Vom Fühlen ins Handeln kommen

Diese Woche wurden Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie der Uni Bielefeld bekannt gegeben. Sie zeigte, dass fast ein Viertel (22,3 Prozent) von Erwachsenen oft oder manchmal geschlagen (28 Prozent davon sind Kinder ab sechs Jahren, etwa 17 Prozent Jugendliche) werden.
Die „
Bild“ hat daraus gleich mal einen Schlachtruf: „Rettet die Kinder“ gemacht und die „Taz“ stürzte sich auf die sozialen Umfelder der Kinder.

Ich saß hier und fragte mich, wieso ausgerechnet der Pharmariese Bayer diese Studie in Auftrag gegeben hat und nicht der Staat selbst. Dieser steht nämlich in der Pflicht die Menschen in diesem Land vor Gewalt zu schützen und sollte, meiner Meinung nach, folgerichtig auch dafür sorgen, dass erlassene Gesetze eingehalten werden. Indem er zum Beispiel eine Umgebung schafft, in dem Kinder zu ihrem Recht auf gewaltfreie Erziehung kommen und dies mittels Studien/ Bevölkerungsumfragen überprüft.

Mehr gibt es nämlich nicht. Nur dieses Recht auf Gewaltfreiheit. Nicht etwa: ein Verbot von Gewalt (an Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und erwachsenen Menschen).

In den letzten Jahren wird immer öfter über Kinder berichtet, die von ihren Eltern getötet, schwer misshandelt und auf verschiedene Arten gequält wurden. Es folgt eine Welle der Empörung, der „Kinderschänder an die Wand“- Rufe und Schimpftiraden auf das zuständige Jugendamt. Dann ist die Story abgenudelt und wir kommen zum Sport, zum Wetter und den Stars.

Immer wieder kommt im Empörungsrausch: „Ja wieso haben die das Kind da nicht rausgeholt?“, „Wieso wird so viel Gewalt gebilligt, bis da endlich mal was passiert?!“, Schlechte Eltern!“.

Ich persönlich, kenne keine schlechten Eltern. Aber viele Menschen, die Eltern wurden und schlecht mit ihren Kindern umgingen, weil sie es nicht „gut“ konnten oder auch nicht wollten.
Diejenigen die es nicht können, profitieren sehr von Hilfestellungen von außen und können die Gewaltspirale verlassen.
Die, die es nicht wollen, wissen entweder, wie sich sich aus dem Radar des Staates herausziehen können oder fallen durch die Raster der Möglichkeiten der Hilfen. Sie fallen erst auf (und werden zur Story), wenn ihre Kinder tot sind.

Ich habe ein gewisses Grundverständnis dafür in großer Emotion die Ratio, Ratio sein zu lassen und die Sache mit dem Weiterdenken auf später zu verschieben. In Bezug auf Gewalt an Kindern hingegen, so denke ich, sollten wir seit den Erfolgen der großen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts eigentlich langsam mal fertig sein mit dem Emotionswirken allein. Zu der Zeit begann man bereits sein Handeln und Denken zu hinterfragen und bildete die Grundlage für neue Ansätze und Umgänge, die sich bis heute immer wieder neu aufnehmen und mühelos anpassen lassen.

Wir sind soweit, dass wir Gewalt ablehnen.
Aber immer noch nicht soweit, zu gucken, wie man ohne zurecht kommt. Ob nun als Opfer oder als Täter.
Und wir denken immer noch, Heime seien besser für Kinder als ein Leben in einem Umfeld, das ihnen nicht gut tut- aber Chancen zur Veränderung hat!

Meiner Meinung nach, spielt hier mit rein, was ich im Artikel „Heim, Klapse, Knast“ schrieb: „Weggeben ist leichter als Annehmen.“. Doch wem hilft das?

Eine Familie die im Chaos lebt, dessen Spitzen sich an den Kindern entladen, hört nicht auf im Chaos zu leben und Gewaltpotenzial zu nähren, wenn die Kinder da raus sind. Die Eltern lernen keinen anderen Umgang mit ihren Kindern, wenn diese nicht bei ihnen wohnen. Sie können gebildet werden, können sich Wissen aneignen, wie ein gewaltloser und friedfertiger Umgang aussehen kann. Doch an dieser Stelle denke ich, haben wir es mit einem klassischen Fall von: „Bildung hilft- nutzt aber nix.“ zu tun.
Was nützt der beste Vorsatz und das festeste Wissen, wenn die Kinder dann wieder da sind und alle auf einmal Brechdurchfall haben, die Nachbarn auf jedes Mucken aus der Wohnung der „schlechten Eltern“ mit dem Jugendamt drohen (und damit eine Instanz, die Hilfen zu vermitteln verpflichtet ist, zur Waffe machen!) und niemand dann (und zwar genau DANN!) zur Seite steht?

