subject: Zuschreibung

Endlich habe ich etwas fertig gestellt. Hurra.
Vielleicht brauche ich alle 6 Monate eine existenzielle Krise um Dinge zu schaffen?

Ich würde das natürlich niemandem empfehlen, denn Entselbstung schmeckt nach dieser Säure, die neben der Zunge entsteht, wenn einem die Panik in den Ohren rauscht und kleine Schweißtropfen auf der Oberlippe liegen.
Aber ich kann jetzt auch nicht sagen, ich würde das Ergebnis nicht doch auch mögen.
Das sind die kalten Finger und Füße, weil der Körper schon längst wieder auf Hungerzeit geschaltet ist. Die Rückenschmerzen, weil so ein IKEA-Küchenstuhl eben doch kein ergonomisches Wundersitzplätzchen ist. Das automatisierte Reinschütten von Kaffee.  Das Gehirn, das scheinbar ohne Körper ist.

Ich habe das Gefühl, alles zu geben, wenn ich in diese Art Arbeitsrausch komme und denke: “Genau so muss das ja auch sein. So und nicht anders. Wenn man arbeitet, dann muss man sich selbst vergessen. Nur so wird es was.”.
Erst später fällt mir auf, dass ich mich nicht vergessen habe, sondern weggelaufen bin, um zu vergessen.
Wenn ich vor Hunger, Jobcentersorgen, sozialen Unruhen, Versagens- und Vergangenheitsangst weglaufen will, dann funktioniert das fast ganz von allein.

Und dann ist es so eine kleine Aufgabe, wie eine Vita zur eigenen Person zu schreiben, die mich an mich erinnert.
Auch, weil ich im Moment nicht einmal so sicher bin, ob es mich überhaupt gibt.
Bin ich, wenn ich die Zuschreibungen anderer Menschen von mir abkratze?

Ich habe an die Irrwichte in Harry Potter gedacht.
Die Irrwichte verwandeln sich immer in das, wovor die Person, die sie anschaut, am meisten Angst haben. Niemand weiß, wie sie aussehen, wenn sie niemand ansieht.
Ich bin eine Irre, die am Gesellschaftsrand steht. Wenn Menschen mich anschauen, sehen sie alles, wovor sie Angst haben, sich ekeln, worüber die traurig sind, was sie sich wünschen, was sie ablehnen.
Und wenn ihre Augen zu sind, dann bin ich der Hauch, der Äther, ein formloses Irgendwas, das es vielleicht gar nicht gibt.

Wenn ich eine Vita über mich schreibe, dann schlüpfe ich in die Blicke anderer und reproduziere ihren Blick. Ich sortiere alles, was von mir für andere wahrnehmbar ist nach ihrer Angemessenheit und klebe sie passend in Formulare, Bewerbungen, Bettelbriefe … .
Ich glaube, die Psychologie sagt “Selbstunsicherheit” dazu.
Ich bin mir aber nicht unsicher über mein Selbst. Ich bin ich.
Ich bin nur nicht, was man mir zuschreibt und weiß nicht, was ich mir selbst zuschreiben könnte. 

Vielleicht ist es so, dass ich merke: Ich bin ein Subjekt.
Obwohl ich mein ganzes Leben lang vom Außen für das Außen zum Objekt gemacht wurde und werde.
Und dabei sogar mitwirke, indem ich in meinen Laptop tippe:
“Hannah C. Rosenblatt, Jahrgang 86, ist freie Autorin aus NRW …” , um zu vergessen, dass der Postbote gerade da war, es noch 5 Stunden bis Essen sind und die nächste Zuschreibung auf mich geklebt wird, sobald dieser Artikel veröffentlicht ist.

was “Objektivität” mit Opferfeindlichkeit zu tun hat oder: Wovon die “false memory syndrome foundation” lebt

“Auch Jennifer Freyd hat ein wichtiges Buch zu diesem Thema geschrieben. Sie ist die Tochter der Eltern, welche die False Memory Syndrome Foundation gegründet haben, eine international sehr mächtige pressure group von angeblich zu Unrecht des Missbrauchs bezichtigten Eltern. Jennifer Freyd hat ihre Eltern nie öffentlich angeklagt. Die Eltern sind in die Offensive gegangen und haben eine Stiftung ins Leben gerufen, die ausschließlich mutmaßliche Täter verteidigt und mit sehr viel Geld eine pseudo-objektive, tatsächlich aber opfer-diffamierende Öffentlichkeitskampange finanziert.”
[aus “Wege der Traumabehandlung” v. Michaela Huber]

Im Blog von Paula und Co gibts heute einen Artikel zur FMSF, den ich wichtig finde, weil er sich an HelferInnen* und UnterstützerInnen* richtet, die sich mit der Frage befassen, ob denn wahr sein kann, was sie von Menschen erfahren, die von Gewalt berichten.

