Täter_Abkehrschmerz_Kontakt Teil 5

Und dann ist da der Schmerz der kommt, spürbar ist und bleibt.
Freiheit sollte keinen Preis haben.
Für Menschen ohne Ressourcen hat sie das aber unter Umständen schon.

Ich muss, während ich dies schreibe, an den Kommissar a.D. Hr. Paulus denken, der bei der Tagung, so emotional für frühe Interventionen eintrat. Wir waren verdammt früh dran, für alles das was in unserem Leben passierte und doch scheint es für uns als Mensch in einer (kapitalistischen) Leistungsgesellschaft, als sei doch schon alles zu spät. Als sei das, was für uns gut und wichtig ist, nichts, was uns irgendwann in die Lage bringt tatsächlich jemals so frei zu sein, dass wir wirklich und tatsächlich sagen können: „Ja, hier habe ich das Sonderangebot der kostenlosen Freiheit in der Hand, von dem ich im allerersten Artikel zum Thema „Täterkontakte“ geschrieben habe.“442855_original_R_by_Günter Havlena_pixelio.de

Wir waren minderjährig, als wir, aus welchen Gründen auch immer, (psychisch) auffällig wurden. Minderjährig, als wir aus eigener Kraft wegliefen und uns in räumliche Entfernung brachten. Minderjährig, als wir uns jahrelang durch die Mühlen von Institutionen der ja fast industriellen Massenbearbeitung zwecks „Heilung“ (die eigentlich „Anpassung“ meint) hin und her schieben ließen. Minderjährig, als wir Entscheidungen treffen mussten, die ein Leben beeinflussten, von dem wir noch nicht einmal wussten, wie genau das aussehen könnte/ sollte/ müsste.

Wir haben so ziemliche jede Etappe, die uns aus den destruktiven Konstrukten herausbrachte, fast allein gekämpft. Nur diesen Aspekt der Gewalt, haben wir in einer Art beendet, die uns in Kontakt brachte.
Und nun, wo wir alles das hier aufschreiben, kommen wir in Kontakt mit dem Trennungsschmerz.
Dabei ist das alles schon viele Jahre her. Doch diesen Punkt- den Verlust und die Bedeutung all dessen, was vielen Innens Sein und Ziel gab (und noch immer gibt), haben wir bis heute nicht bearbeitet und verkraftet. Es schwelt wie ein blubbernder Pudding unter der Haut und kommt ab und an mal wieder hoch.
Weil wir eben mit genau dem unglaublich allein stehen.

Es ist der Haken an Pseudoreligiosität oder auch den sozialen Rollen in Gewaltbeziehungen.
Du bist etwas und stehst für etwas. In deinem kleinen Leben, das so voller Schmerz ist, bist du etwas für jemanden (oder etwas). Da gibt es Pflichten, Zwänge, Regeln, die genau deinen Wert abzirkeln, dich genau wissen lassen, wo du stehst. Es ist unverfälscht und steht im direkten Bezug zu dir.
Fällt es weg, bist du nichts mehr- weder vor anderen noch vor dir selbst.

Das ist der Punkt, der unglaublich anfällig für die nächste Sekte, die nächste gewalttätige Beziehung, die nächste Extremistengruppe macht. Ich las neulich einen Artikel in dem stand, dass Aussteiger nach dem Ausstieg aus satanistischen Kulten ihren Zugang zum Christentum finden und klebte unter der Decke, weil ich mich direkt fragte, wo dann da bitte die Freiheit blieb?
Selbstdefinition passiert über das was man tut und die Wertschätzung, die einem darüber entgegen kommt.

Jeder sagte uns nach dem Ende der Gewaltkontakte, dass wir das toll durchgestanden hätten und gut für uns gekämpft hätten. Aber niemand hat gefragt, was dann kam.
Und so kam einfach: Nichts.

So ist das, wenn man spaltet. Da ist dann einfach nichts. Lieber nicht dran denken, lieber nicht dran rühren. Man hat ja nun geschafft, was immer in den tollen Büchern steht und was „die Anderen“ sich so für einen wünschten. Die schlimmste Angst ist ja jetzt weg. Der regelmäßige Schmerz ist ja jetzt weg. Jetzt ist der Wasserhahn ja abgedreht.
Dass er in unserem Fall noch tröpfelte, haben wir unterschätzt; dass es BÄÄÄMs und noch immer hoffende MittelBÄÄÄMs in Winkeln bei uns sitzen gibt, nicht gewusst, weil es keinen Kontakt gab.

Und jetzt, wo er endgültig zugedreht ist, hören wir das Knacken und Knirschen der Wanne.
Man steht davor und weint immer mehr Tränen hinein, weil man- trotz aller Kämpfe und aller Kraft und auch aller Erfolge, noch immer nicht genug in Kontakt mit seinen Händen ist, um den Stöpsel zu ziehen und alles das, was sich da angesammelt hat, rauszulassen.