Was geht in den Kindern vor, wenn sie auf einmal in ein Heim sollen?
Es hat sich viel getan in der (Heim- und auch Schul-) Pädagogik und doch ist es eine Massenverwahrungsstelle in der man die Aufmerksamkeit und Nähe zu Erwachsenen nicht nur durch die Anzahl der Geschwister, sondern die Anzahl der Mitbewohner, des Telefons, des Alltagsgetümmels teilen muss, noch während man seine Eltern vermisst, die Umgebung und Gegebenheiten verarbeiten und in sich integrieren muss, was man nach Jahren von Gewalt- und unsicheren/ chaotischen Bindungserfahrungen nur schwer bis gar nicht kann.

Ein Heimkind ist in der Regel einsam.
Alles was mit ihm zu tun hat, ist diffundiert in Behörden, Gesetze, Richtlinien und Konzepte. Für ein Kind ist das eine graue Eminenz, die alles bestimmt, doch nie mit ihm spricht.
Das Umfeld verdient an der Obhut Geld. Zeit und Raum werden zum heiligen Gral der Privilegien.

Wir wissen heute so so so viel mehr darüber was Gewalt für Folgen hat und doch nutzt uns all diese Bildung nichts, wenn wir wieder von solchen Studienergebnissen, der schrecklichen Lebensrealität von Kindern oder Gewaltopfern allgemein stehen.

Mich hat diese Studie nicht überrascht. Sie gleicht unzähligen Studien aus anderen wissenschaftlichen Bereichen und hat für mich lediglich Aktualitätswert. Außerdem halte ich es für eine Frechheit, dass sich Pharmakonzerne auf Kosten der Opfer mit einem „Wir sind sowas von sozial engagiert und nah am Menschen“- Aufkleber bedeckt, gleichzeitig aber an ihrem Leiden verdient, in dem es Psychopharmaka und andere medizinisch relevante Mittel herstellt.

Ich warte auf Lösungen und Handlungen, die solchen Zahlen entgegen wirken.
Ein Zweig davon ist bereits installiert, doch mangelhaft. Das Jugendamt und all seine Möglichkeiten zum Beispiel, Familienberatungsstellen, die dünn gesät und überlaufen sind, sowie das Modell der „
Elternschulen„.

Das Stigma der „schlechten Eltern“, ist durchschlagend und hinderlich.
„Wer ein schlechtes Elter ist, kann ja gar nichts richtig machen. Ist minderwertig/ böse/ schlecht durch und durch, vielleicht nicht ganz dicht und gehört selber auch weggesperrt.“
Wer hört, er sei ein schlechtes Elter, kommt in Anpassungsstress und den Druck es Außenstehenden recht zu machen (nicht es sich und seinen Kindern recht zu machen!). Dabei ist Druck und Stress das Letzte was jemand, der sich in Gewaltorgien Luft macht, noch braucht.
Und welches „schlechte Elter“ geht irgendwo hin und sagt: „Ich brauche Hilfe.“?

Aber welches auch „schlechte Elter“ würde es ablehnen, wenn jemand käme und sowas sagt wie: „Boa, du siehst aber schlecht aus- soll ich mal ein paar Stunden auf die Kinder aufpassen, damit du deine Sachen in Ordnung bringen und dich mal ausschlafen kannst?“- es ist eher das Elter, dass das Leid seiner Kinder wirklich will (und braucht), als das, das echt unterm Zahnfleisch läuft.

Die Annahme, dass jedes Elter das Beste tut, was es eben gerade kann, brauchen wir. Wir alle. Auch wenn wir andere Maßstäbe und Anforderungen an uns selbst haben.
Für die einen Eltern ist der Anspruch seine Kinder von 8 bis 18 Uhr  in Sprache, Sport oder was weiß ich auszubilden- für die Anderen die Kinder grundversorgt zu bekommen, ohne zum Täter an ihnen zu werden.

