Miteinander probieren

Was ich immer gemacht habe, war zu zeichnen und zu schreiben. Alles andere habe ich irgendwann gelassen. Das Tanzen, die Sportgymnastik, Handball, Judo, Klavier spielen, Gitarre spielen, Singen, Logikrätsel. Alles hatte für mich entweder Kindheitsschleim oder Psychiatriemodder an sich. Traumaschlonz gewissermaßen.
Es hat keinen Spaß mehr gemacht, als es mir helfen sollte, mich zu regulieren, auszudrücken oder darzustellen. Dann war es eine Aufgabe. Arbeit. Wurde zu etwas, das mich mit Anteilen verbinden sollte, deren Wahrnehmung mich überfordert hat.
In der Folge habe ich diese Dinge vermieden.

Ich wollte nichts mehr riskieren, was andere Innens nach vorn bringen würde und auch gar nicht mehr wenigstens mal versuchen, wie es sich außerhalb von therapeutischem Nutzdruck anfühlen würde. Für mich war alles, was ich tat, mit Therapie verbunden. Für mich habe ich einfach nichts mehr gemacht. Außer das Schreiben hier im Blog und das Zeichnen an meinem Schreibtisch. Aber nicht bewusst. Zum Glück. Das ist nach wie vor meine Verbindung zu den anderen, der einzige Handlungsraum, in dem ich mich sicher fühle.

Die inneren Jugendlichen schreiben nicht. Aber sie kennen viele Wortbilder und nutzen sie auch. Das ist für mich eine gute Verbindung. Wenn ich sie wahrnehme, kann ich mir das aufschreiben und muss meinen sicheren Modus nicht verlassen, um mich tiefer damit zu befassen.
So kommt es, dass ich weiter relativ gut dranbleiben kann, wenn sie mit der Therapeutin sprechen oder die Therapeutin sie einbezieht. Ich kann meine Ängste gut damit beruhigen, dass ich alles aufschreiben kann und nichts sofort verstehen, bearbeiten oder beurteilen muss.
Das funktioniert gut. So gut, dass ich sie inzwischen auch außerhalb des Therapiekontextes wahrnehmen und aushalten kann. Zumindest, wenn es um Dinge geht, die nichts mit Gewalterfahrungen zu tun haben.

Was sich nach Sookies Tod besonders deutlich zeigt, ist, dass Einsamkeit ein massiv großes Thema bei ihnen ist. Und zwar ganz klar nicht meine Art von intellektueller Einsamkeit, sondern soziale Einsamkeit, die dadurch entsteht, dass niemand auf sie zukommt, um gleichzeitig zu sein.
Durch unseren Kontakt spüre ich das sehr deutlich.
Sie wollen Freund*innen haben, wollen Dinge mit anderen erleben, wollen dazugehören.

Alles Dinge, bei denen ich echt nicht zu gebrauchen bin und die sie auch nie wirklich erfolgreich haben umsetzen können. Sie leiden mehr oder (vielleicht richtiger) anders als ich darunter. Ich kann ins Internet gehen und mit Leuten schreiben, die mir gewachsen sind – was sie sich wünschen, geht nur analog. Wo die sensorische Überreizung ist, wo soziale Normen zu navigieren sind, wo man sich aufraffen und aktiv handeln muss, wo man generell eine ziemlich genaue Idee davon haben muss, was man wann und wie machen muss/kann/darf/soll.

Naja.
Wir haben uns entschieden, es nochmal mit dem Handballspielen zu versuchen.
Und es hat geklappt.
Und es war toll.

Ich hätte mich zwar gerne nicht mit „Hallo seid ihr die Handballmenschen – ich will mitmachen“ vorgestellt und auch die Erkenntnis, dass sich so überhaupt kein Wumms mehr hinter meinen Würfen befindet, hätte ich mir gern erspart, aber … Naja, vielleicht ist das ein bisschen der Preis von innerem und äußerem Miteinander.

das innere Chaos begreifen – ein Plädoyer gegen die Demokratisierung des Inneren

Anfang der Woche sah ich die Formulierung der „Demokratie im Inneren“ mal wieder im Kontext der Traumaheilung und DIS. Wenig verwunderlich, denn diese Formulierung, diese Zielsetzung zum inneren Frieden gibt es schon lange in der Welt.
Ich halte sie für problematisch und schreibe hier, warum.

Zwei Dinge.
Erstens ist Demokratie eine Herrschaftsform. Eine Struktur, um Macht in einer Gruppe (Gesellschaft) herzustellen, anzuerkennen, durchzusetzen und aufrechtzuerhalten.
Traditionell ist keine Herrschaftsform gewaltlos. Wo Herrschaft ist, ist auch Macht und wo Macht ist, ist Gewalt. Demokratie, aber auch Diktaturen oder Autokratien und viele andere *kratien können sozusagen als Verwaltungssystematiken gedacht werden. Ein ganz spezieller Zettelkasten, in denen die Rechte und Pflichten, Verbote und Gebote des Zusammenlebens ganz spezifischen Menschen(gruppen) zugeordnet werden. Bereits diese Gruppierung und Zuordnung sehe ich als gewaltvolle Praxis an, da sie zu gewalttypischer Distanzierung führt, die ihrerseits sowohl als Funktion als auch als Ziel zur Weiterführung von Gewalt als System einzuordnen ist.
Die Zuordnung von Rechten und Pflichten, Ver- und Geboten ist in der Folge als Privilegierung bzw. Deprivilegierung zu sehen. Also etwas, das sowohl die getane Zuordnung in Gruppen definiert als auch aufrechterhält. So durften bereits in den frühen Demokratien verschiedene Personengruppen nicht wählen und hatten deshalb praktisch keine Möglichkeiten, ihrer Deprivilegierung auf demokratischem Wege entgegenzuwirken. Die Folgen waren unvermeidbare Aufstände, Kämpfe, Kriege. – Gewalt.

Nun mögen manche einwerfen, dass solche Demokratien heute gar nicht mehr existieren. Sklaverei wurde ja abgeschafft und das Frauenwahlrecht gibt es ja auch. Darauf möchte ich zum einen mit einem Mini-Serien-Tipp antworten: „Amend, the fight for america“ [Esquireartikel] und zum anderen daran erinnern, dass erst 2019 bestimmte Gruppen von betreuten und behinderten Menschen ihre Stimme bei der Europawahl abgeben durften. Und dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren auch zum Volk gehören. Weiterhin ist wählen zu dürfen auch in unserem Land keine Selbstverständlichkeit für alle gleich. [Tagesschauartikel]
Demokratie war nie von allen, für alle vom Volk gedacht und wird entsprechend auch bis heute nicht für alle angewandt, um Fragen des Zusammenlebens, Wirtschaftens und Ge.Waltens zu beantworten. Demokratie war schon immer ein Werkzeug, den mächtigsten Positionen in einer Gesellschaft den größten Einflussradius zu verschaffen. Nicht: den mächtigsten Menschen – aber den mächtigsten sozialen Positionen sowie darin begründete Ideen und Werte, die von (heute) mehrheitlich gewählten Gruppen (Parteien) (die wiederum mit viel Machteinsatz von ihren Ideen und Werten überzeugt haben) zu Taten kommen. Also dann irgendwann Gesetze oder Verbote werden und Gruppen der Gesellschaft privilegieren oder deprivilegieren.

All dem liegt weiterhin wie dereinst in den ersten Demokratien unserer westlichen Kulturen die Idee zugrunde, dass die mächtigsten die Richtigsten sind und deshalb immer schon eher Recht haben als andere. Hinzu kommt noch der „die Mehrheit hat immer Recht“-Gedanke, der meiner Meinung nach schon deshalb ein Fehlschluss ist, weil die Mehrheit in der Regel einfach nur immer die Macht hat. Eine Mehrheit kann Minderheiten zerstören, entrechten, ausschließen usw. Das gibt ihr kein Recht – aber eine mächtige Mehrheit braucht auch nicht darauf warten, dass ihr Recht gegeben wird – sie kann es sich einfach nehmen.

Und hier kommen wir zu meinem zweiten Punkt und in einem Bogen zur persönlichen inneren Struktur.

Du hast vielleicht gerade deine DIS-Diagnose oder pDIS-Diagnose oder wie auch immer benannte „Anteile-nach-Trauma“-Diagnose bekommen. Du weißt von einem oder mehren Anteilen, die irgendwie dauernd in dein Leben hineinfunken oder dir Entscheidungen unmöglich machen. Oder du spürst immer wieder, dass du mit Erinnerungen geflutet wirst, die dich quälen oder dass du dein Leben einfach nicht genießen oder bestimmte Therapiefortschritte nicht machen darfst. Ständig ist Krieg in deinem Inneren und du wünschst dir vor allem Ruhe, Frieden, Einigkeit, Harmonie.
Und dann liest du die Formulierung „Demokratie im Inneren“ und du denkst: „Ahja Demokratie, so machen wir das ja im Außen mit allen möglichen Entscheidungen. Alle sagen, was sie wollen und dann machen wir, was die meisten wollen und damit müssen alle zufrieden sein, denn so läuft es nun einmal.“

Das denkst du aber vielleicht nicht, wenn du gerade mit den tausenden Menschen in ganz Deutschland gegen die demokratisch gewollte gewählte AFD auf die Straße gehst, oder? Da gehst du ja hin, weil du sie nicht gewählt hast und nicht willst, dass sie so viel bestimmen dürfen wie die AFD, die sich CDU/CSU nennt. – Die du ja vielleicht auch schon nicht gewählt hast, die du aber irgendwie hingenommen hast, weil du ja mit deiner Stimme für SPD, Grüne oder Linke schon noch ein Gegengewicht herstellen konntest. Hast du jedenfalls gedacht. Sie habens ja versprochen. Im Wahlkampf. Wo sie jedem potenziell Wählenden alles erzählt haben, was sie hören wollten.
Aber vielleicht machens sie es ja noch wahr. Große Veränderungen dauern ja.

Nun spielen wir den Gedanken mal weiter, als hättest du keine demokratiekritische Haltung und du versuchst diese Demokratie in deinem Inneren herzustellen.
Okay: Welche Konflikte gibt es bei euch? Welche Entscheidungen müsst ihr treffen? Welche Überzeugungen und Werte sind für euch bei Abstimmungen relevant? Welche Parteien habt ihr im Inneren? Welche Koalitionen und welche Oppositionen gibt es? Habt ihr eine Struktur in euch, die eure Entscheidungen legitimiert? (Also eine Legislative, eine Justiz?) Habt ihr eine Struktur in euch, die dafür sorgt, dass sich alle von euch (auch, aber vor allem die Minderheiten, die Verlierer jeder Mehrheitsabstimmung) an eure Entscheidungen halten? (Also eine Polizei oder Armee?) Wie prüft ihr, ob eure Entscheidungen nicht totaler Quark sind?
Was macht ihr, wenn trotz innerer Demokratie gar nicht die Ruhe eintritt, die ihr haben wollt?
Wie geht ihr mit Aufständen, Großdemos und gewaltvollen Attacken um? Welcher Instanz, welcher Stelle außerhalb von euch selber, überlasst ihr in dem Fall die Kontrolle (die Macht) über euch?

Allein diese Fragen für sich beantworten zu können, erfordert unfassbar viel Wissen über „die Anderen“, über euch als System und über euch als Menschenkörper sowie das Leben als Mensch in der gesellschaftlichen Position, in der ihr lebt. Es ist überfordernd und zwangsläufig auch frustrierend. Denn gerade am Anfang, vor allem wenn auch noch PTBS oder andere traumabedingte Belastungsstörungen wie Essstörungen, Süchte, dysfunktionale Beziehungsmuster oder Persönlichkeitsstrukturen unreflektiert wirken und gebraucht werden, um den Tag zu überstehen, kommt man nicht „auf einen grünen Zweig“ beim inneren Demokratieaufbau. Viele halten sich dann für therapieunfähig oder in Annahmen über generelle Unfähigkeit bestätigt oder schlicht für einen hoffnungslosen Fall.
Dabei ist das, was da oft passiert in meinen Augen eine total gute, gesunde, heile Reaktion. Wozu denn ein System der Herrschaft etablieren, wenn doch im Inneren gerade eigentlich alle nur mal die Nase in den Wind oder den Kopf aus dem Sand stecken und die Augen aufmachen? Die Anfangszeit rund um die Diagnosestellung ist doch vor allem deshalb so grauslig: Da sind auf einmal welche, die irgendwas machen und wollen und man versteht nicht, wieso und wozu – und wenn doch, dann ist man erstmal total erschreckt und will das alles vielleicht gar nicht.
Warum zu dem Zeitpunkt erst mal alles kontrollieren? Alles ordnen, Posten verteilen, gruppieren, mit Namen versehen, wer keinen hat, umbenennen, wer peinlich oder verräterisch klingt und Regeln nebst Strafen aufstellen?
Für mich ist das eine gewaltvolle Traumareaktion. Man kriegt Schiss wegen des Kontrollverlustes und die Reaktion ist der Versuch Kontrolle herzustellen. Dabei ist die bedürfnisgerechte Reaktion auf diese Furcht, diesen Schiss, eigentlich, sich zu versichern. Also nicht diesen Schritt zu machen: „Ich will die Kontrolle nicht verlieren – also sichere ich mir die Kontrolle.“ – sondern: „Ich habe Angst vor Kontrollverlust, also begebe ich mich in eine sichere Umgebung, einen versichernden Kontakt, in dem ich keine Angst vor dem Kontrollverlust haben muss.“

Diese Art der Analyse eigener Bedürfnisse können komplex traumatisierte Menschen mit DIS, pDIS, DDNOS etc. in der Regel gar nicht vornehmen, weil sie ihre Grundbedürfnisse aufgrund der strukturellen Dissoziation nicht als solche (für) wahr.nehmen, einordnen und kongruent befriedigen können.
Die meisten können auf Angst – egal wovor und egal, wie bewusst ihre Auslöser für sie sind – nicht anders als traumareaktiv re.agieren.
Was bedeutet das aber für den Aufbau innerer Strukturen für den Systemfrieden?

