an einem Morgen

wachsenundwerdenMorgenfrisch, wie es nur im Fernsehen üblich ist, hopst sie die Treppen zu unserer Wohnung hoch. Strahlt wie Tschernobyl mitten in mein verquollenes Samstagsmorgen”gesicht” und hebt die Brötchentüte hoch.

Wenn ich erst früh morgens eingeschlafen bin, verspüre ich an mir eine gewisse geistige Nähe zu Affen, wenn es dann nur 3 Stunden später unverhofft an meiner Tür klingelt. Also lächle ich auch und starre sie an.
“Tss- ihr habt unser Frühstücksdate vergessen! Nicht schlimm- ich decke, ihr macht euer Morgending und dann gehts los. Husch Husch Husch!”.

So zum Huhn erklärt, evolutionieren wir uns in Richtung Mensch.

In der Küche klappert und rumpelt es.
“Ihr habt ja gar nichts da.” sagt sie, als ich, inzwischen im Stadium “Zombie”, in Richtung Kaffeemaschine wanke.
“Meinst du “Ihr habt ja ganz viel Nichts da” oder “nichts nichts”? Was willst du denn?”, frage ich zurück und schaue in den Kühlschrank. “Na das Übliche”, setzt sie an. “Butter, Aufschnitt, Marmelade…”. 

Langsam fällt mir ein, wieso ich das Date “vergessen” habe. Ich drücke ihr den Rest Butter vom Kekse backen in die Hand und stelle die Honigreste von Rosh Hashana auf den Tisch. Lege schweren Herzens noch die Käsescheiben für NakNak* dazu. Mein Affenlächeln wiegt jetzt doch schwer auf dem, was Gesicht zu sein versucht.
”Na? Das ist doch was. Schlachtplatte ist heute leider aus.”.

Sie setzt sich auf die Küchenbank und legt los.
Ich streichle NakNak* in den Schlaf und versuche mich daran zu erinnern, ob ich die Kaffeemaschine schon mal entkalkt habe oder nicht. Eigentlich finde ich dieses Röcheln ja gemütlich.
“Willst du NICHTS?!” sie nickt mit dem Kinn in Richtung Königinnenmahl.
“Ich bin noch nicht mal Mensch!”, grunze ich und verdünne meine Kaffeemilch.

Zum Glück ist seit unserem letzten Treffen viel passiert. Wir sprechen über die letzte Phönix-AG und unsere Reise nach Göttingen dazu. Sind uns einig, dass es viel über Privilegien und Frauenverständnis sagt, wenn es ein Kussverbot für Mädchenstatuen gibt.
Voller Stolz wird die Jugendherbergsbuchung für
die Tagung “Wir sind Viele” in Mainz gezeigt. Das haben wir wirklich noch nie gemacht. Irgendwo zwei Nächte fremdschlafen und schon gar nicht selbst bezahlt zu so einer Tagung gehen.

Ich merke, wie gut es tut, diese ganzen Erwachsenensachen auch Erwachsenensachen zu nennen und als Akt gewürdigt zu sehen. Als genau der Entwicklungsschritt, der es ist- parallel zu allem, was sowohl in der Therapiezeit selbst, als auch danach alles kreuz und quer schießt und genauso zehrend ist. Sie gratuliert dem Innen zu seiner Heldinnentat und versichert, dass ihr auch schon solche Fehler dabei unterlaufen sind.

“Das ist viel Emanzipatorisches” murmelt sie mit einer Hamsterbacke voll Käsebrötchen.
“Ja haaa, auf der Ebene irgendwie schon. Es macht mich wahnsinnig, dass ich das nicht auch auf andere Bereiche übertragen kann. Ich meine, hallo! fremde Stadt, alleine, schwere Themen und ich bin ganz sicher, dass wir das packen werden. Aber dann in der Therapie sitzen, einmal kurz in eine andere Richtung denken und puff bin ich weghoudinisiert und
BÄM BÄM BÄM für den Rest der Woche als Dauerschleife aus der Drecksecke und Mimimibabyblablaschmauchätzscheiß in der anderen. Geilo. Nicht.”.

Sie nickt und füttert NakNak* mit runtergefallenen Nusskernen.
“Ihr seid Viele.”, sie atmet ein, streckt sich, verteilt ihre ganze Pracht auf unserer Küchenbank und seufzt.

“Das ist eine Erklärung, ja. Aber nichts, was mir da jetzt grad hilft. Ich muss das aushalten, dran lang wachsen und ach keine Ahnung.”. Ich versenke meine Ungeduldslaute im dritten Kaffee. Merke, wie ich es leid bin, nicht darüber auszurasten. Denke zum x-ten Mal den Gedanken, die ganze Therapie zu lassen und einfach nur meine Sachen zu Ende zu bringen und dann erst wieder irgendwas zu fühlen oder anders zu denken als sonst.

Wir schwenken auf das Thema “NakNak* ist läufig”. Lästern auf Hundewiesenniveau. Auch sehr erwachsen.

Als wir uns von Mensch zu Mensch verabschieden, denke ich, dass ich froh bin, dass meine Gemögte mich auch ungeduldig und Hufe scharrend diesem Therapiezeug gegenüber annimmt. Dass sie nicht noch großartig aufs Essen drängelte, die ganzen Ausläufer der inneren Zeitverschiebungen in unserer Wohnung unkommentiert ließ und von ihrem Erwachsenwerden erzählte.  Damals ™ .
So sehr ich das auch hasse, wenn sie von sich sagt, dass sie sich uns gegenüber manchmal wie eine soziale Mutter fühlt- manchmal, so wie heute morgen, ist es so. Und dann ist es auch okay.
Nicht nur für mich, sondern auch für andere Innens, die das so noch nie erfahren haben und von der biologischen Mutterfrau auch nie erfahren werden.

