Eltern, die ihre Kinder hassen

Diesmal ist es kein Schnelldurchlauf, sondern eine Zeitlupe und das Quietschen meiner Nackenmuskeln. Gedämpfter Straßenlärm, das Atmen der Therapeutin mir gegenüber.
„Meine Eltern hassen mich.“ „Ich glaub, er wollte mich umbringen.“ So schieben sie sich zusammen. Sie von links aus der Sitzung mit der Autismustherapeutin, er von weiter weg aus der Traumatherapie. Keine Kinder mit großen feuchten Augen, die einem das Mitleid aus dem Herzen zapfen wie den Sirup aus dem Baum, sondern bodenlos hoffnungslose, verdreckte, abstoßende … Ichs in einem Zeit-Raumempfinden von vor über 20 Jahren.
Ich bin so weit weg, dass ich sie wahrnehme aber nicht spüre. Sie bleiben Fremde für mich. Sind Einheimische in einer Welt, die ich nur begleitet aufsuche, um zu vermitteln, dass ES vorbei ist und DAS DA nicht wieder passiert. Jedenfalls nicht so. Nie wieder so.

Diesmal habe ich keine Feldnotizen. Kriege meine Gedanken nicht um die Dimension ihrer Not, weil es nicht um Mangel geht, sondern um etwas, das über das Tabu der Gewalt an sich hinaus geht.
Gegen Hass kann man nichts machen. Der ist nicht in Liebe zu verwandeln. Nicht einmal in achtsame Zuwendung oder Fürsorge. Hass ist absolut, deshalb kann man aus ihm heraus so einfach gewaltvoll sein. Braucht fast so wenig Anstrengung wie aus Ignoranz oder Todesangst.
Und ja, was anderes sollte ein Kind über die Motive von jemandem denken, der es praktisch zu zerreißen versuchte, als dass es um einen Tötungsversuch ging?

Elternschaft ist ein Status, kein Zustand.
Liebe, Achtsamkeit, die Fähig- und Fertigkeiten sich selber zu regulieren, um die eigenen Kinder zu begleiten, Fürsorge, Mitgefühl, Geduld – ja nicht einmal das Interesse am Mensch „Kind“ sind nicht einfach so da, nur weil man ein Kind geboren und es am Leben erhalten hat. Am Ende sind alle Eltern einfach nur Leute, die sich an jemanden gewöhnen, den sie selbst gemacht bzw. für immer in ihr Leben eingeladen haben. Sie bedeuten für ihre Kinder nichts, weil sie Eltern sind, sondern weil sie überlegen sind und mit jeder ihrer Entscheidung für oder gegen den liebevollen, achtsamen, interessierten, fürsorglichen Umgang eine Entscheidung über das Über_Leben treffen. Wenn Eltern hassen sind ihre Kinder nicht nur machtlos, wie es Kinder nun einmal sind. Dann sind sie ausschließlich über die Gewalt an sie gebunden, denn das ist alles, was Hass will und braucht. Dann ist das eigene Kindsein kein Zustand, sondern ein Status, der keinerlei Bedeutung für das Leben mit den Eltern hat. Es macht dann also weder einen Unterschied noch ein Kind zu sein, noch das Kind dieser Eltern zu sein. Man könnte auch ihre Haustür, ein Stück Klopapier, der Biomüll von letzter Woche sein.

Ich kann mich nicht erinnern schon mal davon gelesen zu haben. Hassende Eltern.
Natürlich wird das oft unterstellt, wenn jemand das eigene Kind getötet hat. Oder anderen zum Töten überlassen hat. Oder sich einfach nicht gekümmert hat. Es ist so leicht zu glauben, dass man nur tötet, was man hasst. So viel leichter als sich Mörder_innen zu widmen. Gewalttäter_innen. Leuten, die getötet haben, ohne so richtig klar zu haben, warum eigentlich.
Wir leben in einer Zeit in der Mütter nicht bereuen dürfen Kinder bekommen zu haben. Wo soll da der Raum für das Thema „Hass auf die eigenen Kinder“ herkommen? Wie soll das kein Tabu bleiben?

Und dann bin da auch ich selbst. Die_r mit dieser kindlichen Wahrheit in Kontakt geht und weiß, dass es für immer eine innere, eine vielleicht ausschließlich traumalogische Wahrheit bleibt, weil wir nie den Tag erleben werden, an dem sie uns sagen: „Ja, wir hassen dich.“ oder „Nein, wir hassen dich nicht.“

Noch so eine Opfersache mit der man Ende völlig allein zurückbleibt.

Fundstücke #18

An dieses Loch in der eigenen Kindheit habe ich mich in den letzten Jahren irgendwie gewöhnt. Ich habe mich daran gewöhnt zu wissen, dass ich nichts weiß und kämpfkrampfe seit Jahren daran herum es eigentlich auch nicht wissen zu wollen und gleichermaßen nicht er_tragen zu können, wenn mir so ein Klumpen Erinnerungen wie zähflüssiger Eiter ins Denken fällt.

Es ist erschreckend und abstoßend für mich. Aus Gewohnheit. Weil mich immer alles erschreckt und abstößt, was ich von dem Kind, das ich und wir einmal war und waren, ohne es zu erinnern, erfahre. Und wenn ich fertig bin mit erschrecken und abgestoßen sein, dann stehe ich da und halte so ein bitter trauriges Fetzstück eines Lebens in der Hand und weiß nicht so recht wohin damit.

Da war so dichte Sommerhitze, dass der Körper nur von ihr zusammengehalten war. Die großen Betonplatten mit den Teerwürsten am Rand bildeten ein warmhartes Unten und die Baumkronen begrünten das Oben. Dieser Hort war ein schöner Ort. Ein Stück zwischen Schule und Zuhause, in dem nur die Hausaufgaben zu erledigen und sich gut mit den anderen Kindern zu vertragen Pflicht war. Die Erzieher_innen hatten einen Schlauch mit Löchern bespickt und damit ein Wasserspiel für den Sommer gebaut. Die  Kinder rannten dort nackt umher und hatten Spaß.
Und ein Mädchen aus der Klasse fragte, warum Körperteile des Kindes so rotblaulila waren.
Da ist das Bild, wie ich mich selbst anschaue und erschrecke.
Und so viele Wörter gleichzeitig vor Augen habe, dass sie sich zu einem weißen Rauschen vermengen.

Es ist so leicht einen weiten intellektuellen Bogen zu spannen und ihn dann in ein Weltbild zu klemmen, das das Kind als Individuum verschwinden lässt. Es ist so leicht, wenn man sagt: “So ist das Leben nun einmal. So sind die Menschen nun einmal. So kann es eben auch laufen.”
Das ist die Nachahmung gesamtgesellschaftlicher Dissoziation. Das ist, was machte, das man dachte, alle wüssten ES und wenn ES etwas außergewöhnlich Schlimmes wäre, dann würde diese eigene Unsichtbarkeit inmitten dieser Gesellschaft, dieser seiner eigenen sozialen Umgebung nicht mehr gegeben sein.

Ich wusste von dieser Episode. Wusste, dass ich und wir der Mitschülerin antworteten, dass wir es nicht wüssten oder so etwas ähnliches. Wir erlauben uns, das Nichtwissen unserer Antwort als übliches Vergessen einzuordnen. Niemand kann sich immer an alles detailgetreu erinnern.
Aber das Wörterding. Und das weiße Rauschen. Das Erschrecken über die Erkenntnis einer Verletzung durch einen Hinweis von außen. Die Erinnerung, dass sie uns erst nach dem Toben unterm Wasserspiel angesprochen hat. Eine vorläufige bittere Idee, dass uns sonst niemand angesprochen hat. Und nicht verstand, als wir etwas sagten.

Und Jahre später die Information, wie relevant Zeug_innenaussagen bei fehlenden Beweisen ist. Und, dass unser Hort heute nur noch eine begrünte Hinterhoffläche ist.

Es macht mich traurig anerkennen zu müssen, dass die schwierigen Erfahrungen des Kindes, das ich und wir früher einmal waren, sich so viel fester in unser Er_leben und alltägliches Sein hineingefressen haben, als die Orte, an denen es sich gut gefühlt haben könnte. Jedenfalls gut genug, um zu vergessen, dass es ein Zuhause gibt, in dem es verletzt wird.

Es ist ein schmerzhaftes Ding anerkennen zu müssen, dass das Kind, das ich und wir einmal waren, schon damals ich und wir waren.

Dass dieses Erschrecken über die Wahrnehmung und das Bewusstsein über etwas von oder an sich selbst schon damals da war, genauso wie der Wörterquirk und die Überforderungen, die daran entlang auch zu Dissoziationen geführt haben und uns vielleicht genau deshalb zu so vielen haben werden lassen, wie wir sind. Und eben nicht nur, weil die Gewalt und das “so tun als ob-Spiel” darum herum überfordert hat, sondern das gesamte Er_Leben überall darum herum.

