die Narzissmuskrise und andere dramatikalische Furchtbarkeiten

Das Blöde ist, dass man, wenn man Trost braucht und ihn nicht in Dingen bzw. Aktivitäten findet, gibt es nur noch die Möglichkeit sich mit seinem Bedürfnis an Menschen zu richten.
Seit 3 Tagen denke ich darüber nach, für welchen Menschen außer der Therapeutin genug Kraft da ist, um um Trost zu bitten. Ungeachtet der Möglichkeit nicht bittend, sondern (unangebracht viel) fordernd zu wirken und es wieder nicht zu merken. Ungeachtet der Möglichkeit zu wirken, als wäre ich aus Gründen der Abwertung anderer Menschen egozentrisch und wäre auf ein individuelles Komfortextra aus und auch das nicht rechtzeitig zu merken, um klar und verständlich genug zu kommunizieren, dass dem nicht so ist.

Die Therapeutin hatte gefragt, ob wir jetzt eine Narzissmuskrise hätten, nachdem ein Innen sagte, dass das Niederschreiben der Namen der Anderen (also das Erstellen einer aktuellen inneren Landkarte) nicht leicht fällt, es das aber nicht sagt, damit die Therapeutin ihr huldigt, weil es doch etwas geschafft hat.
Für die Therapeutin ist das alles kein Ding. Wir reden mit ihr auch nicht weiter darüber, weil es zu viel Raum einnimmt, den wir für andere Arbeiten brauchen – und weil wir es uns im Moment nicht leisten könnten zu merken, wo ihre Grenzen sind, unsere inneren Dramen und Nöte in ihrer Wucht und Komplexität für uns zu begreifen.
Die Therapeutin leitet aus dem Narzissmusding ab, dass wir etwas für uns eingefordert haben und findet das gut.
Soll sie es gut finden.

Das hilft uns nicht, unser Kämpfen als so zermürbend wahrgenommen zu wissen, wie wir es empfinden, aber was wissen wir denn schon, wie sie irgendwas sieht oder versteht oder empfindet. Wie immer warten wir darauf, dass sie irgendwann etwas sagt, was uns Aufschlüsse darüber gibt, oder fragen nach, wenn wir einen Kraftschwuschmoment haben.
Und selbst dann brauchen wir dieses Wissen letztlich ja auch nur wieder dafür, um zu wissen, was mit ihr zu besprechen lohnt und was nicht, weil sie es entweder gut genug begreift, um mit uns daran arbeiten zu können oder weil sie es nicht begreift und uns damit in eine Situation bringt, die Kraft zieht, verunsichert und ein neues Drama eröffnet, weil es den Grund für unser Miteinander berührt und eventuell in Frage stellt.

Ich würde auch nicht sagen, dass wir eine Narzissmuskrise haben. Aber wir sind verunsichert und merken, dass wir anfangen uns zurückzunehmen. Anrufe meiden, Kontakte aufschieben, Gespräche unterlassen. Es ist ein neuer Filter über den Möglichkeiten, wie man uns beurteilen, einschätzen, wie wir auf andere Menschen wirken könnten, wenn wir tun, was wir tun, wie wir es tun – und wir merken sehr bewusst wie blind und hilflos wir dem Mechanismus dahinter gegenüber stehen.

Der Begleitermensch hatte über die Narzissmuskeule sinngemäß gesagt, einem autistischen Menschen narzisstische Persönlichkeitsstrukturen zu unterstellen, sei wie einer blinden Person vorzuwerfen, dass sie nicht sehen kann.
Das kommt meinem Gefühl sehr nah, bis auf den Vorwurfcharakter. Für mich fühlt es sich mehr wie eine Warnung an alle Menschen in unserem Leben und Behandlungen an, sich besser bloß nicht mit uns zu umgeben, uns zu beachten, uns ernst zu nehmen, in dem was wir über uns erzählen und als für und an uns und unserem Sein als wichtig zu beachten einfordern.

Diese Kliniktherapeutin hatte “ja keine Ahnung vom Bloggen” und  „Internet”, weiß ja nicht, was für Kommentare und Emails wir so zu lesen bekommen, hatte ja keine Zeit (oder richtiger: hatte gar nicht erst danach gefragt) wie unser Leben und Funktionieren denn so ist. Was wir so machen und warum wir das tun. Sie hat ja keine Ahnung wie vielen Menschen und Innens sie ein Wort in die Hand gibt, uns und unser Tun weiter zu entwerten und umzudeuten, als sie es sowieso schon tun, um uns zu verletzen, zu demütigen, zu entmutigen und in den eigenen Überzeugungen zu verunsichern.

Wir schaffen es nicht mehr, Menschen immer wieder neu zu erklären, dass wir bloggen, weil wir Sprech- und Kommunikationsprobleme haben. Dass wir bloggen, um Menschen vermitteln zu können, was wir ihnen gegenüber nicht aussprechen können, weil wir verstanden haben, dass Monologe zu führen eine “böse Mädchen-Sache” und also falsch ist. Dass wir bloggen, weil wir das Gefühl haben, im Netz weniger stark sozial aufgeladenen Raum einzunehmen und Spuren in einer Stofflichkeit zu hinterlassen, der sich andere Menschen nur widmen können – jedoch nie müssen. Wir schaffen es nicht mehr, Menschen zu erklären, dass wir uns hier nicht präsentieren, sondern einfach präsent sind und bleiben möchten. Und wir haben keine Kraft dafür, Menschen zu beweisen, dass wir Dinge nicht in Abhängigkeit der in anderen Menschen passierenden Prozesse tun, weil wir diese entweder gar nicht erst merken oder überfordert sind, wenn wir sie merken.

Wir waren mal viel kräftiger an dieser Stelle. Haben uns ausgiebig gerechtfertigt, haben uns entschuldigt, haben erklärt und zu vermitteln versucht. Jedes Mal, wenn jemand schrieb, er würde uns gerne geben, was wir als fehlend oder nötig beschrieben haben, haben wir uns nach vorn entschuldigt und nach innen geschämt. Es war ein Fortschritt für uns anzuerkennen, dass wir nie zu 100% beeinflussen können, welche Impulse wie bei Menschen, die sich unseren Texten widmen, ankommen und welche Reaktionen auslösen. Also gab es dann die Amazonwunschliste, das Flattr- und das Speakerinnenprofil, den ‘gefällt mir- Button’ unter den Texten. Und das Gefühl sich für die Reaktionen anderer Menschen weder rechtfertigen noch, sich sozial daran zu beteiligen zu müssen, außer natürlich seine Empfindungen mit.zu.teilen, wenn sie empfunden wurden.
Jetzt ist die Unsicherheit wieder da. Wir beuten andere Menschen aus. Wollen nur Anerkennung unserer Großartigkeit. Tun nichts ohne das Ziel mindestens zu hören, dass wir toll sind. Wir entwerten andere Menschen, damit niemand merkt, wie niedrig unser Selbstwertgefühl ist. Was wir sagen, ist nicht vertrauenswürdig.

