Masking

Das Thema „Masking“ begegnet uns bereits länger immer wieder. Insta-Kacheln mit Listen, wie Masking aussieht, was es bedeutet, Tweet-Ketten darüber, was das ist und welche Funktion es hat, das scrolle ich inzwischen einfach weiter, denn ich weiß schon Bescheid. Ja ja, das Versteckspiel unter den Anderen, das Anpassen und Verunauffälligen in einer Welt, in der unerwünscht ist, was anders ist lalila I did that dance with my DIS, my Traumascheiß, my Me, my Life, my Everything

Es ist kein Thema mehr für mich, weil ich das Sackgassengefühl nicht mehr aushalten kann.
Weil ich merke, dass es im Internet Reichweite generiert, man sich mit solchen Aufklärungsposts auch selbst gut generieren kann, aber im analogen Leben außerhalb der Bubble niemand davon redet, darüber nachdenkt, es einfach immer wieder verschlämmt wird vom Wogen des Mainstreams. Alle Leute maskieren. Alle haben deshalb Probleme. Bumms.

Ich kann gut damit leben. Ich bin stolz auf alles, was ich wegmaskiert bekomme. Wenn ich  mich im Griff habe und eine_r von vielen bin. Wenn ich keinen Stress kriege, weil es mich gibt, denn darauf bricht es sich ja immer wieder runter.
Vielleicht ist das ein Fehlschluss. Eingebrannt in einer Kindheit, in der man weder erwartet, noch erhofft, noch erwünscht war, sondern an_genommen wie etwas, zu dem man einfach irgendwie kommt. Wie Einkaufswagenchips. Oder Kugelschreiber mit Werbung drauf.
Aber nein. Ich weiß schon, dass es bei negativen Reaktionen auf mein im Allgemeinen gut wegmaskiertes Geheimnis, meine verborgenen Makel, meine unterdrückte Lästigkeit gar nicht um mich geht. Nichts Persönliches ist und praktisch nie so brutal böse, so schmerzhaft zerstörerisch gemeint ist, wie es in mir wirkt. Ich weiß aber auch, dass alle, die nicht mein Leben hatten, 24/7 Zeter und Mordio schreien würden, würden sie erfahren, was ich erfahre, spüren, was ich spüre. Sie wären empört, persönlich beleidigt, gedemütigt, gekränkt, würden Rache und Vergeltung planen. Oder maskieren und die Luft anhalten bis jemand Nahes kommt, fragt, was los ist und sich in eine Tränenlache verwandeln.

Viele Menschen kennen die Geschichte von den Vielen, die Viele sind, weil ihnen die Maske zur zweiten Haut, zum zweiten, dritten, vierten Ich geworden ist. Viele autistische Menschen haben das gleiche Problem. Vielleicht nicht so, dass sie eine DIS entwickeln, aber schon so, dass sie eine Identitätskonfusion erleben. Nicht mehr sicher wissen, wie sie denn eigentlich sind, wenn sie einfach nur so sind. Nicht angepasst, nicht irgendwas unterdrückend, nicht irgendwas von sich an sich reißend, bis es tief ins Innere gedrängt ist, damit es niemand sieht.
Und auch so, dass sie, genau wie ich als Viele, kaum Erfahrung mit diesem unmaskierten, freien, einfach so passierenden Ich haben. Und folglich natürlich kaum Selbst_Sicherheit, wenig Kompetenz und Erfahrungswissen mit sich selbst haben. Was eine Überforderung sein kann, mindestens aber eine Herausforderung, die Kraft zur Bewältigung erfordert. Vor allem, wenn das überwiegend heimlich, allein_verantwortlich und ohne jede Ermutigung, Unterstützung, Versicherung von außen passieren muss.

Im alltäglichen Allgemeinleben ist mein behindertes Erleben eine Privatsache. Sie ist intim. Ich bin empfindlich und streng mit den Menschen, mit denen ich Aspekte davon teile. Ich erwarte von ihnen, dass ihnen das klar ist. Erwarte eine bestimmte Sprache, ein bestimmtes Mindset. Sonst kann ich sie nicht als meine Vertrauten, meine Nahen, meine Gemögten an mich heranlassen. Sie müssen begreifen, dass sie meine Bubble sind. Mein safer space. Meine Version vom Leben unter den Anderen, neben dem es zu keinem Zeitpunkt, in keinem Aspekt irgendetwas Leichtes, Einfaches, Ungefährliches, Unproblematisches gibt.

Ich kann nichts, wirklich nichts, einfach machen wie sie. Außer existieren. Und wäre dies eine allgemein positiv anerkannte Daseinsform hätte ich sie bereits als die meine angenommen.

Mein maskiertes Leben ist gut. Ich kann viele Dinge er_schaffen, kann viele Kontakte haben, kann viele Fähig- und Fertigkeiten aus_entwickeln, die mir das Leben erleichtern und bereichern. Einzig nicht gegönnt bleibt mir, dass ich vergesse, dass es nicht echt ist. Nicht einfach so, nicht natürlich. Immer wieder gibt es Situationen, in denen ich daran erinnert werde und jedes Mal ist es mir der Untergang einer Welt. Ja, einer Traumwelt, aber einer die alle anderen um mich herum mit mir teilen. Einer, in der ich etwas lebe, was sich alle Menschen wünschen.

Und das ist mein Problem mit Masking. Dass ich es will und nicht hinkriege. Dass ich wirklich nichts dagegen habe und mir kaum eine Anstrengung zu viel dafür ist, aber immer wieder mit Kometengeschwindigkeit auf den Boden der Tatsachen knalle. Wegen Dingen, die so banal sind wie Einkaufswagenchips, Kugelschreiber mit Werbung drauf, ein TÜV-Prüfer, der mich nicht zur Prüfung zulassen will, weil ich behindert bin.

Behinderung #2 – das soziale Modell – #DisabilityPrideMonth

„behindert sein – behindert werden“ zeigt zwei Modelle von Behinderung auf.
„behindert sein“ gehört zum medizinischen Modell, das im letzten Text beschrieben wurde. Danach ist ein Mensch behindert, wenn dessen Körper, Seele oder das, was mit dem Wort „Geist“ oder „Kognition“ oder auch „Intelligenz“ beschrieben wird, von der medizinisch definierten Norm abweicht.
„behindert werden“ gehört zu einem Modell, das ich hier „soziales Modell“ nenne, um zu vereinfachen. Danach sind Menschen einfach wie sie nun einmal sind und werden von Normvorstellungen und ihrer Um- bzw. Durchsetzung im Alltag behindert.

Tatsächlich werden hier von mir drei Aspekte unter einen Begriff gefasst.
Diese Aspekte sind:

  • Behinderung als Resultat sozialer Interaktion
  • Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen
  • Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Behinderung als Resultat sozialer Interaktion

Soziale Interaktion nimmt bei den meisten Menschen den größten Anteil ihres täglichen Lebens ein.
Es ist eine soziale Interaktion, wenn wir einander „Guten Morgen“ sagen, es ist aber auch eine soziale Interaktion, wenn wir uns überlegen, wen wir zu einer Geburtstagsfeier einladen und wen (warum) nicht. Und es gehört zur sozialen Interaktion, wie wir einander „Guten Morgen“ sagen – aber auch warum.

Behinderte Menschen enttäuschen mehr oder weniger zwangsläufig bestimmte Vorstellungen, die sich Menschen, die ihre Behinderungen nicht (genauso) erleben, von ihnen machen. Das betrifft oft die Fähig- und Fertigkeiten, manchmal aber auch die Vorstellungen von sich selbst und die Ambitionen, die sich daraus ergeben.
Zum Beispiel erwarten viele Menschen, die ohne Probleme oder viel Anstrengung laufen können, dass alle Menschen laufen können und wenn es jemand als Sport macht, dass die Leute sich wünschen am schnellsten zu laufen. Treffen sie dann auf einen Menschen, der nicht oder nur mit großer Anstrengung und vielleicht auch Verletzungsgefahren laufen kann, wird ihre Erwartung („Alle Menschen können laufen“) enttäuscht und sie bezweifeln, ob der Mensch überhaupt Sport machen kann oder sich generell dafür interessiert.