Ich habe mich an die Idee einer dissoziativen Amnesie gewöhnt, die mit ihrem Ende definiert, dass ich nicht mehr das Kind bin, das ich und wir einmal waren. Ein therapeutisches Re_Orientierungsmärchen, das kurzfristig hilft eine Barriere zu errichten, doch langfristig zur Annahme führen kann, Erwachsene seien keine Kinder bzw.  erwachsen zu sein sei unverbindbar mit Kindlichkeit oder kindlicher Bedürftigkeit.

Ich habe mir überlegt, dass ich gut damit leben könnte zu sagen, dass das Kind, das ich und wir früher einmal waren, noch heute viele Schwierigkeiten hat, die es früher schon hatte und die Teil seines Erwachsenenlebens sind, weil es selbst auch der erwachsene Mensch ist, der ich und wir heute sind.

Das ist keine große Idee, weil Multipelsein das nicht ausschließt.
Der Schritt für mich ist die Möglichkeit, als wahr(haft) anzunehmen, dass die vielen fremden, weil dissoziierten Sozialuniversen überlebt von vielen vielen Kinderinnens, überlebt und beschützt von vielen vielen anderen Innens, Seelen und Energien, die irgendwann von ganz anderen Innens, Seelen und Energien überlebt, beschützt und ins Erwachsenenleben getragen wurden, die wiederum von anderen überlebt, beschützt und in einen weiteren Abschnitt Erwachsenenleben getragen wurden usw usw usw in einem einzigen Leben passiert sind und bis heute passieren.

Neben der Erklärung für mein Erschrecken und Nichterinnern, mein ständig fremd im eigenen Leben sein, die ganze Angstproblematik, die Symptomatik des unkontrollierten Erinnerns und all das, hat die Diagnosestellung der DIS nichts aufgelöst.
Schon gar nicht mein Bild von mir, die völlig problemfrei wäre, wären diese dysfunktionalen Reaktionen und schwierigkeitsbeladenen Innens nicht mehr da oder einfach funktionaler und orientiert, dass ihre Schwierigkeiten heute vorbei sind.

In den letzten Wochen haben wir aber neue Dinge versucht, die wir für uns als individuelle Herangehensweise empfinden.
Dazu gehörte Überforderungen wahr(haft)zunehmen und entsprechend anders zu arbeiten und auch zu interagieren, aber auch der Beginn den Wörterquirk als Baustein therapeutischer Arbeit zu nutzen.
Ich merke, dass es uns gut tut und hilft. Weil es etwas ist, das wir alle gleich bzw. sehr ähnlich erleben.

Darüber merke ich aber auch, wie sehr wir unsere Individualität aus “So ist das Leben nun einmal. So sind die Menschen nun einmal. So kann es eben auch laufen.” heraushalten. Wie sehr wir, obwohl wir wissen, dass auch wir zum Lauf der Dinge, diesem Leben, dieser Gesellschaft gehören uns erst dann dort zu finden trauen, wenn wir unauffällig bis unsichtbar sind.
Keine Erwachsene, die mal Kind war. Keine Person, die Wörterquirks hat. Keine Person mit Loch in der Selbst- und Umweltwahrnehmung. Keine Person mit fremden Problemen im eigenen Leben.

Jeder Erinnerungseiter bringt mich in ein Moment, in dem ich merke, welche Ähnlichkeiten ich und wir mit dem Kind, das wir früher einmal waren, haben.  Wie sehr mein Fremdheitsgefühl nicht an den Problemen der Innens, sondern an der Zerrissenheit meines Mit_Nach_Empfindens und der manchmal daraus folgenden Unnachvollziehbarkeit ihrer Reaktionen darauf liegt.

Ich merke, wie ich mich daran gewöhnt habe Wörter für Symptome zu benutzen, wo Wörter für uns und unser in diesem Leben passieren, sein müssten.

“Was solls?”

Manchmal trifft es mich, wenn mir jemand sagt,  eine Lebensrealität wie meine wäre ihm fremd.
Da zucken Schultern und ein Mundwinkel wandert in die Höhe. “Was solls?”, denkt es vor sich hin und das Thema verdunstet.

Ich will nicht sagen: “Es soll dich treffen, wie es mich be_trifft.” und viele Gegenübers von mir wollen das auch nicht hören.
Mitleid, Schuld, Betroffenheit, das will man nicht. Das würde nämlich ein Miteinander, eine Mit.einander.verantwortlichkeit bedeuten.
Bezug und Bindung implizieren.

Ein Kind aus meiner Grundschulklasse hat über uns gewohnt.
Man konnte hören, wenn es misshandelt wurde.
Durch die Heizungsrohre.
Wie das so ist im Platten- und Altbau.

Wir haben nie miteinander darüber geredet.

Das Schreien und Weinen meiner Geschwister donnerte durch die gleichen Heizungsrohre, wenn sie misshandelt wurden.

Wir haben nie Worte darüber ausgetauscht.
Vielleicht hatten wir damals einfach noch keine.
Vielleicht haben wir einfach auch vergessen, wann wir aufhören konnten die Luft anzuhalten, um den Heulrotz im Kopf zu behalten.

Unser Haus hatte 5 Etagen mit 9 Parteien.
9 Universen, die nebeneinander her durch die Zeit flogen und nur über die Heizungsrohre miteinander verbunden waren.

“Was solls?” hat damals vielleicht die Themen “Einmischen”, “Kinder schützen”, “gegen Gewalt sein”, “für eine bessere Welt sein” verdunsten lassen.
Vielleicht ist “Was solls?” die Lebensrealität, die ich einfach nicht leben kann, weil es mich konkret betrifft und andere nur dann berührt, wenn Schreie aus ihren Heizungsrohren dringen.

 

 

es gibt meine Schuld und ich will sie haben

rosenblüte Es gibt kein Wort, keine Wendung, die ich häufiger in meinem Alltag verwende als: “Entschuldigung” und kein häufiger von Abhängigkeit geleitetes Gefühl in mir, als das der Schuld.

Als unsere Welt geplatzt war, gab es diese Botschaft von “Es war nicht deine Schuld”. Ich weiß noch, dass mein erster Impuls einer Entgegnung war: “Doch doch, ich hab ja Mist gemacht. Es war mal meine, aber jetzt ist sie ja bei ihm.”.
Ich weiß noch, dass meine Vorstellung von Schuld damals, als ich noch mitten in der Dynamik von Gewalt war, sehr viel fluider war, als sie es heute ist, wo ich allein Dynamiken von Gewalt aufbauen (und reproduzieren und halten) muss. Ich sehe bis heute das Zentrum von Schuld in mir, bin aber gezwungen sowohl Schulddefinition, als auch Schuldabsolution allein zu erteilen und bin einer Zwickmühle, denn gelernt habe ich ja, sowohl in der Familie, als auch in anderen Kontexten, vor allem, dass ich mal so gar nichts zu definieren habe bzw. aufzuheben, weil [… beliebige Ohnmachtsrolle einsetzen…].
Und dort beginnt die Schwierigkeit im psychotherapeutischen/psychiatrisch-medizinischen Diskurs:

Selbstzerstörung und Selbstbestrafung wird für meine Begriffe oft mit einer “nicht echten” oder “nur eingebildeten” Schuld erklärt, weil es nur einen Punkt der Wirkung gibt und, weil Konzepte der Autonomie generell als “nicht echt”, weil “ja nur für einen Menschen gültig” betrachtet werden.
Das ist der Nährboden für die Pathologisierung von allem, was man wegen sich selbst für sich selbst tut: die Subjektivität auf allen Ebenen, obwohl man sich doch in einer sozialen Gesellschaft befindet, in der die objektive Sicht auf Subjekte allein als alles bestimmend gilt- heißt: Es ist pathologisch, weil Außenstehende nicht involviert sind bzw. sein dürfen – es gilt als krank, weil andere, die keine Rolle darin spielen, nicht mitmachen dürfen.

Das heißt: selbstverständlich erzählen mir alle TherapeutInnen, es sei nicht meine Schuld gewesen, wenn XY passiert ist- denn jede Bestätigung meines Komplexes könnte die Bestätigung von irgendwann mal in mich eingebrachte TäterInnenwillkür oder SadistInnenlogik bedeuten. Ob ich sie vielleicht als meine wahrnehme, und es völlig unerheblich für meine subjektive Schuld- Schulderlassungsdynamik ist, woher das nun kommt, spielt da erst mal keine Rolle.

PsychiaterInnen/PsychologInnen- objektiv betrachtet, spiele ich beendete Kindheitsgewalt (bei der sie weder damals noch heute dabei waren) nach und deshalb ist es krank, falsch, schlecht… und, ob ich mich dann schuldig fühle (weil ich diese Therapie falsch mache, weil ich das ja weder so fühle, noch so wahrnehme und deshalb eh alles eine einzige Lüge ist und böse böse böse und damit wiederum eine Bestätigung für mein Schuldzentrum), muss wiederum in mir drin bleiben, um dann in weiteren Schuldkomplexen seine Schneisen zu brennen bis ich sie irgendwie umgewandelt bekomme.