In der Logik geht es weiter bis an die Stelle, an der wir im Juni 2012 standen.
Den Moment in dem “Hannah (C. Rosenblatt)” als eigenes Innen entstand, weil wir mit niemandem mehr okay sprechen und noch weniger okay etwas sagen konnten. Keine Kontakte mehr (aus)halten konnten und in einem seelischen Flächenbrand ertranken, der sich aus genau solchen Verunsicherungen, Unklarheiten, strukturellen Ungesichertheiten und damals noch weniger als heute bewussten Unfähigkeiten entzündet hatte.
Unsere Therapeutin sagte, sie hielte unseren Bruch damals für eine Reaktion auf die Verwicklungen mit der Begleitungstherapeutin und dem verkackten Übergang zu der Therapeutin, die uns zu behandeln abgelehnt hatte, weil wir bürokratisch abhängig von der Familie* waren (und von Rechtswegen eigentlich auch heute noch sind). Sie sagte, wir wären so verletzt von der Begleitertherapeutin gewesen, dass wir die Beziehung und ihren Wert außer acht gelassen hätten.
Auch so ein Nichtbegreifen unserer Therapeutin, das uns weh tut, weil da etwas nicht miterfasst wird, was die Dramatik für uns damals hat entstehen lassen.

Aber natürlich ist es einfacher von einer zutiefst in ihrem als großartig und unfehlbar definierten Selbstbild gekränkten Patient_in auszugehen, als von einer Person, die innerhalb von 3 Wochen alles verliert, worauf sie sich stützen konnte, daraufhin völlig dekompensiert und dann von ihrer Ex-Begleitungstherapeutin hört: “Ich sehe, dass sie überfordert sind und das tut mir leid”, aber genau keinerlei stützende, tröstende, perspektiveneröffende, verbindende Emotion oder allgemeiner: Reaktion an sich feststellt.
Die Begleitungstherapeutin denkt wahrscheinlich bis heute, dass wir einfach ein selbstgerechtes und unversöhnliches Wesen haben – nicht zuletzt, weil wir zu feige sind und viel zu viel Angst vor dem inneren Emotionsbumerang haben, ihr zu sagen, dass wir ihre Entschuldigung durchaus gehört und angenommen haben (sie also als Person und die Zeit mit ihr völlig außer Frage als wertvoll, wichtig und gut abgespeichert ist) – uns aber dennoch mehr geholfen gewesen wäre, das nach innen auch als etabliert zu halten, hätte sie uns auf irgendeine Art die Hand gehalten, okayer durch die Suche nach einer neuen und anderen Therapeutin als ihr zu kommen.
Ganz profan, ganz simpel und bindungsbasierend. Wir hätten uns dafür weder sehen noch hören müssen – ein einfaches: “Wenn sie Angst haben, überfordert werden, unsicher sind, können Sie sich bei mir melden, ich bin da.”, hätte gereicht um uns stabil zu halten. Das blieb aber aus. Und bis heute haben wir ihr nicht gesagt, dass wir überfordert damit waren zu merken, dass wir sie unheimlich dringend gebraucht haben und keine Möglichkeit gefunden haben, ihr das zu sagen, ohne den Drang zu fühlen, sich suizidieren zu müssen.

Wir haben dieses eine letzte Gespräch über die letzten 4 Jahre immer wieder mal, vor allem, wenn wir darüber nachgedacht haben, noch einmal in die Klinik, in der sie arbeitet, zu gehen, Wort für Wort auseinanderseziert – sie hat es nicht gesagt. Sie hat sich entschuldigt und uns mit einer implizierten Schulddynamik, die wir nicht einmal verstanden haben, in der Hand alleine gelassen. Zu einem Zeitpunkt, an dem wir zum ersten Mal in unseren ganzen Leben als ausgestiegenes Ex-Opfer nicht betreut wurden, Körpergeburtstagszeit war, ein Umzug in eine Wohnung ohne Strom, Heizung und Telefonanschluss passiert war und der einzige sonstige Kontakt in unserem Leben ein sozialer und wichtiger, aber auch gewaltvoller war.
Wie man sieht: extrem viel Anlass dazu, sich von einer Therapeutin, die vergessen hat uns standesgemäß zu huldigen und zu flauschen, gekränkt zu sein. [Sarkasmus]

Bei uns rastete die innere Wahrheit ein, dass wir Menschen mit uns verschonen sollten. Dass wir Menschen erst dann wieder berühren dürfen, wenn wir anders, besser, richtiger, vielleicht auch irgendwie: weniger multipel sind.
Wir formulierten das als Therapieziel und als Agenda: Rauskriegen, wie wir sein müssen und unser eigenes Sein modulieren müssen, damit es okay ist und das dann machen.

Und dann kam unsere Therapeutin und irgendwie sind wir mitten in der Auseinandersetzung der Anerkennung des Vieleseins, der Gewalterfahrungen, inneren Wahrheiten und äußeren Entsprechungen gelandet.
Was sich nach immerhin schon bald 3 Jahren und einigen Monaten, als wichtig und hilfreich herausgestellt hat, aber dann doch herzlich wenig damit zu tun hatte, wie okay wir und unser Wirken in unserer sozialen Umgebung sind. Wir hatten ja keine – beziehungsweise haben wir eine, die sich aus für uns emotional unnachvollziehbaren und deshalb intellektuell erklärten Gründen an uns geheftet hat.
Um keinen der Menschen in unserem Leben haben wir uns aktiv bemüht oder gezielt Dinge getan von denen wir dachten: “Wenn ich xy tue, dann mag mich die Person bestimmt und will ganz viel mit mir zu tun haben. Das ist voll okay sowas zu machen, weil ich bin es ja wert/so macht man das eben/meine Gefährlichkeit/Bösartigkeit/Monstrosität ist ja weggezaubert/ich bin ja keine Zumutung/ich bin so großartig, wer würde denn nichts mit mir zu tun haben wollen?!.”