Das bedeutet erst einmal, dass die bestehenden inneren Strukturen verstanden, wertgeschätzt und akzeptiert werden müssen, wie sie sind und sich zu überlegen, was „innerer Systemfrieden“ diesbezüglich überhaupt sein kann.

Dazu gehört auch eine grundlegende Akzeptanz für inneres Chaos zu entwickeln – und auch von Außen innerlich chaotisch gelassen zu werden, solange dadurch kein körperlicher Schaden für die Person und deren Mitmenschen entsteht. So manches „Chaos“ ist in Wahrheit eine Expedition von Innens nach Außen oder Versuche des Andockens an die Gegenwart. Was ich selber auch oft als Chaos wahrgenommen habe (und manchmal noch so empfinde) ist der Versuch herauszufinden, wie ich was eigentlich wahrnehme und für mich allein bewerte – während ich aber gleichzeitig merke: „Oh Shit, ich kann das aus mir allein heraus gar nicht.“ Dass ich so etwas merke und dann innerlich ganz zerwurschtelt in meinem Wollen und Können und Fühlen und Denken bin, ist per se überhaupt kein Problem, solange ich sicher und versorgt herumprobieren kann, was ich wie will und brauche und möchte. Es ist weder ein spezieller Spezialaspekt meines Vieleseins, noch etwas psychologisch Pathogenes – es ist ein vollkommen normaler Lern- und Selbst.Erfahrungsvorgang.

Einer, der auch beim Kompetenzaufbau zur alltagsorientierten Überlebenssicherung hochgradig relevant ist.
Priorisieren, rechnen, strategische Überlegungen anstellen, Planung über mehrere Tage hinweg – das sind Fähig- und Fertigkeiten, die eine umfängliche Hirn- bzw. Körperfunktion erfordern. Dafür müssen bei sehr vielen komplex traumatisierten Menschen erst einmal passende neuronale Netzwerke entstehen. Denn chronisch toxisches Stresserleben (wie beim Aufwachsen in traumatisierenden Lebensumfeldern üblich) verhindert dies. Viele komplex traumatisierte Menschen wirken vielleicht so, als wären diese Aufgaben kein Problem – sie sind es aber und sie versteckt von Grund auf (neu) zu lernen, weil Außenstehende sie erwarten, ist ein ungeheuer großer Kraftaufwand.

Das Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur bzw. Er_Leben, das von dissoziativer Selbst- und Umweltwahrnehmung beeinflusst ist, bedeutet sehr viele Herausforderungen, die die meisten nicht komplex traumatisierten Menschen mehr oder weniger unkompliziert und liebevoll begleitet in ihren ersten Lebensjahren meistern. Das heißt, dass auch das Verständnis von diesen Menschen für „Viele“, was das angeht, oft nicht groß ist. Man redet nicht oft darüber, auf welcher Basis „die Ungeschlagenen“ ihr Leben und sich selbst auf die Kette kriegen, weil sie sie oft schon einem Alter aufgebaut haben, in denen niemand von ihnen erwartet, ihre Herausforderungen zu beworten. Meiner Meinung nach heißt das für „späte Neulernende“: Ihr solltet das auch nicht machen müssen, um darin unterstützt und gesichert zu werden.

Und das – das Nichtbeworten und das Beobachten, um zu verstehen ohne einzugreifen – ist die Haltung, die ich für den Anfang der Auseinandersetzung für zielführend halte. Sowohl von Außenstehenden als auch allen im System.
Aus dem, was sich mit dieser Haltung vor mir aus meinem Inneren auftut, ist keine Demokratie oder sonst wie strukturierte Herrschaft aufzubauen. Nicht ohne ein Bewusstsein dafür zu bekommen, was für heftige Ein- und Übergriffe ich damit vornehme – und was für Spannungen ich aufbaue, halte und gewaltvoll legitimiere, die früher oder später wieder zurückkommen.

Mit diesem Plädoyer möchte ich nicht sagen, dass eine „innere Demokratie“ zu wünschen oder zu haben falsch ist. Wer das für sich erreicht hat und zufrieden ist, ist in meinen Augen deshalb kein schlechter Mensch.
Das macht meine Aussage über die Gewalt, die Demokratie bedeutet, auch nicht kleiner. Aber vielleicht ist dieser Beitrag eine Stimme für diejenigen, die nichts mitbestimmen dürfen, weil sie sehr traumanah erleben oder weil sie etwas (noch) nicht hinbekommen im Außen oder weil sie von den Bestimmenden der inneren Demokratie bislang nicht gehört wurden.

Und vielleicht ist dieser Text auch ein Impuls, sich mit Konzepten von radikaler Fürsorge, Communitycare und anarchistischer Gruppenorganisation auseinanderzusetzen. Denn letztlich brauchen wir als Viele primär gar nicht die Kontrolle über uns, um in dieser Welt zu bestehen, sondern Sicherheit, Fürsorge, Raum zum Wachsen und Freiheit für den ganz eigenen Selbstausdruck.

“…für immer” oder: innere Wahrheiten

Es gibt einen Gedanken, den wir uns, wann immer er sich auszuformen beginnt, zerlegen müssen.
“ES hört nie wieder auf.” Oder: “Für immer wird …/werde ich…”.

Dieser Gedanke ist in uns so fest und stabil gewachsen, dass er eine Wahrheit ist. War.
Er ist so eng in unser Er_Leben gebunden, wie der Gedanke: “Der Himmel ist blau” oder “Regen fällt immer von oben nach unten.”. Genau wie diese beiden Wahrheiten, formte er sich aus alltäglichen Beobachtungen und Erfahrungen.

Kinderwahrheiten sind krass, denn Kinderleben sind krass. Kinder sind Überlebenspunks und das ist gut so. Vor allem ist es gut für sie.
Wenn ein Kind eine Wahrheit für sich etabliert, dann tut es das in jedem Fall, um das eigene Leben zu sichern und zu strukturieren. Es ist wichtig bestimmte Wahrheiten zu haben, um sich eine Basis zu bilden, von der aus die Welt immer wieder neu erkundet und abgeglichen werden kann.

Kinder, in deren Leben Gewalten wirken, die zu Schaden, Schmerz und Todesängsten führen, entwickeln spezifische Wahrheiten.
Was logisch ist, denn Gewalterleben ist spezifisch.
Das Problem: die Wahrheiten aus Zeiträumen eines Gewalterlebens können manchmal nicht mit den Wahrheiten “des restlichen Lebens” verknüpft und/oder differenziert wahrgenommen werden.
Zum Einen, weil sie einander manchmal vielleicht komplett widersprechen (“Erwachsene Menschen sind eine sichere Quelle für Wohlbefinden und Sicherheit” versus “Erwachsene Menschen sind eine (sichere) Quelle für unaushaltbaren Schmerz und Todesangst”) zum Anderen, weil Gewalterleben für Kinder so krass sein kann, dass die, sagen wir mal “Konstruktionsweise” dieser Wahrheiten eine andere ist.

In dem Artikel “Trauma, Trigger, Volvo fahren”, hatte ich bereits angedeutet, wie krass schnellvielzuvielalleszuviel das Erleben einer als lebensbedrohlich und unausweichlich (schmerzhaft/schädigenden) Erfahrung ist. In diesem Text versuchte ich nachvollziehbar zu machen, wie logisch entsprechend der Zerfall der Selbst- und Umweltwahrnehmung ist – mindestens in genau dem Moment, in dem diese Situation passiert.
Um eine zerbröselte Umwelt- und Selbstwahrnehmung lässt sich schlecht eine runde ganze stimmige Wahrheit bilden. Wohl aber um das Gefühl, das mit diesem Zerfall einhergeht. Oder um den Status der eigenen Un_Befähigungen. Oder um den Umstand, der (vermeintlich) zu dem Gewalt_Erleben geführt hat.

Menschliche Gehirne sind supernachtragend, was miese Erfahrungen angeht. Sie merken sie sich ganz besonders gut, um sie nicht noch einmal machen zu müssen. In Sachen Gewalterleben und/oder Verwundetwerden, sind sie Obermegaprofis.
Obermegaprofis mit perfekter Marketingstrategie. Schnell, intensiv, eingängig – so sind Traumawahrheiten gestrickt und speziell traumatisierte Gehirne sind bereit zu jeder Gelegenheit eine Flut von Wahrheiten-Spam rauszuballern, wenn am Horizont etwas auftaucht, das eventuell vielleicht dazu passt.
An dieser Stelle zeichne ich keineswegs nur die Funktion von “Traumatriggern” nach.

Sämtliche Wahrheiten, die Menschen in sich herum tragen, kommen aus allen möglichen Erfahrungen und Beobachtungen. Manche aus Gewalterleben, manche nicht. Unser Gehirn schickt uns aus Wahrheiten-Spam, wenn wir verliebt sind, wenn wir ein Thema total interessant finden, wenn wir uns etwas Neues anschauen oder eine neue Fähigkeit erlernen. Denn alles, was Menschen in ihrem Leben lernen und wahrnehmen, kann sowohl angenehme als auch unangenehme Qualitäten haben.
Dass ich nach einem Treppengeländer greife, hat nichts mit der Wahrheit zu tun, dass Geländer genau dafür da sind – sondern damit, dass ich weiß, wie weh es tut, eine Treppe hinunter zu fallen. Um das zu wissen, musste ich aber erst einmal eine hinunter fallen – dann begreifen, wie das passiert ist – wie ich es besser mache und dann noch, welche Rolle das Geländer dabei spielen kann.
Das heißt: es geht nie um eine Wahrheit bzw. ein Beobachtungsergebnis allein, wenn man dabei ist, eine bestimmte Erfahrung (neu) zu machen. Es geht immer um eine ganze Traube von Wahrheiten. Im Beispiel mit der Treppe geht es um die innere Wahrheit, dass ich laufen kann; dass ich auf eine bestimmte Art laufen kann (um sie hoch und runter zu kommen); dass ich mein Gleichgewicht halten kann usw. usw. usw.

Wahrheiten, die sich aus traumatischem Gewalterleben (also einem Erleben von Gewalt, das traumatische Auswirkungen auf eine Person hatte), herausentwickeln, sind der Premiumspam, den Gehirne auffahren können. Zum Einen, um eine Wiederholung zu verhindern und zum Anderen, um als Teil der aller gemachter Lebenserfahrungen verknüpft zu werden.

Ich kann die Wahrheit “ES hört nie wieder auf” an uns in so vielen Aspekten unseres Lebens reflektieren, dass ich mich manchmal frage, wie wir das überhaupt aushalten, dennoch immer wieder in Momente hineinzugehen. Kontakte zu knüpfen, neue Erfahrungen zu machen und insgesamt scheinbar ständig in Bewegung zu sein.
Und inzwischen weiß ich, dass es genau darum geht.

Nichts kann anfangen nie aufzuhören, wenn alles immer wieder neu begonnen wird.

Jeder Tag, jede Aktivität, jeder Kontakt. Immer wieder neu ist es Hier und Heute.
Wir, als Person, die sich und ihre Umwelt dissoziiert (also eher fragmentarisch (fragmentiert)) erlebt, haben schon kein rundes, ganzes, umfassendes Sein im Alltag. Ist ein Kanal auf, sind alle anderen zu oder nur sehr begrenzt offen. Entsprechend wandeln sich unsere Sichten auf die Welt und damit auch das Set an inneren Wahrheiten, mit denen wir (Innens) jeweils leben und sind.

Es ist nicht so, dass wir jeweils ganz vorn anfangen müssen, uns die Welt zu erklären oder zu bewahrheiten. Es ist aber so, dass wir uns mit diesen Wahrheiten befassen müssen, um mehr Kongruenz füreinander zu er.schaffen (und so die dissoziativen Brüche zu verschließen).
Denn unser Leben mit DIS ist (neben vielem anderen) das unvermittelte Bemerken, dass sich manches Erleben völlig konträr zu dem verhält, was konkret passiert. In einer Innenansicht formuliert würde ich schreiben, dass ich plötzlich merke, wie ein anderes Innen etwas sehr dringend vermeiden will, das mich selbst seit Jahren mit Freude erfüllt, ohne je ein Problem gemacht zu machen.
Das vielleicht nochmal übersetzt in das, was ich von traumatisierten Menschen verstanden habe, die nicht viele sind: “Erst war alles okay (wie immer) – und plötzlich ist alles scheiße (als wäre es nie okay gewesen) und ich weiß nicht, warum.”.

“ES hört nie wieder auf” ist eine Kinderwahrheit bei uns. Eine, die so fest und klar inmitten von uns steht, dass es schwierig ist, sie zu verpflanzen oder zu verändern – vor allem nicht in Momenten, in denen wir sie von den Innens spüren, die sie etabliert haben, weil das ihre Realität war – und bis heute ist.

Was wir dann machen, ist nicht mehr die Schleife, die wir zu Beginn der Therapie erfahren haben. Die “Was du fühlst ist falsch (alt) – IN WAHRHEIT ist jetzt…”- Schleife.
Wir haben inzwischen verstanden, dass wir genau auf diese Ansprache geeicht sind. “Was du denkst/fühlst/wahrnimmst ist falsch – eine andere Instanz/Autorität (!) weiß es besser (du musst machen/glauben (du darfst nicht in Frage stellen oder in Zweifel ziehen), was diese Person sagt oder dir vorgibt).”. Das ist eine Wahrheit, die für uns vermutlich nie mit Dingen verknüpft war, die wirklich und tatsächlich gut für uns waren – sehr wohl aber für Menschen, die etwas davon hatten, wenn wir dem gefolgt sind.

Und hier sind wir an einem Punkt, den wir für wichtig halten.
Natürlich könnten wir uns hinstellen uns sagen: “Die Täter_innen haben einen Mechanismus pervertiert, der eigentlich immer nur Hilfe und Gutes bedeuten soll.”. Oder sagen: “Die Täter_innen haben ausgenutzt, dass wir es nicht besser wussten.”.

