Wir haben heute eine Episode aus der „Vielzimmerwohnung“ mit Christiane veröffentlicht, in der wir über die Differenzialdiagnose der DIS sprechen. Also darüber, welche Erkrankungen man von der DIS unterscheiden muss, weil man sie miteinander verwechseln könnte.
Das kommt gerade zu einem Zeitpunkt, an dem wir bei jemandem in unserem Gemögtenkreis miterleben, dass Differenzierung bei der Vergabe von Diagnosen nicht nur auf der fachlichen Ebene schwierig sein kann.
So hat sich die Person in eine Diagnostik begeben, um Schwierigkeiten abklären zu lassen, die nicht gänzlich von der Diagnose, mit der sie bisher in Therapie war, erklärt werden können. So etwas kommt öfter vor als man denkt, besonders wenn es um Menschen mit früher komplexer Traumatisierung geht, denn: Jede früher komplexe Traumatisierung bedeutet im Störungsfall eine komplexe Traumafolgestörung mit entsprechend zu erwartenden Anpassungen auf allen Ebenen der biologischen, psychischen und sozialen Entwicklung.
Interessanterweise werden aber die wenigsten von Gewalt und Trauma in ihrer Entwicklung gestörten Menschen auch mit einer wie auch immer gelagerten Entwicklungsstörung diagnostiziert, was meiner – weder psychologisch oder psychiatrisch fundierten Meinung nach – auf eine problematische Differenzierung hindeutet.
Ich schreibe dazu gerade in meinem nächsten Buch, deshalb will ich hier jetzt nichts in kurz aufschreiben, was ich mir da mühevoll rausquetsche, aber vielleicht in ganz grob und kurz: Wer glaubt komplex traumatisierte Menschen wären nicht auch entwicklungsbedingt neurodivergent (also neurologisch abweichend in Funktion, Anatomie und Struktur aufgrund der sowohl in sich angelegten als auch äußerlich gegebenen Möglichkeiten) irrt und hat lange keine entsprechende Weiterbildung gemacht.
Man darf bei in der (frühen) Kindheit komplex traumatisierten Menschen nicht einfach davon ausgehen, dass sie neurotypisch sind, wenn sie ihre Traumatisierung verarbeitet haben. Traumafolgestörungen entwickeln sich unabhängig vom Neurotyp.
Das bedeutet in der Folge, dass Behandler_innen die ableistischen Grundannahmen hinter Diagnosen genauso differenzieren müssen, wie sie Diagnosen voneinander differenzieren müssen.
Seit ich zu Autismus und Trauma recherchiere, begegnet mir der casual medical Ableimus von Traumatherapeut_innen, die angeblich noch nie mit traumatisierten Autist_innen bzw. autistischen Traumapatient_innen zu tun hatten. Oder mit Leuten, die mit sowohl AHDS, also auch PTBS-Symptomen leben. Oder mit Leuten, die sowohl Ego States als auch eine Lernbehinderung haben.
Obwohl sie alle bei ihrer Traumafortbildung gelernt haben werden, dass (toxischer) Stress (der bei einer Traumatisierung eine zentrale Rolle spielt) ein Nervengift ist, das zu ganz konkreten Schäden führen kann. Also zu etwas, das einer neurotypischen Entwicklung ich sag mal eher nicht so wirklich richtig gut beiträgt.
Ohne die paar Therapeut_innen unsichtbar machen zu wollen, die durchaus traumatisierte und neurodivergente Menschen behandeln, gibt es eigentlich nur eine Erklärung dafür, dass Traumatherapeut_innen Entwicklungsstörungen von Traumafolgestörungen differenzieren: Ableismus.
Zum Beispiel mit der Annahme, dass neurodivergente Menschen nicht traumatisiert sein können (weil sie nicht „richtig“ merken, begreifen … was mit ihnen passiert oder weil sie „ja eigentlich“ unter „ganz anderen ~Dingen~“ leiden).
Zum einen ist das logisch bedingt, zum Beispiel, weil viele (wegen mangelnder Barrierefreiheit und Möglichkeiten der Kompensation der Folgen von Entwicklungsstörungen) behinderte Menschen in parallelen Versorgungsstrukturen leben (müssen und seit neustem mit #IPreG auch wieder gezwungenermaßen sollen) und von dort nur sehr selten angemessen psychologisch betreut oder bei Bedarf auch behandelt werden – und also auch nie in die fancy Traumaklinik kommen, wo sie als Fall – als „Aha, so kann eine PTBS also auch aussehen“ – sichtbar werden. Ergo landen diese Leute auch nie als Gruppe in Studien und so gibt es sie praktisch nicht.
Zum anderen aber auch gesellschaftlich bedingt. Siehe „parallele Versorgungsstruktur“. Da dies für viele behinderte Menschen das gesamte Lebensumfeld ist, und selbst wenn nicht, unsere Städte, Dörfer, Orte häufig noch alles andere als barrierefrei gestaltet sind und einfach alles von Interaktion zu Konsumgütern zu Kunst und Kultur noch sehr wenig dazu beiträgt, dass alle irgendwie normaler Bestandteil des sozialen Miteinanders sind, sind die Leben behinderter (weil zum Beispiel neurodivergenter) Menschen für die meisten Leute unbekannt. Unvorstellbar. Unnachvollziehbar. Und dadurch auch nur schwer, wenn überhaupt, (wieder)erkennbar in Menschen, mit denen man jeden Tag zu tun hat. Deshalb hat mir auch schon mal jemand gesagt, ich würde gar nicht autistisch wirken. Und jemand anderes, ich würde gar nicht sein, wie jemand, die_r „multipel“ ist.
Spannend – im Sinne von richtig schlimm schmerzhaft – wird es aber auch, wenn Therapeut_innen es versäumen, sich selbst im Verhältnis zu ihren Klient_innen differenziert zu betrachten.
Der eigene Blick, die eigene Perspektive auf eine_n Klient_in muss frei und unvoreingenommen sein. Ist er es nicht und wird das nicht reflektiert, werden Diagnosen vergeben, die dem von persönlicher Projektion verzerrtem Bild entsprechen, aber nicht der Realität und den Bedarfen des_der Klient_in. So kam ich zu meinem Diagnosemix der DIS, dem Autismus und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
Es war für die Ärztin damals einfach das, was sie sehen konnte und nicht, was sie hätte sehen können, wenn sie nicht so in ihrem Film (vermutlich angegtriggert durch mein Verhalten) gewesen wäre. Sie hat unprofessionell gehandelt und mir damit geschadet. Auch das etwas, was nicht nur mir passiert ist, sondern auch der Gemögten von der ich eingangs erzählte. Nicht bei der Ärztin jetzt, aber bei jemand anderem.
Was der Gemögten passierte, war, dass die Person, an die sie sich gewandt hat, nicht verstand, welchen Zweck die Diagnostik erfüllen sollte. Es kam zu Missverständnissen (durch, wie ich vermute saneistische Vorannahmen über die Gemögte) und Verletzungen, am Ende bleibt unsere Gemögte völlig wirr zurück – ohne weitere Hinweise, Hilfen, Werkzeuge. Schöne Scheiße.
Wir leben in einer Versorgungs- und Hilfelandschaft, in der eine Diagnose keinerlei sozialen Wert hat. Man hat nichts davon, viele Diagnosen zu haben. Eher im Gegenteil. Sie hat aber nach wie vor einen informativen Wert und also Erkenntnisfunktion. Auch für die Klient_innen, um sich selbst zu verstehen und selbst – unabhängig von Behandler_innen – zu Informationen, Selbst_Hilfe und Austausch zu kommen.
Dafür braucht es natürlich eine richtige Diagnose – manchmal braucht man aber auch die Information über alles, was man ausschließen kann.
Und dafür braucht man differenzierte Diagnostiker_innen, die differenziert diagnostizieren.
„Mussten Sie als Kind verschiedene Rituale durchführen?“, fragte der Psychologe im Autismus Therapiezentrum und schaute mich an.
Für mich sind durch die Frage viele Aspekte noch einmal bewusster geworden. Zum Einen ist mir aufgefallen, dass ich die Frage sofort als eine überprüfte, die sowohl wörtlich als auch auf die faserige Art zu verstehen ist, was ich früher nicht so bemerkt hätte.