Als wir zuletzt dachten, es wäre wichtig etwas zu tun, damit jemand uns weiter mag und deshalb unsere Not glaubt und uns deshalb tröstet und bei uns bleibt bis es okay ist, haben wir der Begleitungstherapeutin geschrieben, dass die andere Therapeutin uns nicht behandeln will und wir sie sprechen möchten.
Das war ein Versuch, er ist gründlich schief gegangen und wir haben es danach nicht wieder versucht.
Für uns ist “ich tue xy, damit mich jemand mag (oder irgendeine andere bestimmte Einstellung zu uns hat)” eine soziale “heiße Herdplatte – Erfahrung”.

Wir merken die Emotionen und Intensionen anderer Menschen nicht, wenn sie sie uns nicht sagen. Aber wir haben damals versucht etwas zu tun, was genau diese Fähigkeit zu haben erfordert hätte, ohne zu zu merken, dass sie uns fehlt, weil wir sie nie hatten.

Und heute merken wir es.
Denken einerseits: Hey super – weniger Alltagsdissoziation, mehr Verstehen des eigenen Funktionierens und Re_Agierens und begreifen aber andererseits, wie umfassend beschissen komplex diffizil schwierig die Ausgangssituation ist, aus der heraus wir mit dem Lauf der Dinge und den Menschen um uns herum in Kontakt und Miteinander gehen wollen.

Heute merken wir, dass wir einen Großteil unseres Alltags damit verbringen andere Menschen wie Naturkatastrophen und andere unbelebte Unvorhersehbarkeiten an uns vorbei zu jonglieren und gleichzeitig schwere Gefühle wie Einsamkeit, Trostlosigkeit, Haltlosigkeit zu empfinden, die überwiegend, jedoch nicht immer und zuverlässig durch vorhersehbare Naturgesetze und Laufesdinge zu lösen sind.

Diese Narzissmuskiste erschwert das.
Ich merke, dass wir genau jetzt einen Menschen brauchen, der uns tröstet und in der Unverändertheit der Dinge versichert. Und gleichzeitig merke ich, den Erinnerungsschmerz jeder sozialen “heiße Herdplatte – Erfahrung”, neben der Gefahr Kontakte zu zerstören oder als in Zerstörung inbegriffen zu empfinden, weil ich zu dumm bin weil ich mich nicht auf etwas in mir verlassen kann, das mich warnt, wenn ich die Zerstörung selbst verursache.
Etwa, weil ich und die anderen anders auf andere Menschen wirken, als wir sind. Weil wir tun, was wir tun, wie wir es tun.

Ich merke wie mir ein Etwas in den Nacken atemstockt.
Weiß, dass es glaubt, alles was es tut sei falsch, weil es für alles, was es je getan hat (und je getan haben soll) verletzt wurde.
Weiß, ich sollte ihm jetzt sagen, dass wir 2016 haben und uns heute niemand mehr für das was wir tun, verletzt. Ich weiß, ich sollte ihm sagen, dass es vorbei ist.

Aber das ist es nicht.

Das Drama der hochbegabten Nichtskönner

Wenn man sich ein bisschen mit Intelligenz als Mittel zum Zweck einer Funktion auseinandersetzt, kommt man schnell dahin, uns zu glauben, dass wir uns nicht für schlau halten, weil wir mal eine Testergebniskurve gesprengt haben. Für uns war der Test leicht und mit vergleichbar wenig Anstrengung zu lösen, weil er mit unserer Scan- Rate- und Kompensiertechnik gut zusammenpasste. Wir gehören zu den Menschen, die Muster schnell finden und genauso schnell konvertieren können. Das ist simpelstes copy-paste-convert und weit entfernt von findiger Schläue oder scharfer Klugheit.

Wenn man es aber gewohnt ist, in allem und vor allem allen um sich herum ganz aktiv die Muster finden zu müssen, um sie überhaupt zu verstehen, um überhaupt irgendetwas in der Welt erfassen, begreifen und selbst auch damit  in Kontakt und Interaktion gehen zu können, dann hat man sich aus Versehen ein Werkzeug herangezüchtet, das dank diverser Auffassungen von Geist und Kognition, zu einer Gabe oder einem special Talent erklärt wird, das als Ratio schier alle emotionalen Prozesse auszugleichen in der Lage sein sollte.
Daraus entstehen dann Annahmen wie die, dass nur dumme Leute auch Dummes tun – und allgemein diese seltsame Idee, “Dummheit” wäre eine Eigenschaft und keine Wertung – neben der Idee, die Fehler von schlauen Leuten könnten immer eher peinlich als dumm sein.

In unserer Bildungshistorie hatte die nach dem IQ-Test bestätigte Hochbegabung keinerlei Niederschlag gefunden. Zum Einen vielleicht, weil wir keine Matheintelligenz oder die offensichtliche Enzyklopädieintelligenz haben, die sich in deutschen Bildungssystemen besser entfalten und ausentwickeln kann, als die Muster/Bild/Wortintelligenz, die wir haben oder zum Anderen, weil wir einfach nie das blasse nette Ober-Mittelschichtenkind mit hoher Stirn, das die Träume anderer erfüllen soll, waren oder zum Letzten, weil wir mit anderen Menschen schon immer so zuverlässig abkacken, wie man in der Kirche “Amen” sagt.

Das Drama ist: dieses Abkacken merkt man uns nicht an. Gerade im Hinblick auf die Intelligenz und all das in diesen Begriff hineinprojizierte Potenzial, wollen das viele Menschen auch gar nicht sehen. Viele entscheiden sich eher dafür uns in eine “das verkannte Genie/das Genie vs. die Deppen/zu schlau für den Rest der Welt”-Schublade zu legen, als in eine “kann nicht so, wie sie können könnte” – Schublade, denn die eine lässt das Grundproblem bei uns und die andere bei den Dingen um uns herum, die man ändern könnte/sollte/müsste und von der man selbst ein Teil ist.

Gekoppelt an die anderen Aspekte der Behinderungen, die wir so im Leben haben und die Problematik der Gewaltfolgen vor dem Hintergrund von vielen Therapie und Behandlungserfahrungen, ergibt sich eine Anspruchshaltung an uns, vor der wir nur versagen können.  Und das auch tun. Durchgehend. Schon unser ganzes Leben lang, egal welches Alltagssystem in welchen äußeren Kontexten agiert.

