subject: Zuschreibung

Endlich habe ich etwas fertig gestellt. Hurra.
Vielleicht brauche ich alle 6 Monate eine existenzielle Krise um Dinge zu schaffen?

Ich würde das natürlich niemandem empfehlen, denn Entselbstung schmeckt nach dieser Säure, die neben der Zunge entsteht, wenn einem die Panik in den Ohren rauscht und kleine Schweißtropfen auf der Oberlippe liegen.
Aber ich kann jetzt auch nicht sagen, ich würde das Ergebnis nicht doch auch mögen.
Das sind die kalten Finger und Füße, weil der Körper schon längst wieder auf Hungerzeit geschaltet ist. Die Rückenschmerzen, weil so ein IKEA-Küchenstuhl eben doch kein ergonomisches Wundersitzplätzchen ist. Das automatisierte Reinschütten von Kaffee.  Das Gehirn, das scheinbar ohne Körper ist.

Ich habe das Gefühl, alles zu geben, wenn ich in diese Art Arbeitsrausch komme und denke: “Genau so muss das ja auch sein. So und nicht anders. Wenn man arbeitet, dann muss man sich selbst vergessen. Nur so wird es was.”.
Erst später fällt mir auf, dass ich mich nicht vergessen habe, sondern weggelaufen bin, um zu vergessen.
Wenn ich vor Hunger, Jobcentersorgen, sozialen Unruhen, Versagens- und Vergangenheitsangst weglaufen will, dann funktioniert das fast ganz von allein.

Und dann ist es so eine kleine Aufgabe, wie eine Vita zur eigenen Person zu schreiben, die mich an mich erinnert.
Auch, weil ich im Moment nicht einmal so sicher bin, ob es mich überhaupt gibt.
Bin ich, wenn ich die Zuschreibungen anderer Menschen von mir abkratze?

Ich habe an die Irrwichte in Harry Potter gedacht.
Die Irrwichte verwandeln sich immer in das, wovor die Person, die sie anschaut, am meisten Angst haben. Niemand weiß, wie sie aussehen, wenn sie niemand ansieht.
Ich bin eine Irre, die am Gesellschaftsrand steht. Wenn Menschen mich anschauen, sehen sie alles, wovor sie Angst haben, sich ekeln, worüber die traurig sind, was sie sich wünschen, was sie ablehnen.
Und wenn ihre Augen zu sind, dann bin ich der Hauch, der Äther, ein formloses Irgendwas, das es vielleicht gar nicht gibt.

Wenn ich eine Vita über mich schreibe, dann schlüpfe ich in die Blicke anderer und reproduziere ihren Blick. Ich sortiere alles, was von mir für andere wahrnehmbar ist nach ihrer Angemessenheit und klebe sie passend in Formulare, Bewerbungen, Bettelbriefe … .
Ich glaube, die Psychologie sagt “Selbstunsicherheit” dazu.
Ich bin mir aber nicht unsicher über mein Selbst. Ich bin ich.
Ich bin nur nicht, was man mir zuschreibt und weiß nicht, was ich mir selbst zuschreiben könnte. 

Vielleicht ist es so, dass ich merke: Ich bin ein Subjekt.
Obwohl ich mein ganzes Leben lang vom Außen für das Außen zum Objekt gemacht wurde und werde.
Und dabei sogar mitwirke, indem ich in meinen Laptop tippe:
“Hannah C. Rosenblatt, Jahrgang 86, ist freie Autorin aus NRW …” , um zu vergessen, dass der Postbote gerade da war, es noch 5 Stunden bis Essen sind und die nächste Zuschreibung auf mich geklebt wird, sobald dieser Artikel veröffentlicht ist.

Täter_Abkehrschmerz_Kontakt Teil 5

Und dann ist da der Schmerz der kommt, spürbar ist und bleibt.
Freiheit sollte keinen Preis haben.
Für Menschen ohne Ressourcen hat sie das aber unter Umständen schon.

Ich muss, während ich dies schreibe, an den Kommissar a.D. Hr. Paulus denken, der bei der Tagung, so emotional für frühe Interventionen eintrat. Wir waren verdammt früh dran, für alles das was in unserem Leben passierte und doch scheint es für uns als Mensch in einer (kapitalistischen) Leistungsgesellschaft, als sei doch schon alles zu spät. Als sei das, was für uns gut und wichtig ist, nichts, was uns irgendwann in die Lage bringt tatsächlich jemals so frei zu sein, dass wir wirklich und tatsächlich sagen können: „Ja, hier habe ich das Sonderangebot der kostenlosen Freiheit in der Hand, von dem ich im allerersten Artikel zum Thema „Täterkontakte“ geschrieben habe.“442855_original_R_by_Günter Havlena_pixelio.de

Wir waren minderjährig, als wir, aus welchen Gründen auch immer, (psychisch) auffällig wurden. Minderjährig, als wir aus eigener Kraft wegliefen und uns in räumliche Entfernung brachten. Minderjährig, als wir uns jahrelang durch die Mühlen von Institutionen der ja fast industriellen Massenbearbeitung zwecks „Heilung“ (die eigentlich „Anpassung“ meint) hin und her schieben ließen. Minderjährig, als wir Entscheidungen treffen mussten, die ein Leben beeinflussten, von dem wir noch nicht einmal wussten, wie genau das aussehen könnte/ sollte/ müsste.

Wir haben so ziemliche jede Etappe, die uns aus den destruktiven Konstrukten herausbrachte, fast allein gekämpft. Nur diesen Aspekt der Gewalt, haben wir in einer Art beendet, die uns in Kontakt brachte.
Und nun, wo wir alles das hier aufschreiben, kommen wir in Kontakt mit dem Trennungsschmerz.
Dabei ist das alles schon viele Jahre her. Doch diesen Punkt- den Verlust und die Bedeutung all dessen, was vielen Innens Sein und Ziel gab (und noch immer gibt), haben wir bis heute nicht bearbeitet und verkraftet. Es schwelt wie ein blubbernder Pudding unter der Haut und kommt ab und an mal wieder hoch.
Weil wir eben mit genau dem unglaublich allein stehen.

