languishing Selbstgefühl – was pandemiebedingte Isolation und Psychiatrie für Wunden schlagen

Am Dienstag hatte ich einen Thread zu „Corona-Erschöpfung“ in meiner Twittertimeline.
Darin wurde eine für mich neue Vokabel verwendet. „Languishing“. Google-Translate übersetzte den Begriff mit „schmachten“ und in mir verband sich die Erinnerung an eine frühere Mitpatientin von uns, die ständig von ihrem Schmacht nach einer Zigarette, Alkohol, einem Joint erzählte.
Languishing is a sense of stagnation and emptiness. It feels as if you’re muddling through your days, looking at your life through a foggy windshield. And it might be the dominant emotion of 2021.„(Link zum Artikel, NY-Times, englisch)

Diesen Satz hätte auch ich mit 15, 16, 17, 18 schreiben können. An einem kühlen glatten Tisch vor einem Kunststofffenster, in einem sauberen Zimmer, das wie ein Hotel eingerichtet über lange Zeit mein Zuhause war. Wo fremde Menschen zum Dienst kamen und mir weder Eltern noch Freund_innen, aber doch versorgend, oft herzlich, immer über_wachend waren. Wo jeder Schritt beobachtet, eingeordnet und bewertet aber nur selten in mir kontextualisiert wurde. Wo ich – inmitten von vielen anderen Mitpatient_innen und Stationen drumherum – emotional wie sozial geschmachtet habe.

Es ist schwierig für mich ganz konkret zu beschreiben, was da gefehlt hat. Heute würde ich es als „soziales Hintergrundrauschen“ beschreiben. Als „das weiße Rauschen der Freiheit“, als „unterbewussten Takt der Normalität“. Und zwar, weil es bei dieser lange anhaltenden Deprivation nicht um den Entzug von Licht, Luft oder sozialer Interaktion ging, sondern um den Stoff aus dem Familie, Zuhause, Intimität, Vertrautheit und der Sicherheitsgefühle, die sich daraus entwickeln, gemacht ist.

Die Parallelen zur heutigen Situation sind frappierend, wenngleich die Unterschiede (glücklicherweise) ebenfalls. Auch damals gingen wir selten raus. Erst, weil es einen Beschluss gab, der es uns verbot, dann weil es kaum einen An_Reiz gab. Klar waren wir in der Stadt, haben Musik oder Kleidung gekauft, aber keine Freund_innen, keine Familie, keine Sehnsuchtsorte zum Besuchen gehabt. Die Umgebung war steril, wir der Keim, die Klinik unser Behälter. Es gab Interaktion aber kaum Ver_Bindung.
Dieses Zurückgeworfen sein auf sich selbst und das eigene Verhalten ist, was vielen Menschen kurzfristig helfen kann, um die Schwierigkeiten, in denen sie sind, zu begreifen und aus Re_Aktionsschleifen herauszukommen, die sie unfrei machen, weil sie sie mit dem Außen verwickeln und ver.w.irren. Über lange Zeit hinweg jedoch kommt es zu einem Verlust von etwas, das man braucht, um sich selbst überhaupt (ganz) wahrzunehmen. Man ist ja immer man selbst, aber wo beginnt man selbst und wo eine andere Person? Wie soll man das herausfinden, wenn da keine andere Person ist? Oder sehr viele Personen von denen keine mehr Nähe zulässt als es die professionelle Distanz erlaubt? Wie soll man sich als Teil von der Welt begreifen, wenn man von der Welt isoliert ist?