In der ganzen Zeit haben wir gedacht, dass wir, wenn wir erst mal frei sind, nicht mehr soviel Kraft vergeuden würden müssen, weil wir ja dann nicht mehr ständig Gewalt wegdissoziieren müssen. Dass wir mehr Energie zur Verfügung hätten, um uns richtig doll anzustrengen und auch endlich einen Beruf zu erlernen und nicht mehr in dieser menschenunwürdigen Hartz-Maschine zu stecken. Beim Beginn der ambulanten Psychotherapie nicht von Anfang an auch noch darüber nachdenken müssten, ob wir uns XY leisten könnten, oder ob wir nicht doch lieber noch ein Wochenbugdet beiseite legen um Stunden selbst zahlen zu können- wir wollten ja arbeiten und uns das leisten können.
Wir dachten ja, wenn man frei von Täterübergriffen sei, sei man tatsächlich frei und (man-) selbst- ständig.

So war es aber für uns nicht.
Alles was sich änderte war die Gewalt. Von der Gewalt, mit der wir aufgewachsen und an die wir angepasst waren, die uns Sinn und Sein gab, zu der Gewalt aus der man schlicht nicht aussteigen kann, ohne die komplette Aufgabe all dessen, was man sich doch so hart erkämpft hat.
Natürlich könnten wir in den Wald ziehen und von Gänseblümchen leben. Könnten auf den Staat pfeifen und uns durchschnorren. Doch dafür haben wir das alles nicht auf uns genommen.
Dafür haben wir das alles nicht überlebt- dafür haben wir nicht die Wertnormen aller uns umgebenden Welten von uns abgetrennt. Für ein Leben in Haltlosigkeit ertragen wir diesen Abtrennungsschmerz nicht.

Und doch ist genau dies unsere derzeitige Phase.
Zu erkennen, dass man nicht wirklich frei ist, sondern schlicht haltlos frei herumfliegend.
Im Moment unglaublich tief erschöpft von der Suche nach Halt durch Hilfen und Begrenzungen.

Ja, wir haben mehr Energie und es geht uns in vielen Bereich besser als zu der Zeit, in der manche Innens noch regelmäßig gequält wurden. Aber das, was wir als Ergebnis dieser Befreiung erhofft hatten, ist schlicht nicht eingetreten.

Es ist also auch eine Abkehr dessen, was uns lange durch diesen Prozess getragen hat: Das Denken, es gäbe eine Ordnung und einen Rahmen für uns, wenn wir auf etwas verzichten, was in dieser Welt außerhalb dessen aus dem wir kommen, verurteilt ist.

Vielleicht gibt es diese Ordnung irgendwann. Vielleicht sind wir einfach zu erschöpft von dem Stück für Stück Selbstmord den wir seid dem endgültigen Zudrehen des Täterkontaktes letztes Jahr begehen. Das weiß ich nicht. Ich bin zu jung, um zu wissen was jetzt kommt. Wie lange und was für ein Leben habe ich schon gelebt, um nun auf bereits gemachte Erfahrungen mit so schweren Sinnkrisen zurückgreifen zu können? Da ist keine Basis- nur Material, um etwas Neues aufzubauen und mir selbst einen Rahmen zu zimmern.

Doch dafür brauche ich noch mehr Kontakt mit meinen Händen. Eine vielleicht nur noch zu zwei Dritteln gefüllte Badewanne. Hilfe von außerhalb. Mut und Zutrauen, diese auch anzunehmen.
Aber im Moment habe dies einfach nicht.
Ich bin müde, habe Schmerzen und quäle mich durch die Tage, versuche die Menschen, die mir begegnen nicht anzuschreien, obwohl ich permanent das Bedürfnis dazu habe. Schreibe mich hier täglich leerer, weil ich denke, dass es mich irgendwie definiert als jemand, der etwas tut. Jemand der etwas erschafft und nicht nur Ressourcen frisst.

Die Hilfe, die wir bis jetzt hatten, gibt es so in der Form nicht mehr, dass wir sie nutzen können.
Die Beziehung zu den mit uns verbündeten Menschen hat sich verändert, in den letzten Jahren. Wir sind nachwievor verbündet- aber nicht mehr auf dieser Ebene. Die Kontakte, die wir haben, können alle nur ansatzweise versuchen zu verstehen und nachzufühlen, was in uns vorgeht. Das ist nicht schlimm oder ein Defizit, aber es ist eben nicht das, was wir im Moment ge-brauchen können. Wir brauchen sie! Wir brauchen sie alle! Nur ge-brauchen können wir sie eben nicht.