Vielleicht gehört das irgendwie auch mit dazu.
Zu diesem beschissenen “aus Kackscheiß rauswachsen” und Werden.

Konsultation

„Ich schaffe es nicht, mich um einen Klinikplatz zu bemühen“

„Stimmt- sie schafft es nicht, sich aufzureiben. Wissen sie- wir reiben uns täglich an ihr auf. Sie bezeichnet uns als Schleifpapier um ihre Seele herum. Sie ist so schwach- hält nichts aus. Sehen sie das hier- gucken sie mal hier: bis hierhin schaffe ich das!“, sie hält das Gedärm, das ihr aus dem Bauch heraushängt vor die Rückseite der Iris, als könnte die Neurologin sie sehen.

„Eigentlich hab ich grad erst das Gefühl da in der Therapie atmen zu können. Also zu dürfen.“ Sie runzelt die Stirn, „Ich hab mich nach der letzten Stunde nicht wie eine Versagerin gefühlt. Es ging mir okay- ich … also…“

„Uh ja wissen Sie, die Psychenserin hätte ja auch ihre Hand für andere Gesten- vielleicht in Richtung daherquakende Fresse- benutzen können. Für dies Muckschi hier ist das so Husch to Husch- sie wissen schon. Ich fänds ja besser wenn ihr endlich mal einer eine reinhaut.“, sie haut mit ihrer Faust auf ihre Handinnenfläche. Das Blut darin verursacht ein schmatzendes Geräusch. 

„Ich glaube, ich werde psychotisch. Irgendwie ist das so der Punkt, glaube ich, an dem irgendwie etwas durchdreht. Da will ich nicht in einem Krankenhaus sein, wo sie mich behalten könnten.“.
– „Wieso glauben Sie das?“, die Neurologin guckt sie an. Legt den Kopf etwas schief.
„Ich sehe dauernd eine Hand, die auf mich zukommt und…“, sie macht eine Bewegung mit der eigenen Hand und verschluckt den Rest des Satzes. Spürt die Hand um ihren Hals.
– „Das sind Erinnerungsbilder…“

„Jaaaahaaaaahahahahahahahahahaaaaaa Erinnerungsbilder, hm klar
KLAAAAAharrrharrharrr
EKT bitte. Jetzt. Für sie Frau Fachfrau- ich such mir jemand, der diese Lügenscheiße nicht weiter verbreitet“, sie versucht nach der Haut der anderen zu greifen.
Ein Paar Arme legt sich um ihren Oberkörper und hebt sie hoch. „Ich glaub nicht, dass das Lügenscheiße ist. Und ich glaube by the way auch nicht, dass dein Geschrei hilfreich ist. Für dich vielleicht- aber nicht für uns und sie.“. Sie trägt das keifende Bündel mit sich in fernere Tiefen.

„Ich nehme das ernst, wenn sie sagen, dass sie sich psychosenah fühlen. Es gibt ein Medikament, das diese Grenze stärken kann. Es ist ein mittelpotentes Neuroleptikum“. Sie schauen sich an. Sie antwortet: „Eine der häufigsten Nebenwirkungen von Neuroleptika sind Halluzinationen.“.

„Genau. Dazu kommen Nervenzellensterben, ungeklärte Wirkungsweise, krasse Nebenwirkungen und ganz eigentlich brauchst du nicht das, sondern nur Mut. Du musst mutiger sein. Ich verstehe nicht, wieso du so ein Hasenherz bist. Echt nicht. Dir passiert doch nichts. Dir ist noch nie was passiert.“, sie sitzt mit dem Rücken an sie gelehnt und dreht Haare um ihren Zeigefinger.

„Ich kann nicht abgeschossen draußen herumlaufen.“, sie denkt an ihre Therapeutin und daran, dass sie von einmal Umknicken und im Graben liegen bei nächtlichen Minusgraden gesprochen hat. „Und andere Nebenwirkungen?“.

„Nope- ich werd auf gar keinen Fall jemanden bitten, bei uns zu schlafen oder uns bei ihnen schlafen zu lassen um das zu testen. Hallo? Nee! Vergiss es- wir sind groß und außerdem- ich sag dir das noch mal- das ist nicht, was wir brauchen. Du musst mutiger sein und das jetzt hier einfach auch mal mit uns durchgehen. Das ist „Erinnern“- mit den Pillen machst du „Leiden“… oder naja- besser gesagt: „Krankheit“ daraus.
Die ganze Nummer hier ist Absicherung von der Therapeutin und Vermeidungstanz von dir. An der Stelle ergänzt ihr euch echt perfekt.“, sie knufft sie sachte in die Seite und lacht.

„Bei dissoziativen Störungen kann man es nie so genau sagen. Es gibt Nebenwirkungen und paradoxe Wirkungen. Das muss man dann sehen.“, sie schaut sie an. Weiß vermutlich, dass eigentlich auch nichts mehr gesagt werden muss. Es ist immer das Gleiche, wenn sie miteinander über Medikamente sprechen. „Wollen Sie es versuchen?“.
Sie nickt
.

„Ey- Hallo?!“, sie steht auf, tritt in ihr Ohr, in ihr Denken hinein und fragt, ob sie noch alle Schweine im Rennen hat.

Aus dem Off quillt ätzendes Lachen und frisst sich die Beine herunterrinnend durch die Haut.

negativhimmel

Frei- von- heit

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Schnurstraks darauf zu gestolpert, gefallen, aufgerappelt und immer weiter im Takt des pulsenden Wunsches auf Erfüllung einer Hoffnung.
Und plötzlich setzt er aus.
Der Boden bricht weg.
Ein Fallen oder ein Schweben?