Es gibt wenig klar umrissene Punkte über die sich so offen (salonfähig, gesellschaftlich (heimlich) akzeptiert) opferfeindlich geäußert werden kann, wie mit der Frage nach der Wahrheit der Ereignisse, die jemanden offiziell zum Opfer erklären, denn Wahrheit, ist etwas, das zu definieren sehr schwer ist. Vor allem, weil sie etwas anderes als Fakten ist.

Die meisten Menschen, mit denen ich mich über rituelle und sexualisierte Gewalt unterhalten habe und, die selbst nicht diese Erfahrungen machen mussten, dachten, sie fragten sich: “Ist das denn wahr?”.
Sie würden diese Ereignisgewalten als wahrhaft anerkennen, wenn sie sie selbst (mit)erfahren hätten, oder wenn diese Ereignisse reproduzierbar wie Umstände wäre, die Fakten hervorbringen. Es sich also um etwas wie das Phänomen handelte, das Wasser zu Eis verwandelt, wenn man es in den Froster stellt.
Letzteres ist noch eine sehr junge Art Wahrheit zu betrachten und findet ihre Ursprünge darin, dass Wissenschaftler(Innen* –  es waren erst einmal nur Männer, was mit dem Patriarchat  in dem wir Menschen im Westen leben (bis heute!) zu tun hat ) als Personen gelten, die Wahrheiten erforschen und Glauben(sinhalte) widerlegen bzw. berichtigen. Darauf könne man sich verlassen, denn Wissenschaft sei objektiv.

Nun ist es aber so, das nichts objektiv ist. Objektiviert, ja. Objektifiziert, ja. Aber so etwas wie “die Objektivität” gibt es nicht. Kann es gar nicht geben, weil jeder Mensch auch Subjekt seiner eigenen Wahrheit, Ergebnis seiner eigenen Sozialisierung und gesellschaftlicher, wie auch kultureller Konvention ist.
RichterInnen* sprechen kein Recht, weil sie die Wahrheit objektiv erfasst haben, sondern weil es Gesetze gibt, für das, was die unparteilich richtende Person aus dem, was ihm die klagenden Parteien schildern, gemäß der eigenen Lebensrealität und daraus folgend: seiner eigenen Wahrheit, zu rezeptionieren fähig ist. Gleiches gilt für AnwältInnen* und nicht juristische FürsprecherInnen*.

Wenn ich mit Menschen über die Schilderung von Gewalt anderer Menschen spreche, dann sage ich, dass es sich immer und in jedem Fall um die Wahrheit der Menschen handelt und frage nach, ob sich die Frage nach der Wahrheit bzw. der Wahrhaftigkeit auf Fakten bezieht, oder darauf, vor etwas zu stehen, das nicht mit der eigenen Wahrheit (die sich aus einer bestimmten Lebensrealität speist) in Verbindung zu bringen ist.
Meistens sagen die Menschen dann, dass es tatsächlich mehr darum geht, dass für so furchtbare Ereignisse absolut kein Anknüpfungspunkt in der eigenen Lebensrealität gesehen wird und es deshalb schwierig ist, die Wahrheit anderer Menschen anzuerkennen.
Ich habe aber auch schon mit Menschen gesprochen, die nichts von eigenen Wahrheiten halten. Was für diese Menschen zählt ist “Objektivität”, was in aller Regel Fakten in Form von Studien- und Untersuchungsergebnissen meint und ganz eigentlich sogar nur eine Sicht meint: die es gut situierten, weißen, heterosexuellen Cis-Mannes (mittleren Alters), auf dessen Blick auf die Welt, sämtliche westliche Forschung aufbaut und aus dessen Wahrheit heraus sich die Mähr der Objektivität überhaupt erst hat entwickeln können.
Irgendwann ist es einfach passiert: aus der weißen männlichen Subjektivität, die mittels Wissenschaft hinterfragt und/oder bewertet werden sollte, wurde urmännliche Objektivität, die fortan zur Wahrheit im Gewand des Faktes auftreten sollte.

Es gibt diesen einen global blinden (obwohl heute oftmals schon einmal angeleuchteten) Fleck in der Wissenschaft und zwar Gewalt bzw. Diskriminierungen
Je kleiner und unfähiger zur Bildung einer allgemein wahrnehmbaren Masse, die zu untersuchende Gruppe ist, desto wahrscheinlicher wird diese nicht in den Genuss kommen, ihre Lebensrealität und die daraus entstehenden eigenen Wahrheiten in Form von Fakten abgebildet zu sehen.
So entstehen zum Beispiel gerade im Bereich der rituellen Gewalt, die mit explizit antichristlicher Ideologie durchzogen ist, einerseits Anerkennungsdynamiken in unserem christlich kultivierten Land, gleichzeitig aber genau auch nur daraus resultierende Blindheit für zum Beispiel christlich fundamentalistisch motivierte rituelle Gewalt, oder die Rezeption dieser Art Gewalt, als ein Angriff auf “die Grundwerte” Deutschlands. Da geht es in der Argumentation dann sehr schnell darum zum Beispiel satanistischen Kulten eine antidemokratische Haltung zuzusprechen, auch wenn solche Kulte sich selbst vorgeblich als lediglich antichristlich wahrnehmen und (zu recht) aufgrund der “Trennung” von Kirche und Staat in unserer Demokratie™ als nicht an staatliche (demokratische) Werte gebunden.