Solche Situationen werden oft im Netz besprochen, weil sie emotional verletzen und kränken. Manche behinderten Leute sagen dann so in etwa: „Boa, diese Nichtbehinderten sollten mal ihren Ableismus klarkriegen!“, weil sie sehen, dass es um Erwartungen an Fähig- und Fertigkeiten geht. Die Erwartung an sich jedoch „produziert“ noch keine Behinderung.
Eine Behinderung durch soziale Interaktion entsteht in der Regel durch den Versuch bestehende (soziale) Normen zu festigen, obwohl sie (von behinderten Menschen) infrage gestellt werden. Zum Beispiel, indem man viele Begriffe und Kategorien für behinderte Menschen erfindet („Rollifahrer“, „Blinde_r“, „Autist_in“ … „behindert“) und dann zum Beispiel sagt: „Ach für Blinde ist Kino halt nix, da muss man sehen können“ oder „Ach, die Person hat eine Lernbehinderung – da brauchen wir ja gar nicht erst anfangen über eine Berufsausbildung oder ein Abitur nachzudenken.“

Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen

Beim Begriffspaar „Leistung“ und „Ausdifferenzierung“ denken viele Menschen sofort an Schule, aber vielleicht auch an Sportwettkämpfe oder die berufliche Karriere. Ich persönlich denke sofort an das Hartz-4 System und an die Struktur von Krankenkassen.
Wer bestimmte Leistungen nicht erbringt – und dabei geht es nicht darum, warum nicht! – wird in aller Regel nicht belohnt oder dazu ermächtigt, sie zu erbringen.
Bei diesem Aspekt ist mir wichtig aufzuzeigen, was konkret der „Behinderung produzierende“ Teil davon ist. Es ist nämlich keineswegs so, dass eine Schule zum Beispiel einfach nur die Benotung abschaffen und das Gebäude, wie den Unterricht barrierefrei gestalten müsste, um inklusiv zu sein! Es gibt Schulen, weil es ein Arbeits- und Gesellschaftsleben gibt, das nur bestimmte Leute, mit bestimmten Fähig- und Fertigkeiten und einem bestimmten Leistungsniveau durch Mitwirkung teilhaben lassen will (und kann).
Wer nicht leistet, wird ausgesondert. Das kann die Sonderbeschulung meinen, kann aber auch ein Leben ohne Arbeit, abhängig von Leistungen wie Hartz 4 oder in einer Form von Rente sein.
Es kann aber auch die Ausladung von einer Geburtstagsfeier meinen, weil es eine Person nicht schafft laute Musik, andere Gäste, freundliche Unterhaltung zu kompensieren, nachdem sie sich für die Beschaffung eines Geschenkes verausgabt hat. Leistung hat nicht nur etwas mit Gewinn oder Ertrag zu tun!

Die Behinderung entsteht also durch Ausschlüsse, die gemacht werden, weil Menschen bestimmte Leistungen nicht (wie vorgesehen) erbringen.
Hier gibt es eine Verschränkung mit dem dritten Aspekt.

Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Viele Menschen nehmen an, dass bestimmte Strukturen ganz einfach aus dem Menschen natürlich inne liegenden Ideen entstanden sind.
Tatsächlich aber dient jede Struktur dem Erhalt, der Sicherung und dem Zugewinn von Macht durch Überlegenheit durch Einhaltung und also Bestätigung von Normen, die von der Mehrheit (also einer mengenmäßig überlegenen Gruppe!) der Menschen ohne Probleme eingehalten werden können. Egal, ob wir uns Schulen anschauen oder Eiscafés, ob wir ins Vereinswesen oder das Versorgungsamt schauen, ob wir unsere eigene Clique betrachten oder die unserer Eltern – immer kann man herausarbeiten, dass es da Normen gibt, die vorgeben, wer profitiert und wer nicht – und dass es in der Regel von Nachteil (und also auch behindernd) ist, nicht zu profitieren.

Bestimmte *ismen sind in unserer Gesellschaftsordnung so fest verankert, dass sie maßgeblich darüber entscheiden, wem was wann unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen zugestanden wird. Diese *ismen sind Rassismus, Sexismus, Ableismus (wozu auch Saneismus gehört), Ageismus, Adultismus und Kapitalismus.
Jeder *ismus ist ein abgeschlossenes Konzept. Das bedeutet, dass es sich immer von etwas abgrenzt und also Menschen mit bestimmten Eigenschaften ausschließt. Dieser Ausschluss ist das „Behinderung produzierende“ Moment und wir haben in unserer Gesellschaft nicht einen einzigen Aspekt des Lebens und Miteinanders, in dem niemand ausgeschlossen ist.

Bevor du diesen Text aber mit dem Gedanken verlässt: „Aha, also sind wir alle behindert, ja klar.“ und mir einen Vogel zeigst, bitte noch ein Mal kurz konzentrieren.

Es gibt Ausschlüsse, die kann ich gut verkraften. Ich muss nicht zu den Partypeoples gehören. Mir geht auch überhaupt nichts ab, wenn mir jemand nicht zutraut Olympiagold im Kugelstoßen zu holen. Aber es gibt Situationen, in denen so viele Ausschlüsse passieren, dass ich existenziell bedroht bin, weil ich nicht als behinderter Mensch, sondern nur als behindert oder schlimmer noch als Behinderung gesehen und behandelt werde.
Das kann zum Beispiel passieren, wenn man als schwarze behinderte Frau ein Kind alleine versorgt.
Weil viele Menschen annehmen, behinderte Menschen seien nicht sexuell attraktiv glauben sie auch, dass sie keinen Sex haben. Und wer keinen Sex hat, kann nicht schwanger werden. So kommt es vor, dass Menschen davon überrascht – und bürokratische Strukturen gesprengt – werden, wenn behinderte Menschen zu Eltern werden. Und wenn diese dann ganz spezifische Problemlagen haben, weil sie an anderen Stellen, etwa von Krankenkassen, dem Versorgungs- oder Integrationsamt ausgeschlossen werden – ihnen aber aufgrund ihrer sexistischen Rollenzuordnung als Frau oder Mann auch spezifische Anforderungen zu erfüllen abverlangt werden, die sie nur mit Unterstützung schaffen können.

In dieser Lage ist es nicht nur Ableismus das Konzept, das den Ausschluss und dadurch eine Behinderung produziert, sondern auch Kapitalismus (denn Versorgungsämter beispielsweise teilen Gelder (also Kapital) zu) und andere *ismen, die den Zugang zu dieser Struktur gewähren oder auch nicht. Das ist dann häufig Ageismus bzw. Adultismus – denn nicht die Kinder stellen die Anträge, sondern die Eltern bzw. gesetzliche Vetreter_innen – aber auch Rassismus. Der zeigt sich darin, dass Menschen, die nicht weiß sind, seltener gesagt wird, dass es Antragsmöglichkeiten gibt oder ihre Anträge weniger oft genehmigt werden, weil es die Annahme gibt, die Antragsstellenden würden lügen oder übertreiben, um sich staatliche Leistungen zu erschleichen, die ihnen nicht zustehen.

Wie man also sieht, ist das soziale Modell von Behinderung eines, in dem nicht die behinderte Person im Fokus steht, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie lebt. Mit diesem Modell über Behinderung nachzudenken ist komplex und geht nicht ohne auch über die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft nachzudenken.

zum Weltautismustag 2021

Gerade setzen wir „Sprechen und Schweigen über sexualisierte Gewalt, Ein Plädoyer für Kollektivität und Selbstbestimmung“ von Lillian Schwerdtner (Link zur Verlagsseite). Es ist ein Buch, in dem mit vielen Fußnoten beschrieben wird, wer wann wie wo mit welcher Wirkung und warum über sexualisierte Gewalt spricht oder schweigt.
Während ich von Absatz zu Absatz scrolle, klicke, setze, verwebt sich in mir die letzte Therapiestunde – in der über erfahrene sexualisierte Gewalt gesprochen wurde – mit mir. Ich erfahre von den Gedanken eines Kindes, von einem Moment, in dem Bewusstsein über Unbewusstsein für alles außerhalb des eigenen Funktionierens auf dringenden Hilfebedarf von außerhalb trifft. Begreife, dass wir vielleicht nicht auf den Punkt des Innens gekommen wären, wüssten wir nicht vom Autismus und nicht, was „unser Autismus“ ist.

„Vielmehr wird Sprechen über sexualisierte Gewalt regelmäßig für Zwecke instrumentalisiert, die mit den Intentionen und Bedürfnissen der Sprechenden nicht übereinstimmen oder diesen sogar entgegenlaufen. Die Offenbarung von Erfahrungen sexualisierter Gewalt wird in solchen Fällen etwa zur Reproduktion und Rechtfertigung sexistischer, rassistischer oder klassistischer Vorurteile missbraucht“, fliegt aus dem Buch an mir vorbei und berührt einen Punkt, an dem ich zum Weltautismustag morgen kaue.

Seit wir hier darüber schreiben, werden wir öfter angeschrieben von Vielen, die sich „autistisch fühlen“ oder als Erklärung für „nicht traumabedingtes Verhalten“ Autismus heranziehen und sich fragen, wo man als erwachsene Person zu einer Diagnose Diagnostik kommen könnte. Wir antworten immer was wir können und wissen, urteilen nicht, wollen helfen und schaffen das wohl manchmal auch.
Aber.
Die Vorurteile bemerken wir auch. Die Annahmen, was Autismus sei und woran man ihn erkenne. Die Idee, Autismus sei eine Traumafolgestörung, eine von den ganz krassen ultra deepen für immer bestehenden Verletzungen, die man nicht sieht, aber eindeutig angetan wurden. Voll logisch bei Opfern. Die ja, ebenfalls voll logisch, auf jeden Fall für immer und ewig davon gezeichnet sind, was ihnen passiert ist und nur durch unfassbare Stärke/ein Wunder/ganz exzellente Traumatherapeut_innen Traumatherapie so etwas wie unauffällige Alltagsfunktionalität hinkriegen.
auch die ableistischen Vorurteile über Autismus und autistische Menschen bemerken wir. Das Konglomerat aus dem sich das Bild des zarten, weißen, cis, hetero und ergo zutiefst unschuldigen autistischen Mädchens ergibt, welches eigentlich super klug/konzentriert/über_natürlich ist und alles hätte sein und schaffen können, müsste es nicht immer schaukeln, weil es Zentrum der Gewalterfahrung war und durch die Unwillkürlichkeit der global überfordernden, schrecklichen, gewissermaßen retraumatisierenden Erinnerungen, praktisch immer wieder zum Opfer wird.

