jupp, Menstruation matters

Hashtag des Tages: #MenstruationMatters und #PeriodTalk

Ich habe letztes Jahr einen Artikel übers Bluten aus dem Uterusgeschrieben, nachdem ich zum ersten Mal seit Jahren wieder auf Wegwerfprodukte angewiesen war.
Inzwischen ist knapp ein Jahr vergangen und meine Hygienepraxis steht nun auf drei Säulen.
a) freie Menstruation
b) Stoffeinlagen
und c) der Mooncup

Nach dem Artikel erschienen zahlreiche Suchanfragen auf das Blog, die mich zwischen: “Oh, hm- also das will ich jetzt auch wissen” mit teils irgendwie doch angeekeltem “Irk” und “Oh- äh ja, das hätte ich vielleicht mal näher erklären sollen” schwanken ließen. Ersteres bezieht sich auf Sexfantasien und Letzteres auf Anfragen bezüglich der freien Menstruation.

Freie Menstruation meint im Grunde nichts anderes, als zur Toilette zu gehen, wenn sich eine gewisse Menge Blut und Schleimhautgemisch angesammelt hat.
In dem Buch dazu steht zwar, dass man seinen Muttermund so beeinflussen kann, dass er sich öffnet oder verschließt, ich habe das aber an mir so noch nicht überprüft,
Bei mir funktioniert das freie Bluten einfach über die Muskulatur des Beckenbodens und der Vagina selbst.
Da es sich bei Menstruationsblut, nicht um Blut wie beim Nasenbluten oder aus einer Wunde heraus handelt, funktioniert es mit weit weniger Kraftaufwand, als ich am Anfang gedacht hatte.
So zu menstruieren erfordert viele passende Faktoren, die für viele Menschen nicht immer und überall, vielleicht auch nie da sind oder sein können.
Da stehen am Anfang zum Beispiel die Bereitschaft sich seinem Körper soweit zu nähern und in der Nähe zu halten- mehrere Tage am Stück. Die doch auch gewisse Disziplin (hustzwanghaftigkeithust) im wahrsten Sinne des Wortes nicht locker zu lassen und die Möglichkeit auch ohne weiterführende Probleme zu scheitern und eben doch etwas vom Blut zu verlieren. Außerdem ist es wichtig ein Umfeld zu haben, in dem es keinen Zeitdruck und allgemeine Ruhe und Geborgenheit zur Nutzung der Toilette gibt.

So zu menstruieren hat schon auch etwas von einem Prozess des Gebärens und entgegen aller Abwertung die Menstruationsprozesse bzw. das Gewebe, das kein Leben im typischen Sinne mehr hervorbringt, erfährt, stellt es eben genau diese Ansprüche.
Hier ist die Anforderungspalette also sehr in sich und der eigenen Haltung zu seinem Körper verortet.
In verschiedenen Lebensstilen und Umständen aber, kann sich diese verschieben, weil man sich zum Beispiel an ein Umfeld anpassen muss, in dem die Toilette mit anderen Menschen geteilt werden muss; es nicht die Möglichkeit gibt sich wirklich gründlich zu waschen oder auch die Bedürfnisbefriedigung anderer Menschen mehr Raum einnimmt.
Und, es ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich bin allgemein kein Mensch, der entspannt ist und locker lassen kann; brauche viel Raum allein, um mich zu spüren und eine gewisse Selbst-bezug-sicherheit zu haben. Andere Menschen sind vielleicht nicht so und haben mit dieser Art zu leben und eben auch zu bluten, entsprechend eher Schwierigkeiten.

Zum Glück gibt’s aber noch andere Möglichkeiten.
Ich habe meine Stoffeinlagen nicht weggeworfen. Sie sind ein doppelter Boden, wenn ich mich außerhalb meiner Wohnung befinde und in Kontakte gehe, in denen ich meine Mitte und innere Haltung eventuell aufgeben muss oder mir das unbewusst passiert.
Die guten Stücke sind jetzt auch schon fast 6 Jahre alt und ich habe überlegt, ob und wann ich mir mal neue kaufen möchte.
So habe ich von Blumenkinder.eu erfahren. Einem Onlineshop in dem neben Stoffwindeln und bunten Stoffbinden, auch die verschiedenen Modelle der Menstruationstassen erhältlich sind.

Ich hatte ja geschrieben, dass mich die Größennormierung verunsichert hatte. Am Ende hatte ich dann einen Mooncup in Größe A in der Hand und sagte mir, dass ich ihn im Fall, dass er sich doch als zu klein herausstellt in kürzeren Abständen leeren kann.
Und dann: Autschn
Ich hab mir bei den ersten Versuchen wirklich fies wehgetan und mich damit in Grund und Boden getriggert.
Ich brauchte zwei Zyklen und einmal guten tiefenentspannenden Sex vorher, um den richtigen Dreh zu finden und auch zu verstehen, was so schwierig war.

Die Menstruationstassen bestehen aus Silikon, manche Modelle auch aus Latex, und müssen zur Nutzung kleingestopft werden. Im Demonstrationsvideo wird diese Variante gezeigt: 

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Wie man vielleicht erkennt, brauche ich viel Druck auf dem oberen Rand, um den Becher klein zu halten und der Durchmesser des Bechers plus Daumen und Zeigefinger beträgt 3,5cm, die dann einfach mal so, ohne sexuelle Erregung und zwischendurch auf der Toilette in den Körper eingebracht werden sollen.
Bei Narbengewebe, dem eine gewisse Elastizität fehlt, kann das wirklich ein Problem sein. Außerdem ist die Vagina zwar ein Schlauch, trotzdem kein Rohr, das, wie in den anatomischen Zeichnungen der Gebärmutter, ganz senkrecht von Vulva zu Cervix reicht. Es gibt diesen klitzekleinen Knick am Schambein entlang, der mit dieser Faltmöglichkeit auch noch umschifft werden muss. Und zwar relativ schnell dann nicht nur mit 3,5cm für Becher und Finger, sondern auch mit dem Rest der Hand.
Für mich bedeutete also die erste Zeit des Herumtestens nicht nur zu probieren, wie ich mit einem neuen Hygieneprodukt zurecht komme, sondern auch, wie ich ein neues Hygieneprodukt mit den Folgen der Gewalt an mir vereinbart bekomme.
Es ist halt eben doch nicht alles, wie es hätte sein können.

Ich fand dann ein YouTubevideo, in dem eine Frau* folgende Faltmöglichkeit zeigte:

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Hier beträgt der Durchmesser nur noch knapp 2cm und der benötigte Druck auf den unteren Teil des Bechers ist kleiner.
Menstruationstassen basieren auf dem Prinzip des Vakuums. Deshalb sind die kleinen Löcher unter dem dickeren oberen Rand bei der Reinigung und der eng zusammengefaltete untere Teil des Bechers wichtig. Im Körper entfaltet dieser sich und die Löcher oben sorgen dafür, dass der Becher “fest sitzt”. (Das tut übrigens nicht weh, fühlt sich aber überraschend seltsam an ^^ )
Ein weiterer Vorteil bei der zweiten Faltmöglichkeit ist, dass man nur mit einem Finger auf dem Becher in den Körper eindringen muss und das auch nicht besonders weit. Menstruationstassen werden sowieso nicht so weit eingebracht wie Tampons, weshalb man beim Mooncup auch das kleine Stäbchen am unteren Teil für sich zurechtschneiden muss. Andere Modelle haben kein Stäbchen, sondern eine Kugel oder einen Ring, ein Modell hat dort gar nichts.
Ich finde das Stäbchen als Lösung sinnig, weil es einen Referenzpunkt bei der Entfernung bietet. Um die Tasse zu entfernen, muss man den unteren Teil zusammendrücken, um das Vakuum zu lösen- nicht am Stäbchen ziehen!
Ich bewege das Produkt immer ein bisschen nach vorn und hinten, um die kleinen Hautfalten im vorderen Scheideneingang nicht zu quetschen. Ich weiß nicht, ob das bei Körpern anderer Menschen auch wichtig ist, aber ich erspare mir damit weitere (Mikro)Risse.

Irgendwo habe ich gelesen, dass man den Becher nach der Verwendung einfach auswischen kann, wenn man unterwegs ist. Ich habe das Gewebe jetzt immer einfach in die Toilette geschüttet und direkt im Waschbecken daneben ausgespült, weil “auswischen” auch “Schleim abwischen” bedeutet und damit eine Einführhhilfe für mich wegfiele. Aber es ist ein praktikables Vorgehen.
Es gibt Menschen, die Menstruieren für eine “blutige Angelegenheit” halten. Tatsächlich ist es eine “blutiger Schleim – Angelegenheit”. Deshalb spritzt auch kein Blut irgendwo wild durch die Gegend, wenn man die Tasse entfernt oder reinigt. Aber deshalb ist es auch schwierig sich sauber zu halten, wenn das Waschbecken weiter von der Toilette entfernt ist. Schleim tropft halt nicht wie Flüssigkeit einfach ab, sondern zieht Fäden.

