mal von mir abgesehen- ich will gar nicht so genau wissen, was für Kämpfe meine damalige Therapeutin führen musste. Denn was in der Gesamtgesellschaft definitiv verankert ist, ist das Bild, das Debbie Nathan von Dr. Wilbur gezeichnet hat. Das Bild der gefrusteten machtgierigen Frau, die über Grenzen geht, um in einen exotischen Fall zu brillieren und anerkannt zu werden.
Das kommt mir noch viel schlimmer vor, als meine Schwierigkeiten zu der Zeit.
Da ist jemand der jemandem helfen will und ihm begegnet, vor einem Haufen Frage- und Ausrufezeichen steht, eine eventuell passende Diagnose findet und dann links und rechts abgewatscht wird, weil sie überhaupt in Betracht gezogen wird.

Obendrauf kommt noch das Mamiding, dass gerade weiblichen psychotherapeutisch arbeitenden Menschen ebenfalls immer wieder unterstellt wird. So wie es auch die Rednerin tut, in dem sie Dr. Wilbur unterstellt eine Mutter für Shirley sein zu wollen, weil ihre eigene eine vermeintlich brutale Person war.
Dass dies eine Sichtweise aus dem frühen 19 Jahrhundert ist, führt sie selbst aus- reflektiert dies aber nicht an sich selbst.
Es gibt solche TherapeutInnen, die diese Übertragung haben. Klar, auch das eine Erfahrung, die ich mehrmals gemacht habe (und genauso furchtbar fand, wie offene Missachtung). Doch heute wird eine eigene Psychotherapie von PsychotherapeutInnen verlangt, genauso wie regelmäßige Supervision der Menschen als Standard für gute Psychotherapiearbeit gilt, in der solche Übertragungen geklärt und wenn möglich aufgelöst werden. (Etwas, dass ich allen Menschen, die sich egal aus welchem Grund zu einer Psychotherapie entscheiden, nur raten kann: Fragen, ob regelmäßig Supervision in Anspruch genommen wird- ist das nicht der Fall: Haken hinter und jemand anderen suchen. Es gibt wenig, das giftiger ist, als unreflektierte oder stetig zur Reflektion aufgeforderte TherapeutInnen).

Abschließend ein paar Gedanken zu dem Vortrag.
Debbie Nathan hielt ihn im Jahre 2012. 20 Jahre nach dem Tod von Dr. Wilbur und 14 Jahre nach dem Tod von Shirley Mason und 24 Jahre nach dem Tod von Flora Schreiber. Schon ziemlich clever, drei toten (weiblichen) Menschen eine Verschwörung der Massen zu unterstellen. Widerrede oder Aufklärung ist nicht zu befürchten.
Noch einmal: der Vortrag war im Jahre 2012, einer Zeit in der die Begriffe „hysterische Lähmung/Blindheit/Taubheit“ abgelöst sind von den korrekteren Begriffen der Konversionsstörung oder auch somatoformen Dissoziation. Die „Hysterie“ als solche ist heute noch als „histrionische Persönlichkeitsstörung“ zu finden, die sich laut der Wikipedia auf „auffälliges“ bzw. „wirkungsorientiertes Verhalten“ bezieht- nicht auf psychophysische Statusveränderung oder Traumafolgen assoziierte Störungen.

Ich persönlich denke, dass das Buch „Sybil“, die Story, die ausgeschmückt wurde, um finanziellen und fachlich bezogene Positivreputation zu generieren, nicht als Dokumentation einer DIS und ihrer Behandlung herhalten kann. Damals wie heute kann sie das nicht.

Wofür sie aber nutzbar sein kann ist, darzustellen, wie moderne Psychotherapie und Traumatherapie im Speziellen heute nicht mehr praktiziert wird und praktiziert werden darf.
Gleichsam bietet alles, was mit dem Buch, dem Film, den Menschen Dr. Wilbur, Shirley Mason und auch Flora Schreiber heute, wie damals zu tun hat, ein Beispiel für die Geschichte der Frauen in der Gesellschaft und der Herrschaftsverhältnisse, die bis heute fundamental sind, als auch für die Geschichte der Psychiatrie bzw. der psychotherapeutischen Medizin.

Ich bin ehrlich gesagt immer wieder enttäuscht, wenn ich mich auf die Suche nach neuem aktuellen Zweifelfutter an der Diagnose begebe und dann nichts weiter als Perpetuierung von Frauenverachtung finde. Das Wiederholen von inzwischen mehrfach und streng wissenschaftlich widerlegten Aussagen vorfinde und dies immer wieder mit den gleichen Beispielen „bewiesen“ wird.

Offensichtlich hat sich die Traumaforschung aller Kritik gestellt und sich weiterentwickelt. Die (antifeministische) Liga der „False Memory“- Bewegung und der ZweiflerInnen an der Wahrheit von Gewalterlebnissen anderer Menschen im engsten sozialen Umfeld hingegen seit Mitte der 80 er Jahre nicht.