Wir stellen uns nicht so dar, schreiben nicht so, weder über „unseren Autismus“ noch über unsere Gewalterfahrungen bzw. unser Er_Leben mit deren Folgen, sodass wir uns nicht als Ursache für diese Vorurteile sehen müssen. Wohl aber werden unsere Erzählungen benutzt, um im Weltbild anderer Menschen Sinn zu erzeugen, den sie für sich annehmen und in ihre Selbstsicht integrieren können. Was nicht mit Absicht passieren wird und erst recht nicht mit dem Bewusstsein dafür, was das mit uns persönlich und dem, was wir hier erreichen wollen, macht, aber – as always – geht es bei getaner Gewalt nicht um Absichten, sondern um Verantwortungsübernahme und Veränderung, um (wieder) gut zu machen.

In meinem Text zum Weltautismustag wollte ich meine Unzufriedenheit über die Besonderisierung autistischer Menschen, die mehrfach marginalisiert sind, zum Ausdruck bringen und formulieren, wie frustrierend es ist, dass ebenjene Mehrfachmarginalisierung als Begründung für diese ausschließende Zuordnung herangezogen wird. Nun denke ich, dass ich mir das auch schenken kann, weil der Raum, in den wir hineinerzählen, einer ist, der unsere Erzählung einfach nicht aufnehmen, begreifen, ver-ich-lichen will, sondern einer, der uns als Quelle fremder Einflüsse wahr.nimmt und benutzt. Auch schon tausend Mal aufgeschrieben.

Schon die Einordnung in „Betroffene“ und „alle anderen“ ist ein Problem. – Auch eine schöne Fußnote in dem Buch übrigens: „If it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse one.“ [1] – Ich weiß nicht, wie oft, wie lange, mit welcher Performance, zu welchen Punkten in der Geschichte noch erzählt werden muss, dass es so etwas wie „Unbetroffenheit“ nicht gibt, wenn Menschen anderen Menschen Gewalt antun. Wir sind nicht alle eins, aber die Welt ist ein Dorf und außer den Tod gibt es keinen realen Ausschluss.
Realer, wirklicher Ausschluss würde es ermöglichen, ganz eigene Strukturen zu entwickeln. Wir könnten sie einfach haben die Nachwachshäuser, die Dörfer voller Autis, Depressiver oder Zwängler_innen und könnten drauf kacken, was die Normalen machen. So läuft es ja aber nicht. Und zwar, weil es diesen Ausschluss braucht. Er wird gebraucht um normal, funktional, fähig zu definieren.

Scheiße ist das.
Und Realität.

Eine, in der ich mich frage, ob, wenn ich hier veröffentliche, was ich über „unseren Autismus“ lerne und verstehe, dies als Vorlage missbraucht wird, um sich nicht aufrichtig mit sich selber und den Gründen dafür zu befassen, weil es nach wie vor die Denke gibt, ausgeschlossene Menschen könnten nicht selber ausschließen, Verletzte nicht selbst verletzen, als „richtig echte Opfer“ eingeordnete Menschen, nicht selbst der Grund dafür sein, dass es „nicht echte Opfer“ gibt.
Dafür muss ich keine Verantwortung übernehmen und das wird auch nie der Grund sein, hier nicht mehr zu veröffentlichen – aber: Es braucht alles das hier nicht, um zu wissen, dass es das gibt. Ich brauche das hier für mich und mache es für alle zugänglich, weil ich damit nicht allein sein möchte. Das ist das eigentliche Dilemma und das, was mich einfach sehr schmerzt: Der Versuch, der Wunsch, das zutiefst menschliche Bedürfnis, sich mit einer Gesellschaft zu verbinden, von der nicht zu erwarten ist, dass sie sich gemeinsam mit mir macht, weil sie sonst anerkennen müsste, was sie Menschen wie mir warum antut und sehr viel ändern müsste.

 

[1] Brachmann, Jens (2019): Täter, Tätersysteme, Ermöglichungsbedingungen sexualisierter Gewalt. In: Jens Brachmann (Hg.): Tatort Odenwaldschule. Das Tätersystem und die diskursive Praxis der Aufarbeitung von Vorkommnissen sexualisierter Gewalt. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S. 27–311.

Diskriminierung – Diskrimination – Inklusion

Als Diskriminierung wird die Benachteiligung und Abwertung von Individuen aber auch Gruppen bezeichnet, die sich aus bestimmten Wertvorstellungen ergeben, die wiederum durch bestimmtes Verhalten, Urteilen und unbewusste Verknüpfungen (und auch das Herstellen solcher Verknüpfungen) ausgedrückt werden.

Diskrimination ist ein altes Wort für Differenzierung. Man hat es verwendet, um die Absonderung, den Ausschluss, die negative Diskriminierung zu benennen.

Wenn manche Menschen heute versuchen Inklusion zu machen, dann fangen sie meistens beim Ausschluss an. Das ist das einfachste, weil es eindeutig negativ ist. Es geht um Diskrimination. Darum, dass Menschen etwas nicht bekommen oder nicht haben, was andere bekommen und haben. Da ist ein Loch, ein negativer Bereich, wenn man so will und viele Menschen denken, dass, wenn dieses Loch gestopft ist, die Inklusion passiert ist.

Diskriminierung hingegen ist etwas, das durch soziales Miteinander entsteht. Durch soziale Not_wendigkeiten. Durch Prozesse von Kultur, Zivilisation, aufwachsen in einer Gesellschaft, die ableistisch ist und bleibt, weil sie von Ableismus und anderen Formen der Gewalt geprägt ist. Und „geprägt“ meint hier so viel wie „direkt, wie indirekt, wie by proxy davon traumatisiert“.
Niemand steht morgens auf und denkt: „So, heute diskriminier ich mal n paar Leute mit Epilepsie, heute kommt die Flatterbeleuchtung in die Bushaltestelle umme Ecke.“ und reibt sich die Hände vor Vorfreude aufs Leid anderer.
Aber mit jedem Busticket, das man kauft, bezahlt man Leute, die dafür Verantwortung tragen, was für eine Beleuchtung in die Haltestellen kommt. Leute, die zur Schule konnten, weil sie das Recht dazu hatten, die eine Ausbildung, ein Studium machen konnten, weil sie sich an die Bedingungen anpassen konnten, die zu keinem Zeitpunkt auf die Idee kommen mussten und konnten, dass sie vielleicht aktiv Dinge tun, die auch Menschen betreffen, die in mehr als Haarfarbe, Musikgeschmack und Konfliktfähigkeit anders sind, als sie selbst.

Für diese, für die meisten, Leute, die in ihrem Leben nie diskriminiert wurden, sind die Leben behinderter Menschen insgesamt ein negativer Bereich. Es gibt sie einfach nicht. Nicht wirklich. Es gibt ~die Behinderten~ „die Anderen“, die man von sich selbst differenzieren, diskriminieren kann, aber, weil an der Stelle eine Diskrimination passiert, wird da zwischen „Ist“ (oder auch „echter Mensch“, oder „so wie ich/mir gleich“) und „Nichtist“ (also „eigentlich nicht so richtig Mensch“ oder „nicht so wie ich/mir fremd“) unterschieden – und eben nicht nur diskriminiert, wie man das heute so gerne eingrenzt, weil man sich mehr Pragmatismus im Inklusionsgeschehen wünscht, als ginge es um eine Baustelle, die man nur mal richtig glattziehen muss und dann läuft das schon.

Sorry, nee.
Es ist einen Tucken schwieriger als miteinander lieb zu sein. Positiv auf Behinderung und Menschenleben zu gucken. Nicht alles immer so schwer zu nehmen, so persönlich, so kompliziert. Inklusion ist nicht das gute Leben für alle. Es ist Leben für alle. Die anerkennende, beachtende, as in „achtsame“ Differenzierung von Leben in all seinen Formen und Ausgestaltungen.
Inklusion muss Platz haben für Hässlichkeit, für Ekligkeit, für Awkwardness, für nervtötende Klugscheißerei, für kritische Spitzen, für Zähneknirschen und Unzufriedenheit. Für Unterschiede und auch für Unterscheidung. Sonst ist es keine Inklusion.

Man braucht Diskrimination, man braucht Diskriminierung, um zu ordnen. Nicht, um zu hierarchisieren, nicht um zu bewerten, sondern um zu strukturieren, um effizient sein zu können und so das eigene und das Leben anderer Menschen zu sichern.
In unserer Gesellschaft wird aber diskriminiert, um Werte zu kommunizieren und zu legitimieren. Um Macht zu erhalten, auszubauen und zu stabilisieren.