Tatsächlich stellen wir uns hin und sagen, dass autoritäre Sozialstrukturen immer gewaltvoll sind. Dass es immer gewaltvoll und ergo immer unterdrückend ist, wenn eine Person die Gedanken, Gefühle und inneren Wahrheiten einer anderen Person als falsch deklariert und durch die eigene oder eine vermeintlich “neutrale” (“echte” oder “wahrhaftige”) ersetzen will.

Für uns gehörte das zu den Wahrheiten, die wir dank der Auseinandersetzung mit Gewalt als menschliche (Sozial)Dynamik inzwischen reflektiert haben.
“Andere haben immer Recht.”. “Meine Sicht ist falsch, weil … (ich ich bin (Tochter von Eltern, die…), ich krank bin (Patientin von Dr. XY, die_r …), ich betreut bin … (Betreute von XY, die_r…) …”. “Meine Gefühle und Gedanken gehören nicht in diese Welt, denn andere teilen sie nicht/verstehen sie nicht/halten sie für falsch oder unpassend.”.
Alles Wahrheiten, die nachwievor da sind, jedoch durch unsere aktive Auseinandersetzung noch eine schöne Traube anderer Wahrheiten an ihrer Seite haben. Zum Beispiel hängt neben “Andere haben immer Recht”: “Manchmal haben wir Recht” und “Recht zu haben bedeutet nicht mehr, als eine Sache richtig/passend eingeschätzt zu haben” und vieles mehr.

So nehmen wir den Gedanken “ES hört nie wieder auf.” als die Wahrheit ernst, als die sie gerade für jemanden passiert.
Ein Kinderinnen, das keinen Zeitbegriff hat, ist schlicht nicht in der Lage eine Idee von Anfang und Ende zu haben. Es hat keinen Sinn so einem Innen zu sagen, dass ES schon aufgehört hat oder aufhören wird, solange es noch keinen Bezug zu Zeit_erleben hat.
Für uns hatte es auch fatale Folgen zu versuchen, in so ein Innen viele neue Erfahrungen hineinzugeben, “damit es sieht, wie toll und sicher das Heute in Wahrheit doch ist.”. So kam es zu einer weiteren Spaltung, in der ein Kinderinnen seine Wahrheit behielt und ein anderes (neues) die Negierung dessen unter dem Zwang (der sich aus dem therapeutischen Machtgefälle ergab) zur “eigentlichen” Sicht auf die Welt (wie sie für das Außen “in Wahrheit” ist, er.trug. Dieses neue Innen war nichts weiter als das, was das Außen wollte: ein Innen, das die Welt im Heute ganz und gar klasse super sicher toll findet (und der Behandlerin das Gefühl gibt alles richtig gemacht zu haben – und also das andere Kinderinnen nicht weiter bedrängt).

Heute haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, uns erwachsene Innens an die Wahrheiten der Kinderinnens anzunähern als etwas, das zu ihrer Zeit – zu unserer Kindheit – tatsächlich wahr war. Für sie. Völlig unabhängig von dem Außen, in dem sie damals gelebt haben.
Was für uns, die wir diese Kindheit nicht bewusst erlebt haben, bereits ein 24/7 Kampf um Wahrheit, Echtheit, emotionale Balance und Erhalt des eigenen Bildes von Welt und Leben ist. Noch lange, bevor wir uns den Erfahrungen dieser Kinderinnens bzw. diesen Kinderinnens selbst zuwenden.

Wir wenden uns nur ihnen und ihrer Wahrheit zu und wollen das im Moment auch nicht anders machen. Wir benutzen unsere inneren Wahrheiten nicht dazu Rückschlüsse auf die Echtheit oder objektive Wahrheit dessen zu ziehen, was damals passiert ist. Sind inzwischen auch soweit okay damit zu sein, sollte sich irgendwann herausstellen, dass von dem, was wir bisher als Erinnerungen eingeordnet und unserer Therapeutin geschildert haben, nur 0,001% auch wirklich richtig objektiv wahr nachweisbar passiert ist. Für uns ist diese Wahrheit nicht wichtig und wir machen unsere Erinnerungen nicht wichtiger als das, was sie sind: das Ergebnis von Reizwahrnehmung und Verarbeitung in unserem ganz persönlichen Rahmen der (neurologischen und psychischen) Gegebenheiten.

Wir können uns das aber auch erlauben. Wir sind nicht in einem OEG-Verfahren oder haben eine Anzeige erstattet.
Um uns diese Form der Auseinandersetzung zu erlauben, haben wir unsere Ansprüche als von Gewalt traumatisierte Person an diesen Staat und diese Gesellschaft, so weit runtergeschraubt, dass immer unsere Schwierigkeiten hier und jetzt eine Rolle spielen. Niemals aber das Leiden oder der Schmerz von dem wir in der Therapie über das Früher erfahren.

Ist nicht unproblematisch.
Muss niemand genauso auch machen.

Doch für uns markiert dieser Umgang einen jederzeit erreichbaren Zeitbezug, der über die Jahre sehr fest und stabil in uns verankert ist. Und zwar für sehr viele von uns. Selbst jene, die nachwievor an der Andersheit unserer Lebenskontexte zweifeln.
Eine Grundvoraussetzung für die Therapie ist, dass wir über früheres als früheres sprechen. Eine Grundvoraussetzung unserer Wohnung, des Hundes, unserer Selbstfürsorge ist, dass früheres nicht mehr als früher Geschehenes ist und heutiges genau heute geschieht.
Das kann man sich als dickes Seil durch unsere Lebensrealität vorstellen, an dem kleine Signalwimpel baumeln.
Es gibt viele Dinge und Dynamiken, die früher auch wichtig waren. Essen und schlafen müssen zum Beispiel. Doch heute hier und jetzt haben sie eine andere Bedeutung als damals und bilden damit Anlass zu neuen Wahrheiten, die in Abgrenzung und Vergleich zu den alten Wahrheiten stehen können, ohne richtiger oder falscher zu sein.

Auch Wahrheiten-Premiumspam kann so in seiner Flut eingedämmt werden.
“ES hört nie wieder auf.” kann von uns gut von Wahrheiten eingedämmt werden, die wir aus anderen Erlebensqualitäten ziehen. Zum Beispiel mit erst einmal banalen Wahrheiten wie: “Der Regen fällt immer von oben nach unten.” oder “Die Welt dreht sich weiter.” oder “Eine Sekunde ist der Abstand zwischen Tick und Tack” oder “Ich stehe hier in meiner Wohnung.” oder “Das ist NakNak*.”.
Es ist extrem anstrengend solche Dinge zu denken, wenn im Kopf diese Flut herrscht. Es ist – ohne das ganze jetzt noch mehr banalisieren zu wollen – tatsächlich so, wie die eine echte Email in einem Postfach hunderter Spammails zu finden, wenn es keine Filterfunktionen und nur teilweise dargestellte Betreffzeilen gibt.
Man hört hunderte Male auf zu suchen. Wird hunderte Male ertränkt. Sieht sich immer und immer wieder den alten Wahrheiten folgen und vermisst nicht mal die neuen, denn es lebt sich ja immer weiter. Mit egal welcher Wahrheit, die man hat und verfolgt.

Ich habe vor einer Weile mitten in einem unkontrollierten Erinnern gemerkt, wie stark die Wahrheit in mir war, das, was ich da fühlte, als wäre es hier und jetzt, würde niemals enden. Wie sehr es mir jeden Widerstand genommen hat. Jede innere Konsistenz. Jeden Horizont. Und auch jedes Maß für das, was tatsächlich mit mir passierte. Ja, ich hatte einen Schmerz, schreckliche Gefühle und die Art Angst, die im Kopf rauscht und die eigenen Ränder weiß macht – aber all das war plötzlich nicht mehr eine Reaktion auf etwas, sondern ich selbst. Ich selbst war der Schmerz, die Gefühle, die Angst und das, was irgendwie gar nicht mehr so richtig ganz ich war. Und ich war ewig. Ohne Anfang und ohne Ende. Ich war das traumatische Moment und ich war für immer.

Aber ich bin auch ein Alltagsinnen. Das heißt: irgendein Alltagsding, hat mich wieder ins Hier und Jetzt gebracht.
Eine Weile später war mir sehr bewusst, dass das nur ein Erinnern an einen Zustand inmitten einer traumatischen Situation war. Etwas, das vergangen ist. In zweierlei Hinsicht. Mein Erinnern war vorbei und das, was ich da erinnert hatte war vorbei. Auch das ist eine Wahrheit: “Mein Erinnern hatte ein Ende, wie das woran ich mich erinnerte eines hatte.”
Eine Wahrheit, die ich ganz dicht neben “Es hört nie wieder auf.” hängen kann. Vielleicht sogar so dicht, dass es die Wahrheit des Innens berührt, dessen Erfahrung ich erinnert hatte.
Es wird mir beim nächsten Mal (und ja, dieses nächste Mal mitzudenken ist Teil meiner Lebensrealität, die sich nicht dadurch verändert, dass ich das nicht tue) sehr banal erscheinen, an das Ende von Erinnern und Erfahren zu denken – aber es macht mir einen Zeitbezug. Einen, den das Innen zur ersten Wahrheit vielleicht auch spüren kann.

Das ist was gemeint ist, wenn Therapeut_innen davon sprechen, das man einander innen bekannt machen soll. Dass man miteinander in Kontakt gehen soll.
Das bedeutet nicht immer, dass man einander mit Namen und Alter vorstellt und aufschreibt wer “wofür zuständig ist” und sich darauf einigt, wer wieviel “Außenzeit kriegt. Bei uns hat das nie gut geendet so vorzugehen, denn diese Vorgehensweise war viel zu invasiv für uns.
Wir widmen uns dem, was wir voneinander mitkriegen.

Und manchmal ist es das so eine Wahrheit.

*Text als PDF zur freien Weitergabe

innere Bündnisse

Innere Bündnisse sind möglich.

Das ist etwas, das anzunehmen, für möglich zu halten, als umsetzbar zu begreifen für uns sehr schwer war. Und in Bezug auf manche Innens noch immer ist.
Für uns hängt auch hier wieder ein Aspekt der Sprache daran.
Denn eigentlich geht es nicht um Bündnisse, sondern um Assoziation des Eigenen.

Im äußeren Leben mit anderen Menschen, sind Bündnisse von vielen Optionen geprägt.
Wenn ich ein Bündnis zum Erreichen eines Zieles eingehen möchte, dann kann ich mir aus 7 Milliarden Menschen den einen wählen, mit dem ich gerne zusammenarbeiten möchte.
Innere Bündnisse funktionieren nicht so.
Um überhaupt wählen zu können, muss ich lernen was und wozu ich wählen wollen könnte.
Ich muss erkennen, was ist und eine Idee entwickeln, was sein könnte.

Innere Bündnisse sind bei uns immer wieder in Momenten entstanden, in denen es enormen Leidensdruck gab. Meistens, nachdem dissoziative Brüche verschlossen wurden oder das Weiterleben akut in Frage stand. Manchmal haben diese Bündnisse gehalten und günstige Neustrukturierungen des Inneren zur Folge gehabt. Manchmal jedoch gab es neue Strukturen, die selbst einen dissoziativen Bruch an anderer Stelle bedeuteten.

Beispielsweise kam es während unseres äußeren Ausstiegs zur Etablierung der Rosenblätter als Alltagssystem.
Gab es für uns vorher jeweils einzelne lichte Momente in Kliniken, mit Heimerzieher_innen oder (sogenannten) Freund_innen, gab es während des Ausstiegs die gesamte Lebenszeit für uns, durch die innere Zusammenarbeit.
Eine Lebenszeit, in der man “Ausstieg macht” und als gegeben nimmt, dass alle Menschen um eine_n herum, denken, man hätte Gewalt erlebt, ohne sich selbst zu erinnern, geschweige denn für möglich zu halten, dass da irgendwie vielleicht doch was dran sein könnte.

Als System haben wir gut funktioniert.
Wir haben unser Leben gerettet und nachhaltig hilfreich gestaltet.
Wir haben den Schulabschluss gemacht. Haben schwierige Kontakte beendet. Haben uns soweit verselbstständigt, wie wir das konnten und sind ausgestiegen geblieben.
Wir haben nur nicht ganzheitlich gut funktioniert. Für alle von uns. In jedem Aspekt, der für das Leben wichtig ist.

Unser Bündnis hat uns innerhalb unseres Systems gestärkt, doch von den anderen dissoziiert.
Andere Systeme haben wir, wenn überhaupt, als bzw. durch Symptomcluster wahrgenommen. Manche Systeme können wir nachwievor nicht wahrnehmen. Obwohl sie sozusagen auf der gleichen Festplatte laufen wie wir.

Wir haben unser Bündnis damals nicht ganz spontan, aber auch nicht ganz geplant geschlossen.
Mit dem therapeutischen “Sie müssen mit den anderen (Innens) zusammenarbeiten” konnten wir nicht viel anfangen. Denn was genau soll das denn heißen?
Wenn man nicht einmal weiß, was man arbeiten könnte oder können könnte. Oder will. Oder muss. Oder was sich wie auswirkt. Und wie genau das gehen soll “innere Zusammenarbeit”.
Wir hatten zu der Zeit so wenig Gefühl für Zugehörigkeit, Zusammengehörigkeit, Miteinander, emotionale oder geistige Verschmelzung – allein schon im Außen – wie um alles in der Welt sollten wir wissen, was konkret dort von uns nach innen zu übertragen verlangt wurde?

Was wir kannten war Abhängigkeit, ausgeliefert sein, die Hoffnung, dass die Person, die uns sagt, sie würde uns jetzt helfen, uns jetzt auch wirklich hilft. Und wir kannten Zahlungsmodelle. Wenn du X willst, ist Y der Preis dafür. Eine Sicht, die man als Gegenstand von Betreuung und Behandlung genauso schnell internalisiert, wie als Ausbeutungsobjekt.