Schade.
Wird mir nicht mal die Selbstablehnung befriedigend und rund erleichtert, sondern nur auf dem ewigen Makel herumgeritten, eine Frau zu sein.
Same procedere as in every times. Sorry- aber das kann ich inzwischen alleine.

Und wie es männlichen Menschen mit DIS geht, wenn sie damit konfrontiert sind… die haben so gar keine Chance sich in dieser ZweiflerInnenkritik wiederzufinden, denn immer wird von Frauen als Opfern von Frauen und Männern als Menschen die eine DIS nur vorspielen, um Straftaten nicht verantworten zu müssen, gesprochen.
Immer wieder werden sie in die Rolle der im Kern krass hart brutalen Menschen gedrückt, die weder Schmerz noch Reue kennen.

Trauma ist ein Arschloch, das sich im Gegensatz zu unseren Herrschaftsverhältnissen, keinen Deut um das Geschlecht der Menschen kümmert, über die es hereinbricht. Wohl aber bricht am liebsten über jene, die in Machtverhältnissen weiter unten stehen, als andere herein.
Das Diskriminierungslotto, in dem Gewalt verlost wird, erwählt mit Vorliebe die auf irgendeiner Achse Unterdrückten. Und das sind mit Studien belegbar bis heute vornehmlich Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen, Arme, und als einer Rasse angehörig gelabelte Menschen.
Und jede Gewalt gebiert in irgendeiner Form ein Trauma, das mehr oder weniger schwerwiegende und gesellschaftlich schädigende Auswirkungen hat.

Wenn man also von einer gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkung von „Sybil“ sprechen will, so sollte man anfangen über Gewalt und seine Dynamik zu sprechen und aufhören sich hinter antiquierter Frauenverachtung zu verstecken, die selbige negiert.

man muss nicht glauben, um zu helfen

Ich bin vorhin über die Türschwelle zum Multiland im Internet gestolpert und mitten in eine Welt geplumpst, in der mein Risiko an Hirndiabetis zu erkranken um Faktor 100 erhöht wurde.

Die versierten SucherInnen werden sie kennen, diese Seiten auf denen über Multiple „aufgeklärt“ wird. Jaja, ich  meine die, mit den wackelnden Gifs von weinenden Engeln, den Webringfackeln und den verniedlichenden Begriffen.
Ich sehe die Bildchen und denke: Kitsch. Sehe „Webring“ und denke: Angst vor der Offline-Welt. Lese so Dinge wie: „Innie“, „Multi“, „Darki“ und denke an Vermittlungsseiten von Tierheimhunden.

Da ist erst mal keine Wertung drin (auch wenn meine Assoziation dazu im Allgemeinen negativ konnotiert werden). Ich versuche trotzdem die Seiten zu lesen und würdige, die Arbeit die dahinter steht. Der Wunsch der Auseinandersetzung mit dem Thema, ist bei mir ja auch vorhanden.
Aber ich versuche mich in LeserInnen hineinzuversetzen, die selbst keine DIS haben und aus einem bestimmten Grund Informationen zum Thema gesucht haben und in Folge dessen schlage ich vor solche Seiten die Hände überm Kopf zusammen.
Wenn ich so eine Seite durch habe, glaube ich selber nicht mehr an dissoziative Identitäten oder satanistische Kulte und das finde ich schlimm.

Schlimm deshalb, weil ich noch immer von HelferInnen und Hilfseinrichtungen höre, die „nicht an „solche Sachen“ glauben“. In den letzten Nebensatz hätte ich noch viel mehr Gänsefüße setzen müssen.
Vielleicht so: nicht an „solche“ „Sachen“ „glauben“.

„solche“? Welche?
„Sachen“? Welche Objekte -tote Gegenstände- werden im Zusammenhang mit DIS und destruktiven Kulten benannt?
„glauben“ Wer verlangt Glauben, wenn es die Ratio ist, die angesprochen wird?

Wir sprechen von einer Dynamik der Macht und Ohnmacht, der Gewalt und des Überlebens, wenn wir von Menschen in destruktiven Gruppierungen sprechen. Etwas, woran man nicht glauben muss, um zu wissen, dass es das gibt, weil wir alle Ähnliches in anderen Rahmen gleichsam erleben. Stichwort Bürokratie, Kapitalismus, Rassismus… der Weihnachtsmann.
In allen Zusammenhängen wird uns eine Struktur aufgedrückt, die die Welt oder Aspekte in ihr erklärt und definiert. Es liegt bei uns, ob wir danach leben wollen oder nicht.
Kinder glauben nicht an den Weihnachtsmann- sie glauben, daran, dass ihre Eltern ihnen die Wahrheit sagen, wenn sie ihnen erzählen, dass er die Geschenke unter den Baum legt. Sie hören auf es zu glauben, wenn sie so reif und frei sind, ihre Eltern zu hinterfragen oder beim Geschenkekauf „erwischen“ oder oder oder