Menschen, die während der Pandemie praktisch die ganze Zeit zu Hause sind, bemerken jetzt, wie sehr der Weg zur Arbeit, das Milchschaumherz auf dem Kaffee mit dem kleinen Keks neben der Tasse auf der Veranda eines Restaurants, das Geknittel mit den Kolleg_innen, die Gelegenheiten, zu denen man die unbequeme Hose anzieht, weil man glaubt damit würde man ernster genommen, auch sie ist. Dass das nicht nur Dinge sind, die sie erleben und gestalten, sondern auch sie selber sind. Und das ist nun weg.
Das ist, was allen entzogen wird, die länger in einer Psychiatrie oder einem Pflegeheim sind – das ist aber auch, was zum Beispiel schwerbehinderten Menschen erschwert zugänglich wird, wenn die Mobilität verweigert oder Assistenzen verwehrt werden.

Was mich an dem Artikel und dem Thread berührt ist, dass es mir das Ausmaß des Schadens der Psychiatriezeit kontextualisiert.
Es ist das eine mit einer Biografie zu leben, in der das überhaupt passiert ist, das andere zu begreifen, dass das Gefühl, das ich seit einem Jahr mehr oder weniger aktiv weg reorientieren muss, ein emotionaler Flashback auf diesen Hunger, diesen Schmacht, nach sich selbst ist, hinter dem das Gefühl der drohenden Vernichtung des eigenen Ich, des eigenen Selbst steht.
Es ist anders, ja, aber doch auch nicht viel anders als Todesangst. Es ist Selbst_Verlustangst. Ja, die mag nicht existenziell sein, die mag nicht weh tun, aber sie wirkt genauso extrem ein, wie jede andere Vernichtungsangst.

Es hinterlässt ein emotionales Trauma dieser Angst, diesem Gefühl 24/7 über Monate, in unserem Fall Jahre, ausgesetzt zu sein. Und Trauma ist Trauma. Wenn da eine Wunde ist, dann muss sie versorgt werden. Ja, obwohl kein Blut fließt, ja obwohl es dafür keine_n konkreten Täter_in gibt, ja, obwohl emotionale Traumata als Ding noch so gut wie nie gleichwertig mit Traumata durch Natur-, Krieg- und „Zwischen – Menschengewalt“ begriffen werden.
Wunde ist Wunde. Egal wie, wo, wann geschlagen. Darin kann man sich verbinden, statt sich zu vereinzeln. Dies wird jedoch schwierig, wenn man die Erfahrung dem äußeren Kontext unterordnet und weiterhin weiße bisher gesunde Leute, die Behinderungen ohne Hilfe kompensieren können, dazu interviewt wie sie die Pandemie erleben, woran sie davon erinnert werden und was ihnen hilft, damit umzugehen.

was wir niemals wollten

Unsere Schullektüre ist “Die Bücherdiebin” und einmal mehr ist der Faschismus, der Nationalsozialismus, Hitler, der Krieg, Thema für mich.

Als ich noch zur Regelschule ging, war das Thema nicht viel mehr als Anne Frank, Massenmord und Hitler.
Nazi sein war scheiße. Nicht wegen Krieg und Hitler und den Juden, sondern weil es in meiner Umgebung üblich war, Nazis abzulehnen und Faschismus als Menschenverachtung einzuordnen. Heute frage ich mich, wie die Lage für mich wäre, würde ich noch dort leben, wo ich damals gelebt habe.
Mecklenburg Vorpommern ist wohl mehr als versprengte völkisch-nationalistische Aussteigerkommunen, aber doch viel weniger bunt und anders links bis antifaschistisch, als die Stadt in NRW, wo wir ein anderes Zuhause gefunden haben.

Hier geht man zu einer Gegendemo. Man ist nicht die Gegendemo. Jedenfalls empfinde ich das so.
Niemand will Nazi genannt werden, aber sich wie einer auszudrücken oder zuweilen problematisch zu handeln, das wird man ja wohl… – also ohne jemandem zu nahe treten zu wollen… Ach was, man kennt es doch, dieses unterschwellige, meist nicht einmal bewusste Saatgut des Hasses, das sich bis heute in Menschen hält und weiter verbreitet wird. Kleiner vielleicht. Maskiert. Verwässert. Aber da.
Niemand hier ist Nazi. Man macht nur einfach irgendwie mit.
So nehme ich das jedenfalls manchmal wahr.