Und ja, wir erleben es als Versagen, weil wir selbst den Punkt nicht finden, an dem wir uns aus dem Kämpfen um das Entsprechenkönnen herausnehmen.
Wir haben aufgehört uns aktiv um Freundschaften zu bemühen und sind dazu übergegangen Kontakte zu Menschen zu meiden, die wir brauchen könnten oder die uns brauchen könnten, weil wir den “Brauch-Faktor” als eine starke Kraft bei uns selbst erleben. Je mehr wir jemanden brauchen (oder etwas von jemandem brauchen) desto weniger darf im Kontakt schief gehen und desto mehr Schaden entsteht in uns und an unserer Lebensqualität, wenn eben doch etwas schief geht (wie es bei uns auf kurz oder lang immer schief geht).

Je mehr wir jemanden (oder etwas von jemandem) brauchen, desto wichtiger ist ein guter Kontakt zu dieser Person und “guter Kontakt” ist Arbeit für uns. Ganz bewusst und klar. Wir kontrollieren unsere Kommunikation, bereiten uns auf Gespräche jeder Art in all ihren Optionen vor – spontane und unvorhergesehene Themen-, Orts- , Befindlichkeitswechsel, erfordern ein Maximum der benannten Konvertierungsfähigkeiten und gehen meist schlicht über unser gut erbringbares Level.
Und daneben: die Stressregulierung. Je mehr Stress desto mehr Dissoziation.
Verliert ein Innen den Faden, verliert es die Kontrolle, verpasst die Momente, in denen man etwas sagen soll/kann/darf, verliert den Überblick und die Abwägungsbereiche um welche Emotionen, Themenbereiche oder eventuellen Intensionen es sich beim Gegenüber handelt, was in einem sach- oder themenbezogenen Kontakt einfach stresst – in einem nicht sachbezogenen Kontakt zusätzlich aber auch negativ triggert und Wechsel provoziert. Von Mischkontakten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen.

Jedes Gespräch mit egal welchem Menschen, hält für uns genau solche Spitzen bereit, in denen wir zwischen Kampf um oder Sicherung von einen Kontakt zu dem Menschen, mit dem wir es zu tun haben, entscheiden müssen.
Wenn wir kämpfen gelten wir als anspruchsvoll, nervig, pedantisch, arrogant – wenn wir sichern als schüchtern, ängstlich, vorsichtig, introvertiert – letztlich werden dabei weder wir selbst in unserem Funktionieren, noch unser Problem gesehen. Man ist nicht mit uns als Individuum konfrontiert, sondern mit einem eine Behinderung kompensierendem Verhalten mit einem Anfang, einem Ende und einer von uns niemals intuitiv erfassbaren Wirkung auf andere Menschen.

Ich schrieb von “hochbegabten Nichtskönnern”, klar, weil wir uns gerade auseinanderreflektieren, was wir in der Klinik falsch gemacht haben und uns keine neuen Fehler auffallen, die wir gemacht haben könnten, was wiederum Frust auslöst, weil wir uns an der Stelle selbst nur ableistisch begegnen und uns gegenseitig vorwerfen, wir hätten es einfach nur schlauer angehen müssen – hätten uns einfach nur mehr anstrengen müssen einen Zugang zu unseren Behandler_innen zu finden – hätten unsere Abwägungen (selbst)kritischer treffen müssen – hätten einfach in eine andere Sprachebene konvertieren müssen. Wir hätten einfach nur alles anders machen müssen, weil wir das Wissen darum hatten, auf welchen anderen Optionen wir uns hätten konzentrieren können.

Mir fällt die Falle auf, in die wir uns selbst hinbegeben: “Du hast Alternativen gewusst – und weil du das wusstest, hattest du eine Wahl” ergo: “Hättest du es nicht gewusst, wärs ja was anderes…”
Wir tun uns den gleichen Scheiß mit dem uns andere Menschen überfordern selbst an, weil wir keine Antwort haben. Keine Klärung, keine Lösung. Kein befriedigendes Verstehen in all den Optionen warum wieso weshalb das passiert ist. In den letzten Tagen haben wir so viele Theorien und Optionen ins Innen gestellt, die alle Hand und Fuß haben und sich mit dem decken, was wir die ganze Zeit über wahrgenommen haben.

Und trotzdem ist da auch das Wissen, dass wir  nicht anders handeln konnten, als wir gehandelt haben.
Aber natürlich sind am Ende wir die, die Selbst- wie Fremdansprüchen nicht gerecht wurde, Erwartungen enttäuscht hat, Chancen nicht genutzt hat – weil sie es verkackt hat zu schaffen, dass man ihr glaubt, dass sie etwas nicht kann, obwohl sie weiß, was sie warum will.
Weil sie mal wieder irgendeine geheime special Zwischenmenschlichkeitsperformance verkackt hat und es einfach nicht lernt.
Obwohl doch alles so klar da vor ihr liegt.

Da ist diese Idee davon, dass Menschen, die alles, was sie verstehen und erklären können, auch  leisten können, gegen die wir nicht ankommen. Nicht einmal vor uns selbst.

Obwohl wir so oft und seit Jahren auf ganz viele Arten sagen, dass das von so vielen Menschen als “langweilig”, “öde” und allgemein überhaupt gar nicht erstrebenswerte “normal/regelhaft/üblich” für uns etwas darstellt, dass wir nicht erreichen wollen, weil wir es für besonders spannend, toll oder wichtig halten, sondern, weil es uns die Idee von einem Funktionieren, das so viele Menschen miteinander gemeinsam haben fasziniert.
Wir wären so gern einmal mitgemeint, wenn jemand sagt “Ph, XY kann doch jeder (ohne sich groß anzustrengen/irgendetwas eingeübt zu haben)”, würden uns so gern auf eine so sichere Basis in uns selbst verlassen können, dass wir vergessen, wie viel Arbeit und Anstrengung im Erreichen und Halten dieser Basis steckt. Wir waren so gern mal gelangweilt und angeödet von “normal”, “durchschnittlich”, “üblich” und weniger ausgelaugt von unserem Kämpfen um das Erreichen dieses Status.