Ja, ich habe wenig Verständnis dafür, wenn mir erwachsene HelferInnen erzählen wollen, dass sie nicht an (rituelle Gewalt in) destruktive(n) Kulte(n) glauben, weil ihnen das so entfernt vorkommt. Oder sie sich das einfach nicht vorstellen können.
Liebe HelferInnen:
Niemand verlangt eine genaue Vorstellung der Gewalt- bitte- schützen sie ihr Gehirn vor solchen Bildern! Sie werden falsch sein, weil Sie sie nicht erfahren haben.
Transponieren sie einfach nur die Fakten: Da ist ein Mensch, der viel Einfluss auf andere Menschen ausübt, in dem er ihnen die Welt definiert und ihnen ihre Identität abspricht. Sie zur Nummer macht, ihnen biologische, soziale, psychische Andersartigkeit zuschreibt und dies in eine Struktur einbettet. Einfach, weil er es kann und will.Vielleicht eigene Bedürfnisse befriedigt, in dem er die Grundbedürfnisse anderer Menschen ausbeutet.
Fertig. Da haben sie, was sie nicht glauben wollen.
Sie erfahren, das Gleiche jeden Tag. Nein?
Wie viele Nummern sind sie? Steuernummer, Versicherungsnummer, Kundennummer…
Wie viele Begriffe gibts für sie? Das N- Wort? Das Wort, dass ihr berufliches Wirken bezeichnet? Ihre Diagnose(n)? Das Wort, das ihren Familienstatus benennt?
Es ist das Gleiche. Das gleiche Muster, der gleiche Einfluss auf das, wer sie sind und was sie an Macht dadurch zugesprochen oder aberkannt bekommen.

Nur die Gewalt und die geistige Auslegung ist anders.
Bei ritueller/ ritualisierter Gewalt in destruktiven Gruppierungen, hat man es mit einem globalen Angriff auf die Menschen zu tun. Sie werden auf allen Ebenen verletzt, die es gibt. Auf der körperlichen, sozialen, psychischen, ökonomischen und der spirituellen Ebene. (Etwas, das ein religiös fanatischer Partner übrigens auch kann! Üben wir doch gleich mal das Transponieren…)

Oft höre ich Zweifel darüber, wie „das denn alles möglich sein soll“, „wie „sowas“ denn unbemerkt bleiben kann, von Außenstehenden, der Polizei usw.“ oder auch das vielgebrachte Argument der Zweifler: „Es müsste zig Leichen geben…“.

Es ist einfach etwas monströs „Schlechtes“ zu tun oder völlig legal zu planen.
Achtung Transponierungsalarm: „Prism“, Wasserprivatisierung, gentechnisch verändertes Saatgut, Steueroasen, das Brechen des Willens von Menschen in geschlossenen Einrichtungen, sexuelle Misshandlung in Kirchen und anderen Einrichtungen… soll ich weiter machen?

Menschen suchen Erklärungen und nehmen nur allzu oft unhinterfragt alles an, was ihnen geboten wird, wenn es etwas ist, das für sie greifbar (transponierbar) ist.
Wenn ich Verletzungen hatte und von jemandem darauf angesprochen wurde, sagte ich etwas von Unfällen, von einer Prügelei oder Selbstverletzung. Die meisten Menschen, haben mir geglaubt und nie wieder nachgefragt.
Und die Menschen, die nachgefragt haben, haben es spätestens nach Kenntnis der Wahrheit bereut. Nicht, weil die Wahrheit so schrecklich war, sondern, weil ihnen klar wurde, wie sehr an ihnen gezweifelt werden würde, würden sie dies mit anderen Menschen teilen. Ihnen wurde klar, was für einen Aufwand sie betreiben müssen, um mit jemandem darüber zu sprechen, ohne wegen der Annahme meiner Geschichte belächelt, angezweifelt oder offen verhöhnt zu werden.

Dazu kam, dass ich selbst nur gegenüber jenen die Wahrheit sagte, von denen ich annahm, einen Schutz vor der Strafe, die ich von der Gruppierung zu erwarten hatte, erhalten zu können.
Ich gehörte jemandem, der mir ein Schweigen und den absoluten Gehorsam aufgezwungen hatte. So wie allen anderen Menschen, die involviert waren, auch.

Wer schweigt, sagt nichts. Wer schweigen muss, um am Leben zu bleiben, erst Recht.
Spuren zu verwischen ist nicht besonders schwer. Was bereits für nur wenige Menschen sichtbar ist, kann leicht auch gänzlich schwinden gemacht werden.
Das kennt doch jeder, der mal unbeobachtet Äpfel geklaut hat. Schnell aufessen und niemand wird je davon erfahren.