Und so kommen wir zum Hygieneaspekt, auf den sich auch der Menstruationshygienetag am 28. 5. bezieht.
Dabei geht es darum über die Menstruation aufzuklären, Mythen aufzudecken, Scham und Schandepraxis sowohl zu benennen, als auch zu beenden. Außerdem werden Aspekte der Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken thematisiert.
Auf der Internetseite dazu gibt es jede Menge Tools und Materialien zum kostenlosen Verteilen.

Unter dem Twitterhashtag #MenstruationMatters finden sich viele interessante Links, (Werbung für verschiedene Produkte) aber auch Stimmen, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Ich habe bei der Recherche zu dem Artikel letztes Jahr, übrigens einen Artikel gefunden, der sich auf die Hygienepraxis der Menschen im Altertum bezog. So haben sich die Menschen des alten Ägypten angeblich weiche Pflanzenfasern zu einer Art Tampon gerollt oder als eine Art Binde in die Wäsche gelegt, etwas anders wird hierdarüber geschrieben.
Ich schreibe hier übrigens auch ausdrücklich “angeblich”, weil die Geschichtsschreibung bis heute (bzw. mindestens überwiegend) von Menschen gemacht wird, die selbst nicht bluten und gerade dieser Aspekt der Hygiene bis heute nicht wertungsneutral aufgebracht wird.
Selbst das moderne Aufklärungstum zum Thema “Frauen*hygiene” kommt nicht ohne rassistische Konnotation und Kulturbashing aus, was ich schwierig finde.
Natürlich ist es eine verachtende Praxis, wenn Frauen* tagelang in Menstruationshütten vor dem Dorf ausharren müssen (ohne vor Gewalt geschützt und allgemein gut versorgt zu werden), es ist aber Bestandteil einer Kultur, die es zusätzlich dazu gibt und die mindestens auch respektiert und in Bezug auf Wissensvermittlung eingebunden werden muss.

Gerade in Ländern in denen HIV und AIDS so allgegenwärtig ist, wie bei uns Grippe und Allergien, ist die Aufklärung über die Menstruation wichtig und zwar nicht nur, weil Menstruationsblut eine Körperflüssigkeit ist, sondern auch, weil der besonders gefährdete Personenkreis für eine Ansteckung eben menstruierend, arm und ohne Bildung ist.
So geht es bei diesem Hashtag und der Kampagne dahinter, nicht nur darum die gesellschaftliche Ächtung bzw. die schamhafte Belegung der Menstruation abzuschaffen, sondern auch um Entwicklungshilfe.

Es gibt Menschen auf dieser Erde, die sich Sand, Gras, (zweifelhaft saubere) Kleidungsstücke in die Unterwäsche legen oder in ihren Körper hineinstopfen, um sich “sauber” zu halten und keinen Zugang zu Alternativen haben, weil wir* unseren Müllberg aus Ressourcen, die wir* diesen Menschen stehlen- für die wir* sie ausbeuten in ihrer ganzen Lebens- und Arbeitskraft!, vergrößern müssen.
Weil Tampons so hübsch unsichtbar sind, weil Wegwerfbinden weniger peinlich sind, weil Menschengeruch nicht Freshnessgeruch ist, weil synthetische Stoffe so praktisch und auch billiger sind… weil wir uns schämen (sollen).

Ich war und bin es leid mich für mich, meinen Körper, seine Gerüche und sein Bluten zu schämen und nicht für die Ausbeutung, die ich hier im reichen weißen Kartoffelland anderen Menschen ganz weit entfernt antue.
Auch deshalb sage ich “Menstruation matters!”

unspeakable inhumanity ~ strukturelle Gewalt

OLYMPUS DIGITAL CAMERAda war sie wieder: die Begrifflichkeit „unspeakable inhumanity“
Ich kenne sie. Nutze sie aber nicht. Zumindest nicht so.
Als ich mich mit dem Überleben und den Überlebenden der Shoa auseinandersetzte und dann irgendwann bei einem der vielen amerikanischen „researchprojects“ wiederfand, stolperte ich auch schon über diese Formulierung.

Diese Begrifflichkeit verbindet zwei Dinge miteinander, die im großen Rhizom um die Fragestellungen, die Gewalt an uns als Menschheit stellt, immer wieder auftauchen.
Zum einen die Frage nach der eigenen Menschlichkeit-der Menschlichkeit als solcher, die, meiner Meinung nach, noch immer nicht klar definiert ist und zum Anderen, die nach der Sprache und ihrem Fassungsvermögen, als Transportmittel zum Begreifen innerhalb menschlicher Fähigkeiten zu ebenjenem.

Gäbe es so etwas, wie „unspeakable inhumanity“, wüssten wir* nichts davon, denn Unsagbares, kann nicht vermittelt werden.
Gäbe es so etwas, wie „inhumanity“ also Unmenschlichkeit, als Option eines direkten Handelns als Mensch, dann müssten wir Menschen entweder unsere Selbstbezeichnung verändern, oder anerkennen, dass wir uns eigenständig aus unserer genetischen Struktur herausbegeben können, wie transmorphe Fabelwesen, denn Menschen sind immer Menschen- egal, was sie tun.

Trotzdem transportiert dieses Wortpaar etwas.
 In meinen Augen ist es der Versuch eine überfordernde Kraft oder Macht zu beschreiben, die von Menschen ausgegangen ist oder ausgeht.
Obwohl alles Handeln von Menschen menschlich ist- also nur innerhalb menschlicher Fähigkeiten, passieren kann, ist es durchaus Teil menschlicher Fähigkeit, zu abstrahieren und zu diffundieren, wie auch die Fähigkeit zu transponieren und zu assoziieren. So werden zum Beispiel aus „Tante Ilse und Onkel Kurt“ in einem anderen Kontext zu „Kundennummer 1 bzw. 2“.
Diese Leistung erscheint vielleicht nicht besonders groß, da die Inhalte die an „Tante Ilse und Onkel Kurt“ gebunden sind, unbekannt sind. Dieser Umstand erleichtert das Abschneiden dieser Inhaltscluster, (wie es ja bereits die Begriffe: „Onkel“ und „Tante“ durch das Abschneiden ihrer Inhalte- nämlich die die Schwester oder der Bruder der eigenen Mutter/ des eigenen Vaters zu sein, tun).

Meiner Ansicht nach ist diese Leistung aber groß.
 In meinen Augen ist es eine Fähigkeit, die sich proportional zur Fähigkeit der Selbstversorgung eines Menschen bzw. seiner Machtrefugien verhält. Es ist nicht wichtig zu wissen, in welchen Verwandtschaftsverhältnis zum Beispiel Onkel und Tante tatsächlich zur eigenen Person stehen (ob sie an Mutter oder Vater gebunden sind), wenn weder Onkel noch Tante noch Mutter noch Vater gebraucht werden, um diese Menschen in meinem von mir zu definierenden Bereich zu positionieren.
Der Bereich über den ich als Person die Macht habe, braucht nur so viel, wie ich brauche, um ihn zu erhalten.

 Würde ich also ergo ein Geschäft leiten, wäre die Notwendigkeit eben nicht an Onkel und Tante, sondern an Kundschaft, die in Hoffnung auf ein nachvollziehbares (definierbares) Wachstum nummeriert wird.

Es gibt Machtbereiche in denen Namenlosigkeit eine Säule dieser Machtbereichssicherung darstellt.
Als Fragestellung bliebe hier, ob dies als Angriff auf die Identität dessen was mit einem Namen belegt sein könnte zu werten ist, oder es sich tatsächlich um ein System handelt in dem Selbstbild, Identität und Identifizierung aus der Position eines Namen/Identität zugestehenden Systems heraus, als solche schlicht nicht nötig/ gewollt und aktiv unterbunden ist.

