Gewalt leben, Gewalt spielen – eine Notiz

Mein letzter Spielzug und es hat nix genutzt. “Mau, jetzt hab ich kein Leben mehr”.
Ich meine die 5 Freiversuche ein Level Candy Crush Saga zu spielen, doch ich sage: “Ich habe kein Leben mehr.”. Was das in meinem Gehirn macht, weiß ich nicht, aber vermutlich ist die Botschaft nun, ohne einen weiteren Versuch gegen blöde Schokolade, nervige Wirbeltornados und Bomben, die mein Spiel begrenzen, kein Leben mehr zu haben.

Um die Botschaften, die mit dem Spielen von Computerspielen (und anderen Medien) einher gehen, drehen sich auch die Videos der  YouTuberin Anita Sarkeesian, die Anfang der Woche den zweiten Teil ihrer Analyse zu weiblichen Spielcharakteren als nicht spielbare Sexobjekte veröffentlichte und dabei auf die Funktion von Gewalt (an Frauen) in Videospielen einging. Die Reaktion auf den Film war ein Shitstorm, widerliche Twitternachrichten, Stalking, Bedrohung ihrer Person und ihrer Familie. Die Medien berichteten und in meiner Twittertimeline gibt es hier und da Diskussionen zum Thema.

Ich weiß nicht mehr, ob es die Morde von Littleton, Winnenden oder Erfurt waren- wann haben wir gelernt, dass Marilyn Manson, gewalttätige Computerspiele und “dieses Internet” schuld an den Gewalttaten der Jugendlichen ist?
Nun, nach #Outcry, #Aufschrei und #YesAllWomen erscheint es mir sehr logisch in der Argumentation eine Verbindung in Sexismus als Norm (in dem Kontext unserer westlichen Kultur) und zwischenmenschlicher physisch destruktiver Gewalt in Spielen jeder Art aufzuzeigen. Die Schlüsse, die gezogen werden, sind, für meinen Kopf jedenfalls, aber schief.

Ich glaube, dass wir Spiele mit diesen Elementen haben, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der es diese Elemente gibt. Nicht anders herum.
Beinahe jeder Film, jede Serie und allgemein hauptsächlich visuelle Medien enthalten sexistische Machthierarchien und legitimieren so degradierende Verhaltensweisen der AkteuerInnen*. “Der verhält sich so, weil er in der Serie diese und jene Rolle hat” – das ist ein Satz aus dem Frontallappen. Kühl durchdacht, im bestehenden Kontext abgewägt- alles erscheint legitim und logisch.
Warum sollte es bei Computerspielen anders sein?
ForscherInnen* der Uni Bremen haben an einer winzigen Gruppe Versuchspersonen (männliche* Versuchspersonen- und ja, das ist relevant) herausgefunden, dass Computerspiele und ihre Inhalte tatsächlich woanders verarbeitet werden, als Inhalte von Gewalt aus anderen Kontexten*.

Das Gefühl, dass das Eine (Gewalt im Spiel = Frontallappen) mit dem Anderen (Gewalt als Ereignis außerhalb des Spiels = limbisches System “Alarmteil des Gehirns”) überhaupt nichts zu tun hat, ist also nachvollziehbar.
Aber: Sie haben nur bewiesen, dass es einen Unterschied gibt – nicht den größeren Rahmen gespannt*.

Wie ging es den Versuchspersonen, die männlich sozialisiert wurden, männlich privilegiert sind und entsprechend spezifische Verarbeitungsmöglichkeiten der dargebotenen Gewaltszenen haben, nach dem Versuch?
Was war das Erste, was sie danach getan haben? Wie kurz oder lang nach der Präsentation haben die Versuchspersonen Aktivitäten, wie Sport, wohltuende (nah, warm, freundschaftlich, liebevoll) soziale Interaktionen und auch Computerspiele zu spielen, aufgenommen und welchen Effekt hatten diese Handlungen auf sie?

Diese ForscherInnen* haben auf ihren Monitoren gesehen, dass die Gehirne ihrer Versuchspersonen weit entfernt von cooler Überlegung waren, als sie Gewalt ohne Spielkontext aufnahmen. Häkchen dran und fertig. Mehr wollte man offenbar nicht wissen.

War eine der Versuchspersonen zufällig jemand, der animieren kann? Jemand, der mal ein Computerspiel entwickeln könnte?
Wie groß waren der Hippocampus der Versuchspersonen jeweils? Gab es Hinweise auf Atrophie in der Region (das gilt derzeit als Hinweis auf (Beweis für) Verarbeitungsstörungen durch wiederholte Überreizung = Traumatisierung)?
Wer von den Personen hatte Gewalterfahrungen (von Gewalt als Ereignis, wie zum Beispiel Misshandlung an sich oder Zeugenschaft von Misshandlung anderer Personen) in der Vorgeschichte oder hat einen wenig bis gar nicht anerkannten Job/ eine Beziehung in der die Person erniedrigt wird?