Ich verstehe, dass unfassbar schlimme Gewalt unfassbar im Sinne von unbegreiflich ist.
Und ich verstehe, dass die Folgen, die vor allem in den Überlebenden absolut subjektive Muster entstehen lassen, nie übertragbar sind. Eine Objektivierung dessen, wird immer etwas übrig lassen, was Zweifel aufgrund von Unvergleichlichkeit mit der eigenen Wahrnehmung stehen lässt.
Doch die Folgen im Betroffenen selbst gänzlich verstehen zu wollen ist nicht nötig, wenn man sich mit der Ursache befassen muss oder will.

Das ist mein Kritikpunkt.
Wenn eine Website dafür sorgen will, destruktive Kulte und Sekten zu erklären, dann reicht ein kurzer Hinweis auf die Folgen. Wenn eine Website über die Folgen allein aufklären will, ist es nicht förderlich über die Ursachen (in diesem Fall die explizite Darstellung der Gewalt) zu schreiben.
Das Eine bedingt das Andere, natürlich. (Und will man die Gesamtdynamik erklären, dann lohnt eine Darstellung beider Seiten) Doch das Eine ist vielfältig übertragbar- das Andere nicht.
Das Eine, hat das Potenzial einen weiteren Überlebenden (Betroffenen) zu produzieren. Stichwort: PTBS-Symptome bei HelferInnen von traumatisierten Menschen.
Das Andere könnte zum Tod des Überlebenden führen bzw. dafür sorgen, dass weitere Menschen in die Gruppierung eingebracht werden oder außerhalb dessen Gewalt erfahren.

HelferInnen oder auch Menschen, die mit der Betreuung von Menschen mit diesem Hintergrund, beauftragt sind, haben nicht die Pflicht, an den Hintergrund zu glauben. Sie müssen nicht davon überzeugt sein, all die Gewalt als „echt“ einzustufen.
Doch sie sind definitiv dazu verpflichtet, ihren Klienten mit allen Problemen, die ihm durch die Folgen der Gewalt entstanden sind, als „echt“ anzunehmen und sie zu unterstützen, diese zu lösen oder mit ihnen ein Leben zu führen, das sie mindestens nicht umbringt. Um dies „gut“ zu tun und schwerwiegende Fehler zu vermeiden, ist eine Kenntnis über den Hintergrund hilfreich- keine Frage. Aber das Leiden und die Probleme, liegen in den Schwierigkeiten der Überlebenden und stehen im Vordergrund.

Auch in der Hilfe kann man transponieren ohne Ende.
Es muss nicht heißen: „Oh wei, oh wei- ein Mensch mit DIS- der braucht eine Sonderbehandlung!“. Es reicht zu sagen: „Ein Mensch dem Gewalt angetan wurde/ der kein Vertrauen leichtfertig annimmt/ der noch immer Angst hat/ der Hilfe braucht, um in ein Leben ohne Gewalt zu finden.“.

Es ist völlig egal, welche Profession man hat. Es ist völlig egal, in welcher Funktion man sich für ihn einsetzt.
Das Wichtigste ist ihn anzunehmen, wie er ist. Ihn ernst zunehmen. Ihm beizustehen. Hilfe ist Begleitung in der Gegenwart. Ehrlich, offen, gewaltfrei, menschlich. Egal, wie nah oder fern. Egal, wie überzeugt man selbst ist von dem, was dem Klienten passiert ist.

Die besten Helferinnen, die mich begleitet haben, waren jene, die das getan haben und noch immer tun.
Manchen habe ich nie die Gewalt erzählt, manchen gegenüber erwähne ich „Überschriften“. Doch nur meiner Anwältin und meinen Therapeutinnen gegenüber, habe ich jemals wirklich erinnerte Gewaltserlebnisse geschildert.
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Sie alle aber waren und sind hilfreich, weil sie da sind. Weil sie mich mit allem Guten und Schlechten an und in mir ernstnehmen und mir ihre Hände reichen, wenn ich sie brauche.
Ich weiß nicht, wie viel sie glauben, woran sie zweifeln, was sie denken oder gedacht haben, als sie von meiner DIS und dem was sie verursacht hat erfuhren. Und das ist mir auch egal. Sie sind da- hier und heute- und das ist alles, was ich je gebraucht habe.

Und…
es ist so oft, so wahnsinnig viel mehr, als ich mir je zu wünschen erlaubt habe.

„der Weg“ ist der Weg- nicht das Ziel

Nach einem Tag wie gestern, in dem viel ums Wachsen ging,553608_web_R_K_by_Andreas Hermsdorf_pixelio.de
kommt auch die Gedankenwuselei um die Zukunft auf und damit die Unsicherheiten, unbequeme Realitäten und Fakten.
Wir selbst und die Steine, die wir sowohl uns selbst, als auch von außen in den Weg gelegt bekamen.

Wie geht es weiter mit den Rosenblatts?
Sie sind noch keine 30, haben eine mittlere Reife, geistiges und körperliches Potenzial. Sie sind motiviert grundsätzlich etwas zu schaffen und leicht zu begeistern.
Aber was denn nun zum Geier? Und vor Allem: Wie?