Es ist nicht damit getan Ausschluss zu verhindern. Menschlichkeit zu feiern. Sich gegenseitig immer wieder zu erzählen, alle seien Mensch und ultrawertvoll, einfach, weil man da ist.
Das stimmt so einfach nicht. Man ist wertvoll, sobald man für wertig erklärt wird. Und damit beginnt das ganze Problem schon. Ganz random. Völlig alltäglich. Absolut fest in jede einzelne soziale Geste, die man macht eingebunden – auch in die, die niemandem aktiv, offensichtlich schaden oder Rechte verwehren.

der Thread, in dem Hannah aufschrieb, dass Inklusionsaktivismus nur wie ein Serviervorschlag funktioniert

Ich habe gestern diese Grafik von @PacingPixie bei Instagram entdeckt und sie bei Twitter ausformuliert. Lief nicht. War klar. Ist trotzdem wichtig, deshalb hier nochmal. Für mich, für euch, for whom it may concern. Mit weniger Fehlern und einigen Ergänzungen.
3 Kreise, die sich alle überschneiden und 4 Flächen ergeben1. Does not confront ableism2. Productive under capitalism3. Appearance aligns with beauty standardsergibt 4. Palatable disabled people
Für uns zeigt dieses Bild die deutsche Inklusionsbubble.
Wir haben sie oft kritisiert, aber nie mit den Worten „konfrontiert Ableism nicht“. Aber es ist so wahr! Aufklärung darüber, was Ableism ist; reverse „Witzigkeit“
über ableistische Praxis; sarkastisch-zynische Antworten auf ableistische Diskriminierung sind keine Konfrontation. Das ist Aufzeigen, aufklären, erklären. Und ja, das kann für Leute, die leugnen oder vermeiden wollen, konfrontierend wirken, hat am Ende aber doch immer eher die Wirkung wie der Hinweis „Serviervorschlag“ auf Fertigessen: Man formuliert das Offensichtliche (nämlich, dass Dinge anders sein könnten, als sie es sind, wenn man nichts damit macht), weiter nichts.
Ableism im Grundsatz zu konfrontieren ist etwas, dass (sich) die meisten behinderten (rassistisch, klassistisch … diskriminierten) Leute gar nicht leisten können, denn wir leben in einer Gesellschaft, in der praktisch jede Infrastruktur, jede Interaktion auf dem basiert, was Diskriminierung bewirkt: Ein globales Ungleichgewicht der Macht und also Einflussbereiche und also Kapital, das diese Position sowohl etabliert als auch stabilisiert und sichert (und also auch erweitern hilft). Sich dagegenzustellen, kann jede Lebens- und Schutzgrundlage entziehen und also Lebensgefahr bedeuten.
>Ich weiß, dass das, was ich hier gerade aufschreibe 0 anschlussfähig ist. 0 Mainstream. 0 Komma 000 einfach verständlich, aber genau das ist, was Ableism ist und für behinderte Menschen bedeutet. Das muss konfrontiert werden – da muss der Kampf, wenn man findet, dass es einen braucht – hin. Weg von individuellen Umgängen damit, wie es ist, man zum tausendsten Mal erklärt hat, dass man XY nicht kann oder AB braucht, um Zugang zu bekommen. Weg davon, sich möglichst edgy auszudrücken, wenn jemand übergriffig war oder wenn man nicht zeigen will, dass die Briefe vom Sozialamt richtig krass weh tun oder nerven oder unsinnig sind – gerade, weil man weiß, dass sie eine_n da entmenschlichen.
Wir müssen dahin kommen, zu sagen: „Ich werde ohnmächtig gemacht – ich werde entmachtet, weil ich behindert/chronisch erkrankt bin – mir werden Menschenrechte nicht
gewährt, weil mächtige Menschen etwas davon haben, dass ich behindert bin.“ Als Beispiel. <
Zweiter Punkt: Ist euch aufgefallen, dass die behinderten Aktivist_innen, die ihr im Fernsehen oder im Netz total oft seht, einen Job haben oder ihren Aktivismus zum Beruf gemacht haben (machen mussten)? Ist ein Privileg. Eins, das die wenigsten behinderten Leute haben und das, worüber man aber noch am ehesten relatable für Leute ist, die Behinderungen leicht und einfach kompensieren können. So genannte „Nichtbehinderte“, die DER Maßstab sind. Immer noch. Bei allem. Auch für Sender und Sponsoren. Zum Beispiel.
>Ich halte es für wichtig das aufzuzeigen, weil es bedeutet, dass das eine Achse ist, über die behinderte Leute benutzt werden, während sie für ihre Sache eintreten und dass es also vermutlich total egal ist, ob man in der Rolle über Inklusion und Menschenrechte redet oder eine Erklärfunktion hat oder als Diversity-Marker platziert ist. Jede wie auch immer gestaltete Öffentlichkeit ist in erster Linie von und für das „nicht behinderte“ Publikum gemacht und ja, nein, man wird nicht öffentlich, prominent, berühmt, Publikumsliebling oder eine Stimme, auf die alle hören, wenn man dieser Öffentlichkeit sagt, dass sie 24/7 Unrecht tut (obwohl sie das in der Regel gar nicht will und bewusst bemerkt) und praktisch alles, worauf ihr Welt- und Wertbild fußt sich ändern muss, um das zu beenden.<
Der dritte Punkt: Schönheit. Der Freund hat mir das neulich ganz selbstverständlich aufgezeigt, als ich mich darüber aufgeregt habe, wieso so viele Leute, einer unangenehmen Inklusionsbubbleperson folgen. „Ja, guck sie dir doch an.“
Soziales Kapital über Style zu generieren, geht in Zeiten der Hyperindividualisierung total einfach. Klar hilft es, wenn dein Körper normschön ist, aber wer, wenn nicht behinderte Leute können völlig logisch legitimiert ihren ganz eigenen Style fahren und damit anziehen?
>Ja, viel davon kommt aus der Not und ist keine freie Entscheidung, aber das war auch noch nie anders. Looking at Schwarze Leute, at arme Leute etc. deren Styles sich auch so entwickeln bis sie von mächtigen (weißen, reichen) Leuten übernommen werden, weil es das ist, was sie tun und nur so legitimieren können, dass die deren Style sie übernohmmen und verzerrt haben, überhaupt so aussehen dürfen, wie sie es tun. Bedeutet: Ja, du hast vielleicht keine 90-60-90 mit thigh-gap und Zähne wie ein Gartenzaun, aber deine bunten Haare und die Exzentrik deiner Musterwahl ist für viele Leute einfach nachzumachen – sie können dich spiegeln und dir deshalb nachsehen, dass du behindert bist. So können sie dich als Mensch annehmen und denken – und eben nicht einfach, weil du tatsächlich einer bist.<
Und so, dieser Gemengelage entstehen tatsächlich die „palatable disabled people“ – die angenehmen behinderten Leute, die den Leuten, die an ihrer Diskriminierung aktiv wie passiv beteiligt sind, schmackhafte Inklusionshäppchen servieren. Kostenlos. 24/7. Ohne Kante, ohne Aua, ohne den Gesichtsverlust, der damit einhergeht, wenn man anerkennt, dass man mit behinderten Menschen umgeht als wären sie eigentlich, ja so richtig wirklich, keine Menschen.
Keine Ermächtigung entsteht durch Einsicht der Mächtigen in ihre Privilegien und Verfehlungen. Niemand wird kommen und sagen: „Aah, ja, jetzt hab ich verstanden, wir müssen alles von Grund auf ummodeln und anders denken, damit alle teilhaben können und gleiche Möglichkeiten haben, alles zu machen, was sie wann wie wo wollen – ja dann mal los.“
Won’t happen.
Ich will mit dem Thread sagen, dass wir wegen der Unkonfrontierbarkeit nicht vorankommen mit unseren Forderungen als Aktivist_innen für Inklusion. Seid schön, arbeitet, macht mit ~“Nichtbehinderten“~, was ihr wollt, aber tut nicht so, als würdet ihr damit voll was gegen Ableism machen.
Ableistische Diskriminierung entsteht nicht aus einem Bildungsdefizit darüber, dass es Ableismus gibt oder welche Formen er hat oder mit welchen Worten er kommuniziert wird, sondern aus der ganz alltäglichen Erfahrung, dass jede_r in den Arsch gebissen ist, wenn sie_r irgendetwas (noch) (niemals) so kann, wie es erwartet wird – und dass das niemanden schert außer alle anderen Gebissenen.
Man kann immer nur etwas gegen den Ableismus machen, den man selber hat und den man selber ausübt. Niemand wird etwas gegen Ableismus machen, solange man so viel davon hat. Egal, ob behindert oder (vermeintlich) nicht.
Und ja, so leid es mir tut: Die deutsche Inklusionsbubble, der ganze „Wir machen hier Inklusionsaufklärung, guck der Rollifahrer da ist unser Moderator und der erzählt uns was über seine Arbeit für die Gesellschaft“-Apparat, hat ebenfalls voll was davon, dass es Ableismus gibt.
Und das ist ein Problem.

06072020

Ich sitze im Zug. Die Fahrt geht nach Bielefeld, wo meine Psychotherapeutin ihre Praxis hat.
Gut 120 Kilometer sind zu überwinden. Eineinhalb Stunden fahre ich Zug, 20 Minuten fährt der Freund mich vorher zum Bahnhof, manchmal hat er dabei selbst Arbeitstermine vor oder hinter sich.
Ich übernachte bei einer Freundin. Zwei Mal am Tag so eine Fahrt würde mich so erschöpfen, dass ich den Rest der Woche zur Erholung brauche. So dauert es nur 2 Tage bis ich wieder auf meine ganze Arbeitsfähigkeit von 3 Stunden am Tag komme.