Heute verstehen wir, warum wir nicht zu der Art euphorischer Opfer-Befreiungskampf-Pose, wie wir sie bei anderen Aussteiger_innen beobachten konnten, fähig waren. Warum wir außer Variationen von Scheiße und Not eigentlich nichts gefühlt haben.
Was wir damals als den Preis der Freiheit eingeordnet haben, würden wir heute Dissoziation nennen. Ohne abzuerkennen, dass diese in gewisser Form der Preis dessen war, wozu wir uns entschieden hatten.

Wieder kann ich nur unterstreichen, wie wichtig konkretes Handeln und Beworten für uns war und ist.
Heute kann ich mich nicht mehr gut daran erinnern, ob und wenn ja wie oft uns reflektiert bzw. gesagt wurde, ob das, was wir mitunter taten, bereits die “innere Zusammenarbeit” war, die uns angeraten wurde.
Wir hatten nicht nur unfähige oder inkompetente Therapeut_innen.
Wir hatten aber oft Therapeut_innen, die uns nicht als so un_befähigt erkannt haben, wie wir waren und auch heute noch sind. Sprech- und Kommunikationsprobleme hatten wir damals wie heute. Und die Momente der kognitiven Dissonanz, die sich bei allen vielen Menschen, die mit uns zu tun hatten (haben), ergeben, gab es auch damals schon.
Nur, dass wir damals noch dachten, alle Therapeut_innen würden sich immer und ausnahmslos reflektieren und kritisch prüfen.

Was ich erinnern kann ist, dass uns erst jetzt in der therapeutischen Arbeit wirklich klar geworden ist, wie genau wir innere Zusammenarbeit machen. Und nach welchem Gefühl wir suchen müssen. Welche Balancen wir suchen und halten müssen. Was genau eigentlich “innere Arbeit” ist.

Für die Definition (Festlegung) dieser Dinge hatten wir früher entweder nie genug Zeit oder nicht genug Kraft.
Oder wir haben es nicht verstanden, weil  man uns waberige, sehr abstrakte Begriffe hingeworfen hat und davon ausging, wir würden damit schon etwas anfangen können, weil wir ja “in Wahrheit schon ziemlich schlau sind”.

Konkret bedeutet “innere (Zusammen)Arbeit” für uns:
– “sich selbst”/ an ein Innen gerichtet (nach)fragen,
– aufmerksam wahrnehmen, welche Resonanzen man in sich bemerkt (Gedanken, Impulse, unwillkürliche Körperbewegungen…)
– sich auf Gefühle und Gedanken einlassen, die sich fremd, aber irgendwie auch nah anfühlen
– eigene Gefühle und Gedanken in Kontexte rechnen, derer man sich nur hypothetisch sicher ist (sein kann, aufgrund von dissoziativer Amnesie)

Ein Beispiel dafür ist unser Wochenplan.
Der Wochenplan funktioniert als unser kleinster gemeinsamer Nenner.
Er bestätigt uns im Lauf der Dinge, der in Wochen, Tage, Stunden und Minuten eingeteilt ist, die sowohl nach außen als auch nach innen zu gestalten sind. Der Plan beinhaltet ausschließlich Aktivitäten zur äußeren Gestaltung, die den Raum für Aktivitäten zur inneren Gestaltung erschaffen bzw. ermöglichen soll.

Zu Beginn habe ich mich gefragt, was ich brauche, um mich zu versichern und zu orientieren.
Meine Antwort war “Sicherheit um Zeit und Raum” und fühlte sich ganz und gar mir zugehörig. Ich bewegte diese Antwort in mir herum und dachte darüber nach, was genau das konkret bedeutet. Denn das sind ja nur drei Wörter. Die kann ich mir in einer unsicheren Situation sagen, aber sie machen mich nicht sicher in Zeit und Raum, nur weil ich sie höre.

In diesem Nachdenken hatte ich weitere Gedanken und Impulse, die sich klar nicht nach mir oder nicht mir zugehörig anfühlten.
Ein Gedanke war, wie gut es wäre, wenn man wüsste was genau man wann wie und wofür machen soll. Ein Impuls war ein Schwanken zwischen aufschreiben wollen und unsicher darüber sein, ob es Bestand haben würde. Ein anderer Gedanke war ein sehr langer Faden aus Hypothesen und strukturierten Beobachtungen darum, wie einerseits flüchtig und unfassbar, doch gleichzeitig sehr kontinuierlich und genormt Zeit (der Lauf der Dinge als Entwicklung, die ist und doch nie (gleich) bleibt) ist.
Einer, der mir sehr nah war, aber doch nicht von mir kam, war eine Art Gedankenspiel darum, was wäre, wenn ich mich sicherer fühlen würde. Da ging es dann plötzlich um Dinge wie basteln, schreiben, malen, spazieren gehen, fotografieren … Freizeitgestaltung (innere Gestaltung).

Da gab mir eine Idee davon, wofür es – abgesehen von meiner seelischen Entlastung – noch gut wäre, insgesamt weniger belastet zu sein und mich schneller sicher zu fühlen: Es könnte noch etwas neben den Dingen, die wichtig sind um nicht zu sterben, geben.
Vielleicht wirkt das schräg. Aber genau das ist Dissoziation.
Ein so eingeschränkter Fokus, ein so kleines Stück Bewusstsein um sich selbst und das eigene Wirken, dass so ganz grundlegende Dinge nicht bewusst sind.

Ich hatte damals kein Gefühl für Zeit als etwas, das passiert.
Zeit und Geschehnisse sind mir passiert.
Das Konzept von Wochen- und Stundenplänen war mir bekannt – aber bewusst er_leben konnte ich sie nie.
Ich begann meine Tage und verlor sie immer wieder. Ständig rollte von irgendwo irgendein Geschehen auf mich zu und forderte mir irgendeine spontane Reaktion ab, die ich nicht vorbereiten oder planen konnte. Immer wieder sah ich mich Menschen gegenüber, die Worte von mir wollten, sich aber nicht darum scherten, ob diese sagen konnten, was ich wollte.
Für mich war es Glückssache, mich und meine eigene Gegenwart als etwas zu erleben, das einen Anfang, eine Richtung und ein Ziel hat.

Ich hatte den Wunsch nach Pausen. Nach Besinnung. Nach “nicht in einem Schlachtfeld sitzen”. Meine Umsetzungsideen dessen waren wiederholte Suizidversuche oder schwere Selbstverletzungen. Mir erschien der Tod wie eine Nacht ausschlafen, ohne Angst vor einem nächsten Aufwachen haben zu müssen.
Was mir damals fehlte war die Assoziation (das “selbst erleben”/ Bewusstsein/ Erinnern können) dessen, was mein Wirken im Alltag immer wieder zur Folge hatte. Nämlich den Freiraum für andere Innens Dinge zu tun, die ihnen wichtig waren.

Als wir dann den Wochenplan etablierten, kam es nicht zu spontanem Miterleben. Natürlich nicht, denn erst einmal hatten wir ja nur aufgeschrieben, was wir wann zu tun hatten. Aber es kam zu einer deutlichen Abnahme des Gefühls dem Lauf der Dinge mehr oder weniger hilflos ausgeliefert zu sein.
Auch wenn es sich für mich in meinem Zeitempfinden so anfühlte, als würde ich permanent von Menschen bedrängt, konnte ich sehen: Das ist nur ein bis zwei Mal die Woche überhaupt möglich (weil wir damals nur ein bis zwei Mal die Woche überhaupt mit Menschen direkt in Kontakt waren).

Das innere Bündnis begann also mit dem Wochenplan als allgemeine Größe – mit der objektiven Sicht auf eine Woche, die wir alle irgendwie jede_r für sich füllen und verplanen.
Für uns eignen sich äußere Dinge wie der Wochenplan gut, um uns und unsere Er_Leben in Verhältnissen wahrzunehmen.

Im Innen ist vieles mehr oder weniger gleich laut, schrill, nötig, wichtig, dringend, jetztgleichsofortig – wir haben nachwievor massive Schwierigkeiten herauszufinden, was wann wie in welcher Abfolge abgearbeitet/angehört/berücksichtigt werden muss. Gerade dann, wenn sich noch unverarbeitete (traumaassoziierte) Dringlich- und Nötigkeiten dazumischen, wird es schwierig.
Zusammen mit dem kompetenten Eindruck und der positiven Diskriminierung als “intelligent”, die immer wieder auf uns liegt, passiert es uns sehr oft, nicht in dieser unserer Desorientierung gesehen und anerkannt zu werden. Gerade dann nicht, wenn es um den ganz unspektakulären Alltag geht, der uns trotz seiner wenig besonderen Beschaffenheit chronisch überfordert und überreizt.

Unser Bündnis zum Wochenplan hatte nicht zum Ziel irgendeine konkret wahrgenommene Not zu beenden. Viel mehr ging es darum, uns insgesamt in ein mittleres Erregungslevel zu bringen, um den Alltag auch wirklich als “alle Tage geschehend” und also “üblich” wahrzunehmen. Und darauf aufbauend zu schauen, welche Aspekte wir selbst wirklich in ihrer Wirkung auf uns beeinflussen können und welche nicht.

Nach einer Weile des kontinuierlichen Aufschreibens und Mitbedenken des Wochenplans, entwickelte sich eine gewisse Sicherheit für das, was um mich herum geschehen ist.
Selbst wenn mir Montag und Dienstag fehlten, so konnte ich am Mittwoch sehen, dass sie passiert waren und was wir als Einsmensch aller Wahrscheinlichkeit nach getan hatten und womit in der Folge an eben jenem Mittwoch zu rechnen sei.

Die Entdeckung des “Nichts zu tun” und der “Nichtnotwendigkeit etwas zu tun” wurde so für uns überhaupt erst möglich.
Denn irgendwann war er da. Der Moment, in dem ich vor dem Plan stand und ganz automatisch (ohne mir das vorzunehmen) nach innen fragte, ob jemand an einer Stelle vergessen hatte irgendwas aufzuschreiben.
Da war aber nichts.
Kein Alarm, keine Not, kein aufgeschobenes MüsstenwirnochmachensonstgibtsÄrger.
Da war nur: Nichts zu tun
und also zum ersten Mal die wahrhaftig ruhige, sichere Situation, in der wir uns als Alltagsteam nach innen richten konnten, um zu fragen, ob wir mal etwas tun wollen, um etwas zu tun, weil es gerade möglich ist.

Wir begannen zu malen, zu schreiben, zu puzzeln. Hörbücher anzuhören. Spazieren zu gehen. Zu spielen.

Daraufhin wurde das nächste innere Bündnis wichtig.
Denn spielen/kreativ sein/ “Muße haben” was (ist) etwas, das wir lernen mussten (und manche von uns nachwievor müssen).
Und zwar durch Wiederholung im sicheren Rahmen und mit genug Zeit, die Erfahrung gut zu verarbeiten, um sie später auch als “selbst gemacht” zu erinnern.

Wir sind durch Jahre gegangen, in denen wir wussten, dass wir die ruhigen Phasen haben und manche Innens sich darüber gut in Zeit und Raum orientieren konnten und wir deshalb immer weniger in StressAlarmallesbrennt-Situationen kamen.
Aber für uns gab es dieses “Extra” auf “Nichts existenziell lebensnotwendiges zu tun” nicht. Unser Bündnis hatte nur für andere Innens greifbare, im Sinne von “selbst gestaltbare”, Erfahrungsräume zur Folge.

Wir schlossen daraufhin Erfahrungsmitteilungsbündnisse und brachten uns damit in Neugier und Interesse für die Erfahrungsqualitäten der anderen Innens bzw. anderer innerer Systeme.
Und folglich auch in die Situation zu spüren: Sie sind da, sie haben Gedanken, Gefühle, Er_Leben und Geschichten.
Entsprechend mussten wir erst einmal ein paar Jahre vermeidungstanzen bis wir an dem Punkt waren, an dem wir uns noch ein bisschen mehr dafür öffnen konnten, damit zu leben und umzugehen, dass es ist wie es ist.

Auch das erscheint von außen vielleicht bizarr und nicht kongruent. Wussten wir doch schon vorher, dass da andere Innens sind.
Dieses Wissen ist aber ähnlich wie das Wissen darum, dass Hochhäuser hoch sind. Wie hoch sie wirklich sind, weiß man erst wenn man auf dem Dach von einem steht.

Heute arbeiten wir in verschiedenen Bündnissen, die auch für uns Rosenblätter etwas ermöglichen.
Für uns ist das Verstehen und Begreifen dessen, was mit und um uns herum passiert sehr wichtig. Bündnisse mit beobachtenden Innens helfen uns, mehr Informationen über Sachverhalte und auch frühere Geschehnisse zu erhalten. Austausche mit Innens anderer Funktionsbereiche (derzeit zum Beispiel der Schule) ermöglichen uns Überblick über unsere Fähig- und Fertigkeiten insgesamt.
Bündnisse mit Innens, die vor uns waren, helfen uns leichter durch schwierige Phasen zu gehen. Denn sie haben diese Phasen oft schon einmal erlebt und wissen mehr darüber, was gut funktioniert und was eher nicht.

Unsere Schwierigkeiten der Bündnisbildung waren (und sind heute noch) die Unkenntnis der anderen Innens bzw. der Systeme “auf denen sie laufen”.
Wie bereits niedergeschrieben, betrachten wir unser Gehirn als Biorechner.
Wir funktionieren so, dass es für verschiedene (frühere) äußere Kontexte, jeweils ein inneres System gibt, das einen immer gleichen inneren Aufbau hat.
E. Nijenhuis beschreibt das in seinen Schriften ziemlich genau (bewortet es allerdings anders).

Es gibt Innens die funktional aber wenig emotional re_agieren. Es gibt Innens, die sozial funktionieren. Es gibt Innens, bei denen traumareaktives Re_agieren zu beobachten ist. Es gibt Innens, die beobachtend teilhaben. Es gibt Innens, die bestimmte Identifikationen vorgenommen haben. Das ist ein Schema und Schemata können nie die 100% eines Individuums abbilden. Und doch können wir an uns sehen, dass es diese von Nijenhuis beschriebenen Sollbruchstellen des Ich/der Persönlichkeit bei uns auf jeden Fall gibt.