Letztes Jahr haben wir 152 Bewerbungen rausgeschickt, um im Handwerk einen Platz zu bekommen. Doch trotz lautstarkem Gejaule der Branche, konnte es sich selbige dann doch noch leisten 17 jährige männliche Menschen zu bevorzugen.
In den letzten 5 Jahren haben wir so viele Absagen und Zettel über Teilnahmen an diversen Trainings, Praktika und Probearbeitszeiten kassiert, dass wir einen Aktenordner füllen konnten und haben es dann aufgegeben.

Dann die Idee doch das Abitur zu machen. Abendschule. Wieder. Obwohl wir doch eigentlich genau wissen, dass das so derartig kräfteraubend und auch systemverändernd ist. Es ist für jeden Menschen- egal, ob multipel oder nicht, klar, dass kein Mensch, der in der Woche ca. x Stunden schläft, permanent körperliche Verletzungen heilt und einfach grottig schlecht in Sachen Ernährung gestellt ist, in der Lage ist, so funktional zu sein, dass er es ohne Versehrung irgendeiner Ebene schafft, sich an 5 Tagen in der Woche auf Lerninhalte zu konzentrieren. Die Rosenblatts aber- die melden sich für die Schule an. Könnte ja klappen- hat ja immer geklappt.

Die Zeit nach der letzten Abendschule- ach- war doch toll so dünn! War doch trotzdem geschafft und hey- wir haben uns gut regeneriert danach, so mit dem ganzen Krams drumrum, den Pflegetieren und den Jobs und so…

Eigentlich haben wir gerade ein Level erreicht in dem es uns „okay“ geht.
Am Tag werden zwei Artikel geschrieben. Sich weitergebildet, damit man keinen Quatsch schreibt und damit auch ja keiner merkt, was für eine minderwertige Abfallexistenz diese Worte aneinandergereiht hat.
Das Buch wächst langsam vor sich hin und wird vielleicht eventuell etwas, von dem viele Menschen etwas haben. Oh ja das Buch wird etwas, das vielleicht endlich mal etwas ist, dass die Rosenblatts zu jemandem macht, der auch etwas zurückgibt. Endlich!

Aber noch ist es so, dass jeder Artikel, jeder Satz ,jede Aktivität die verrichtet wird, sowas von ein inneres Verbrechen ist, dass das Leben außerhalb dessen, eigentlich nur eine Bezeichnung zulässt: Qual an deren Ende gearbeitet werden muss.

Es ist subtil- man merkt es nicht, wenn man mit uns zu tun hat und die Spaltungen, die wir in uns und im Außen haben, generieren nur allzu leicht ein Leben damit. Dinge die uns belasten könnten, belasten niemals die leidende Ebene, sondern ausschließlich die Kompensierende. Jene Ebene, die eigentlich die Leidende unterstützen könnte. Doch das ist schmerzhaft und konfrontiert mit einer Ohnmacht.

Wer wählt die Ohnmacht, wenn er Macht und Aktivität wählen kann?
Wir haben die ganzen Bewerbungen immer rausgeschickt, weil wir davon ausgingen, dass wir auch mit Abstrichen zwar, in jedem Fall in der Lage gewesen wären, das alles auszubalancieren.
Jetzt ist da der Freiheitsschock. Da ist eine Bombe hochgegangen und es ist nicht mehr die Frage, wie man Schutt und Asche aus der Vergangenheit verschiebt, um neue Häuser aufzubauen, sondern die Frage, wie man verhindert, dass einem die Verletzten wegsterben, die Brände gelöscht und die umherfliegenden Schrabnellen der Vergangenheitstrümmer, das neu aufgebaute Strohüttchen und Lazarettzelt noch kaputt fetzen- noch WÄHREND man sich auf den Weg macht, neue Häuser zu bauen, Bäume zu pflanzen und Bedingungen zu erschaffen, die ein gesellschaftlich höher anerkanntes Verdingen ermöglichen.

Es ist ein Schwanken zwischen alt und neu- bekannt, doch einfach nur furchtbar und unbekannt, doch so sehr gewollt. Dann sind da Rosenblätter die sachte rauschen: „Hey- es ist Zeit! Keiner außer das Arbeitsamt drängelt, dass wir etwas machen sollen. Dafür haben wir die Zettel auf denen draufsteht, dass wir chronisch krank sind- das impliziert, dass man zwar Absprachen machen kann, aber nie und immer genauso wie chronisch gesunde Menschen auch dem so zu entsprechen in der Lage ist. Wir können doch jetzt die Kraft in die Therapie stecken- nicht arbeiten oder lernen. Keine Vermeidungstänze machen mit zig Jobs und Parallelleben aneinander vorbei… Einfach erst mal wieder ein Plateau erschaffen, das man nicht „Stück für Stück- Suizid“ nennen sollte. Schlafen, Essen, keine körperliche Selbstversehrung mehr. Das ist doch die Basis. Wir würden doch anderen Menschen die genauso überleben, wie wir es tun- und auch noch gezwungen sind das „Leben“ zu nennen, weil wir gerade in diesem Zustand existieren und zurecht kommen- auch nicht auferlegen, zur Schule zu gehen, gefälligst niemandem auf der Tasche zu liegen, sich jetzt aber endlich doch mal aufzuraffen etwas Anderes zu tun, als das, was ihnen Kraft und Hoffnung, ein Ausleben ihrer Begabungen ermöglicht…“