Weil mir das aufgefallen war, ist mir eine globale Tragik aufgefallen, die in mein so typisches Hadern um all das “hätte würde wenn”, das über meiner Kindheit und frühen Jugend schwebt, gehört. Hätte man mich vor vielleicht 20 – 23 Jahren mit dieser Frage konfrontiert – was hätte ich dann geantwortet? Ich weiß, dass ich vor 12 Jahren danach gefragt wurde und keine Antwort gab.
Ich weiß, dass ich heute solche Fragen absichtlich mit Wortspielen wegvermeidungstanze, etwa in dem ich antworte: “Ja klar – wir haben jedes Weihnachtsfest begangen, jedes Silvester, jeden Geburtstag – klar mussten wir eine Zillion Rituale in unseren Leben durchführen.”, denn bisher wurde ich nämlich nur nach Ritualen gefragt, um zu erfahren, ob ich sogenannte “rituelle Gewalt” erfahren habe, weil das gängige Bild von Menschen, die viele sind, genau diese eine Art der Gewalterfahrung beinhaltet.
Ich bin amnestisch für meine Kindheit und frühe Jugend – es kann alles und nichts passiert sein. Kein Ja oder Nein zu einer Frage nach etwas, das über die zur Verfügung stehenden Worte erdeutet werden muss, trägt zu einer Faktenlage bei. Am Ende macht es mir nur Druck, weil ich eventuell lüge – egal wie ich antworte.
Und so mache ich also Wortspiele und denke mir dabei, dass dies eine prima Methode ist, um auf etwas hinzuweisen. Für uns ist es wichtig immer wieder aufzuzeigen, dass es toxischer Stress ist, der Menschen zu vielen werden lässt und keine spezielle Form der Gewalt.
Meiner Erfahrung nach, sind solche offensichtlichen Wortspiele allerdings keine Methode um zu zeigen, dass ich eine klarere Formulierung brauche, um manche Themen bzw. meine Gedanken zu manchen Themen in der Therapie zu äußern. Offene Forderungen hingegen transportiere ich wahrscheinlich immer irgendwie falsch.
Für die Einen ist es eine nervige Sprachmacke – eine Spitzfindigkeit, die ich auch mal lassen kann. Für mich bedeutet “es sein lassen” hingegen “das Sprechen sein lassen”, weil es mich übermäßig anstrengt zu raten, was denn jetzt genau was wie meint.
Manchmal denke ich, dass die Therapie deshalb oft auch so anstrengend ist.
Wenn ich im Rausbringen von etwas kämpfe, versucht meine Therapeutin oft einzelne Wörter zu etwas zu machen, wofür ich viele gemacht habe. Und diese einzelnen Wörter schneiden aber alle etwas ab und sind in der Folge falsch. Und dann sage ich ihr, dass es nicht so ist, wie sie sagt. Und dann sagt sie “Wie ist es denn?” und ich wiederhole meine vielen Wörter und sie sagt wieder ihre einzelnen und dann sage ich “Orr!” und es entsteht so ein Moment, in dem ich entweder umschwenke oder wir beide auf die Uhr gucken, ob die Stunde nicht eventuell schon vorbei ist (was sie meist schon längst ist).
Manche von uns sagen in der gleichen Situation aber auch gar nichts mehr und hören auf darüber zu sprechen.
Was mir außerdem bewusst wurde, war etwas, was mich überhaupt erst zu dem Zentrum und dem Wunsch nach einer Diagnostik auf das Asperger Syndrom brachte: die Erkenntnis, dass Symptome häufig zwischen Verhaltensweisen und Sein (Selbst) trennen, weshalb Verhaltenstherapien immer wieder als der Heilungshit in der Medizin gelten bzw. geändertes Verhalten als Heilungsbeweis gilt.
Ich habe darüber nachgedacht, dass viel der zwischenmenschlichen Gewalt in meiner Familie* auch als “Erziehung” bzw. als “erziehende/korrigierende Maßnahme” aufgefasst wurde (vielleicht: bis heute wird).
Wenn man früher meine Eltern gefragt hätte: “Tillt ihr Kind durch, wenn Dinge anders laufen als sonst?” Dann hätten sie geantwortet: “Nein- wir bestimmen hier wer wann wie wo und weshalb durchtillt” oder (das ist dann der Dreh, wenn klar wird, dass die Kinder irgendwie doch alle kaputt gespielt sind und man gut dran tut, zu sagen, sie seien krank) “Hm, eigentlich tillt es immer durch, weil es ja krank ist – machen Sie’s mal gesund.”.
In dem Abklärungsgespräch, das wir gestern hatten, sollten wir viele Fragen dazu beantworten, wie wir früher waren und natürlich scheiterten wir, weil wir nicht über Deutungsräume lügen wollten. Was ich aber auch merkte war: es wurde gar nicht nur nach Verhaltensweisen gefragt, die kamen und wieder gingen, sondern nach Dingen an uns als Mensch, die auf ihre Art immer schon da waren, wie das Viele sein schon immer da war, egal wie sich das über die Jahre nach außen geäußert hat.
Für uns sind viele unserer Schwierigkeiten abgelegt unter: “Naja – dein Kopf mal wieder.”. Ich denke so oft, dass es sich nicht lohnt Kraft zu investieren, um Gespräche, Kontakte, Auseinandersetzungen anzufangen oder weiter zu machen, weil ich zu viel erklären müsste, zu viel reden und erklärend beworten müsste, damit ich und das, was ich äußere, verstanden werden.
Wie gut, dass man von Mädchen bis heute eher erwartet die Klappe zu halten und “Schweigen ist Gold, Reden ist Silber” in den Kopf drückt, als darauf zu bestehen, dass sie sich ihren Gedanken, Ideen, Theorien und Empfindungen entsprechend äußern bzw. sichtbar machen – und zwar immer und überall, ohne sie zu sanktionieren, wenn sie dabei nonkonform sind.
Wir gehören zur klitzekleinen Gruppe der Menschen mit einem IQ von über 170 und wenn wir mit diesem Quotienten argumentieren, weshalb uns seichtes Soapgeplänkel, Small Talk und wenig gehaltvolles Kommunizieren allgemein eher nervt oder nicht interessiert, denken viele Menschen, sie würden das verstehen. Ich merke von diesem Verstehen oft nichts, denn sie sagen dazu dann Dinge wie: “Ja, das ist bestimmt unterfordernd”- als ob wir es geil fänden immer von allem geistig gefordert zu sein. Als sei “genervt sein” oder auch “nicht interessiert” sein, etwas, das nur aus einer Nichtbedienung von Vorlieben heraus entsteht und nicht etwa auch aus Langeweile oder Überreizung, die bei Menschen, denen bestimmte (unangenehme) Dinge schneller und vielleicht unausblendbarer erscheinen, vielleicht schon nach zwei Episoden aufkommt und nicht erst nach 7 Staffeln.
Wir brauchen keine reine Beschäftigung mit Quantenphysik oder unterschiedlichen Systematiken, um unterhalten oder berührt zu werden oder uns bereichert zu fühlen, aber wir brauchen Klarheit, die in uns nicht entsteht, wenn Menschen ständig Dinge abschneiden, um es sich selbst leichter zu machen. Ich hasse sexistische Stereotypen in Serien zum Beispiel nicht, weil es mich nervt ein Hetenpaar nach dem anderen in den immer gleichen Konflikten zu sehen, sondern, weil sie mich auffordern mir im Kopf ständig das, was fehlt zu ergänzen.
Für mich ist dieses Ergänzen auch keine Entscheidung “mache ich das jetzt oder nicht?” sondern etwas, das mir Druck macht und nicht auszublenden ist.
Im Gegensatz zur gefühlten Mehrheit der Menschen kann ich nicht einfach Dinge weglassen, von denen ich weiß, dass sie eigentlich dazugehören.
Deshalb ist Traumabearbeitung für uns ebenfalls so ein allumfassend belastendes (bis erneut traumatisierendes) Ding.