Es ist der Haken an Pseudoreligiosität oder auch den sozialen Rollen in Gewaltbeziehungen.
Du bist etwas und stehst für etwas. In deinem kleinen Leben, das so voller Schmerz ist, bist du etwas für jemanden (oder etwas). Da gibt es Pflichten, Zwänge, Regeln, die genau deinen Wert abzirkeln, dich genau wissen lassen, wo du stehst. Es ist unverfälscht und steht im direkten Bezug zu dir.
Fällt es weg, bist du nichts mehr- weder vor anderen noch vor dir selbst.

Das ist der Punkt, der unglaublich anfällig für die nächste Sekte, die nächste gewalttätige Beziehung, die nächste Extremistengruppe macht. Ich las neulich einen Artikel in dem stand, dass Aussteiger nach dem Ausstieg aus satanistischen Kulten ihren Zugang zum Christentum finden und klebte unter der Decke, weil ich mich direkt fragte, wo dann da bitte die Freiheit blieb?
Selbstdefinition passiert über das was man tut und die Wertschätzung, die einem darüber entgegen kommt.

Jeder sagte uns nach dem Ende der Gewaltkontakte, dass wir das toll durchgestanden hätten und gut für uns gekämpft hätten. Aber niemand hat gefragt, was dann kam.
Und so kam einfach: Nichts.

So ist das, wenn man spaltet. Da ist dann einfach nichts. Lieber nicht dran denken, lieber nicht dran rühren. Man hat ja nun geschafft, was immer in den tollen Büchern steht und was „die Anderen“ sich so für einen wünschten. Die schlimmste Angst ist ja jetzt weg. Der regelmäßige Schmerz ist ja jetzt weg. Jetzt ist der Wasserhahn ja abgedreht.
Dass er in unserem Fall noch tröpfelte, haben wir unterschätzt; dass es BÄÄÄMs und noch immer hoffende MittelBÄÄÄMs in Winkeln bei uns sitzen gibt, nicht gewusst, weil es keinen Kontakt gab.

Und jetzt, wo er endgültig zugedreht ist, hören wir das Knacken und Knirschen der Wanne.
Man steht davor und weint immer mehr Tränen hinein, weil man- trotz aller Kämpfe und aller Kraft und auch aller Erfolge, noch immer nicht genug in Kontakt mit seinen Händen ist, um den Stöpsel zu ziehen und alles das, was sich da angesammelt hat, rauszulassen.

In der ganzen Zeit haben wir gedacht, dass wir, wenn wir erst mal frei sind, nicht mehr soviel Kraft vergeuden würden müssen, weil wir ja dann nicht mehr ständig Gewalt wegdissoziieren müssen. Dass wir mehr Energie zur Verfügung hätten, um uns richtig doll anzustrengen und auch endlich einen Beruf zu erlernen und nicht mehr in dieser menschenunwürdigen Hartz-Maschine zu stecken. Beim Beginn der ambulanten Psychotherapie nicht von Anfang an auch noch darüber nachdenken müssten, ob wir uns XY leisten könnten, oder ob wir nicht doch lieber noch ein Wochenbugdet beiseite legen um Stunden selbst zahlen zu können- wir wollten ja arbeiten und uns das leisten können.
Wir dachten ja, wenn man frei von Täterübergriffen sei, sei man tatsächlich frei und (man-) selbst- ständig.

So war es aber für uns nicht.
Alles was sich änderte war die Gewalt. Von der Gewalt, mit der wir aufgewachsen und an die wir angepasst waren, die uns Sinn und Sein gab, zu der Gewalt aus der man schlicht nicht aussteigen kann, ohne die komplette Aufgabe all dessen, was man sich doch so hart erkämpft hat.
Natürlich könnten wir in den Wald ziehen und von Gänseblümchen leben. Könnten auf den Staat pfeifen und uns durchschnorren. Doch dafür haben wir das alles nicht auf uns genommen.
Dafür haben wir das alles nicht überlebt- dafür haben wir nicht die Wertnormen aller uns umgebenden Welten von uns abgetrennt. Für ein Leben in Haltlosigkeit ertragen wir diesen Abtrennungsschmerz nicht.

Und doch ist genau dies unsere derzeitige Phase.
Zu erkennen, dass man nicht wirklich frei ist, sondern schlicht haltlos frei herumfliegend.
Im Moment unglaublich tief erschöpft von der Suche nach Halt durch Hilfen und Begrenzungen.

Ja, wir haben mehr Energie und es geht uns in vielen Bereich besser als zu der Zeit, in der manche Innens noch regelmäßig gequält wurden. Aber das, was wir als Ergebnis dieser Befreiung erhofft hatten, ist schlicht nicht eingetreten.

Es ist also auch eine Abkehr dessen, was uns lange durch diesen Prozess getragen hat: Das Denken, es gäbe eine Ordnung und einen Rahmen für uns, wenn wir auf etwas verzichten, was in dieser Welt außerhalb dessen aus dem wir kommen, verurteilt ist.

Vielleicht gibt es diese Ordnung irgendwann. Vielleicht sind wir einfach zu erschöpft von dem Stück für Stück Selbstmord den wir seid dem endgültigen Zudrehen des Täterkontaktes letztes Jahr begehen. Das weiß ich nicht. Ich bin zu jung, um zu wissen was jetzt kommt. Wie lange und was für ein Leben habe ich schon gelebt, um nun auf bereits gemachte Erfahrungen mit so schweren Sinnkrisen zurückgreifen zu können? Da ist keine Basis- nur Material, um etwas Neues aufzubauen und mir selbst einen Rahmen zu zimmern.

Doch dafür brauche ich noch mehr Kontakt mit meinen Händen. Eine vielleicht nur noch zu zwei Dritteln gefüllte Badewanne. Hilfe von außerhalb. Mut und Zutrauen, diese auch anzunehmen.
Aber im Moment habe dies einfach nicht.
Ich bin müde, habe Schmerzen und quäle mich durch die Tage, versuche die Menschen, die mir begegnen nicht anzuschreien, obwohl ich permanent das Bedürfnis dazu habe. Schreibe mich hier täglich leerer, weil ich denke, dass es mich irgendwie definiert als jemand, der etwas tut. Jemand der etwas erschafft und nicht nur Ressourcen frisst.