Doch dann sind da die Rosenblätter, die genervt sind. Die sich aufbäumen und sich gefangen fühlen. Stets und ständig abhängig gemacht sehen: „Wir sind doch jetzt nicht mehr so bedürftig! Wir haben schon das das das das und das geschafft! Jetzt muss doch endlich mal ein Schritt vorwärts kommen, der uns auch nach außen autonom macht! Wie soll das denn werden in der Zukunft? Hartz4 und Kinderwunsch- ein absolutes no-go! Kinderwunsch und DIS- oh man- man kann ja schon richtig hören was „die Leute“ dazu denken! DIS und die Welt besser machen- das kann doch nur schief gehen! Wir machen das jetzt einfach alles gleichzeitig- jetzt kurz 3 Jahre zusammenreißen, Abi, Studium, bezahlte Arbeit, Familie mit Kind. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir kriegen das schon hin irgendwie. Es geht immer irgendwie…“

Und dann sind da die beobachtenden Rosenblätter, die daneben stehen und sehen, dass sich das gesamte Rosenblättergemisch mittels Zukunftsgedanken einfach nur wieder ein Werkzeug für den Suizid schnitzt.
Also schreiben sie ein Artikel darüber, merken, wie Kraft des Tages wieder in Worte geflossen ist und nicht in das Abschicken der Hartz4-Zettel für die vollständige Anmeldung in der Schule, nicht in die Selbstfürsorge und auch nicht in die Veränderung dessen, was man verändert haben will.

Vielleicht schafft man es heute endlich mal darüber zu weinen. Vielleicht mal so etwas wie eine Trauer darüber, dass man nun frei ist, zuzulassen. Nicht zu wissen, wo man jetzt steht und auch nicht zu wissen, wo man steht, wenn „Zukunft ist“. Vielleicht ist es dran zuzugeben, dass man das Ende seiner Gefangenschaft, trotz aller Schmerzen und Leiden, auch als unglaublich großen Verlust empfindet und nur deshalb in zu hohe Ansprüche geht, weil man so etwas noch nie von anderen AussteigerInnen wahrgenommen hat.
Bei denen steht immer soviel bockige Energie- da steht immer was von Kampf und Mut. Vom Annehmen, der inneren Dunkelbunten und „ihnen beibringen, dass es jetzt alles toller ist“. Da steht immer so viel Zukunft.

Aber irgendwie selten die Gegenwart, die sich in festumklammerten Selbst-s-Foltermethoden aus bekannter Verpflichtung heraus und Sturmdrang in Richtung Leben und Freiheit in Gänze vermischt. Diese Episode, in der man wie mit Vollgas und angezogener Handbremse auf das Ergebnis des Todes zuschießt- Stückchen für Stückchen, total subtil, händchenhaltend mit all seinen Gemögten und Begleitern und Verbündeten.

Einfach so- noch während man ein anderes Ziel für sich konstruiert und von den Wellen der Kraft auf denen man manchmal so reitet, auch zu ertrinken Gefahr läuft.

Vielleicht hat es auch mit einem Akzeptanzprozess (einem Wachsen) zu tun, dass man aktuell zu einem Opfertäter an sich wird. Und der Akzeptanz, dass man dies erst wirklich genau weiß, wenn man in dem Bereich ausgewachsen ist. Dann, wenn Zukunft ist.

was dann kommt

Vielleicht hat schon mal jemand Geschichten von sogenannten “Wolfskindern” oder auch gehört- mindestens aber von Mogli aus dem Dschungelbuch.

Eigentlich sollte dieser Artikel hier eine der beliebten Disneyinterpretationen werden. Aber ich bemerkte schon beim Lesen der Inhaltsangabe, dass dies eine Geschichte ist, bei der es mir nicht gelingen würde, die rosarote Happy-Lifestyle-Zuckerscheiße mit dem Disneyemblem drauf runterzukratzen.

Zu nah ist die Isolation. Zu genau kennt mein Innen die Art von absolut existenzieller Überlebenskraft, welche hinter der Annahme von Tierischkeit oder, in etwas anderer Form, Verhaltensweisen des Hospitalismus stehen.
Zu genau, kennen wir die Gefangenschaft bzw. Umgebung die “wilde Kinder” produziert.
Deshalb verweise ich hier lediglich auf die Geschichte des Dschungelbuches und versuche mich anzunähern und das Eine oder Andere auszuformulieren.