Haltlosigkeit bringt beides hervor.
Was jetzt?
Fragen kann man stellen. Aufstellen. In sich hineinbohren, wie in ein Nadelkissen und hoffen, dass sie zu einem Verbindungsglied werden. Vielleicht eine Antwort finden und darauf eine Siedlung erbauen lassen.

Mit jeder nicht beantworteten- ignorierten- herabgewürdigten Frage, bohre ich sie mir tiefer hinein und blute irgendwann sogar nach Außen. Irgendwann schmerzt jede Berührung und niemand sieht mehr warum.

Aus mir brechen nur noch Wortbrocken und geronnener Schmerz. Ich bin unverständlich, wie mein Befragtes, kann mich nirgendwo mehr lagern, ankommen, passen, irgendwo sein, ohne blindtaubstumm vor Weh zu sein.

Über allem liegt dieser drückende Nebel aus Unsicherheit bis zur handfesten Angst auf allen Ebenen.
Bindungsunsicherheit durch Abwesenheit von Halt.
Verhaltensunsicherheit durch Ver- Halt. Stasis aus Angst vor der Angst.
Überzeugungsunsicherheit durch Abwesenheit von Be-Zeugung.

Wo bin ich? Was mache ich? Was ist jetzt? Wer bin ich? Was will ich? Was kann ich? Was darf ich?
Wo sind die Menschen? Was machen sie? Was ist jetzt mit ihnen? Wer sind sie eigentlich? Was wollen sie? Was können sie? Was dürfen sie?

Habe ich zu viel in Frage gestellt? Warum gibt es keine Antwort? Oder bemerke ich sie nicht? Stehe ich eigentlich schon längst in meiner Siedlung und habe es noch nicht gemerkt? Wenn ja, wieso merke ich es nicht? Woran sollte ich es denn merken? Ist es die Abwesenheit von Schmerz auf die ich warte, die aber nie kommen wird? Muss ich das jetzt für immer aushalten? Ist das Ziel „Freiheit“ also eigentlich von Anfang an ein Trugbild gewesen? War ich so durstig, dass ich eine Fata Morgana sah und Sand zu trinken versuche? Habe ich noch die Kraft für den Weg zurück? Würde ich ihn überhaupt zurück finden? Kann ich überhaupt noch irgendeinen Weg sehen?

Da ist ein Schaukeln und Ruckeln um mich herum. Ist es der Rhythmus, der sich weiter drehenden Welt oder sind es Halluzinationen kurz vor meinem Auseinanderbrechen?

Nein.
Es sind die Frontgänger, die mir die Fragen aus dem Sein zu operieren versuchen. Zaghaft, mit feinsten Pinzetten. Eiterpralle Abszesse aufstechend und mit neuen Lebensoptionen füllend. Blutverlust mit Solidarität auszugleichen versuchend, während die Federn des Schwans mit mir verdreckt werden. Meinem Gedankendreck. Meinem stinkenden Angsteiter. Den Splittern von meinem inzwischen verwestem Weltbild, das mich nicht mehr tragen kann.

Ich verdrecke alles. So bin ich wohl.

Doch, egal wie oft ich ihnen in dieser Operation sage, dass sich nicht mit mir beflecken sollen; ich es nicht aushalte und sehe, dass auch sie schweißbedeckt und zitternd arbeiten… Es mir leid tut, ihnen ihren Schwan zu verdrecken… sie machen weiter und sagen mir, ich solle sehen, wie alles von den Federn tropft.

Es ist eine Operation mit ungewissem Ausgang. Bei vollem Bewusstsein und ohne Hilfe von erfahrenen Operateuren. Das ist bei neuen Verfahren wohl immer so.
So ist es wohl in der neuen Welt der Frei- von- heit.
Ich weiß nicht, ob der richtige Patient dafür bin.
Und niemand beantwortet mir diese Frage.

von Bücherwissen und Seelenhingabe

Ich glaube, ich war 11 oder 12 und mein Bibliotheksausweis erschien mir wie alles, was ich je gebraucht hatte. Meine Lizenz zum Lügenmorden, mein Schlüssel zu Türen, die mir ständig verschlossen schienen. Meine Karte durchs Land hinter den Spiegeln.

In der Bücherei gab es noch Lochkarten mit Nummern, die man um Himmels Willen nicht verlieren durfte, und die zusammen mit dem Buch und dem Ausweis abfotografiert wurde.
Ich mochte die Karten. Sie rochen nach „alt“ und die Löcher kribbelten so wunderbar unter meinen Fingerspitzen, wenn ich langsam darüber hinweg strich. Diese Karten waren mir die Katze, die ich während des Lesens streichelte.

Ich las zum Zeitvertreib, zur Sättigung, zur Beruhigung. Es ging um den Akt des In-sich-geschlossen-Seins.
Es gab diese Zeit in der wir die Wohnung für ziemlich genau 2 Stunden und 20 Minuten für uns allein hatten. 10 Minuten Hausaufgaben, 30 Minuten Sailor Moon im Fernsehen und der Rest der Zeit verwob sich zu meinem Lesenest in der Höhle unter meinem Schreibtisch.
Gegenüber von unserem Wohnhaus gab es eine Kaufhalle. Eine Tafel Schokolade kostete 29 Pfennig. Meistens bezahlte ich nicht, sondern schob die Tafeln einfach in meinen Ärmel und ging wieder. Erwischt wurde ich nie- Angst davor, erwischt zu werden, hatte ich aber auch nie.