Die Hilfe, die wir bis jetzt hatten, gibt es so in der Form nicht mehr, dass wir sie nutzen können.
Die Beziehung zu den mit uns verbündeten Menschen hat sich verändert, in den letzten Jahren. Wir sind nachwievor verbündet- aber nicht mehr auf dieser Ebene. Die Kontakte, die wir haben, können alle nur ansatzweise versuchen zu verstehen und nachzufühlen, was in uns vorgeht. Das ist nicht schlimm oder ein Defizit, aber es ist eben nicht das, was wir im Moment ge-brauchen können. Wir brauchen sie! Wir brauchen sie alle! Nur ge-brauchen können wir sie eben nicht.

Wir können keine der sich derzeit bietenden Klinikkonzepte nutzen, weil wir über das hinaus sind, was da angeboten wird. Keine Sektenberatung kann uns helfen, weil die Alternative zu geistig-religiös-spiritueller Haltlosigkeit eben geistig-religiöse-spirituelle Konstrukte sind, die alle samt und sonders- egal wie liberal man sich in div. Gemeinden gibt, einsperren und bei uns alles explodieren lassen würden (unser Eiertanz, den wir hier ab und an zeigen, reicht ja eigentlich, um zu zeigen, wie schwer es schon in Eigenregie ist).

Trotz allem, was jetzt gerade brennt sind diese Gedanken und Schmerzen anders, als die, die es früher gab.
Ja- wir kämpfen wieder um unser Überleben- genau wie wir das noch zu Zeiten in denen andere Menschen noch über uns verfügten, tun mussten.
Doch heute zerstören wir uns selbst, (leben also eine Eigenmacht aus) und sind einer Art Gewalt unterworfen, der sehr viele andere Menschen auch unterworfen sind.

Wir sind also nun, durch alles was wir geschafft haben, immerhin in der Position selbst und eigenmächtig zu bestimmen, ob und wie wir leben oder sterben.

Es ist ein bitterer Sieg.
Aber es ist ein Sieg.

Ende

Wie wär´s mit der Kategorie Mensch?

Jemand sucht eine Kategorie für sich.
Ich schlage “Mensch” vor und stoße auf Unverständnis bei einem Dritten.

Und stehe wieder da und wundere mich.
Nicht böswillig oder wütend. Einfach nur verwundert. Und auch traurig.

Das Finden von für mich-uns passenden Kategorien war eine sehr lange Zeit, Dreh- und Angelpunkt im Leben. Und oft genug wurden dann diese zum Leben selbst. Zum Hauptentsprechungsrahmen.

Das fing für mich ganz deutlich an, als die Diagnose der DIS stand.
Immerhin- hier dachten Innens sie müssen sich regelmäßig auf eine bestimmte Art verletzen, um “die Würmer aus ihrer Seele rauszukriegen”; dachten, sie stürben jeden Moment an malignen Hirntumoren; dachten welche, sie seien schon unheilbar geisteskrank auf die Welt gekommen- selbstverständlich haben wir uns in das Selbstdefinitionskleid gewandet, das uns am Besten passte!

Und völlig logisch haben wir vehement (an manchen Stellen auch zu vehement) selbiges verteidigt, wenn wir dachten, jemand wolle uns das absprechen. Und völlig logisch, haben wir uns eine Filterbubble aufgepustet, die nur aus gleichsam betroffenen Menschen bestand.

Nur haben wir dabei sehr oft etwas übersehen, nämlich, dass es sich dabei um nichts Globales handelt. Dass, das nicht alles ist, was uns ausmacht.

Das ging für uns schon damit los, dass wir merkten, dass es selbst innerhalb unserer Filterbubble/ Kategorie noch Unterschiede gab. Da gibts den Berufsmulti, den Leidensmulti, den heroisch-fauchenden-komm-mir-nicht-zu-nahe-Multi, den körperlich eingeschränkten Multi, den Multi mit Hintergrund X/ A/ B /C…
´”Buuuhuuu” saßen wir dazwischen und dachten: “Nicht mal hier hin gehören wir!”. Was mir rückblickend total absurd vorkommt- aber naja. Ich glaube, jeder Mensch macht diese Erfahrung. Nur in anderen Kontexten vielleicht. Später machte ich ja auch die Erfahrung, dass jede “Themenbubble” in sich ähnlich aufgeteilt ist.

Jedenfalls litten wir schon ziemlich darunter, uns nicht so gemeinsam mit den Menschen in der Filterbubble fühlen zu können, wie wir das eigentlich gewollt hätten. Und tun das noch heute- siehe Drama um die Selbsthilfeforen. Sowas nimmt uns immer wieder richtig schwer mit, obwohl wir wissen und uns vor Augen halten können, dass Gemeinsamkeit schlicht zwei Seiten braucht die aufeinander zugehen und nicht jeder, der sich von uns abwendet oder die Gemeinsamkeit mit uns ablehnt, direkt etwas gegen uns als Person haben muss.

Ich begann darüber nachzudenken, was mich ausmacht und wo ich vielleicht eine Gemeinsamkeit empfinden könnte. Und machte damit einen Schritt, der mir- uns heute sehr hilfreich ist.
Ich rannte nicht mehr auf Grenzen zu, “um zu sehen wo mein Schutz aufhört” (wie es mal ein Innen formulierte). Ich ging an die Grenze und schaute nach Gemeinsamkeiten.