Meine Ressourcen reichen leider nicht soweit, dass ich mit Quellen, die jünger als der Spruch von Pierre Janet “Wer sein Trauma nicht verarbeitet hat, muss es reinszenieren” argumentieren kann, aber ich glaube auch nicht, dass es von der Hand zu weisen ist als Option.
Wer permanent von Sexismus umgeben ist; wer permanent (oder: ein paar Mal extrem und langfristig überfordernd (traumatisierend) ) von der Erniedrigung, Degradierung, Ermordung, Reduktion auf Biologie und Sexualität von Personen umgeben ist, der lebt nicht in einem Umfeld, in dem es okay ist, sich selbst (sicher bzw. ohne Verluste auf irgendeiner Ebene) als darunter leidend, daran verletzt, davon berührt zu markieren.
Der entwickelt Gedanken und Phantasien, den grundlegenden Wunsch nach Möglichkeiten, selbst solche Situationen in irgendeiner Form kontrollieren, beeinflussen, beherrschen zu können. Der erfindet vielleicht Computerspiele, vielleicht Romane, vielleicht einfach nur einen Klumpen im Kopf an dem sein Wunsch nach Kontrolle erfüllt wird. Vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht konsumiert er einfach Filme, Romane und auch Computerspiele, die irgendwie “kicken”. Die irgendwie reizen, auch, weil Kontrolle da ist, obwohl es auch dort unter anderem die Situation geben kann: “Du wurdest gerade erschossen- du hast kein Leben mehr.”.
Aber- weil es ein Kaufspiel ist, eine Konsole, die den ganzen Tag laufen kann, es immer wieder eine neue Chance gibt, alles hinzukriegen.

Ich glaube nicht, dass man solche Gedanken und Fantasien bewusst haben muss, um solche Spiele zu mögen oder zu spielen. Aber ich glaube, dass sich ein Großteil unserer Gesellschaft in permanenter Unterdrückung, (subjektiv wahrgenommener) Ausbeutung und überhaupt alle Teile der Gesellschaft in Gewaltkontexten befinden und die Spiele in dieser Form einfach ein Symptom sind. Ein Verarbeitungsversuch, eine Reinszenierung- der Versuch real (und evtl. bedrohlich Wahrgenommenes) zu abstrahieren, der zumindest auf Neuroebene ja sogar gelingt.

Die Mechanismen dahinter sind aber nicht gelöst. Die Ursache ist nicht weg und wird über die Verfügbarkeit und Präsenz der Spiele vielleicht auch noch gefördert, weil sie zum Teil der Norm werden bzw. als zugehörig betrachtet werden.
So wird aus dem Werkzeug “Spiel”, ein Wertetransporteur, der die Gewalt in der Gesellschaft legitimierend erscheinen lässt, was dazu führt, dass sie nicht mehr hinterfragt werden dürfen.

Auch nicht in einem YouTubeVideo.

Und genau das ist das Problem, dem sich über diese derzeit passierende Debatte schon wieder zu entziehen versucht wird.

 

 

[*Also: nein- sie haben nicht herausgefunden, dass Killerspiele nicht aggressiv machen, wie in manchen Artikeln darüber steht- sondern sie haben herausgefunden, wie das Gehirn auf in Spiele eingebettete Gewalt reagiert- das ist nicht nur ein anderes Paar Schuhe, das ist ein anderer Kleiderschrank!]
[* Ich konnte nicht die gesamte Studie finden, deshalb bitte meine Fragen dazu einfach nur als Fragen betrachten und nicht als „das haben sie gar nicht bedacht!“- Ansage]

Vom Fühlen ins Handeln kommen

Diese Woche wurden Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie der Uni Bielefeld bekannt gegeben. Sie zeigte, dass fast ein Viertel (22,3 Prozent) von Erwachsenen oft oder manchmal geschlagen (28 Prozent davon sind Kinder ab sechs Jahren, etwa 17 Prozent Jugendliche) werden.
Die „
Bild“ hat daraus gleich mal einen Schlachtruf: „Rettet die Kinder“ gemacht und die „Taz“ stürzte sich auf die sozialen Umfelder der Kinder.

Ich saß hier und fragte mich, wieso ausgerechnet der Pharmariese Bayer diese Studie in Auftrag gegeben hat und nicht der Staat selbst. Dieser steht nämlich in der Pflicht die Menschen in diesem Land vor Gewalt zu schützen und sollte, meiner Meinung nach, folgerichtig auch dafür sorgen, dass erlassene Gesetze eingehalten werden. Indem er zum Beispiel eine Umgebung schafft, in dem Kinder zu ihrem Recht auf gewaltfreie Erziehung kommen und dies mittels Studien/ Bevölkerungsumfragen überprüft.