Heute kommt niemand mehr umhin, Bilder der Toten und Gequälten zu sehen, wenn man sich Reportagen oder Dokumentationen über den Krieg anschaut. Für mich geht das nicht. Ich kann das nicht sehen, nicht hören, ohne selbst an die eigene Gewalt erinnert zu werden. Obwohl es bei mir nie um diese Art Faschismus ging oder dieses Thema aufgegriffen wurde.
Es ist das Leiden, die Todesangst, der Schmerz, die Ungerechtigkeit an sich, die mir diese Art der Zeugnisannahme zu den Opfern und Geopferten unmöglich macht, möchte ich mich selbst vor Schaden schützen.

Es ist mir wichtig, meine Geschichte nicht mit der anderer Menschen zu vermischen. Wenn mich die Erfahrungen anderer erreichen, dann muss ich hart sein. Da braucht es eine Panzerglasschicht um mich herum, die mir ermöglicht, die andere Person zu sehen und zu hören – auch selbst gesehen und gehört zu sein – aber doch weder emotional noch anders innerlich konsistent berührbar, vermischbar, verfälschbar zu sein.
Und doch wünsche ich mir manchmal das Gefühl mit jemanden in dieser Erfahrung verbunden zu sein. Bezeugt zu werden, in dem was mir passiert ist.

Obwohl ich mich frage, warum bei solchen Filmen die Würde der Gestorbenen, Getöteten, Ermordeten der Konzentrationslager nicht gewahrt wird, verstehe ich gerade sehr gut, dass es sich auch dabei um den Preis handeln kann, den Zeug_innenschaft und darüber Verbundenheit für manche Menschen kostet.
Die Fundamentreste von Buchenwald, sind eben nicht das Buchenwald gewesen, was es für diese Menschen war. Und kaum eines ihrer Worte wird dem Grauen je genug Form geben können, dass je ein anderer Mensch einen annähernd konsistenten Begriff davon bekommt. Aber ein Bild, gemacht von einem Gegenstand, von einem Retter, einer anders beteiligten Instanz, kann noch etwas dazugeben. Kann helfen. Obwohl der Preis so hoch ist. Obwohl es die Toten erneut opfert.


 

Ich habe diesen Text vor einigen Wochen begonnen und dann verworfen.
Wir haben einen Entschluss gefasst und konzentrieren gerade viel Zeit und Energie darauf, dem zu folgen. Wir wollen hier weg und wissen, dass wir uns in den nächsten zwei Jahren auf allen Ebenen dafür aufreiben müssen. Geld verdienen, sparen, eine Fremd- und zwei Programmiersprachen, Schulzeug und Berufshandwerk lernen, arbeiten, Zettelage klären.
Das lenkt gut ab. Produziert einen Tunnelblick mit hellem Licht am Ende.

Dann kamen die Wahlergebnisse aus Österreich. Wieder Gedanken an Faschismus, Krieg, staatlich legitimierte Diskriminierung.
Gerade als ich eine angenehme Lernroutine hatte und nicht mehr überwiegend mit diesem dumpfdrückenden Angstmotor im Nacken zu Motivation fand.

Eine Verwandte von uns hätte in den Dreißigern nach Kanada gehen können. Sie tat es nicht und wir werden vielleicht nie erfahren warum.
Wir denken, dass wir es tun werden, solange wir noch können. Solange man mit einem Personalausweis nach Island oder sonstwohin ins europäische Ausland kann, werden wir das tun und uns einen Ort suchen, wo es nicht besser, doch deshalb schwer ist, weil es fremd und fern und Neuanfang ist.
Weil wir nicht dieses Vertrauen in unsere Umgebung haben.
Und auch, weil wir wissen, was für Wesen noch in Menschen schlummern, wenn es um Leben und Tod, Angst und Schmerz geht.