Wir haben uns sehr lange Objektifizieren lassen müssen und begehrten auch nicht auf, als dies nach der Befreiung weiter ging- allerdings auf einer anderen Ebene. Wir kannten nichts anderes- wurden nicht anders behandelt. Da war niemand, der mir dies über mich konkret formuliert rückgemeldet hätte.
Das Opfer
Die Diagnose
Der Klient
Der Patient
Die Fallnummer
Das Beispiel
Das DAS Das ES
das nicht näher definierte Etwas

Ich erinnere an dieser Stelle mal an den Umbruch, den ich damals hier schon einzufangen versuchte. Wir begannen uns übers Mensch-Sein Gedanken zu machen, weil uns unsere Therapeutin einfach so annahm. Und völlig selbstverständlich von unserer Menschlichkeit zu543897_web_R_K_B_by_uschi dreiucker_pixelio.de sprechen begann und uns vermittelte, dass sie uns als Gesamtperson- als Mensch-  mit allen die wir da waren- sie anmeckerten, idealisierten, mochten, hassten, rempelten, stupsten, belächelten, bewunderten, sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, anders liebten, sie verachteten…- sah und akzeptierte.
Plötzlich breitete sich der Rahmen aus. Unsere kleine Selbstdefinitions/ Kategorien/ Filterbubble dehnte sich in alle Richtungen aus. Aus der grundlegenden Akzeptanz, der Innens, die nicht in der Lage sind sich anders auszudrücken, als sie es tun, wurde eine Akzeptanz dessen in allen Menschen.
Wir gingen an den Rand und guckten was andere Menschen denn auch so machen und in sich tragen…

Das ist etwas, das uns sehr viele Möglichkeiten eröffnet mit anderen gemeinsam zu sein. Uns zu verbünden und einander Gutes zu tun. Dinge zu teilen und zu vermehren. An einander zu wachsen, weil man sich gegenseitig halten kann. Miteinander für oder gegen Dinge zu kämpfen. Schutz und Wertschätzung zu erfahren durch Gemeinschaft.

Als wir uns  noch auf nur einen Teil unserer Globalität konzentrierten, weil uns dieser vorkam, als würde er alles an und in uns erklären, konnten wir kaum etwas teilen. Da konnten wir auch kaum etwas geben. Und entsprechend auch nicht wirklich gemeinsam sein. Weder innen noch außen.

Alles was uns daran gehindert hatte in der ganzen Zeit vorher, war, dass wir niemanden hatten der uns das genau so vermittelt hatte und zeigte, wie es konkret geht. Wie “man es genau macht”.
So bin ich sehr traurig wenn ich merke, das jemand eine umschließende Kategorie für sich sucht- gerade, wenn er so oder so schon in einer drin steckt, die ihn nicht einmal als global-mehrdimensionales Wesen anerkennt oder gar benennt. Dann denke ich, dass derjenige unglaublich einsam sein muss und niemanden hat, der ihn wirklich annimmt.

Ich schrieb vorhin bei Twitter:
Gruppenlabels sollten immer Add-Ons sein- nie das Maingame

und so sehe ich das auch.
Statt jedes Mal, um auf etwas aufmerksam zu machen, einen Oberbegriff oder eine viele Facetten ausblendende Kategorie zu kreieren, sollten wir uns öffnen und uns mit jenen verbünden, die alle diese Facetten annehmen und mit ihnen gemeinsam und gut miteinander zu sein.
Und sei es, dass wir uns dabei auf unser aller grundlegendste Gemeinsamkeit berufen.

Unser Menschsein.

Die Gruppenzugehörigkeit kann ein Sahnehäubchen sein. Das Schöne eben, das einen ganz bestimmten Teil in uns berührt und hält. Aber bitte nicht so, als gäbe es nur diesen Teil. Das führt nur zu Spaltung. Und wie tief Spaltung greift, wie verletzend, verstümmelnd und auch einsam machend diese sein kann, weiß- so denke ich- jeder von uns.
Auch ohne, so wie ich, in sich drin gespalten zu sein. (Hint: da ist eine Gemeinsamkeit haha)

von Vermeidungsblasen und Tumoren

Nach Jahren habe ich mal wieder ein psychotherapeutisches (Fach)Buch zum Thema Trauma und DIS in der Hand und könnte es eigentlich schon wieder an die Wand schmeißen, in die Seiten hineinspringen, es auffressen, vollkotzen, zerpflücken… in die Hand nehmen und jedem Außenmenschen um die Ohren hauen, der mir über den Weg läuft.
An meine Brust drücken… hoffend, dass mein Innen etwas spürt, sieht, dass es gesehen wurde. Schau da ist Hoffnung, da ist Heilung.
Es verflüssigen und mir multipelschläuchig intravenös in den Körper einbringen, auf dass es diesen quälend berstenden Wissensdurst genauso stillt, wie das Gefühl der Einsamkeit.

Es ist nur ein Kapitel.
Und das “in der Hand halten” von etwas, das von uns drin steht.
Doch es reicht.

Es reicht mich zu erinnern wie es war, als die Innens noch maligne Microhirntumore waren.
Ich habe nicht unter ihnen gelitten.
Ich hatte keinen Leidensdruck vom Viele-Sein. Das habe ich bis heute nicht.
Ich habe unter einer ständig schwelenden Todesangst gelitten. Genau wie heute- auch wenn der Grund inzwischen ein anderer ist.
Jede Amnesie, jeder Kopfschmerz, jede Seltsamkeit an mir bedeutete für mich: “Der Tumor ist gewachsen- gleich bist du tot.”. Alles was ich mir nicht erklären konnte, wurde durch den Tumor erklärt. Meine Angst bekam eine Berechtigung.
Ich habe eine ganz liebe Vermeidungsblase aufgepustet.
An einem Tumor kann jeder erkranken. Damit bin ich nicht allein.
Vor dem Tod haben viele Menschen Angst. Es ist akzeptabel Angst vor tödlicher Krankheit zu haben.
Ein Tumor wächst im Körper. Niemand kann einem anderen Menschen einen Tumor antun.

Ein Tumor hat keinen Finger, mit dem er auf jemanden zeigen kann.

Es reicht, mir zu zeigen, wie lieb ich bin.
Immernoch.
Lieb in meiner kleine Vermeidungsblase.
“Nein das war nur ein … Tumor…
Es war nicht… nein nein es war nur ein… mehrere Tumore…”

Zu wissen, dass es Innens sind, die meine Stücke vom Zeitkuchen wegknabbern, runterschlingen, auffressen, in sich hineingestopft bekamen und nun wieder herauskotzen müssen, war lange gleichsam eine Art Tumor.
Eine sprachverführende Vermeidungsblase für mich.