Mehr gibt es nämlich nicht. Nur dieses Recht auf Gewaltfreiheit. Nicht etwa: ein Verbot von Gewalt (an Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und erwachsenen Menschen).

In den letzten Jahren wird immer öfter über Kinder berichtet, die von ihren Eltern getötet, schwer misshandelt und auf verschiedene Arten gequält wurden. Es folgt eine Welle der Empörung, der „Kinderschänder an die Wand“- Rufe und Schimpftiraden auf das zuständige Jugendamt. Dann ist die Story abgenudelt und wir kommen zum Sport, zum Wetter und den Stars.

Immer wieder kommt im Empörungsrausch: „Ja wieso haben die das Kind da nicht rausgeholt?“, „Wieso wird so viel Gewalt gebilligt, bis da endlich mal was passiert?!“, Schlechte Eltern!“.

Ich persönlich, kenne keine schlechten Eltern. Aber viele Menschen, die Eltern wurden und schlecht mit ihren Kindern umgingen, weil sie es nicht „gut“ konnten oder auch nicht wollten.
Diejenigen die es nicht können, profitieren sehr von Hilfestellungen von außen und können die Gewaltspirale verlassen.
Die, die es nicht wollen, wissen entweder, wie sich sich aus dem Radar des Staates herausziehen können oder fallen durch die Raster der Möglichkeiten der Hilfen. Sie fallen erst auf (und werden zur Story), wenn ihre Kinder tot sind.

Ich habe ein gewisses Grundverständnis dafür in großer Emotion die Ratio, Ratio sein zu lassen und die Sache mit dem Weiterdenken auf später zu verschieben. In Bezug auf Gewalt an Kindern hingegen, so denke ich, sollten wir seit den Erfolgen der großen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts eigentlich langsam mal fertig sein mit dem Emotionswirken allein. Zu der Zeit begann man bereits sein Handeln und Denken zu hinterfragen und bildete die Grundlage für neue Ansätze und Umgänge, die sich bis heute immer wieder neu aufnehmen und mühelos anpassen lassen.

Wir sind soweit, dass wir Gewalt ablehnen.
Aber immer noch nicht soweit, zu gucken, wie man ohne zurecht kommt. Ob nun als Opfer oder als Täter.
Und wir denken immer noch, Heime seien besser für Kinder als ein Leben in einem Umfeld, das ihnen nicht gut tut- aber Chancen zur Veränderung hat!

Meiner Meinung nach, spielt hier mit rein, was ich im Artikel „Heim, Klapse, Knast“ schrieb: „Weggeben ist leichter als Annehmen.“. Doch wem hilft das?

Eine Familie die im Chaos lebt, dessen Spitzen sich an den Kindern entladen, hört nicht auf im Chaos zu leben und Gewaltpotenzial zu nähren, wenn die Kinder da raus sind. Die Eltern lernen keinen anderen Umgang mit ihren Kindern, wenn diese nicht bei ihnen wohnen. Sie können gebildet werden, können sich Wissen aneignen, wie ein gewaltloser und friedfertiger Umgang aussehen kann. Doch an dieser Stelle denke ich, haben wir es mit einem klassischen Fall von: „Bildung hilft- nutzt aber nix.“ zu tun.
Was nützt der beste Vorsatz und das festeste Wissen, wenn die Kinder dann wieder da sind und alle auf einmal Brechdurchfall haben, die Nachbarn auf jedes Mucken aus der Wohnung der „schlechten Eltern“ mit dem Jugendamt drohen (und damit eine Instanz, die Hilfen zu vermitteln verpflichtet ist, zur Waffe machen!) und niemand dann (und zwar genau DANN!) zur Seite steht?

Was geht in den Kindern vor, wenn sie auf einmal in ein Heim sollen?
Es hat sich viel getan in der (Heim- und auch Schul-) Pädagogik und doch ist es eine Massenverwahrungsstelle in der man die Aufmerksamkeit und Nähe zu Erwachsenen nicht nur durch die Anzahl der Geschwister, sondern die Anzahl der Mitbewohner, des Telefons, des Alltagsgetümmels teilen muss, noch während man seine Eltern vermisst, die Umgebung und Gegebenheiten verarbeiten und in sich integrieren muss, was man nach Jahren von Gewalt- und unsicheren/ chaotischen Bindungserfahrungen nur schwer bis gar nicht kann.