Ich glaube heute, dass alle unsere “Familientherapie”- sitzungen genau deshalb immer diesen total bekloppten Satz “Wir reden hier nicht über Schuld” hatten.
Denn doch- eigentlich haben wir ausschließlich über Schuld gesprochen, die wir uns reihum wie das Ringlein gereicht haben, weil wir sie alle gebraucht haben. Ich und meine Geschwister brauchten sie, um die Gewalt an sich bzw. die Zeugenschaft der Gewalt aneinander in einen Kontext zu bringen; mein Vater brauchte sie, um sein Handeln zu legitimieren und meine Mutter brauchte sie, um ihre Selbstzerstörung aufrecht zu erhalten.
Was es gebraucht hätte, wäre anzuerkennen, dass wir eine Misshandlungsfamilie waren, die (überlebens)abhängig von Schuld(bindung) war/ist und den Wunsch nach Autarkie von ihr zu wecken. Stattdessen wurde die Familie in Abhängigkeit von psychiatrischer/juristischer Deutungshoheit gebracht und völlig zerfetzt.

Und genau deshalb komme ich bis heute in Druck, wenn mir irgendjemand sagen will, ich hätte keine Schuld oder meine Schuldgefühle, die mir immer wieder hochkriechen wären nicht echt im Sinne von „nicht richtig begründet“: Was wenn nicht Schuld, ist denn sonst bitte die Ursache dafür, dass ich mich so grottenscheiße fühle und wer außer mir, soll das denn bitte objektiv (und damit gesellschaftlich konsensual) belegend bestätigen?

Mein Wunsch ist es, mich schuldig fühlen zu können (zu dürfen) ohne dem Reflex von Gewalt an mir folgen zu müssen, um mir auch autark verzeihen zu können.
Es ist mir egal, warum ich mich für Dinge schuldig fühle, die anderen eher egal sind. Es ist mir egal, warum ich die Dinge bewerte, wie ich sie bewerte- wichtig ist mir die Folge davon.
Ich lebe heute so autonom, wie ich das eben kann und möchte im Laufe des Lebens noch mehr Bereiche meines Lebens autonom tragen- dazu gehört auch, dass ich keine bzw. weniger Gewaltdynamiken (mit anderen Menschen) brauche um Verzeihen bzw. Absolution in mich einbringen zu können.
Das bedeutet auch, dass ich als Grundvoraussetzung meine Schuld haben muss- denn wenn da nichts ist, gibt es nichts zu tragen außer meiner sogenannten Krankheit und damit einhergehend aller Abhängigkeit von dem Kontext, der das so benennt.

Ehrlich gesagt erlebe ich “Es war nicht deine Schuld” heute wie eine Ohrfeige, die mich tiefer und unrettbarer fallen lässt, als jede Prügel früher.
Einfach, weil es von Menschen kommt, die einen Scheiß von meiner Schuld verstehen und vielleicht auch verstehen wollen. Es ist eben leichter über ein sogenanntes Opfer als “nicht schuldig” zu urteilen. Ist ja eh passiv so ein Opfer. Hat ja nix, kann ja nix, wird nix… so ein un_schuldiges Opfer.
Guck wie krank Gewalt macht- dieses Opfer will sogar seine Schuld haben – schlimm, ne?”


Es gibt sie aber, meine Schuld.
Es gibt sie, wie es die Schuld bei den TäterInnen gibt.
Sie steht neben dem Leiden, das ebenfalls nicht nur ich zu tragen und in mein Leben zu integrieren hab.
Von der Gewalt betroffen bin nämlich nicht nur ich, die Geschlagene, sondern auch die, die mich geschlagen haben (nachdem sie selbst als Kind von früher Geschlagenen geschlagen wurden…).

 

inmitten der Gewalten

RosenachRegen Es hatte mir gefallen, wie viel Stärke und Leichtigkeit sie lebte. Wie viel Energie in ihr kreiste und Lasten klein werden ließ.
”So würde ich mir auch gut gefallen”, dachte ich. So groß und mächtig, dass es eine einfach gelebte Leichtigkeit im Sein geben kann, “Angst” zu “Respekt” verwandelt wird und das Recht auf Unversehrtheit von mir alleine durchgesetzt werden kann.

Und dann fiel mir auf, dass ihre Macht auf Missachtung … Dissoziation … beruht.
Sie ist stark, weil sie ihre Schwäche nicht spürt. Sie ist mutig, weil sie ihre Angst missachtet. Für sie ist alles ganz leicht, weil sie Hindernisse aus dem Fokus schiebt. Wenn sie verliert, dann verliert sie vor sich selbst nicht, weil sie Schmerz und Trauer tief in sich vergräbt und den Spaten dann wegschmeißt.

Wenn es einen Menschen gibt, in dessen Anwesenheit selbst das mächtigste Böse uns nicht verletzen könnte, dann ist sie es.
Nur darüber sprechen konnten wir nie mit ihr, ohne über ihre Missachtung zu stolpern und
verletzt zu werden.

“Eure Eltern!”, immer bewegt sie auf eine für sie so typische Art ihren Kopf und formt ihren Mund zu einem harten und doch feinem Lächeln. “Häuten und auf einen Ameisenhaufen binden! Mindestens! Eigentlich reicht das nicht mal!”.
Am Anfang hörten wir ihr noch zu und spürten den inneren Erdbeben nach, die sich aus ihrem Erzählen von sadistischen Fantasien ergaben. Lächelten schief. Zuckten mit den Schultern.
Warteten darauf, dass die Tür aufgeht und ein Inferno der Strafen über uns hereinbricht.

Irgendwann versuchten wir uns in kleinen Worten, die wie Kinderfüße das erste Eis auf dem See abtasten. “Ich weiß nicht…”.
“Hm, aber das ist ja auch nicht besser als…”
“Das macht Angst, wenn du so etwas sagst…”

und dann schob sich dieser große Schreibtisch zwischen unser beider Leben. Andere starke Sie’s, andere Verbündete, andere Gemögte, andere Menschen vor denen ES nicht verschwiegen blieb, traten in unser Leben und mit ihm weitere Sichten auf Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten.

Und doch begegnet uns diese Art Gewalt und Ablehnungsdynamik immer wieder.
Es ist, als würde sich die Gewalt, allein schon dadurch, dass wir ihr Wortkorsette anzulegen versuchen, sie in Laute wickeln und anderen Menschen in die Köpfe stapeln, fortpflanzen und eigenständig erneut gebären.
Aus dem Anblick, den ich vom Erlebten habe, wird für andere Menschen immer wieder das Gesicht, der Name, die soziale Position, das Sein der TäterInnen.
Egal, wie ich mich ausdrücke und versuche meine eigene Sicht zu unterstreichen.

“Kannst du bitte..? Ich kann das- bitte das ist meine Familie!”, ich weiß noch, wie schwer mir das aus dem Hals gewürgt wurde, um dann unter einem achtlosen Schwall rechtschaffenden Gewaltens begraben zu werden.
“Darf ich denn gar nichts mehr behalten, sobald ich mich auch nur ein kleines bisschen geöffnet habe?!”, stand es im Tagebuch, nach dem Termin bei dem Rechtsanwalt.

Die traurige Wahrheit ist: nein
und der schmerzhafte Teil an dieser Wahrheit ist nicht, dass uns schon wieder die Definitionsmacht über etwas genommen wird und damit von anderen Menschen als uns eine Haltung zu etwas vorgegeben wird, sondern, dass es andere Menschen, als die Beteiligten sind.

Niemand außer uns und den Menschen, die uns verletzt haben, waren dabei. Niemand hat gefühlt, gesehen… erfahren und gelebt, was wir jeweils gelebt haben- aber alle haben eine Meinung dazu, sobald aus unserer Erfahrung Worte und Geschichten werden. Und niemand verbirgt sie.
Ein Innehalten, die Frage, ob die Äußerung erwünscht ist, passiert nicht.
Da passiert gar nicht die Rückversicherung: “Hast du gefühlt, gedacht, gesehen, was ich mir gerade vorstelle, dass du es gefühlt, gedacht, gesehen hast?”.
Dort wird das Aufwachsen mit Gewalt zu einem Grund der Normalisierung selbiger- nicht zum Marker, der daraus entstehen Un-Fähigkeiten. Anwesenheiten werden damit erklärt- Abwesenheiten bleiben unsichtbar, unergründet, ungewichtig.

“Ich kann natürlich nicht fühlen, was du fühlst- aber ich gehe davon aus, dass du die gleichen Internalisierungen hast, wie ich und wir deshalb eigentlich immer das gleiche fühlen.”, das nehme ich oft wahr.
“Selbstverständlich tut es dir weh, wenn dieses und jenes mit dir passiert.”
“Natürlich fühlst du dich ohnmächtig, wenn dir jemand Gewalt antut.”
“Natürlich hast du das Gefühl, deine Eltern nicht verachten zu dürfen- sie sind ja schließlich deine Eltern”
“Na klar, bist du täterInnenloyal, du bist ja schließlich ein Opfer (= abhängiges Kind)”

und was ist, wenn das nicht so ist?
Was ist, wenn ich einfach nie Schmerz gefühlt habe? Wenn mir meine Eltern einfach irgendwie egal sind, weil es für mich poplige kleine Wichte sind, die ich weder brauche noch will? Wenn ich mich nie in Abhängigkeiten von TäterInnen gesehen habe?
Was ist, wenn ich durchaus Macht- und Überlegenheitsgefühle hatte und diese auch ausgelebt habe?