Die Therapeutin und ich arbeiten seit 8 Jahren zusammen. Die Krankenkasse hat vielleicht 2 oder 3 davon bezahlt.
Sie ist keine DIS-Spezialistin und auch keine Autismus-Spezialistin. Sie ist eine gute Psychotherapeutin, die sich regelmäßig fortbildet, Supervision in Anspruch nimmt und in den Urlaub geht, wie sie ihn braucht. Wie selten das unter Psychotherapeut_innen ist, habe ich in aller Schmerzlichkeit erleben müssen.

Es gibt für die Psychotherapie der dissoziativen Identitätsstörung noch keinen einheitlichen Behandlungsstandard. Es gibt fundierte Empfehlungen, Behandlungserfahrungen, eine Leitlinie. Und die Behandlung, die jedes Arbeitsteam durch mühsames “Trial-and-Error” entwickelt.

Es gibt keinerlei Erwähnung von autistischen Menschen mit komplexer Traumafolgestörung in der Fachliteratur.
Bei Wirksamkeitsstudien werden Menschen mit ASS aufgrund ihrer Behinderung praktisch prinzipiell ausgeschlossen.

Wenn ich die Stufen zur Praxis hochlaufe, ist mein linker Fuß „Ich lass mich drauf ein“ und mein rechter Fuß „Ich lass mich nicht drauf ein“. In den letzten 8 Jahren endete ich immer auf dem linken Fuß vor der Tür mit ihrem Namen am Klingelschild. Die Praxis ist einige Male umgezogen. Jedes Mal hatte ich Panik, was passieren würde, wäre es eine Stufenanzahl, die mich auf rechts landen lässt.

Ich habe ihr nie davon erzählt.

zum International Disability Day

Gestern war „International Disability Day“, deshalb habe ich darüber nachgedacht, ob ich über unser aktuelles Behinderungsding schreibe, aber

Ich hab erst neulich geschrieben, dass mich meine eigenen Redunanzen nerven. Sie nerven mich und manche tun mir einfach weh, weil ich weiß, dass sie trotz der permanenten Wiederholung nicht an Relevanz verlieren oder tatsächlich auch als Wiederholung verstanden werden.
Sackgasse. Wörterblockade. 5 Gedanken zurück, noch einmal über Los.

Nach der Berufsausbildung hätte eine klitzekleine bezahlte Stelle für mich möglich sein können. Klitzeminiwinzig klein. Mit genau dem Umfang, den ich schaffe. Mit genau genug Geld, um mal einen klitzemini Rentenpunkt zu bekommen und mit gezielt gesetzten Einkünften über Blog, Podcast, eigenes Zeug vielleicht sogar mal ein zwei drei vier Monate im Jahr weder Hartz noch Wohngeld zu brauchen.

Und dann wurde ich vom Jobcenter erneut medizinisch begutachtet, gab es eine anscheinend neue Ausgangslage durch die Ausbildung.
Weil ich nach fast 11 Jahren Arbeitslosigkeit die Ausbildung geschafft habe, wird nun diese miniklitzekleine Stelle in dem Betrieb – den ich kenne und mag und der mich will; wo ich tun kann, was ich kann, wie ich das kann – nicht vom Jobcenter gefördert. Die Ausbildung hat die Arbeitslosigkeit unterbrochen. Eine Förderung durch einen anderen Topf reicht nicht aus. Der Betrieb ist sehr klein, die volle Förderung ist nötig.

Die neue Betreuerin hat mir das letzte Woche am Telefon erklärt. Sagte dabei so etwas wie: „Bei Ihnen ist ja auch nicht davon auszugehen, dass das wieder weggeht“. Ich wollte schreien. Und als ich das jetzt aufschreibe, weine ich zum ersten Mal darüber.

Wieder bin ich an diesem Punkt. Zwischen bodenlosem Einsamkeitsgefühl, Kränkung, Ent_täuschung und der Bewegung, die nur Traumatrigger auslösen. Zwischen inklusionspolitischen Themen und soziologischen Phänomenen, zwischen dem Außermir und der Welt, in der ich lebe.
Das klingt pathetisch und überdramatisch, Hannah, des geht nicht um dein Leben – ja, aber ja, doch auch.

Ich bin vor ein paar Jahren dafür kritisiert worden, dass ich Arbeiten als Privileg beschrieben habe. Ich habe nie direkt darauf reagiert, weil ich kein Interesse an einem Shitstorm mit weißen ablierten Marx-Linken habe, deren Begriff von Arbeit einzig die Ausbeutung und Unterdrückung von Arbeiter_innen kennt. Als ginge Unterdrückung und Ausbeutung nicht auch durch den Entzug von Arbeitsmöglichkeiten. Als wäre der Kapitalismus allein mit der Abschaffung entlohnter Arbeit lösbar.

Als behinderte Person, die zusätzlich auch chronisch erkrankt ist, gibt es für mich die gleichen Perspektiven wie für alle anderen Menschen im Kapitalismus auch: Entweder rein in die Verwertung oder raus aus der Verwertung.
Diese Entscheidung ist zu treffen, ob man will oder nicht und allein der Tod bedeutet das „raus aus der Verwertung“. Denn: selbst wenn man nicht direkt selbst ver_wertet, so ist man im Kapitalismus selbst ein Wert.
Ich bin Teil der Sozialwirtschaft. Ich schaffe mit meinen Bedarfen Arbeitsplätze. Die Verwaltung meiner Belange ist Teil der Arbeit vieler Menschen. Ich esse, ich wohne, ich scheiße, an Weihnachten bestelle ich Geschenke bei Amazon. Landwirt_innen, Haustechniker_innen, die Ab_Wasserwirtschaft und die armen Schweine, die jetzt von Amazon ausgebeutet werden, haben direkt mit mir zu tun – doch ich kann meinen Konsum nicht mit ihrem gleich machen. Mein Geld kommt nicht aus einem Entlohnungskreislauf, sondern aus einem kapitalistisch pervertierten Solidaritätsgedanken, an dessen Anfang mal die Idee stand, dass jeder Mensch jederzeit (chronisch) krank, behindert oder aus anderen Gründen arbeitsunfähig werden kann und damit das Privileg der autonomen Versorgung durch eigene Mittel verliert.

Ganz selbstverständlich ist in diesem Gedanken die Idee, dass Menschen, die in welchem Umfang auch immer nicht autonom handeln können, das Kolletiv brauchen. Doch die Rolle der Menschen im Kollektiv ist bis heute eine, die nicht auf Gleichheit beruht, sondern auf Unterschied.

Mein Wunsch danach arbeiten zu gehen wie andere Menschen auch, entspringt der Selbst-, wie Fremdverortung als nicht gleiche Person. Also meine Exklusion durch meine individuellen Grenzen der Fertig- und Fähigkeiten, die meine Art und Weisen der Arbeit zu etwas anderem macht, als die anderer Menschen.
Wenn ich so etwas schreibe, dann lesen viele ablierte Menschen einen Vorwurf des Ausschlusses. Den formuliere ich an der Stelle aber gar nicht. Ich beschreibe lediglich, dass er passiert und wirkt.

Ganz konkret nämlich genauso, wie ich es in meiner aktuellen Situation erfahre.
Ich bin 14 Jahre in Hartz 4, weil meine damals noch nicht bekannte Behinderung, eine schlechte Versorgungslage und inexistenter Opferschutz, die Behandlung meiner chronischen Krankheit massiv erschweren. Dann wird die Behinderung erkannt, Kompensationsmöglichkeiten entstehen und neue Fertigkeiten werden entwickelt. Eine Berufsausbildung erscheint schaffbar. 3 Jahre und unfassbar viel Bildungs- und Inklusionsarbeit nebenbei später ist sie geschafft, ein Zettel mit dem Beweis der Gleichheit in Fertigkeiten wird erlangt.
Doch die grundlegende Andersheit ist weiterhin da.
„Das geht bei Ihnen ja nicht mehr weg.“

Behindert zu sein (und zu werden) funktioniert nicht wie das Märchen vom hässlichen Entlein, in dem man als Ausgeschlossene_r einfach nur die Gleichen finden muss, um glücklich und zufrieden, gleich im Kollektiv der Gleichen zu sein Es ist viel quälender, denn das Kollektiv der mir Gleichen ist immer das Kollektiv der Ausgeschlossenen.

Ich will an der Stelle nicht darauf eingehen, welches Kollektiv sich nach wem ausrichten sollte. Wer schließt wen aus, welches Kollektiv ist das Gute, welches das Schlechte. Darum geht es mir nicht, obwohl die Frage gestellt werden muss, wer sich nach wem warum ausrichtet. Das ist ja der schmerzhafte Teil – warum will ich denn tun und können, was Leute tun und können, die nicht behindert und/oder chronisch erkrankt sind bzw. ihre Behinderungen und/oder chronische Erkrankungen so gut kompensieren können, dass sie nicht zu Problemen in Produktivität und damit Autonomie führen? Warum sind die mein Maßstab und nicht andere Menschen in meiner Lage?
Na, weil Menschen, die nicht in meiner Lage sind privilegierter sind und ein entsprechend autonomeres und damit freieres Leben führen können. Nicht, weil ich sie für die besseren Menschen halte oder mich selbst für wertlos. Das kommt erst danach, denn das ist der Schluss zu dem meine Lebensrealität zwangsläufig führt (und führen soll).