Heute morgen dachte ich, dass ich mir mal wieder so ein Nest bauen könnte.
Ich habe es immer so genossen bäuchlings auf dem Bett zu liegen, links die Schokolade oder anderer Süßkram, rechts die Lochkartenkatze und in der Mitte der Schlüssel zur Welt.
So kam es mir wirklich vor. Die Buchstaben, die Reihe für Reihe in meinen Kopf hineinwanderten und sich dort zur etwas zusammentaten, das viele Fragezeichen unter sich begrub.

Ich merke, dass ich nicht nur die Ruhe, die Geschlossenheit wünsche. Sondern auch dieses Gefühl der Sicherheit, weil ein weiteres Fragezeichen weg ist. Dieses Gefühl, das ich früher auf meinem roten Fahrrad immer hatte, wenn ich zur Bibliothek fuhr. Der Wind vorn vorn, die Schweißtropfen im Haaransatz und das Gefühl auf dem Weg zum Wissen zu sein. Wissen und Handeln.

Da gibt es so eine Krimireihe von einem Jungdetektiv, der zum Nachdenken kalte Milch und eine bestimmte Sorte Kaugummi braucht. So ähnlich ging es mir: mein Bett, meine Sachen, ein Buch und alles wird sich richten. Das Buch würde mir sagen, worauf ich meine Lupe richten müsste, aufgrund welcher Fakten womit gerechnet werden müsse.

Heute bin ich 27 Jahre alt.
Die Bücherei ist mir entzaubert als Hort des Wissens. Vielleicht liegt es am Wunsch nach Bestätigung, der erst erfüllt sein muss, bis ich mich wieder öffnen kann. Es ist eben auch- neben allem Anderen, was bei uns so passiert- so eine Phase mit Mitte Zwanzig. Die erste Midlifecrisis, die kaum einer wirklich ernst nimmt, weil es eine Mischung aus Postpubertärem: „Ich weiß schon alles.“ und Jungerwachsenem: „Ich weiß verdammt nochmal nicht, was mir noch fehlt, um zu wissen, was ich will…“ ist.539925_web_R_K_B_by_johnnyb_pixelio.de

Ich weiß grundsätzlich, was mit mir und uns los ist.
Es ist nicht die Zeit wahllos abzustoßen. Nicht die Zeit sich nicht zu verletzen. Nicht die Zeit einem Schmerz den Raum zu lassen, den er braucht und stetig pochend einfordert. Es ist nicht die Zeit, einsam zu sein. Es ist aber auch nicht die Zeit nicht einsam zu sein. Es ist nicht die Zeit, in der Schokolade links und Lochkarte rechts, der Garant für das Gefühl, in sich selbst sicher zu sein, weil es eine Ahnung von einem Plan der eventuell vielleicht klappen könnte, vermittelt. Es ist nicht die Zeit, in der wir uns verändern müssen, sondern uns auf den Prozess selbst einlassen müssen.

Es ist die Zeit, die begann, als die Lochkarten verschwanden und durch ein Scannersystem ersetzt wurden.
Es ist die Zeit, in der wir uns klar machen müssen, was wir können, was wir haben, was wir wie jederzeit noch beeinflussen können, obwohl plötzlich fehlt, was immer da war.

Es ist die Zeit, in der wir uns hingeben müssen, obwohl wir alle wissen, dass es noch nie schlau war, dies zu tun.

besondertäglich

Gestern haben wir uns Kunst angeschaut. Wir sind aus dem Haus gegangen, haben unsere neuen Gemögten getroffen und sind in der Öffentlichkeit gewesen.
Schwusch!
Das ist etwas, wozu ich mir normalerweise meine rot- güldenen Wonderwomenstiefel sowie meine Kleiderschutzpanzer anziehe und hoffe, die Aufmerksamkeit bei den Menschen, die mich kennen, die ganze Zeit über halten zu können.

Aber gestern schien die Sonne. Es war warm, während ein bisschen Wind ging.
Es war das typische Problem von Menschen, die sich selbst verletzen: Was ziehe ich an? Lang, kurz, welcher Stoff in wie vielen Lagen ist aushaltbar und trägt nicht zu einer übermäßigen Geruchsentwicklung bei? Was passt zusammen und ist dem Anlass angemessen?

Ich war so unangezogen wie schon viele Jahre nicht mehr.
Ein Kleid, das überm Knie endet und dessen Ärmel nur die Schulterkugeln bedecken.
„Mooa das Kleid ist genau richtig jetzt- ich nehm das jetzt. Seide ist gut bei dem Wetter. Die Strumpfhose passt dazu und die Schuhe- ich nehm das jetzt. Ja, ich nehm das jetzt. Ich will das jetzt anziehen.“
[- „Du denkst auch nie an die Anderen, ne? Weißte, das ist, was unsere Kontakte immer so kaputt gehen lässt- die gelten doch gleich als was, was sie nicht sind, wenn sie mit dir so gesehen werden.“]
Schnell über Twitter nochmal gefragt, obs okay für sie ist.
Ist es. Ha! Bätsch!

[- „Du siehst scheiße aus. Lass es. Alle werden dich angucken- eh schon wegen des Zopfes und dann sehen sie die Narben und dann bist du wieder Klopsi von Ballerburg zu Psychohirn- aber das willst du ja, ne? Du willst nicht, dass die Leute etwas Anderes von dir denken, ne?“
– „So willst du gehen? Du siehst nach „Fick mich“ aus. Wenn dich einer anquatscht, haste selber schuld.“
– „Schrecklich- einfach schrecklich. Hässlich.“
– „Das ist zu unsicher. Man sieht zu viel vom Körper. Man soll sich nicht so zur Schau stellen- oder suchst du einen Ehemann? Dann wärst du im Frauenkulturzentrum sicher falsch.“]

Ich schleifte NakNak* durch den Park und wurde wieder unsicher. Aber die Zeit wurde knapp und ich hatte keine Lust mehr mich nochmal in den Kleiderschrank zu setzen und festzustellen, dass das Kleid eben doch das Beste, neben der üblichen Alltagspanzerung, gewesen wäre.
Es war ein besonderer Anlass, es war ein nicht alltägliches Zusammenkommen.