Manche Menschen denken, es sei schlimm sich mit der traumatischen Situation zu befassen und neue Erkenntnisse über sich zu verarbeiten – ich finde es schlimm, weil sich mit jeder neuen Perspektive neue zu ergänzende Universen eröffnen und ich sie nicht beworten kann. Dann kann ich nach ein paar Tagen oder Wochen sagen: “Es arbeitet in mir” oder “Das ist alles ganz schön viel”, aber der ganze Rest bleibt in mir drin und muss von mir allein zurecht sortiert werden.
Und meistens schaffe ich genau das nicht – es entsteht Druck und noch mehr Druck und noch ein bisschen mehr Druck und es kommt zu so einem Moment, in dem ich merke, das es mir besser geht, mich aber auch fragen muss: “Oh – war dieses Innen schon immer da?”.
Es gibt laut verschiedenen Therapeut_innen, die mit rituell misshandelten Personen arbeiten, sogenannte “Programme”, die in diese Personen konditioniert/erzogen/trainiert wurden, um Geheimhaltung, stetige Verfügbarkeit und eine gewisse bedingungslose Hin(Her)gabe an die misshandelnden Personen(gruppen) zu gewährleisten.
Ich weiß nicht, wie oft Menschen schon von uns gedacht haben, wir hätten so ein Programm in uns drin, das Traumaarbeit verhindern soll, weil wir eben diese Reaktion von immer neu auftauchenden Innens haben, obwohl wir ganz sicher keine Gewalt wie früher mehr erfahren.
Und ich weiß auch nicht, wie oft ich schon geäußert habe, dass viele Innens bis heute eher aufgrund von Überforderungen bzw. dem toxischen Stress, der in mir entsteht, wenn ich überfordert bin (und keine Hilfe erhalte, weil es zu unbewortbar ist, um verstehbar nach außen gebracht zu werden und damit allein bleibe, weil es eben die Mehrheit der Menschen ist, die mich nicht versteht), entstehen.
Es ist aus meiner Sicht ein massiv unterbeachtetes Problem der Diagnose “dissoziative Identitätsstruktur”, dass viele Entstehungsmechanismen in Kategorien und Unterkategorien gesucht (und gefunden) werden, ohne die zum Beispiel in den Genen der betroffenen Personen angelegten (“naturgegebenen”) Faktoren gleichsam zu werten.
Natürlich passt die Idee, ich wäre so abgerichtet und gequält worden, dass ich nie “Eine” werde – die Idee, dass ich vielleicht mehr Unterstützung und Widmung nach einer Traumabearbeitung brauche, um nicht mehr werden zu müssen, damit ich hinter dem, was mein Kopf mir aufzeigt, nachkomme, passt aber genauso gut.
Hier kommen wir aber dann auch an die Probleme der Gruppe begleitender, therapierender und medizinisch be.handelnder Menschen, die sich und ihre Arbeit in Widmungsnormen und Zeitvorgaben gedrückt sieht und jeden Wunsch (jede Notwendigkeit) ihrer Klient_innen nach einem wie auch immer geartetem “mehr”, mit “mehr Aufwand”, “mehr (unbezahlte, unabgesicherte, nicht von der breiten Masse der Bevölkerung unterstützte und gewertschätzte) Arbeit”, “mehr abverlangter Kraft”, “mehr abverlangtem persönlichen Wachsen” abwägen muss.
Es ist am Ende, so argwöhne ich jedenfalls manchmal, dann irgendwie einfacher? befriedigender? egostreichelnder? richtiger? belohnter? aufopfernd und selbstlos für einen als massiv gequälten und ergo massiv leidend gelabelten Menschen gegen ein System zu kämpfen (und im Scheitern vor einer Übermacht mit den Behandelten verbunden zu sein).
Ja ja die Rosenblatt ist jetzt böse, das sie sowas ins Internet schreibt.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, bei denen wirklich solche Programme gesetzt wurden – über die spreche hier aber nicht.
Ich spreche über Therapeut_innen, die die gegebenen Potenziale und Wuchsrichtungen ihrer Klient_innen ausblenden, um ihre eigene Situation von Über.Forderung und Rückhaltlosigkeit unter Kolleg_innen und Gesellschaft besser zu ertragen. Von Therapeut_innen, die ihren Klient_innen eher zwischenmenschliche Traumatisierungen, die zu Sprech- und Kommunikationsproblemen führten in die Patient_innenbiografie schreiben, als anzuerkennen, dass dort schon vor der Gewalt etwas schwierig gewesen sein könnte.
Ich weiß nicht genau, wie unsere Therapeutin uns so für sich persönlich einordnet, aber sie hat auf all unsere Abgrenzungen zu ritueller Gewalt (und allgemein jeder Objekt.ivierung dessen, was wir erinnern) geäußert, dass sie das akzeptiert und berücksichtigt.
Mehr brauchen wir nicht, um gut miteinander zu arbeiten.
Wie sich unsere Therapie verändert, sollte sich herausstellen, dass wir durchaus auch die Kriterien für eine sogenannte “Störung auf dem autistischen Spektrum” erfüllen, wissen wir nicht. Es gibt kein Buch zur Traumabehandlung von Autist_innen mit dissoziativer Identitätsstruktur.
Wir wissen nicht, ob wir ein weiteres rosenblattsches Special an uns integrieren und gleichzeitig an dem Wunsch ein Teil dieser Welt zu werden, festhalten können.
Wenn ich solche Tage habe wie vorgestern, wachsen nicht nur Krätzpickel auf meinen Gedanken. Auch die Zweifel an mir und allem was mich umgibt wachsen.
Irgendwann klopfen auch die Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose- an der Idee der strukturellen Dissoziation als Folge schwerer Traumatisierungen- an. Ich spüre die BÄÄÄMs und die MittelBÄÄÄMs mehr, die Wünsche, dass alles ein riesiger Irrtum ist. Meine Geschichte auf irrer Einschätzung eines von Natur auf falsch funktionierenden Gehirns beruht, auf die einige meiner Therapeutinnen hereingefallen sind, weil sie mir geglaubt haben. Glauben mussten, weil sie in ihrer Freizeit nicht Agatha Christie spielen dürfen/ können/ wollen.
Vorgestern habe ich dann doch mal wieder „False Memory“ gegoogelt. Foren angeguckt, in denen Menschen davon berichten fälschlich der (sexuellen) Misshandlung angeklagt worden und einer (feministischen) Großverschwörung zum Opfer gefallen zu sein.
Irgendwann landete ich bei folgendem Video:
Ich habe letztes Jahr die Neuverfilmung von „Sybil“ gesehen und auch hier kommentiert.
Ich habe sogar das Buch „Sybil“ im Bücherregal stehen und gelesen. Damals hatte ich es als historischen Beleg für die Wahrnehmung der Frau* als „psychisch krank“ gelesen. Nicht bzw. nur am Rande, als ein Buch, in dem es um „eine multiple Persönlichkeit“ geht.
Mir war beim Lesen von Anfang an klar, dass die Traumaforschung und vor allem das Verständnis der menschlichen Psyche zur Zeit der Buchveröffentlichung und auch der psychiatrischen Behandlung „Sybils“ damals eine andere war, als heute.
Ich möchte im Folgenden das Video kommentieren. Dabei verwende ich das Wort „Frau“ und meine das soziale Geschlecht, der als biologisch weiblich gelabelten Menschen. Biologisch männliche Menschen mit dissoziativer Identitätsstruktur schließe ich hier vermutlich leider aus, wie es bis heute oft passiert, weil der in Prävalenzstudien erfasste Anteil der biologisch männlich Menschen mit DIS, sehr gering ist (auf einen männlichen Menschen kommen, nach meiner letzten Information, 7 weibliche Menschen mit dieser Diagnose).
Dies bitte ich zu entschuldigen und nicht als Versuch zu sehen, biologisch männliche Menschen mit DIS unsichtbar zu machen. Inoffizielle Zahlen gehen von einem höherem Anteil aus, sind aber nicht in Zahlen belegbar, weil sich männliche Menschen eher weniger oft in Psychotherapie begeben als weibliche- ein Umstand auf den ich später noch zu sprechen komme.