Ich habe die Schnauze voll davon, dass sich sogar Eltern untereinander ihre Elternschaft zum Wettbewerb machen und das in die ganze Gesellschaft hinaus tragen. Dass so oft und immer wieder die Basis- nämlich das Leben der Kinder selbst- so massiv zur Seite geschoben wird und man sich in Kürschnörkeln rund um „gut“ und „schlecht“ verliert (und dabei dann eben auch abschiebt, statt anzunehmen), nur um seine Angst vor dem Versagen als Eltern zu beruhigen.

Man ist ein Elter sobald man ein Kind gezeugt oder geboren hat. Dann ist man Mensch mit Versorgungsauftrag und Verantwortung über ein Kind. Nicht mehr und nicht weniger. Der Begriff des Versagens über diesen Auftrag allein, reicht nicht um etwas zu verändern.
Zu versagen kann immer passieren- doch das heißt nicht, dass damit immer und in jedem Fall der Auftrag als solcher abzunehmen ist. Er hat erst einmal unterstützt zu werden, vielleicht umkonstruiert zu werden.

Gewalt an Kindern geht weder weg, noch wird sie ungeschehen dadurch, dass man sie in Heimen oder Pflegefamilien unterbringt.
Gewalttäter hören nicht auf Gewalt auszuüben oder zu leben, oder zu phantasieren, wenn sie keine Opfer mehr im Haushalt haben.

Was wir wissen müssen, um Gewalt zu verhindern und zu verwandeln, wissen wir längst.
Es wird Zeit dieses Wissen anzuwenden und zwar mit allen verfügbaren Hilfsstrukturen die wir haben. Und seien es unsere eigenen zwei Hände, die wir helfend hinhalten, wenn wir sie selbst gerade frei haben.

von der richtig echten Prävention von (sexueller) Misshandlung an Kindern

Mich treibt schon seit einer ganze Weile etwas um.
Es geht um die Frage, ob mir der Missbrauchspräventionskram genutzt hätte oder nicht.

Klar, machen wir uns nichts vor, diese Frage ist nichts weiter als eine Variation des “kleinen Warum?´s”. Immer wieder die Frage, ob es etwas gegeben haben könnte, dass mich davor hätte bewahren können, so verletzt und ausgebeutet zu werden. Und selbstverständlich immer mit dem lauernden Paar Augen dahinter, ob ich denn vielleicht einfach doch alles gewollt habe und Chancen, die sich eröffneten einfach ungenutzt ließ, weil ich es ja doch irgendwie toll fand von jemandem besessen zu werden. Etwas Besonderes zu sein. Ein besonderes Geheimnis zu haben.
Ich habe diesen Zug in mir, diesen arroganten Geltungsdrang. So ein Innen, das es schön findet für andere wichtig zu sein, sogar ein richtiger Leader zu sein und (be)geachtet zu sein. Vielleicht war das ja früher schon so und ich hab das Leiden angenommen, weil ich das Ergebnis so toll fand?

>Dann aber fallen wir mir Bilder in den Schoß, stolpere ich über Briefe und werde urplötzlich von Gefühlen der absoluten Angst und apokalyptischen Schmerzes überschwemmt. Dann sitze ich mal in einer Therapiestunde und merke, wie verdammt schwer es fällt, dort zu sitzen und einfach nur angeguckt zu werden. Was für eine Scham, was für ein Gefühl von Nacktheit dann wütet.
Und plötzlich weiß ich dann, dass keine Führerpersönlichkeit auf der ganzen Welt so einen Preis zu zahlen bereit ist, für so ein kurzes Gefühl der Bestätigung.

Ich schrieb die Frage an mein Innen, ob mit uns als Kind über sexuelle Misshandlungen gesprochen wurde, über Sex mit Erwachsenen, über Privatsphäre, über “gute und schlechte Geheimnisse”, gab es eine Aufklärung? Wurden Kinderrechte in der Schule erklärt?
Eine Antwort war: Nein.
Eine Antwort war: Wann denn?
Und eine Antwort war: Es gab im Fernsehen mal die Serie “Die Rechte der Kinder” , die hab ich mal heimlich im Fernseher von F. geguckt.
Meine Antwort war: Ich habe erst mit 16 gelernt, wie Babys genau entstehen, nachdem mich jemand gezielt fragte, ob ich das wüsste.