An dieser Stelle ist das Konzept „Jobcenter“ für mich spannend, weil es die Frage nach demjenigen aufwirft, der Machtgewinne erfährt.
Die bedürftigen Menschen
– (im Staatsmachtsystem „BürgerInnen“ genannt (Inhaltscluster: muss sich an die Gesetze halten, die u. A. sagen: „Geh zum Jobcenter, wenn du kein Einkommen hast“- ergo bereits hier nicht als „Mensch“ anerkannt)-
werden zu KundInnen des Jobcenters
– (Inhaltscluster: KundInnennummer- (als Teil einer Statistik im weiteren Verlauf der Diffusion) und gleichzeitig VertragspartnerIn (seines/ihres Zeichens menschlich- denn mit Tieren/ Pflanzen werden keine Verträge geschlossen)- ist der Macht des Jobcenters* komplett unterworfen, da existenziell abhängig)

Die MitarbeiterInnen des Jobcenters
 – (im Staatsmachtsystem „BürgerInnen“ genannt (Inhaltscluster: muss sich an die Gesetze halten, die u. A. sagen: „Wenn du arbeitest, hast du dich an deinen Arbeitsvertrag zu halten“)
werden zu SachbearbeiterInnen
– (Inhaltscluster: MitarbeiterInnennummer- (als Teil einer Statistik im weiteren Verlauf der Diffusion) und gleichzeitig
VertragsvermittlerInnen zwischen „dem Jobcenter*“ und den KundInnen, die im Laufe der Jahre an ihnen vorüberziehen – dem Jobcenter* in sofern unterworfen, als dass die Arbeit und damit das Mittel zur Sicherung der eigenen Existenz durch den Arbeitsvertragspartner definiert wird)

In Anbetracht der Tatsache, dass als MachthaberIn hier allein ein Name (Jobcenter*) auftaucht, sollte die Frage nach der Menschlichkeit des Systems „Jobcenter“ hinreichend geklärt sein.
 Nun mag der berechtigte Einwurf kommen, dass es sich bei der Agentur für Arbeit (Jobcenter*) um ein ausführendes Organ handelt- es bleibt dennoch ein System, das von vornherein, nicht als Mensch vor einem Menschen auftaucht und sich eben darum auch die Verunmenschlichung von BürgerInnen, die- fern aller Machtbereiche- Menschen sind, erlauben darf, was wiederum, meiner Meinung nach, etwas ist, das der Staat, der sich als solcher verpflichtet hat, die Menschen als solche zu schützen (vor eben jenem Umgang als Nichtmensch), als Aufgabe zur Durchsetzung im Grundgesetz stehen hat.

Was hier als strukturelle Gewalt (Unterwerfung/ Ausgrenzung/ Dominanz mittels eines verunmenschlichenden Systems) bezeichnet wird, ist gleichsam als „inhumanity“ betrachtbar, da es sich um ein System handelt, das als System (Nichtmensch) nur unmenschlich auftreten kann.

Dies als Faktum akzeptierend sollte nun verdeutlichen, dass alles Einfordern einer Menschlichkeit- gar die Gewährung diverser Menschenrechte gerichtet an „das Jobcenter*“/ „die Krankenkasse*“/ „die PolitikerInnen*“ sinnlos ist und niemals zu Erfolg führen kann.
Es ist eine Forderung, die an eine vom Staat wegdiffundierte Verantwortung gerichtet ist, welche wiederum in sich ein Produkt aus Sicherungsgier und Gewaltexistenz ist.

Diese Problemstellung ist transponierbar.
Am Ende steht, dass es Unmenschlichkeit nicht gibt, nur unmenschliche Systeme, die von Menschen gemacht sind, die alle Gewalten in ihrem Leben internalisieren, auf ihr Leben transponieren, alle Werte, die ihr System nicht braucht, abschneiden und anderen Menschen oktruieren oder sie dazu bringen, davon zu profitieren (sie in eine Mitverantwortung zu bringen).

Fortsetzung folgt

die * stehen hier für all Variablen, die durch die Eingrenzung mittels Artikel vor dem Wort abgeschnitten werden bzw. beim „wir“ als „wir als Menschheit mit allen Facetten“

 

die Sache mit dem Schreien nach Aufmerksamkeit

Da gab es einen Satz in der letzten Therapiestunde, der mir sowohl „Autsch“ als auch „Stimmt“- Impulse näher brachte:
„Wer schreit, kann nicht zuhören“

Wie wahr, wie wahr. Wenn jemand schreien muss, um gehört zu werden, dann bringt er in der Regel viel Energie auf und hat schlicht keine Kapazität mehr, um zuzuhören. Ab einem Punkt gibt es auch keine Ratio mehr. Dann ist ein Level erreicht, in dem es nur noch darum geht, gehört und sich seiner angenommen zu fühlen.

Dieser Satz brachte mich zurück in meine Kinder- und Jugendpsychiatrie- sowie meine Heimzeit als Jugendliche. Wie oft habe ich dort – ausgerechnet dort! – den Antisatz schlechthin gehört: „Ach – sie will ja nur Aufmerksamkeit“? Ich habe es nicht gezählt.

Es ist ein Antisatz, weil er oft zur Sackgasse verleitet.
Wer in der Lage ist, jemanden schreien zu hören, der kann auch zuhören und entsprechend handeln. Sich mit einer Beschreibung bzw. auch einer Deutung eines Verhaltens darzustellen, als jemand, der dies schon richtig einschätzt und damit sein (unter Umständen falsches) Handeln- oder auch Nichthandeln oder gar Ignorieren rechtfertigen darf, der nutzt etwas aus.
In meiner Klinik- und Heimzeit war es ein Machtgefälle.
Ich brauchte Hilfe und schrie es auf viele Arten heraus und manche Helfer standen da, sahen dies und legten mit dem Satz „Ach, sie will nur mal wieder Aufmerksamkeit“, die Hände in den Schoß. Werteten meine Not ab und verstärkten sie damit gleichzeitig, denn die Verzweiflung wuchs: Da hatte jemand mein Schreien bemerkt und mich doch wieder nicht wahrgenommen. Mir genug Aufmerksamkeit geschenkt, mein Schreien als solches zu hören, aber nicht genug, um es anzuhören und sich mir in der Folge zu widmen.
Ich war auf Hilfe angewiesen und jene, die sie mir hätten zukommen lassen sollen, ignorierten sie aus was weiß ich für Gründen. Einen Vorteil hatten nur sie davon. Ich konnte mich nicht mehr anders ausdrücken, doch jedes weitere Schreien konnte unter ihrer Deutungs-/ Definitionsmacht weiter abgewertet werden. Egal, was ich tat – es war nicht das, was zu dem führte, was ich brauchte.

Wenn wir Menschen geboren werden, können wir unter Umständen bis ins dritte Lebensjahr nichts Anderes tun, als mehr oder weniger artikulierte Schreie und Laute von uns geben. Die erste Form von Ausdruck über Befindlichkeiten und auch Nöte ist das Schreien.
Es ist ein Akt, der unglaublich viel Kraft abverlangt und deshalb im Laufe der Jahre immer gezielter eingesetzt wird, sobald das Gehirn so weit ausgereift ist, dass es klar und eindeutig Ursache und Wirkung miteinander verbinden kann. Bis es ein Gefühl für Selbstwirksamkeit gibt:
Ich schreie = das, was außerhalb von mir ist, reagiert darauf = mein Bedürfnis wird befriedigt

Sind wir Menschen in der Lage, Worte zu verwenden, Werkzeuge gezielt zum Ausdruck innerer Prozesse und Gefühle zu nutzen, brauchen wir nicht mehr Schreien oder auf unartikuliertes Ausstoßen von Tönen zurückzugreifen. Wir tun es aber trotzdem, wenn wir in großer Erregung sind. Wenn durch unsere Adern alles schießt, was da schießen kann. Angst, Schmerz, sexuelle Erregung, Freude, Verzweiflung. Selbst wenn kaum noch etwas schießt, zum Beispiel bei einer Depression oder im Sterbeprozess, schafft es unser Organismus noch unartikuliertes Stöhnen oder Seufzen zu produzieren, um eine Ausdrucksmöglichkeit bereitzustellen.

Ist das nicht der Hammer schlechthin? Was unser Körper alles an Kraft aufzubringen in der Lage ist, um eine Entlastung durch die Befriedigung unserer menschlichen Grundbedürfnisse zu erreichen!

Warum fällt es so schwer, der Seele den gleichen Platz wie Hunger, Durst, Nähe- und Wärmebedürfnisse, ja sogar das Bedürfnis nach Spiritualität einzuräumen?
Weil sie unsichtbar ist? Die Bewertung der seelischen Bedürfnisse einzig subjektiv vornehmbar ist? Oder nicht vielleicht auch, weil unsere westliche Vorstellung von Gesundheit, nach wie vor eine Trennung von Körper und Geist und Seele vornimmt?

Ich könnte jetzt einen kleinen Exkurs in Psychosomatik beginnen – mache aber doch nur einen kurzen Abstecher.
Jeder, der mal Liebeskummer hatte, weiß, dass es gegen diesen Schmerz keine Tablette gibt – dass aber eine Selbstmedikation aus Selbstmitleid, Trost von außen und viel Schokolade sehr gut hilft. Will sagen: ja – da ist eine Trennung – doch nicht so eine Trennung, als wäre die Seele ein eigenes Organ, ganz ohne Einfluss auf den Körper. Sowie andersherum Dinge, die dem Körper zugeführt werden, einen Einfluss auf die Seele nehmen.
Das kann man in dem täglichen Miteinander voneinander lernen, wenn man sich einander widmet und seinem Schreien zuhört.