Das Jobcenter hat mich jetzt wieder als arbeitsunfähig eingestuft.
Obwohl ich im Moment zwischen 12 und 15 Stunden in der Woche arbeite. Das ist mehr als ich jemals zuvor geschafft habe. Ich bin stolz darauf, weil ich weiß, dass ich mit dieser Leistungsfähigkeit viele Urteile über mich Lügen strafe. Ich schäme mich für diesen Stolz, denn ich weiß, dass er in eine Dynamik reinspielt, die am Ende nicht nur mir, sondern allen Menschen schadet.

 

Ich weiß nicht viel über den International Disability Day. Ich bin kein Teil „der Inklusionsbewegung“. Ich kann keine berührenden, empörenden Texte über Beispiele gescheiterter Inklusion, Diskriminierung oder irgendetwas sarkastisch witziges darüber schreiben, als Objekt der Inspiration missbraucht zu werden oder einen Alltag zu leben, in dem fremde Menschen nach meinem Rollstuhl grabschen. Ich kann keine visuell erfassbaren Stereotypen brechen, die auf ihre Existenz aufmerksam machen.
Die Behinderung mit deren Auswirkungen ich lebe, ist von meiner chronischen Erkrankung nur schwer zu unterscheiden. Ich bewege mich in einer Gemengelage doppelter Abwehr und allgemeiner Unkenntnis. In meinem Leben geht es nicht nur darum, zu erklären, was Autismus ist und was eine dissoziative Identitätsstörung und dann die passende Lücke zu finden. Es geht auch darum auszuhalten, dass der Autismus meinen Ausschluss besiegelt und die DIS etwas ist, das mich mit vielen Nicht-Ausgeschlossenen gleich macht.

Ich passe wieder nicht rein. Nicht mal in den International Disability Day.

Es liegt nicht an deiner Intelligenz

dass du Schmerzen fühlen kannst.
Es liegt nicht an deiner Intelligenz, dass du Angst fühlen, Loyalitätskonflikte haben kannst, dich vor Gewalt und Lebensgefahr schützen willst.

Es liegt daran, dass du ein Mensch bist.

Kannst du dir mal einrahmen und an die Wand hängen, wenn du das nächste Mal mit Zitaten wie dem, das Paulines neulich geteilt haben konfrontiert bist.
Auch Menschen einem IQ von 30 sind „programmierbar“. Auch sogenannt „geistig behinderte“ Menschen sind traumatisierbar, sind fähig aus Gewalt, Schmerz, Todesangst heraus zu reagieren und ja, auch zu lernen bzw. zu anscheinend reflexhaftem Verhalten trainierbar. Ihre Traumafolgen sind auch Traumafolgen.

Nur bekommen diese Menschen sehr viel seltener die Chance zu Traumatherapie, werden praktisch aus der (neurologischen) Traumaforschung ausgeschlossen und aus Gründen gesellschaftlich akzeptierter ableistischer Normen als Opfer jeder Form der Gewalt praktisch hingenommen, als sei es ein Naturgesetz und deshalb etwas anderes, als bei anderen – „intelligente(re)n“ Menschen.

Wenn du heute, genau jetzt in dieser Zeit, etwas brauchst, das dir hilft gegen deine Traumawahrheiten, deine sogenannten „Programme“ anzugehen, dann mach das nicht mit einem Twist, der dich an einer Stelle aufrichtet, weil du dir einen schmeichelhaften Grund dafür geben und dir sagen kannst, dass du „immerhin nicht völlig gaga in der Birne bist“.
Denn dann musst du immer Angst haben, dass du es irgendwann mal wirst.
Du kannst dich damit über Feiertage retten, aber nicht durch ein Leben nach, sagen wir einem Schlaganfall oder einer Hirnblutung. Denn dann bist du erstmal augenscheinlich „gaga“ und hast obendrauf auch noch Feiertage und eine weitere innere Wahrheit, die deinem Wunsch nach Unabhängigkeit, geistiger Freiheit und Loslösung des Traumas direkt entgegensteht und dich der Lüge straft. „Hähä du kannst ja gar nix haben, du hast ja nur Matsch im Kopf“.

Das Leben nach der Gewalt bedeutet nicht, dass du dir die Gewalt der Gesellschaft, in der die Gewalt an dir passiert ist, annehmen und mittragen musst. Es gibt keinen Grund aufzuhören, sich mit anderen Gewaltgruppenmitgliedern zu vergleichen, sich gegenseitig zu verraten, runterzumachen, im Wert anzuzweifeln, weil es nicht mehr zum Überleben nötig ist – nur um dann im Leben danach, die nächsten vermeintlich Schwächsten zum Vergleich heranzuziehen, niederzumachen und damit dazu beizutragen, dass sie weiterhin als die schwächsten Menschen gelten.

Du darfst Menschlichkeit annehmen.
Du darfst Miteinander sein.
Du darfst dich darüber informieren, was für ein problematisches, ingesamt defizitäres Konzept Intelligenz ist.

Du darfst anerkennen, dass es schwierig ist, Antworten auf Traumawahrheiten, sogenannte „Programme“ in sich allein zu finden, ohne sich auf Äußeres zu stützen.
Das ist schwierig. Das ist brutal. Das ist, was man dir nie beigebracht hat, egal wo und wie du aufgewachsen bist.

Jetzt auf dem Weg der Loslösung zu sein, ist deine Chance. Jetzt hast du die Möglichkeit etwas neu zu lernen, anders zu machen. Vielleicht sogar besser zu machen als vorher.
Mach es.

 

Buchrezension “I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay”

Dieser Text enthält unbeauftragte Werbung.
Als Teil des Verlagskollektives haben wir das Buch als Freiexemplar erhalten,
jedoch nicht an dessen Umsetzung und Veröffentlichung mitgearbeitet.
Mika Murstein verwendet das Pronomen “mer” für sich, also verwenden wir es in diesem Text auch.

ein Backstein
In jeder Hinsicht ist die 462 Seiten mächtige Gedankensammlung von Mika Murstein, in der unter anderem die Verhältnisse von Be_Hinderung und Geschlecht, von Klassismus und Ableismus, Netzaktivismus und Empowerment besprochen und mit den Diskursen unserer Zeit in Zusammenhang gebracht werden, ein Backstein.

zuweilen erschlagend
Leser_innen jenseits netzaktivistischer Auseinandersetzungen und queerfeministischer Ansichten, dürften Schwierigkeiten haben, sich in Form und Struktur dieser in Text gegossenen Gedankenlandschaft zurecht zu finden. Ja, auch sich selbst zu finden oder in Beziehung zu setzen.
Auch der Satz des Buches und die Sprache, die zwischen amerikanischen wie deutschen Neologismen und Eigennamen springt, erfordern eine sehr hohe intrinsische Lese- und Verständnismotivation, sowie Fähig- und Fertigkeit sich daran anzupassen.

one brick at a time
Murstein leitet und strukturiert mers Gedankengänge von mers eigenen Er_Lebenserfahrungen ab und nterfüttert diese überwiegend mit Theorien und Texten anderer, in Deutschland nicht breit besprochener Aktivist_innen, wobei der Spagat zwischen “zugänglich machen” und “eigenen Punkt machen”, mal mehr mal weniger griffig und allgemein verständlich funktioniert.
Über verschiedenste Aspekte des Er.Lebens zeigt die_r Autor_in auf, wie tief und weitreichend verzweigt ableistische Annahmen, Erzählungen und Handlungen in der Gesellschaft und ihren Strukturen wirken.

Bereits nach wenigen Seiten ist klar: Wo Ableismus beginnt, beginnen auch Klassismus, Rassismus, Sexismus und immer wieder die Aufgabe, sich selbst darin zu verorten, obwohl jedes dieser *ismen mehr oder weniger gezielt zur Ausgrenzung führt und führen soll.
So findet man sich nach einiger Lesezeit in einem vielschichtigen, dicht an dicht gesetztem Gedankengebäude wieder.

Aufbaumaterial
Selbst von Ausschlüssen, aufgrund von Ableismus und/oder anderen Diskriminierungsformen, betroffenen Menschen, erscheinen die eigenen Erfahrungen oft unkonkret und daher auch unbewortbar. Murstein gibt mit “I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay” Beispiel und Grundlage in Worte und Diskussion zu kommen.
Mers Perspektive auf die Themen und Strukturen unserer Zeit, zeigen Wege und Formen des Aktivismus und was darin möglich und nötig ist, aber auch darüber hinaus noch sinnvoll sein könnte.

another brick in the wall
Dieses Buch ist für behinderte Cyborgs, für Schwarze be_hinderte Menschen, für Arme mit Behinderung, für Leute, die dazulernen wollen, für weiße cis Feminist_innen, für Allys … für alle, die das eigene Gedankengebäude zu Inklusion, Netzaktivismus, social justice und die Gleichberechtigungsdiskurse unserer Zeit erweitern oder umbauen wollen, aber auch Anteil an der Dokumentation der Gegenwart be_hinderter und mehrfach marginalisierter Menschen nehmen wollen.