Ein Heimkind ist in der Regel einsam.
Alles was mit ihm zu tun hat, ist diffundiert in Behörden, Gesetze, Richtlinien und Konzepte. Für ein Kind ist das eine graue Eminenz, die alles bestimmt, doch nie mit ihm spricht.
Das Umfeld verdient an der Obhut Geld. Zeit und Raum werden zum heiligen Gral der Privilegien.

Wir wissen heute so so so viel mehr darüber was Gewalt für Folgen hat und doch nutzt uns all diese Bildung nichts, wenn wir wieder von solchen Studienergebnissen, der schrecklichen Lebensrealität von Kindern oder Gewaltopfern allgemein stehen.

Mich hat diese Studie nicht überrascht. Sie gleicht unzähligen Studien aus anderen wissenschaftlichen Bereichen und hat für mich lediglich Aktualitätswert. Außerdem halte ich es für eine Frechheit, dass sich Pharmakonzerne auf Kosten der Opfer mit einem „Wir sind sowas von sozial engagiert und nah am Menschen“- Aufkleber bedeckt, gleichzeitig aber an ihrem Leiden verdient, in dem es Psychopharmaka und andere medizinisch relevante Mittel herstellt.

Ich warte auf Lösungen und Handlungen, die solchen Zahlen entgegen wirken.
Ein Zweig davon ist bereits installiert, doch mangelhaft. Das Jugendamt und all seine Möglichkeiten zum Beispiel, Familienberatungsstellen, die dünn gesät und überlaufen sind, sowie das Modell der „
Elternschulen„.

Das Stigma der „schlechten Eltern“, ist durchschlagend und hinderlich.
„Wer ein schlechtes Elter ist, kann ja gar nichts richtig machen. Ist minderwertig/ böse/ schlecht durch und durch, vielleicht nicht ganz dicht und gehört selber auch weggesperrt.“
Wer hört, er sei ein schlechtes Elter, kommt in Anpassungsstress und den Druck es Außenstehenden recht zu machen (nicht es sich und seinen Kindern recht zu machen!). Dabei ist Druck und Stress das Letzte was jemand, der sich in Gewaltorgien Luft macht, noch braucht.
Und welches „schlechte Elter“ geht irgendwo hin und sagt: „Ich brauche Hilfe.“?

Aber welches auch „schlechte Elter“ würde es ablehnen, wenn jemand käme und sowas sagt wie: „Boa, du siehst aber schlecht aus- soll ich mal ein paar Stunden auf die Kinder aufpassen, damit du deine Sachen in Ordnung bringen und dich mal ausschlafen kannst?“- es ist eher das Elter, dass das Leid seiner Kinder wirklich will (und braucht), als das, das echt unterm Zahnfleisch läuft.

Die Annahme, dass jedes Elter das Beste tut, was es eben gerade kann, brauchen wir. Wir alle. Auch wenn wir andere Maßstäbe und Anforderungen an uns selbst haben.
Für die einen Eltern ist der Anspruch seine Kinder von 8 bis 18 Uhr  in Sprache, Sport oder was weiß ich auszubilden- für die Anderen die Kinder grundversorgt zu bekommen, ohne zum Täter an ihnen zu werden.

Ich habe die Schnauze voll davon, dass sich sogar Eltern untereinander ihre Elternschaft zum Wettbewerb machen und das in die ganze Gesellschaft hinaus tragen. Dass so oft und immer wieder die Basis- nämlich das Leben der Kinder selbst- so massiv zur Seite geschoben wird und man sich in Kürschnörkeln rund um „gut“ und „schlecht“ verliert (und dabei dann eben auch abschiebt, statt anzunehmen), nur um seine Angst vor dem Versagen als Eltern zu beruhigen.

Man ist ein Elter sobald man ein Kind gezeugt oder geboren hat. Dann ist man Mensch mit Versorgungsauftrag und Verantwortung über ein Kind. Nicht mehr und nicht weniger. Der Begriff des Versagens über diesen Auftrag allein, reicht nicht um etwas zu verändern.
Zu versagen kann immer passieren- doch das heißt nicht, dass damit immer und in jedem Fall der Auftrag als solcher abzunehmen ist. Er hat erst einmal unterstützt zu werden, vielleicht umkonstruiert zu werden.

Gewalt an Kindern geht weder weg, noch wird sie ungeschehen dadurch, dass man sie in Heimen oder Pflegefamilien unterbringt.
Gewalttäter hören nicht auf Gewalt auszuüben oder zu leben, oder zu phantasieren, wenn sie keine Opfer mehr im Haushalt haben.

Was wir wissen müssen, um Gewalt zu verhindern und zu verwandeln, wissen wir längst.
Es wird Zeit dieses Wissen anzuwenden und zwar mit allen verfügbaren Hilfsstrukturen die wir haben. Und seien es unsere eigenen zwei Hände, die wir helfend hinhalten, wenn wir sie selbst gerade frei haben.