Ich habe es an mir gelernt, als ich begriff, dass ich immer dann den Drang mich aufzuschneiden spürte, wenn ich eigentlich das Bedürfnis nach warmer Nähe- nach liebe- und verständnisvollem Kontakt hatte. Ich einfach nur jemanden brauchte, der sich mir widmete.

Es ist tatsächlich ein Schreien. Ein unglaublich kräftezehrendes Schreien.
Wir mussten zu Klinikzeiten ein Protokoll führen, um das Muster der Selbstverletzung, der Essstörung, der Dissoziation zu erkennen.
Dieses Protokoll half uns, das Bedürfnis, welches das Schreien (in diesen Fällen das Hungern und Schneiden) nötig machte zu erfassen und auch zu reflektieren, wann genau der Moment vorbei war, in dem der „flüsternde“ Ausdruck dieses Bedürfnisses nicht gehört oder auch direkt übersprungen wurde, weil gemäß der Lernkette kein Flüstern lohnte.

Der Satz „Die will ja nur Aufmerksamkeit“ ist etwas, das so eine „Ach – hier lohnt das Flüstern gar nicht“- Lernkette verfestigt. Er bestätigt die Lernkette: Ich sage etwas = niemand reagiert.

Man kann so eine Erkenntnis für sich haben. Natürlich. Man kann als Helfer da stehen und ein Verhalten für sich so einordnen. Aber dann muss ein weiterer Schritt kommen!
Im günstigsten Fall auf den Schreienden zu.
Dieser kann dann erfahren, dass seine Nachricht irgendwo angekommen ist. Und dann wird das Schreien verebben. Und DANN ist auch wieder Platz für Ratio und Zuhören.
Vorher nicht.
Ganz einfach.

Von Schreienden zu verlangen, die Klappe zuhalten, ihren Ausdruck zu unterlassen, ist Gewalt.
Eine Gewalt mit der wir hier in unserer Kultur alle durch Bank weg, mehr oder weniger stark (und zerstörerisch) konfrontiert waren, als wir selbst Kinder waren. „Kinder soll man sehen – nicht hören“. Ein Satz aus der Jahrhundertwende. Heute sagt ihn niemand mehr – es wäre aber ehrlicher, ihn zu sagen. Denn in vielen kleinen und großen Zusammenhängen erwarten wir Erwachsenen genau das von Kindern: „Sei still!“.
Und dieses Muster tragen unsere Kinder unter Umständen weiter. Es sei denn wir widmen uns ihnen und schaffen es ihre Perspektive einzunehmen und ihnen ihre Ausdrucksmöglichkeiten zuzugestehen. Diese zu akzeptieren und im Miteinander zu berücksichtigen.

Manchmal denke ich: „Ach Mensch, es ist doch so einfach eigentlich. Wieso klappt das denn nicht? Gerade in Einrichtungen, in denen viele Menschen sind, die vor sich hinschreien – sich vielleicht sogar richtig festgeschrieen haben. Es kann doch nicht sein, dass das immer und immer so ungehört bleibt! Es wäre doch im Vergleich schneller ‚erledigt‘, wenn man sich ihrer annimmt …“
Ab und an habe ich den Verdacht, dass es vielleicht auch eine Angst gibt, das eigene Schreien nicht mehr gehört zu wissen. Als Helfer in der Not nicht mehr schreien zu dürfen – seine Bedürfnisse nicht mehr ausdrücken zu dürfen. Als sei die Annahme anderer Menschen etwas, das eigene Nöte ausschließt.

Und tatsächlich finde ich diesen Gedanken oft bestätigt.
Es gilt als unprofessionell emotionale Tiefs zu haben und diese deutlich zum Ausdruck zu bringen. Als schwach gilt, wer Mitleid empfindet und selbst ein paar Tränen vergießt. Gerade im Bereich der Pflege, Pädagogik und auch im psychiatrisch-medizinischen Bereich.
Da gibt es die Vorgabe von strikter Abgrenzung und Unpersönlichkeit. So ein Ideal vom Halbg’tt in Weiß, an dem alle Emotionen wie von gleichsam weißen Lotus abperlen. Wer dem nicht entspricht, ist schwach, unprofessionell, nicht geeignet für seinen Beruf. Unterm Strich: minderwertig.

Ich will jetzt nicht dazu aufrufen, dass mir meine Therapeutin heute oder auch früher meine Betreuer oder die mich betreuenden Krankenschwestern hätten ihre Probleme erzählen sollen. ABER – ich hätte mit: „Ich habe heute einen miesen Tag-bin krank-meine Ohren und mein Herz sind heute überhaupt nicht auf für deine Not“ oder auch „Ich sehe dich, aber ich habe keine Kraft/ keine Zeit/ keine Ideen, um dir gerade gut und hilfreich beizustehen“ lernen können:
Ich schreie = jemand hört mich, kann mir aber gerade nicht zuhören – ich muss warten/ zu jemand anderem gehen/ XY tun (vielleicht dem Menschen helfen?) = dann wird mein Bedürfnis befriedigt

Mit: „Du willst ja nur meine Aufmerksamkeit“ wurde nur gelernt, dass ich weiterschreien muss.
Und sei es meine Verzweiflung darüber, dass mich niemand wirklich hört. Wie früher. Wie damals, als so viel durch meine Adern schoss, dass ich nichts weiter tun konnte, als wie am Spieß zu schreien. Wie damals, als ich noch gar nichts anderes konnte als mich durch Schreien verständlich zu machen. Und das vor Menschen, vor denen ich nur deshalb stand, weil bereits damals niemand zugehört hatte.

Ich bin froh und dankbar, dass ich heute viele Ohren habe.
Dass ich schreiben kann.

Und dass ich heute gehört werde.

Menschen mit („geistiger“) Behinderung und Diskriminierungslotto

Ich hatte gerade Besuch der zum kollektivem Anfall von Tischplattenzerstörung mittels Kopf aufrief.
Grund für die Aufregung: Diskriminierung im Vorbeigehen, noch während man sich mit der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzte (schlimmstes Autsch dabei: in einer Gruppe von Menschen die irgendwann mit der Aufgabe der Inklusion von Menschen mit Behinderungen betraut sein wird)
Auslösender Satz: „Ach bei geistig Behinderten ist die Sache mit dem Geschlecht ja nicht so wichtig, weil die ja eh keine Sexualität leben bzw. Kinder bekommen.“
Ruf in die Reihen jener mit etwas mehr Awareness, als ein Stück Toast: Ihr dürft jetzt von den Wänden wieder runterkommen- schlimmer gehts immer- wird es aber heute nicht.
Wo man hier anfangen soll, ohne sich zu verzetteln und möglichst noch einen Augenöffner zu reichen…
Hm, ich probiers mal mit der Begrifflichkeit.
„Behinderte“ ist in meinen Augen das reduzierenste Nomen, welches für die Benennung von Menschen mit Behinderungen derzeit immer noch verwendet wird. Es ist ein defizitzentriertes Wort, dass den Kern der Bedeutung unterschlägt. Es verschweigt, dass man von einem Menschen- einem lebenden, fühlenden Wesen spricht.

Lebende fühlende Wesen haben eines gemeinsam: sie wollen alle leben und (die meisten) sind von Natur aus in der Lage dieses Leben mittels Sexualität weiter zugeben.
Dies tun sie entsprechend ihrer genetischen Codierung als männliche, weibliche oder auch hermaphrodite (bei Menschen: intersexuelle) Parts.