Wir können keine der sich derzeit bietenden Klinikkonzepte nutzen, weil wir über das hinaus sind, was da angeboten wird. Keine Sektenberatung kann uns helfen, weil die Alternative zu geistig-religiös-spiritueller Haltlosigkeit eben geistig-religiöse-spirituelle Konstrukte sind, die alle samt und sonders- egal wie liberal man sich in div. Gemeinden gibt, einsperren und bei uns alles explodieren lassen würden (unser Eiertanz, den wir hier ab und an zeigen, reicht ja eigentlich, um zu zeigen, wie schwer es schon in Eigenregie ist).

Trotz allem, was jetzt gerade brennt sind diese Gedanken und Schmerzen anders, als die, die es früher gab.
Ja- wir kämpfen wieder um unser Überleben- genau wie wir das noch zu Zeiten in denen andere Menschen noch über uns verfügten, tun mussten.
Doch heute zerstören wir uns selbst, (leben also eine Eigenmacht aus) und sind einer Art Gewalt unterworfen, der sehr viele andere Menschen auch unterworfen sind.

Wir sind also nun, durch alles was wir geschafft haben, immerhin in der Position selbst und eigenmächtig zu bestimmen, ob und wie wir leben oder sterben.

Es ist ein bitterer Sieg.
Aber es ist ein Sieg.

Ende

OEG erster Akt

Heute war es nun soweit.
Ein erstes Informationsgespräch mit einer Vertreterin des Landschaftsverbandes, um einen Ablaufplan zu bekommen.

Zur Information meiner nicht betroffenen oder auf der Suche nach Informationen befindlichen Leser:
Wer Opfer einer Straftat wird, hat, weil es der Staat nicht geschafft hat einen zu schützen, Anspruch auf Entschädigung nach dem OpferEntschädigungsGesetz.
Nötig sind: eine Strafanzeige; ein Täter (welcher in Regress genohmmen wird) dazu und eine Verurteilung.
Natürlich gibt es viele viele Ausnahmefälle und viele Einzelfälle die sorgfältiger Begutachtung und allgemeiner Überprüfung bedürfen. (weitere Infos —> klick )
Aber als Grundinformation braucht man eigentlich nicht mehr zu wissen, um zu erkennen, dass die meisten Menschen mit DIS am Arsch sind, in Bezug auf eine Entschädigung durch dieses Gesetz.

Wir wurden sehr früh, sehr schwer und durch verschiedene Täter traumatisiert.
Alle Zeugen dieser Straftaten sind entweder selbst Täter oder Opfer. Namentlich vorgestellt hat sich dabei übrigens niemand, oder mir gar noch seine Adresse gegeben oder sonstiges…

Nähere Erklärungen zu “unserem Fall” werde hier natürlich nicht schildern, doch den einen oder anderen Punkt möchte ich von diesem Gespräch doch erwähnen und meiner derzeit übermäßigen Bitterkeit Raum geben.

Wir haben uns in Rücksprache mit der uns bereits seit Jahren vertretenden Rechtsanwältin entschieden, uns direkt vom Landschaftsverband Informationen geben zu lassen, wie eine Antragsstellung bei einem Menschen mit dem Hintergrund der organisierten (Pädo)Kriminalität aussehen kann.
Insgesamt dauerte das Gespräch etwa eine dreiviertel Stunde.
Die ersten 15-20min lauschten wir den Platitüten und allgemein zugänglichen Informationen, die jeder, der über eine Antragsstellung nachdenkt im Internet oder auch in jedem Flyer darüber, nachlesen kann.

Ich kam mir vor wie im Jobcenter.
”Ja also wenn sie Leistungen von uns möchten, dann muss in jedem Fall eine Strafanzeige gestellt werden, ansonsten entziehen Sie sich ihrer Mitwirkungspflicht…”
Grundsätzlich mal: Wir MÖCHTEN keine Leistungen! Wir BRAUCHEN sie (weil es auch hier der Staat verkackt hat sich zu kümmern!) und wir haben verdammt und zugenäht EIN VON DER GESETZGEBUNG ZUGESICHERTES RECHT auf Leistungen dieser Art!!!
Wir kommen nicht; um um etwas zu bitten! Wir kommen um etwas einzufordern! Um etwas einzufordern, das uns zusteht und nur deshalb nicht an uns heran gereicht wird, weil man vorher überprüfen muss, ob die Forderung gerechtfertigt ist- so richtig echt und wirklich.
Und diese Überprüfung halte ich für grundsätzlich gerechtfertigt und okay. Und um diese Überprüfung zu erleichtern, wirke ich selbstverständlich so gut mit wie es mir nur irgendmöglich ist!