Wir denken uns die Zeit, in der wir leben, als eine, deren natürlicher Verlauf keiner sein wird, der uns gut tut oder wenigstens: nicht schadet.
Die Verschiebung nach Rechts zusammen mit konservativen Einstellungen und Werten, verstärkt bestehende Probleme. Uns geht es besser als anderswo – doch es geht uns auch nicht gut. Es ist nicht so, dass wir ohne Schaden leben.
Für uns gibt es keinen Grund an “Es wird schon nicht so krass, wie damals als…” zu glauben. Es ist bereits krass und zu wenige, die es hören, sehen, vielleicht emotional empfangen, wollen es glauben.

Ich habe heute kein Buch über den Krieg gelesen, sondern eines über die Zwanziger und Dreißiger Jahre. Das Europa nach dem ersten Weltkrieg und den Alltag in Deutschland, der gar nicht, wie ich das immer dachte, so golden und frei war. Sondern ähnlich aufgeteilt wie heute. Hier die freien Eliten in goldenen Käfigen und da die Armen, die es bleiben, egal was sie tun.

Es war so leicht diese Gesellschaft zu entzweien und zu trennen. Zu selektieren und zu nazifizieren.
Es war so leicht, einander nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu hören und keinerlei Verbindung zueinander einzugehen.

Mit unseren Gewalterfahrungen, geht es uns bereits jetzt sehr ähnlich.
Niemand sieht es uns an. Und hören lassen wir es nur die Therapeutin.
Wir sind unsere eigene kleine Schweigeblase, die durch das Leben geht und darunter leidet, sich nirgendwo ganz und gar öffnen zu können. Zu verschmelzen, in Verbindung zu sein, ohne gleichzeitig an all die hundert Grenzfronten zu denken.

Aber das ist unsere Entscheidung. Nicht ganz und immer, aber doch: unsere.
Für uns geht es beim Weggehen nicht um das Retten des eigenen Lebens. Es geht um den Erhalt der Wahlmöglichkeiten und die Erschaffung einer Art von Freiheit, die hier nicht möglich ist. Denn Schutz für Gewalterfahrene ist hier nicht für alle da.
Nicht für alle, die hier geboren wurden. Nicht für alle, die sich hierhin gerettet haben. Nicht für alle, die hier leben und arbeiten. Nicht für alle, die ihn letztlich herstellen.

In meinen Social Media –Kanälen geht es im Moment viel um Nazis. Man schaut auf die AfD und wartet darauf, dass sie sich zerlegt.
Das hat man zu Zeiten der NSDAP auch getan.

Kann sein, dass sich in den nächsten Jahren noch ganz viel ändert und alles toll und bunt und supi wird. Ja, kann sein – und wenn es so wird, dann ist das super. Aber auch das ist etwas, das man sich anschauen muss.

Wird es super, weil hier niemand verhungert und nur noch Geflüchtete in Lagern Zentren konzentriert untergebracht werden? Wird es super, weil die deutsche Wirtschaft davon profitiert, nicht so zur Verantwortung gezogen zu werden, wie es angemessen wäre? Oder wirds einfach gut, weil wir uns das, was ist, normalisieren und denken, es könnte ja schlimmer sein?
Die AfD allein ist nicht das Problem.
Wir sind es – das Ding, in dem wir alle hier stecken, ist es. Und wie man sich das schön gestaltet – wie man auf die Idee kommen kann, sich das noch zu irgendetwas retten zu können, das irgendwie “gut und schön” genannt werden kann, ohne jemanden auszuschließen – ich komme nicht dahin. So weit weg erscheint mir das. So absurd.

So, als wäre ich kleine abgeschlossene Einheit, die durch die Gegend geht. Abgetrennt. Fremd.körperlich.

