„Ich fühle mich ungehört“, „Ich fühle mich nicht gesehen“, „Beachte mich.“ – sehr schwierige Sätze.
Ich kann mich erinnern, wie ich mit 14 ein Mal vor einigen Psychologiestudent_innen vorgeführt wurde und etwas in der Richtung gesagt habe. Stand damals war ich in der Uni-Psychiatrie „wegen Ritzen“. Denn so bleibt es bei den Kindern und Jugendlichen hängen. Sie sind nie in der Psychiatrie, „wegen Personalmangel“, „wegen Zufluchtsplatzmangel“, „wegen Fehlern, die ihre Eltern und andere Bezugspersonen gemacht haben“, sondern wegen „Verhalten XY“. Ich hatte damals gesagt, dass ich nicht mehr wusste, wie ich sagen könnte, was in mir vorgeht.
Für mich beginnt die Schwierigkeit der Sätze vom Einstieg genau dort: An dem Missverständnis von Verhalten in Zusammenhängen, als Verhalten von Personen. Also der Person, genauer ihrer Persönlichkeit, als Quelle von Verhalten.
Sagt man „Ich fühle mich ungehört“ wird das oft nicht als Hinweis an das Umfeld verstanden, dass man sich ausgeschlossen, unverbunden, missverstanden oder missachtet fühlt, sondern, dass man denkt, man habe ein Anrecht darauf, gehört zu werden. Was in gewaltvollen Kontexten als eine grobe Frechheit, eine dreiste Anmaßung, eine narzisstische Selbstüberhöhung, eine unberechtigte Forderung, ein Gewalt legitimierender Selbstausdruck einer unwerten kranken abweichenden falschen Person verstanden wird. Mit allen Konsequenzen.
Diese Erfahrung machen leider sehr viele Menschen in ihrem Leben. Die most casual Alltagsgewalt, die viele Kinder erfahren, ist der Satz. „Du willst doch nur Aufmerksamkeit“ und damit genau diese Verdrehung der Bedeutung ihrer Äußerung. Statt, dass sich ein Umfeld den Auswirkungen seiner Umgangsgestaltung widmet, stellt es die natürlichen Ansprüche einer Person infrage und macht sie damit illegitim. Kinder lernen so, dass ihre Bedürfnisse zu erfüllen eine Frage von Legitimation ist – also erst ein Mal alle damit einverstanden sein müssen, dass sie Bedürfnisse haben, damit sich darum gekümmert wird, sie zu erfüllen.
Gehört zu werden, ist so ein Bedürfnis. Für Kinder ist es sogar die Grundlage ihrer Überlebensstrategie. Sie können sich auf Distanz – bei fehlender Nähe also! – nur hörbar machen, um hoffentlich von denen wahrgenommen zu werden, die ihnen nichts Schlechtes tun. Kurios, dass wir in unserer Gesellschaft denken, irgendwann höre das auf. Dieser Drang, dieses Agieren zum Überleben. Obwohl doch alles, was wir tun, 24/7, von Anfang bis Ende unseres Lebens genau darum kreist.
Aber so funktioniert Ableismus. Die Verdrängung des Bewusstseins um unsere Sterblichkeit ist so umfassend, dass wir jede Schwäche, jedes gefährdende (Noch)Nichtkönnen und jede Bezugnahme darauf abwehren müssen. Auch, wenn sie von unseren Kindern kommen.
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Für mich war der Satz „Ich höre zu“ immer wieder wichtig im professionalisierten Hilfe-, Unterstützungs-, Begleitungs- und Behandlungskontext. Auch heute noch.
Eine Erzieherin im Kinder- und Jugendnotdienst hat ihn mir gesagt, nachdem wir mein nasses Bett ab und neu bezogen hatten. Als wir eine neue Wohngruppe für mich gesucht haben. Bevor ich ihr gesagt habe, dass ich misshandelt worden war. Eva. K. Ich werds nie vergessen.
Eva hat mir damals einen Grundstein dafür gelegt, glauben zu können, dass „Ich höre zu“ einen Zauber einleitet und mich vom ewig unnötig rumnöhlenden Nervkotzbrocken zu jemandem verwandelt, die_r etwas zu sagen hat, das relevant für die Situation ist. Nicht, weil ich das sage, sondern weil ich Teil dieser Situation bin. Sie sich also auf mich auswirkt.
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Zu „Ich höre zu“ gehört Aufmerksamkeit jedoch auch dazu. Und die ist tricky.
Denn einerseits ist Aufmerksamkeit eine natürliche Notwendigkeit zum Überleben in Gemeinschaft bzw. Gesellschaft – andererseits ist sie eine gestaltbare Folge von Wahrnehmung. Wir können entscheiden, wie wir reagieren, wenn wir jemanden wahrnehmen. Und wir haben wenig Kontrolle darüber, für welche Reaktion sich andere Menschen entscheiden.
Ich habe in meiner Herkunftsfamilie, aber auch später in Psychiatrien und anderen Gewaltkontexten immer versucht so unsichtbar wie möglich zu sein. Bitte nicht beachten. Nicht angucken. Denn immer, wenn mich jemand sah, war das ein Problem oder das, was ich als Auslöser für Gewalt an mir einordnete. Man kann nicht gleichzeitig gehört und nicht gehört werden.
Ein schreckliches Dilemma – wie sollte ich denn überleben?
Auch als jemand, die_r nicht gut darin ist, soziale Situationen zu lesen.
Ich war nie unauffällig. Nie das durchsichtig farblose Steinchen am Wegesrand oder das klitzekleine Insekt mit Tarnfarben, das ich sein wollte. Ich war das beste Spielzeug, das sich ein_e Sadist_in wünschen kann.
„Ich höre zu“ ist deshalb heute ein Satz, in dessen Zauber ich erst vertraue, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:
- „Ich höre zu“ bedeutet genau das: Mir wird zugehört – ohne eine weiterführende Agenda
- es wird gehört, was ich sage – nicht wie, wo oder wann ich es sage
- es wird (für) wahr.genommen, was ich sage und nicht ohne meine Mitwirkung in Bezug gesetzt oder bewertet
Ich weiß, dass es für viele Menschen schwierig ist „einfach nur zuzuhören“. Vor allem, wenn man beruflich zuhört und darauf trainiert ist, im Gehörten alles Mögliche zu suchen, zu finden oder zu bemerken. Aber es ist genau dieses Training, das zu Automatismen führt, die wiederum zu Fehlern führen. Auch zu Wahrnehmungsfehlern. Zu gravierenden, sich sehr schlimm auswirkenden Einordnungsfehlern. Die man manchmal nicht einmal merkt. Oder auch nicht so gern merken möchte. Wenn man etwas zu verlieren hat, wenn man Fehler gemacht hat. Zum Beispiel.
Aber ich als Patient_in, Klient_in, Hilfe empfangende Person habe im professionalisierten Kontakt gar keine andere Wahl, als zu sprechen. Wir treffen uns in konkret abgesteckten Zeiträumen, mit ganz klar abgesteckten Grenzen des Miteinanders. Mehr als sagen, was ist, bleibt da nicht übrig.
Um so wichtiger ist es für mich, dass mir professionalisierte Helfer-Begleiter-Unterstützer- und Behandler_innen sagen, dass sie zuhören, wenn es das ist, was sie gerade tun.