An ihnen entlang können wir eine Idee haben, mit was für einem Innen wir es zu tun haben, wenn wir zum Beispiel in einer sozialen Situation bemerken, dass es immer wieder zu Wechseln dahin kommt. Von den wahrgenommenen Eigenschaften eines Innens können wir dann in etwa ableiten, welche Art Zusammenarbeit vielleicht hilfreich oder allgemein überhaupt in Ordnung sein könnte.

Für uns ist es nicht schlimm, einander durch so eine schematische Perspektive zu betrachten. Uns entsteht dadurch kein Abstand zu dem was oder wer wir sind. Andere Menschen erleben das anders und entsprechend ist ihre Herangehensweise zur Bündnisbildung anders.

Insgesamt geht es bei der Bündnisbildung für uns oft um Gewohnheit.
Es ist schwierig für uns, wenn Bündnisse zu nutzen von außen eingefordert wird, wenn diese Gewohnheit noch nicht da ist. Etwa um die Orientierung eines Innen in Zeit und Raum aus eigener Kraft vorzunehmen oder ein Problem zu lösen.

Wenn wir schon länger in Kontakt miteinander sind, dann gibt es bestimmte Probleme nicht mehr – wenn ein Innen in regelmäßigem Kontakt mit unserem Alltag oder den alltagsfunktionaleren Innens ist, dann kommt es eher nicht mehr zu einer Konfusion um Raum und Zeit.
Es kann also für unser Außen ein Marker für bestehende dissoziative Barrieren sein, wenn ein desorientiertes Innen da ist oder überhaupt über ein zu lösendes Problem gesprochen wird. Also für einen Zeitpunkt, in dem orientierende Unterstützung bzw. Auseinandersetzung mit einem Problem gebraucht wird. Vom Außen.

Je üblicher der Kontakt unter uns ist, desto weniger brauchen wir die Brücke über außenstehende Personen oder auch Gegenstände.
Ist der Kontakt noch nicht da, brauchen wir von außen Unterstützung.
Und zwar nicht nur zur Bildung eines Bündnisses, sondern zu vorderst, um eine Idee davon zu bekommen, um was für ein Innen es sich handelt und wie ein hilfreicher Umgang (z. B. mit Desorientierung) aussehen könnte.

Fundstücke #40

In der Deutschklassenarbeit gab es eine Aufgabe,
die mir geholfen hat etwas über (Innen)Kinder zu verstehen.
Das will ich mit.teilen.

Die Aufgabe zeigte eine Zeichnung.
Die Zeichnung sah so aus:

Man sieht 2 Figuren, die auf unterschiedlichen Ebenen stehen.
Die Figuren werden durch einen Dialog verbunden.
Das sieht man, an der Form des Wortes “Dialog”.
Die Form soll an eine Leiter erinnern.

In der Aufgabe sollten wir erklären, warum es wichtig für gute Kommunikation ist,
wenn man auf der gleichen Ebene zueinander spricht.

Was ich über (Innen)Kinder verstanden habe,
zeige ich jetzt auch mit einer Zeichnung.
Die Zeichnung sieht so aus:

Man sieht eine kleine Figur und eine große Figur.
Die kleine Figur bedeutet ein (Innen)Kind.
Die große Figur bedeutet eine erwachsene Person.

Die Figuren werden durch den Dialog verbunden.
Das Wort sieht wieder wie eine Leiter aus.
Weil das Kind kleiner ist als die erwachsene Person.

Obwohl beide Figuren auf einer Ebene stehen
funktioniert jede Kommunikation zwischen ihnen wie eine Leiter.

Ich kenne Leitern.
Ich finde es anstrengend Leitern zu benutzen.
Man muss aufpassen
– dass man nicht daneben tritt
– dass man das Gleichgewicht behält
– dass man nicht vergisst, was man machen will
– dass jemand da ist, der die Leiter gut festhält

Wenn (Innen)Kinder einen Dialog mit erwachsenen Personen machen,
müssen sie auch aufpassen.
– Dass sie die richtigen Wörter benutzen
– Dass sie alles sagen, was sie wollen
– Dass sie beim Sprechen nicht vergessen,
dass sie laut genug sein müssen

Mir ist aufgefallen, dass viele Kinder, die mit erwachsenen Personen sprechen,
Hilfe beim Dialog machen bekommen.
Zum Beispiel:
– die erwachsene Person gibt Wörter, wenn dem Kind eins fehlt
– die erwachsene Person versucht alle Wörter zu verstehen
– die erwachsene Person macht leicht verständliche Dialoge mit dem Kind
– zum Beispiel mit leichten Wörtern
oder mit kurzen Sätzen

Mir ist aufgefallen, dass wir andere Dialoge machen.
Dafür habe ich eine Zeichnung gemacht.
Die Zeichnung sieht so aus:

Man sieht zwei Gesichter und zwei Sprechblasen.
In der oberen Sprechblase* steht:
“Monolog
– Einleitung/These
– Begründung/Beispiele
– Fazit/Spiegelfrage/Überleitung”

In der unteren Sprechblase steht:
“viele Wörter-Antwort”
Man sieht viele kleine Pünktchen und Linien,
die durcheinander sind.

Ein Pfeil zeigt auf die untere Sprechblase.
Dort steht:
“dazwischen verstecken sich die Wörter,
die man zum Überlegen einer Antwort braucht”

Das soll darstellen, dass wir ein festes Schema beim Reden haben.
Und, dass wir die Antworten von anderen Menschen nicht als Schema erkennen,
sondern als Aufgabe.
Oder als Rätsel.

Jetzt schreibe ich, was ich über Innenkinder verstanden habe.

Ich habe verstanden, dass sie einen Dialog immer wie eine Leiter machen müssen,
weil sie noch klein sind.
Und gleichzeitig die  Wörter für eine Antwort finden müssen,
und ihnen niemand hilft.
Weil die anderen Menschen eine erwachsene Person sehen
und anders mit Wörtern und Sprache umgehen,
als wir.

Ich habe verstanden, dass wir den Innenkindern helfen können,
damit es nicht so anstrengend für sie ist.
Zum Beispiel
– wenn wir unsere gesammelten Wörter mit ihnen teilen
– wenn wir bei ihnen sind, wenn sie einen Dialog mit einer erwachsenen Person machen
– wenn wir alles leicht verständlich für sie sagen
– wenn wir versuchen alles zu verstehen, was sie uns sagen wollen

Wir sind erwachsen.
Wir können für die Innenkinder gute An.Sprechpartner_innen sein.
Dann wird es weniger anstrengend für uns alle.

Dafür habe ich auch eine Zeichnung gemacht.
Weil ich Lust dazu hatte.


*Das Sprechschema ist von Innensystem zu Innensystem unterschiedlich starr bzw. wird unterschiedlich flexibel gehandhabt.

in ein Damals gehen

Ich hatte es schwieriger in Erinnerung.

Sich Innens annähern, die wie Gatschklumpen in diesem quecksilbrigen Brei aus “Irgendwas war da mal … ganz früher … oder so? … irgendwie…”, der manchmal an meine Füße schwappt, sind.
Irgendwo in der Erinnerung stehen und wie ein Zaungast sein, dem die Handlung aus dem eigentlichen Publikum zugeflüstert und die Szenerie von kleinen Schauern über den Rücken herangetragen wird.
Einen bestialischen Schmerz auffangen, ohne ihn zu berühren und in der Bewegung zu einem Echo verwandeln. Von 100 auf 80 auf 60 auf 40 auf 20 auf 10  runter zu regeln.

Sowas.

Das habe ich zuletzt vor 12 Jahren gemacht. Als ich aus Versehen erinnerte, wie schmerzhaft mein Durst war und wie viel schmerzhafter das Trinken von Wasser aus einem Glas. Damals.
Ich trat neben mich in diesem Damals und nutzte meinen komisch schmerzreaktiven Atem als Wind, der den Schmerz in ein Echo ins Heute verwandelt. Im Außen machte ich eine Bewegung mit der Hand, um dem Echo eine Richtung von mir weg zugeben.

Es war gut und wichtig für mich diese Verwandlung allein zu machen und in die Auseinandersetzung zu gehen, ohne jemandem von meinem Durst zu erzählen oder meinen Raum teilen zu müssen.
Aber es war schwer.

Ich hatte keine Idee, keinen Plan, keine Richtung außer “weg” von dem, was der Flashback übrig ließ, wenn ich ein Glas in der Hand hatte. Ich hatte nicht den Wunsch mit jemandem darüber zu reden. Erlebte meine Erinnerung so inmittend, dass ich keinen anderen Menschen in der Nähe, keine anderen Gedanken als meine, und selbst davon nicht mal alle, daran hätte ertragen können.
Ich ging alleine durch die Schleifen aus Überflutung bis ich das Moment fand, in dem ich den Schmerz kommen sehen konnte. Ich ging alleine durch die Verzweiflung, die sich auftat, als ich merkte, dass ich ihn nicht ungeschehen machen kann. Ich ging alleine durch die Not an dem Gefühl der bitterklebrigen Angst vor Wasser an meinem Mund, obwohl es DER EINE Gedanke war, der mich hat nach Feuchtigkeit suchen lassen. Damals wie heute noch manchmal.
Es hat quälend lange Wochen gedauert, bis ich in die Idee kam, eine Beobachterposition einzunehmen. Ein “so tun als ob Spiel” zu versuchen, obwohl es mir als Selbstbeschiss klar war. Den Schmerz kommen zu lassen, meinen komisch schmerzreaktiven Atem zu spüren und in das Geschehen mit dieser einen Windbewegung hineinzugreifen – und sonst gar nichts. Keine Schutzbewegung, keine Gedanken oder Worte, die mir lieber gewesen wären – damals wie damals wie heute.

Damals vor 12 Jahren, waren wir noch 17 bald 18 Jahre alt und sich an seinen Erinnerungen und dem Umgang damit, so zu quälen, war noch normal. Wir machten Vermeidungstänze über Vermeidungstänze und umfächerten diese mit einem waberigen Wörternetz nach außen, das im Innen keine Entsprechung hatte.
Das ist heute nicht grundlegend anders und doch kaum noch zu vergleichen.

NakNak*s Anblick an dem Morgen im Zelt hatte ein Erinnern ausgelöst, das ich zu dem Zeitpunkt nur über einen Impuls von einem Kinderinnen bemerkte und mit einem weiteren Punkt auf meinem Handlungsablaufplan beantwortete: “Ich kümmere mich darum, dass wir uns darum kümmern können.”
Kinderinnens sollen sich in solchen Dingen auf mich verlassen. Das habe ich mir (und manche anderen Frontgänger_innen) irgendwann als Kompromiss überlegt, weil ich es bis heute nicht schaffe, genug Kraft für sie und ihre Erinnerungen, in mir und meinem Sein aufzubringen, aber manche Menschen in unserem Leben dies schaffen.

An dem Morgen, an dem NakNak*s Krankheitsanzeichen unübersehbar waren, schrieb ich der Therapeutin eine Nachricht, telefonierte mit dem Begleitermensch, drehte mich aus den Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen des Innen heraus und legte meine gesamte Energie in die Fahrt nach Papenburg.
Als wir, viele Stunden später, zu Hause waren, legten wir NakNak* auf ihren Platz und klemmten das erinnernde Kinderinnen über die Druckwelle hinter sich. Wie ein Korken im Hals einer Sektflasche, den man zusätzlich mit einem Sicherungskorb aus Aluminium an seinem Platz hält. Dieser Sicherungskorb bestand aus den Armen von Innens, die die Berührung dieses Kinderinnens aushalten können und keine Alltagsfunktionen haben. In schlauen Büchern heißen solche Innens “innere Helfer” – in uns sind es “Innens, die gerade helfen können”

[diffiziles Wortspiel? Mag sein – ist aber wichtig. “Innere Helfer” limitiert ganze Innens auf eine Helferrolle, was eine unlogische Idee ist, wenn man alle Innens mit allem was und wer und wie sie sind, kennenlernen, annehmen und mit ihnen interagieren will.]

In den nächsten Tagen bis zum mit der Therapeutin verabredeten Termin, taten wir nichts weiter, als das Hier und Jetzt zu halten, uns gut zu versorgen und das allgemeine Anstrengungslevel niedrig zu halten. Wir taten, was uns entlastete. Gaben verschiedenen Innens einen Anteil von Zeit und Raum, um sich auszudrücken, sich zu entlasten, die Situation so aushaltbar wie möglich für sich zu machen.

[Wenn sich manche Innens entlasten, kann das bedeuten, dass sie Dinge im Außen tun, die heute eigentlich nicht mehr nötig sind oder andere Innens wiederum in unkontrollierte Erinnerungsprozesse stoßen. Wir haben inzwischen genug innere Kommunikation um grobe Impulse zu spüren (und genug Therapieerfahrung, um darüber nicht auszuklinken) und versuchen entsprechend unsere Umgebung so zu gestalten, dass die Wahlmöglichkeiten um eigenes Agieren im Heute für alle Innens kontinuierlich und sicher zugänglich sind. (Unabhängig davon, ob sie  auch alle diese Wahlmöglichkeiten sofort bewusst wahrnehmen oder als solche einordnen können. Der Unterschied passiert durch das ganz konkrete Vorhandensein der Möglichkeit!
Zu spüren, dass sich ein Innen für etwas entscheidet, das es gut kennt und deshalb als entlastend erlebt, ist etwas völlig Anderes, als nur wahrzunehmen, dass es etwas tut, wozu es eventuell früher einmal gezwungen war und es deshalb auch heute noch tut oder tun will ™ oder möchte ™ und, wenn man ganz ehrlich ist und sich ein bisschen reindenkt, auch keine so richtig wirklich greifbare andere Wahl hat, oder miterleben kann oder annehmen kann.]