„I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay“ ist im linken, unabhängigen Verlagskollektiv „Edition Assemblage“ erschienen, das sich als Plattform für die Stimmen und Perspektiven mehrfachmarginalisierter Personen.gruppen versteht.
Ihr könnt der Edition Assemblage Rückenwind geben und ihr aktuelles Crowdfunding unterstützen, um Bücher wie dieses auch in Zukunft zu veröffentlichen.

gelb, weiß, lila, schwarz / lila, weiß, grün

Vor einiger Zeit erhielt ich immer wieder Emails, in denen wir als “Herr Rosenblatt” angeschrieben wurden.
Es ging um eines dieser unsinnigen Marketing/Verkaufs… irgendwas mit kapitalistischer Verwertungslogik-Dinger. Kennen wir. Machen wir nicht. Ignorieren wir.
Aber das “Herr Rosenblatt” saß.
Nicht nur, weil es mal wieder eine Anfrage an uns als Blogger_in ist, der so offensichtlich anzusehen ist, dass man sich absolut gar nicht damit befasst hat, was das hier ist, sondern, weil man obendrein nicht eine Sekunde überlegt hat, was für eine Person diese Inhalte produziert hat. Sowas nervt.

Und schmerzt.
Misgendering ist, neben unausweichlicher Reizkakophonie und der ständigen Konfrontation mit dem, was unsere Traumatisierungen ausmacht, der tägliche Schmerz mit dem wir umgehen. Die Welt um uns herum ist entlang von Männern und Frauen strukturiert, die sich selbst übereinstimmend mit dieser Einordnung empfinden (also cis sind) und wir werden dort mit hineingequetscht, ganz egal, wie wir das finden, ob wir passen oder nicht. Und völlig gleich, wie wir selbst uns sehen. Denn jemand, die_r so empfindet, gibt es schlicht nicht in dieser Welt.

Wir selbst erleben uns oft machtlos davor.
Wir haben Freund_innen und Verbündete, die wissen, das wir viele und nonbinary/genderqueer sind  – vor denen wir uns vor Jahren damit schon geoutet haben! – und uns trotzdem vor anderen als Frau ansprechen, weil wir Uterus und Brüste haben.

Dass wir diese Menschen trotzdem noch als Freund_innen und Verbündete betrachten, verstehen wir selbst manchmal nicht. Aber was sollen wir denn auch machen? Sie fallen lassen, weil sie versuchen uns in dieser Welt irgendwo einzuordnen, was an sich doch total gut ist – das wollen wir doch? Was können sie denn für die Binärität unserer westlichen Kultur?

Und was ist mit jenen, die weitaus weniger mit uns zu tun haben, aber doch freundlich eingestellt sind, weil bestimmte Dinge verbinden? Sollen wir sie hauen, weil sie mit dem Namen “Hannah”, der für die Mehrheit der Menschen einfach mal ein “weiblicher” Vorname ist, eine Frau verbinden? Das kommt für uns nicht in Frage – aber was genau denn “weiblich” und was “männlich” sein soll, das wollen wir auch nicht immer mit allen diskutieren. Denn am Ende landet man immer entweder an schlichtem Transhass oder an kognitiver Dissonanz, bei der man einerseits total klar hat, dass Namen, Dinge, Körper an sich erst mal gar kein Geschlecht haben, aber irgendwie doch alles eins hat, weil … kulturelle Realität?

Und dann kommen noch Terf (trans exclusive radical feminist)-Argumentationen wie “Nonbinary sein zu wollen ist internalisierter Frauenhass” oder “Wenn sich jemand nicht mit seinem Körpergeschlecht (zing da ist sie wieder, die Idee Körper könnten ein Geschlecht haben) übereinstimmend erlebt, ist psychisch krank, womöglich sogar tief traumatisiert und muss in einer Psychotherapie umgepolt repariert normalisiert cis gemacht behandelt werden.”.

Tja und wer ist komplex traumatisiert und erlebt sich nicht als Frau, obwohl der eigene Uterus seiner Pflicht als alleiniges Frauenerkennungsmerkmal zuverlässig nachkommt? Richtig – wir.

Das eigene Gender zu erforschen, sich damit auseinanderzusetzen, wer man auf dieser Achse ist, das ist und bleibt einer unserer krassesten Therapiefortschritte.
Dazu gehörte die Etablierung von einer Grenze zwischen dem, wie man angesprochen wird und ob das etwas ist, das in sich resoniert. Dieser ganze Abgrenzung-ist-so-wichtig-Zauber, den wir in der Klinik lernen sollten, den haben wir gelernt und peng kommt raus: Hier resoniert so gar nichts außer einer alten “Fuck meine Mutter ist hier?!”-Panik, wenn uns jemand mit “Frau Herkunftsfamiliennachname” anspricht – hier resoniert aber auch nichts, wenn uns jemand mit “Herr Herkunftsfamiliennachname” anspräche.

Angesprochen fühlen wir uns von dem Namen “Hannah”. Der ist irgendwann gewachsen. Aus uns heraus und aus einer aufrichtig innigen Affinität zur Namensbedeutung, nämlich “Gnade” oder auch “Barmherzigkeit”. So wollen wir sein und im Miteinander in dieser Welt wirken. Barmherzig- herzig, herzlich im weitesten Sinn. Warm, weich, weit, fürsorglich, für andere da, die jemanden brauchen, der da ist.

Dass das Eigenschaften sind, die als weiblich eingeordnet werden, weil wir in einem Patriarchat leben und in einem solchen niemals ein Mann ein Mann sein kanndarfsoll, der auch nur den Hauch von Gnade, Barmherzig- oder gar Fürsorglichkeit am Leib hat, war uns damals scheiß egal. Wir wissen ja, das so ziemliche jede Eigenschaft universell ist. Und wir sind ja unter anderem genau deshalb feministisch aktiv, damit sich genau diese Universalität niederschlagen kann.

Der Name “Hannah (Cecile) Rosenblatt” hat sich ursprünglich aus der Notwendigkeit eines Autor_innennamen, bzw. eines ernstzunehmenden Pseudonyms, ergeben.
Wir wollten einfach nicht als “kleine Wattewölkchen” oder “Donnerschlag22” ins Internet schreiben. Wir wollten als Person, mit Namen und anderen mehr oder weniger unverwechselbaren Eigenschaften auftreten und gesehen werden, wenn uns schon jemand anguckt bzw. wir einfach sichtbar sind. Wir wollten uns kongruent erleben und darin ernstgenommen werden.

Wir wollten nicht als “weibliche Bloggerin” oder “weibliche Autorin” verstanden werden.
Doch das werden wir. Immer wieder, ganz selbstverständlich und automatisch. Ohne Zweifel, Hinterfragen – selbst dann, wenn man unsere Arbeiten schon seit Jahren verfolgt und also auch irgendwie – und sei es subtil durch die Art, wie wir gendern – mitbekommen muss, dass wir uns seit inzwischen 6 Jahren offen als nonbinary/genderqueer einordnen oder mindestens mal selbst die Haltung vertreten, dass es mehr als zwei Gender gibt.

Wir sind mit dem Blog von Vielen auf verschiedenen Listen von “Blogs, die von Frauen gemacht werden”. Das Podcast ist auf der Liste der Podcasts, in denen Frauen sprechen.
Und warum lassen wir das so?
Weil es keine Listen gibt, die Angebote von Personen anderer Gender auflistet.
Weil so eine Liste für genau diese Menschen zum Teil Lebensgefahr bedeutet.

Denn man soll ja nicht glauben, dass so eine emotionale Watsche, die die Ablehnung des Nichtfraunichtmannseins jeden Tag mit sich bringt, das Einzige ist, was Menschen mit eben jener Identität begegnet. Schaut mal in die Twittermentions von offen (aktivistischen) Transpersonen, Nonbinarys und Queers, schaut bei hatr.org in die Sammlung des Hate Speech. Es gibt Menschen, die Menschen verletzten, vergewaltigen, töten wollen, einzig weil sie nicht das Geschlecht haben, das ihnen aufgrund von nicht mehr als Machtgewohnheiten und (patriarchaler) Gewaltkultur zugeordnet wird.

Manche Menschen denken, das sei nicht vergleichbar. “Uns als Frau denken und ansprechen” versus “Uns aufgrund des nonbinary/genderqueer seins verletzen”, aber letztlich ist beides Gewalt. Beides verletzt. Beides weist uns einen Platz in der Gesellschaft zu, an dem wir nicht als respektable, in ihrer Verortung zu achtende Person behandelt werden.

Jan Phillip Reemstma schreibt, dass jede Gewalt einen Körper trifft und auch hier an dieser Stelle stimmt das. Es trifft immer uns und immer verkörpern wir uns. Uns als Frau aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale einzuordnen, verkörpert nichts außer das biologistische Konzept, nachdem aufgrund von (als unveränderlich angenommener) Merkmale eingeordnet und klassifiziert wird.