Und zack: haben wir was im Zentrum?
Einen Menschen, der weiblich oder männlich oder intersexuell ist- ergo einem Geschlecht
(ja ich fasse auch die Zweigeschlechtlichkeit als eigenes auf) angehört und ergo berechtigt ist, dies mit allen Problemstellungen drum herum anerkannt zu bekommen.
Warum gerade dies so wichtig ist?
Jede dritte Frau* (biologisch als weiblich klassifizierter Mensch) erfährt in ihrem Leben sexuelle Gewalt auf irgendeinem Punkt in dessen breitem Spektrum. Das Risiko dafür ist höher, liegt eine Behinderung vor.
Für das Risiko dem Männer* (biologisch als männlich klassifizierte Menschen) ausgesetzt sind, fand ich keine aktuelleren Zahlen,als jene die die sich bei
gegen-missbrauch.de finden lassen. Ein Eintrag übrigens der sich für alle lohnt, die Zahlen zum Thema „sexuelle Misshandlung + Menschen mit Behinderungen“ suchen, genauso wie die PDF von Werner Brill aus dem 90 er Jahren.
Warum noch?
Mir persönlich erscheint es wie Relikt aus der NS- Diktatur (auch, weil ich mich mit dem Umgang mit Menschen mit Behinderung vor den 30 er Jahren noch nicht auseinandergesetzt habe- da Schmerzgrenze bereits erreicht), doch noch immer wird Menschen mit („geistigen“) Behinderungen keine eigene Identität einfach so zugestanden. Schon gar nicht ein reifes- ausgeklügeltes inneres Universum wie alle „anderen“ Menschen eines in sich tragen. Schauen sie mal in den nächsten Artikel über eine Wohngruppe von Menschen mit Down-Syndrom- was meinen sie: Haben diese Menschen wohl auch Nachnamen? Haben Sie den Eindruck, wenn Sie so einen Artikel lesen, dass es um Menschen geht, die komplexe Gefühlsverflechtungen in sich tragen und mehr im Kopf haben, als den Lieblingssportverein?

Menschen, die auch lieben können?254467_web_R_K_B_by_Stephanie  Hofschlaeger_pixelio.de

Menschen, die auch körperliche Liebe leben?
Menschen, die wissen, wie man körperliche Liebe lebt?

Menschen, die vielleicht auch mal aufgeklärt werden müssen, damit ein einvernehmlicher, sicherer und auch befriedigender Umgang damit gefunden werden kann?
Menschen die sich vielleicht auch ab und an mal fragen: „Hm- ich finde die Anke ja ganz schön und toll, aber dürfen Mädchen und Mädchen eigentlich…?“ ?

Menschen, die ganz genau die gleichen Verwirrungen im Bezug auf sich und ihre Geschlechtszugehörigkeit (sowohl biologisch als auch sozial!) verspüren können?
Menschen sind Menschen und jeder Einzelne ist fähig im Rahmen seiner Fähigkeiten bzw. Möglichkeiten menschliches zu tun, zu denken, zu fühlen.
Die Zeiten in denen man Menschen mit geistiger Behinderung einfach mal eben so eine Kastration unterjubelt sind dem Himmel (und all den engagierten Fürsprechern dieser Menschen) sei Dank vorbei. Das Thema „(„geistige“) Behinderung und Sexualität“ kommt endlich auf den Tisch und da hat es auch drauf zu bleiben!

Wir sprechen von Menschen, die die gleichen Rechte haben, wie alle Menschen ohne Behinderungen (zumindest in weiten Teilen und auf dem Papier- denn machen wir uns nichts vor: wirklich NUTZEN können viele so abhängige Menschen ihre Rechte nur, wenn sie wirklich gute Fürsprecher und ein barrierefreies Umfeld haben- und daran mangelt es ungeheuer!).
In dem Satz ist übrigens noch eine fiese Verstrickung drin: der Zusammenhang zwischen dem Körpergeschlecht und dem Ergebnis der Fortpflanzung. Tut mir leid den Einen oder Anderen von seiner rosa Wolke zu holen, aber wer von den beiden Eltern wird der Teil sein, der sich um das Kind unter Umständen auch allein (bzw. dann im Rahmen einer speziellen Betreuung o.Ä.) kümmern werden muss, wenn das andere Elter sich trennt?
Auch unter Menschen mit Behinderungen gibt es Sorgerechtsstreits und zack befinden wir uns in einem Sumpf aus sexistischer, ableistischer und struktureller Diskriminierung par excellance. Und wer wird verlieren? Es ist immer der mehrfach diskriminierte Mensch und da im Diskriminierungslotto nachwievor die Gewinner weiblich (bzw. als solche klassifizierte Menschen) sind, ist auch hier „die Sache mit dem Geschlecht“ extrem wichtig!

Und nun einmal meine Sprachknall-Preisfrage:
Würde man nicht immer von „Behinderten“ sprechen- wäre ihnen die Menschlichkeit der Menschen mit Behinderungen in Bezug auf die hier aufgeführten Punkte, auch so abhanden gekommen?

was dann kommt

Vielleicht hat schon mal jemand Geschichten von sogenannten “Wolfskindern” oder auch gehört- mindestens aber von Mogli aus dem Dschungelbuch.

Eigentlich sollte dieser Artikel hier eine der beliebten Disneyinterpretationen werden. Aber ich bemerkte schon beim Lesen der Inhaltsangabe, dass dies eine Geschichte ist, bei der es mir nicht gelingen würde, die rosarote Happy-Lifestyle-Zuckerscheiße mit dem Disneyemblem drauf runterzukratzen.

Zu nah ist die Isolation. Zu genau kennt mein Innen die Art von absolut existenzieller Überlebenskraft, welche hinter der Annahme von Tierischkeit oder, in etwas anderer Form, Verhaltensweisen des Hospitalismus stehen.
Zu genau, kennen wir die Gefangenschaft bzw. Umgebung die “wilde Kinder” produziert.
Deshalb verweise ich hier lediglich auf die Geschichte des Dschungelbuches und versuche mich anzunähern und das Eine oder Andere auszuformulieren.

Den ersten Teil des Geschehens der Befreiung bzw.den ersten Eintrittsakt hat Frau Kampusch in ihrem Buch “3096 Tage” schon gut angerissen. Man befreit sich- kommt endlich endlich raus- kommt endlich im Dorf an und was kommt dann?
“Hände hoch! Wer sind sie? Was wollen sie?”

Als würde man mit seiner Befreiung diese Worte in die Haut- die Seele- die Großhirnrinde gestickt bekommen, verlassen einen diese drei Punkte nicht mehr. Auch Jahre später nicht.
Wer bin ich?
Was will ich?
Ich muss zeigen, dass ich keine Bedrohung bin. Meine Waffenlosigkeit beweisen.

Von nun an gilt alles was ich gelernt und mir angeeignet habe, um zu überleben als falsch, deplatziert, unpassend, zu viel, unsozial. Und wenn ich das Pech habe durch die Tür einer Psychiatrie gehen zu müssen, weil es für Menschen wie mich schlicht keine staatlich geförderte Alternative gibt, auch noch als krank!
Die inneren Ergebnisse jahrelanger Misshandlung, Isolation und gesellschaftskonträrer Sozialisierung fallen nicht immer sofort als solche auf, weil kaum jemand einen so weiten Fokus hat, der auch beinhaltet, dass jemand Dinge für Wunder hält, die er selbst als selbstverständlich empfindet.

Als wir das erste Mal Freiheit erlebten, wurden wir eingesperrt. In eine Psychiatrie.
Zum ersten Mal in unserem Leben, erlebten wir eine einzige Welt- eure Welt- die Welt “der Anderen”. Eine Einzel-Welt, weil hermetisch verschlossen. (Eigentlich so ein Gleichnis)

Und statt Erleichterung und Glückseligkeit, war da Angst. Todesangst und permanente Verwirrung.
Niemand hat das gesehen. Und niemand sieht sowas bis heute an uns.
Vieles, was für andere selbstverständlich ist, ist für uns nachwievor mindestens verwunderlich oder ganz eigentlich verboten und nicht zustehend.

Wir schreiben hier unsere wirklichen Gedanken zu Disneyfilmen auf! Das hier sind keine gewollten Perspektivschwünge. Wir haben diese Filme nie zuvor gesehen- sind nicht mit dieser Art Verwischung und dem Dauerentertainment- diesem eigentlich gesellschaftlich akzeptiertem Abtöten des Geistes- aufgewachsen und empfinden sie nicht als normal bzw. sortieren das Sehen eines Filmes nicht als reine Unterhaltung ein.
Die Fragen, die hier stehen, stellen wir uns wirklich.
Die Dinge über die wir uns wundern, wundern uns ganz wirklich!

Und die Einsamkeit die wir hier beschreiben und in Worte zu bringen versuchen ist auch wirklich da. Nicht immer, weil wir wirklich real und physisch allein sind- aber immer weil wir oft wie auf kleinen Eisschollen durch menschliche Interaktions- , fremde Werte-, Vorstellungs-  Moralsümpfe treiben. An einer anderen- vielleicht basaleren Stelle verhaftet, als unsere Mitmenschen.
Wir haben keine Ahnung davon, wie man was am Besten sagt oder tut oder wie man was wann und wo am Besten macht oder auch nicht macht, wenn es plötzlich  nicht mehr ums schiere Überleben geht. Die Welt in der wir das noch ganz genau wussten und für die wir gewappnet sind, liegt hinter uns. Sie hat uns verletzt, verkrüppelt und auf eine Weise wachsen lassen, die uns niemals passend erscheinen lassen wird.