Im Sommer werden wir auch im mehrschichtigen Sichtschutz angequatscht und „angeflirtet“. Die Klamotte spielt dabei keine Rolle, sondern lediglich unsere biologische Weiblichkeit. Für solche Menschen sagt jede Kleidung „Fick mich“. Und einen Ehemann zu finden, hat auch nichts mit dem Aussehen oder dem Zeigen der Körperlichkeit zu tun. Mal abgesehen davon, muss ich mal noch herausfinden, wo das nun wieder herkam. Klingt nach Zeitverschiebung um etwa 60-70 Jahre…

Wir gingen zurück in die Wohnung, in der sich NakNak* uftzend unter die Essecke fallen ließ.

Ja? Nein?
Verdammt- Ja!

Dann fiel mir noch etwas ein, was dieses Gewülst aus innerer Ablehnung und Kommentiererei beenden könnte. Mensch XY nebenan.

„Ist Mensch XY da?“, fragte ich den Besuch, der bei ihm in der Küche stand.
– „Nee, der ist grad was einkaufen.“
Hm… was jetzt? Die pünktliche Bahn hatte ich jetzt schon verpasst, noch später zu kommen ging nicht.
– „Na dann- kannst du mir grad sagen, dass ich nicht komplett furchtbar aussehe?“
[Warg- eines der Teenieinnens. Nein Nein Nein geh weg- jetzt waaaa nicht jetzt.]
„Ach nein gar nicht! Wirklich nicht.“
„Okay, danke- Erklärung kommt später- Tschüüüß“, umgedreht und los! Im Laufen merken, wie dieses Teenieinnen es genießt weniger zu tragen und etwas das wir „halb und halb“ nennen versuchen. Akzeptieren dabei Britney Spears in den Ohren haben.

Die Ausstellung war schön, die flockige Art des jüngeren Innens in meiner Nähe war hilfreich, den Kontakt zu den Gemögten zu halten. Wenn auch weniger hilfreich beim Thema „VulvaArt“ der Ausstellung. Meine Güte- Teenies sind echt unreif, wenn ich das hier grad mal anmerken darf haha

Wir haben jemand Neues kennengelernt, und sind im Anschluss sogar noch in der Öffentlichkeit essen gegangen. Auch so eine Sache gerade. Menschenessen essen, sichtbar sein, kurzärmlig sein, sprechen, denken, interagieren. Die Menschen beobachten, imitieren und das alles mit Nutzung des Sprachzentrums, während man den inneren Händen und Füßen wegstemmt, was sich hochdrücken will.
Merken, wie leicht der Nichtkörpername bei einer Vorstellung gesagt werden kann. Wie gut er in diese Konstellation passt, wie sehr es erleichtert, „die Hannah“ sein zu dürfen und von Anfang an so bekannt zu sein.

Merken, wie gut es tut, vermitteln zu dürfen, dass man nicht gut bitten kann nach Hause gefahren zu werden und nicht alles dahinter auch noch sagen zu müssen. Am Ende sogar ein bisschen vergessen zu können, was man gerade an hat und wie man aussieht.

Zu Hause haben wir uns wieder umgezogen. Aber nur weil sich Wolken am Himmel zeigten und die Nacht kühl zu werden begann. Erst mal ein bisschen in NakNak*s Fell weinen vor Dankbarkeit und das Eindrucksgewirbel im Laufen mit dem Hund verteilen. Es einfach im Park liegen lassen.
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Irgendwann in der Nacht sogar traurig darüber sein, seinen Höhenflug beenden zu müssen, weil der Körper nach Schlaf jammert.

Nein, es war nicht alltäglich. Es war besondertäglich. Schön und nah dran an dem, was wir uns für die Zukunft vorstellen.

Danke ihr Beiden!

eine Portion „selber schuld“

das wird wohl über kurz oder lang, das Einzige, was wir uns noch zu essen auf den Tisch stellen können.

Grund: Ich verstoße derzeit gegen die Eingliederungsvereinbarung mit dem Jobcenter meiner Stadt.
Darin ist festgehalten, dass ich mich für die Abendschule anmelde und die Bestätigung darüber beim Jobcenter abgebe. Wenn ich das nicht tue, soll ich mich dort melden. Schriftlich, telefonisch oder persönlich.

Was mache ich?
Ich bin in meiner Wohnung und tue nichts.

Obwohl- stimmt gar nicht. Ich vergehe in Zukunftsängsten, Zweifeln, Selbstzerstörung. Dissoziiere so vor mich hin, schreibe ab und an an einen Artikel, lese im Internet, bis ich genug Kraft angesammelt habe mit dem Hund rauszugehen und einzukaufen. Auf einem Weg noch im Copyshop vorbei zu gehen und meine letzten Hartzzettel für die komplette Anmeldung an der Abendschule abzugeben, übersteigt meine Kapazitäten. Scham diese Zettel öffentlich zu kopieren, das Gefühl: HA! Jetzt bist du verpflichtet die nächsten 3 Jahre zur Schule zu gehen und ES GUT ZU MACHEN!, schnürt mir die Kehle von links zu- während von rechts der Zug der Alltagsbelastung kommt.