Als das Thema in der Grundschule dran war, waren wir “krank”. Als das Thema am Gymnasium dran war, wurde ich in der Stunde “krank”. Freunde, Verbündete oder Pausenhofgespräche zum Thema gab es nicht (und wenn doch, dann schätze ich mal ganz frech, wird genau dieses Thema der Grund gewesen sein, weshalb es spätestens DANN keine Freunde mehr gab).
Heute gibt’s richtige Projektwochen für die Kinder in den Grundschulen. Ob die Kinder in der Zeit fehlen dürfen? Gibt es eine Teilnahme- eine Informationspflicht? Gibt es eine Pflicht für Eltern solche Informationen an ihr Kind dringen zu lassen?
Ich schaute mir die Hefte der deutschen BZgA zum Thema Aufklärung, Missbrauchsprävention und Verhütung an und plötzlich wurde mir klar, wieso selbst diese Hefte uns nicht hätten vernünftig aufklären und helfen können.

Zum einen die Art wie ich Zugang zu ihnen fand.
Heute klickt man sich durchs Internet und findet schnell viele Informationen. (Wobei schon hinterfragenswert ist, wie günstig dieser Kanal bei dem Thema ist.) Besser finde ich persönlich, aber nachwievor die Papierform für solche Themen. Man merkt, dass es echt ist. Dass es ein echtes Thema ist und wichtig genug, um nicht nur als Textbild im Internet herumzuschwirren.
Aber wo genau bekomme ich Zugang zu solchen Heften in der Realität?
In der Regel genau dort, wo ich mich hinwende, wenn es schon zu spät ist. Beim Gynäkologen, in der Frauenberatungsstelle, beim Psychologen oder Berater, beim Rechtsanwalt, beim Jugendamt, bei der BZgA, vielleicht noch in der Bücherei (wenn ich mich denn traue “sowas peinliches” öffentlich anzugucken) oder meinem Arzt.
Niemals habe ich einen Flyer vom Frauenhaus, dem Kindernotruf oder überhaupt einem Sebstbestimmungsrelevanten Thema  in einer KiTa rumfliegen sehen, nie im Supermarkt oder an einer Bushaltestelle einen Aushang mit Notrufnummern (wobei hier schon ab und an Aufkleber der Notrufe auftauchen, um dann 3 Wochen später von der Stadtreinigung abgekratzt zu werden). Auf Kinderspielplätzen sehe ich immer nur Schilder auf denen steht, was für die Kinder verboten ist- nie was dort für die Erwachsenen verboten ist! In der Uni wird man (wenn man es drauf anlegt) mit feministischen Pamphleten zugeknallt- aber die Basics bleiben verschwiegen (das ist ja eh so ein Problem des Feminismus: heute sollte man mindestens studiert haben, um den Diskussionen noch folgen zu können).
Unsere Lebensrealität hingegen war so abgeschlossen, dass wir nirgends ein solches Heft hätten lesen können (und was losgegangen wäre, wenn wir sowas zu Hause gehabt hätten… allein die Idee wird mir von meinem Gehirn mit einem Schauer über den Rücken quittiert).

Zum Anderen die Sprache.
Teile meines Innenlebens haben bis heute keine Bezeichnungen für alle Teile des Körpers. Oder sie haben welche die von Tätern stammen. Oder sie haben welche in einer anderen Sprache als Deutsch. Oder sie wissen gar nicht, dass sie diese Körperteile haben. Oder ihre Angst ist so groß, dass sie nie in der Lage sind Zugriff auf das Sprachzentrum zu haben. Oder sie begreifen den Körper grundsätzlich nicht als etwas, das zu ihnen gehört. Diese Teile meines Innenlebens aber lebten mein Leben als Kind.
Es gibt so eine Phase in der Grundschule in der die Worte “Po” ” Pimmel” “Möse” DER Renner sind und über die man sich rund und eckig lacht. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir diese Phase auch mitgenommen haben. Aber ob es einen Bezug zwischen sich und diesen Worten gab? Schaue ich genau hin, sehe ich genau wieder die Spaltung wie in allen anderen Bereichen auch.

Die gesamte Aufklärung um das Thema sexueller Misshandlung und körperlicher Gewalt allgemein, ist hochgradig abhängig von einem Bezug des Kindes zu seinem Körper, als etwas das ganz allein (zu) ihm gehört. Bei uns ist genau dieser Bezug schon im Kindergarten weg gewesen. Schon damals war klar, dass der Körper immer und immer genau dem gehört, der ihn sich nimmt. Egal, ob er fragt oder nicht. Egal, ob es eine Zustimmung auf irgendeiner Ebene gibt oder nicht.