Wann immer Menschen unser Funktionieren bemerken bzw. durch von uns erschaffene Dinge als bewiesen annehmen und es als Hochbegabung oder Intelligenz oder special Talent oder Gabe einstufen, überfordern sie uns.
Sie nehmen an, dass wir schon alles wissen und keine Unterstützung mehr brauchen. Sie nehmen an, dass uns Leistung leicht fällt, die ihnen schwer fällt. Und sie glauben nicht, dass wir ernsthaft hilfebedürftig sind.
Das ist eine Parallele zu dem, was die Behandler_innen in der Klinik nicht verstanden haben – natürlich wussten wir was sie dort leisten können, natürlich wussten wir, wie das Behandlungskonzept ist, natürlich wussten wir, dass wir Anpassungs- und Kompensationsleistungen erbringen müssen, natürlich wussten wir, dass wir nicht dort sind, um Urlaub zu machen – unsere Unfähigkeiten wurden aber durch dieses Wissen nicht aufgewogen. Unsere Hilfebedarfe sind nicht durch Behandlungserfahrungen zu decken. Und keine Behinderung der Welt ist durch bloße Willenskraft und geistige Kapazität auszugleichen.

An manchen Stellen merken wir, dass für viele Menschen in unserer Umgebung nicht klar ist, wie dramatisch es für uns ist, das Brauchen hinter unserem Wollen und an, als passende Gegenüber eingeschätzte gerichtete Fordern nicht gesehen, erfasst und begriffen zu wissen.

Es triggert unangenehmes Erinnern an all die Alltags- und Gewaltsituationen an, in denen man so dringend etwas und jemanden brauchte und genau niemand verstand, niemand kam, niemand ES und DAS DA hat enden lassen, sondern uns einfach immer wieder überfordert, ausgeliefert, ausgelacht, pathologisiert und uns selbst überlassen hat.
Nicht selten mit dem Spruch an uns: “(Was willst du denn (von mir)? -) Du bist ein schlaues/besonderes Mädchen/Kind – du kriegst das schon (allein) hin.”.

Aber nein. Wir haben genau nichts weiter hingekriegt als zu überleben. Wie wir immer überlebt haben und immer überleben werden.
Um ein aktuelles Meme zu bedienen:

Was ist das für 1 life, wenn der einzige Trost über Episoden wie diese ist, dass man es schon überleben wird, wie man es immer überlebt hat?

“Wir sind Viele” ~ Teil 5 ~

Blumenbeet Sie sprang von einem Bein aufs andere, während ich die Flyer der Initiative Phönix verteilte: “Schreibst du auch auf, dass die Menschen so bedürftig sind? Schreibst du das auch auf, ja?”.
Bis mir klar wurde, welche Menschen sie meinte und was für sie so wichtig daran sein könnte, dass ich auch darüber schreibe, dauerte es nur noch einen Workshop und ich konnte auch das fedrige Gefühl unter meiner Haut endlich einsortieren.

Die Rechtsanwältin Barbara Wüsten bot einen Workshop zum Opferentschädigungsgesetz (kurz: OEG) an.
Es ist schwierig über ein Gesetz einen Workshop zu machen, zumal die Hauptprobleme in Sachen Opferentschädigung gar nicht an dem Gesetz selbst liegen, sondern mitten im System der Versorgungsämter und der kranken Kassen.
Es wurde mit jeder Wortmeldung der TeilnehmerInnen klarer, wie oft und an welchen Stellen immer wieder die Behördenwillkür, Falschinterpretationen und auch etwas, dass gut als Ausläufer der “
rape culture” in der wir leben zu bezeichnen ist: “Wenn das Opfer was will, dann soll es sich halt drum bemühen”, wirken.

“Jemand muss die doch mal trösten, oder?”, die kleine Neugierige hopste immer noch um mich herum und ließ ihre Satellitenschüsselohren im Raum herumkreiseln, als wir uns aus der Kaffeeschlange herauslösten und direkt an den Tisch mit den Kannen gingen. “Ich find, es ist nicht gut, wenn die HelferInnen so traurig sind und so… weißt, als wenns die gaaaar nix machen können.”. Ich nickte und lief nach draußen in den Sonnenschein, stolz auf mich nur minimal gekleckert zu haben und froh über die frische Luft.

“Glaubste eigentlich, die haben hier ne grobe Peilung, dass die genauso von der Gewalt ihrer KlientInnen betroffen sind, wie die KlientInnen selber? Ich mein jetzt so wegen der strukturellen Gewalt und so…”, er streckte die Beine aus und wackelte mit den Zehen, “Ich glaub, über kurz oder lang kann man davon irgendwie auch ne Art PTBS kriegen. Zumindest haste dann halt irgendwann so richtig geil ne Vermeidungsperformance drauf und nennst das “Abgrenzung” und dann haste da so Perlen wie Frau Doktor, die das nicht trennen- also so “Ohnmacht vor Strukturen” und “Ohnmacht vor Leiden der KlientInnen” und badabäng! wieder jemand weniger, der eigentlich voll helfen kann.”.

Sie seufzte und beobachtete die kleinen Käfer, die vor unseren Füßen über den Kies kletterten.
Sie ist uns passiert, als wir struktureller Gewalt unterliegen mussten und was das für uns in Sachen OEG bedeutet, fiel mir in dem Moment auf.

Ihr Sein ist angepasst daran ein “Nicht viel mehr als eine Nummer” zu sein. Ein Sein, dessen Grundbedürfnisse von positiven Anträgen legitimiert werden- nicht von gütigen Menschen oder eigener Hände Wirken. Sie hat noch nie auch nur irgendeinen Widerspruch an kranke Kassen oder Jobcenter verfasst, wenn ihr (uns) Leistungen gestrichen, gekürzt, zu knapp zugeteilt oder gar von Vornherein verwehrt wurden. In all der Ohnmacht und dem Raub der Menschenwürde, war am Wichtigsten vor sich selbst ein Sein, ein Jemandsein mit Namen zu bewahren- nicht dies zu erkämpfen oder zu bestätigen oder vom Außen als zu wahren einzufordern.
Unsere Idee war, einen Antrag auf OEG zu stellen und sie das machen zu lassen. Ihr ist die Gewalt früher nicht passiert und sie empfindet das auch nicht so.  Sie wird uns nicht abschmieren, weil sie von Erinnerungen überschwemmt wird oder Ähnliches.
Aber sie wird auch nicht um unser Recht auf eine Entschädigung vom Staat kämpfen können, geschweige denn unsere Anwältin antreiben, das zu tun.