Das gleiche Muster ist in Bezug auf sexualisierte Gewalt (an Frauen und Kindern) zu finden.
Einerseits wird anerkannt, dass es Vergewaltigungen und Verletzungen von Personen aufgrund ihres Genitals und das daran geknüpfte soziale Geschlecht gibt- andererseits gebietet es die Abwertung dieses sozialen Geschlechtes “Frau” und der Adultismus, der sich auf Personen unter 14 ergießt, diese Verletzungen nicht selbst beurteilen zu können.
Die Definitionsmacht liegt in Bezug auf Personen, die als Frauen angesprochen werden darauf, das eine der Objektivität (und eben nicht dieser hysterischen Subjektivität) verpflichteten Person (am besten (cis-)männlich, mit Macht und Würde) diese physischen (genitalen) Verletzungen (etwas anderes zählt nicht, weil Psyche individuell und ergo nie mit 100%iger Sicherheit in objektive (wahrhaftige) Kategorien pressbar ist) als existent und ergo geschehen und ergo wahr markiert.
Bei Kindern ist es tendenziell jede Person, die erwachsen ist oder als erwachsen gelesen wird.

Gruppierungen wie die false memory syndrome foundation machen sich genau diese Diskriminierungsdynamiken zu eigen. Und zwar zum Einen, weil sie es (aus Gründen) wollen und zum Anderen, weil sie es können und zwar mit wenig Aufwand und unter Einbeziehung der gesamten westlichen Kultur, die die Wissenschaft als (einzigen) Wahrheitsträger, Wahrheitsfinder und Wahrheitsdefinierer anerkannt hat.
Interessenvertretungen wie die FMSF bilden keine pressure groups, weil sie basierend auf Fakten eine große Gruppe von Personen, die zu Unrecht angeklagt/ angezeigt werden darstellen [vgl. hierzu die polizeiliche Untersuchungskommission von New York, 1974 und die Untersuchungen zu Falschanzeigen von Vergewaltigungen in Deutschland von Volk, Hilgarth und Kolter 1979, die zu dem Schluss kommen, dass nur 2% falsche Anzeigen waren – ergo 98% aller Meldungen Anzeigen sexualisierter Gewalt tatsächlicher Taten sind], sondern, weil sie es schaffen die anzeigende Person nicht offen eine/n/* LügnerIn* zu nennen.

Das false memory syndrome wurde genau dazu erfunden, die Glaubwürdigkeit von Personen, die durch ihr soziales Geschlecht und/ oder ihre gesellschaftliche Position in ebendieser bereits als abhängig von der Definitionsmacht überlegener Personen stehen, herabsetzend darzustellen und zwar über das Mittel der Pathologisierung und/oder dem sehr wirksamen Mittel der Deutung und Bewertung der Kontexte, in denen sich diese abhängigen Personen befinden.
So wird vertreten, das Psychotherapie Misshandlungsideen kreiere und die PatientInnen zu krank/so kognitiv dissonant/ zu ungebildet/ zu verwirrt sind, diese vom eigenen Erleben (und ergo Erinnern) zu trennen oder zu (emotional) abhängig von ihren BehandlerInnen sind, um diese Ideen eben nicht offen von eigenem Erleben (und Erinnern) abzugrenzen.
Ich komme nicht umhin einen Puls durchs Dach und einmal um den Erdball kreisend zu haben, ob dieser Unverschämheit, sich über die Wahrnehmung (und das subjektive Selbst) von Personen zu stellen, die sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, und dem Implizit, dass PsychotherapeutInnen sich gezielt, um anderen Menschen (die sie nicht einmal kennen oder von deren Leiden sie selbst in irgendeiner Form profitieren, außer in ihrer Fantasie- was aber auch ohne den Aufwand der PatientInnenmisshandlung funktionieren würde) zu schaden, die Mühe machen, ihren PatientInnen irgendwas einzureden.

Ich vertrete die steile These, dass Menschen, die tatsächlich zu krank/so kognitiv dissonant/zu verwirrt/zu ungebildet sind, um fremde Ideen nicht von sich selbst zu trennen sind, ebenfalls nicht in der Lage sind, das Unrecht an sich zu erkennen, eine juristische Vertretung für sich zu finden, Tathergänge zu schildern, Beweise zu liefern, Anzeigevernehmungen und Klageverfahren durchzustehen. Nicht alleine. Nicht ohne, dass noch eine unbeteiligte Person noch mal und noch mal auf die Beziehung in der Psychotherapie zu schauen wagt.
Vor allem an dieser Stelle zeigt sich die unterschiedliche Wahrnehmung von Vorgängen rund um Lebensrealitäten von diskriminierten Personen, die zu Opfern von Gewalt wurden.

