Schlagwort: Erinnerungen
einfach so
Die Wärme des Handys brennt sich in Ohr und Wange, das Zittern wälzt sich von innen nach außen und das Freizeichen dehnt sich immer weiter aus.
„Hallo. Na, wie geht euch?“, sie klingt entspannt, sommerlich und ohne Ahnung von meinem inneren Unwetter.
Wie holzige Brocken in einem bitteren Schleim, versuche ich Worte zu erbrechen und fühle mich doch, als würde ich ersticken. Das Puls pocht bis in den Kopf hinein, die Hände sind verklebt von Schweiß und Dreck. Der Akku meldet sich. Sie hört es, weiß sowieso schon Bescheid. Es war klar, dass das passiert.
„Ich bin in 15 Minuten bei euch und warte dort falls ihr…“, das Handy ist ausgegangen.
Kurz explodiert die Verlorenheitsgefühlsbombe, wie bereits heute Mittag am Ende der Therapiestunde, im Innen und Zeit und Raum verschwimmen weiter.
Hab ich Eis im Beutel? Ich wollte doch Eis kaufen.
Nein. Keins da.
Aber Cola.
Alles runterspülen. Genug Druck von oben erschaffen, damit alles unten bleibt.
Ich weiß nicht, wo ich bin, obwohl ich diese Strecke jeden Tag gehe. Noch mehr Angst, die unterdrückt werden muss- irgendwie unterdrückt wird vom Wegegänger, der sich an den Konturen der Wege festklammert, wie ein Ertrinkender.
Warten auf das Klingeln, auf jemanden der mich rausholt, der mich abholt, der mich mitnimmt und behält. Einfach so.
Wie die Straßenbahn heute Morgen, die Therapiestunde heute Mittag, die Straßenbahn zurück, der Besucherhund am Nachmittag, der Einkaufsauftrag danach.
Sie kommt, steht in der Tür und betrachtet uns, wie ich selbst, als jemand in Tränen ausbricht.
Und einfach so, schaue ich ihr zu, wie sie die Taschentücher der kleinen Herzen mit den Drachen drauf nimmt, die Tränen abholt, eine Kleine annimmt und uns trotzdem noch behält.
Obwohl wir noch immer nichts gesagt haben und die Lautsprache plötzlich wieder Fremdsprache ist.
Wortmaden
Ich sah es vor mir, schärfer, als es jede Technologie heute und in Zukunft abzubilden in der Lage ist.
SIER hatten meinen Brief in der Hand. Die Worte aus Tinte, auf dem Papier fraßen sich, wie Maden durch ihre Hirnzellwände und legten Eier, die einen Schwarm hervorbringend, explodierten.
Eines nach dem Anderen wäre angekommen, hätte sich eingenistet und etwas verändert. Alles würde besser sein. Alles würde gut sein. Jetzt, wo meine Wortmaden endlich groß genug seien, um ungehindert einzuwandern. SIER würden ihre Gesichter abnehmen, sich alles abschälen, was an ihnen klebt und mir zeigen, dass es auch einen genießbaren Teil an ihnen gibt.
Es würde nun sein, wie in meinen liebsten Geschichten, in den leisesten Wünschen der kleinen Herzen und ich hätte es ihnen ermöglicht. Ich wäre eine Heldin im Seidengewand. Könnte friedlich meine Schneisen ziehen, durch meine Bücher gleiten und mit meinen Gedankenketten Welten einwickeln. In Schokolade baden und in den Haaren meiner Liebsten schaukeln.
SIER könnten nicht mehr anders, als bar aller Maskerade zu sein. Würden nur das Nichts sein, dass sie in unser Sein pflanzten. Mit einem Mal zeigte ich mein Gesicht und flüsterte: „Frankenstein hatte sein Monster auch vergessen wollen… „, noch während ich ihre Oberfläche abkratze, um auch noch den kleinsten Rest der Verkleidung an ihnen, abzureißen.
Ich baute einen Balken quer durchs Zimmer und ließ meine Herzen und Herzchen mit ihnen spielen.
Wie eine Katze mit einer Maus.
Wie ein Kind mit seiner liebsten Puppe.
Wie SIER mit ihnen.
Und dann wachte ich auf.
Wankte ins Bad und erbrach all ihre abgekratzten Schichten.