Multiple Persönlichkeit.
Mehrfache Persönlichkeit.
Mehrfaches Sein.

“Ja prima. Ich hab den Tumor- die Innens sind einfach nur nicht davon betroffen.
Die sind ertrinkend, erstickend, aufgerissen, benutzt, kaputt. Sie baumeln noch immer nackt von einer Decke, posieren für andere, stinken wie ein verdrecktes Tier, sind ekelerregend, bemitleidenswerter Abschaum, halten auf Wunsch die Körperlichkeit eines anderen, bieten sich an. Sie sind so niedrig, dass man sie gar nicht mehr erniedrigen kann.

Ich bin eine andere Persönlichkeit. Mit mir hat das nichts zu tun.
Mein Sein ist ganz anders.
Ich sterbe nur an Todesangst.
Ich werde in einem Krankenhausbett sterben, ganz lieb. Ganz still.
Die Innens werden in ihrem Dreck verrotten, sollen sie doch schreien, an- klagen.
Ich bin lieb.
Ich bin ein anderer Mensch als sie.
Sie sind meine Krankheit. Sie sind mein Seelentumor.
“Einmal rein- und abschneiden bitte!”

Die Wissenschaft klärte mich auf. Eröffnete mich.
Sie griff zum Skalpell und entfernte eine Schicht meiner Vermeidungsblase.
Ich kann das Innen nun, freioperiert von verwischter Sprache, als dissoziierte Aspekte meiner Identität- meiner Gesamtpersönlichkeit an mich heranrationalisieren.

Ich habe meiner Vermeidungsblase ein Element hinzufügen können, dass eine gewisse Diffusion ermöglicht, eine grundlegende Trennung allerdings aufrecht erhält. So bekam ich Gelegenheit zu 423597_original_R_K_B_by_Sigrid Roßmann_pixelio.desehen, dass auch andere Innens lieber mal “500gr biographische Amnesie kaufen wollen”, statt das Grauen anzunehmen. Ihnen fehlen zwar nicht die ersten 16 Jahre des Körperlebens wie mir, aber auch sie treiben in dieser Seelenlösung aus Angst, Schmerz und Verletzung herum, einzig durch ihre Vermeidungsblase geschützt.
Vielleicht nicht so lieb wie ich.
Wenn ich meinen Gemögten (und dem Blog hier) trauen kann, dann sind sie wohl eher bockig, kernig, charming, bedürftig, kalt, mutig, frech, aufmüpfig, emanzipiert, liebevoll, fürsorglich.
Gleich und doch verschieden.
Getrennt aber doch verbunden.

Ich lese Sachbücher wie dieses nicht so gern.
In der Regel erhöhen sie den Druck. Oft sorgen sie dafür, dass ein Innen an eine durchsichtige Seite meiner Vermeidungsblase gepresst wird und ich es erschreckt anstarre, wie einen Vogel der gegen das Küchenfenster geflogen ist.

Meist fällt mir dann auch gleich noch das Buch aus der Hand, kippe ich fest verklebt in meiner Angst weg und ergieße mein Denken in die unendliche Weite der Vermeidung. Vielleicht der Selbsttäuschung, der Illusion und der Traumtänzerei.

“Es war doch nichts.
Ich dysfunktioniere auf zellulärer Ebene, das ist es!
Das Schlimme… das Böse… das … nein das ist nicht… nein das ist nur ein Tumor.

Ich war doch immer lieb. Warum sollte mir jemand so etwas angetan haben?”

Erst wenn ich das Buch beiseite lege, das Leben kennenlerne; sehe, dass Liebsein kein Garant für Liebgehabt werden ist, schaffe ich es, meine Vermeidungsblase etwas zu öffnen und das Innen davor etwas näher zu betrachten. Zu sehen, wie sehr ich es mit meinem Denken verletze.

Wie sehr ich mich selbst zum Tumor mache.

der bestmögliche Mensch

Der bessere Mensch

Es ist es nicht interessant, wie wir uns selbst gegenseitig schon mit der Formulierung abwerten? Wer oder was definiert, wer ein schlechter oder guter und wer ein besserer oder schlechterer Mensch ist? Ist es das, was er tut oder das, was er lässt? Macht uns eine bestimmte Meinung besser als andere? Macht uns ein Weltbild oder die Auffassung von selbiger zu einem besseren Menschen?

Warum reicht uns Menschen nicht, die Annahme, dass jeder Mensch der bestmögliche Mensch ist?
Warum müssen wir immer ein Wertgefälle erzwingen, wo gar keines nötig ist?

Ich hatte mal einen Artikel darüber geschrieben, dass ich denke, dass wir Menschen es uns eigentlich leicht machen sollten und uns eine gewisse Art “Tiersein” zugestehen sollen.
Unser Hund ist immer der bestmögliche Hund für uns. Sie ist immer die Tollste- ganz egal ob sie sich schon zum 3ten 4ten oder eine Millionsten Mal in Dreck gewälzt hat, mir den x-ten dicken Knüppel auf die Füße wirft oder einfach immer noch kein Schmusehund ist. Wir wissen, dass sie tut was sie tut, weil sie es tun kann und nicht, weil sie sich besser oder schlechter stellen will.
Genauso wie wir Menschen im Grunde auch nur tun was wir tun, weil wir es können.

Aber immer wieder müssen wir uns aufwerten, Unterschiede noch unterschiedlicher machen, um unsere Individualität nochmal und nochmal zu unterstreichen. Ohne uns zu überlegen- uns bewusst zu machen, was genau wir damit tun und was wir unter Umständen mit diesem Verhalten nähren.

Neulich sind wir mit NakNak* durch den Wald gegangen und es raste uns ein Sportradler entgegen. Kopfhörer auf den Ohren, Kippe um Mundwinkel, bergab durch den Wald. Ich sah NakNak* schon seinen Rädern und rief sie ran, nahm sie an die Seite, hielt sie fest. Der Radler stoppte und schaute mich an. Ich winkte ihm zu, er könne uns nun gefahrlos überholen (als wäre NakNak* oder ich die Gefahr- nicht er in seiner stumpf-rücksichtslosen Art durchs Naturschutzgebiet zu donnern). Er aber blieb oben und schrie (!) mich an, ob ich mir denn jetzt wie ein besserer Mensch vorkäme.
Ich war erschreckt, sagte nichts, ließ NakNak* laufen und ging weiter. Dachte aber: Hm, ich kam mir zuvorkommend, mich selbst und meinen Hund schützend, feige und defensiv vor- aber wie ein “besserer Mensch”? Er hatte doch nicht seine Biologie verändert, oder?