Was für ein einfaches Leben muss jemand haben- wie viele Erfahrungen von “ich sage etwas- dann passiert auch etwas und in aller Regel genau das, was ich will”, eine Person gemacht haben muss, um zu dem Schluss zu kommen: “Es muss nur einziges Mal jemand sagen: “Ich wurde von XY misshandelt” und zack landet XY im Knast (und es hat genau die Auswirkungen, die dieses jemand wollte)” , kann ich mir nur aus der Ferne überlegen.

Einige Kritik an der FMSF wird meiner Ansicht nach auch fehladressiert.
Es ist natürlich zu kritisieren, dass diese Gruppe propagiert, Erinnerungen könnten produziert werden und es gäbe nicht so viele Fälle von sexualisierter Gewalt, wie immer und überall geschildert – andererseits gibt es auch für das öffentliche Bild keinerlei Entsprechung für das Gegenteil. Und es ist nun einmal das öffentliche Bild, welches die Subjekte produziert, die dann “objektiv” richten/werten sollen.

Natürlich taucht mit schöner Regelmäßigkeit eine Studie auf, die uns Alarme schlagen lässt. Selbstverständlich gibt es inzwischen neurophysiologische Belege für die Phänomene um Dissoziation, PTBS und komplexe wie chronische Traumatisierungen, aber welchen Effekt haben diese blitzblank objektivierten Ergebnisse auf die Lebensrealität der Menschen im Alltag?

Wenn ich mich als Opfer von Gewalt mit meiner Expertise als Opfer von Gewalt in Fachkreise einbringen will, gilt diese Expertise nicht. “Zu individuell” heißt es dann. “Wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Nicht wissenschaftlich genug”.  Meine Gespräche mit HelferInnen*, JuristInnen*, RichterInnen*, BeraterInnen* und anderen Betroffenen gelten nicht etwa als fachliche Korrespondenz oder gar als Beratung.
Weil ich keine “objektive” Sicht habe, gilt sie nicht.
Sie gilt nur als Opferwahrheit und wird damit mehr oder weniger bewusst, abgewertet.

Als objektiv gilt, wer die Macht hat, seine subjektive Wahrnehmung um ein Objekt, als objektiv zu bezeichnen.

Deshalb ist auch der Anspruch an Menschen, die von anderen Menschen als FürsprecherInnen* oder BegleiterInnen* gewählt wurden, objektiv zu sein so falsch.
Dieser Anspruch zwingt MedizinerInnen*, JuristInnen*, (Psycho-) TherapeutInnen*, BeraterInnen*, Hebammen und überhaupt alle Menschen, die andere Menschen begleiten, in eine Position,in  der sie selbst unter Umständen, Menschen beistehen müssen, die sie aber selbst verachten, ablehnen, abwerten und von ihren zu Begleitenden nicht als verachtend, ablehnend, abwertend handelnd markieren können.

Objektivität ist also auch ein Wegbereiter in das silencing – ins Wort- und Stimmlos machen von Personen, die sich an Personen wenden, um durch ihre Stimme gehört zu werden, weil es die Abhängigkeit der Personen voneinander zementiert und immer wieder zu einem Schauspiel um (Definitions)Macht führt.

Personen, die Gruppen wie die FMSF unterstützen, begründen ihr Engagement damit, dass sie wollen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Dass niemand zu Unrecht einer Strafe zu geführt wird.
Das ist toll und etwas, was unser Rechtssystem und auch unsere Gesellschaft wünscht und ergo unterstützt. Zum Beispiel in dem man “False Memory Deutschland” eine Gemeinnützigkeit anerkennt, weil diese keine StraftäterInnen* unterstützt und/oder schützt.

Dass sie dieses aber auf dem Rücken von tausenden Personen, die es aufgrund der von dieser Gruppe verbreiteten Falschinformationen und Ausnutzung bestehender Diskriminierungsstrukturen, nie und nimmer nicht überhaupt jemals auch nur in die Nähe von Sichtbarkeit und Anerkennung ihrer Lebensrealität als zu Opfer von Gewalt gewordenen Menschen schaffen, ist verabscheuungswürdig und ein Skandal, wie er nur in Kulturen passieren kann, denen eben jene Lebensrealitäten mitsamt der damit einhergehenden Subjektivität wertlos sind.