Was dann ist, ist, dass ich andere Menschen in ihrem Maßstab ausheble. Sie und ihre Werte, Normen und Internalisierungen greifen dann nicht mehr. Sie müssten mir meine Sicht auf die Dinge lassen, müssten mir Raum zur autarken, selbstbestimmten Selbstpositionierung lassen.
Und damit ich genau das nicht tue, hat auch die Opferschublade einen doppelten Boden: “Sie hatte ja keine andere Wahl, als sich einzureden, dass sie das alles wollte/ selbst bestimmt/ aktiv und von sich aus so wollte.”
Es kann sein, dass es tatsächlich keine andere Wahl gab- aber die Wahl wurde von mir getroffen! Es gibt immer die Wahl etwas nicht zu tun- auch diese Wahl hätte ich verweigern können- es ist so leicht aus sich herauszugehen und im Universum zu verschwinden.

Die Aktivität, der im Vergleich Passiven, ist nicht Passivität!

Mir ist eingefallen, dass ich einmal versucht habe meinen Vater anzupinkeln, als er mich an einem Bein durch die Luft schleuderte.
Nicht, weil ich wütend war, oder ihn verachtete, oder mir vor Angst eh grad der Urin abging, sondern, weil ich einfach so den Impuls dazu hatte.
Ist das “typisch Opfer”?
Wohl eher nicht.
Es ist aber genau das Spektrum von Opferschaft, das von der Aktivität des Täters/ der Täterin überlagert und später von Unbeteiligten mehr oder weniger systematisch unsichtbar gehalten wird, in dem die (Straf-)Tat zum Maßstab von allem wird.
Ich fand die Vorstellung, dass mein Vater meinen Urin an sich dran hätte lustig und saß lachend in mir drin, während er sich an meinem Körper abarbeitete. Schön blöd von ihm- ich hatte das Lachen und er Arbeit mit meiner “Erziehung”.
Ich hab gewonnen, denn das Ziel seiner Tat war ein anderes.

Klar wird mir mein Gehirn auch Schmerzen angetragen haben, Angst zu sterben, Ohnmachtsgefühle und Wut auf ihn, dass er sowas mit mir macht. Aber das war nichts Neues, nichts was noch großartig eine Aktion von mir einfordern konnte und mich innerlich irgendwie anregt. Und zwar nicht, weil ich “verroht” bin oder “nie etwas anderes erlebt habe”, sondern, weil es eben so ist. Mich fordern andere Dinge, regen andere Dinge auf.

Ich betrachte das als unfassbar großes Privileg, an den Taten an meinem Körper vorbeigucken zu können und zu sehen, was für Mechanismen darin walten. Einfach auch zu wissen, dass die Taten allein einfach gar nicht wirklich die Gewalt sind, die mir (uns) passiert ist.
Sicher bin ich ein Opfer von der Gewalt geworden, die meine Familie* an mir ausgeübt hat. Ich bin aber mit ihr zusammen zum Opfer ganz anderer TäterInnen- ganz anderer Macht-Ohnmachtdynamiken geworden.
Ich leide heute nicht nur an den Folgen einer Dynamik in der Familie*, sondern an denen, die unsere ganze Welt durchzieht.

Das gehört mit zu den Eckpunkten inmitten derer ich mich verorten will.
Ich will mich mitten drin verorten und nicht abgetrennt- missachtend und damit dissoziierend, weil es mir nur um einen klitzekleinen Bereich- die Summe aus “X” mal “misshandelt worden sein”- geht.
Denn genau das produziert Gewalt und füttert sie.

Und macht blind.
Blind genug um die Überlebenden immer weiter, von Gewaltdynamik zu Gewaltdynamik zu drängen und nicht zu merken, dass man sie dabei immer passiv – immer in der Position hält, die “Opfer” heißt.

Wir haben uns jetzt endgültig gegen eine Strafanzeige entschieden.
Sie bzw. die Justiz stellt sich uns als Gewaltinstrument dar, das uns sowohl als Opfer braucht, als auch hält, als auch erneut zu einem machen wird.
Sie wird in sich drin sitzen und lachen, während wir uns an ihr abarbeiten und eigentlich etwas ganz anderes wollen.

Es geht uns eben nicht um die TäterInnen, nicht um die Taten.
Es geht uns um uns und das was wir selbst tun können möchten.

Gewalt wird uns nicht helfen.
Auch wenn wir uns ganz kurz… kurz kurz kurz so stark und mutig und aktiv fühlen und sehen könnten, wie ich meine ehemalige Sie früher einmal gesehen habe.

Wie viel “Opfer” steckt in meinem Genderlabel?

Faserfrühling2 Neulich hatte ich eine interessante Auseinandersetzung mit dem Thema “Geschlecht und Gender im Kontext von sexualisierter Gewalt in Form von Misshandlung in der Familie als Kind”. Dabei entstand in mir die Fragestellung, wie viel von meinem Selbstlabeling darin begründet ist, dass ich misshandelt wurde.

Fakt ist: Gewalt verändert die Wahrnehmung. Sowohl von sich selbst, als auch von der Umwelt und anderen Menschen.
Diese Wahrnehmungsveränderungen können dazu führen, dass der Umgang mit sich, der Umwelt und anderen Menschen verändert ist und etwas anderes mit sich trägt, als ohne diese Erfahrungen.
Hinzukommt der Prozess des Lernens. Man lernt basierend auf seiner eigenen Wahrnehmung von sowohl der direkten Rückmeldung von außen, als auch dem Effekt der sich auf einen selbst auswirkt.

So weit, so verkürzt, so aber ausreichend.

Ich habe gelernt, dass ich ein Stück Scheiße bin, das man eben misshandeln kann, weil man das kann.
Das ist so zusammengefasst, was ich mir aus der Gewalt, die ich erfuhr, mitgenommen habe. Ich bin kein Mädchen oder Junge, ich bin nicht von Wert für Menschen, die so viel Kraft/ Macht haben, dass sie einfach tun können, was sie tun, weil sie es eben können.
Das sind also so zwei Bereiche, die vielleicht- vielleicht aber auch nicht- von der Gewalt ver-rückt worden sein können: Die Wahrnehmung meines Körpergeschlechtes, daraus folgend, die meines sozialen Geschlechtes (Gender) und die Einschätzung des Wertes meiner Selbst vor Menschen, die Macht haben (Autoritäten).

Ja, es kann sein, dass ich mich als geschlechtslos wahrnehme, weil mir begegnet wurde, als hätte ich keins.
Auf der anderen Seite habe ich ja Augen im Kopf und kann sehen, dass mein Körper als weiblich kategorisiert werden kann, was in meinem Umfeld die Folge hat, auch dem sozialen Geschlecht der Frau zugeordnet zu werden, welches wiederum immer stärker von Medien und kapitalistisch motivierter Vermarktung definiert wird. Also nicht einmal mehr wirklich von Menschen um mich herum, sondern von einer grauen Eminenz- einer Macht, die tut, was sie tut, weil sie es kann.

Etwas, was Gewalt aber auch kann ist, Gefühle von Entfernung, Entfremdung machen. Irgendwie ist es immer wieder so, dass Gewalt, obwohl sie in vielen Formen auftritt und es keinen Menschen auf dieser Welt gibt, der keiner Form von Gewalt (und sei es der Naturgewalt) ausgeliefert ist, etwas ist, das Menschen an den Rand ihrer Welt bringt und manchmal auch von dort herunter fallen lässt.

Je tabuisierter die Art Gewalt ist, die das zur Folge hat, desto stärker ist dieses Gefühl. Und je mehrdeutig verwaschener die Kommunikation darüber ist, desto ferner (surrealer, fremder, unvereinbarer, spezieller) erscheint das eigene Sein in eben jener Position als Überlebende/r. Die Norm erscheint da oft als etwas, das nicht (mehr) für sich selbst gilt.

Ich habe so viel Zeit in meinem Leben damit verbracht Nichts (und nur vor mir selbst ein Jemand) zu sein, damit mir nichts Schlimmeres als ES widerfährt, dass ich das auf vielen Ebenen in mir drin habe. Da ist das innere Leitbild, dass es immer das Beste ist nicht nur das Nichts zu sein, sondern auch am Besten gar nicht zu sein. Da ist die Autarkie, die Unabhängigkeit als eine der höchsten Prioritäten, die alles einschließt. Auch in Bezug auf meine Art Sexualität zu leben: ich bin mir selbst völlig genug.
Das habe ich so definitiv nicht durch die Gewalt gelernt. Was ich in Bezug darauf gelernt habe ist, dass meine Gefühle, die im Zusammenhang mit meinem Genital stehen, völlig irrelevant sind, wenn sie jemand anderes benutzt.
Wenn ich welche hatte, dann wurden sie umgedeutet, wenn ich keine hatte, wurden mir welche unterstellt.
Das heißt nicht, dass ich im Zuge der Gewalt mein Geschlecht negierte oder nichts gespürt habe. Aber ich habe diese Empfindungen mit dem Menschen verbunden – nicht mit dem Umstand ein weibliches Geschlecht zu haben.