Spülte meinen kurzen Anflug von Machtgefühlen hinweg und vergrub das Gesicht in den Kokons meiner Wortmaden.
der Stromausfall
Es begann mit einem sanften Aufwachen, frei-seeligem Herumgleiten, sich noch mal nach links und nochmal nach rechts rollen und mit einer gewissen Selbstermutigung den Tag zu starten. Tja… und dann stimmten weder die Kaffeemaschine noch der Wasserkocher ihr allmorgendliches Rausch- Röchel- Prustkonzert an.
Stromausfall in einzelnen Wohnungen.
Zuerst gibt es einen Aufprall auf die Oberfläche, welcher sich in Gedanken rund um die Ursache des Problems drehen: Rechnungen bezahlt? Mahnungen nicht erhalten, Rechtsanwältin lange nicht gesprochen- gab es eine Wartungsankündigung? Manipulation von einem Innen am Stromkasten?
Der erste Ring nach Klärung dieser Fragen, sind die Konsequenzen die sich in verschiedenen Ebenen fortpflanzen: Im Keller steht der Tiefkühlschrank mit NakNak*s Fleisch und Futtertieren- wie lange ist der schon ohne Strom gewesen?
Der Akku des Mobiltelefons war leer… [Keinen Mucks will ich hören, sonst…]
Der Bauch gurgelte seine Morgenmelodie… [Du bekommst nichts mehr, du…]
Langsam schlug sich die Kälte ihre Steigeisen in die Haut, da die Heizung ebenfalls von Strom abhängig ist… [Runter mit dir!]
Zum Glück hatten wir vorerst noch die Sonnenscheibe, dunstig aber erkennbar, vor Augen und den Schlüssel zur Wohnung von Mensch XY.
Kaffee kochen, Milch wärmen, Handy aufladen, Katze streicheln. Kontakt zu Mensch XY herstellen.
Zurück in die eisige Wohnung, von Hund mit großen Bedürfnis nach Körperkontakt begrüßt, wohlwissend, dass noch so einiges mehr auf dem Plan stand, als lediglich Ängste und immer wieder aufwallende Erinnerungs-Paniks- (Nach)Schmerzwellen wegzuschieben bzw. “sich hin zu orientieren”. Dann plötzlich hustet der Kühlschrank und kühlt wieder.
[Aaaaah- Guck- ist schon wieder alles gut. War nur ein Stromausfall. Vielleicht ein Punkerelektron oder so…]
Wie in einer Slidingszene im Film (unterlegt mit Musik von Enya) wird sich angezogen und gleichzeitig beruhigt, reorierentiert und gehalten.
Laptop an, Kaffee und Kakao daneben, Blog und Internet begucken- in der Gegenwart festtackern. Dann in die Stadt, Hartz und GEZ beglücken, Ticket kaufen, Reiniger kaufen…es beginnt der übliche Alltagsreigen der Innens, um sich unter fremden Menschenmassen, greller Beleuchtung, viel zu direkter Ansprache und allgemeiner Angst zurecht zu finden- alles mit dem nachwievor untergründigen Enya-Smoothie im Seelentonhintergrund.
Wieder zuhause: eiskalt, wieder kein Strom mehr.
Fest entschlossen dem anschwellenden Panikwust im Nacken keinen Platz zu lassen, in die Sportsachen und raus mit dem freudigen Hund. WegLaufen.
Als es dämmert zurück, um festzustellen: Strom ist noch immer weg.
Und: die Sonne geht unter. [Hab ich dich!]
[Nein, wir sitzen nicht in der Falle, ja das ist unsere ganz eigene sichere Wohnung, wir sind groß, guck- nix los, nur still und kalt- gar nix los, nein wir können nur niemanden anrufen, weil wir nicht genug Geld diesen Monat fürs Handy haben, ja wir sind ein armes Leut, aber wir sind frei- das macht uns sehr reich… ja Strom ist weg, wegen einem Punkerelektron das sich mit den Stadtwerken anlegt, Nee nee guck mal ist echt nur unsere Wohnung…
Federrascheln, summende Melodien, Tränen, die das gleichzeitig aufstampfende BÄÄÄM umspülen und doch nicht heraustreten.]
Es herrscht Ausnahmezustand. Eine Unterbrechung des normalen Alltags ist schwierig genug zu verkraften (in diesem Fall der ewige Papiermist rund um die Neubeantragung des Hartz4, nach unüblichem Morgen), doch dazu noch eine läufige Hündin (und die dazugehörenden Momente im Park oder Wald) und ein Stromausfall…nach innen wirkt das bei uns immer ein bisschen Tschernobylartig: Erst wills keiner wahrhaben, dann die große Panik- aber nicht alle wissen direkt drüber Bescheid, weil ne Mauer im Weg ist.