Was Erwachsene sagen ist immer Gesetz. Für Kinder gibt es da keine Alternative. “Die Großen” haben immer recht und man darf sie nicht hinterfragen.
Und eigentlich ist genau das noch der allergrößte Haken, der sogar noch mit am Liebsten unter den Teppich gekehrt wird, wenn es darum geht zu überlegen was Kinder (und ganz eigentlich alle Menschen egal wie alt sie sind) vor Missbrauch und Gewalt schützt.
Das Nein von Kindern (und Menschen die schwächer als andere sind) gilt Nichts!
Wir hier in Deutschland kommen uns wer weiß wie kinderfreundlich vor, weil wir unseren Nachwuchs durch die Schule gängeln fördern und erst dann körperlich arbeiten lassen und nicht wie in Indonesien, Indien und Afrika schon mit 5-6-7 Jahren hinter den Webstuhl oder die Nähmaschine stellen. Wir halten uns für superfortschrittlich und gnädig erbarmend wenn wir Gesetze schaffen, die Kinder als besonders schützenswert und hilflos (unmündig) gelten lassen. Doch unseren Umgang und unsere Haltung hinterfragen wir nicht!

Wir erwarten von Kindern stumm, tumb, brav und stetig uns gefallend zu sein. Wir tun das nicht mehr im Jahrhundertwendestil, indem wir ganz offen verlangen von ihnen mit “Herr Vater und Frau Mutter” angesprochen zu werden oder hinnehmen, dass sie in der Schule für falsche Antworten und als unangemessen bezeichnetes Verhalten körperlich misshandelt werden. Aber ganz subtil vermitteln wir Erwachsenen unseren Kindern auf so ziemlichen allen ihnen wichtigen Ebenen, dass sie nichts zu bestimmen haben und ihre Sicht der Dinge nebensächlich ist.
Der Kosmos von Kindern ist klein aus unserer Sicht und das Bisschen das sie haben, müssen wir noch unsichtbar machen, weil das kleine Bisschen uns Teile unseres Alltags unbequem macht.

Schönes Beispiel das klassisch schreiende Kind im Supermarkt.
Das Kind (sagen wir, es ist 4 Jahre alt) am Ende des Tages: total übermüdet, wird in den so ziemlich stressigsten (weil reiz- vollsten) Bereich des Alltags mitgeschlürt, weil den Eltern eingefallen ist, dass sie “noch schnell mal” was einkaufen müssen. Für die Erwachsenen sind es 20 Minuten. Für das Kind STUNDEN, die es seinen Körper wach halten, Reize filtern, Wünsche zurückhalten und obendrauf noch “lieb” sein muss.
Was macht das Kind? Es ist natürlich nicht mehr “lieb”, natürlich fängt es an zu quengeln und rumzunerven. Was machen die (meisten) Eltern? Sie sagen dem Kind es soll still sein; aufhören so ein Theater zu machen (mir ist ehrlich gesagt egal, warum sie das tun- ich weiß aber, es gibt genug Eltern die das machen, weil es ihnen schlicht peinlich ist “wenn das Kind so einen Terror macht”).
Sie bürden dem Kind ein Verhalten auf, das nicht dem Ausdruck seiner Verfassung entspricht. Und oft genug auch eines, dass ihrer kindlichen Biologie widerspricht (Stichwort “Schlaflern”programme für Säuglinge und Kleinkinder).>

Sie verlangen von dem Kind unsichtbar und ohne Stimme zu sein.

Und Erwachsene verlangen diese Unsichtbarkeit und Stummheit ständig von Kindern. Kinderzimmer sind meiner Meinung nach auch gerne mal Unsichtbarmachkammern. “Geh in dein Zimmer und denk nach, was du getan hast”. Fernsehverbote- meiner Meinung nach die effektivste Methode das Kind aus dem Wohnzimmer zu verbannen (es wieder unsichtbar zu machen). “Stille Treppen”- ja geht’s denn bitte noch offener? In der Schule heißt es nicht nur in der Stunde “Psst!”, oft genug heißt es das auch noch auf dem Pflaster des Schulhofs.

Wer gegen (sexuelle) Kindesmisshandlung sein will, muss für guten Umgang mit Kindern sein.
Wer (sexuelle) Gewalt an Kindern verhindern will, muss die Ursachen sehen, anerkennen und sein Verhalten modulieren. Aber diese Bereitschaft gibt es nicht überall.
Man muss sich klar machen, wie oft man Kindern vermittelt ihre Wort hätten kein Gewicht. Und dann ist auch ganz offensichtlich, wieso viele Kinder nicht gleich sagen, wenn ihnen jemand weh tut.
Warum viele Kinder sehr leicht in ihren Wunschäusserungen zu manipulieren sind. Warum sich viele Kinder schnell „an Fremde binden” und sich von ihnen abhängig machen bzw. ihnen ihre Wünsche erfüllen wollen.