Debbie Nathan ist Journalistin- keine Psychiaterin oder Psychotherapeutin. Moderne Traumaforschung liegt ihr offenbar fern, offensichtlich genauso fern, wie die Reflektion ihrer eigenen Sexismen (was meint ein Bewusstsein über die frauen*verachtenden Wurzeln ihrer Überzeugungen).
Was ihr in den ersten Minuten gut gelingt, ist auf die Dramaturgie des Films und auch des Buchs hinzuweisen. Das ist etwas, das mir selbst auch aufgefallen war. Die „Story Sybil“ ist sehr einfach gestrickt: schlimme Geschichte macht Frau krank, sie erinnert sich erst nicht, dann doch und schwupp ist sie geheilt. So wird verkauft- aber keine Lebensrealität transportiert.
Die Rednerin unterlässt den Schluss zu einen fundamentalen Faktor, der ebenfalls zu Interesse an der „Story“ führt: eigene Identifikation bzw. Betroffenheit. So weißt sie darauf hin, dass der Film von einem Fünftel der amerikanischen Bevölkerung geschaut wurde, als wolle sie von einer Massenimpfung und nicht einem Informations- oder Kontaktbedürfnis mit dem Thema „Weiblichkeit/ Frausein und Gewalt“ sprechen. Einem Thema, dass in den 70 er Jahren „auf dem Tisch“ war- vornehmlich in feministisch orientierten Kreisen bzw. durch selbige (mit-) verursacht, in der breiteren Öffentlichkeit.
Dann kommt sie auf Shirley Mason zu sprechen, die Person, die später zu „Sybil“ wurde.
Sie sagt, sie hätte keine Hinweise darauf gefunden, dass Shirley als Kind die Symptomatik einer DIS hatte.
In Hinblick auf die DIS als funktionell sichernden Mechanismus erscheint das logisch. In meinen Büchern zum Thema „Trauma und Dissoziation“ wird die „Störung“ erst dann zur „Störung“, wenn die Struktur der Dissoziation dysfunktional ist. Das heißt, dass, bis zu dem Zeitpunkt, in dem das lebensstrukturgebundene Dissoziieren als notwendig eingeordnet wird, auch keine Störung durch selbige wahrgenommen werden. Weder von den Menschen selbst, noch von außen.
Da sich dieses Dissoziationsmuster gerade in der frühen Kindheit entwickelt bzw. genutzt wird, gehe ich persönlich also davon aus, dass in Shirleys Fall, sollte sie multipel gewesen sein, ergo auch keine Symptomatik wahrnehmbar gewesen sein kann.
Frau Nathan gibt auch an, dass sie keine Belege dafür gefunden habe, dass die Mutter Shirleys jemals schizophren oder psychotisch gewesen sei. Etwas, dass mich in Anbetracht der (brutalen) psychiatrischen Versorgung und der Stigmatisierung von psychischer Krankheit, gerade bei Frauen, zu der Zeit, ebenfalls nicht groß wundert.
Ebenso spricht auch die religiöse Lebensweise der Familie nicht dafür, dass überhaupt eine Offenheit für die Notwendigkeit einer professionellen Behandlung durch die Medizin vorlag. Sie waren Adventisten. Eine sektuöse Glaubensgemeinschaft, deren Lebensweise auf ein jederzeit eintretendes Armageddon ausgerichtet ist. Wie nah mag da der Schluss: „Nun ja- sie ist verrückt, aber G’tt hat sie so erschaffen und so wird er sie auch mitnehmen- wozu noch zum Arzt und verändern?“ liegen?
Sehr wohl spricht die abgeschlossene Lebensweise und auch die geistige Doktrin, die individuelle Neigungen im Bereich des Schöpferischen unterdrückt und ablehnt, für einen Nährboden von Gewalt an der Psyche an Menschen. Gerade bei Menschen, die so der Kunst zugeneigt sind wie Shirley. Frau Nathan bezeichnet ihre Lage mit „She was a troubled child“ und erhebt sich so über das subjektive Erleben des damaligen Kindes.
Dann kommt sie auf einen umfassenden Themenbereich: Hysterie
Beziehungsweise: die hysterische Frau, die „nur mal ordentlich durchgevögelt werden muss, damit sie wieder klar im Kopf ist“- Na? Welche (feministische) Bloggerin fühlt sich gerade an diverse Kommentare und Hassmails erinnert?
Sie beschreibt in dem Film einigermaßen vollständig, wie die Ideen und auch die psychiatrische Begegnung mit dem Cluster ausgesehen haben. Lässt aber hier einen wichtigen Faktor aus: die Ursachen für das, was früher als Hysterie im Kontext der Psychiatrie und Krankheitsverständnis bezeichnet wurde.
So kommt sie darauf zu sprechen, dass „Hysterikerinnen“ unter Verdacht standen immer wieder zu tun, was (vermeintlich) von ihnen erwartet wurde und von einer erhöhten Empfänglichkeit für Suggestionen gesprochen wurde. Heute würde man von „Anpassung/Unterwerfung vor einer (subjektiv empfundenen) Dominanz sprechen.
Dann beginnt sie eine thematische Schleife und beschreibt die Psychiaterin C. Wilbur (Shirleys Behandlerin) als eine Frau auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, das ihr als Frau in einer von Männern dominierten Welt, einen Karriereschub im ersten und einen Egostreichler im Weiteren zusichert.
Das mag sein und kommt bis heute immer wieder vor, denn a) sind Frauen bis heute seltener in Führungspositionen als Männer und haben es schwerer, zum Beispiel in ihrer (Forschungs-) Arbeit, anerkannt zu werden (auch und vor allem, wenn es um Themenbereiche geht, die eine Relevanz für Frauen haben) und b) weil MedizinerInnen und (Psycho-) TherapeutInnen nun einmal Menschen sind. Menschen mit Ego, das ab und an hungrig ist.
[Es regt mich übrigens auf, mit was für einer Attitüde die Sprecherin das Video darbietet, auf dem zwei Mädchen offenbar dabei gefilmt werden, wie sie sich ihrem Arzt unterwerfen. Ganz offensichtlich hat sie kein bis wenig Gespür dafür, dass es sich um eine Form von dokumentierter Gewaltanwendung handelt.]
In Minute 14 erwähnt sie, dass Shirley Mason von Dr. Wilbur ein Buch über Dissoziation empfohlen bekommen habe, was diese als Anleitung zum „Multipel spielen“ benutzt haben soll. Hier legt sie also den Schluss nahe, Shirley habe zu diesem Zeitpunkt bereits die implizierte Anforderung ihrer späteren Behandlerin vorgelegt bekommen, die sie später dann „vorführt“.
Ich habe mal durch die Bücher, die ich hier von anderen Menschen mit DIS stehen habe, geblättert und überlegt, ob man sich daraus eine Anleitung zum „multipel spielen“ basteln kann.
Fazit: Kann man durchaus. Einer echten Diagnostik würde dies aber nicht standhalten können, denke ich. Schon gar nicht über längeren Zeitraum.
In der Zeit zu der Dr. Wilbur und Shirley Mason aufeinander trafen, gab es aber noch nicht den gleichen Forschungsstand und entsprechend ausgelegte Diagnostikinstrumente, wie heute.
Es kann also durchaus sein, dass die Auskleidung der Grundproblematik Shirleys in Form von „multipel spielen“ um einer Behandlerin zu gefallen, passiert ist.
Debbie Nathan selbst schmückt den damaligen Behandlungsstandart und Wissensstand der Nachkriegszeit aus, indem sie auf die gerade frisch populär gewordene Psychoanalyse und Drogen als Allheilmittel eingeht.
„Psyche“ war „in“- die Ursache für zum Beispiel „Hysterie“, geschweige denn die wahre Verbindung zu posttraumatisch bedingter Symptomatik (in Form von somatoformer Dissoziation, die damals- wie von der Rednerin selbst noch immer- als „hysterische Lähmung/Blindheit/Taubheit/Anfallsleiden“ bezeichnet wurden), hingegen nicht.
Posttraumatischer Stress von Soldaten nach dem zweiten Weltkrieg, war nicht etwa ein Problem, weil eine ganze Generation von Männern plötzlich pflegebedürftig, seelisch und körperlich verkrüppelt war, sondern, weil sie sich plötzlich „weibisch“/ „weiblich hysterisch“ verhielten!
