Es gibt Besseres zu tun

Inzwischen bin ich schon so viele Jahre mit all dem vertraut. Die Gewalt, das Trauma, Vielesein; wer glaubt was wem warum; wer verfolgt welche Interessen mit dem Sprechen darüber und dem Sprechen dagegen. Organisierte (Rituelle) Gewalt ist für mich ein Gegenstand der Realität, an dem schon seit Jahren nichts mehr herumgedeutet werden kann. Es gibt Fakten, es gibt Zahlen, es gibt rechtskräftige Urteile in Fällen, die alle Merkmale dieser Gewaltform haben. Niemand muss mehr daran glauben, weil alle davon wissen (können).

Nach meinem Input mit Claudia Fischer bei der survivorship-conference kam mir wieder einmal in den Sinn, wie wichtig ist deutlich zu machen, dass es eine ganz natürliche Reaktion aus echtem Unwissen – aber auch eine ausgenutzte Täter_innenstrategie ist, die Wahrheit von Dingen zu bezweifeln, über die man noch kein umfassendes Wissen hat oder bestehendes Wissen nicht damit in Verbindung bringen kann/darf/will/soll. Es ist ein leichtes Spiel für Mit_Täter_innen, das oft nur deshalb viele Mitspieler_innen findet, weil Vermeidung so ein (über)lebenswichtiges Verhalten ist.
Am Ende ist es jedoch prozessfeindlich, opferfeindlich und damit gesellschaftsfeindlich wie jede andere zwischenmenschliche Gewalt auch.
Ein absolut konservativer Machtakt. Mit wenig anderem Willen dahinter als dem, bestehende Ungleichheiten und dementsprechend auch Ungerechtigkeiten nicht aufzulösen. Also nichts gegen Gewalt tun zu wollen.

Es ist wirklich nicht schwer das klarzukriegen. Wer sich heute hinstellt und sagt, es gäbe keine organisierte (Rituelle) Gewalt, hat die letzten 20 Jahre absolut isoliert von Menschen und ihren Medien gelebt – oder aus welchen Gründen auch immer – keinen Bock darauf, sich mit der Realität von Gewalt und ihren Folgen im Leben aller Menschen zu befassen. Sie_r ist also nicht geeignet als Verbündete_r etwas für Überlebende oder gegen die Gewalt und ihre Nutznießer_innen zu tun. Punkt.

Solche Menschen stellen die Falle auf, in die noch immer viele hineintappen: das Aufrauchen durch Überzeugungskämpfe.
Die Entwürdigung durch das ständige Suchen von Bestätigung über etwas, das längst durch andere Stellen bestätigt ist.
Diese Falle zwingt die Menschen, die sich eigentlich um die Überlebenden oder die Gewalt kümmern wollen, weg davon und in einen Kampf hinein, der als wichtig gerahmt wird, weil man ja miteinander zu tun hat und miteinander auskommen muss.
Zum Beispiel, wenn man Überlebende nach dem Ausstieg betreut und die Kolleg_innen sagen: „Ach komm – du glaubst doch diesen Quatsch von organisierter (Ritueller) Gewalt nicht wirklich!“ Mit dieser Aussage drängen sie sich in den Fokus der betreuenden Person. Sie zwingen sie dazu, sich um das zu kümmern, was die Kolleg_innen glauben oder nicht glauben und ziehen damit enorm viele Ressourcen weg von den Überlebenden. Ihr Verhalten ist also nicht nur inhaltlich opferfeindlich, sondern auch konkret, weil sie ihnen nehmen, was sie brauchen: Helfer_innen, die genug Ressourcen haben, um gut helfen zu können.

Neben dem Wissen um die Realität von organisierter Ritueller Gewalt ist also auch wichtig, erkennen zu können, welche Kämpfe wann und um wen relevant sind. Wir haben durch die Corona-Pandemie gerade einen hervorragenden Übungsplatz dafür. Alle können schauen: Ja, ist es mir wirklich eine Erkrankung mit ordentlicher Chance auf Long-Covid wert, dass Onkel Lutz durch stundenlange direkte Überzeugungsarbeit an das Virus glaubt? Wie krass bin ich von einem Job abhängig, in dem keiner glaubt, dass COVID19 eine richtig fiese Scheißkrankheit ist und deshalb keine Schutzmaßnahmen einhält? Wie viel Kraft stecke eigentlich in die Arbeit, die es macht, Menschen verständlich zu machen, dass Fakten auch dann bestehen, wenn niemand an sie glaubt? Was für ein Bild haben Menschen von sich, wenn sie erst etwas für alle Menschen tun, wenn sie persönlich von der Richtigkeit dessen überzeugt sind oder sich davon betroffen fühlen und sich deshalb einen Zugewinn versprechen? Sind das Leute, mit denen man sich verbinden möchte? Mit denen man Zeit, Kraft, Ressourcen teilen möchte – um sie mit allen zu teilen, weil alle etwas davon haben?

Wer die faktische Realität von organisierter (Ritueller) Gewalt anerkennen kann, weiß, dass sie_r auch davon betroffen ist.
Organisierte Gewalt entsteht nie aufgrund der Initiative von Einzelpersonen und frei von äußeren Kontexten. Niemals. Jede organisierte Gewalt braucht Strukturen, jede Struktur braucht funktionierende Systeme, jedes System braucht Kommunikation, um sich selbst zu erschaffen und zu erhalten. Niemand auf der Welt ist unbetroffen von organisierter (Ritueller) Gewalt. Auch die, die es noch nicht wissen. Auch die, die nichts davon wissen wollen.

Wer sich auf das Spielchen um die Zweifel einlässt, kann kaum noch hilfreich für den Prozess der gesellschaftlichen Anerkennung und Veränderung eintreten. Deshalb wird es immer wieder angefangen.

Spielt nicht mit.
Es gibt Besseres zu tun.