Wir nennen Termine für dieses Kinderinnen “F.-Stunden” und haben uns dafür ein Schema überlegt, weil das meistens Stunden sind, in denen Zugänge zu desorientierten Innens zu finden versucht und manchmal auch gefunden wird. Manchmal geht es aber auch darum, sich bereits gefundenen Innens zuzuwenden und Möglichkeiten der Reorientierung zu finden.
Heißt: es geht um schwierige Themen, die Kraft und Widmung erfordern.
Das sind keine Stunden (mehr), in die wir reingehen und uns sagen: “Ja, mal gucken was kommt.”, weil wir heimlich doch drauf hoffen, dann doch irgendwie nichts damit zu tun haben und es vielleicht hinterher nicht mal richtig zu erinnern.
Letztlich haben wir nämlich immer etwas davon mitbekommen – und sei es ein ferner, ganz diffuser Nachhall, der uns dann im Alltag völlig verunsicherte, belastete und nach und nach ganz subtil destabilisierte, was erneute Symptomschleifen zur Folge hatte und dann am Ende genau gar keine Erleichterung und Verarbeitung oder eine stabile Verbindung für andere Innens ins Heute zur Folge hatte.

So sehen wir Frontgänger_innen im Moment unsere Aufgabe nach innen: Wir sind dafür da, damit andere Innens eine kontinuierlich sichere, offene, stabile Linie von Außen (Heute) zu uns (als Körper, der existiert) zu sich (als Sein, das (manchmal noch im Damals, im Früher, im Nichts, im Inmitten … etc.) ist) haben können.
Wir machen unseren Einsmensch-Alltag, verbinden uns mit dem Heute, Hier und Jetzt, sichern uns, versorgen uns, machen Gemögte, Bekannte, Freund_innen und arbeiten an guten Linien, Lücken und Nischen für das Innen.
Eine mit der Therapeutin verabredete “F.-Stunde” bedeutet für uns entsprechend vorher immer:

– die Prüfung der allgemeinen Fähigkeit zu so einer Stunde (“Wie ist die körperliche Verfassung?”, “Haben wir genug Nerven dafür?”, “Fühlen wir uns sicher?”)
– keine akuten Probleme mit Behörden, die wir alleine lösen müssen
– keine akuten sozialen Probleme mit Gemögten und Herzmenschen, die Kinderinnens verunsichern oder akut triggern
– es wird (mindestens am Tag vorher, dem Tag selbst und dem Tag danach) genug gegessen, getrunken, geschlafen
– keine zwingend nötigen anderen Termine an dem Tag (und evtl. den Tagen danach)
– die Wohnung ist aufgeräumt und übersichtlich
– Essen für den Tag (und die Tage danach) ist vorgekocht oder es gibt genug Zutaten für “ein Löffel-Rezepte”
– es gibt einen Zeitraum für bilaterale Stimulation an dem Tag (z.B. laufen, Rad fahren, (mit NakNak*) spazieren gehen)
– da wir auf “F.-Stunden” in der Regel mit Fieber reagieren und nach der Bewegungszeit (etwa 1 Stunde) erstmal schlafen müssen, stellen wir uns meist schon vorher alles ans Bett, was wir in greifbarer Nähe brauchen könnten: Telefon, Laptop, Bücher, Lavendelöl, Kreisel, eine Flasche Wasser, verschieden dicke und schwere Decken, verschiedene Stifte und einen Schreibblock
– wir erlauben uns inzwischen auch so lange nicht zu sprechen, bis es von Innens, die das gut einschätzen können, das Okay gibt, wieder Energie  in Lautsprache zu geben
– wir legen uns die Sätze zurecht, mit denen wir die Therapeutin um Dinge bitten, die wir eventuell von ihr brauchen
– wir packen unseren Erbsenmomentbeutel  in den Rucksack
– stecken uns Geld für ein Taxi ein, für den Fall, dass wir zu erschöpft sind, um allein nach Hause zu kommen

– wir erarbeiten uns die Basis der “F.-Stunde”:

  • Welche Verbindungen können wir für den Zeitraum der Stunde ganz stabil eingehen (und wieder auflösen), welche sind eher nicht so stabil und welche Verbindungen könnten uns destabilisieren?
  • Haben wir bereits in früheren Therapien an diesem Damals gearbeitet?
    Wenn ja: welche Verbindungen waren damals stabil und welche eher nicht?
  • Gibt es Impulse, Ideen, Gefühle, Erinnerungen(splitter), die uns Hinweise geben, welches Thema das Innen oder das Stück Damals hat (als Überbegriff, damit wir in der Stunde nicht ziellos umhermäandern, sondern um F. herum stabil bleiben, um zu unter.stützen und zu begleiten)?

Und dann bleibt nur noch, dieses Gefühl gut gewappnet und gesichert zu sein, bis in die Praxisräume getragen zu bekommen und in der Stunde selbst auch nicht zu verlieren. Je sicherer wir uns mit uns selbst, mit dem Thema und dem Vorhaben fühlen, desto leichter ist es, eine Verbindung zur Therapeutin zu halten, während F. oder ein anderes nicht im Alltag wirkendes Innen (aus anderen Systemen als unserem) mit ihr spricht.

“Verbindung halten” meint dann nicht immer unbedingt, dass wir sie hören oder sehen oder fühlen oder riechen – meistens ist das eher so, dass wir uns und sie im Therapiezimmer wähnen und dieses Wähnen einfach nicht loslassen oder vergessen oder ausplätschern lassen (dissoziieren).
Das ist so, als würde man Gähnen oder Niesen unterdrücken, aber gleichzeitig doch ein bisschen von dem machen, was Gähnen oder Niesen macht – denn letztlich dissoziieren wir ja doch, wenn wir uns dafür aufmachen, dass F. mit der Therapeutin spricht oder auch ganz übernimmt. Aber – um in dem Vergleich zu bleiben – wenn wir ganz loslassen (ganz niesen oder gähnen), sind wir nicht mehr “da” und haben keinen Gedanken (an die Therapeutin, das Heute, die Stunde, uns selbst)  sondern nur noch F. und das, was dieses Kinderinnen mitbringt, denkt, fühlt, weiß und wähnt.

Wenn sie miteinander sprechen, trägt F. die Fragen und Sätze von der Therapeutin in den Bereich ganz direkt um sich herum und bringt ihn in Bewegung. Wir merken das manchmal als Impulse, aber manchmal auch als Gedanken oder Bilder.
Weil wir (gesprochene) Wörter sehen, sehen wir meistens auch, wie sich durch das Sprechen mit der Therapeutin für F. (und uns) (Wortbedeutungs-)Räume eröffnen, die ohne die Bewegung nicht zugänglich waren (und es später, wenn die Stunde zu Ende ist, häufig auch erneut nicht sind).

Wird die Bewegung mehr, gibt es oft so etwas wie einen Schmelzpunkt oder Point of Dissoziation – und das ist eigentlich das einzige Moment, in dem wir tatsächlich gefragt sind. Nicht inhaltlich und auch nicht emotional – das liegt alles bei F. – wir sind eher gefragt, dass sie dann nicht erneut dissoziiert (“schmilzt”), weil sie die Bewegung (das Erinnern, die Resonanz von den Innens, Jemanden, Etwas.en, Seins und Ists … um sich herum) nicht aus.halten kann.
Die Verbindungen, die wir uns vor der Stunde erarbeitet haben (und der Therapeutin soweit, wie das okay war, gesagt haben) legen wir dann an die Punkte an, die wir entweder von der Therapeutin gesagt bekommen oder als am stärksten in Bewegung sehen.

Dann müssen wir selbst aufpassen, dass wir nicht an diesen “Schmelzpunkt” kommen, weil es sich bei diesen bewegten Stellen schlicht mal immer um Wahrnehmugsgranatensplitter von traumatischen Erfahrungen oder um Innens, Jemande, Etwas.e, Seins und Ists … handelt, die F. dissoziiert hat und, die nicht in unserem Heute orientiert sind. Also, deren Jetzt für uns völlig fremd, überbordend schrecklich und schnell auch so überfordernd ist, dass wir die Verbindung zur Therapeutin nicht halten können.

Während der Verabredung zur letzten “F.-Stunde” hatte die Therapeutin gesagt, F. würde manchmal an ihrem Bein sitzen und die Hand halten.
Nach einem Peinlichkeitsvermeidungstanz um den von mir gewitterten Klischeeschmalz abzuschütteln, dachte ich dann, wie eigentlich doch auch logisch das ist, wenn F. die Hand der Therapeutin hält, denn: Wenn sich um das eigene Ich alles bewegt und alles Mögliche hochspült, braucht man einen Anker und wir anderen Innens bilden den (noch) nicht für sie – wir wirken viel mehr wie Wellenbrecher, Leuchttürme, Bojen und Fähren im Innen. Die Verbindung nach Außen ist durch die Hand und den Kontakt am Bein der Therapeutin gegeben.
Das ist ähnlich wie unsere Strategie mit dem Band, das die Therapeutin an einem Ende hält und wir am anderen – nur physisch konkreter in der Rückmeldung.

Meistens erfahren wir in “F.-Stunden” von Gewalt, die für F. irgendwie zum Alltag gehörte. Die vom Sprechen über das, was F. mit der Therapeutin zu teilen bereit war, herausgelösten Innens, schieben wir in eine Mischung aus Imagination und Dissoziation, in der es nur um die Information geht, dass ES vorbei ist und DAS DA so in der Form nicht mehr passiert.
Meistens ist es das Stück im Innen, in dem wir unsere Erfahrungen mit dem Heute als erwachsene Person, die mehr selbstbestimmte Entscheidungen treffen kann, sicherer ist, besser versorgt ist, weniger einsam ist und viel mehr Anlass für Mut und Zutrauen hat, als sie es früher, als das Jetzt dieser Innens war, hatte, speichern und für uns bewahren.
So entsteht eine zarte gemeinsame Verbindung (die man sich hier in dem Schema als Linie in der Mitte vorstellen muss):
Ich hatte in Bezug auf “F.-Stunden” und “F.-Themen” oft eher das Gefühl, immer rangepfiffen zu werden, wenn es zu kippen drohte oder sich die Therapeutin wünschte, dass F.  oder ein rausgespültes Innen in Angst oder Not, meinen kraftvoll taktlosen Charme eines mittleren Eisenbahnunglücks spüren, um eine Verbindung zum Heute aufgehen zu lassen.

Das funktioniert manchmal innerhalb “meines Systems” – aber noch nicht außerhalb. Mir sehr ferne Innens aus einem anderen System (also einem inneren dissoziierten Funktionscluster) über mich ans Heute bringen zu wollen ist, als wolle man eine lückenhaft geschriebene Appleanwendung mit einer nur teilweise gut arbeitenden Windowsanwendung zusammenbringen, um ein Ergebnis auf einem Linux-Rechner zu erhalten. Also ziemlich unmöglich.

Dann spürten wir eine Weile nach der Stunde, dass von der verabredeten “F.-Stunde” ein Etwas übrig geblieben war und wir hatten uns in der folgenden Woche überlegt, wie wir dem begegnen können.
Wir hatten Grund zu Annahme, dass ich eine in einem Aspekt ähnliche Erfahrung mit diesem Etwas teile, diesen aber im Gegensatz zu dem Etwas überstanden habe, zeitlich und räumlich orientiert bin, mit der Therapeutin sprechen kann – und schon einmal direkt in ein Damals hineingegriffen habe, um etwas im Heute zu erleichtern bzw. zu verändern.

Wir haben also unser Schema angewandt. Haben die Therapeutin gebeten, sich leicht schräg rechts neben uns zu stellen, während wir fast auf unserem üblichen Platz standen. Sollte ich in den Reflex kommen, mich aus dem Damals herauszudrehen, würde ich sie mit hoher Wahrscheinlichkeit noch sehen und mich besser halten können, da sie als Person ein fester Heute-Marker ist.
Ich ging in Verbindung mit anderen Innens in das Damals hinein und wie gesagt: ich hatte es schwieriger in Erinnerung
Dichter. Drängender. Schwerer an die eigenen Gedanken zu kommen.

So in Verbindung und dem Gefühl, mir dieses Moment von Widmung leisten zu können, weil alles andere gerade nicht meine Aufmerksamkeit brauchte, war es nur die Belastung mit dem, was ich von dem Damals sah, den Impulsen, die von einem versprengten Kinddunkelbunt kamen und die Kommunikation mit der Therapeutin.

Im Nachhinein kommt es mir vor als hätte ich meine Belastungsfaktoren hin und her jongliert. Das Kinderdunkelbunt pulste immer wieder in mich hinein und schwappte bis in mein Fühlen, obwohl ich mich von ihm zu entfernen versuchte, um nicht von unserem Vorhaben abzukommen. Die Therapeutin und ich kamen überein, dass es wohl nicht orientiert ist und einen Rahmen braucht. Ich sah keine andere Übersetzung von “Rahmen” ein, als “Halt” und den Link zu F. und dem Händchen halten mit der Therapeutin.
Ich schob das Kinderdunkelbunt in meine linke Hand und legte sie auf die rechte Hand der Therapeutin. Dort konnte es erstmal bleiben. Bei mir (und in meiner Verantwortung irgendwie) aber irgendwie auch bei der Therapeutin und damit im Heute, in dem ich mich gut auskenne.

Wir versorgten das Etwas und ich legte im Verlauf meine rechte Hand in die linke Hand der Therapeutin, um das konkrete Haltgefühl von dort in das Damals einzubringen.

[Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: wäre es um ein Innen gegangen (also ein ganzes Ich mit Name, Sprache, mehr als schwammiges Restbewusstsein um das eigene am-Leben-sein), hätte es den Kontakt über die Hände der Therapeutin nicht gebraucht – da hätten Wörter genug Konsistenz mit sich gebracht.]

Ich regelte die Schmerzen des Etwas herunter, drehte meine rechte Hand in der Hand der Therapeutin herum und sagte etwas, worüber ich mich am Abend dann nachträglich fast irgendwie erschreckte, obwohl es mir in dem Moment einfach so richtig vorkam, wie der Lauf der Dinge: “Hm, okay – ich halt mich mal grad an Ihnen fest.”.