Das ist bis heute ein Problem auf das männliche Menschen, meiner Meinung nach, zu Recht sagen können, dass auch sie unter Sexismus leiden.
Seelische Zustände, die auf das weibliche Geschlecht limitiert sind, dürfen Männern nicht passieren, weil sie sonst „keine echten Männer“ mehr und ergo genauso schwach/wertlos wie Frauen sind. Weil dies mit einem massiven Verlust von Macht/ Einfluss einher geht, haben sie in ihrer Rolle zu bleiben und nehmen dadurch Schaden. Was aber bis heute nicht dazu geführt hat Weiblichkeit oder mit Weiblichkeit Assoziiertes vielleicht mal weniger zu entwerten.
Dies und auch die Existenz dieses Sexismus in den Köpfen vieler Menschen in psychiatrisch/medizinischen Bereichen, sorgt dafür, dass es Männern weniger leicht fällt, sich in, zum Beispiel, psychotherapeutische Hände zu begeben und dort auch korrekt diagnostiziert zu werden. Die Schwelle zur Hilfe nach traumatischen Erlebnissen ist für männliche Menschen enorm hoch- nicht aber ausschließlich, weil es zu wenig Hilfen gibt, sondern weil diese Hilfe auf der gesellschaftlichen Ebene auf (vornehmlich weibliche) Schwäche/ Irre/ „Krankheit“ limitiert ist.
Die Ursache für Symptome außerhalb der PatientInnen zu suchen, ist erst seit wenigen Jahren „im Kommen“ nachdem sich die Rollenbilder der Männer und Frauen (im Schneckentempo zwar) verändern und zwar vollkommener, als zu der Zeit in der Shirley Mason und Dr. Wilbur miteinander arbeiteten.
In dieser Hinsicht finde ich den Ausflug in die Werbung der damaligen Alltagsdrogen („Mothers little helpers“), den die Sprecherin des Vortrages macht, ganz sinnvoll.
Debbie Nathan beschreibt die (aus heutiger Sicht) katastrophale psychotherapeutische Behandlung von Shirley. Sie bekam Drogen, Elektroshocks und wurde auch hypnotisiert, um ihren Problemen auf den Grund zu gehen. Alles Dinge, die heute in der Form nicht mehr angewendet werden. Was Debbie Nathan interessanterweise in ihrem Vortrag zu erwähnen unterlässt.
Hypnotherapeutische Verfahren gibt es, werden allerdings nicht zur Exploration erlebter Traumata angewendet. Ich habe nicht viel dazu gefunden, doch das, was ich fand, waren Beispiele zur Etablierung von Selbstfürsorge oder Selbststärkung nach traumatischen Erlebnissen.
Psychopharmaka (Drogen) werden ebenfalls noch heute eingesetzt, doch gleichsam nicht um „an ein Trauma heranzukommen“, sondern um den Patienten die Symptome zu erleichtern oder zu nehmen, die sich in der Folge von Traumatisierungen entwickelt haben können. Etwa Depressionen, Angststörungen, Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen, allgemeine Unruhe, sexuelle Dysfunktionen.
Elektroschocks sind ebenfalls noch nicht tot, finden in der Behandlung von Traumafolgestörungen hingegen keinen Platz mehr, sondern in der Behandlung von bipolaren Erkrankungen. Der Einsatz dessen wird scharf kritisiert. Zu Recht wie ich finde.
Die Rednerin geht im gesamten Vortrag übrigens nicht auf die genaue Diagnosebeschreibung der DIS ein. So zum Beispiel nicht auf eine der wichtigsten Voraussetzungen, die vorschreibt, dass eine psychophysische Erkrankung (wie zum Beispiel der Tumor im Gehirn) oder der Status nach Drogenkonsum ausgeschlossen sein muss.
Damit verleitet Frau Nathan die Zuhörerschaft zu glauben, dass dieses Vorgehen noch heute so ist und damit jeder Diagnose von DIS zu misstrauen ist.
Dann geht sie auf das Buch bzw. dessen Umstände ein.
Sie unterstreicht, die Fiktionalität, die benutzt wurde, um einen Bestseller zu kreieren, zwar mit der Erwähnung, welche positiven Auswirkungen dies auf die Behandlerin und die Autorin hatte, doch ohne explizit zu erwähnen, was für einen Verlust an Lebensqualität und Verstärkung der Abhängigkeit das Leben nach der Veröffentlichung für die Patientin Shirley Mason entstand.
Diese war durch die Behandlung zwischenzeitlich drogensüchtig und auch emotional abhängig von ihrer Therapeutin geworden und konnte sich offenbar erst mit ihrem Tod befreien, da sie sogar zusammengezogen sind.
Debbie Nathan gibt an, dass sie sich gefragt hat, warum diese Geschichte geglaubt wurde, als sie das Buch las und beginnt davon erzählen, was sich für die Frauen in den 70 er Jahren in Bezug auf ihre Lebensrealität verändert hätte. Sie könnten die Arbeit von Männern machen, Geburtenkontrolle praktizieren, Sex haben wann und mit wem sie wollten…
Sämtliche Abstriche, etwa das, was wir heute als „gläserne Decke zu leitenden Positionen“ bezeichnen und auch die Abwertung keine „richtige Frau“ zu sein in diesem Kontext, oder die Abwertung des Berufsstandes, der in der Folge von Frauen bekleidet wurde; die Abhängigkeit von der Erlaubnis des Mannes zur Geburtenkontrolle und wiederum die Abwertung der Frau durch selbige; genauso wie die verstärkte Etablierung der Frau, die nicht nicht mehr nur „immer Sex bekommen muss (um nicht hysterisch zu sein)“ sondern auch noch immer will (sonst würde sie ja nicht verhüten), was sich wiederum zur verstärkten Legitimierung von sexualisierter Gewalt ihnen gegenüber entwickelte, erwähnt Debbie Nathan mit keinem Wort.
Sie geht auch nicht darauf ein, was es für Betroffene von (sexualisierter) Gewalt mit ähnlicher Symptomatik bedeuten kann, wenn sie von einer Geschichte, die mit einer Heilung- einem Ende ihres Leidens handelt. Wenn da eine Geschichte auftaucht, in der sie sich in Teilen oder Gänze wiederfinden. Was für Hoffnungen entstehen und natürlich auch Kommunikationsbedürfnis plötzlich greifbar zu befriedigen erscheint.
Deshalb nur habe ich zum Beispiel Bücher von anderen Menschen mit DIS im Bücherregal stehen.
Die Botschaft wenigstens damit nicht allein zu sein. Eine (vielleicht im Hinterkopf dämmernde) Ursache aufgezeigt zu bekommen, die auch angenommen und nicht unter den Teppich gekehrt wird. Das Gefühl von Hoffnung auf ein Morgen, ohne diese Belastungen. Das ist unglaublich mächtig und anziehend, wenn man selbst vor sich steht und nichts als wirre, verängstigende Symptome an sich sieht und stets und ständig die Kontrolle über sich selbst verliert.
Sie erwähnt nicht, dass das Glauben an diese Geschichte der gleiche Mechanismus ist, der Menschen zu PsychiaterInnen oder PsychotherapeutInnen gehen lässt.
Da geht es um die Hoffnung auf ein Ende von dieser Qual.
Debbie Nathan führt aus, wie die Diagnose in den Achtzigern zur Modediagnose wurde und welche Blüten diese Massenbehandlung mit Drogen und Hypnose auf der Suche nach dem Trauma trieb.
Unter anderem verortet sie hier die, wie sie es nennt „satanic abuse panic“ in der Entstehung. Sie deklamiert sämtliche Äußerungen der PatientInnen als unter Drogen zusammenfantasiert- wiederum ohne zu erwähnen, wie die Traumatherapie von Menschen ganz allgemein heute aussieht.
Die Journalistin Nathan hängt sich in der Fragerunde am Ende des Vortrag so weit aus dem Fenster, dass es mir persönlich fast eine Freude ist, sie in mittels meines Wissens um die Strukturen, die zum DSM (in Deutschland des ICD) bzw. den Diagnosen darin führen, heraus fallen zu lassen.