Wann fühle ich mich besser vor als andere?
Nie. Ich fühle mich nachwievor immer schlechter, wertloser, widerlich anderen gegenüber.
Wann wird mir gesagt, ich sei besser als andere?
Wenn ich einen Wettbewerb mittels einer meiner Fähigkeiten gewonnen oder im Wettstreit mit jemandem war und mittels einer mir eigenen Handlung siegte.
Wann bin ich ein besserer Mensch? Wann und in welchem Kontext kann ich mir besser in meinem Menschsein vorkommen?
Immer dann wenn ein Maßstab zu meinem Gunsten angelegt wird.
Also… zum Beispiel bin ich ein besserer Mensch als mein Hund. Oder mein Laptop. Ich bin ein besserer Mensch, als ein Skelett. Und so weiter.
Aber wenn ein anderer Mensch neben mir steht… Er ist einer- ich bin einer. Homo Sapiens Sapiens. Beide gleich. Hier verbietet sich jeder Vergleich- jede Wertung ist hier fehl am Platz.

Unsere Existenz ist in jedem Fall gleich- immer. Und unser Sein ist ganz grundsätzlich immer “menschlich”.  Unser Verhalten kann schwanken, unsere Empfindungen und unsere Werte ebenso- aber sie alle können nur so weit schwanken wie es unser Sein- das Menschsein- zulässt. Wir Menschen können uns noch so sehr verhalten wie die Tiere- wir werden nie aufhören ein Mensch zu sein. Und wir werden im Vergleich der Tierischkeit immer abstinken gegen echte Tiere.

In der Philosophie des Humanismus geht man soweit, dass man davon ausgeht, dass Menschen in ihrer Menschlichkeit einen Rang erreichen könnten. So seien es „Taten der Güte”  (Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Menschenliebe und Mitgefühl) die Menschen zu besseren Menschen machten. Als unmenschlich gilt wem andere Menschen egal in ihrem Sein und Leiden sind. Auch diese Philosophen erzwangen einen Dualismus, obwohl sie doch- gerade sie!- , sich doch mit dem Menschen auseinandersetzten und dies als etwas typisch Menschliches hätten erkennen sollen! Kein Tier macht so was! Und Pflanzen auch nicht.
Kein Mensch ist fähig zu Unmenschlichkeit. Keiner!

Man kann sich verhalten, als wäre man keiner. Man kann so tun, als sei man keiner. Aber grundsätzlich ist jeder Mensch menschlich.

Und egal was ein Mensch sagt, ob er sich überheblich darstellt, oder arrogant ausdrückt; ob er sich egoistisch verhält, raffgierig, unbarmherzig, sadistisch oder offen brutal; ob er mordet oder unglaublich viele Kinder zeugt; ob er Tiere oder andere Menschen quält oder liebevollen Respekt, Menschenliebe und Solidarität lebt… er ist immer “Mensch”.
Jeder Mensch ist immer der bestmögliche Mensch.

Ich pfeife darauf, ein besserer Mensch sein zu wollen- bin aber unglaublich verletzt wenn mir jemand unterstellt, ich würde mich als ein “besserer Mensch” aufgrund einer Meinung, meiner Fähigkeiten oder meiner Taten betrachten.

Der Punkt an dem ich es mir (uns) erlaubte, mich als Mensch überhaupt anzunehmen und so mir selbst zu erlauben, dass ich einen Platz in der menschlichen Großgesamtheit einnehme, war der größte Frevel, der mutig brutalste Schritt zur Heilung, den wir bisher genommen haben.
Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass wir uns inzwischen wenigstens das ohne Wertedualismus und ohne Tausch im Innen zugestehen können.

Ich bin froh, dass ich unter meine Avatarbeschreibung schreiben kann: “Ich bin ein Mensch”.
Denn für mich galt das lange nicht.
Ich sah mich in meinem Sein wie ein grundlegend schlechtes DING. Ein Es. Ein Objekt. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass Menschen eben auch absolut brutal, empathielos und sadistisch gegenüber Menschen sein können. Dass man, um solche Qualen zu erleben, kein Objekt für andere sein muss.

Indem ich meine Gefühle und Gedanken als die eines Menschen annahm, nahm ich auch alles unmenschliche Verhalten von mir und anderen Menschen an. Und als ich das tat, wurde mir eine Wertung und damit eine stetige Quelle von Verletzungen gleichgültig.

Man kann jede Biologisierung für menschliches Verhalten ablehnen, weil sie Dinge ausschließt, die wichtig sind. In Punkto Menschlichkeit aber, sollte sie ganz dringend wieder Einzug finden und getrennt werden von sozialbezüglichen Wertigkeiten.

Alles andere ist die Abwertung der Grundlage unseres Seins als Menschen in dieser Welt.
Wir sind in der Lage auch wertschätzend und liebevoll, rücksichtsvoll und nächstenlieb miteinander umzugehen, ohne besser oder schlechter zu gelten oder gelten zu wollen.

masculum-feminam humana

“Sag mal- wie ist das eigentlich für dich, wenn der Körper menstruiert?”
Toll- das hat man davon, wenn man Gemögten erlaubt, einfach zu fragen, wenn sie was fragen wollen…
Ich oute mich in diesem Artikel mal als das, was ich bin: ein Mann

Ich bin ein männlicher Anteil einer Psyche, die in einem biologisch weiblichen Körper steckt.
Was so paradox klingt, ist eigentlich total normal.
Und irgendwie logisch. Also immerhin haben alle Menschen auch Brustwarzen, weil die “biologische Entscheidung” zum Geschlecht des Menschen später, als die Anlage zu Brustwarzen kommt… und naja- wenn man davon ausgeht, dass Leben in erster Linie Metabolismus ist… dann  ist doch irgendwie auch logisch, dass alle Menschen auf dem ganzen Planeten schon von Natur aus auch männliche Anteile haben müssen. Denn für eine Entscheidung brauchts die Möglichkeit zu wählen.
Hm- Mist irgendwie klingt das nach einer Rechtfertigung für die Weigerung sich sämtliches Körperhaar abzusäbeln und schlunzige Jogginghosen zu Holzfällerhemden zu tragen. Aber das soll sie eigentlich nicht sein.
Ich nehme mich als Mann wahr, habe dieses Selbstbild von mir und werde auch von Menschen aussen  als Anteil “der mit von eher als männlich bezeichneten Eigenschaften behaftet ist” wahrgenohmmen. Also einfacher ausgedrückt: ich passe eher in das Bild, das man vom Klischeekerl hat, als von der Klischeetussi von dem ausgehend, was ich so mitbringe.