Mogli wird vermutlich auch vor einem Spind stehen und denken: “Was für Sachen?! Bett?! Essen am Tisch?! Keine Nacktheit vor Fremden?! Privatsphäre??? HÄÄÄÄ?!”
Doch Mogli ist ein Kind. Er hat wie viele andere “wilde Kinder” je nach Ausmaß der Schädigungen und Defizite, die Chance ganz offen nachsozialisiert zu werden. Da wird es jemanden geben, der versucht ihm das alles beizubringen.

Und bei uns?
Die Menschen, die professionell andere Menschen nachsozialisieren fragen: “Was wollen Sie (erreichen)?” und die Menschen, die mir so im Alltag begegnen fragen: “Wer bist du?”, bevor sie überhaupt nur irgendwas mit mir zu tun haben wollen. Sie erwarten ein Selbstkonzept und ein Gespür für soziale Identität, dass sich bei uns aber gerade erst entwickelt bzw. wahrgenommen und sortiert wird.
Kindern, unschuldigen Kindern, wird diese Schutzlosigkeit, diese Art des Ausgeliefertseins eher anerkannt als Erwachsenen. Kindern wird zugestanden, dass sie Dinge noch lernen müssen, dass sie ihre Position und ihren Weg erst finden müssen.

Verständnis für Schutzreaktionen, Ängste und die Art Unwissenheit- mindestens aber Unsicherheit, können wohl aber  insgesamt nur wenige Kinder und auch Erwachsene mit diesem Hintergrund erwarten.
Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie sich die innere Welt füllt und entwickelt, wenn man einzig sich selbst hat. Man fängt an Stellvertreter zu benutzen um das, was aus sich selbst heraus kommt, zu etwas zu machen was in sich hinein kommt. Einfach nur, um dieses Bedürfnis nach Ansprache zu befriedigen. So geschieht es, dass das Schottersteinchen, das man vor sich hat, einen Namen bekommt, eine Meinung, ein Gesicht. Es zum Zeugen und Tröster, aber auch Herausforderer oder Verhöhner wird.

Wenn ein Mogli bei Wölfen groß wird, hat er diesen (sozialen) Input natürlich. Doch ist es einer der nicht seiner Natur, seinen Fähigkeiten und seinem Potenzial entspricht. Ein Mensch ist ein Mensch. Ein Wolf ist ein Wolf. Es kann eine Kommunikation geben, einen Austausch und eine Verbindung, die das Überleben als Gruppe sichert, doch auf keiner der beiden Seiten, werden jeweils alle verfügbaren Kanäle benutzt und trainiert. Es geschieht eine Anpassung, aber nie eine komplette Verwandlung, wie es die frühen Darstellungen von “wilden Kindern” gerne weismachen wollen.

Was passiert mit Menschen(kindern), die lange Zeit nur sich oder einen (auf der biologischen Ebene) unzureichenden Kontakt hatten?

Dinge zu lernen und zu beherrschen ist ein Schutz. Je breiter das Interaktionsspektrum und die Möglichkeit diese auszuprobieren und anzuwenden, desto mehr Schutzmöglichkeiten gibt es. Hatte man nicht die Gelegenheit so zu trainieren bleiben ein- zwei Strategien alles was es gibt.

Kampf, Flucht, Starre.
Zerstörerische Ausbrüche
Vermeidungstänze in Form von Verhaltensstörungen, Süchten und anderen “Stellvertretern”
Unterwerfung, Anpassung, Dissoziation

Um zu lernen wie man in der neuen Welt besteht, muss man Platz für seine Verwunderung haben. Auf Verständnis für seinen Schutz stoßen. Auf jemanden treffen, der geduldig und vielleicht aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus erklärt, wie die Welt funktioniert und gleichzeitig genug Halt gibt, um nicht unter der wachsenden Erkenntnis zerdrückt zu werden. Vielleicht braucht man eine Art Nach(ge)wachshaus.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass das etwas ist, das nicht gesehen wird. Vielleicht weil sich nicht jeder in dem Maß wundert und erschreckt wie wir. Vielleicht, weil für die meisten Menschen Sonnenlicht und Bewegungsfreiheit immer völlig selbstverständlich waren. Wenn etwas selbstverständlich ist, dann wird es wohl nicht mehr so oft hinterfragt.

Vielleicht ist es auch einfach auf eine Art basal, die nur dann wahrgenommen wird, wenn man selbst über lange Zeit hinweg auf der zutiefst eigenen Basis seiner Existenz zu stehen gezwungen war.

Vielleicht ist es diese Nähe zu sich selbst, die später trennt und vielleicht niemals zu überbrücken ist. Auch wenn man längst kein “wildes Kind” mehr ist, ein Bett benutzt, Kleidung auf der Haut aushält und menschsozialer Konventionen entsprechen kann.

Vielleicht ist es das, was meine Augen hat weinen lassen, als der Film zu Ende war.
Das Wissen, dass Disney verzuckert hat, was der bitterste, tiefste Bruch im Innern eines Menschen sein kann. Das Wissen, dass die ganzen Menschen, die “wilde Kinder” dokumentiert und beforscht haben, sich genau darüber nicht klar zu sein schienen.
Die Befürchtung, dass die Menschen die uns heute umgeben genau das auch nicht im Bewusstsein haben.

Die Angst im Innern vielleicht für immer diese Art “wildes Kind” zu bleiben.

Wie wär´s mit der Kategorie Mensch?

Jemand sucht eine Kategorie für sich.
Ich schlage “Mensch” vor und stoße auf Unverständnis bei einem Dritten.

Und stehe wieder da und wundere mich.
Nicht böswillig oder wütend. Einfach nur verwundert. Und auch traurig.

Das Finden von für mich-uns passenden Kategorien war eine sehr lange Zeit, Dreh- und Angelpunkt im Leben. Und oft genug wurden dann diese zum Leben selbst. Zum Hauptentsprechungsrahmen.

Das fing für mich ganz deutlich an, als die Diagnose der DIS stand.
Immerhin- hier dachten Innens sie müssen sich regelmäßig auf eine bestimmte Art verletzen, um “die Würmer aus ihrer Seele rauszukriegen”; dachten, sie stürben jeden Moment an malignen Hirntumoren; dachten welche, sie seien schon unheilbar geisteskrank auf die Welt gekommen- selbstverständlich haben wir uns in das Selbstdefinitionskleid gewandet, das uns am Besten passte!

Und völlig logisch haben wir vehement (an manchen Stellen auch zu vehement) selbiges verteidigt, wenn wir dachten, jemand wolle uns das absprechen. Und völlig logisch, haben wir uns eine Filterbubble aufgepustet, die nur aus gleichsam betroffenen Menschen bestand.

Nur haben wir dabei sehr oft etwas übersehen, nämlich, dass es sich dabei um nichts Globales handelt. Dass, das nicht alles ist, was uns ausmacht.

Das ging für uns schon damit los, dass wir merkten, dass es selbst innerhalb unserer Filterbubble/ Kategorie noch Unterschiede gab. Da gibts den Berufsmulti, den Leidensmulti, den heroisch-fauchenden-komm-mir-nicht-zu-nahe-Multi, den körperlich eingeschränkten Multi, den Multi mit Hintergrund X/ A/ B /C…
´”Buuuhuuu” saßen wir dazwischen und dachten: “Nicht mal hier hin gehören wir!”. Was mir rückblickend total absurd vorkommt- aber naja. Ich glaube, jeder Mensch macht diese Erfahrung. Nur in anderen Kontexten vielleicht. Später machte ich ja auch die Erfahrung, dass jede “Themenbubble” in sich ähnlich aufgeteilt ist.

Jedenfalls litten wir schon ziemlich darunter, uns nicht so gemeinsam mit den Menschen in der Filterbubble fühlen zu können, wie wir das eigentlich gewollt hätten. Und tun das noch heute- siehe Drama um die Selbsthilfeforen. Sowas nimmt uns immer wieder richtig schwer mit, obwohl wir wissen und uns vor Augen halten können, dass Gemeinsamkeit schlicht zwei Seiten braucht die aufeinander zugehen und nicht jeder, der sich von uns abwendet oder die Gemeinsamkeit mit uns ablehnt, direkt etwas gegen uns als Person haben muss.

Ich begann darüber nachzudenken, was mich ausmacht und wo ich vielleicht eine Gemeinsamkeit empfinden könnte. Und machte damit einen Schritt, der mir- uns heute sehr hilfreich ist.
Ich rannte nicht mehr auf Grenzen zu, “um zu sehen wo mein Schutz aufhört” (wie es mal ein Innen formulierte). Ich ging an die Grenze und schaute nach Gemeinsamkeiten.