Vertrauen… auf eine gewisse Art

„Ach also geht es darum, dass sie sich fragen, ob sie mir vertrauen können?“
„Klingt als hättest du Angst den Anderen zu vertrauen…“
„Vertrau mir ruhig, das wird schon…“

Dieses Vertrauensding häuft sich gerade schon wieder in meiner Umgebung und irgendwie… seufz…
Wir vertrauen nicht richtig so, wie das scheinbar immer erwartet wird- wir trauen zu.
Vertrauen erscheint mir manchmal wie auf einen Sockel gestellt, wenn es um die Therapie geht. Als sei Vertrauen in den Therapeuten, seine Kompetenz, die Art der Bindung und der Ziele, deren Erreichen man anstrebt, ein Garant für das Gelingen der gesamten Therapie.
Was aber für mein Gefühl oft mitschwingt, in der Vertrauensfrage im Therapiekontext, ist der Anspruch zur Bereitschaft sich aufzugeben. Nicht im Sinne von „sich gänzlich einlassen“ oder „sich tragen und (aus)halten lassen“- das geht beides auch ohne Vertrauen. Dass man Dinge oder Menschen auch einfach aushalten kann, weil man dafür in irgendeiner Form entlohnt wird, kennt jeder aus irgendeinem Kontext. Oder auch, dass man ganz einsteigen kann in Projekte und Arbeitsprozesse, weil es einem einfach leicht fällt und man motiviert dazu ist. Auch dazu braucht es kein Vertrauen in dem Sinne.
Was ich so wahrnehme, ist der Anspruch rückhaltlos und einfach so zu glauben und sich selbst aus diesem Glauben heraus an jemanden abzugeben- sich jemandem anzuvertrauen.

Die Parallele zur Religion bzw. zum mittels Religion zum Ausdruck gebrachtem Glauben, finde ich enorm. Auch und gerade, weil es die gleichen Haken für mich gibt.
Es gibt diesen Ausspruch: „Du bist in G’ttes Hand“

[Ja Hallo?! Gruselig?! Bin ich Marionette oder was?! Nein nein nein nein nein …]
und dann gibt es diesen therapeutischen Implizit: „Sie sind in meiner Hand“
[*flapp* alle Schotten dicht]

Ja, wir sind davon überzeugt, dass es eine hohe Kraft irgendwo und irgendwie gibt, die man G’tt (oder sonst wie) nennen kann.
Ja, wir sind genauso davon überzeugt, dass der ganze Diplom-, Ausbildungszertifikatedingszettellage-, Kompetenzanerkennungskrempel mit Stempel und Siegel drauf, irgendwie bedeuten wird, dass Therapeuten schon ordentlich die Möglichkeit hatten, etwas therapeutisch Sinnvolles zu lernen (!) und, dass sie entsprechend zumindest Worte für das haben, was sie tun.

Aber seit wann ist es Usus, zu erwarten, dass Menschen allein aufgrund der für sich allein angenommenen Existenz einer Kraft oder allein aufgrund des Status einer Person zu einer Haltung zu kommen, die eine Bereitschaft zur Selbstaufgabe mitbringt?
Ach ja! Seit Menschen erkannt haben, wie mächtig sie sind und wie toll das ist, Macht auszuüben, statt ohnmächtig zu sein.

Um zu vertrauen, ist mehr nötig als das bloße Sein. Niemand vertraut auf G’tt, nur weil ihm jemand erzählt, dass es das gibt. Es braucht mehr oder weniger intensive Beweise der Macht- entsprechend also Gefühle der Ohnmacht (oder sachter ausgedrückt: der Unbeeinflussbarkeit von Umständen) bei den Menschen selbst.
Ich habe mal von einer Studie gelesen, die bewiesen haben will, dass alle Menschen in Momenten der höchsten Not begannen zu beten- auch wenn sie konfessionslos waren und niemals zuvor gebetet haben. Dies würde meine These untermauern, dass Vertrauen (und ergo auch das Glauben an unbeweisbare Entitäten) in jedem Fall also grundsätzlich etwas mit Macht und Ohnmacht zu tun hat (deshalb bin ich zum Beispiel auch dagegen Kinder nach der Geburt zu taufen oder beschneiden zu lassen- denn Kinder sind grundsätzlich immer ohnmächtig bis sie volljährig sind- ihr Glaube und damit evtl. auch ihr ganzes (religiöses) Handeln, gilt also erst mal nicht G’tt, sondern den Versorgern bzw. einer Anpassung an jene, von denen sie abhängig sind).

Meine Psychotherapie hingegen hat etwas mit Lernprozessen zu tun.
Ich gehe nicht dorthin, um mich abzugeben, sondern, um zu lernen mich meiner selbst zu ermächtigen.
Was ist es dann also für ein unlogisches Anliegen meinem Therapeuten auch noch als Mensch zu vertrauen?
Ich muss das gar nicht tun!
Ich muss ihm zutrauen, dass er gebildet ist und Techniken kennt, mit denen er mir vermitteln kann, wie ich bestimmte Dinge (neu-), (kennen-) lerne und ich muss ihm zutrauen, gewisse Skrupel zu pflegen, wenn es darum geht die Gesetzgebung des Landes in dem er praktiziert, zu brechen. Mehr nicht.
Oder?