Ich griff in das Damals und bewegte den Schmerz in eine Richtung, die passend erschien. Wir bewegten das Etwas in den Bereich der Heutemarkersammlung und verkapselten das Kinderdunkelbunt in der gewohnten eigenen Sicht der Dinge, neben der, die die Worte der Therapeutin aufzeigte.
Wir lösten die Verbindung der Hände und setzten uns hin. Ich trank etwas und wir sprachen über das Geschehene drüber bis ins Heute.

Es gab einen Aspekt, mit dem ich nicht gerechnet hatte und an den wir allgemein nicht gedacht hatten:
das “Es geht um mich”-Paradox

Was wir “viele sein” nennen, besteht physisch nicht. Kein Mensch hat jemals viele andere Menschen in sich. Einzige Ausnahme: schwangere Menschen, die ihre Embryos/Föten als Menschen betrachten.
Wir sind ein Mensch, der sich selbst so fremd und fern ist (dessen Selbstwahrnehmung so dissoziiert ist), dass eigene Persönlichkeitsanteile und Seinszustände, als so fremd und fern erscheinen, dass sie wie andere Ich’s wahrgenommen werden und in unserem Fall (bei dem eine tertiäre Dissoziation (DIS) vorliegt) auch auf autonomen Funktionsbereichen (inneren Systemen) basierend, mit der Umwelt inter_re_agieren.
Mein Grundproblem ist also nicht, dass ich mich als “wir” denke oder mich manchmal fremd empfinde, sondern, dass ich, wir, als Einsmensch in unterschiedlich dissoziativen/dissoziierten Zuständen unterschiedlich inter_re_agieren, wechselnde Fähigkeitenniveaus haben, dissoziative Störungen unterschiedlich gut kompensieren können und unterschiedlich weit von einander dissoziierte Funktionsbereiche im Leben haben, was alles jeweils mit unterschiedlicher Selbstwahrnehmung, Selbsterfahrung, Selbst_Bewusstsein, Selbstbild und darüber auch entstehende Konzepte von der Welt, dem Lauf der Dinge und anderen Menschen, einher geht.

Wenn ich mich einem Stück Damals zuwende, das ich nicht gelebt habe (also für das ich eine dissoziative Amnesie habe), habe ich zeitgleich so wenig Verbindung zu diesem Bereich, dass ich nie das Gefühl habe, wir würden über etwas sprechen, das mich betrifft.
Das ist, wenn man es sich so anschaut, zwar ganz offensichtlich – grell blinkend mit Leuchtschildern umrandet – unlogisch – aber eben doch, was ich einfach so empfinde.

Ich hatte in der Stunde, während wir uns dem verbliebenem Etwas gewidmet haben, bis zu dem Punkt, an dem mir das Kinddunkelbunt seinen Fuß ins Bewusstsein stampfte und wütend über die Versorgung durch uns brüllte: “Das bin aber nicht ich!”, nicht das Gefühl in einem Damals zu stehen, das eines von mir war.
Ganz klar ging es diesem Kinddunkelbunt um irgendeinen anderen Kontext als den, an dem wir gerade waren und auch um einen, den ich nicht nachvollziehen konnte – deshalb war es gut, es in meine linke Hand zu schieben und diese in die Hand der Therapeutin zu legen – aber der Satz war da und fand in mir einen Resonanzraum, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn hatte.

Mir passiert Dissoziation in der Regel einfach. Es gibt zwar Momente, in denen ich sie leichter zulassen oder abbrechen kann, doch die Trennung selbst beginnt aus Reflexen heraus, die mir meist nicht spontan bewusst sind.
Es ist also kein üblicher Teil meiner Gedanken mit etwas verbunden oder von etwas getrennt zu sein, sondern eher, dass ich auf etwas reagiere, das für mich da ist . So etwa die Aufgabe, sich um ein Etwas im Innen zu kümmern, indem wir, in Begleitung der Therapeutin, in ein Damals hineingehen.

Auf den Ausruf des Kinddunkelbunt, hatte ich in dem Moment zuerst geantwortet: “Ja, ich auch nich – komma klar – stör mich nich”, (weil ich das so gut kann – dieses “geduldig und freundlich mit Kinderinnens umgehen” *hust*).
Doch die Interaktion mit der Therapeutin wirkte später wie eine Hauptstraße, die in einem Kreisverkehr endete. Sie und ich waren fest verbunden, doch ich war auch in Bewegung und so war sie auch in Verbindung mit dem Etwas, den Innens, die mit mir in das Damals hineingegangen waren und dem Kinddunkelbunt.

Der Satz “Das bin aber nicht ich” blieb in mir als Element wie ein Fremdkörper hängen.
Jetzt, wo ich diese Erfahrung hier aufschreibe, habe ich die Idee, dass es das tat, weil es mir im ersten Gedanken ganz klar und logisch erschien, im zweiten Gedanken jedoch, in dem ich eine erwachsene Person im Heute, Hier und Jetzt bin, die sich seit inzwischen 13 Jahren mit der Thematik “Trauma und Dissoziation” beschäftigt und kognitiv völlig klar und bewusst hat, dass diese innere Überzeugung/Wahrheit eine ist, die ganz typisch für eine dissoziative Kluft in der Selbst_Wahrnehmung ist, aber genauso klar und unlogisch bewusst ist.

Während der Therapiestunde sagte ich der Therapeutin, dass das bei mir hängen geblieben ist, blieb aber an der Stelle stehen, an der beide Wahrheiten nebeneinander klar und okay sind. Einmal, weil die Stunde um und wir insgesamt ziemlich erschöpft waren und einmal, weil ich mir nicht schlüssig darum bin, was ich an der Stelle tun oder fühlen oder denken soll oder was überhaupt dort passieren kann.

Wir fuhren eine schöne Strecke mit dem Rad nach Hause und wickelten uns in das Heute, in dem es eine wieder quietschfidele NakNak*, freie und sichere Zugänge zur Versorgung von Grundbedürfnissen und einige Optionen auf Erbsenmomente und andere Er_Lebenserfahrungen gibt.

Und daneben auch die Wahlmöglichkeit, wie schwer oder leicht man sich manches darin macht.

böse Mädchen

Wir griffen nach zeitlichen Folgen, versuchten ein Nacheinander zu finden und zu fühlen, warfen uns dann aber doch wieder nur in den Lauf der Dinge.
Hörten einer Person zu, die über Essen sprach und rannten wieder zurück zum nächsten Termin.
Sammelten uns. Sprachen aus, woran wir seit dem Aufnahmetag in der Klinik kauen: Wir fühlen uns nicht erwünscht. Nicht gehört, nicht gesehen, nicht verstanden – und schrägerweise ist dieses Gefühl genau dort präsenter, wo man sich voll und ganz auf uns konzentriert. Beziehungsweise, voll und ganz darauf konzentriert ist, uns Dinge zu sagen. Egal, was das mit uns macht, für uns bedeutet oder wie es von uns aufgenommen wird oder werden kann.

In anderen Settings ist das Gefühl nicht da. Wir gehen angenehm anonym unter in den Gruppen. Machen unsere Übungen, spüren nach, fragen rein, schwingen mit, versuchen uns zu bewahren, was sich an guten Empfindungen einen Weg sucht. Alles läuft okay und genau so, wie wir uns das erhofft hatten.
Doch wehe wir haben einen Einzeltermin oder wir werden durch als hilfreich intendiertes Verhalten ins Erinnern getriggert.
Dann bricht die Hölle los.

Und es ist eine Hölle.
Eine, die wir schon mal erlebt haben. Mehrfach. Über Jahre.
Und die, außer für uns, den Begleitermenschen, unsere Therapeutin und die Flauscherzen in unserer Twittertimeline scheinbar für niemanden sonst real ist. Denkbar ist. Möglich ist. Wahrhaft ist.

Nach dem Termin fahren wir nach Hause und rupfen uns und sie aus der Zeit heraus.
Wir machen uns weit, weich und warm. Gehen zur Seite und lassen sie fertig weinen im Tausch gegen einen Schnitt vom Hals bis in die Scham. Wir streicheln NakNak*, streicheln unsere Nerven. Lassen Seifenblasen durchs Bullergeddo fliegen und lauschen dem Tanz der vielen geschenkten Kreisel auf unserem Laminatfußboden.
Wir schenken uns einen Erbsenmoment, der eine Stunde dauert. Schenken einem Fast-noch-ein-Kind den Trost, den es braucht und erfahren, dass sich für sie etwas wiederholt.

Irgendwann kann auch ich den Schmerz in der verletzten Hand fühlen und denke darüber nach, ob wir noch Kraft für den verwaltungsrelevanten Überweisungsquatsch von der Klinikärztin zur Ambulanz im anderen Krankenhaus haben, damit sich ein special Körperarzt die Hand ansieht.
Und dann muss ich lachen.

Dann lache ich bis ich weine und das Mittagessen erbreche.
Weil ich mich “behandlungsbedürftig selbst verletzt” habe, während unsere Behandler_innen im Raum saßen und sich vermutlich genauso vor dem, was da aus uns herausgebrochen ist, erschreckt haben, wie wir selbst. Was ein den gemeinsamen Absprachen entsprechender Grund wäre uns zu entlassen.

Das 14 jährige fast-noch-ein-Kind beobachtet mich und mein Lachweinkotzen. Und ich merke ihre Verwirrung. Merke, wie gut es wäre, würde ich mich selbst dort in diesem Klinikrahmen so sicher und geschützt fühlen, wie es unsere Behandler_innen tun.
Ich sage dem fast-noch-ein-Kind nicht, dass alles okay wird. Ich verspreche ihr nicht, dass ich sie schützen werde.
Ich schaue nach innen. Suche nach einer Wahrheit, die ich mit gutem Gewissen an ihr Herz legen kann.

Und verspreche ihr, dass sie für mich niemals das böse Mädchen sein wird, für das sie sich hält.

spontane Integration

Die Stunde war zu Ende und während ich in die neue Jacke mit den Flauschstellen schlüpfte, trug sie ein Jemand auf dem Arm Stück um Stück tiefer ins Innen.

Wir hatten gearbeitet und ich spürte es an einem flirrenden Zucken unter der Haut. Der Notwendigkeit die Unterwäsche zu wechseln und unter die Dusche zu gehen, als wir zu Hause waren. An dem Wunsch NakNak* immer im gleichen Zimmer zu wissen.
Über den Nachmittag kletterte die Temperatur von 37 auf 38 auf 39 auf 40 Grad und ließ die Wahrnehmung des Heute schwanken. Am Abend begannen die intrusiven Gedanken und Gefühle, Pseudohalluzinationen und schmerzhafte Muskelkrämpfe.

Während ich versuchte der versorgenden Stimme aus dem Nebenmir zu folgen,  Aspirinbrause zu trinken und Lavendelöl auf Brust und Nacken aufzutragen, hörte ich sie schreien.  Später fiel mir auf, dass es mich verwirrt hatte sie schreien zu hören. Wir hatten doch an ihrer Erfahrung, dem Ereignis, das sie zu einem Jemand hatte werden lassen gearbeitet, damit ein Teil des ES zu schreien aufhörte.

Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass sie sich trauen würde, sich für den Teil des ES vor ihr zu öffnen und es in sich aufzunehmen. Vielleicht ist dieser Schritt aber auch nichts, was sich vorbereiten lässt.
Manchmal sind die Unterschiede zwischen Innens, die ein Jemand sind und dem, was wir als ein Teil des ES bezeichnen, nur minimal und manchmal braucht es nur eine bestimmte Resonanz vom außen, um die Ebenendifferenzen auszugleichen bzw. anzupassen. Ich stelle es mir vor, als würde der Umstand mit der Therapeutin durch einen Moment zu gehen, eine Art Schmiermittel einbringen, um diesen einen Ausgleich in Gang zu setzen, der früher aus Kapazitätsmangel in der Situation gestoppt wurde.
Das ist, als würde nachträglich etwas passieren, das nötig ist, auch wenn oder vielleicht auch obwohl, es akut keine Auswirkungen auf unser äußeres Funktionieren mehr hat.

In den folgenden Tagen haben wir darüber nachgedacht, ob sie jetzt in diesem Zustand noch überhaupt jemals wieder in der Lage sein kann, so zu funktionieren, wie sie es bisher konnte. Mir fiel dabei auf, wie sich die Annahme hinter der Frage gewandelt hat. Vorher ging es nicht um ihre Fähigkeit – es ging um ihre Intension. Die damaligen Umstände, die Frage nach bestehenden Zwängen oder Verpflichtungen. Zu keinem Zeitpunkt haben wir uns gefragt, ob sie überhaupt die Fähigkeit für ein anderes Handeln hat. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass wer verletzend (re-)agieren kann, selbstverständlich und wie einem Naturgesetz entsprechend auch ohne zu verletzen (re-)agieren kann. Obwohl wir selbst wissen, wie tiefgreifend sich die strukturelle Dissoziation unseres Selbst auf das jeweilige Fähig- und Fertigkeitenniveau seiner Bestandteile (also uns Innens und das, was wir Teile des ES, Seelen, Energien… nennen) auswirken kann.

Nicht jedes Innen, das kocht, kann auch essen. Nicht jedes Innen, das weiß was zu tun ist, kann auch tun, was zu tun ist.
Wir haben das in Bezug auf sie ausgeblendet und sind jetzt umso dankbarer, dass wir das im Nachhinein reflektieren konnten.