Wir hatten eine Woche lang das jüdische Wochenfest und waren damit eigentlich so schon gut ausgelastet. Dann kam Pfingsten, eine Zeit, die uns Erinnerungen hochspülte und einen Reigen aus Schmerzen und Reorientierung nötig machte. Und jetzt ist wieder Alltag.

Nach der Reise Anfang des Monats habe ich noch 2,92€ auf meinem Konto, meine Muskeln sind übersäuert, weil ich schon wieder zwei Nächte nicht geschlafen habe. Meine Konzentration ist körperlos und immer wieder ist es allein der Hund der mich aus dieser Absorption heraus holt. Der mir zeigt, dass es so etwas wie Zeit und Raum gibt.

Wie soll das in der Schule denn klappen? Und wie soll ich das alles der Sachbearbeiterin beim Jobcenter klar machen? Sie ist wirklich sehr nett und hatte bis jetzt immer viel Verständnis für mich. Aber ich weiß auch, dass sie Vorgaben hat und, dass so eine Eingliederungsvereinbarung bindend ist.
Als wir sie unterschrieben haben, dachte ich auch wirklich, dass ich das alles packen könnte. War so voller Kraft und Tatendrang, dass ich wirklich dachte: „Yes- ja- ich kann das- ich schaff das- jetzt oder nie- Attacke!“

Und jetzt bin ich einfach nur müde. Es arbeitet viel im Innen. Da kommen Konturen zum Vorschein, die mir mehr Einblick in unsere Biographie gewähren und so vieles verstehbar machen. Das ist unglaublich anstrengend. So anstrengend, dass ich sogar froh bin, dass wir nur einmal in der Woche zur Therapie gehen und uns dem widmen und ich den Rest der Woche für mich allein sortieren kann.

Ich weiß, dass ich mich wiederhole. Wir haben dieses Thema schon oft hier im Blog gehabt, doch gelöst ist es noch immer nicht.
Wenn ich mich so schwach fühle wie heute, mich nach einem Flashback wie der letzte Dreck fühle, dann komme ich mir wieder dem Begriff der „Abfallexistenz“ entsprechend vor. Und sofort stehen die Kämpfer hinter mir. Die stolzen Aufrechten, die eine Berufsbezeichnung für sich haben wollen. Die Zukunft zum Frühstück essen wollen.
Diejenigen, die uns mit ihren Kämpfen aber auch unglaublich viel Energie abziehen.
Die Phoenix AG zum Beispiel ist jetzt über 3 Wochen her und wir sind noch immer nicht wirklich wieder zu Hause und „da“ und erholt von den Strapazen und Anstrengungen. Obwohl es nur 4 Stunden Reden, Denken und Zuhören war, obwohl der ganze Ausflug aus unserem Hamsterrad nur 3 Tage lang war.Obwohl nur 3 Innens das gemacht haben.

Nichtschlafen Nichtessen Schmerz aushalten oder einfach nur zerreißendes AAAAAAAAAAAAAAAAAH!
dieser Zerstörungskreisel frisst uns auf und wiederwiederwieder ist dieser Schwächegrad erreicht. Der Punkt, an dem es die Versuchung des Suizids- der eigentlich auch schon mal vom Tisch war- gibt und zum tröstendem Notausgang wird.
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Es ist alles selbst gemacht. Alles die eigene Schuld, die eigene Verantwortung, der man nicht nachkommt. Die eigene Not, die zum Meer wird, in dem man zu ertrinken droht, noch während man verdurstet.
Es geht nicht vor in die Zukunft und auch nicht mehr zurück in die komplette Abgabe von allem. Diese Stasis- dieser Sturm im Wasserglas, das mein Körper ist. Dieses Ertragen, das zum Aushalten wird.
Alles selbst gemacht.

Wir haben in der Therapie gelernt, in solchen Zeiten auf das Geschaffte zu gucken.
Hier mein Geschafftes der letzten Tage: die Buchbesprechung endlich fertig gestellt, die Dreckwäsche zu Tragwäsche verwandelt, staubgesaugt, mit einer Gemögten eine Hunderunde gemacht, Artikel und eine Email an die Frau vom Jobcenter geschrieben.

Wo bleibt jetzt bitte der Knall in dem mir klar wird, dass das schon viel ist? Nach dem mir klar wird, dass ich aufhören DARF mich nicht auch noch mit solchen Kürschnörkeln neben der Lebens- Überlebenspflicht zu belasten?
Wo bleibt der Punkt an dem ich nicht mehr dauernd denke, dass ich selbst schuld bin, wenn es mir einfach nur grottenschlecht geht und das Bett, die Decke überm Kopf, das einfach nur hemmungslose Heulen über meine Lage auch einfach mal okay und erlaubt ist?!

da ist er wieder

Eingerollt zwischen Ast und Stamm hockt er im Baum, wie ein Vogelnest aus Fetzen von Menschenkostümen. Er schützt seine Seite, während er eine Zigarette nach der anderen raucht und seinen Blick zwischen die Rillen der Rinde in eine Zeit fallen lässt, die ihm so nah, doch der Welt mit jedem Ticken der Uhr ferner ist.

Die Unruhe, die Angst, die er im Nacken fühlt, das Wissen um sein Sein, er atmet es mit jedem kratzenden Rauchschwall im Kehlkopf wieder aus, noch bevor es ihn wirklich berührt. Von seinen Schultern laufen die Tränen der kleinen Herzen, die auf ihnen ruhen und rieseln auf den Frühling hinab.49564_web_R_by_Udo Altmann_pixelio.de

„Mach diese ekligen Dinger aus- du machst, dass das Körpergesicht irgendwann aussieht, wie das von der Mutterfrau“. Sie hängt zwischen zwei Ästen und baumelt kopfüber herab. Ihre Rattenschwänze berühren seine Knie, als ihre kleinen Hände sein Gesicht umfassen.