Eigentlich total interessant, wie ich so betrachtet werde und was mir so auch entgegen gebracht wird, wenn ich mich als männliches Innen zu erkennen gebe.
Irgendwie ist da ganz automatisch so eine Selbstverständlichkeit, dass ich voll der harte Kerl bin, mindestens ein Beschützer im System, ein Handwerker oder so- voll stark, frech und großmäulig. Vielleicht irgendwie auch ein Weiberheld oder so.
Aber das bin ich nicht. Ja es gibt bei uns auch männliche Innens, die so sind- aber es gibt auch weiblche Innens, die so sind!
Die Zugehörigkeit der Geschlechter läuft bei uns wirklich nur über so eine Gefühlsschiene. So nach dem Motto: “Ich fühle mich männlich, also bin ich männlich. Ich fühle mich weiblich, also bin ich weiblich. Ich fühle mich ungeschlechtlich, also bin ich ungeschlechtlich.” Jeder eben so wie er sich fühlt.

Kann ich den Körper einfach so annehmen? Nein- natürlich nicht.
Aber die weiblichen Innens können das auch nicht einfach so.
Wir haben inzwischen so ein Stadium des (mehr oder weniger zähneknirschenden) Hinnehmens erreicht und das ist schon ganz okay so. Vor vielen Jahren war ich noch ziemlich krass in Sachen Verleugnung und Unterdrückung der körperlichen Weiblichkeit. Aber nicht, weil ich sie als solche irgendwie schlimm fand oder triggernd oder so (so wie andere Innens bei uns), sondern weil ich doch irgendwie dieser äusseren Rollenkiste von Männlichkeit entsprechen wollte.
Ich hab mal überlegt, ob mir jemals ein Mensch so richtig direkt mal gesagt hätte “Ein Mann macht aber dies und das” oder “Jungs müssen dieses und jenes”- nee das ist nie passiert. Aber irgendwie kam schon öfter sowas wie “Für dich wird das ja kein Problem sein, ne?” oder “M- komm mal her- ich brauch ne starke Hand!”. So als wäre ich voll der starke Typ- was ich aber gar nicht bin- es gibt viel stärkere Innens bei uns. Und was mir alles Probleme bereitet, hab ich irgendwie dann nicht mehr so sagen können, wenn mir bei bestimmten Sachen so eingeschoben wurde, dass sie mir ja keine Probleme machen würden.
Das ist nie mit Absicht passiert, glaub ich. Aber es ist passiert und das finde ich irgendwie seltsam. Ich kenne mich mit solchen Genderfragen und Forschungsdingsizeugs nicht so aus und eigentlich find ichs auch total schräg, dass man sowas beforschen muss. Also einfach, weil ich mich frage was für einen Nutzen das bringt, aber naja… das kann man sich ja bei so einigen Sachen, die beforscht werden, fragen.
Für mich ist das nicht wichtig. Ich fänds eigentlich nur interessant wie sowas passiert. Also das man denkt, dass manche Eigenschaften oder so, typisch männlich und manche typisch weiblich sind.
Zum Beispiel unsere Kleidung.
Wir haben uns im Zuge von vermehrter Observanz, irgendwann zum Rauswurf aller Hosen (bis auf zwei Exemplare) entschieden und tragen nur noch Röcke. Am Anfang war es irgendwie so: “Hm- bin ich dann noch ein Mann, auch wenn ich so richtig traditionell weibliche Sachen trage?” -Ja klar! Die Frauen haben doch die ganzen Jahre vorher auch immer wieder Hosen getragen und waren trotzdem noch Frauen. Diese Kiste war ein für uns total runder und guter Schritt sich mit dem Körpergeschlecht- mit der Körperbiologie zu beschäftigen. Aber es gibt auch Menschen in unserem Umfeld, die mich schräg angucken und fragen, ob ich mich denn so wohl fühlen kann. Oder, ob ich mich nicht unterdrückt fühle. (Klar ist ja eh auch so- die bösen bösen Religionen, die unterdrücken die armen dummen Menschen ja nur und haben nix anderes zum Ziel als die Unterdrückung von Frauen mittels Regeln und Verdammnisdrohung… hm schon klar…) Ob ich mir nicht vorkomme, wie ein Mädchen. Ja- halloho?! haha

Oder auch so was Vorlieben und Sexualität betrifft.
Also klar- ich bin hetero und zufällig ist mein Körper weiblich. Also lebe ich für Aussenstehende eine lebische Liebe. Inzwischen ist es so, dass ich meinen Gefährtinnen nicht mehr sage, dass ich ein männlicher Anteil bin (zumindest nicht, wenn wir keine Beziehung, sondern einfach nur ein Techtelmechtel pflegen). Es macht sonst einfach keinen Spaß mehr und die meisten Gespräche drehen sich darum, wieso ich mich männlich fühle und was das im tieferen Sinn bedeutet und bla…
Immer wieder wird ab dann auch von mir mehr oder weniger erwartet, irgendwie auch besonders hart im Bett zu sein, oder irgendwie wird mir halt immer wieder untergeschoben, bestimmte Praktiken toll zu finden oder so. Nee- ist voll nicht so!
Ich finds schon irgendwie schön, für meine Freundin zu sorgen und so- so ein bisschen die Beschützer und Versorgernummer, ne (wieso die als so besonders männlich gilt, hätte ich ja auch gerne mal beforscht…). Aber das heißt nicht, dass ich den mir von der Biologie versagten Penis so dringend ersetzt haben muss. Wenn ich aber sage, dass ich mich als männlich wahrnehme und Frauen anziehend finde… ja… irgendwie scheint es diese Sachen dann immer gleich mitzubedeuten. Obwohl es genauso auch in der lesbischen Szene Frauen gibt, die eine männliche Position einnehmen.
Und obwohl es bei uns auch weibliche Innens gibt, die lesbisch lieben und ebenfalls eher in der als “eher männlich” dargestellten Vorliebenschiene agieren. Die werden aber nie so konfrontiert wie ich.