Wenn ich alles selbst tue, ist alles gut. Dann bin ich nichts, nehme nichts, brauche nichts (und niemanden). (Könnte auch heißen: “Ich muss dann nichts für jemanden sein”, aber da bin ich noch nicht dran.)
Ist das ein ausschließlich erlerntes Muster, das, wenn ich es änderte, all meine Selbstwahrnehmung verändern würde? Vielleicht in eine Cisfrau, die liebend gerne den ganz besonderen Kugelschreiber für Frauen benutzt und ihrem Mann die Chips für den Fußballabend mit Freunden am Grill kredenzt? Ist denn das die Norm? Ist Heterosexualität und die Cis-Genderperformance die Norm? Ist das, was ohne Gewalt/ Einfluss von außen entsteht, die richtige Norm?

Nein.

Heute bin ich von meinem Innenleben nicht mehr so sehr entfernt, wie noch vor ein paar Jahren. Ich merkte, dass andere Innens sich nicht als geschlechtslos wahrnehmen, sondern, dass es durchaus Innens gibt, die sich woanders auf dem Spektrum verorten oder sich selbst sogar auf diesem herumwandernd empfinden (also manchmal sehr weiblich, manchmal eher männlich, manchmal männlich, manchmal wie ich).

So entsteht in mir die Frage, ob die Verknüpfungen, die unter Gewalt entstehen, abhängig vom Selbstzustand sind.
Das Modell nach der Frage, wie viel meiner Selbstwahrnehmung bzw. meiner Selbsteinschätzung also aus dem “zum Opfer geworden sein” kommt, orientiert sich an der Idee, die Summe meiner Erfahrungen und Umwelten zu sein.
Das passt aber nicht mehr, wenn ich dann Menschen begegne, die sich gleichsam als geschlechtslos, trans, nonbinary, queer  etc. etc. etc. wahrnehmen, ohne (als Kind) sexuell misshandelt worden zu sein und erst dann sexualisierte Gewalt erfuhren, als sie sich nicht entsprechend ihrer Selbstwahrnehmung auch offen nach außen labeln und entsprechend agieren durften. (Also ja: ich persönlich halte es auch für sexualisierte Gewalt, wenn ein Transmann weiterhin Frauenperformance betreiben muss oder sich jemand, der sich als jemand ohne Geschlecht fühlt, mit “Herr” oder “Frau” angesprochen wird, weil because of fucking status quo).

Es gibt diese Haltung zu Gewalt, dass sie alles und jeden von Grund auf verändert.
Ich zweifle inzwischen mehr und mehr daran, dass das wirklich so ist.

Was mir passiert ist, hatte eine ganz eigene Dynamik mit der ich aufgewachsen bin. Da ist das Paradox: Ich hatte früher nie das Gefühl Unnormales zu erleben oder selbst unnormal zu sein- aber als klar wurde, dass es Gewalt war, fiel ich über den Rand der Welt.
Alles, was mir hätte sagen können: “Du, das ist nicht okay, wenn jemand deinen Körper manipuliert- das ist Gewalt- du kannst/ darfst/ musst das jetzt hier schlimm finden und dich so und so verändern, um damit zurecht zu kommen”, war mir nicht bewusst und spielte so überhaupt gar keine Rolle. Wenn ES passierte, dann ging es darum, dieses ES so kurz und knapp wie möglich zu halten (und mir gelang das immer am Besten, wenn ich mich eben darauf besann, dass ich _nicht bin_. Ein Jemand, aber ansonsten Nichts.
Da spielten lediglich die sozialen Rollen von “mächtig”/ “Etwas und Jemand” und “ohnmächtig”/ “Nichts und Jemand” eine Rolle. Weniger oder zumindest nicht ausgesprochen meine soziale Rolle als Kind oder mein biologisches Geschlecht.

Ich werde nie herausfinden, ob ich mich anders wahrnehmen würde, wenn ES mir nie passiert wäre. Denn es ist mir passiert und ich erinnere keine Zeit, in der das nicht so war. Ich habe mich nie anders wahrgenommen und eingeschätzt. Und ich erlebe es nicht als Verlust oder als einen Akt von Abwehr gegen meine Biologie oder soziokulturelle Rolle. Auch so ein bequemer Normengewaltmythos: Non-Cisgender und Homo- und Non-binary- Sexualität als abweichender Lebensstil, weil die Gewalt “gemacht hat”, dass die betroffenen Menschen sich und ihre Rolle und ihr Geschlecht so sehr ablehnen, dass sie ihre Genitalien nicht mehr normgerecht benutzen wollen oder können (also heterosexuell entsprechend ihres biologisch eingeteilten Geschlechtes).

In den ganzen Überlegungen traf mich ein Gedanke, wie ein Asteroid beim Wandertag, als ich das Viele- sein auch noch einmal in den Kontext hineinbrachte.
Nämlich der, dass die Gewalt, die mich zu Vielen hat werden lassen, auch vielschichtig war und sich da die Frage eröffnet: Wenn das alles nicht gewesen wäre- wie würde ich mich dann labeln?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass mein Selbstlabeling ein Anderes wäre- aber wäre ich dann ganz grundlegend auch ein anderes Jemand?

Ich glaube nicht. Aber- und das ist, was ich als größten Verlust wahrnehme- ich werde das nie herausfinden können, denn passiert ist passiert. Da ist ein Ende der Persönlichkeitsentwicklungsoptionen abgeschnitten und für immer verloren.
Alles, was ich heute zusammenführen und integrieren kann, hat sich getrennt entwickelt und in Autarkie gebracht. Ich denke, dass es wichtig sein kann, an manchen Stellen zu sehen, welche Verknüpfungen sich wo, wann und warum gebildet haben und ob sie heute noch genauso übereinstimmend mit dem jeweiligen Selbst wahrgenommen werden.

So gab es früher schon die Notwendigkeit und auch die innere Übereinstimmung damit, die Rolle eines Cismannes inne zu haben, die dann aber nach der Bearbeitung der Entstehungssituation dieses Selbsts nicht mehr als so übereinstimmend wahrgenommen wurde und in ein Selbst mit anderem Gender integriert wurde. Das Gleiche erlebten wir aber auch schon anders herum, genauso, wie ich auch schon Innens mit binärer Geschlechterzuordnung in mir integriert habe.

Am Ende wird, denke ich, ein Selbstlabeling dabei herauskommen, das ist wie es ist. Nicht mehr oder weniger hinterfragbar oder mit dem “zum Opfer geworden sein” in Zusammenhang stehend, als das, was ich jetzt an mir und anderen Innens sehe.
Es ist die Gewalt, “die machte”, dass ich mir das jetzt alles zusammensuchen muss. Aber ob sie das, was da jetzt so herumfliegt, auch alles gemacht hat?
Keine Ahnung.

Und wer weiß- vielleicht finden wir Menschen irgendwann heraus, dass unser Selbst so oder so immer anteilig gemischt ist und wir durch die Summe unserer Erfahrungen und Umwelten lediglich unterschiedlich gewichten.

Und vielleicht vielleicht vielleicht… darf dann ja auch irgendwann jeder Mensch einfach so sein, wie er sich wahrnimmt.

Vom Fühlen ins Handeln kommen

Diese Woche wurden Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie der Uni Bielefeld bekannt gegeben. Sie zeigte, dass fast ein Viertel (22,3 Prozent) von Erwachsenen oft oder manchmal geschlagen (28 Prozent davon sind Kinder ab sechs Jahren, etwa 17 Prozent Jugendliche) werden.
Die „
Bild“ hat daraus gleich mal einen Schlachtruf: „Rettet die Kinder“ gemacht und die „Taz“ stürzte sich auf die sozialen Umfelder der Kinder.

Ich saß hier und fragte mich, wieso ausgerechnet der Pharmariese Bayer diese Studie in Auftrag gegeben hat und nicht der Staat selbst. Dieser steht nämlich in der Pflicht die Menschen in diesem Land vor Gewalt zu schützen und sollte, meiner Meinung nach, folgerichtig auch dafür sorgen, dass erlassene Gesetze eingehalten werden. Indem er zum Beispiel eine Umgebung schafft, in dem Kinder zu ihrem Recht auf gewaltfreie Erziehung kommen und dies mittels Studien/ Bevölkerungsumfragen überprüft.

Mehr gibt es nämlich nicht. Nur dieses Recht auf Gewaltfreiheit. Nicht etwa: ein Verbot von Gewalt (an Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und erwachsenen Menschen).

In den letzten Jahren wird immer öfter über Kinder berichtet, die von ihren Eltern getötet, schwer misshandelt und auf verschiedene Arten gequält wurden. Es folgt eine Welle der Empörung, der „Kinderschänder an die Wand“- Rufe und Schimpftiraden auf das zuständige Jugendamt. Dann ist die Story abgenudelt und wir kommen zum Sport, zum Wetter und den Stars.