„Lass mich, das ist nicht mein Körper- geh weg! Ich will… lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Geht doch alle weg und lasst mich!“, wie ein angeschossenes Tier beißt er um sich und lässt die Kleine von ihrem Ast herunter fallen.

Sie landet im Gras, hört es beim Aufprall in ihr krachen und brechen, schaut nach oben auf seine gequälte Gestalt.

Und klettert wieder hinauf.

Das Tagebuch. Sein Sinn und das, was sonst noch damit zu tun hat

Das Tagebuch ist wieder da.

Vor ein paar Wochen- oder Monaten?- war es verschwunden. Zerrissen, verboten, Hoheitsgebiet der BÄÄÄMs.
Es gab wieder Listen und Zettel. Aber natürlich nicht vom Block oder in einem Heft, denn Besitz ist so eine Sache im Denken der BÄÄÄMs.
Bonbonpapier, Verpackungsmaterial, die eigene Haut, ein Zeitungsfetzen, die Rückseite eines Kassenbons… alles wurde zum versteckten Plätzchen. Kontakt- und Suchanzeige nach innen. Mahnmal und sichtbare Drohung. Erinnerung an das zu füllende Alltagsgeschehen.

Wenn wir eines führen ist mehr Überblick möglich.
Symptome die sich häufen oder abnehmen; das Gewicht, eine Dokumentation der Verletzungen und der Versuch sie zu versorgen. Die Finanzen, Ämtergänge, Jobangebote und Arbeit die bereits gemacht wird. Wann wer was gegessen hat, wann der Körper wie lange geschlafen hat (oder es ein „schlafen“ war). Wann NakNak* Auslauf hatte und wie viel. Wo und evtl. mit wem und wenn ja, was dort besprochen wurde. Welche Menschen mich in Zukunft vielleicht anrufen und warum. Welche Einstellungen wann, warum und wie am Blog vorgenommen wurden. Welche Kleidung/ Bücher/ Gewerke wann an wen und über welches Portal verkauft, gekauft oder getauscht wurde.
Wer was denkt. Was wer fühlt. Was wer warum gemacht oder gedacht oder gesagt hat. Die Therapie mit allem was sie aufwirbelt oder niedertritt.
Unser ganzes (Er)Leben steckt in diesen meist billigen Chinakladden von denen im Monat etwa 2-3 vollgeschrieben werden. Sie sind vergänglich und nur begrenzt wichtig.

Unser Tagebuch ist wie ein Liveticker im Sportkanal: Einmal benutzt, vielleicht zweimal oder dreimal, dann ist das, was darin erwähnt wird, schon wieder nicht mehr aktuell.
Es eignet sich nicht zur Analyse eines Gesamtzustandes, weil es mehr Konstruktion einer Gesamtheit ist, als die Dokumentation des Erlebens einer Gesamtheit.

Als de Diagnose gestellt wurde, hatte uns die Therapeutin damals gesagt, wir sollen doch mal versuchen eines zu führen. Ich meine, es war nach einer Stunde in der ich wieder einmal nicht mehr sagen konnte als „alles scheiße“; zwischen den verschiedenen Gedanken und Impulsen nicht trennen konnte und direkt konfrontiert war mit dem Verlust von 3 Wochen Zeit.264967_web_R_by_BirgitH_pixelio.de Ich dachte damals, sie meinte eine Art Tagebuch in dem es Einträge gibt á lá „Heute habe mir ein Eis gekauft. Es war lecker. Mir gehts gut, morgen fahre ich in den Zoo.“. Und ich unterstelle der Therapeutin von damals einfach mal, dass sie etwas in der Art auch im Kopf hatte.
Ich scheiterte natürlich mit Pauken und Trompeten an der Aufgabe und irgendwann gab es auch eine gewisse Resignation. Gut, dann eben kein Tagebuch das schön alles zusammenfasst. Und irgendwann, irgendwo zwischen der Entwicklung von Hospitalismus als Nebenschauplatz und dem infernalischem Chaos, das auf die Entlassung und die Umsiedlung hier in diese Stadt folgten, endeten auch die Bemühungen Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Wünsche festzuhalten. Und sei es nur auf der unbedruckten Ecke einer Buchseite.
Das Außen war durcheinander und desinteressiert, später sogar offen demütigend und gespalten. Wir wurden missachtet und trugen alles ins Innen hinein.
Erst viel später dann, erklärte uns die Kliniktherapeutin hier, wie ein Tagebuch richtig aussehen könnte. Was wir für Möglichkeiten testen und für uns erkunden könnten.
Es war nur eine Stunde und das Thema war als solches gar nicht explizit auf dem Tisch, aber die Nebensätze: „Nehmen sie einfach was kommt und tun Sie es da rein“ und „geschrieben oder gemalt oder geklebt… “ fielen und sie blieben bei mir.
So brauchten wir nur noch die 2 jährige Schleife, bis wir uns den Besitz von Kladdenbüchern erlauben konnten und konnten dann aber loslegen.

Und doch. Trotz dem das Schreiben eines Tagesbuches etwas ist, dass uns sehr hilft und zeitweise gut tut, ist es bis heute Nichts, das wir für uns tun. Es geht dabei nicht um ein seelisches Gleichgewicht oder einer Art Ordnung des Lebens. Es geht bis heute darum, besonders gut so tun zu können, als gäbe es keine Amnesien und als gäbe es eine Ordnung, die man analysieren und für sich nutzen könnte. Es ist ein Kontrollversuch durch striktes Protokoll.
Es ist für uns manchmal nur nützlich, weil es für unsere Therapeuten nützlich ist.