Laut der engeren Definitionen von „Vertrauen“ gibt es verschiedene Arten des Vertrauens.
Da gibts das situationsbedingte Vertrauen, das begünstigt wird von den Möglichkeiten des Vertrauensgebers, den Vertrauensnehmer im Falle eines Bruches zu bestrafen. Tja- wie ist das auf die Therapiesituation übertragbar? Da gibt es von Natur aus eine Schräglage, die immer genau dann eintritt, wenn man Hilfe bei jemandem sucht. Aus der Position des Hilfesuchenden- desjenigen, der etwas will- der Bettlerposition heraus straft es sich schlecht, da man in jedem Fall nur sich selbst straft bzw. schadet.

Dann ist da das identifikationsbasierte Vertrauen. Da tanzen gegenseitige Sympathie und tragfähige emotionale Bindung im Paar mit einer Identifikation der Werte, Wünsche und Ziele des Gegenübers.
Ja, sympathisch finden wir unsere Therapeuten immer. Die stehen ja auch über uns. Es ist immer schlau den, der über uns steht, sympathisch zu finden und ganz und gar mit ihm zu verschmelzen.
Hinweis: Ja, das ist Unterwerfung. Und ja, das ist ein Lerninhalt, um genau dessen Deinstallation es in der Therapie (auch mit) gehen soll, dessen Vorhandensein und Bereitschaft zur Ausübung aber wiederum gesamtgesellschaftlich immer wieder verlangt wird. Ich würde sagen, hier haben wir einen wunderbaren Patt, der meiner Meinung nach noch ganz erheblich viel mehr Diskussion erfordert, als bisher geschehen.

Und dann ist da das Ding, das wir schon tun: das eigenschaftsbasierte Vertrauen. Wobei wir auch dies für etwas halten, das mehr unhinterfragter Gesamtgesellschaftsreflex ist, als wirklich wahres Vertrauen. Denn mehr als einen Status, aufgrund der Eigenschaften ihres Berufes als Heiler, Helfer oder Retter (und die ihnen entsprechend eingeräumten gesetzlichen Rechte) haben weder Ärzte noch Therapeuten uns Hilfesuchenden gegenüber.
Sie können sich nur vor uns stellen und versichern, dass sie Mittel und Wege kennen, uns zu helfen/ heilen/ retten und uns dies mit ihren Approbationen und Fortbildungszertifikaten im Vornherein und Testergebnissen und (Therapie)Erfolgen im Nachhinein zu beweisen. (Es gibt natürlich auch noch andere Arten dies zu beweisen, wie die Psychiatrie uns das immer so hübsch beweist, aber das will ich jetzt nicht weiter ausführen- Thema ist schon groß genug). Und sie können nicht mehr tun, als uns zu sagen, dass sie uns gern helfen wollen und dies ausschließlich durch die Mitteilung und die Handlung der Behandlung selbst, beweisen.

Eigentlich sind wir Patienten/ Klienten also in einer mächtigen Position. Wir können frei wählen, ob wir uns von jemandem behandeln lassen oder nicht.
Doch da es einen Leidendruck und einen Hilfebedarf gibt, ist die Macht absolut fragil. Sobald wir eine Schwäche eingestehen und uns in die Hände des Behandlers begeben ist alle Macht weg. Man befindet sich in einem Machtgefälle und ist ausgeliefert.
Für mein Gehirn heißt das in der Regel soviel wie: „Herzlichen Glückwunsch, sie dürfen jetzt Todesangst haben, denn sie haben keine Macht mehr, genauso wie damals als…. und damals als… und damals als… und ach weißte noch: Damals, als…“
Unter diesem Umständen komme ich mir schon ziemlich vertrauensvoll vor, wenn ich meinem Therapeuten zutraue, wenigstens zu wissen was er da tut und warum.

Schon manches Mal hatte ich den Eindruck, Menschen- egal ob sie meine Therapeuten, Betreuer oder sonstige Helfer waren, seien irgendwie persönlich betroffen, vielleicht gekränkt, wenn ich ihnen sagte, dass ich ihnen nicht vertraue. Als wäre mein Vertrauen eine Art Gütesiegel ihrer Person oder ihrer Arbeit mit mir. Dabei ist allein, die Tatsache, dass ich mich mit ihnen in Kontakt begebe und mich für eine Zusammenarbeit entschließe, schon ein Schritt den man mit „Vertrauen“ etikettieren könnte.
Ich stehe doch schon dort und erkenne all die Bildung, all die Kenntnis rückhaltlos und alternativlos an- unterwerfe mich doch bereits der Aufforderung in Behandlungs- oder Arbeitsziele als etwas Lohnenswertes zu vertrauen- obwohl ich keine vergleichende Referenz habe, weil ich noch nie anders (er)lebt habe als so auseinandermultipliziert verdissoziiert. Ich bin doch schon blind und muss mich führen lassen.