Wir haben uns sehr lange Objektifizieren lassen müssen und begehrten auch nicht auf, als dies nach der Befreiung weiter ging- allerdings auf einer anderen Ebene. Wir kannten nichts anderes- wurden nicht anders behandelt. Da war niemand, der mir dies über mich konkret formuliert rückgemeldet hätte.
Das Opfer
Die Diagnose
Der Klient
Der Patient
Die Fallnummer
Das Beispiel
Das DAS Das ES
das nicht näher definierte Etwas

Ich erinnere an dieser Stelle mal an den Umbruch, den ich damals hier schon einzufangen versuchte. Wir begannen uns übers Mensch-Sein Gedanken zu machen, weil uns unsere Therapeutin einfach so annahm. Und völlig selbstverständlich von unserer Menschlichkeit zu543897_web_R_K_B_by_uschi dreiucker_pixelio.de sprechen begann und uns vermittelte, dass sie uns als Gesamtperson- als Mensch-  mit allen die wir da waren- sie anmeckerten, idealisierten, mochten, hassten, rempelten, stupsten, belächelten, bewunderten, sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, anders liebten, sie verachteten…- sah und akzeptierte.
Plötzlich breitete sich der Rahmen aus. Unsere kleine Selbstdefinitions/ Kategorien/ Filterbubble dehnte sich in alle Richtungen aus. Aus der grundlegenden Akzeptanz, der Innens, die nicht in der Lage sind sich anders auszudrücken, als sie es tun, wurde eine Akzeptanz dessen in allen Menschen.
Wir gingen an den Rand und guckten was andere Menschen denn auch so machen und in sich tragen…

Das ist etwas, das uns sehr viele Möglichkeiten eröffnet mit anderen gemeinsam zu sein. Uns zu verbünden und einander Gutes zu tun. Dinge zu teilen und zu vermehren. An einander zu wachsen, weil man sich gegenseitig halten kann. Miteinander für oder gegen Dinge zu kämpfen. Schutz und Wertschätzung zu erfahren durch Gemeinschaft.

Als wir uns  noch auf nur einen Teil unserer Globalität konzentrierten, weil uns dieser vorkam, als würde er alles an und in uns erklären, konnten wir kaum etwas teilen. Da konnten wir auch kaum etwas geben. Und entsprechend auch nicht wirklich gemeinsam sein. Weder innen noch außen.

Alles was uns daran gehindert hatte in der ganzen Zeit vorher, war, dass wir niemanden hatten der uns das genau so vermittelt hatte und zeigte, wie es konkret geht. Wie “man es genau macht”.
So bin ich sehr traurig wenn ich merke, das jemand eine umschließende Kategorie für sich sucht- gerade, wenn er so oder so schon in einer drin steckt, die ihn nicht einmal als global-mehrdimensionales Wesen anerkennt oder gar benennt. Dann denke ich, dass derjenige unglaublich einsam sein muss und niemanden hat, der ihn wirklich annimmt.

Ich schrieb vorhin bei Twitter:
Gruppenlabels sollten immer Add-Ons sein- nie das Maingame

und so sehe ich das auch.
Statt jedes Mal, um auf etwas aufmerksam zu machen, einen Oberbegriff oder eine viele Facetten ausblendende Kategorie zu kreieren, sollten wir uns öffnen und uns mit jenen verbünden, die alle diese Facetten annehmen und mit ihnen gemeinsam und gut miteinander zu sein.
Und sei es, dass wir uns dabei auf unser aller grundlegendste Gemeinsamkeit berufen.

Unser Menschsein.

Die Gruppenzugehörigkeit kann ein Sahnehäubchen sein. Das Schöne eben, das einen ganz bestimmten Teil in uns berührt und hält. Aber bitte nicht so, als gäbe es nur diesen Teil. Das führt nur zu Spaltung. Und wie tief Spaltung greift, wie verletzend, verstümmelnd und auch einsam machend diese sein kann, weiß- so denke ich- jeder von uns.
Auch ohne, so wie ich, in sich drin gespalten zu sein. (Hint: da ist eine Gemeinsamkeit haha)

Türen und Fenster auf!

Es scheint ein wichtiges Thema zu sein diese Religionen und der Glaube…

Ich merke immer wieder, wie wenige Menschen sehen, dass es sich beim Begriff der Religion nicht um ein Synonym für Irrationalität oder den Glauben als solchen handelt.
Und wie pauschalisierend jeder Gläubige zum Anhänger einer Religion  bzw. einer religiösen Praxis gemacht wird. Wie verachtend auf die religiöse Institution geschaut wird, wenn es eigentlich um eine religiöse Pflicht geht.

Für den Begriff der Religion gibt es keine allgemein gültige Definition.
Wir für uns betrachten die Religionen dieser Welt, als Ausdrucksoption von Überzeugung und Anspruch. Und als Kommunikationsmittel über viele soziale Begrenzungen hinweg.
Mehr nicht.

Unser persönlicher Glaube wird nicht davon beeinflusst. Glaube ist die Abwesenheit von Zweifel. Wir brauchen keine Bestätigung von einer Führungsperson dafür, dass es Dinge gibt, die nicht in unserer Hand liegen, die nicht wir zu kontrollieren und zu lenken haben. Wir müssen uns keine Geschichten davon erzählen lassen, wie umfassend groß unsere Ohnmacht ist, wenn das Schicksal, G’tt, die Natur zuschlägt. Wir wissen für uns- glauben für uns- sind davon überzeugt- dass es so ist. Doch sind wir dies nicht durch die Religion, sondern durch das Leben selbst. Wir wären sogar ohne unsere Gewalterfahrungen zu dieser Erkenntnis gelangt.

Wir wissen, dass es Dinge gibt, die uns das Gefühl vermitteln, diese Überzeugung auszudrücken. Genauso wie wir wissen, dass es Dinge gibt, die uns das Gefühl geben, manche Geschehnisse doch beeinflussen, kontrollieren zu können. Jeder Mensch weiß, dass man sich Gründe für Ereignisse sucht. Vielleicht auch konkret ausdenkt, um sie sich erklärbar und damit leichter zu ertragen zu machen.

Genauso wie sich viele meiner kleinen Herzen überlegten, dass Dinge geschehen, weil es Zauberei oder Wunderblitze gibt, haben sich die Menschen in Zeiten in denen das rein körperliche Überleben ein noch viel grundlegender Teil des Lebens war, die Welt und ihren Schmerz erklärt.

Es ist eine Fähigkeit des Menschen zu glauben- selbst wenn seine gesamte Wahrnehmung eingeengt und dysfunktional ist. Blind, taub, gefühllos, ohne Geschmacks- und Geruchsempfinden zu sein, hindert die Menschen nicht daran glauben zu können, dass ihr Sein einen Grund und ein Ziel hat. Genauso wie auch diese Menschen sich- wenn auch nicht auf die gleiche Art (im Sinne der biologischen Reizverarbeitungs-Sortierungsart)- darüber klar sind, was sie beeinflussen können und was nicht.

Wie genau sich das darstellt und bewertet wird- der Grund des Seins und das Ziel… genau das allein ist abhängig von der Umwelt und findet seinen Ausdruck in der Religion(spraxis) und/ oder  dem Gesellschafts-/Staatsgefüge.
Im Zweifel ist ausschließlich die bare Existenz eines in seiner Wahrnehmung so verstümmelten Menschen, der Grund für andere Menschen, sich der eigenen Befähigungen und Wunderbarkeit ihrer Sinne bewusst zu werden. Sich dem Wunder ihres Selbst bewusst zu werden und Dankbarkeit dafür zu empfinden. Oder aber auch den allgemeinen Umgang mit so einem Menschen zu prüfen.

Ich denke, es gibt verschiedene Grundüberzeugungen, die sich unsere Religionen und mit ihnen 521944_web_R_K_B_by_Angelika Wolter_pixelio.deauch die (Religions)Gemeinschaften/Gesellschaften haben entwickeln lassen und sie alle wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Besprochen, entwickelt, sie verzweigten sich, änderten sich in Gänze oder nur in Teilen.

Eine Religionsreinheit- im Sinne einer schieren Religionsgläubigkeit kann es entsprechend nicht mehr geben. Einen Ausschliesslichkeitsanspruch auf Wahrheit und Einzigkeit kann es allein schon deshalb nicht geben. Vielleicht konnte es das auch nie- egal wie weit wir in der Zeit zurück gehen.
Dass es Menschen gab (und gibt) die diesen Anspruch vertreten und auf verschiedene Arten durchsetzen wollen ist menschlich. Und doch nur eine Blüte der großen Pflanze der menschlichen Natur.