So gibt sie an, dass im Diagnosekommitee der DIS, noch immer Menschen sitzen, die früher diese Diagnose „gebastelt“ und nachwievor die gleiche Überzeugung hätten, wie damals. Sie gibt an, keine Ahnung zu haben, wieso die Diagnose noch nicht herausgenommen wurde.
Mit keiner Silbe erwähnt sie die durchaus vorgenommenen Änderungen, den Einfluss der Traumaforschung, die heutigen Behandlungsstandarts und ebenfalls nicht das grundlegende Vorhandensein des Symptomclusters, das mit komplexer Traumatisierung einher geht.
Die Symptome sind ja da- auch wenn die Menschen keine Erinnerungen von sich geben. Dass es bei der Auflistung im DSM aber genau darum handelt- die Aufzeichnung von vorhandenen Mustern, die auch „Kopfsalat“ oder „Schweinebraten“ genannt werden könnten und nicht um eine Darstellung dessen, was „wahr“ im Sinne von Patienten gebundenen Fakten, ist, lässt sie unerwähnt.
Im Verlauf macht sie für mich sogar noch einen Salto aus dem Fenster, in dem sie die Aussage einer Feministin als Sprungbrett benutzt und „dem Feminismus“ die „Schuld“ an der Entstehung der Diagnose gibt.
Wenn ich sowas höre, habe ich immer so ein Bild im Kopf von einem wabbligen grünen Flubber, das ein F auf der Brust hat, und von Tür zu Tür geht und fühle mich an die Inquisition erinnert: „Die Hexe kam und hat mir den Kopf verwirrt- deshalb schlachtete ich mein einziges Hausschwein und ernährte meine Familie! Brennen soll sie und als Entschädigung will ich ihre 20 Hausschweine!“.
Sie postuliert einen Schaden durch die Diagnose an der Gesamtgesellschaft, der de facto zu keinem Zeitpunkt eingetreten ist. Immer wieder impliziert sie einen (sekundären) Krankheitsgewinn durch die Diagnose und die damit einhergehende Aufmerksamkeit.
Sie sagt, ihr wäre aufgefallen, dass PatientInnen zur „Prinzessin“ würden, sobald die Diagnose der DIS erhalten hätten. Nach bis zu 7 Jahren in denen diese Menschen von Arzt zu Arzt und von Klinik zu Klinik gewandert seien, sei dieses Gefühl doch wunderbar.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Nein.
Es stimmt, dass man mit anderen Diagnosen tatsächlich wie Müll behandelt wird. Meine eigene Behandlung unter der Diagnose „Schizophrenie“ und „Psychose“, war die Hölle. Aber nicht nur, weil mir gesagt wurde, ich würde für immer krank sein, oder weil die Medikamente zum Teil einfach nur furchtbare Wirkungen hatten, sondern, weil sie auf keiner Ebene heilsam wirkte!
Ich hätte das alles auf mich genommen, wenn es mir die Symptome genommen hätte. Würde auch heute liebend gern mit einer Diagnose herumlaufen, die mit Medikamenten eingestellt werden könnte. Nichts lieber als das- ehrlich! Warum wohl sonst, hätte ich mir solche Inhalte, wie diesen Film reingezogen, wenn nicht auf der Suche nach tragenden Gegenargumenten für meine Diagnose und alles, was sie impliziert?
Ich wäre lieber die Durchgeknallte die Medis schluckt, als ein Opfer von Gewalt.
Es gibt keinen- absolut keinen echten Gewinn durch das Labeling als Opfer. Schon gar nicht als Frau.
Ich war 16/17 als die Diagnose zum ersten Mal gestellt wurde und die Aufmerksamkeit, die ich damals bekam, fand ich furchtbar. Das war so eine Mischung aus Versuchskaninchen und Neuland. Sowohl für meine damalige Therapeutin als auch das Pflegeteam und die Klinik.
Ich musste mich nach 2 Jahren Kraut und Rübendiagnostik, ständige Lebensumbrüche und Entwurzelung ganz auf das verlassen, was mir meine Therapeutin sagte und hatte keine Möglichkeiten das mit irgendetwas abzugleichen, da ich geschlossen in einer Klinik untergebracht war und kein soziales Netz außerhalb hatte, das sich ernsthaft und global für mich interessierte.
Ich wollte einfach nur normal sein. Nicht zugeben, dass ich Amnesien hatte, fühlte mich immer wieder tief ertappt, wenn irgendeine Wahrnehmung, die ich zu verstecken versuchte benannt wurde. Versuchte immer wieder mich anzupassen und scheiterte mit Pauken und Trompeten, weil immer wieder etwas aufgedeckt wurde. Ich hatte vor wohlwollender Begegnung meiner Person genauso viel Angst, wie nicht wohlwollender. Kein toller Zustand, wie sich das Frau Nathan vorstellt.
Und mal von mir abgesehen- ich will gar nicht so genau wissen, was für Kämpfe meine damalige Therapeutin führen musste. Denn was in der Gesamtgesellschaft definitiv verankert ist, ist das Bild, das Debbie Nathan von Dr. Wilbur gezeichnet hat. Das Bild der gefrusteten machtgierigen Frau, die über Grenzen geht, um in einen exotischen Fall zu brillieren und anerkannt zu werden.
Das kommt mir noch viel schlimmer vor, als meine Schwierigkeiten zu der Zeit.
Da ist jemand der jemandem helfen will und ihm begegnet, vor einem Haufen Frage- und Ausrufezeichen steht, eine eventuell passende Diagnose findet und dann links und rechts abgewatscht wird, weil sie überhaupt in Betracht gezogen wird.
Obendrauf kommt noch das Mamiding, dass gerade weiblichen psychotherapeutisch arbeitenden Menschen ebenfalls immer wieder unterstellt wird. So wie es auch die Rednerin tut, in dem sie Dr. Wilbur unterstellt eine Mutter für Shirley sein zu wollen, weil ihre eigene eine vermeintlich brutale Person war.
Dass dies eine Sichtweise aus dem frühen 19 Jahrhundert ist, führt sie selbst aus- reflektiert dies aber nicht an sich selbst.
Es gibt solche TherapeutInnen, die diese Übertragung haben. Klar, auch das eine Erfahrung, die ich mehrmals gemacht habe (und genauso furchtbar fand, wie offene Missachtung). Doch heute wird eine eigene Psychotherapie von PsychotherapeutInnen verlangt, genauso wie regelmäßige Supervision der Menschen als Standard für gute Psychotherapiearbeit gilt, in der solche Übertragungen geklärt und wenn möglich aufgelöst werden. (Etwas, dass ich allen Menschen, die sich egal aus welchem Grund zu einer Psychotherapie entscheiden, nur raten kann: Fragen, ob regelmäßig Supervision in Anspruch genommen wird- ist das nicht der Fall: Haken hinter und jemand anderen suchen. Es gibt wenig, das giftiger ist, als unreflektierte oder stetig zur Reflektion aufgeforderte TherapeutInnen).
Abschließend ein paar Gedanken zu dem Vortrag.
Debbie Nathan hielt ihn im Jahre 2012. 20 Jahre nach dem Tod von Dr. Wilbur und 14 Jahre nach dem Tod von Shirley Mason und 24 Jahre nach dem Tod von Flora Schreiber. Schon ziemlich clever, drei toten (weiblichen) Menschen eine Verschwörung der Massen zu unterstellen. Widerrede oder Aufklärung ist nicht zu befürchten.
Noch einmal: der Vortrag war im Jahre 2012, einer Zeit in der die Begriffe „hysterische Lähmung/Blindheit/Taubheit“ abgelöst sind von den korrekteren Begriffen der Konversionsstörung oder auch somatoformen Dissoziation. Die „Hysterie“ als solche ist heute noch als „histrionische Persönlichkeitsstörung“ zu finden, die sich laut der Wikipedia auf „auffälliges“ bzw. „wirkungsorientiertes Verhalten“ bezieht- nicht auf psychophysische Statusveränderung oder Traumafolgen assoziierte Störungen.