Die Bücherdiebin stiehlt Bücher in einer Zeit, in der die meisten an Essen und Überleben denken.
Wir konzentrieren uns auf uns und sammeln Kraft für etwas, das wir noch gar nicht so kommunizieren können, wie es uns ist. Umgeben von einem Lauf der Dinge, der sich noch auf Regierungsbildung, Normalisierung von Terror und hilflos wütend abwertendes Kopfschütteln über Trump konzentriert.

Es macht uns Angst. Diese Unverbundenheit damit.
Es ist die Insel, die wir niemals wollten: wir und unsere Geschichte, eine Zeugin und die Arbeit an einem Weggehen.

keine Fragen mehr

Schwarzweißbild einer Wiesenpflanze dessen Blütenkopf zu einem Ball zusammengelegt ist viele zarte Fasern und feine Stacheln sind von außen erkennbar

es gibt keine neuen Wörter
für das ewige Nicht.in.der.Welt.sein
das Immer.anders.als.Andere.sein

das Selbst sein

ich brauche keine Antwort auf ein Warum
ich brauche eine Antwort auf mein Sein

das warten

intuitiv2 irgendwann heute morgen ist mir eingefallen, dass ich aufgehört hatte zu warten
ich glaube nicht, dass da ein gedanke war, der mir sagte, es käme niemand. so denke ich erst seit ein paar jahren.
erst seit es kommende und gehende menschen in meinem leben gibt.

aktion und reaktion waren tragend. das weiß ich noch. aber irgendwann werden sich meine reaktionen auf eigene aktionen begrenzt haben. manchmal hat das rauschen in meinem kopf sich zu einem schrillen sirrenden faserig flirrenden ton verwandelt und ihn mir fast gesprengt. also schüttelte ich den kopf und ließ den ton aus meinen ohren herausfallen. ich bin im kreis gelaufen und hab das gitterbedeckte loch im boden ausgelassen.

heute morgen dachte ich, dass das aufhören eines wartens, das erste in sich hinein- und aus der welt herausfallen ist

wenn man nicht mehr wartet, dann ist es, als trenne man eine letzte verbindung, um neue wege des ich zu gehen
man lautet um etwas zu hören, greift sich alles außer sein selbst und steckt es sich in den mund, um zu fühlen und eine reaktion zu provozieren. und sei es das hochwürgen und erbrechen der eigenen fäkalien.

wenn das ende des wartens auf den reiz menschlicher existenz, zur reizung an sich selbst wird
das ist, als würde das leben versuchen, sich selbst zu reanimieren

eine art implosion, die denkt sie sei fähig zur explosion ist das

ich hab lange gedacht, dass mich das warten zermürbt hätte. diese ohnmacht vor der verschlossenen tür, die sich nicht auf schreien, treten, verhandlung, fragen, bitten, betteln, weinen, versprechen öffnete. die nur da war und irgendwann zu einem wandstück wurde, das anders schmeckte, als die anderen.

jetzt denke ich, vielleicht war das mürbende element viel mehr, dass es nach dem ende des wartens weiterging
dass selbst das ende der existenz des “außerhalb von mir” in meinem eigenen inneren kosmos nicht das ende von mir bedeutete

ich weiß nicht wieso ich nicht ausgewichen bin auf das warten auf den tod

wieso hab ich damals aufgehört zu warten
und wieso besteht heute, wo ich licht, nahrung, wärme, sauberkeit, luft, bewegungsfreiheit und ansprache habe, der großteil meiner alleinsamkeit daraus, alle reize von mir abzutrennen und

 

zu warten

monströs

Es gibt so viele Möglichkeiten, Menschen für den Rest des Lebens die Botschaft mitzugeben, dass sie es nicht verdient haben, Grundbedürfnisse erfüllt zubekommen, sobald sie etwas tun, was einen anderen Menschen verärgert/ ängstigt/ schmerzt/ bloßstellt/ nicht bestätigt.
Ein Grundbedürfnis ist der Kontakt zu anderen Menschen, zu Nähe, zu Wärme- dieses eine kleine Fünkchen, das um Mehrsamkeit versichert.