Für uns werden solche Umstände auch immer erst als “Störfall” einsortiert und erst, wenn’s zu spät ist als der GAU, der es ist.
Irgendwo zwischen den späten 80er und den frühen 90er Jahren herumschwirren, geistig zu wabern und nie genau sagen zu können, wo man eigentlich gerade ist. Zwischendrin SMS und Anrufe von Mensch XY, die wie ein Anker in den Angstsee hineinklatschten, auf das sich dran festhält, was zum “sich festhalten” in der Lage ist.
Dann doch die Entscheidung Kerzen anzumachen. Heller die Ängste nie leuchten. Über allem schwebend das zynische Rosenblatt mit der Frage, obs nun gut oder schlecht ist, die Erleichterung über das Licht und gleichzeitig die einschießende Kerzenassoziation mit dazu gehörendem Körpergefühl zu spüren. Als das zu quälend wird, entscheidet man sich für die Dunkelheit.
Und nun- am Morgen danach- die Erkenntnis, dass nicht einmal wirklich dieses Erinnerungschaos wirklich das Schlimme- der GAU- war, sondern das Warten auf Erlösung!
Unten wurde die Straße operiert mit Baggern und Lötkolben, die Menschen von den Stadtwerken rabotteten gewichtig schreitend, ab und an auf ihre Geräte schauend, herum… eine Stimmung wie bei einer Krankenhausgeburt (da gucken auch alle nur noch auf die Geräte und nicht auf die Leute die es betrifft) und wir wartend, hilflos, ohnmächtig, einer höheren Macht ausgeliefert, die allein in der Lage zu geben ist, was wir brauchen, um einen Zustand zu beenden, der wirklich schmerzt.
Oft genug ist es die Frontfrau, die immer wieder die Dringlichkeit diverser Nötigkeiten missachtet und bagatellisiert. Doch in Momenten wie diesen ist es die ganze Welt, die durch ihren normalen Weiterlauf, ihr Schweigen, ihre Nichtresonanz zu einer Wiederholung in unserem Empfinden beiträgt. Es ist ein Gefühl, wie es jeder kennt, dem mal etwas Schlimmes passiert ist. Man steht scheinbar allein inmitten einer grauen Masse und ruft in de Welt: “Wieso drehst du dich einfach weiter? Hallo?! Halt an- es ist doch grad was Schlimmes…!”
Früher hat niemand auf Schreie reagiert- niemand kam um zu helfen wenn’s weh tat oder verstand die Sprache der Schreie bzw. ihre Bedeutung. Und bis heute wird in solchen Zeiten dieses Rufen… dieses bettelnde Flehen darum, dass “ES” bitte aufhört- oder wenigstens jemand kommt und macht, dass “ES” aufhört, angetriggert.
Es ist längst nicht so laut und offen, wie die Frontfrau es immer wahrzunehmen scheint.
Jahrelanges Schreien macht heiser und lähmt.
Dieses Kind saß in unserer Wohnung und schrie sich die Seelen aus dem Leib heraus- ohne, dass es auch nur ein menschliches Ohr hätte hören können; ohne, dass auch nur eine dieser herausgebrüllten Seelen in der Lage gewesen wäre etwas zu tun, was seine Qual beendet.
Es dauerte bis etwa 23.30 Uhr, bis die Operation an offener Leitung beendet, der Kühlschrank hustete, die Lampe aufstrahlte und der Schrei erstarb, weil plötzlich wieder ein Licht durch das Schlüsselloch drang, durch das es sein Leben lang in die Welt starrt.
Was will es sagen, wenn es allen etwas sagt und es alle schon wissen?
Manchmal denke ich immernoch, dass meine Art zu sprechen und mich auszudrücken missverständlich ist. Ziemlich sogar.
Eigentlich ist es fast schon ein Projekt für mich heraus zu finden, wie man so gestrickt sein muss, um mich in bestimmter Hinsicht misszuverstehen. Nicht nur mit meiner Wortsprache.
Anlass für diesen Gedanken war unsere letzte Therapiestunde.
Es ist in der Regel so, dass ich meine ersten Sätze dort, in der ganzen Zeit zwischen den Stunden gebügelt, gestärkt und zurechtgelegt habe.
Sie liegen mir hübsch sortiert auf der Zunge und im Kopf.
Ich brauche keine Angst vor einem Schweigen haben, während dem mich jemand direkt anschaut.