Ich persönlich denke, dass das Buch „Sybil“, die Story, die ausgeschmückt wurde, um finanziellen und fachlich bezogene Positivreputation zu generieren, nicht als Dokumentation einer DIS und ihrer Behandlung herhalten kann. Damals wie heute kann sie das nicht.
Wofür sie aber nutzbar sein kann ist, darzustellen, wie moderne Psychotherapie und Traumatherapie im Speziellen heute nicht mehr praktiziert wird und praktiziert werden darf.
Gleichsam bietet alles, was mit dem Buch, dem Film, den Menschen Dr. Wilbur, Shirley Mason und auch Flora Schreiber heute, wie damals zu tun hat, ein Beispiel für die Geschichte der Frauen in der Gesellschaft und der Herrschaftsverhältnisse, die bis heute fundamental sind, als auch für die Geschichte der Psychiatrie bzw. der psychotherapeutischen Medizin.
Ich bin ehrlich gesagt immer wieder enttäuscht, wenn ich mich auf die Suche nach neuem aktuellen Zweifelfutter an der Diagnose begebe und dann nichts weiter als Perpetuierung von Frauenverachtung finde. Das Wiederholen von inzwischen mehrfach und streng wissenschaftlich widerlegten Aussagen vorfinde und dies immer wieder mit den gleichen Beispielen „bewiesen“ wird.
Offensichtlich hat sich die Traumaforschung aller Kritik gestellt und sich weiterentwickelt. Die (antifeministische) Liga der „False Memory“- Bewegung und der ZweiflerInnen an der Wahrheit von Gewalterlebnissen anderer Menschen im engsten sozialen Umfeld hingegen seit Mitte der 80 er Jahre nicht.
Schade.
Wird mir nicht mal die Selbstablehnung befriedigend und rund erleichtert, sondern nur auf dem ewigen Makel herumgeritten, eine Frau zu sein.
Same procedere as in every times. Sorry- aber das kann ich inzwischen alleine.
Und wie es männlichen Menschen mit DIS geht, wenn sie damit konfrontiert sind… die haben so gar keine Chance sich in dieser ZweiflerInnenkritik wiederzufinden, denn immer wird von Frauen als Opfern von Frauen und Männern als Menschen die eine DIS nur vorspielen, um Straftaten nicht verantworten zu müssen, gesprochen.
Immer wieder werden sie in die Rolle der im Kern krass hart brutalen Menschen gedrückt, die weder Schmerz noch Reue kennen.
Trauma ist ein Arschloch, das sich im Gegensatz zu unseren Herrschaftsverhältnissen, keinen Deut um das Geschlecht der Menschen kümmert, über die es hereinbricht. Wohl aber bricht am liebsten über jene, die in Machtverhältnissen weiter unten stehen, als andere herein.
Das Diskriminierungslotto, in dem Gewalt verlost wird, erwählt mit Vorliebe die auf irgendeiner Achse Unterdrückten. Und das sind mit Studien belegbar bis heute vornehmlich Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen, Arme, und als einer Rasse angehörig gelabelte Menschen.
Und jede Gewalt gebiert in irgendeiner Form ein Trauma, das mehr oder weniger schwerwiegende und gesellschaftlich schädigende Auswirkungen hat.
Wenn man also von einer gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkung von „Sybil“ sprechen will, so sollte man anfangen über Gewalt und seine Dynamik zu sprechen und aufhören sich hinter antiquierter Frauenverachtung zu verstecken, die selbige negiert.
Ein Thema, das gut neben meinen Gedankenkreis rund um Alltagsgewalt und Leidvergleiche passt, ist das von den Paulines und auch von den Mosaiksteinen aufgenommene Thema der sogenannten DIS- Faker.
Grundsätzlich sind mir persönlich die Diagnosen meiner Mitmenschen gleichgültig. Es sind Etiketten eines Machtapparates, die einzig ihm selbst dienen. Niemand hat etwas davon, außer jenen, die die Macht darüber haben, zu definieren wer was wann und warum erhalten oder verwehrt bekommen soll. Dies ist eine Haltung zum menschlichen Sein, das nicht mit meinem Verständnis von Menschenrechten und meiner Moral übereinstimmt und entsprechend nicht aufgenommen und weiter getragen wird, wo auch immer es mir möglich ist.
Was mir hingegen nicht gleichgültig ist, ist wie mit mir interagiert wird. Die eine Seite ist jene, die mir entsprechend dieser Etikette Hilfen zukommen lässt oder sie mir verwehrt. Darüber, dass uns für genau diesen Rahmen die Diagnose wichtig ist, beschrieben wir bereits in dem Artikel: „Also, mir ist es nicht egal„.
Doch dann gibt es noch die Seite der sozialen Interaktion und der Wirkung von Menschen die eine DIS vortäuschen. Da gibt es die kopierte DIS und da gibt es die Menschen die meinen, eine Leidhierarchie in Gruppen von Menschen Problemen zementieren zu müssen, bzw. immer wieder ihren (Wunsch-) Platz darin zu unterstreichen.
Ich habe das Geschrei von vielen leidenden Menschen gehört (Gibt ja nichts anderes zu hören in Kliniken und auch manch einem Forum oder ähnlichem Selbsthilfesetting) und habe einfach gelernt zu hören, wonach jemand genau schreit, um Menschen zu orten, die nur so tun, als seien sie multipel bzw. die Menschen, welche ein bestimmtes Krankheits Verhaltensmuster kopieren. Jene schreien nämlich nicht halb so laut danach als Mensch, als auch verletzter Mensch bestätigt und angenommen zu werden, wie als „multipler/ bipolarer/ depressiver…. Mensch“ bestätigt und angenommen zu werden.
Sie agieren in dem Verhaltensmuster, das ihnen am ehesten das zu garantieren scheint, was sie sich erhoffen. Der Schaden, den diese Menschen damit anrichten ist, für jeden der tatsächlich an der gerade kopierten Verhaltensweise bzw. dem kopierten Muster krankt, groß und hat Auswirkungen auf weitere Kreise als nur den direkten Rahmen in Klinik, Forum oder (Selbst- Hilfe-) Gruppe.
Ich werde mich im Folgendem vornehmlich auf die sogenannten DIS- Faker beziehen (letztlich ist es aber tatsächlich übertragbar).
Wir leben in einer Gesellschaft in der Opfer von Straftaten- vor allem wenn es um weibliche Opfer von Sexualstraftaten geht- angezweifelt werden; mindestens dem Verdacht der eigenen Schuld ausgesetzt werden und für die es absolut normaler Alltag ist, mit genau dieser Tatsache immer und immer wieder, wie durch ein Stigma herabgesetzt zu werden. Es ist ein Klima das mit dem Begriff der „rape culture“ zu erfassen versucht wird.
Ein Opfer geworden zu sein lohnt sich nicht!
Auf keiner mir bekannten Achse, gibt es einen Gewinn für Opfer von Gewalt. Sie sind die Verlierer und zwar immer und überall, dort, wo ihnen genau dies nicht mit allen Folgen und daraus resultierenden Leiden anerkannt wird. Oh- kam dort schon das Wort „anerkannt“ vor? Lassen sie uns doch mal nachdenken: In welchem Setting erfahren viele Opfer von Gewalt zum ersten Mal Anerkennung in ihrem Status, als jemand dem etwas Schlimmes geschehen ist? Als jemand der unter den Folgen dieser Ereignisse krankt und entsprechend leidet? Tadaaa- es sind in den meisten Fällen Kliniken, (Selbsthilfe-) Foren oder Gruppen für Menschen mit genau diesem Hintergrund.
Wie beschrieben , sind diese Orte vollgestopft mit Geschrei und dank immer weniger Pflegepersonal, auf die Ökonomie der Einrichtung ausgerichtete Hilfskonzepte und allgemein BESCHISSENER Versorgungslage, ganz allgemein für alle Menschen, die warum auch immer und egal in welchem Alter und egal, wo in diesem Land, Hilfe brauchen, wird nur versorgt, wer am lautesten schreit- ergo wer am stärksten leidet bzw. dessen Leiden innerhalb des Machtapparates, der darüber entscheidet ob und wann wer wie und welche Hilfen bekommt, als das Stärkste (im Sinne von Schwerwiegendste) gilt.