Wozu also noch Vertrauen in die Person oder in eine emotionale Beziehung?
Meine Lernerfahrung brüllt mir in den Schädel, dass es mich potenziell (und früher definitiv in Anteilen meiner Selbst) töten wird, mich oder meine (Eigen-)Macht in die Hände von anderen Menschen (oder Entitäten) zu legen. Wer also würde wirklich und zu welchem Zweck davon profitieren?
Es ist lediglich mein Gegenüber- mein Therapeut oder mein Arzt oder Helfer oder Betreuer.
Ich habe davon nur etwas, weil das Ego (oder Teile des Egos) desjenigen, der sowieso schon Macht über mich hat, gestreichelt ist und mir gegenüber entsprechend positiv eingestellt ist.
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Ich will mir aber Hilfen nicht mehr auf so eine Art erkaufen oder absichern müssen. (<—badabumms! Therapieerfolg mit Glitzer drum rum bitte schön!)
Wenn unsere letzte Therapeutin eins mit uns geschafft hat, dann das: sie hat es geschafft, dass wir uns gegenüber Therapeuten und Ärzten nicht mehr als Objekt betrachten, sondern als Subjekt- als „Mitmacherin“ nicht als „Machen lassen Müsserin“. Das ist etwas, dass uns nicht unbedingt bewahrt vor erniedrigenden Erfahrungen, aber es ermöglicht uns eine Art Selbstschutz, weil wir uns nicht mehr in dieser „Arzt-Patient-Schräglage“ sehen, als jemand der absolut und unter allen Umständen nichts mehr zu sagen, zu denken und zu empfinden hat, wie es die Umstände einen glauben lassen. Wenn wir meinen (wir warten nicht darauf, dass es sich so anfühlt, weil das nachwievor mit Verboten belastet ist), dass uns ein Arzt demütigt oder nicht gut mit uns umgeht, dann schaffen wir es inzwischen immerhin, uns einen anderen zu suchen, dem mehr an einer Zusammenarbeit (statt einer „an uns Arbeit“) gelegen ist.
Genauso wie wir uns getraut haben Kritik an dem Verlauf der Therapie aktuell zu äußern und aktiv etwas getan haben, um eine Chance auf eine Besserung zu erhalten.

Wir fangen an in unsere Macht zu vertrauen, nachdem wir lange brauchten sie überhaupt als solche wahrzunehmen.
Und -hey boa!- das ist so was Megagruseliges, an sich schon, wenn einem immer wieder und wieder genau das weggenommen und abgesprochen wurde!
Und während wir so etwas entdecken, erleben und- ja irgendwie zwischenzeitlich auch noch immer ungläubig und zögernd- bestaunen, gut finden und uns dafür selbst irgendwie ein Stück Anerkennung untereinander zukommen lassen (oder uns gerade dafür fertig machen- je nach dem), können wir persönliche Befindlichkeiten des Gegenübers nicht so befriedigen, wie wir das früher getan hätten, oder so, wie viele andere Menschen das so tun. Aber die Anerkennung und der Respekt vor der Profession ist in jedem Fall unangefochten und akzeptiert. Genauso wie wir die Macht innerhalb des Verhältnisses anerkennen und uns ihr unterwerfen, wenn es verlangt ist.

Manchmal würde ich mich schon gern dem Sein der Menschen anvertrauen, wie ich es ihren (professionellen) Eigenschaften gegenüber tue.
Aber nicht die Berufe oder die beruflichen Fähigkeiten der Menschen, haben mich verletzt, sondern die Menschen selbst.
Man kann nie wissen wie die Menschen sind, und wenn man einmal weiß, wie tief und absolut zerstörerisch sie sein können, ist Vertrauen etwas, dass es schlicht nicht mehr so einfach geben kann.

Einen richtigen Schluss finde ich für diesen Artikel nicht. Doch irgendwie kommt es mir auch nicht schlimm vor, denn ich glaube, dass ich einen ähnlichen Artikel in ein paar Jahren vielleicht erneut schreiben werde… vielleicht dann irgendwann doch davon, wie gut und hilfreich es ist, sich dem Sein eines Menschen anzuvertrauen und wie es dazu kam.
Wer weiß.

Zeit sich der eigenen Entwicklung anzuvertrauen…

Das Tagebuch. Sein Sinn und das, was sonst noch damit zu tun hat

Das Tagebuch ist wieder da.

Vor ein paar Wochen- oder Monaten?- war es verschwunden. Zerrissen, verboten, Hoheitsgebiet der BÄÄÄMs.
Es gab wieder Listen und Zettel. Aber natürlich nicht vom Block oder in einem Heft, denn Besitz ist so eine Sache im Denken der BÄÄÄMs.
Bonbonpapier, Verpackungsmaterial, die eigene Haut, ein Zeitungsfetzen, die Rückseite eines Kassenbons… alles wurde zum versteckten Plätzchen. Kontakt- und Suchanzeige nach innen. Mahnmal und sichtbare Drohung. Erinnerung an das zu füllende Alltagsgeschehen.