Allein die Sprache liess mir heute schon wieder die Galle den Hals hochkriechen. Was ist das für ein Ding, das es diesen Menschen erlaubt, mit Menschen, die ihre Rechte einfordern und entsprechende Anträge stellen, zu sprechen als wären sie ein elendiges Bettelpack?!
Ich sitze dort und fühle in meinem Anliegen impliziert, dass ich mir etwas unerlaubt nehmen will, weil ich es einfach mal so möchte… wie man manchmal einfach ein Eis möchte, weil Sommer ist und es einfach erfrischend und nett wäre.
Ich komme aber dahin, hab fett zugeschwollenes Gesicht und brauche ein Eis, um etwas sehen zu können! Aber das muss ich erstmal beweisen…

Nun ja, nach etwa 23 Minuten brauchte ich das erste FishermensFriend. Es zeichnete sich ab, dass man doch mehr auf unsere Situation bezogen nachbohren musste.
Erst nach der vierten oder fünften Schleife, (ich habe eine echt tolle Anwältin, die hartnäckig ist und sich nicht einfach abspeisen lässt!) bemerkte die Frau dann auch endlich, dass sie sich selbst widersprach! Und bemerkte, dass sie uns leider keinen konkreten Laufzettel geben konnte.
Die Logik, dass wir erst Schutz bräuchten der garantiert ist, um eine Anzeige zu erstatten (um unserer Mitwirkungspflicht nachzukommen) war schon klar. Aber dass man diesen Schutz erst dann bekommt, wenn man eine Anzeige erstattet hat… irgendwie brauchte das eine eeeewige Schleife zu ihr hin.
(Da saß ich schon mit dem zweiten Fishermen im Mund, weil ich einen kurzen Anflug von Wahnsinn(sungeduld wegen Dummheit!) hatte.

Naja, das Gespräch endete mit dem Wissen, dass eine Gefährlichkeit des Täters nachgewiesen sein muss bzw. die Organisation als gefährlich bewertet sein muss, um sich eventuell vielleicht auf eine Ausnahmeregelung einzulassen… ganz objektiv natürlich. [Nein nein, man fängt nicht an in bestimmte Richtungen zu denken, wenn man an “organisiertes Verbrechen” denkt… nein nein.. Hollywood und Co kommen da natürlich NIE drin vor… und dafür gibts ja dann die Glaubwürdigkeitsgutachten…, welche, wie uns die Frau mit eindringlich mahnender Stimme mitteilte, sehr viel Geld kosten. Netterweise hat sie sogar noch genau gesagt, wieviel- so dass hier gleich wieder die “wir sind zuviel” Lampe aufblinkte. ]

Naja. Also: Nichts Neues für uns eigentlich.
Aber mir ist aufgefallen, wie wichtig die parteiische Vorinformation für uns gewesen ist. Alle Informationen rund um das Thema des OEG haben wir von der Opferhilfe, Frauenberatungsstellen, unserer Rechtsanwältin und anderen Betroffenen. Wäre dies ein erstes Informationsgespräch gewesen, hätten wir unser Ansinnen sofort und auf der Stelle zurückgezogen.
Wäre unsere Rechtsanwältin nicht so großartig renitent und professionell dreist, hätte ich heute wohl wieder gelernt, dass Wahnsinn forciert und entsprechend genutzt wird.

Trotzdem bin ich wieder bei der Erkenntnis gelandet, dass es nichts Schlimmeres als den durch Erfahrung klugen und organisierten Täter gibt. Er nutzt die Lücken des Systems und kann sich darauf verlassen damit durchzukommen.
Der Gedanke, dass es angesichts der, im Jahre 2007 von der polizeilichen Kriminalstatistik  angegebenen, 11.357 Fälle von Kinderfolterdokumentationsprodukten (infamerweise nachwievor “Kinderpornographie” genannt und damit Kinder als bezahlte Schauspieler darstellend!!!), auch Opfer geben muss, ist noch nicht angekommen. Ganz offensichtlich nicht. Dass es das gibt- dass die Existenz dessen endlich anerkannt ist… darüber dürfen wir Opfer uns heute freuen! Und darüber freue ich mich auch- ganz ehrlich!
Ich freue mich aber vorallem deshalb darüber, weil ich so diesen Kampf um die Existenz dessen nicht auch noch zu führen brauche.

Dass ich nur beweisen muss, wirklich deshalb ein so verdammt beschissen schweres; verkrüppelnd anstrengendes Leben führe, weil jemand mich zerstört hat und nicht, weil ich so geboren wurde.

Das ist so krass, dass ich mich nicht etwa frage: “Schaffen wir es genug vernünftige Aussagen zu erlebter Gewalt zu machen?”, sondern: “Haben wir genug positive Ressourcen, um uns von dieser tiefen Bitterkeit zu erholen, die uns nun immer wieder und wieder begegnen wird?”.

Heute hatten wir sie noch nicht.
Heute mussten wir diese Bitterkeit rausschwemmen.

Aber es gibt ja noch viele viele Morgens …