Wir werden aber genau das tun müssen. Kämpfen. Für uns eintreten. Einen Wert, den wir sogar vor uns selbst nicht durch unsere schlichte Existenz definieren, verteidigen und darauf aufbauend Forderungen stellen. WIR werden das tun müssen.
Diese Sache mit dem OEG…

“Wisst ihr, was uns fehlt?”, ich schaute meine MitautorInnen an, “internalisiertes Empörungstum und diese komische Blindheit für rape culture.”.
– “Und etwa 20-30-40 Jahre Lebenserfahrung, mein Herz. Viele Menschen hier sind in ganz anderen Zeiten und Verhältnissen aufgewachsen, als du und ich und wir alle.”
– “Und hier Dings, nä- die kenn das bestimmt auch so mit hier “kriegen, was man will und schaffen, wenn man sich anstrengt” und so weil Dings nä- die sind nicht arm und so. Also jedenfalls nich wie wir. Wenn wir EMPÖRUNG brüllen kommt weniger, als bei so Leuten rum.”.

Dumpfe, brütende Stille.
“Und nu?”.
Ich spürte, wie sie ihre kleinen eisigen Hände auf meine Wangen legte und ihre Forderung in mein Denken hineinschüttete: “Schreibs auf!”
Mir fallen zig “Ja, abers” ein. Ich will einen verkaufbaren Artikel machen. Ich will die Artikel an das Herz hinter der Tagung, Brigitte Bosse schicken. Ich will Artikel schreiben, die einfacher lesbar sind. Ich will … ja und aber… die haben doch schon eine Stimme!
“Die” sollen doch “den” Betroffenen helfen. Ich will das nicht unterstützen, dieses Verantwortungsgeschiebe auf die Opfer, die “sich einfach nicht genug bemühen”; die “sich nicht fallen lassen dürfen, weil wo kämen wir denn da hin?”; die Opfer die Opfer die Opfer die OPFER die ja aber nicht “Opfer” sind, wenn die Gewalt vorbei ist, aber die wir der Einfachheit Opfer nennen, damit jede/r das Gekreisel überhaupt versteht- die Opfer, denen man doch HELFEN muss- die man doch retten muss, weil OPFER!; die Opfer, die sich nicht wehren konnten, als sie ein Kind waren- die sich aber heute wehren MÜSSEN, weil WEHR DICH DOCH (aber bitte nicht gegen meine Perpetuierung von Gewaltmythen- das geht nicht- da muss ich mich abgrenzen, sonst muss ich ja die ganze Zeit weinen, weil OHNMACHT)

Das will ich nicht. Ich finde es zum Kotzen, wie viele HelferInnen sich als RetterInnen präsentieren und auch selbst so definieren- ohne von irgendjemandem mal zu hören, dass genau das auch eine Unterdrückung ist. Ein Kleinhalten und Absprechen von Fähigkeiten und Ressourcen, von Kraft und Lebenswillen.
Ich finde es zum Kotzen, wie viele HelferInnen Gewaltmythen unhinterfragt lassen und Normierungszwänge ausüben, auf ihrer Mission der Opfererrettung und “Traumaheilung”.
Ich finde es schlimm, dass die Tagung und das Klima in ihr so sehr in den 90 er Jahren hing und nicht im Jahre 2014, wo man nicht mehr “multiple Persönlichkeit” sagt und diese verklärende Beschreibung der DIS mit “da war Gewalt und die anderen Innenpersonen, sind dann gekommen” inzwischen sogar wissenschaftlich und mit, ich sag mal, “naturgegebenen” psychophysiologischen Strukturen besser erklärt werden können. Ich finde das richtig schlimm, denn mit einem kurzen Blick in die späten 80 er Jahre von Amerika und dem, was genau diese “Ver”- Erklärung dort gemacht hat, nämlich eine Welle der “moral panic” (“empört euch- da gibts Satanisten und die sind überall und wollen unsere Gesellschaft aufessen!”), kann ich nur hoffen, dass es hier bitte konstruktiver zugehen kann.

Wo hakt es? Ist es das Tagungsprogramm gewesen? Die RednerInnen?
Wir hätten die Tagung nicht besucht, wenn dem so gewesen wäre oder wir den Eindruck gehabt hätten, dass es zwangsläufig so abdriftet.

„Es ist vielleicht die Not, mein Herz. Die Not vor der Gewalt zu stehen und keine Erfahrungen zu haben, wie zu reagieren sein kann. Es hat nicht die gleiche Norm, wie für uns. Da ist Angst, da ist Unsicherheit, da ist Trauer um eine Welt und… ich glaube, zumindest spüre ich das bei ein paar Menschen hier, eigene Erfahrungen, die weggedrückt gehalten werden müssen.”. Während der Schwan sich wieder zurückzog, um sich dem schrillen Schreien auf seinem Rücken zu widmen, dachte ich darüber nach, wie ich das nun in einen Artikel hinein bekomme.

Wie macht man anderen Menschen klar, dass sie ihre Normalität um Grauenhaftes erweitern müssen, zeitgleich aber nicht darauf allein hocken bleiben dürfen, weil die Konstruktivität ihrer Arbeit darunter leiden könnte? Wie kann ich über diese Dinge schreiben, ohne Gefühle und Selbstbilder zu verletzen?
Wie kann eine Annäherung an Gewalt als schreckliche Alltäglichkeit aussehen, ohne sie in pseudoliberale Formulierungen entgleiten zu lassen?
Wie kann es aussehen, wenn ich Menschen erklären möchte, dass es nicht die Gewalt selbst ist unter der ich leide; dass es nicht das multipel/ Viele sein ist, unter dem ich leide, sondern die Tatsache, dass Gewalt die Grundlage meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung ist, die heute dysfunktional erscheint- sowohl vor dem Anspruch einer Gesellschaft in der nur eine Dimension- eine Perspektive allein geduldet wird, als auch vor einem Leben, das keine Ausbeutung und Gewalt mehr in der Form wie früher beinhaltet?

Ich verspeiste ein Stück Streuselkuchen und hoffte im Workshop mit Claudia Fischer “sadistische Gewalt in der Berichterstattung” die eine oder andere Antwort darauf zu erhalten.

tot zu sein, macht mir nichts aus

P1010021Ich dachte, wenn ich einmal die Kontrolle verlieren würde, dann wäre es anders.
Ich erwartete keinen Stillstand der Erde oder eine epische Musik, die im Hintergrund heraufgrollt, doch ich erwartete mehr als _Nichts_

Noch mehr Abwesenheit von Fähigsein
Noch mehr Unverständnis
Noch mehr Angst

Ich dachte immer, wenn ich versage, dann sterbe ich.
Fertig.
Tot zu sein, macht mir nichts aus. Einmal an diesem Ende angekommen, gibt es nichts mehr zu machen. Auch nicht auszumachen. Aber das Sterben…
Ich hatte immer Angst davor, weil ich weiß, dass Sterben in den meisten Fällen alles andere als friedlich und still… sauber und ordentlich ist.