Egal, wie stark, wie mutig, wie autark und unabhängig das Handeln sein kann- das erste Geräusch von einem anderen Menschen, das sich an einen richtet und über das Dasein auf Erden in Zeiten und Sphären bewusst und versichert sein lässt,
– es ist ein verdammt großes Himmelreich in dem Zeppeline mit der Aufschrift: “Ja, du bist am Leben” herumfliegen, das Licht, das einem in die Augen schießt, irgendwas zwischen Glitzer und ätzender Säure ist und die Luft nach Freiheit schmeckt- egal, woraus sie besteht.

Es ist der Moment, in dem es die Chance auf einen Anfang gibt. Ein besseres; ein lieberes; ein artigeres; ein gleicheres Sein möglich ist. So eine Chance, sein Überleben durch Vollständigkeit der Optionen seine Grundbedürfnisse zu erfüllen noch sicherer zu machen.
Das Alte, Böse, das Monster, das man wegsperrte, von sich schob, mit dem Gesicht in die Zimmerecke stellte; auf die stille Treppe setzte; aus dem Klassenzimmer verwies; ins Gefängnis, in die Psychiatrie, ins Heim schickte, dem man jedes Gespräch, jede Klarheit, jedes (An-) Recht verweigerte- das ist ja weg.
Das bleibt da in seinem Käfig, als Kokonrest aus dem ein Schmetterling geschlüpft ist.

Als wir gestern im Gang des Ausweichzugs standen, in ein Abteil hinein starrten und den freien Platz darin nicht in Anspruch zu nehmen wagten, wurde mir klar, dass Isolation ein Sterben mit seinen 5 Phasen ist: Verleugnung, Wut, Verhandlung, Depression, Akzeptanz, und das auch noch viele Jahre später.

Am Ende ist so viel akzeptiert, dass alles okay ist, was nicht auch noch die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung auf physischer Ebene eingrenzt.
So wird der Umstand ein Monster zu sein- auf immer und ewig- ohne Chance auf ein Sein als Schmetterling, zum Preis für ein physisches Überleben, das in einer unendlichen Schleife in Frage gestellt wird, durch die Befreiung noch vor Ende des Prozesses.

Genau deshalb meide ich Abhängigkeiten.
Genau deshalb ist meine mutigste Tat, mich an andere Menschen zu wenden und darauf zu verlassen, dass diese mir sagen, was ich tun kann/ darf/ soll/ muss, wenn ich es nicht weiß. Entweder, weil ich manche Dinge noch nie gemacht habe, oder weil mir (uns als Einsmensch) Lebenserfahrungsqualitäten fehlen.
Ich weiß, was ich machen muss, damit mir die Füße nicht weh tun- wie man sich stellen kann, wenn man tagelang irgendwo stehen muss. Ich weiß, wie man warm wird, wenns eisig ist; weiß, dass verhungern lange dauert; weiß, wie Durst in ganze, halbe und viertel Tropfen eingeteilt werden kann. Ich kann Dinge überleben, von denen andere Menschen hoffen, sie nicht einmal in Filmen sehen zu müssen.

Ich bin mit meiner Wut in die Freiheit gekommen.
Und jetzt fühlt es sich an, als hätte der Mensch, der mich fand ein Monster raus gelassen.
Ich kann nur Wut und Verhandeln.
Sowas will niemand und stößt es deshalb von sich.

Daran haben wir haben uns angepasst. Wir sind viele und können entsprechen.
Da sind Innens, die leugnen Bedürfnisse, akzeptieren alles und fragen ins Innen, ob sie so gefährlich sind, dass sie sterben sollten. Denken darüber nach, wie ein Sterben möglichst unauffällig und am Außen vorbei passieren kann- genauso, wie da Innens sind, die in Menschen immer “die Guten” sehen, die nett sind, sich kümmern, Klarheit um Umstände möglich machen.