Immer wieder kommt im Empörungsrausch: „Ja wieso haben die das Kind da nicht rausgeholt?“, „Wieso wird so viel Gewalt gebilligt, bis da endlich mal was passiert?!“, Schlechte Eltern!“.

Ich persönlich, kenne keine schlechten Eltern. Aber viele Menschen, die Eltern wurden und schlecht mit ihren Kindern umgingen, weil sie es nicht „gut“ konnten oder auch nicht wollten.
Diejenigen die es nicht können, profitieren sehr von Hilfestellungen von außen und können die Gewaltspirale verlassen.
Die, die es nicht wollen, wissen entweder, wie sich sich aus dem Radar des Staates herausziehen können oder fallen durch die Raster der Möglichkeiten der Hilfen. Sie fallen erst auf (und werden zur Story), wenn ihre Kinder tot sind.

Ich habe ein gewisses Grundverständnis dafür in großer Emotion die Ratio, Ratio sein zu lassen und die Sache mit dem Weiterdenken auf später zu verschieben. In Bezug auf Gewalt an Kindern hingegen, so denke ich, sollten wir seit den Erfolgen der großen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts eigentlich langsam mal fertig sein mit dem Emotionswirken allein. Zu der Zeit begann man bereits sein Handeln und Denken zu hinterfragen und bildete die Grundlage für neue Ansätze und Umgänge, die sich bis heute immer wieder neu aufnehmen und mühelos anpassen lassen.

Wir sind soweit, dass wir Gewalt ablehnen.
Aber immer noch nicht soweit, zu gucken, wie man ohne zurecht kommt. Ob nun als Opfer oder als Täter.
Und wir denken immer noch, Heime seien besser für Kinder als ein Leben in einem Umfeld, das ihnen nicht gut tut- aber Chancen zur Veränderung hat!

Meiner Meinung nach, spielt hier mit rein, was ich im Artikel „Heim, Klapse, Knast“ schrieb: „Weggeben ist leichter als Annehmen.“. Doch wem hilft das?

Eine Familie die im Chaos lebt, dessen Spitzen sich an den Kindern entladen, hört nicht auf im Chaos zu leben und Gewaltpotenzial zu nähren, wenn die Kinder da raus sind. Die Eltern lernen keinen anderen Umgang mit ihren Kindern, wenn diese nicht bei ihnen wohnen. Sie können gebildet werden, können sich Wissen aneignen, wie ein gewaltloser und friedfertiger Umgang aussehen kann. Doch an dieser Stelle denke ich, haben wir es mit einem klassischen Fall von: „Bildung hilft- nutzt aber nix.“ zu tun.
Was nützt der beste Vorsatz und das festeste Wissen, wenn die Kinder dann wieder da sind und alle auf einmal Brechdurchfall haben, die Nachbarn auf jedes Mucken aus der Wohnung der „schlechten Eltern“ mit dem Jugendamt drohen (und damit eine Instanz, die Hilfen zu vermitteln verpflichtet ist, zur Waffe machen!) und niemand dann (und zwar genau DANN!) zur Seite steht?

Was geht in den Kindern vor, wenn sie auf einmal in ein Heim sollen?
Es hat sich viel getan in der (Heim- und auch Schul-) Pädagogik und doch ist es eine Massenverwahrungsstelle in der man die Aufmerksamkeit und Nähe zu Erwachsenen nicht nur durch die Anzahl der Geschwister, sondern die Anzahl der Mitbewohner, des Telefons, des Alltagsgetümmels teilen muss, noch während man seine Eltern vermisst, die Umgebung und Gegebenheiten verarbeiten und in sich integrieren muss, was man nach Jahren von Gewalt- und unsicheren/ chaotischen Bindungserfahrungen nur schwer bis gar nicht kann.

Ein Heimkind ist in der Regel einsam.
Alles was mit ihm zu tun hat, ist diffundiert in Behörden, Gesetze, Richtlinien und Konzepte. Für ein Kind ist das eine graue Eminenz, die alles bestimmt, doch nie mit ihm spricht.
Das Umfeld verdient an der Obhut Geld. Zeit und Raum werden zum heiligen Gral der Privilegien.

Wir wissen heute so so so viel mehr darüber was Gewalt für Folgen hat und doch nutzt uns all diese Bildung nichts, wenn wir wieder von solchen Studienergebnissen, der schrecklichen Lebensrealität von Kindern oder Gewaltopfern allgemein stehen.

Mich hat diese Studie nicht überrascht. Sie gleicht unzähligen Studien aus anderen wissenschaftlichen Bereichen und hat für mich lediglich Aktualitätswert. Außerdem halte ich es für eine Frechheit, dass sich Pharmakonzerne auf Kosten der Opfer mit einem „Wir sind sowas von sozial engagiert und nah am Menschen“- Aufkleber bedeckt, gleichzeitig aber an ihrem Leiden verdient, in dem es Psychopharmaka und andere medizinisch relevante Mittel herstellt.

Ich warte auf Lösungen und Handlungen, die solchen Zahlen entgegen wirken.
Ein Zweig davon ist bereits installiert, doch mangelhaft. Das Jugendamt und all seine Möglichkeiten zum Beispiel, Familienberatungsstellen, die dünn gesät und überlaufen sind, sowie das Modell der „
Elternschulen„.

Das Stigma der „schlechten Eltern“, ist durchschlagend und hinderlich.
„Wer ein schlechtes Elter ist, kann ja gar nichts richtig machen. Ist minderwertig/ böse/ schlecht durch und durch, vielleicht nicht ganz dicht und gehört selber auch weggesperrt.“
Wer hört, er sei ein schlechtes Elter, kommt in Anpassungsstress und den Druck es Außenstehenden recht zu machen (nicht es sich und seinen Kindern recht zu machen!). Dabei ist Druck und Stress das Letzte was jemand, der sich in Gewaltorgien Luft macht, noch braucht.
Und welches „schlechte Elter“ geht irgendwo hin und sagt: „Ich brauche Hilfe.“?

Aber welches auch „schlechte Elter“ würde es ablehnen, wenn jemand käme und sowas sagt wie: „Boa, du siehst aber schlecht aus- soll ich mal ein paar Stunden auf die Kinder aufpassen, damit du deine Sachen in Ordnung bringen und dich mal ausschlafen kannst?“- es ist eher das Elter, dass das Leid seiner Kinder wirklich will (und braucht), als das, das echt unterm Zahnfleisch läuft.

Die Annahme, dass jedes Elter das Beste tut, was es eben gerade kann, brauchen wir. Wir alle. Auch wenn wir andere Maßstäbe und Anforderungen an uns selbst haben.
Für die einen Eltern ist der Anspruch seine Kinder von 8 bis 18 Uhr  in Sprache, Sport oder was weiß ich auszubilden- für die Anderen die Kinder grundversorgt zu bekommen, ohne zum Täter an ihnen zu werden.

Ich habe die Schnauze voll davon, dass sich sogar Eltern untereinander ihre Elternschaft zum Wettbewerb machen und das in die ganze Gesellschaft hinaus tragen. Dass so oft und immer wieder die Basis- nämlich das Leben der Kinder selbst- so massiv zur Seite geschoben wird und man sich in Kürschnörkeln rund um „gut“ und „schlecht“ verliert (und dabei dann eben auch abschiebt, statt anzunehmen), nur um seine Angst vor dem Versagen als Eltern zu beruhigen.

Man ist ein Elter sobald man ein Kind gezeugt oder geboren hat. Dann ist man Mensch mit Versorgungsauftrag und Verantwortung über ein Kind. Nicht mehr und nicht weniger. Der Begriff des Versagens über diesen Auftrag allein, reicht nicht um etwas zu verändern.
Zu versagen kann immer passieren- doch das heißt nicht, dass damit immer und in jedem Fall der Auftrag als solcher abzunehmen ist. Er hat erst einmal unterstützt zu werden, vielleicht umkonstruiert zu werden.

Gewalt an Kindern geht weder weg, noch wird sie ungeschehen dadurch, dass man sie in Heimen oder Pflegefamilien unterbringt.
Gewalttäter hören nicht auf Gewalt auszuüben oder zu leben, oder zu phantasieren, wenn sie keine Opfer mehr im Haushalt haben.

Was wir wissen müssen, um Gewalt zu verhindern und zu verwandeln, wissen wir längst.
Es wird Zeit dieses Wissen anzuwenden und zwar mit allen verfügbaren Hilfsstrukturen die wir haben. Und seien es unsere eigenen zwei Hände, die wir helfend hinhalten, wenn wir sie selbst gerade frei haben.

Hinter den Bildern

Da gibt es etwas, dem ich Raum geben will.
Nochmal, vielleicht ganz explizit hier und jetzt in einem eigenen Artikel und nicht eingeflochten in die Basis des Blogs.