“Und wie entstehen männliche Innens? Wie bist du entstanden?”
Also wie genau ich entstanden bin, weiß ich selber nicht genau. Aber ich sag mal wie ich nicht entstanden bin:
Ich bin nicht aus dem innigen Wunsch heraus entstanden, jemandem zu gleichen oder weil dem Körper was passiert ist, “was nur Männern so passiert”. Ich hab mal ein Buch in der Hand gehabt, welches diese zweite These vertrat. Der Autor meinte damit die Vergewaltigung, die mit der Penetration des Anus einher geht. (Meine Güte- alle Menschen haben diese Einbahnstraße im Körper und können so vergewaltigt werden- wie hoch meint der Autor, ist die Quote von männlichen Innens/ States auf diesem Planeten?!)
Ich glaub, ich bin männlich, weil die Seele von Menschen von Natur aus männliche Anteile hat und wir durch die dissoziative Identitätsstruktur eben noch deutlicher und selbstständiger agieren können. So eben als die Anteile die jede Seele nun mal hat.

Ich fänds gut, wenn sich die Menschen alle so betrachten können würden.
Ich denk, dann würd ne Menge Vorurteilsblödsinn wegfallen. Und keiner würd mich mehr anders betrachten als vorher, nur weil ich ihm sage, zu welchem Geschlecht ich mich, ausgehend von meinem Empfinden, zuordne.

Und wie ist es nun für mich in einem weiblichen Körper zu stecken?
Also- naja…
ich hab ja keine Vergleichswerte, also würd ich mal sagen, es ist so wie in jedem anderen Körper auch. haha

Von Freiheit und Kategorie

“… der freiste Vogel unterm Himmel ist nicht der glücklichste.”

Als ich diesen Satz schrieb eröffnete ich mich meiner damaligen Therapeutin auf einer Ebene die sie gar nicht erfasste. Schade- war dies doch der treffenste Satz um die eitrige Wunde, welche auf mir klebt, zu beschreiben.

Wer frei ist, ist einsam. Denn: der freiste Vogel unterm Himmel, teilt sich nicht das Nest mit anderen. Das tun nur die glücklichen Vögel.
Unser Mut sich in Freiheit zu begeben hatte nichts mit dem Streben nach Glück zu tun.
Es ging nur darum los- gelöst- abgegrenzt und von einer bestimmten Kategorie be-frei-t zu sein.
Sich zu befreien von der Gewalt, von der Angst je wieder Gewalt an uns ertragen und leben zu müssen und von der Verpflichtung eine Rolle zu tragen.

Nun sind wir frei und stoßen an die Bedürftigkeit von Kategorie, sozialer Identität, und ganz basaler evolotionär bewährter Sozialität und stellen fest, dass es alles das nur gibt, in dem man sich unfrei macht. Wenn man sich verpflichtet, ängstigt und an den einen oder anderen tragfähigen Balken bindet.

Ich mag Kategorien. Sie beruhigen mich, gestehen mir einen Platz zu. Sie erlauben mir irgendwo zu sein. Sie erteilen Berechtigungen ganz und gar ungebeten und an sich, rein sachlich von der Definition ausgehend, wertbefreit.
Schwierig sind halt immer “die Anderen”. Wo mich meine Kategorie sitzen lässt, kann niemand anderes mehr sitzen- was mich beschreibt, beschreibt nur mich- was mich definiert, kann für niemand anderen mehr gelten. Es sei denn meine Kategorie wird erweitert und umfasst die Gemeinsamkeiten auch noch mit anderen.
So könnten alle glücklich sein.
Doch wir Menschen sind nunmal auch Wesen mit ewiger Januskopf-Seele:
Individualisten die auch Separatisten die auch soziale Wesen sind

Als individuell kann sich nur bezeichnen, wer genau weiß, dass er allein so ist, wie er ist. Wie findet er das heraus? Indem er zu anderen geht und guckt: “Bin ich so wie du? Bin ich du? Bist du ich? Wo fange ich an und wo hörst du auf?” Diese Auseinandersetzung- dieser Drang zum Separatismus (von anderen Menschen) ist hoch menschlich und sehr vielseitig.
Der eine lehnt Kategorien für sich ab, weil er sich schnell eingesperrt oder von seiner Gesamtheit abgeschnitten fühlt (oder eine eigene noch nicht geschaffen hat?); der Nächste, braucht sie ganz dringend, weil er so haltlos und gänzlich ohne Anfang und ohne Ende ist; weil er noch gar keine richtige Gelegenheit hatte, zu anderen Menschen hinzugehen und sich zu separieren mit allem, was in ihm ist.

Ich-Du-Ich-Du Wer bist du da in mir drin? Bist du ich? Nein du bist nur ein Teil von mir- du bist nicht ich- Ich bin du? Nein- ich bin ich bin ich bin wir alle bin ich? Mein Ich aus vielen Du´s…
Wir sind bereits separiert. Wir sind so sehr separiert voneinander und gerade durch unsere jeweilige Individualität, dass uns selbige als Gesamtpersönlichkeit verschlossen bleibt.
Wir müssen sie erst erkunden, werden noch auf vielen Ebenen immer wieder gucken müssen:
Wer bist du und wer bin ich? Wo fängst du an und wo ich?

Doch
was definiert noch gleich den freisten Vogel unterm Himmel?

 

Willkommen in der Realität nach dem Ausstieg!