Es wird zum Beispiel gewünscht, dass Kinder wenig fremdeln bzw. konträr zu ihrer Natur: früh damit aufhören- am Allerbesten gar nicht erst damit anfangen.
Fremdeln stört beim Abgeben in die Krippe, weil es sich kaum eine Familie noch leisten kann (und es auch gar nicht mehr als Luxus betrachtet wird!) sein Kind bis es 3 Jahre alt ist zu Hause zu haben und mit den gleichaltrigen Nachbarskindern spielen zu lassen, während man selbst den Haushalt macht und Zeit mit ihm verbringt. Fremdeln stört wenn man ausgehen will „endlich mal 6 Wochen nach der Geburt”. Fremdeln stört immer, weil man Kinder immer und überall in ihrem Sein als störend betrachtet.
Weil man aber Kindern ihr Sein nicht austreiben kann, wird aberzogen, was verhindert sie woanders hinzugeben. In diesem Fall die biologisch sehr sinnvolle Furcht vor allen Menschen die nicht Mama und Papa sind.
Und das passiert oft so gründlich, dass ein Kind eine enge Bindung zu auch einem es missbrauchenden Babysitter aufbaut und ihm gefallen will. Und wer teilt schon gern ein Geheimnis mit Menschen, mit denen man weniger oft spielt, lacht, weint oder allgemein einfach beisammen ist?

Mir schießen jedes Mal die Tränen in die Augen, wenn ich merke, wie viel Macht Erwachsene über Kinder haben und es nicht merken, nicht wertschätzen und verächtlich schnauben, wenn man es ihnen sagt.
Lehrer, Kindergärtner, Krippenerzieher, Ausbilder, Betreuer in einer Einrichtung… jeder Erwachsene der 8 Stunden pro Tag mit einem Kind zusammen ist, dass er nicht selbst geboren oder gezeugt hat, verbringt ein Drittel des Tages mit ihm. Das ist unter Umständen genau das Drittel des Lebens eines Kindes, dass es in relativer Sicherheit und Freiheit lebt, wenn es zu Hause Gewalt erlebt. Und was passiert in diesem Drittel ständig und wiederkehrend?
PSSST
Sei unsichtbar und still, damit du ein normaler, leistungsstarker, gesellschaftsfähiger Mensch wirst!
Aber- wenn was ist, kannst du es ruhig sagen.
Ein Doublebind, wie ihn MisshandlerInnen ebenfalls gern einsetzen.

Woher zum Geier sollen Kinder so sicher wissen, wann sie etwas (aus)sagen dürfen und wann nicht?! Wann ihnen zugehört wird und wann nicht? Wieso sollen die Kinder das überhaupt wissen? Wieso müssen nicht wir Erwachsenen dafür sorgen, dass die Kinder jederzeit und immer und alles sagen dürfen und können was sie umtreibt- ohne groß nachzudenken?

Wieso verstecken wir uns hinter großen Präventionspaketen aus Plakaten, Ausmalbildern und Phrasen, wenn der Grundstein nämlich die offene Kommunikation und die sichere Bindung noch immer nicht gegeben ist? Nicht möglich ist, weil nicht finanzierbar und oft genug gesellschaftlich nicht als selbstverständlich anerkannt ist? Nicht einmal da, wo die Hilfe walten soll, wenn alles schon zu spät ist!

Wieso gibt es Schleifen gegen Kindesmisshandlung, aber keine Schleifen für den richtigen Umgang mit Kindern? Wieso gibt es Projektwochen für Kinder in denen sie im Rollenspiel mit anderen Kindern (! nicht Erwachsenen!) lernen “Nein” zu sagen, aber keine Projektwochen für Eltern, gratis zum Windelpaket von Pampers, in denen sie lernen, mit ihren Kindern genauso offen und rücksichtsvoll umzugehen, wie sie es sich im Umgang mit anderen Erwachsenen wünschen?