Antikindesmissbrauchspropaganda.
Bei Facebook. Bei Twitter. Bei StudiVz. Bei MeinVz. Bei MySpace. In den Kommentarspalten unter Webartikeln. In den (Selbsthilfe-)Foren von und für Menschen, die als Kind (sexuelle) Gewalt erfahren haben.
Überall gibt es sie. Bilder von Kindern mit Verletzungen. Das Kind in der Ecke das den Kopf auf die Knie legt und sich einrollt. Die zerschlagene Puppe. Der zerfetzte Teddy. Die Kulleraugen mit Tränen drin. Das Kind aus Täterperspektive mit dem Schatten daneben.
„Stumme Schreie, der verletzten Kinderseele, die rote Tränen weint“
Oh man…

Ganz ehrlich? Ich sehe das und möchte kotzen.
Nicht, weil ich schlicht kein Freund von plakativem Zwangsbewusstmachen bin oder, weil mich manche der Darstellungen triggern sondern, weil ich Vorstellungen transportiert sehe, die teils maximal von der Realität abweichen und sich mir oft genug eher die ohnmächtige Hilflosigkeit der Ersteller in den Kopf drückt, als der herzliche Wunsch den Betroffenen zu helfen.
Ja, es sind stumme Schreie. Ja, es geht um Verletzungen. Und ja, manche Betroffenen, weinen auch „rote Tränen“- ritzen sich lieber die Haut auf, als zu weinen.
Es ist einThema das Sichtbarkeit braucht. Das Prävention erfordert. Es ist ein Thema bei dem es um Menschenleben geht und man muss ihm Raum geben.
Aber nicht so!

Gleich mal zu Beginn: „Kindesmissbrauch“ gibt es nicht. Wo es Missbrauch gibt- muss es einen richtigen Gebrauch geben. Menschen sind aber keine Gegenstände!
Gewöhnt euch dieses Scheißwort ab! Auch wenn ihr von „Kindesmisshandlung“ oder „sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ sprecht, werden euch die Leute verstehen! Ja- es dauert etwas länger, bis man fertig gesprochen hat. Ja, es werden mehr Buchstaben gebraucht. Ja, man kann nicht mehr einfach so im laxen Rausch dahersprechen. Aber das Ergebnis ist eine klare Sprache und wenn es einen Bereich gibt, in dem Klarheit wichtig ist, dann ist es dieser.
Es darf keine Ausrede sein, dass „ja aber die ganzen Vereine und so, sich so nennen mit dem Wort drin“ oder auch, dass „ja aber in den Medien überall so geredet wird“.
Zum Einen: Nur, weil die Masse das Gleiche redet, heißt das nicht, dass sie Recht hat- gerade in Deutschland sollte uns das wohl klar sein. Oder ist das Wort „Schacherjude“ auch eines, das so richtig ist, weil es viele Jahre durch alle Medien ging und in aller Munde war?!
Und zum Anderen, sind die Medien nicht jene, die unsere Sprache bestimmen sollten- sie sollte sie abbilden, als beobachtender Zeuge- fertig! Wir sind die, die Zeitung machen- nicht andersherum!

Wenn ich mir diese Bildchen und Fotos ansehe, fällt mir ausserdem eine Art Darstellung auf, die einer Art Ideal entspricht. Es ist sauber, aufgeräumt, kalt auf der einen Seite (zum Beispiel das in die Zimmereckenwand gedrückte Kind, mit den Händen vor den Augen) und offen brutal zerstörerisch auf der Anderen (die zerschlagene Puppe).
Beides Dinge, die symoblisch sind und Dinge krass darstellen, die, an sich, nicht auf diese Art krass sind.

Sexuelle Misshandlung ist nicht sauber und gerade die Misshandlung, die über Jahr hinweg passiert, ist nicht immer offen zerstörerisch.
Was sauber ist, ist das Lächeln, dass die Opfer als Anpassung drüber schmieren. Was zerstört ist, sind nicht die materiellen Dinge und auch nicht ausschliesslich die Seele.

Und es findet eine gefährliche Darstellung von Kindern statt, die meiner Meinung nach, erst recht Täter anlockt und befriedigt. Gerade bei Facebookbildern ist mir das aufgefallen.
Süße kleine Mädchen in sachtem rosa- oder direkt gleich weißen Kleidchen, derartig ausleuchtet, dass ihre reine Unschuld, ein Gänseblümchen daneben, wie eine Schlampe aussehen lässt. Jungen mit glänzenden Lippen und großen Augen, in deren Winkel sich eine Träne befindet. Immer schön von oben nach unten fotographiert.
Ich mag es nicht weiter ausführen, aber wenn man sich vor Augen hält, dass es vielen Tätern gerade um kindliche Unschuld, Größe und Wehrlosigkeit geht, ist denke ich klar, worum es mir geht.

Weiterhin sehe ich eine große Gruppe ausgegrenzt, nämlich die heute erwachsenen Betroffenen.
Es wird sehr oft Kinderseelen gesprochen. Viele Vereine haben ihren Fokus auf der Prävention oder Aufklärung (gegenüber den Kindern). Nur sehr wenige setzen sich dafür ein, erwachsenen Betroffenen zu helfen. Ihnen zu helfen selbst nicht zum Täter zu werden oder ihnen bei der Suche nach einem Therapieplatz behilflich zu sein. Oder auch durch die ganzen Kämpfe, um die Therapie bis zur Heilung finanziert zu bekommen.

Wir leben leider nicht in einer Gesellschaft, in denen Tränen in Kinderaugen harte Herzen weich werden lässt. Wäre dem so, hätten Straftäter keinen Platz in unserer Mitte.
Was aber hier Herzen erweicht, Köpfe anspringen lässt und Hände ins Handeln zu treiben in der Lage ist, ist GELD.

Die Versorgung von Straftätern im Gefängnis. Die Therapie der Opfer. Die Verdienstausfälle von Betroffenen in der Blüte ihrer Jahre. Die Kosten für die Kompensation der körperlichen Folgeschäden von sexueller Misshandlung. Das ganze viele Geld, dass Hersteller und Verbreiter von (Kinder)Folterdokumention (Kinder“pornografie“- auch ein Wort, dass sich bitte endlich abgewöhnt werden soll!) einfahren und für sich behalten…

Genau das ist der Grund, weshalb mich diese Facebookbilder wütend machen.
Mir zeigen die Bilder, wie ohnmächtig und hilflos irgendjemand da draussen im Internet ist und wie sehr er sich wünscht, dass es aufhört. Dass es niemand anderem mehr passiert. Da steht dick und fett: „Bitte lasst uns friedlich und liebevoll miteinander umgehen. Kämpft dafür, dass nichts mehr passiert. Lasst uns die Täter alle kaputt machen- guckt doch, wie traurig und ängstlich dieses Kind ist, dem das passiert.“
Da steht nicht, dass misshandelte Kinder selten vor einem stehen und mit Kulleraugen versuchen ihr Leid zu vermitteln.
Da steht nicht, dass der prügelnde, schreiende, spuckende, einnässende, Drogen nehmende, klauende, lügende, hässliche, stinkende, schimpfende Mensch von 1,50m Körpergröße auch- genauso wie der völlig Unauffällige, derjenige sein kann, der ständig und ständig misshandelt wird.
Da steht nicht, dass die Kosten der Heilung aller, in der Folge von (sexueller) Misshandlung, erkrankten Menschen, in unserer Bundesrepublik, mehr kosten würde, als das, was die letzte Drohne gekostet hat.

Und da steht vorallem nicht, dass WIR ALLE diejenigen sind, die etwas verändern können. Nicht nur die Menschen, denen diese Art der Gewalt nicht angetan wurde, sondern alle!541602_web_R_by_Karl Dichtler_pixelio.de

Vielleicht klingt es blöd, aber an diesem Punkt stehe ich oft da und denke: Wir sind das Volk. Wieso tun nur immer wieder alle so, als sei das nicht so?
Niemand von uns sitzt dem ganzen Drama hilflos und ohnmächtig gegenüber, weil er es will- sondern, weil die Handlungsalternativen so beschränkt sind und sich niemand politisch so beschwert, wie er es privat tut .
Opferschutz gibt es derzeit nur nach Kriterienerfüllung und dann ist dieser auch noch lückenhaft. Entschädigungen gibt es nur nach Entblössung und Rechtfertigung der Opfer. An alles sind Bedingungen geknüpft, die maximal von Herz und emotionalem Hirn entfernt sind. Reglementiert von einem System in dem Geld mehr wert ist, als das zerstörte Innenleben von Menschen.
Doch statt am System zu rütteln, wird im Privaten gerüttelt und Verletzungen dadurch in Kauf genohmmen.

Ich lösche solche Bilder inzwischen rigoros aus meiner Facebooktimeline. Ich unterstütze keine Vereine mehr, die nicht mehr mir direkt helfen möchten oder zu können in der Lage sein wollen. Ich möchte das Private zu etwas Politischem machen, weil ich die Politik als das Organ betrachte, dass unser Privatleben beeinflusst, das es ist.