Es ist eine Fokusfrage. Faker gucken nicht danach, wer tatsächlich am meisten leidet- sie schauen danach, wer warum und wie genau zu Anerkennung, Bestätigung und eben der Art Versorgung, die sie auch für sich unbedingt wollen und brauchen, kommt. Das steht für mich außer Frage- auch Faker haben einen Druck sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten, weil eine Bedürftigkeit da ist- einmal ganz davon abgesehen, erfordert es auch eine gewisse Fähigkeit Menschen vernünftig und treffsicher genau so zu beobachten, damit man sie kopieren kann [Sidestep-etwas, das alle Menschen können- doch noch besser lernen, wenn ihr Überleben davon abhängt- sie also zum Beispiel, Gewalt in ihrer Familie oder durch Menschen erfahren von denen sie abhängig sind… Naaa? Verbindet sich da schon was?]
Das finde ich zum Beispiel sehr interessant (also so irgendwie in einer Anwandlung von wissenschaftlichem Interesse *ähem): es gibt „schlechte Faker“ (im Sinne von schlecht kopiert) : das sind jene die bei ihrem Anwalt sitzen und sich ein Plüschtier an die Brust drücken, während sie mit Piepsestimmchen Fachsprache verwenden und absolut offensichtlich nichts als Mit-Leid erregen wollen. Und es gibt „gute Faker“ (im Sinne von gut kopiert): das sind jene, die ihre Geschichten erst dann aufgeflogen sehen, wenn sie die Hilfe bekommen, die sie brauchen- allerdings nicht so, wie sie sich das vorgestellt haben. Etwa dann, wenn bei einem Gerichtstermin die Prozessbegleiterin, sich mit dem Rest des Hilfsteams zusammensetzt und alle Informationen von der Klientin auf den Tisch kommen und es jeweils so absurd in alle Richtungen wird, dass die ganze Sache platzt.
Faker haben nicht den Fokus auf das Bild, das sie selbst vermitteln- denn sie haben immer das Bild vor Augen, dass ihnen zeigte: „Guck der Mensch macht XY und erhält dafür AB und dabei fühlte ich CD (das was ich will und brauche)“. Würde ein DIS- Faker einen Menschen mit DIS außerhalb des Rahmens, in dem er aufgrund von Verhaltensmuster XY, AB erhielt, treffen, käme dieser nicht auf die Idee, das Verhalten XY eines sei, das ihm garantiert, was er will und braucht, denn in der Welt, die außerhalb der Schutzräume „Klinik“, „(Selbsthilfe-) Gruppe und Forum ist, wird dem Verhalten der Menschen mit DIS eine andere Bewertung entgegen gebracht und entsprechend anders darauf reagiert.
Diese Unterscheidung nehmen viele Menschen die eine KrankheitStörung Verhaltensweise kopieren wahr, sobald sie die Klinik/ Gruppe verlassen und versuchen dann (wenn sie einen fähigen Therapeuten finden) an ihren wahren Problemen zu arbeiten. (Ja dieser Satz enthält die Grundannahme, das es in den wenigsten Kliniken und Gruppen bereits Menschen gibt, die bereits dort vernünftig mit solchen Menschen arbeiten- tut mir leid- aber ich habe einfach schon zu viele Faker getroffen und entsprechend ihrer Schaudiagnose behandelt worden sehen, um noch der Illusion anzuhängen, alle KlinikerInnen und GruppenleiterInnen würden selbstverständlich bewusst auf diesem Themenfeld sein)
Doch nicht alle Faker finden einen guten Therapeuten (wenn sie denn überhaupt einen finden… Na? Raschelts im Hinterkopf?) und werden richtig gute Brüller. Sie schreien so lange, bis sie das perfekte Generika finden und machen dort weiter. Manche geben sich mit einem Psychotherapeuten (der unter Umständen nicht soviel von regelmäßiger Fort- und Weiterbildung, oder auch von schlicht sorgfältiger Diagnostik hält) zufrieden (den sie für jeden weiteren Menschen mit dieser Diagnose verderben), manche brauchen auch noch eine/n BeraterIn, eine Betreuung, eine/n Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, sowie jede Menge sozialer Kontakte, die sie zentral in der Rolle des Menschen mit Diagnose DIS annehmen.
Faker tragen zu einem Bild in der Gesellschaft bei, das schlicht falsch und verschrägt ist. Huuu, jetzt höre ich schon den Gedanken: „Ach doch nicht so dramatisch Frau Rosenblatt! Die Gesellschaft- also bitte!“. Tut mir leid- aber was glauben sie bitte, wer „die Gesellschaft“ ist?
Die Gesellschaft ist der Mensch, der ihnen in der Straßenbahn gegenüber sitzt; der ihnen sagt, was ihr Einkauf kostet; der ihnen ihre Kartoffeln pflanzt; der sie beim Amt anmault oder auch darüber entscheidet wie sie wann, warum und wo Hilfe bekommen!
Faker sind also unterm Strich Menschen die sich selbst verletzen und andere dabei gleich mit. Im Grunde tun sie etwas, dass man unter anderen Umständen „erweiterten Suizid“ nennt. Sie zerstören sich- manipulieren kleine Teile des Machtapparates und dieser wiederum sorgt dafür, dass die Faktoren, die auch mit dafür gesorgt haben, dass das Kopieren als solches erst nötig wurde, noch weiter verstärkt werden.
Das ist die Bestätigung vieler Menschen die Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigen, immer erst mal von einer Falschbeschuldigung ausgehen (obwohl die Rate der Falschbeschuldigung extrem gering ist- der Schaden im Falle einer solchen aber enorm hoch), das sind Rechtsanwälte die drei-viel-fünf Mal überlegen, ob sie jemandem mit DIS beistehen (und dann doch das Mandat ablehnen), das sind Kliniken, die zusammengestückelt werden, damit die Aufenthaltsdauer so kurz wie irgend möglich wird (und damit häufiger aufgesucht werden müssen) und so weiter und so weiter…
Und wer gewinnt? Die Täter. Die Gewalt. Und damit am Ende unter Umständen: der Tod.
Drastisch? Dramatisch? (Maaaan schreibt bei Rosenblatts heute die Drama- Queen, oder was ist hier los?- Jaja- ich hab heute meine Lesergedankenohren offen)
Das Risiko für einen Suizid ist bei Menschen mit einem Traumahintergrund bis zu 4 mal höher als bei Menschen ohne solche Erfahrungen. Wollen wir mal überlegen, wie hoch dieses Risiko wäre, würden sie (und natürlich auch alle anderen Menschen mit egal welchem Hintergrund!) einfach so, kostenlos, immer und überall, rückhaltlos Annahme, Bestätigung in ihrem Leiden und somit: Hilfen erhalten? Was würde dabei helfen, diese Rate zu senken?
Es wäre definitiv eine Hilfe, wenn es keine Notwendigkeit mehr gäbe, sich Leidvergleichen eines Machtapparates ausgesetzt zu sehen, in dem nur Hilfe bekommt, wer vermeintlich am stärksten belastet ist. Gäbe es dies nicht, gäbe es keine Notwendigkeit dieses Gefälle in sich selbst so zu internalisieren, dass man beginnt die StörungenKrankheiten Verhaltensweisen anderer Menschen zu kopieren.
Ich für mich halte mich von Fakern fern. Sie zerstören sich vor meinen Augen und das ist schlicht nichts was meine Augen jetzt noch gebrauchen können. Ich habe mich für meine Heilung entschieden und versuche entsprechend auf Dinge zu schauen, die mich heil machen, bzw. der eigenen Heilung inbegriffen sind, um mir Vorbild zu sein. Ich schaue Person XY zu und sehe: „Aha- der macht AB, wenn es ihm schlecht geht und dann geht ihm besser… Hm- kopiere ich mir mal und gucke, ob ich kriege, was ich will und brauche… Ich weiß ja schon, was ich wirklich will und brauche, weil ich habe, was ich genau brauchte, um dies zu erfahren: Anerkennung und Bestätigung meines Seins als Mensch mit allem was mich ausmacht und geformt hat, vor meinen Gemögten, HelferInnen und meiner Therapeutin. Ich Glückpilz!“