Ich hatte nicht erwartet, dass ich einmal die feste Überzeugung spüren würde, dass mich jemand wegschickt, damit er mich nicht wegprügeln muss. Schon gar nicht hatte ich erwartet, dass es die wutmutige Frontgängerin ist, die das von unserer Therapeutin erwartet.
Nie hatte ich erwartet solche Schreie aus diesem schwarzen Loch in mir zu hören und nicht zu wissen, was ich machen soll.

Sonst bin ich diejenige, die diese Schreie von anderen Menschen hört.
Sie sitzen mir gegenüber oder neben mir. Schreien ohne ein Wort und werden trotzdem von mir gehört. Es ist nicht schwer, für mich, das weinende Innen von anderen Menschen auf meinen Schoß zu heben, die Angstflamme herunter zu drehen und einfach da zu sein. Atmen zu lassen. Zu tragen, bis halten reicht, bis zuschauen reicht, bis ich vergessen bin.

Ich saß in diesem Zimmer und weinte darüber, dass ich weinte.
Es muss einen Wechsel oder einen Flashback gegeben haben. Ich spürte Verletzung und weinte, weil es weh tat, als sei sie gerade eben gerissen worden. Weinte, weil ich weiß, dass Therapie nicht für unkontrolliertes Erinnern da ist und ich ebenjenes Erinnern nicht kontrollieren konnte. Weinte, weil ich es nicht sagen konnte. Weinte, weil sich die Wellen der Therapeutin an mir brachen, ohne, dass das Rauschen der Steilküste hörbar war.

Ich habe noch nicht wieder aufgehört zu weinen. Habe meine Kontrolle noch immer nicht zurück.
Weiß noch immer nicht, was ich tun soll.
Weiß nur, dass es meine Verantwortung ist, damit umzugehen.

Sauber und ordentlich vielleicht.
Nicht so aufgeweicht matschverdreckt, wie ich heute morgen nach Hause kam. Weinend, weil ich die paar mühsam umklammerten Fäden nicht auch noch halten konnte. Weil ich so ungenügend- so unfähig bin, saubere und ordentliche Kontrolle aufrecht zu erhalten, wenn durch alle Zeiten stinkender Dreck aus mir herausquillt.

Wenn das Unglück geschehen ist, die Erde gebebt hat, der Vulkan leergespien… der Krieg zur Krise degradiert ist, werden erst einmal die Verantwortlichkeiten verteilt. Das ist kalt und beruhigend. Sauber und ordentlich.
Es ist kontrollierbarer als gebrochene Knochen, aufgerissene Bäuche und Seelen, die wie schlierig brennendes Plastik im Wind flattern.

Ich fühle mich sterbend. Noch immer. Und immer wieder neu.
Ich gehe in die Therapie und hoffe darauf, dass sich um meine Knochen, Bäuche und Seelen gekümmert wird. Dass ich Hilfe zur Hilfe bekomme.
Doch letztlich ist es nur die immer schwerer aufgewogene Verantwortung, derer ich gemahnt werde, wie ich als Jugendliche schon immer wieder gemahnt wurde, nichts zu vergessen, dieses und jenes gefälligst anständig anzustellen, mit diesem und jenem nicht schon wieder anzukommen, dieses und jenes gefälligst selbst zu machen, mit diesem und jenem gefälligst alleine klar zu kommen… weil es niemand anderes (mit) tut.

Wieso ich dachte, dass heute alles anders wäre, als früher, weiß ich nicht mehr.

Warum ich dachte, ich würde die Kontrolle vielleicht auch ein bisschen abgeben können, auch nicht.

Zahlenkrieg

Respekt und Miteinander.

Diese Begriffe umschwirren mein Denken zur Zeit wie ein Schwarm Schmetterlinge. Lange hingen sie von den Verästelungen meiner Nervenenden herab. In kleinen Puppen herumschwappend- weder Raupe von Schmetterling. Reine Ursuppe mitten im Prozess.537400_web_R_by_Dirk Röttgen_pixelio.de

Nun sind sie frei und stoßen an das Innere meiner Schädeldecke. Einen Ausgang suchend um ihre Flügel auszubreiten.
Wenn ich den Mund öffne, meine Zunge zu einer Startrampe werden lasse, dann ist es, als würden sie sich überlegen, ob sie nun abspringen oder sie nicht vielleicht doch lieber erst mal die Puppenreste rauswerfen. So ist es vielleicht kein Kommunizieren dieser Begriffe… doch in jedem Fall das, was sie umgab und schützte. Es ist ein Versuch.

Wir waren bei einem den Beruf des Mediziners ausübenden Menschen und es war furchtbar.
Nicht, weil es da um etwas Intimes ging oder um das Ausmaß unserer Zerstörung, sondern weil wir verloren hätten, egal ob und wie verletzt und zerstört wir sind.

Es ist nichts Besonderes. Ja. Für Frauen die einmal im Jahr dahin gehen oder sogar noch öfter, weil sie chemisch verhüten, ist es das auch nicht. Sie lassen sich mehr oder weniger regelmäßig ausmessen, etikettieren, anfassen, begucken und irgendwie ungreifbar auch bewerten.
Ob sie noch normal sind.
Ob DA auch noch alles in Ordnung ist.

Ich habe das mal recherchiert- im Schnitt geht ein biologisch weiblicher Mensch mit 16 Jahren das erste Mal dorthin.
Frage: Was verdammt noch mal hat so eine Fehleranfälligkeit, dass es mit 16 Jahren schon kaputt sein kann? Und wie oft liegt tatsächlich eine so krasse Veränderung vor, dass die mehr oder weniger schallende Dauererinnerung an alle biologisch weiblichen Teenager gerichtet, “dann langsam mal da hin zu gehen”, gerechtfertigt ist? Seid wann geht man zu einem Heiler, wenn alles heil ist und nicht wenn etwas zum Heilmachen da ist? Und was ist das für eine Auffassung, in der Normalität- Gesundheit- ein potenzielles Verfallsdatum hat? Und wieso gilt das Gleiche nicht für biologisch männliche Teenager?

Als ich da so im Wartezimmer saß und mir ab und an die kalten Tropfen von der Oberlippe wischte, dachte ich, dass ich eigentlich tatsächlich an einem Ort sitze, der einfach insgesamt irgendwie schief ist.
Neben mir saß ein weiblicher Mensch, deren Fötus sich im Bauch bewegte.
Ich mag sowas. Man sieht es nicht bei allen schwangeren Menschen so gut, deshalb nahm ich es als Geschenk auf. Eine Art Lichtblick.