Wissen wir Erwachsenen überhaupt wie wir selbst behandelt werden wollen? Merken wir das überhaupt noch? Und wenn ja: Setzen wir das dann überhaupt durch?
Wie oft legt ein Vater sein Kind übers Knie, weil er selbst übers Knie gelegt wurde und ihm auf die Schnelle keine andere “Strafe” einfällt? (Für ein Verhalten, dass er nur deshalb als bestrafenswert einschätzt, weil er selbst es als “eine Strafe rechtfertigend” vorgesetzt bekam oder von der grauen Masse, die wir oft alle lapidar als “die Gesellschaft” bezeichnen, vorgeschrieben bekommt!)
Wie oft quälen Mütter ihre Töchter in Essstörungen, weil sie ihren eigenen Missbrauch mit Nahrungsmittelfixierung und strikter Kontrolle aller Lebensbereiche kompensieren, ohne es bewusst zu haben?

Es ist so schräg. Fast bin ich dankbar, dass mich meine Geschichte so derartig hat selbstgefährdend werden lassen, dass es unübersehbar wurde. Dass meine Not in seiner Sprache nicht mehr unsichtbar gemacht werden konnte.
Um zurecht zukommen muss ich mich stellen, mir bewusst machen, was welche Gefühle und Affekte in mir auslöst. Mir wird mit diesem Artikel sehr deutlich, was mir- uns früher sehr viel mehr geholfen hätte, als jede aufklärende Präventionsmaßnahme.

>Wir brauchen echte Philanthropie in starken eigenverantwortlichen Erwachsenen, die mutig sind und Kinder als Mitmenschen wie sie selbst sehen können und wollen.
Solche Menschen hatte ich einfach leider nicht in meiner Umgebung. Ich, als Kind, habe alle meine Energie in meine Zerstörung gebracht, weil es sich nicht gelohnt hätte, sie weiter an die Erwachsenen in meiner Umgebung zu richten.

Heute ist, im Zuge dieser schiefen Präventionierei, wenigstens das nicht mehr Tabuthema und damit dann doch schon ein kleiner Erfolg. Man weiß um die Folgen von (sexueller) Misshandlung.
So ist zwar das ursächliche Leiden nicht präventioniert, aber wenigstens ein bisschen der Tod dadurch.

Mehr als das was es mir half, hätte das derzeitige Präventions- und Aufklärungsmaterial also nie helfen können.
Ich hätte also auch mit vollem Zugang und vollem Sprachvermögen nicht wirklich mehr Chancen auf eine Rettung gehabt.

Pinocchio und mein Unverständnis

Ja, ich habs mit Disney… dies gleich mal vorweg.
Ich möchte aber mal sagen, dass das eigentlich nicht soviel mit dem Label oder der Marke an sich zu tun hat, sondern mit dem Image und der Rolle, die ich in bzw. hinter diesem Namen sehe.
Ich möchte nur mal draufzeigen und offen hinterfragen

Ich versuche die (für mich neue und fremde) Welt  zu verstehen, in der ich nun lebe- also stelle ich Fragen. So auch bei der Geschichte des kleinen Holzkopfes- oder wie wir ihn vermutlich alle kennen: des “Pinocchios”.

Eigentlich begann die Frage mit folgender Begegnung.
Wir haben einen männlichen Kontakt der uns erzählte, dass seine Tochter klar wann immer sie will und es braucht, bei ihm im Bett schlafen darf und deren Freundinnen auch. Klar- oh wei oh weh- sowas darf er natürlich niemandem sagen- wie das schon klingt: “Ich habe meine Tochter mit in meinem Bett gehabt, (deshalb hatte ich so wenig Schlaf und sehe aus wie ein Zombie aber danke der Nachfrage- ich hoffe auch, der Wachstumsschub ist bald durch und das Kind braucht mich nicht mehr so oft auf diese Weise…)”
Mir fiel dabei auf, dass es alleinerziehende Väter oder auch einfach die Väter nach einer Scheidung allgemein echt schwer haben ( auch in ihrer Position- nicht nur allein als Mann “an sich”). Ständig beäugt “ob da nicht doch was im Busche ist”, immer wieder in ihren Kompetenzen hinterfragt und kritisiert. Furchtbar! Als ob Mütter von Natur aus, ihre Tochter nie in ihrem Bett  vergewaltigen könnten oder in der Erziehung absolut und immer das super Händchen haben!

Naja und dann ging es weiter in meinem Kopf und ich dachte: Wieso hatte eigentlich niemals jemand den Wunsch von “Meister” Gepetto hinterfragt, einen echten Jungen zu haben? (Und by the way- wieso finden es alle so normal, dass ein “Meister” (da isser wieder) Eder einen männlichen kleinen Kobold und Petterson eine sprechende männliche Katze bei sich wohnen hat?)
Was ist das für ein Typ der sich ne Puppe bastelt, sie “Holzkopf” nennt und sie gern lebendig hätte?