Wir sind viele und genau deshalb bleibe ich wohl immer dieses Monster, das besser niemals raus gelassen worden wäre.

MonströsIch hab mich zu verpissen. Bin Affekt, bin bescheuert und nicht in der Lage Probleme zu erfassen- das einzige Problem ist ja, dass ich wütend bin. Schön mal beruhigen, dann kommt schon ein anderes Innen raus und man kann einsehen lassen, dass es ja gar kein Problem gibt- verhandeln hieße, etwas einzugestehen und ach- von wem ist das denn bitte abzuverlangen?

In meinem Innen gibt es mein Gefängnis noch.
Ich finds tröstlich, dass ich mich, wenigstens für mich allein, immer wieder einsperren und befreien kann.

Allein. Autark.
Monströs stark.

im Kreise gehn

Kugelblüte2.2 Die Bilder klebten wie Patina auf der Realität und obwohl sie sich zusammenzog und verkrampfte, war der Zug auf ihren Gelenken zu spüren.
Sie legte ihre Hände auf die Fäustchen, die sich unter dem Menschenkostüm verbargen und fuhr mit den Schilderungen des Heute über den Schlamm des Früher.

Sie erzählte vom Atmen und der Freiheit, vom Vorbei und Werden. Wachsen und stark sein.

Sie schauten einander an und während die Eine, obwohl verstoßen und zurückgezerrt, die eigene Position bewahrt, starrte die Andere im Zweifel über die Echtheit ihrer Anwesenheit über das angeleuchtete Gesicht und die schlagartig von ihr durchbohrten Hände.

“Leg dich ruhig wieder hin”, lächelte sie, während sie sich durchstach, im Versuch den Menschen auf die Matratze des Bettes zu nageln.
“Ich krieg das schon hin.”

Und sie kriegt es hin. Immer wieder, Tag für Tag.

Lächeln, sterben, auferstehen.
Vermeiden, erinnern, im Kreise gehn.

ein Jetzt

Worte, wie Spaghetti auf eine spitzscharfe Gabel zu drehen.
Mitten aus dem Gehirn heraus.
Das ist mein Jetzt.
Es ist auch, darum zu betteln, nicht nett, nicht freundlich, nicht lieb, nicht (irgendeinen) wert_schätzend zu mir zu sein. Bitte nicht

Es ist auch, sich mit jeder Minute ein zartknospend nachwachsendes Menschenkostüm vom Leib zu reißen und in den Schrank zu hängen.
Bevor jemand sieht, dass es Menschenhaut ist.

Die Medikamente verursachen Muskelstarre, Gangunsicherheit, unwillkürliches Schwanken.
Ich schlafe viel, flüchte unter meine Decken und verkante mich in meinem Käfig.
Mache die Tür zu und warte dort, wie in einem Luftschutzbunker auf das Bald, die Zukunft.
Schlafe darüber ein.

Wenn ich rausgehe, NakNak* Auslauf und Licht, Freude und Reize gewähren will, braucht es Stunden bis meine Muskeln ihre Metamorphose von Stein zu weichem Gewebe vollzogen haben.
Die Schmerzen dazu sind ein Himmelreich.
So kann ich kurz telefonieren, essen, trinken, mich waschen, mir die nächsten Tabletten erlauben.

Ich bin so froh um den Hund.
Ihr ist egal, wenn mein Denken rudimentär, meine Worte unartikuliert sind.
Wenn es Fell ist, an das sie sich schmiegen kann.
Sie brennt mir die Schneise zwischen die Welten, die Zeiten, all die Nötignotwendigkeiten in Kampf um Leben und Tod, die ich brauche.

Ich halte noch diesen Bind(ungs)faden fest, dessen Ende irgendwo in der Menschenwelt ist
obwohl ich nicht sicher bin, ob er dort irgendwo fest ist
von jemanden aus-gehalten wird

Januar2014