Ich will nicht, dass jemand von mir denkt, ich wäre ein Kind gewesen, das große Augen hatte und in der Ecke eines Kinderzimmers hockte.
Ich war ein Kind, das völlig normal großkotzig über den Schulhof gerannt ist. Ein Kind, das geklaut, gelogen, manipuliert, eingenässt und später sogar geprügelt hat.
Und heute sind wir eine Betroffene, die ihre schwarzen Momente hat. Eine von denen, die sich eben doch jeden Tag mindestens einmal erschreckt und irgendwie mit ihrer Todesangst zurecht kommen muss und überlegt, ob sie es schafft ihren Alltag und ihre Therapie zu überleben.
Aber ich bin auch  eine von denen, die sich nicht mehr ohnmächtig machen lassen will. Eine die Antworten findet und konsequent in der Durchsetzung von Veränderungen bleiben will.

Und wenn das bedeutet, dass ich Facebookbilder lösche und nicht weiterverteile, nicht öffentlich „Anti-Missbrauchs-Vereine“ unterstütze, dann ist das eben so.
Da steht etwas hinter. Mehr jedenfalls, als hinter diesen Bildern.

Erschütterungen

Jemand schrieb mir in einem Kommentar:
“ich bin immer wieder erschüttert, wenn ich deine texte lese.”
In einem spontanem Aufwall von: “Ach du je- der Arme!”, entschuldigte ich mich und schrieb, ich würde ja gar nicht erschüttern wollen mit meinen Artikeln.
Das stimmt aber eigentlich gar nicht.
Ja, doch- ich will erschüttern. Anstoßen. Impulse geben.
Nur die Grundfesten- die sollen bitte um Himmels Willen stehen bleiben bei meinen Lesern!
Mensch! Die werden doch noch gebraucht!

Ich will nicht, dass jemand nach dem Lesen meiner Artikel, weint und denkt, die Welt- die Menschen seien schlecht. Oder, dass sich jemand ohnmächtig und hilflos fühlt.

Während wir gestern so im Schneegeflimmer standen und die Flocken auf NakNak*s Fell betrachteten, habe ich darüber nachgedacht, wie ich besser ausdrücken könnte, dass es für uns normal war, Gewalt zu erleben. Und dass wir manchmal fast besser funktionieren würden, wäre das noch immer so.
Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht besser geht. Ob noch nicht oder jemals, weiß ich natürlich nicht. Ich kann sowieso nicht beeinflussen, was und wieviel hier jemand versteht. Wieviele und welche Impulse aus meinen Worten die Herzen und Köpfe meiner Leser erreichen. Vielleicht kommt alles an und die Welt eines Menschen steht plötzlich Kopf- vielleicht kommen aber auch nur Fetzen an und ich muss mir grenzüberschreitende Kommentare hinter den Blogkulissen antun.
So wie die Flocken auf NakNak*s Fell landeten, werden meine Artikel- und ihre Inhalte landen und ankommen.

Und doch möchte ich auch andere Aspekte an der uns gegenüber ausgedrückten Erschütterung (und dazugehörenden Gefühle) nicht verschweigen. Meine Unfähigkeit damit angemessen umzugehen zum Beispiel.

Ich für mich, will es eigentlich gar nicht wissen, was andere fühlen, wenn sie meine Geschichte erfahren. Ich würde gerne erstmal selbst fühlen, was ich so fühle in Bezug darauf, bevor ich mich den Gefühlen anderer stelle.
Und da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Ich habe keine Gefühle dazu. Ich erinnere zu wenig und zu blitzlichtartig/ zusammenhanglos. Und das, was ich erinnere verängstigt mich zutiefst.

Wenn ich das in Bezug auf andere Dinge habe, dann gehe ich auf meine Gemögten zu und versuche meine Gefühle zu formulieren, in der Hoffnung, dass mir Worte und Rahmen gegeben werden. Zum Beispiel: Als NakNak* plötzlich fester Bestandteil unseres Lebens wurde, lernten wir eine heutige Gemögte kennen und waren froh an ihr unsere Gefühle und auch Unsicherheiten in weiten Teilen gespiegelt zu sehen.

So zu handeln ist einer der Züge die uns Menschen dazu befähigt Kultur und Sozialität zu erschaffen.
Und es ist genau das Verhalten das jemand zeigt, wenn er mir schreibt, was meine Texte, meine Erlebnisse, meine Vergangenheit und auch Teile meines Innenlebens, in ihm auslösen. Es ist der Versuch zu ordnen, sich zu positionieren, sich selbst am oder auch im Anderen zu erkennen.

In meinem Fall trifft aber leider der Blick auf einen fast blinden (Zerr-) Spiegel.
Ich bin für mein Erleben, mein Sein und meine Geschichte als Ganzes fast komplett blind. Zu spiegeln gibt es selten mehr als das Schweigen der dissoziativen Leere und die um sich beißend- schmerzende Masse die einfach so aus mir heraus- durch mich hindurch- um mich herum brandet, die eben diese kurze Erinnerungsblitzlichter darstellen.
Oder auch: die Normalität der Gewalt, die andere Innens hier ab und an durchblicken lassen.
Jemand von ihnen hinterliess mir Folgendes für diesen Artikel:

Liebe Menschen,
kennt ihr den Schmerz der durch die Haut flitzt, wenn ihr euch beim Nähen in den Finger stecht? Autsch-ne? Braucht man nicht öfter, richtig?
Habt ihr mal nen von oben bis unten tätowierten Menschen gefragt, ob “es denn nicht wehgetan hat”?
Wart ihr ihm gegenüber genauso erschüttert, als euch der Mensch sagte, dass es das nicht getan hat?

Es stimmt- was man immer wieder erlebt wird normal- nicht weiter aufregend- nicht weiter schlimm. Das Erleben einzelner Punkte rückt in den Hintergrund und verschmilzt zu einer grauen Eminenz. Vorallem wenn man von Ergebnis überzeugt ist. Bei dem volltätowierten Menschen ist es vielleicht die Kunst auf der Haut- in unserem Falle, war es das “noch immer am Leben sein”.
Und heute erst fangen wir an zu lernen, dass es Menschen gibt, die nicht so aufgewachsen sind; dass es Menschen gibt, die solche Taten als schlimm und Unrecht bewerten; dass es Menschen gibt, die uns für so wertvoll halten, dass sie regelrecht nach- mit- leiden, wenn sie erfahren, was wir durchgemacht haben.

Doch das ist der Punkt. Es ist ein “nach- mit- leiden”. Ein rückblickendes “Nach-leiden”. Mindestens ein nach(trägliches)-empfinden.
Was genau hat das für einen Zweck?
Es ist doch schon passiert. Wir haben doch schon fertig gelitten und die Situation ist vorbei. Nun ist es nicht mehr nötig (nach-) zu leiden und mir das zu sagen.
Ausserdem scheinen ja nicht alle von uns wirklich auch immer nur gelitten zu haben- irgendwas an diesem Leben gab es ganz offensichtlich immer, dass uns am Ende half weiter zu überleben.
Es wäre doch viel sinniger, ein Bedauern auszudrücken und den Impuls des Nachempfindens auf die Gegenwart zu übertragen.
Genauso wie die Impulse, die auf eine Erschütterung aufgrund von hier Gelesenem folgen, schlau genutzt werden könnten.

Es tickt dich an, wenn du von (sexualisierter) Gewalt hörst und liest?
Dann sag das laut und deutlich! Werde aktiv und  hilf zu verhindern, dass es weiter geschehen kann!
Es erschüttert dich, wie sehr erniedrigende Objektivierung (im Rahmen von Pseudoreligiösität, pseudopolitischer Auseinandersetzung, Misshandlung und Gefangenschaft) auf allen Ebenen in einem Menschen verankert bleiben kann, selbst, wenn sie nicht mehr erfahren wird?
Dann vergiss das nicht, wenn du das nächste Mal vor jemandem stehst, der dir seine Erfahrungen damit anvertraut!
Es macht dich wütend, wenn du liest, wie schwer es ist zu heilen und Hilfen und gerechten Ausgleich zu erhalten als Opfer von Gewalt?
Dann mach nicht den Fehler und krähe nach der Todesstrafe für die Täter, sondern für angemessene Opferhilfen!
Dein Kopf gibt dir keine Sicherheit im Umgang mit einem Menschen der soviel Gewalt erlebt hat?
Dann öffne doch mal die Klappe in deinem Herzen und folge den Impulsen die dort herauskommen ein Stückchen!

Das ist, was ich hier erreichen möchte.
Und das ist, wozu eure Grundfesten so dringend gebraucht werden!
Wenn ihr das nicht erlebt habt, habt ihr die Stütze, die uns fehlt. Dann ist genau dies der Teil, der zu uns hinreflektiert wird- den Zerrspiegel ebnet- die Oberfläche blank reibt- , wenn ihr uns eine Hand reicht.
Und das ist soviel wertvoller als alles Bedauern, Wüten, (stellvertretend) Trauern und auch (teils stellvertretende) Leiden mit dem Uns von früher.

Seid erschüttert und tragt die Erschütterung weiter!