Die Schrittfolge für mein Vermeidungstänzchen sitzt. Meine Rede stützt meine Schutzblase um mich herum und ja- ich brauche keine Angst haben, dass… nein- eigentlich kann ich nicht einmal der Angst einen Namen geben.
Mir ist es völlig klar- ich will nur bitte nicht dissoziieren. Ich weiß, dass das mein Problem ist. Dass ich eine übermäßige Angst vor Erinnerungen habe, die immer wieder hoch kommen, wenn ich an etwas denke, etwas tue, etwas betrachte, eine Situation erlebe.
Jedes Mal habe ich Angst und schütze mich mit der Dissoziation, die mein Gehirn in traumatischen Situationen so gut eingeübt hat, dass es heute auf alles wie eine solche reagiert.
Die Therapeutin fragte, was genau ich denn so “mitkriege” und ich sagte: “Immer so die Mitte, glaube ich.”
Ich fing an nachzudenken und dann- rutschte ich aus. Schrittfolge verpasst. Der Walzer zog ohne mich weiter. Ein riesengroßer dunkler Ahnungsdonner schob sich auf mich zu. Ich habe nicht hingeschauen können- ein Schmerz von dort heraus zerriss mich.
Ich versuchte wirklich angestrengt und innerlich schon völlig überfordert noch ein paar Schritte aus meinem Programm “In die Realität mit Mathematik” und verlor den Rest der Stunde.
Wir haben wieder überzogen. [BÄÄÄM]
Und die Therapeutin legte ihre Zettel ineinander und sagte, dass sie sich fragt, was ihr dieser Schmerz sagen soll. Ob ihr jemand etwas sagen will.
Und ich saß da und dachte: Was soll es ihnen denn sagen, wenn es einfach so sagt?
Ich dachte, wie absurd es ist, dass ich vor einer Erinnerung flüchte, die mich gerade mal so erwischt auf der körperlich-somatischen Ebene- sie aber meint, der Schmerz sei ein Kommunikationsversuch.
Für mich ist die Botschaft von Schmerz völlig klar. Schmerz steht da und brüllt in seinem neongelben Sein: Schmerz!
Fertig.
Aber viele Therapeuten lernen anscheinend ganz viel zu interpretieren. Ganz viel zu deuten.
Als würde das, was die Klienten sagen und das was sie von sich aus heraus lassen, nicht auch für sich selbst sprechen und stehen können.
Gerade bei mir (allgemein Menschen mit DIS oder auch DDNOS) sieht man das doch sogar eigentlich sehr deutlich.
Ich bin “weg”, wenn der Schmerz zu groß, die Ahnung, die Erinnerung zu nah an mich heran kommt. Und wer ist dann da? Eine Seite von mir- mein Ich in einem Zustand, der näher dran ist. Der auch etwas sagen kann. Der auch für sich stehen und sprechen kann.
Man braucht nicht zu fragen: “Was hat das jetzt zu bedeuten”.
Man kann einfach fragen: “Warum hast du Schmerzen? Kannst du merken, dass es eine Erinnerung ist und kein echter Schmerz?”
Das ist zumindest was ich machen würde, wäre ich in der Lage meine Innens so wahrzunehmen, wie Aussenstehende. Allein, die Tatsache, dass dort Innens sind, macht doch klar, dass es sich um ein Hasch mich- Spiel zwischen mir und meinem Erinnerungssortierungsversuchsgeplagtem Gehirn handelt. Und nicht darum, dass ich nicht merke, wie ich vor meinen Konflikten weglaufe und das unbewusst ausdrücke und unbemerkt kommuniziere.
Wenn mir aber meine Therapeutin so gegenüber sitzt und mich fragt, was es zu bedeuten hat, fange ich an mir zu zweifeln. An meiner Sprache und meinen Worten.
Und was nehme ich mir für die nächste Stunde vor?
Extra Stärke, extra Bügeleisenhitze, extra scharfe Wortfalten, die ich mir in die Zunge und den Kopf stampfe, damit ich auch ja nicht meine Schrittfolge im Vermeidungswalzer verpasse.
Immerhin- ich tue es nicht mehr unüberlegt und reflexhaft. Ich habe den Mechanismus klar, der zu meinen Zweifeln geführt hat und kann auch das kommunizieren.
Vielleicht so, dass die Therapeutin mir vormacht, dass ich nicht alles sagen können muss, um zu kommunizieren, wovor ich mich zu erinnern fürchte.