Nach einem Tag wie gestern, in dem viel ums Wachsen ging,
kommt auch die Gedankenwuselei um die Zukunft auf und damit die Unsicherheiten, unbequeme Realitäten und Fakten.
Wir selbst und die Steine, die wir sowohl uns selbst, als auch von außen in den Weg gelegt bekamen.
Wie geht es weiter mit den Rosenblatts?
Sie sind noch keine 30, haben eine mittlere Reife, geistiges und körperliches Potenzial. Sie sind motiviert grundsätzlich etwas zu schaffen und leicht zu begeistern.
Aber was denn nun zum Geier? Und vor Allem: Wie?
Letztes Jahr haben wir 152 Bewerbungen rausgeschickt, um im Handwerk einen Platz zu bekommen. Doch trotz lautstarkem Gejaule der Branche, konnte es sich selbige dann doch noch leisten 17 jährige männliche Menschen zu bevorzugen.
In den letzten 5 Jahren haben wir so viele Absagen und Zettel über Teilnahmen an diversen Trainings, Praktika und Probearbeitszeiten kassiert, dass wir einen Aktenordner füllen konnten und haben es dann aufgegeben.
Dann die Idee doch das Abitur zu machen. Abendschule. Wieder. Obwohl wir doch eigentlich genau wissen, dass das so derartig kräfteraubend und auch systemverändernd ist. Es ist für jeden Menschen- egal, ob multipel oder nicht, klar, dass kein Mensch, der in der Woche ca. x Stunden schläft, permanent körperliche Verletzungen heilt und einfach grottig schlecht in Sachen Ernährung gestellt ist, in der Lage ist, so funktional zu sein, dass er es ohne Versehrung irgendeiner Ebene schafft, sich an 5 Tagen in der Woche auf Lerninhalte zu konzentrieren. Die Rosenblatts aber- die melden sich für die Schule an. Könnte ja klappen- hat ja immer geklappt.
Die Zeit nach der letzten Abendschule- ach- war doch toll so dünn! War doch trotzdem geschafft und hey- wir haben uns gut regeneriert danach, so mit dem ganzen Krams drumrum, den Pflegetieren und den Jobs und so…
Eigentlich haben wir gerade ein Level erreicht in dem es uns „okay“ geht.
Am Tag werden zwei Artikel geschrieben. Sich weitergebildet, damit man keinen Quatsch schreibt und damit auch ja keiner merkt, was für eine minderwertige Abfallexistenz diese Worte aneinandergereiht hat.
Das Buch wächst langsam vor sich hin und wird vielleicht eventuell etwas, von dem viele Menschen etwas haben. Oh ja das Buch wird etwas, das vielleicht endlich mal etwas ist, dass die Rosenblatts zu jemandem macht, der auch etwas zurückgibt. Endlich!
Aber noch ist es so, dass jeder Artikel, jeder Satz ,jede Aktivität die verrichtet wird, sowas von ein inneres Verbrechen ist, dass das Leben außerhalb dessen, eigentlich nur eine Bezeichnung zulässt: Qual an deren Ende gearbeitet werden muss.
Es ist subtil- man merkt es nicht, wenn man mit uns zu tun hat und die Spaltungen, die wir in uns und im Außen haben, generieren nur allzu leicht ein Leben damit. Dinge die uns belasten könnten, belasten niemals die leidende Ebene, sondern ausschließlich die Kompensierende. Jene Ebene, die eigentlich die Leidende unterstützen könnte. Doch das ist schmerzhaft und konfrontiert mit einer Ohnmacht.
Wer wählt die Ohnmacht, wenn er Macht und Aktivität wählen kann?
Wir haben die ganzen Bewerbungen immer rausgeschickt, weil wir davon ausgingen, dass wir auch mit Abstrichen zwar, in jedem Fall in der Lage gewesen wären, das alles auszubalancieren.
Jetzt ist da der Freiheitsschock. Da ist eine Bombe hochgegangen und es ist nicht mehr die Frage, wie man Schutt und Asche aus der Vergangenheit verschiebt, um neue Häuser aufzubauen, sondern die Frage, wie man verhindert, dass einem die Verletzten wegsterben, die Brände gelöscht und die umherfliegenden Schrabnellen der Vergangenheitstrümmer, das neu aufgebaute Strohüttchen und Lazarettzelt noch kaputt fetzen- noch WÄHREND man sich auf den Weg macht, neue Häuser zu bauen, Bäume zu pflanzen und Bedingungen zu erschaffen, die ein gesellschaftlich höher anerkanntes Verdingen ermöglichen.