Puppen sind das älteste dem Menschen nachempfundene Objekt mit dem sich selbige befassen. Erst als Kultobjekt und dann als Spielzeug. Auch eine seltsame Wandlung, nicht wahr? Ist es nicht schon ein Anzeichen sich selbst erst in Stellvertretung (als Art oder Wesen der Natur) zu vergöttern und dann zum Spielzeug zu degradieren?
Seit wann sind Puppen- stumpfe, tumbe, dumme, stumme, als Projektionsfläche für alles und Jeden geeignete Gegenstände- reine Kinderspielzeuge?
Meine Antwort bis jetzt lautet: Seit es nötig, möglich, allgemein anerkannt und gewollt ist Kinder stumpf, tumb, dumm, stumm und als Projektionsfläche für alles und Jeden zu miss- ge- brauchen!

Ein Meister Gepetto fühlte sich einsam (mehr wollen wir ihm mal nicht unterstellen!) und schnitzte sich ein Ebenbild, um einen Ansprechpartner zu haben. Er wünschte sich eine Antwort und zack, kam eine Fee herein, machte den ungehobelten Holzkopf zu einem Wesen das immerhin in der Lage ist zu denken, sich ein Urteil zu bilden und sogar zu sprechen!
Doch die Verantwortung zur vollständigen Erfüllung des Wunsches seines Erschaffers wird dem Kind aufgedrückt.
Damit es ein echter Junge wird, muss es lernen Recht von Unrecht, gut von böse zu unterscheiden, immer schön brav sein und zur Schule gehen. Es darf nicht faul sein, es soll immer gehorchen… Es soll möglichst stumpf zur Schule gehen, dumme und tumbe Arbeiten verrichten, stumm allen Wünschen der Erwachsenen gehorchen und dabei immer ganz genau so sein, wie es der Erwachsene der vor ihm steht gerade in diesem Moment erwartet.

Wer schon einmal in die Familienstrukturen geguckt hat, in denen (sexuelle) Misshandlung geschieht, der kann sich spätestens jetzt beantworten welche Ansprüche genau diese Art von Gewalt begünstigen.

Pinocchio ist wunderbar renitent und frech zu Beginn und weil er seinen “Meister” so liebt und ihm gerne jeden Wunsch erfüllen möchte, tut er alles was ihm mit seinen begrenzten Mitteln und Fähigkeiten möglich ist. Im Disneyfilm schauen wir der weniger krassen Variante der Unterwerfung eines Kindes zu, als noch in dem Buch beschrieben wird.
Wir sehen wie leicht es ist Kindern einzureden was Erwachsenen gefällt. Was Erwachsene sich wünschen. Was man alles muss und was man alles nicht darf um Erwachsenen zu gefallen. Und wir sehen auch was Erwachsene alles dürfen. Das Ende des Films zeigt einen echten Jungen. So wie Erwachsene ihn wollen.
Toll ganz toll.

Nun darf mir gern entgegenhalten werden, dass der Disneyfilm von 1940 und die Bücher von 18hundertschießmichtot sind. Angeschaut werden sie aber noch heute!
Und noch heute ist es so, dass Kinder nicht (oder mindestens nicht genug) danach gefragt werden, was sie gern möchten! Was sie für sich brauchen. Was sie für sich schön und angenehm finden und was nicht. Und wenn doch richtet sich kaum jemand wirklich danach!
Und wenn die Eltern sich dann doch (auch) danach richten, dann sollen sie das bloss nicht zu oft machen, weil sie damit die Kinder ver-ge- wöhnen, ver- er- ziehen, sich angeblich nicht genug Respekt verschaffen, die Kinder ihnen irgendwann auf der Nase herum tanzen… Ihre Kinder angeblich keine normalen, ehrlichen, aufrechten, klugen Erwachsenen werden.

Wie kommt es, dass sich viele viele Menschen den Film angesehen haben und nachwievor der Meinung sind, Kinder würden sich aus den Wünschen und Hoffnungen der Erwachsenen nichts machen?

Und für mich, als inzwischen erwachsenes Opfer von sexueller Misshandlung, bekommt diese Frage noch eine weitere Schleife, nämlich:
Wie kann es sein, dass tausende Menschen sehen wie ein Pinocchio sich aufopfert um seinem Meister zu entsprechen- ich aber gefragt werde, wieso ich gegenüber meiner Mutter oder meinem Vater nie gesagt habe: “Nein- ich will keinen Sex mit dir haben!” ?