Den ersten Teil des Geschehens der Befreiung bzw.den ersten Eintrittsakt hat Frau Kampusch in ihrem Buch “3096 Tage” schon gut angerissen. Man befreit sich- kommt endlich endlich raus- kommt endlich im Dorf an und was kommt dann?
“Hände hoch! Wer sind sie? Was wollen sie?”

Als würde man mit seiner Befreiung diese Worte in die Haut- die Seele- die Großhirnrinde gestickt bekommen, verlassen einen diese drei Punkte nicht mehr. Auch Jahre später nicht.
Wer bin ich?
Was will ich?
Ich muss zeigen, dass ich keine Bedrohung bin. Meine Waffenlosigkeit beweisen.

Von nun an gilt alles was ich gelernt und mir angeeignet habe, um zu überleben als falsch, deplatziert, unpassend, zu viel, unsozial. Und wenn ich das Pech habe durch die Tür einer Psychiatrie gehen zu müssen, weil es für Menschen wie mich schlicht keine staatlich geförderte Alternative gibt, auch noch als krank!
Die inneren Ergebnisse jahrelanger Misshandlung, Isolation und gesellschaftskonträrer Sozialisierung fallen nicht immer sofort als solche auf, weil kaum jemand einen so weiten Fokus hat, der auch beinhaltet, dass jemand Dinge für Wunder hält, die er selbst als selbstverständlich empfindet.

Als wir das erste Mal Freiheit erlebten, wurden wir eingesperrt. In eine Psychiatrie.
Zum ersten Mal in unserem Leben, erlebten wir eine einzige Welt- eure Welt- die Welt “der Anderen”. Eine Einzel-Welt, weil hermetisch verschlossen. (Eigentlich so ein Gleichnis)

Und statt Erleichterung und Glückseligkeit, war da Angst. Todesangst und permanente Verwirrung.
Niemand hat das gesehen. Und niemand sieht sowas bis heute an uns.
Vieles, was für andere selbstverständlich ist, ist für uns nachwievor mindestens verwunderlich oder ganz eigentlich verboten und nicht zustehend.

Wir schreiben hier unsere wirklichen Gedanken zu Disneyfilmen auf! Das hier sind keine gewollten Perspektivschwünge. Wir haben diese Filme nie zuvor gesehen- sind nicht mit dieser Art Verwischung und dem Dauerentertainment- diesem eigentlich gesellschaftlich akzeptiertem Abtöten des Geistes- aufgewachsen und empfinden sie nicht als normal bzw. sortieren das Sehen eines Filmes nicht als reine Unterhaltung ein.
Die Fragen, die hier stehen, stellen wir uns wirklich.
Die Dinge über die wir uns wundern, wundern uns ganz wirklich!

Und die Einsamkeit die wir hier beschreiben und in Worte zu bringen versuchen ist auch wirklich da. Nicht immer, weil wir wirklich real und physisch allein sind- aber immer weil wir oft wie auf kleinen Eisschollen durch menschliche Interaktions- , fremde Werte-, Vorstellungs-  Moralsümpfe treiben. An einer anderen- vielleicht basaleren Stelle verhaftet, als unsere Mitmenschen.
Wir haben keine Ahnung davon, wie man was am Besten sagt oder tut oder wie man was wann und wo am Besten macht oder auch nicht macht, wenn es plötzlich  nicht mehr ums schiere Überleben geht. Die Welt in der wir das noch ganz genau wussten und für die wir gewappnet sind, liegt hinter uns. Sie hat uns verletzt, verkrüppelt und auf eine Weise wachsen lassen, die uns niemals passend erscheinen lassen wird.

Mogli wird vermutlich auch vor einem Spind stehen und denken: “Was für Sachen?! Bett?! Essen am Tisch?! Keine Nacktheit vor Fremden?! Privatsphäre??? HÄÄÄÄ?!”
Doch Mogli ist ein Kind. Er hat wie viele andere “wilde Kinder” je nach Ausmaß der Schädigungen und Defizite, die Chance ganz offen nachsozialisiert zu werden. Da wird es jemanden geben, der versucht ihm das alles beizubringen.

Und bei uns?
Die Menschen, die professionell andere Menschen nachsozialisieren fragen: “Was wollen Sie (erreichen)?” und die Menschen, die mir so im Alltag begegnen fragen: “Wer bist du?”, bevor sie überhaupt nur irgendwas mit mir zu tun haben wollen. Sie erwarten ein Selbstkonzept und ein Gespür für soziale Identität, dass sich bei uns aber gerade erst entwickelt bzw. wahrgenommen und sortiert wird.
Kindern, unschuldigen Kindern, wird diese Schutzlosigkeit, diese Art des Ausgeliefertseins eher anerkannt als Erwachsenen. Kindern wird zugestanden, dass sie Dinge noch lernen müssen, dass sie ihre Position und ihren Weg erst finden müssen.