Manche Menschen führen ein Tagebuch, um Abstand zu ihren Erlebnissen zu bekommen. Ihre Probleme und Konflikte objektiver betrachten zu können.
Dadurch, dass wir einander und die Dinge, die wir jeweils tun bereits als objektiv und voneinander unabhängig erleben, sind wir- auch wenn wir es so aufgezeichnet vor uns liegen haben, nicht in der Lage die Einträge als etwas zu betrachten, das einen Verlauf oder eine Entwicklung noch objektiver darstellt. Dies ist vielleicht sogar Stoff für geistige Hochglanzdiskussionen: Wieviel objektiver kann Objektivität in Bezug auf eigentlich ganz subjektive Erlebensweisen sein? Ist der Anspruch einer Objektivität nicht erst dann gerechtfertigt, wenn ich die Dinge grundlegend als subjektiv betrachte?

Jedenfalls ist es jetzt wieder da. Nicht für uns oder weil wir es so dringend wollten. (Wollen dürfen.. oy vey was für ein Thema gerade im Moment!) Sondern, weil unsere jetzige Therapeutin endlich von ihrer Autorität Gebrauch gemacht hat. Ziemlich peinlich, nicht wahr?
Da sitzt man da und redet so vor sich hin, lässt sie teilhaben am stetig tiefer kreiselndem Weltendreh im Innen und hofft und wartet doch irgendwie, dass sie in diesem beängstigend strengen Tonfall sagt, dass man das und das (Guttuende, Hilfreiche) gefälligst nicht aufzugeben bzw. von sich wegzuschmeißen habe. Das man gefälligst zum Arzt gehen solle, dass man gefälligst die getroffenen Absprachen einzuhalten habe. Einfach nur, weil es bis heute mehr gilt, wenn jemand Außen (der per se einfach, weil er nicht man selbst ist, eine nicht zu hinterfragende/ bekämpfende Autorität stellt) etwas bestimmt, als wenn wir selbst etwas für uns bestimmen.

Das Tagebuch fällt in die Kategorie „mitarbeiten“.
In der Therapie und im sozialen Miteinander allgemein, ist es hinderlich amnestisch zu sein.Und es ist unsagbar peinlich dies zuzugeben.
Außerdem ist es ein Zeitfresser.
Eine Therapiestunde hat 50 min, die Krankenkasse bewilligt im Schnitt 120 davon.
Würden wir in jeder Stunde damit befasst sein, die Amnesie des Alltags (nur des Alltags und der aktuellen Lebensrealität) auszugleichen, wäre das Ergebnis vermutlich die Erkenntnis: „Wow ich bin multipel und meine ganzen Parallelleben sehen so und so und so aus.“ Badabing badabumm- für diese Erkenntnis bin ich aber gar nicht da.
Ich will ja lernen, wie ich das Ganze als zu mir gehörig erlebe und erinnere (es überhaupt erinnern zu wollen ist, denke ich, logisch), in der Hoffnung, dass dies dann irgendwann dazu führt, dass der ganze somatische Kladderadatsch aufhören kann, mich kaputt zu machen.
Also ist das Führen eines Tagebuches eigentlich der Teil Therapiearbeit den wir unbegleitet (und teilweise auch ungeschützt) machen (müssen).

Mein neues Tagebuch ist jetzt 8 Tage alt und ich bin entsetzt.
Hatte ich neulich in einem Chat noch gewitzelt, dass „wir das mit dem multipel sein, irgendwie grad viel zu gut machen“, sehe ich nun, wie weit wir wieder auseinander driften können, wenn es nötig erscheint. Was für eine Suizidalität, Verzweiflung, Todesangst, aber auch tiefe Hoffnung, Kampfgeist und Menschenliebe in meinem Innen vor sich hin brütet und sich gegenseitig einen Schützengrabenkrieg liefert. Wie viele Tote es bereits gegeben hat und was für neue Soldaten der Entwicklung inbegriffen sind.
Und das, obwohl draußen die Sonne scheint, uns niemand von außen Gewalt antut, viele neue tolle Chancen und uns guttuende Kontakte da sind… wir doch verdammt nochmal einfach nur zugreifen müssten.
Irgendwie tut mir das weh.*
Und ganz eigentlich merke ich an mir, dass ich, einfach nur um diesen Schmerz nicht zu fühlen, das Tagebuch gern schon wieder weggeschmissen haben will.

P.S. Das Blog könnte man wohl auch als Tagebuch begreifen, doch da es- bei aller Nähe und anscheinender Kohärenz- in der Regel von Einzelnen mit lediglich dem Innen, das gut schreiben kann, zusammen geführt wird, ist es mehr Prisma, als global umfassendes Ausführen. Man bekommt hier lediglich Eindrücke, Ideen und Gedanken von Einzelnen von uns zu lesen. Man kann sich wohl seine Gedanken machen, wie unser Leben wohl so aussieht, doch es würde nicht gelingen. Es ist eben doch nur die Reflektion eines einzelnen kleinen Spiegels

P.P.S. Eigentlich… das fällt mir gerade noch so ein, sollte ich vielleicht doch mal ein Tagebuch von heute aufbewahren.
Vielleicht schaffen wir es ja doch uns irgendwie zu integrieren und später ein Tagebuch zu führen, das nicht aus lauter Snippets besteht.
Es wäre vielleicht interessant beide vergleichend zu betrachten.

P.P.P.S. (ja heute lange ich hier richtig zu) *Edit: Den Bezug zu mir selbst habe ich beim Lesen überwiegend „kopfisch“, da ich weiß, dass mein Körper das geschrieben hat.  Erlebten Schmerz fühle ich im Moment, eher als „Hauch der mir zu nahe kommt“