Wir Menschen sind so entwickelt Zusammenhänge zu verstehen und für uns zu nutzen. Wir alle sind egoistische Opportunisten mit Abhängigkeit von Sozialität, was schließlich dafür verantwortlich ist, dass wir heute überhaupt noch existent sind.
Doch wo der Ursprung für unser Sein liegt, werden wir uns nie in Gänze und schier glaubend erklären können. Ich denke, immer wird es einen Zweifel geben. Egal wie religiös oder nicht religiös wir sind

Ob Urknall oder g’ttlicher Funke.
Physikalische Kettenreaktion oder eine Macht die mit ihren Fähigkeiten eine Welt erschuf, die Erklärung schwankt, die Überzeugungen driften oft sehr weit auseinander- scheinen sich sogar auszuschließen und doch…

Glaubt jeder Mensch, erklärt sich jeder Mensch sein Leben, seine Welt, sein Sein und seine Existenz und drückt sie aus. Ob wir das nun mittels Riten und Gebräuchen, religiösen Schriften und Überlieferungen tun oder in naturwissenschaftlichen Beweisen, Experimenten oder Thesen.

Es hilft uns allen, uns und das Leben zu erleben und anzunehmen.

Ich denke die ständige Aktualität des Themas ist die (oft verleugnete oder von sich gewiesene) Intoleranz, Unwilligkeit sich selbst zu reflektieren und zu hinterfragen, was man eigentlich gerade genau sagt bzw. zum Ausdruck bringt oder auch für Erwartungen und Ansprüche pflegt.
So wird zum Beispiel über manche Menschen gesagt, sie seien christlichen Glaubens, dabei sind sie lediglich IHRES Glaubens und drücken diesen zufällig mittels des Christentums bzw. der christlichen Institution oder den christlichen Riten und Gebräuchen aus.
Oder- für mich persönlich eine sehr spannende Sache, die “Beschneidungsdebatte” im letzten Jahr.

Um es gleich vornweg zu sagen: Wir lehnen die Beschneidung von kleinen Jungen aus religiösen Motiven ab- doch wir tun das nicht, weil wir diese Art seinen Bund mit G’tt zu beschließen ablehnen oder meinen, man würde seinem Kind eine religiöse Bürde ohne seine Zustimmung aufdrücken. Sondern, weil wir uns selbst, unseren persönlichen Glauben, unsere Auffassung/ Interpretation des Judentums und auch unsere weltlichen Ansprüche und Wünsche reflektierten und uns mit der Intension einer Gemeinsamkeit- einer Verbindung aller dieser Ebenen damit beschäftigten und zu einem entsprechendem Ergebnis kamen.

In der großen Debatte allerdings, schossen altbekannter Antisemitismus, allgemeiner Religionshass, internalisierte Haltungen und ein allgemeines Durcheinander aus Fehlinterpretation und Miss-(Un-Sach)Verstand aus der Medienlandschaft und als Ergebnis blieb: “Scheiß Religionen- die wollen die Menschen nur ausnutzen und unterdrücken und dummhalten und die Leute, die das glauben, denken gar nicht darüber nach, was sie da alle machen. Die folgen alle nur alten Männern mit grauen Rauschebärten”.
So wurde aus einem berechtigten Anstoß sich mit seiner eigenen Ethik und Glaubensausdruckspraxis kritisch auseinanderzusetzen, das Absprechen der Fähigkeit desselben, Vertiefung der Kluft zwischen Religion und Rationalismus und ganz unterm Strich doch nur wieder eines: Trennung, statt Verbindung.

Für manche Botschaften ist Religionsverachtung oder auch schlichte Ablehnung religiöser Institutionen sehr praktisch- machen wir uns nichts vor- hätte Norbert Denef nicht im Kontext der katholischen Kirche so gelitten, wie er leiden musste, hätte er noch ganz erheblich viel mehr Kraft aufbringen müssen, sein Leid und seinen Willen zur Veränderung der Lage der Opfer von sexualisierter Gewalt so sicher zum Ausdruck zu bringen. Es ist klar, dass viele Kirchenkritiker und Religionsverächter nur auf solche Ausbrüche warten, um wiederum ihre eigene Botschaft zu verbreiten. Wenn sie nebenbei noch was für die Opfer tun, ist das dann “schon okay”.
Hier in Deutschland- dem Kessel der Kulturen, der großen Bushaltestelle in mitten der Völkerwanderungen- gab und gibt es immer die gesamte Bandbreite der Ausdrucksmittel für seinen Glauben und seine Wünsche. Als neutrales Standbein bietet sich der Rationalismus und auch der Atheismus definitiv an, um eine grundlegende Gemeinsamkeit- einen Staat zu bilden und unter ihm gemeinsam zu sein.

Sich unter diesem großen Dach zusammen zu finden, dient der Lebensqualität aller Menschen, die hier leben. Sich an diese Regeln- Gesetze zu halten, ergibt eine Grundnorm, die allen als Anker und Grenzposten dienen kann.
Doch auch dieses Standbein darf- bei aller Sicherheit und Neutralität- nicht als das einzig tragende Element gelten. Auch dieses Ausdrucksmittel verleiht (und definiert) Macht. Und auch Rationalität und Atheismus haben den Hang zu Instrumenten des Machtmissbrauchs, der Unterdrückung und der Gewalt benutzt zu werden.

Alles was wir Menschen uns zu eigen machen, kann dazu werden! Vor allem wenn wir weder sie noch uns selbst nicht hinterfragen und immer wieder überprüfen bzw. anpassen, wenn es nötig erscheint.

Ich merke an uns, dass uns die Religion als Ausdrucksmittel des persönlichen Glaubens (im Sinne einer Abwesenheit von Zweifeln) stützt und entsprechend oft trägt. Vieles aus dem Innen zieht unerschöpfliche Kraft aus der Möglichkeit ihren Glauben mit anderen Menschen teilen zu können und auf die gleiche Art auszudrücken. (Und das gilt sowohl für die Innens die jüdisch leben, als auch für die Innens die sich dem Konstrukt der früher gelebten Pseudoreligion verpflichtet fühlen.)

So ist es, als sei man in einem großen grundsätzlichem Haus (der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland), in einem besonders schönen Zimmer.

304163_web_R_by_berwis_pixelio.deWas manche Menschen (sowohl innerhalb als auch außerhalb des Zimmers) ab und an zu vergessen scheinen, ist, denke ich, dass Zimmer, Türen und Fenster haben, die ruhig die ganze Zeit offen bleiben können und sollten.
Sonst fängt es an zu stinken- und zwar so zum Himmel zu stinken, dass der Vorwurf der Unterdrückung und (geistigen) Gefangenschaft sehr berechtigt ist. Wobei dann oft wieder vergessen wird, dass nicht nur die Insassen die Tür geschlossen haben, sondern manchmal auch der Schlüssel von Außen steckt.

Dieser Artikel ist bemüht das Menschlein im Flur zu sein, das an die Anwesenheit dieser Ventilationsmöglichkeiten erinnert.
Mehr nicht.

Wir haben bei uns gemerkt, dass uns die Ablehnung des Glaubens und die Verweigerung von religiöser Praxis auseinander treibt und nicht nur eine Kraftquelle nimmt, sondern auch Druck aufbaut, der aus dem inneren dunkelbunten Imperium hervorkommt.
Es gab früher immer wieder diese Grabenkriege im Innen, was denn nun die Allmacht sei- was man denn nun glauben darf und was nicht.
Was genau geglaubt wird- ist es G’tt oder der Gegenpol? Ist es Liebe oder Hass? Licht oder Dunkelheit? Gut oder Böse?
Statt zu sehen wie wach und kritisch wir waren/ sind- allein schon durch die Tatsache, dass wir überhaupt in der Lage waren, uns diese Fragen zu stellen bzw. einander und die Täter (bzw. deren pseudoreligiöse Handlungen) zu hinterfragen- haben wir uns gegenseitig kaputt gemacht, um ausschließlich eine Linie einnehmen zu können. Wir fühlen oft eine Verpflichtung zu einer einzigen Linie.

Wir merken sehr deutlich, dass wir mehr Freiheit und innere Nähe leben können, wenn die Fragen- die Kritik angebracht werden, aber jede Antwort für sich stehen darf. Wenn bestimmte Grundsätze schlicht da sein dürfen und gelebt/ gedacht/ gefühlt werden können, solange sie gemeinsam getragen werden und nicht den geltenden Gesetzen entgegen stehen.
Seitdem wir also ganz bewusst mehrgleisig fahren- multipel glauben- multipel religiös sind, geht es uns in der Hinsicht besser- auch und gerade wenn es darum geht, die Täter zu enttarnen und uns der erlebten Gewalt Stückchen für Stückchen zu nähern.

Seit wir unsere Fenster und Türen offen haben, können wir besser miteinander in Kontakt treten und das Ergebnis ist: Verbindung, Nähe… Chance auf Integration durch Reflektion der Ursachen.