Es ist ein Schwanken zwischen alt und neu- bekannt, doch einfach nur furchtbar und unbekannt, doch so sehr gewollt. Dann sind da Rosenblätter die sachte rauschen: „Hey- es ist Zeit! Keiner außer das Arbeitsamt drängelt, dass wir etwas machen sollen. Dafür haben wir die Zettel auf denen draufsteht, dass wir chronisch krank sind- das impliziert, dass man zwar Absprachen machen kann, aber nie und immer genauso wie chronisch gesunde Menschen auch dem so zu entsprechen in der Lage ist. Wir können doch jetzt die Kraft in die Therapie stecken- nicht arbeiten oder lernen. Keine Vermeidungstänze machen mit zig Jobs und Parallelleben aneinander vorbei… Einfach erst mal wieder ein Plateau erschaffen, das man nicht „Stück für Stück- Suizid“ nennen sollte. Schlafen, Essen, keine körperliche Selbstversehrung mehr. Das ist doch die Basis. Wir würden doch anderen Menschen die genauso überleben, wie wir es tun- und auch noch gezwungen sind das „Leben“ zu nennen, weil wir gerade in diesem Zustand existieren und zurecht kommen- auch nicht auferlegen, zur Schule zu gehen, gefälligst niemandem auf der Tasche zu liegen, sich jetzt aber endlich doch mal aufzuraffen etwas Anderes zu tun, als das, was ihnen Kraft und Hoffnung, ein Ausleben ihrer Begabungen ermöglicht…“
Doch dann sind da die Rosenblätter, die genervt sind. Die sich aufbäumen und sich gefangen fühlen. Stets und ständig abhängig gemacht sehen: „Wir sind doch jetzt nicht mehr so bedürftig! Wir haben schon das das das das und das geschafft! Jetzt muss doch endlich mal ein Schritt vorwärts kommen, der uns auch nach außen autonom macht! Wie soll das denn werden in der Zukunft? Hartz4 und Kinderwunsch- ein absolutes no-go! Kinderwunsch und DIS- oh man- man kann ja schon richtig hören was „die Leute“ dazu denken! DIS und die Welt besser machen- das kann doch nur schief gehen! Wir machen das jetzt einfach alles gleichzeitig- jetzt kurz 3 Jahre zusammenreißen, Abi, Studium, bezahlte Arbeit, Familie mit Kind. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir kriegen das schon hin irgendwie. Es geht immer irgendwie…“
Und dann sind da die beobachtenden Rosenblätter, die daneben stehen und sehen, dass sich das gesamte Rosenblättergemisch mittels Zukunftsgedanken einfach nur wieder ein Werkzeug für den Suizid schnitzt.
Also schreiben sie ein Artikel darüber, merken, wie Kraft des Tages wieder in Worte geflossen ist und nicht in das Abschicken der Hartz4-Zettel für die vollständige Anmeldung in der Schule, nicht in die Selbstfürsorge und auch nicht in die Veränderung dessen, was man verändert haben will.
Vielleicht schafft man es heute endlich mal darüber zu weinen. Vielleicht mal so etwas wie eine Trauer darüber, dass man nun frei ist, zuzulassen. Nicht zu wissen, wo man jetzt steht und auch nicht zu wissen, wo man steht, wenn „Zukunft ist“. Vielleicht ist es dran zuzugeben, dass man das Ende seiner Gefangenschaft, trotz aller Schmerzen und Leiden, auch als unglaublich großen Verlust empfindet und nur deshalb in zu hohe Ansprüche geht, weil man so etwas noch nie von anderen AussteigerInnen wahrgenommen hat.
Bei denen steht immer soviel bockige Energie- da steht immer was von Kampf und Mut. Vom Annehmen, der inneren Dunkelbunten und „ihnen beibringen, dass es jetzt alles toller ist“. Da steht immer so viel Zukunft.
Aber irgendwie selten die Gegenwart, die sich in festumklammerten Selbst-s-Foltermethoden aus bekannter Verpflichtung heraus und Sturmdrang in Richtung Leben und Freiheit in Gänze vermischt. Diese Episode, in der man wie mit Vollgas und angezogener Handbremse auf das Ergebnis des Todes zuschießt- Stückchen für Stückchen, total subtil, händchenhaltend mit all seinen Gemögten und Begleitern und Verbündeten.
Einfach so- noch während man ein anderes Ziel für sich konstruiert und von den Wellen der Kraft auf denen man manchmal so reitet, auch zu ertrinken Gefahr läuft.
Vielleicht hat es auch mit einem Akzeptanzprozess (einem Wachsen) zu tun, dass man aktuell zu einem Opfertäter an sich wird. Und der Akzeptanz, dass man dies erst wirklich genau weiß, wenn man in dem Bereich ausgewachsen ist. Dann, wenn Zukunft ist.