Und dann hörte ich dem Menschenpaar zu. Zahlen, Werte, Normen, Ängste, Sorgen, Anspannung.
Genau wie ich.
Meine Anzahl weißer Blutkörperchen war zu hoch, so ziemlich alle Werte in meinem Blut  sind einfach  schief. In meinem Körper tobt eine Entzündung und das schon eine ganze Weile.
Da ist Krieg in mir. Biologisch und seelisch gleichzeitig.
Ich bin nur hier, weil dabei eventuell etwas zerstört wird, was mir den Bauch auch so füllen könnte. Irgendwann. Vielleicht.

Dr Mensch neben mir hatte auch Krieg.
Obwohl er doch gerade eigentlich mit etwas Besserem beschäftigt sein könnte. Den ganzen Tag diesem Wackeln zugucken zum Beispiel. Sich schön finden so kugelig. Dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht. Dass man sich gut fühlt.
Statt dessen saß er da und dachte über die Zahlen nach.

Wenn wir zu einem den Beruf des Mediziners ausübenden Menschen gehen, ist das Erste das uns abschmiert die Sprache.
Das ist ein klassisches Merkmal von Panik.
Unser Gehirn hat gelernt trotzdem einigermaßen zu funktionieren. So ist es dann nicht so, dass wir noch der Ratio oder der Fähigkeit zur Bewegung hinterher winken müssen. Doch es ist ein stumpfes, roboterartiges Existieren und ich kann mir nicht vorstellen, dass das aussen nicht auffällt und etwas ist, das ein gesondertes Fachwissen zur Erkennung erfordert.
Wir wissen das von uns und, weil wir mit dem Menschen, der Medizin studiert hat, zusammenarbeiten wollen- miteinander sein wollen und unsere Verantwortung am Gelingen dieser Zusammenarbeit übernehmen wollen- bereiten wir uns peinlich genau vor.
Es ist eine Bedienungsanleitung im Grunde.
Dort steht alles drauf. Von “Ich kann nicht sprechen, weil ich in einem Zustand von Panik bin” (- sie haben gerade eine Macht über mich) bis “Sagen sie mir jeden Handgriff den sie tun- zeigen sie mir jedes Instrument mit dem sie das tun” (- erschrecken sie mich nicht noch mehr und zeigen sie mir, dass sie wissen, dass sie eine Grenze berühren).
Es steht alles drauf. Mit rotem Stift. Alarmfarbe. Unterstrichen wie wichtig das ist.
Mit dicken Ausrufezeichen, dass wir Hilfe brauchen werden, um uns zu orientieren. Dass sowas ganz Basales, wie der Name- der Ort in dem wir leben, die Funktion des Menschen, für mein Gehirn Informationen sind, die es in dem Moment nicht abrufbar hat- selbst wenn die Untersuchung an sich schon längst vorbei ist.

Doch es ist Krieg.
Menschen mit Kriegen in sich gegen Menschen die nicht merken, vielleicht nicht beachten, dass sie Krieg mit Zahlen machen.
Der Mensch dort vor uns hat die Karten nicht lesen wollen. Nur den Kurzbrief aus der Ambulanz. Den Laborzettel mit den Zahlen drauf.

Viele grüne spitzzähnige Rosenblätter lagen verstreut, wie tot, da herum, stießen wie die leeren Worte an die Decke des Raumes oder verkrochen sich in den Ritzen der Fensterfüllungen.
Der Mensch hat keine unserer Grenzen wahrgenommen und geachtet.
Wir verwandelten uns in das Plastikmodell eines Intimbereichs eines weiblichen Menschen und haben seelisch überlebt.
Die Worte gehört, das Unverständnis wahrgenommen. Wir spürten die Grenzen des Menschen und dessen Zahlen, Normen und Werte sehr deutlich. Und hätten wir sprechen können, hätten wir uns entschuldigt. Und wenn wir uns im Verlauf vernünftiger hätten bewegen können, hätten wir den Menschen umarmt und gesagt, dass es nicht so schlimm ist, dass er aufhören kann zu schimpfen.

Heute, zwei Tage später, denke ich, dass wir uns damit trösten müssen, dass es daran lag, dass der Mensch die Karten nicht gelesen hat. “Alles wäre sicher anders gekommen, wenn die FRAU unsere Karten gelesen hätte. Alles wäre vielleicht anders gekommen, wenn wir der FRAU gesagt hätten, dass wir ein Opfer von Gewalt wurden und sowohl Schäden davon, als auch die Schäden die vom Innen zugefügt werden, zu sehen sein werden.”

Doch dann fällt mir auf, dass noch keine der Frauen mit denen ich über ihre Erfahrungen mit Menschen die den Beruf des Gynäkologen- oft genug auch des Mediziners einer anderen Fachrichtung- ausüben, jemals davon gesprochen hat, dass es eine Zusammenarbeit gab. Ein Miteinander.
“Ja, sie hat gemeint…”; “Und dann hat sie…gesagt” , “Er hat …gemacht”, “Er sagte, ich soll…”, “Sie warnte mich, dass….”
Dass alle Frauen dort in einer Welt landeten die von Zahlen und Werten… vielleicht dem Status des unantastbaren Heilers oder auch Retters dominiert wird. Nicht so oft von dem Menschen, die sich zum Instrument dessen macht oder sich in der Rolle des Retters gefällt. Und erst recht nicht von dem Menschen, der dort mit einem Heilungs- oder Rettungswunsch hinkommt.

Ich denke, vielleicht ist es ein Krieg wie bei Hartz4 oder beim OEG oder bei der Krankenkasse…
Zahlen gegen Menschen.
Zahlen, Normen, Richt- und Lei (d) tlinien die wir Menschen erschufen wie dereinst Frankenstein sein Monster, die sich nun gegen uns richten.

Von den meisten Menschen hingenommen, akzeptiert als Werkzeug und Gradmesser. Die Art, wie man zu ihnen kommt wird nebensächlich, denn wenn man oft genug- und früh genug draufhaut, dann tut es irgendwann nicht mehr weh. Und falls doch einer heult, dann kann man ihm ja immer noch sagen, er sei selbst schuld.
Das funktioniert ja immer bei biologisch weiblichen Menschen, deren Grenzen gerade verletzt wurden.

Denn das sind ja nur Frauen.