Auch hier berühren wir einen Therapiefortschritt.
Nämlich den zu begreifen und es als kongruent zu erleben, dass wir selbst uns auch verkörpern. Und zwar mit diesem Körper, der bestimmte Grenzen der Belastung, ein bestimmtes Aussehen, der bestimmte Eigenschaften und Funktionen hat.
Dazu kommt das Gefühl sich selbst zu gehören. Selbst zu sein, weil man selbst neben sich auch Körper ist.

Wir mussten das alles erst mal haben und können und stabil erleben, damit wir überhaupt an den Punkt kommen konnten, an dem wir merkten, dass wir in unserer Körper-Seele-Geist-Einheit durchaus passieren und sind – dass diese jedoch genau in nichts mit Männlichkeit oder Weiblichkeit kongruent ist, sondern in eben genau dem, wer und was wir sind: viele_s und alle_s.

Sich selbst einem Gender zuzuordnen ist kein Vermeidungstanz. Jedenfalls nicht bei uns und bei noch niemandem, di_en wir kennengelernt haben.

Aber das Trauma. Das hat doch bestimmt was mit uns gemacht. BESTIMMT, oder?
Ja klar hat es was mit uns gemacht. Vor allem die Erkenntnis, dass sich Männer und Frauen – und auch Leute, die etwas anderes sind – in nichts unterscheiden, was die Formen von Gewalt angeht, wenn sie welche ausüben.
Uns haben nicht nur Männer und ab und an mal Frauen miss.be.handelt. In dem Umfeld, in dem wir Gewalt erfahren haben, gab es x verschiedene Leute, die nur wegen einem da waren. Nämlich Macht empfinden. Manchmal auch: Selbst_Bestätigung fühlen. Oder: sich abreagieren von all dem, was sie als persönliche Kränkung im Alltag empfinden.

Dieser von uns üb.erlebte Kontext organsierter Gewalt ist genderlos, denn er funktioniert über so abstrakte Dinge wie Geld, Macht und soziale Verbünde, in denen nicht nur als männlich oder weiblich eingeordnete Eigenschaften relevant sind, um fortexistieren zu können. Es geht um Performance und die ist, im Gegensatz zum tatsächlich vorhandenen Gender, wandelbar.

Wir können überhaupt nur aufgrund unserer Traumatisierung davon sprechen, dass es keine eindeutig einem Gender zuzuordnende Eigenschaften gibt. Unsere Gewalterfahrungen sind insofern also durchaus ein Grund für unsere Einordnung als nonbinary/genderqueer – wir haben selbst erlebt, was für ein Stuss das “der aktive Vergewaltiger”, “die passiv Vergewaltigte”, “die durch Dinge wie BDSM oder ähnliches entstehende Transperson” – Narrativ ist.

Heute planen wir unsere Vor- und Nachnamens- und Personenstandsänderung.
Im September startet nämlich die Aktion Standesamt 2018, über die ihr euch mit einem Klick auf das Bild zur dritten Option informieren könnt und im Zuge dessen es Antragsformulierungen auf der Webseite zu finden gibt.

Ob wir auch bei der Aktion mit dabei sind, wissen wir jedoch noch nicht.
Denn, obwohl ein dritter Geschlechtseintrag vom Gesetzgeber bis Ende diesen Jahres ermöglicht werden soll, sehen die Umsetzungsvorschläge und Zugänglichkeiten bisher nicht auch für uns passend aus.
Die Aktion soll ein Zeichen dafür setzen, welche vielen verschiedenen Bedarfe es für diese dritte Option gibt. Deshalb beantragt man, den Eintrag, der mit dem eigenen Geschlecht kongruent ist (das wäre in unserem Fall nonbinary/genderqueer) zu bekommen, obwohl es diesen Eintrag jetzt noch nicht gibt.

Das heißt, man stellt einen Antrag, der von Anfang an nicht bewilligt werden kann und möglicherweise auch später nicht, wenn die dritte Option an sich dann etabliert ist, aber vielleicht ausschließlich für Interpersonen.

Wir können uns so etwas nicht leisten.
Allein für eine Vor- und Nachnamensänderung muss man mit Kosten zwischen 2,50€ und 2500 € rechnen, je nachdem, was da alles auf eine_n zukommt und wo man wohnt.
Bei uns kommt noch die Kraftrechnung dazu.
Wir müssen für Fremde erklären, dass wir Opfer organisierter Gewalt waren und uns von einem neuen Namen, und einem entsprechenden Sperrvermerk in den Archiven erhoffen, schwerer auffindbar zu sein und dadurch etwas mehr geschützt zu sein als jetzt.
Das ist ein Ding für uns und steht völlig neben unserer Geschlechtsidentität.

Und doch. Wäre es ein all-in-one-Abwasch, könnten wir alles gleichzeitig beantragen.
Ein dritter Geschlechtseintrag, den wir auch nutzen könnten, würde uns weniger zu jemandem machen, die_r sich irgendwie besonders machen will und allein auf weiter Heide steht, weil es ja in der offizöslichen Welt keinerlei Entsprechung gibt. Wir hätten autoritäre Stützen auf unserer Seite, die uns validieren.

Auch wieder etwas, das Kraft frisst: Autoritätendenken und ihre Auswirkungen.
Wir wissen schon jetzt, wer und was wir sind. Wir brauchen nicht für uns, dass der Staat sich hinstellt und sagt: Leute, die keine Frau bzw. kein Mann sind, gibt es wirklich und alle haben das zu akzeptieren. Wir brauchen es für Leute, die nur so zu respektvollem, achtsam anerkennendem Verhalten gegenüber Menschen, die nicht Frau und auch nicht Mann sind, gebracht werden können. Oder an die Idee, dass das was sein könnte, was von ihnen verlangt wird.

Das ist wovor wir uns immer wieder machtlos fühlen.
Dass wir immer nur uns haben, wenn es darum geht als die Person anerkannt zu werden, die wir sind.
Die Leute können uns an der Stelle verletzen, ausgrenzen und manchmal auch demütigen, wie sie wollen, sie sind eindeutig, sie sind strukturell anerkannt, sie sind in ihrem Geschlecht normalisiert und etabliert. Sie können mit uns umgehen, wie sie wollen und wenn sie uns verletzen wollen, indem sie uns in ihre dyacissexistische Einordnung reindrücken, dann gibt es nichts außer der Bitte, das nicht zu tun, was wir dem entgegenstellen können. Rein gar nichts.

Außer vielleicht noch dem Appell an Moral, nachdem man andere Menschen bitte einfach nicht verletzt.
Aber wieviel Wert hat das, wenn es keinen Anlass gibt anzuerkennen, dass es überhaupt wirklich und echt verletzt, wenn man falsch eingeordnet wird.

Wir können verstehen, wenn es anderen Menschen schwer fällt oder erst mal komisch vorkommt, mit uns als Person umzugehen, die nicht okay damit ist als “Frau Rosenblatt/Herkunftsfamilienname” angesprochen oder vorgestellt zu werden. Vielleicht sind wir die erste Person, die das von ihnen abverlangt, vielleicht fühlt man sich selbst irgendwie aussätzig vor anderen, wenn man über eine andere Form der Kommunikation offenlegt, dass man mit so jemand wie uns überhaupt Kontakt hat.
Aber mehr als Verständnis wollen wir zunehmend nicht mehr aufbringen.

Denn Verständnis für die Anstrengung neue Formen der mitmenschlichen Kommunikation anzuwenden, bedeutet nicht, dass wir okay damit sind, wenn Gewohnheit oder die persönliche Einordnung unserer Bezeichnung als irrelevant, am Ende doch bestimmt, wie die Ansprache oder Darstellung vor anderen ist.

Besonders die persönliche Einordnung der Relevanz oder Wichtigkeit über unsere Relevanz oder Wichtigkeit zu stellen, ist eine Form der zwischenmenschlichen Gewalt.
Und damit etwas, das wir einfach nicht mehr in unserem Leben haben wollen.
Auch ein Therapiefortschritt übrigens.

Falls du ein_e Freund_in, Verbündete oder anders mit uns Bekannte bist, die das hier liest:
Nenn uns Hannah (C. Rosenblatt) oder Rosenblätter, benutz den Plural, wenn du über und mit uns sprichst, den Singular, wenn du gezielt mit jemand von uns sprichst.
Wenn es dir unangenehm ist oder es für dich (oder uns) gefährlich sein könnte, uns als viele und nonbinary/genderqueer zu besprechen, dann nenne einfach nur unseren Namen und vermeide Pronomen.

Wir gehen mit unseren Verletzungen aus Misgendering in der Regel nicht offen um.
Und gestern Abend, nachdem wieder so etwas war, dachten wir, wie eigentlich ungut das ist. Es sollte kein üblicher Bestandteil von unseren Kontakten sein, damit leben zu müssen, zum Einen nicht gänzlich anerkannt zu sein und zum Anderen mit Verletzung und Übergriffigkeit rechnen zu müssen.

Vielleicht ist die Arbeit daran das, was später einmal zu einem weiteren Therapiefortschritt wird:
Selber Grenzen setzen und halten. Egal vor wem.

 

Mehr Themen, die aus der binären Einordnung herausfallen, könnt ihr im großartigen Nichtbinär-Wiki nachlesen.