Manche Menschen fragen sich, ob Innens verschwinden, wenn sie sich integrieren oder mit anderen verschmelzen. Manche fragen sich, was genau da eigentlich passiert, wenn wir sagen “Sie hat es in sich aufgenommen”.
Wir haben noch keine Verschwindeerfahrung von Innens im Rahmen traumatherapeutischer Arbeit gemacht. Uns sind immer nur Innens bzw. ganze Systeme “verschwunden” oder kaputt dissoziiert, wenn wir Gewalt in Kombination Todeserwartung bzw. Nahtoderfahrungen üb.erlebten. Und dabei war es irrelevant, ob die Gewalt von früheren Täter_innen ausging oder von Menschen, die man außen als Teil einer Hilfe bzw. eines Hilfesystems bezeichnet.
Wir haben für uns inzwischen sehr klar, dass die Rechnung “Gewalt = Dissoziationsbereitschaft = Spaltung = DIS, wenn sinnhaft fürs Überleben” eine irreführende ist, die unserer Ansicht auch dringend und gerade in der Öffentlichkeitsarbeit präzisiert werden muss in: “toxischer Stress = Verstärkung bestehender Dissoziationsbereitschaft = erhöhte Wahrscheinlichkeit von Spaltung = Etablierung kompensierender Mechanismen (zum Beispiel einer DIS)”

Uns ist aufgefallen, dass wir davon ausgingen eine größere Veränderung wahrnehmen zu werden, nachdem wir die spontane Integration des Innens mit dem Teil des ES gespürt haben. Doch bis jetzt stellen wir die Veränderung eher an uns und unserem Zugang zu dem Innen fest bzw. merken, dass wir es anders sehen können.
Wir sehen mehr Worte in ihrem Denken und sehen, wenngleich nach und nach weniger deutlich, welche Worte von ihr und welche aus dem Teil des ES sind. Und wir spüren Gefühle in einer Wellenbewegung, wo vorher “emotionsähnliche Reaktionen” wie durch ein Katapult immer die gleiche Linie entlang geschossen kamen.
Sie ist noch die Gleiche. Sie hat keine 180° Kehrtwendung ihrer Ansichten, Ab- und Zuneigungen oder Loyalität gemacht. Aber da ist jetzt ein Schrei in ihr wo vorher keiner war und wir merken, dass wir eine Kehrtwendung in unseren Ansichten von ihr machen.
Von einem Jemand, dem wir uns widmen, weil wir etwas einfordern, wird sie zu einem Innen, das eine innere Sitzwache und viel von unserem Zuspruch braucht, um nicht gleich wieder auseinanderzufallen, weil es einen nun auch eigenen Schmerz nicht mehr aus_halten kann.

Wir merken, wie wir zu ihren Begleiter_innen in einem uns alle verändernden Prozess werden.

Fundstücke #17

Da ist die Idee, dass es innerhalb einer Zeitfalte nichts gibt.
Weißes, neblig weiches Nichts und davon ganz viel.
Lauf der Dinge-Nichts. Rauschen, das kommt und geht.
Ist, das kommt und geht, ohne je das eigene Innen berührt zu haben.

Manchmal denke ich, dass es ist, als würden wir Steine im Innen niederlegen, wenn wir uns einander nähern wollen.
Ja, als wären unsere Worte kleine Gedenksteine und Mitbedenksteine, die wir an einen Punkt in unserem Innen legen, den wir aus Rücksichtnahme und Willen zum Bewusstsein beachten doch, aus Angst selbst hineinzufallen, nie berühren.

Als es um sie ging, ging es lange nicht um sie, sondern um das, was sie tut.
Das erste Wort, das wir an ihren Rand legten war: “Selbstverletzung”.
Das erste Kämpfen ging um Furcht. Furcht vor Kontrollverlust. Furcht vor dem Urteilen und Werten der Therapeutin. Furcht, vor dem Moment, in dem die Forderung nach einem Ende dieser Verletzungen das kleine Sprechzimmer sprengen würde, weil wir ihr nicht nachkommen konnten.

Wir protokollierten ihr Handeln. Wir beurteilten und bewerteten es. Wir legten “Selbst-Folter”, “Not”, “nötig”, “Reaktion” an die Stelle, wo es biss und krampfte, wann immer wir uns mit der Wahrheit zu verbinden versuchten, es könnte sich um ein Erinnern handeln. Oder ein Innen, das in einem Heute ist, das für uns nur ein weißes neblig weiches Nichtsrauschen ist.
Immer liefen wir auf der perlmuttlila Linie von “Heute”, zu “Begleiterin”, zum Rauschen und wieder zurück.

In den letzten Jahren haben wir immer wieder Worte an diese Stelle gelegt bis wir an Konsistenz stießen und spürten, wo sie anfängt und unsere eigenen Worte enden. Wo unsere Worte beginnen und die der Rosenblätter. Und die der anderen. Und die der ganz anderen. Und, die derer, die nie ein Wort halten können. Bis wir sie auf eine Art wahrnehmen konnten, die man “sehen” nennt, aber doch mehr „spüren“ ist.

Sie einigten sich darauf sich zu widmen. Mehr als nur Worte zu finden, sie an sie heranzutragen und liegen zu lassen. Es war ein Moment, in dem jemand fragte: “Wieso legen wir eigentlich immer Wörter da hin, aber sie gibts nie selber welche, sondern macht nur Dummtüch?”.

Wir begannen Worte zu fordern. Mit dieser Begründung. Und erlebten eine Weile, in der die Vereinbarung auf ein Verletzungslevel, das wir selbst noch gut versorgen konnten als fast über Bord geworfen erlebten. Und nicht verstanden, warum es diesen Rückschritt gab.
Das Warum begann wie ein Knöterich die Worte um sie herum zu überwuchern. Im letzten halben Jahr widmeten wir uns nicht ihr, sondern einem Warumgestrüpp, das gefundene Worte unter sich zu begraben drohte.
Neben all den anderen Kämpfen in diesen unseren unterschiedlichen Leben.s_Läufen der Dinge.

Gestern hat jemand in ihr Denken geschaut. Sie standen auf der perlmuttlila Linie und hielten einen Faden an dessen Ende die Therapeutin saß.
Das Jemand trug Worte von innen nach außen und legte sie dort ab, wo die Fragen der Therapeutin hinführten. Bis es den Faden verlor und das Rauschen eines längst vergangenen Lauf der Dinge uns trennte.

Am Abend schrieb es in unser Heft: “Da ist ein Erinnern an Gewalt passiert und ich stand daneben. Es ist eine Wiederholung. Sie hat etwas wiederholt – und ich habe etwas wiederholt. Sie die Gewalt und ich das Beobachten von genau solchen Situationen. […]
Ich sehe sie jetzt in “Beruhigung” neben etwas, das mich irgendwie be_rührt: “Kontakt”.”

Heute morgen brodelte der Wasserkocher.
Und zum ersten Mal seit Jahren war da nur der Gedanke, vorsichtig zu sein.
Um sich nicht zu verletzen.

Fundstücke #16

Wenn ich Eines aus der Woche in die Therapiestunde hinüberretten wollte, dann war es, was ich dann doch eher fahrig herausfaserte als es stabil wie ein mittelgroßes Bäumchen in das Stück zwischen der Therapeutin und mir zu pflanzen: “Könnten Sie für uns in der Klinik anrufen und fragen, wie der Stand ist?”.

Eigentlich wollte ich nur das. Nur das. Weil ich in der ganzen Woche in einem matschigen weißen Rauschen herumgewatet bin und nichts spürte, was mich so fahrig und zwischen thematischer Superabsorbtion und völliger Depersonalisierung oszillieren ließ.
War es die Erkältung? Das “viel zu tun”? Das Warten auf Nachricht von der Klinik? Das viele “nicht allein sein”? Der Konflikt im Fotokurs?

Irgendwann hilft nur noch das systematische Ausschlussverfahren durch Stressorenabbau.
Gesund werden, anfallende Arbeiten durchstrukturieren, Klinikfrage klären, regelmäßiger reflektieren wie viel Kontakt mit wem wie lange wirklich okay ist und entsprechend regulieren, in den Fotokurs gehen und wenigstens für das Wesentliche miteinander sprechen.
Fazit dieses Vorgehens: Erleichterung
Veränderung des Befindens: Nein

Zwischendurch blitzen Paniken bis zu mir vor, die dann aber doch ohne Gesicht bleiben und genauso schnell wieder gehen, wie sie gekommen sind. Seit Kurzem bricht etwas in meinunser Leben ein, dass wir als “Täterenergie” bezeichnen, weil es nicht genug ist für ein Innen. Weil es so viel Wucht und ES ist, das es nicht einmal Gedanken zu haben scheint. Das ist etwas, dem nicht mit einer Kognition zu begegnen ist. Und zu Selbstverletzung führt.

Während die Therapeutin meine Anmerkung eigentlich selbst in der Klinik anrufen zu müssen – aber…, mit einer Hand wegwedelte und dem Freizeichen zuhörte, dachte ich, wie praktisch das ist, dass sie mit den Rosenblättern in den letzten 3 Jahren schon so oft diese “Ich weiß, ich müsste das jetzt können, aber ich kann nicht und ich hasse mich dafür und orr wieso kann ich das nie und orr ich bin so scheiße – ich werde das können, weil ich bin so orr und arrgh und – naja –” – Kreisel miteinander hatten und deshalb für uns alle immer öfter ausbleiben können.

Als ich die Praxis verließ, dachte ich darüber nach,  wie wenig mir die Fähigkeit zur Abstraktion dabei hilft Ideen zu entwickeln, wie eine Begegnung mit solchen “Täterenergien” oder auch aufblitzenden Paniken aussehen könnte.
Ich fragte mich, ob das matschige Rauschen im Innen Emotionen sind. Oder die Emotionen anderer Innens. Oder der Rand der Kognition. Oder das Ende der Worte.

Ich habe mich gefragt, ob ich Angst davor habe, in so eine Begegnung zu gehen und gemerkt: Nein. Eigentlich habe ich eher eine Furcht davor, dass es eine andere Art der Begegnung sein könnte, als die, die ich gewohnt bin: als Beobachterin – abstrakt, intellektuell, ordnend, Worte findend

In unserer Therapie gab es häufig Begegnungen, in denen sich abgesprengte Emotionen oder Innens im Status als eine Art emotionale Lawine entpuppten, die alles unter sich begruben. Und ich stand daneben. Dokumentierte das Geschehen Wort an Wort und legte Zeugnis darüber bei Therapeut_innen ab, welche die zum Teil verheerenden Auswirkungen über den Umstand der Existenz meiner Worte definierten – nicht über die Abwesenheit der Worte anderer Innens und ihrer inneren systematischen Zugehörigkeit.
Wir haben nie darauf bestanden in unserer Unterschiedlichkeit anerkannt zu werden. Als unterschiedliche Systeme. Als auch unterschiedliche Funktionssysteme.  Beziehungsweise als Teile davon.

Die moderne Technik macht Vergleiche möglicher. Wenn ich heute Menschen sage: “Ich funktioniere nach Windows Vista – wo wir hinmüssen, gibts aber nur ein DOS-11.”, verstehen mehr Menschen als noch vor 10 bis 14 Jahren, was genau mein Problem mit der Ausführung einer Begegnung im Innen ist.
Es geht dabei nicht um eine Angleichung von Fähig- und Fertigkeitenniveau – es geht um die Produktion eines passenden Emulators für ganz spezifische Ansprechbarkeit eines ganz spezifischen Bereiches dessen, was erreicht werden will.

An einer Stelle geht es auch nicht um emotionale Phobie oder willentlich steuerbare Vermeidungsimpulse. Das kann ich sagen, weil ich einerseits eine Furcht empfinde – diese sich jedoch gar nicht auf das Traumamaterial bezieht, sondern auf eine allgemeine Veränderung meines Erlebens unter Einfluss eines Innens oder einer Energie aus einem anderen (Funktions)System. Es geht um einen Selbstschutzmechanismus, der, wie in der Psychologie üblich, mit Emotionen belegt wird – meiner Ansicht nach jedoch auch mit der Neuroplastizität des traumatisierten Gehirnes zu tun hat.
Um erneut die Metapher mit den Betriebssystemen von Computern zu bemühen: Nach den ersten Computerviren hat man sich zum Einen darum bemüht diese abzuwehren (Vermeidung), zum Anderen aber auch angefangen Programme zu entwickeln, die das Betriebssystem vor unerwünschten, weil schädlichen Veränderungen schützen (sollen).

In unserem Fall sehe ich die bloße Existenz unserer unterschiedlichen Funktionssysteme, als reaktive Schutzmaßnahme im Rahmen der Möglichkeiten.
Die Option einen Teilbereich (vielleicht eine einzelne Anwendung oder einen einzelnen Order) für die kognitiven, emotionalen, allgemein bioaktiven Aspekte der Traumatisierungen bereitzustellen, ohne den Rest zu gefährden, gab es nach einer Weile vielleicht einfach nicht mehr.
Es gibt neurologische Sollbruchstellen, die in die Lage versetzen können autark von einander zu funktionieren. Das Betriebssystem muss aufgrund der ursprünglichen Konzeption von ganzheitlich verfügbaren Ressourcen jedoch zwangsläufig jeweils ein Anderes sein. Das ist meiner Folgerung aus den letzten Forschungen nach eher effektiv lebenserhaltend, als phobisch vermeidend und damit in Teilen das Dilemma der DIS und ihrer Therapie.

Denn es geht um eine Balance zwischen der Anbahnung und Reizung des traumatisierten Gehirnes eine Reorganisation und Angleichung der verschiedenen Funktionssysteme vorzunehmen, gegenüber der Aufrechterhaltung grundlegender Funktionen, welche jedoch ganz direkt an Selbsterhalt ebenjener Systeme gebunden sind.
Für mich ist das zu trennen von willentlichen Entscheidungen oder emotional aufgeladenen Überzeugungen von uns Innens.

Es ist zu einfach zu sagen, es gäbe Innens, deren Stärke die Kognition sei und deshalb präferiert benutzt und phobisch vermeidend vor traumanahem – konkret re_agierenden Innens. Es ist zu einfach, weil es verkennt, welche grundlegenden Unterschiede es in den jeweiligen Betriebssystemen gibt und welche Optionen etabliert sind, um diese zu kompensieren.

Am Abend lag ich mit dem Hund auf dem Bett und verfolgte die langsam über unserem Kopf ziehenden Seidentücherfeen.
Ich bemerkte, dass ich nicht am Ende der Worte stehe. Wo ich stehe, beginnt nur das Leben und Funktionieren von anderen als mir und das matschig durch meine Wahrnehmung fließende Rauschen ist, womit ich selbst auch wieder neu anfangen könnte.