Verständnis für Schutzreaktionen, Ängste und die Art Unwissenheit- mindestens aber Unsicherheit, können wohl aber  insgesamt nur wenige Kinder und auch Erwachsene mit diesem Hintergrund erwarten.
Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie sich die innere Welt füllt und entwickelt, wenn man einzig sich selbst hat. Man fängt an Stellvertreter zu benutzen um das, was aus sich selbst heraus kommt, zu etwas zu machen was in sich hinein kommt. Einfach nur, um dieses Bedürfnis nach Ansprache zu befriedigen. So geschieht es, dass das Schottersteinchen, das man vor sich hat, einen Namen bekommt, eine Meinung, ein Gesicht. Es zum Zeugen und Tröster, aber auch Herausforderer oder Verhöhner wird.

Wenn ein Mogli bei Wölfen groß wird, hat er diesen (sozialen) Input natürlich. Doch ist es einer der nicht seiner Natur, seinen Fähigkeiten und seinem Potenzial entspricht. Ein Mensch ist ein Mensch. Ein Wolf ist ein Wolf. Es kann eine Kommunikation geben, einen Austausch und eine Verbindung, die das Überleben als Gruppe sichert, doch auf keiner der beiden Seiten, werden jeweils alle verfügbaren Kanäle benutzt und trainiert. Es geschieht eine Anpassung, aber nie eine komplette Verwandlung, wie es die frühen Darstellungen von “wilden Kindern” gerne weismachen wollen.

Was passiert mit Menschen(kindern), die lange Zeit nur sich oder einen (auf der biologischen Ebene) unzureichenden Kontakt hatten?

Dinge zu lernen und zu beherrschen ist ein Schutz. Je breiter das Interaktionsspektrum und die Möglichkeit diese auszuprobieren und anzuwenden, desto mehr Schutzmöglichkeiten gibt es. Hatte man nicht die Gelegenheit so zu trainieren bleiben ein- zwei Strategien alles was es gibt.

Kampf, Flucht, Starre.
Zerstörerische Ausbrüche
Vermeidungstänze in Form von Verhaltensstörungen, Süchten und anderen “Stellvertretern”
Unterwerfung, Anpassung, Dissoziation

Um zu lernen wie man in der neuen Welt besteht, muss man Platz für seine Verwunderung haben. Auf Verständnis für seinen Schutz stoßen. Auf jemanden treffen, der geduldig und vielleicht aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus erklärt, wie die Welt funktioniert und gleichzeitig genug Halt gibt, um nicht unter der wachsenden Erkenntnis zerdrückt zu werden. Vielleicht braucht man eine Art Nach(ge)wachshaus.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass das etwas ist, das nicht gesehen wird. Vielleicht weil sich nicht jeder in dem Maß wundert und erschreckt wie wir. Vielleicht, weil für die meisten Menschen Sonnenlicht und Bewegungsfreiheit immer völlig selbstverständlich waren. Wenn etwas selbstverständlich ist, dann wird es wohl nicht mehr so oft hinterfragt.

Vielleicht ist es auch einfach auf eine Art basal, die nur dann wahrgenommen wird, wenn man selbst über lange Zeit hinweg auf der zutiefst eigenen Basis seiner Existenz zu stehen gezwungen war.

Vielleicht ist es diese Nähe zu sich selbst, die später trennt und vielleicht niemals zu überbrücken ist. Auch wenn man längst kein “wildes Kind” mehr ist, ein Bett benutzt, Kleidung auf der Haut aushält und menschsozialer Konventionen entsprechen kann.

Vielleicht ist es das, was meine Augen hat weinen lassen, als der Film zu Ende war.
Das Wissen, dass Disney verzuckert hat, was der bitterste, tiefste Bruch im Innern eines Menschen sein kann. Das Wissen, dass die ganzen Menschen, die “wilde Kinder” dokumentiert und beforscht haben, sich genau darüber nicht klar zu sein schienen.
Die Befürchtung, dass die Menschen die uns heute umgeben genau das auch nicht im Bewusstsein haben.

Die Angst im Innern vielleicht für immer diese Art “wildes Kind” zu bleiben.

existent

“Ich bin so müde”

– “Ich weiß mein Herz.”

“Schaffen wir das?”

– “Ich weiß es nicht.”

“Aber wir versuchen, ja?”

– “Ja mein Herz. Wir versuchen.”

 

Ja, wir versuchen unser Leben zu retten.
Nennen wir es kämpfen ist es gelogen, denn aktiv sind wir nicht.
Wir sind.
Wir sind existent.
Immer noch.
Einfach so.

Mehr ist Überleben einfach nicht.

Es hat keine Dramatik.
Keine Massen an Blut. Keine Schreie. Keine Tränen.

Es ist ein Muskel der rhythmisch zuckt.SONY DSC
Biostrom der durch Nerven flitzt.

Einfach so.
Existenz geht so einfach.

Leben muss man schaffen.
Leben muss man versuchen.