Wenn wir eines führen ist mehr Überblick möglich.
Symptome die sich häufen oder abnehmen; das Gewicht, eine Dokumentation der Verletzungen und der Versuch sie zu versorgen. Die Finanzen, Ämtergänge, Jobangebote und Arbeit die bereits gemacht wird. Wann wer was gegessen hat, wann der Körper wie lange geschlafen hat (oder es ein „schlafen“ war). Wann NakNak* Auslauf hatte und wie viel. Wo und evtl. mit wem und wenn ja, was dort besprochen wurde. Welche Menschen mich in Zukunft vielleicht anrufen und warum. Welche Einstellungen wann, warum und wie am Blog vorgenommen wurden. Welche Kleidung/ Bücher/ Gewerke wann an wen und über welches Portal verkauft, gekauft oder getauscht wurde.
Wer was denkt. Was wer fühlt. Was wer warum gemacht oder gedacht oder gesagt hat. Die Therapie mit allem was sie aufwirbelt oder niedertritt.
Unser ganzes (Er)Leben steckt in diesen meist billigen Chinakladden von denen im Monat etwa 2-3 vollgeschrieben werden. Sie sind vergänglich und nur begrenzt wichtig.

Unser Tagebuch ist wie ein Liveticker im Sportkanal: Einmal benutzt, vielleicht zweimal oder dreimal, dann ist das, was darin erwähnt wird, schon wieder nicht mehr aktuell.
Es eignet sich nicht zur Analyse eines Gesamtzustandes, weil es mehr Konstruktion einer Gesamtheit ist, als die Dokumentation des Erlebens einer Gesamtheit.

Als de Diagnose gestellt wurde, hatte uns die Therapeutin damals gesagt, wir sollen doch mal versuchen eines zu führen. Ich meine, es war nach einer Stunde in der ich wieder einmal nicht mehr sagen konnte als „alles scheiße“; zwischen den verschiedenen Gedanken und Impulsen nicht trennen konnte und direkt konfrontiert war mit dem Verlust von 3 Wochen Zeit.264967_web_R_by_BirgitH_pixelio.de Ich dachte damals, sie meinte eine Art Tagebuch in dem es Einträge gibt á lá „Heute habe mir ein Eis gekauft. Es war lecker. Mir gehts gut, morgen fahre ich in den Zoo.“. Und ich unterstelle der Therapeutin von damals einfach mal, dass sie etwas in der Art auch im Kopf hatte.
Ich scheiterte natürlich mit Pauken und Trompeten an der Aufgabe und irgendwann gab es auch eine gewisse Resignation. Gut, dann eben kein Tagebuch das schön alles zusammenfasst. Und irgendwann, irgendwo zwischen der Entwicklung von Hospitalismus als Nebenschauplatz und dem infernalischem Chaos, das auf die Entlassung und die Umsiedlung hier in diese Stadt folgten, endeten auch die Bemühungen Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Wünsche festzuhalten. Und sei es nur auf der unbedruckten Ecke einer Buchseite.
Das Außen war durcheinander und desinteressiert, später sogar offen demütigend und gespalten. Wir wurden missachtet und trugen alles ins Innen hinein.
Erst viel später dann, erklärte uns die Kliniktherapeutin hier, wie ein Tagebuch richtig aussehen könnte. Was wir für Möglichkeiten testen und für uns erkunden könnten.
Es war nur eine Stunde und das Thema war als solches gar nicht explizit auf dem Tisch, aber die Nebensätze: „Nehmen sie einfach was kommt und tun Sie es da rein“ und „geschrieben oder gemalt oder geklebt… “ fielen und sie blieben bei mir.
So brauchten wir nur noch die 2 jährige Schleife, bis wir uns den Besitz von Kladdenbüchern erlauben konnten und konnten dann aber loslegen.

Und doch. Trotz dem das Schreiben eines Tagesbuches etwas ist, dass uns sehr hilft und zeitweise gut tut, ist es bis heute Nichts, das wir für uns tun. Es geht dabei nicht um ein seelisches Gleichgewicht oder einer Art Ordnung des Lebens. Es geht bis heute darum, besonders gut so tun zu können, als gäbe es keine Amnesien und als gäbe es eine Ordnung, die man analysieren und für sich nutzen könnte. Es ist ein Kontrollversuch durch striktes Protokoll.
Es ist für uns manchmal nur nützlich, weil es für unsere Therapeuten nützlich ist.

Manche Menschen führen ein Tagebuch, um Abstand zu ihren Erlebnissen zu bekommen. Ihre Probleme und Konflikte objektiver betrachten zu können.
Dadurch, dass wir einander und die Dinge, die wir jeweils tun bereits als objektiv und voneinander unabhängig erleben, sind wir- auch wenn wir es so aufgezeichnet vor uns liegen haben, nicht in der Lage die Einträge als etwas zu betrachten, das einen Verlauf oder eine Entwicklung noch objektiver darstellt. Dies ist vielleicht sogar Stoff für geistige Hochglanzdiskussionen: Wieviel objektiver kann Objektivität in Bezug auf eigentlich ganz subjektive Erlebensweisen sein? Ist der Anspruch einer Objektivität nicht erst dann gerechtfertigt, wenn ich die Dinge grundlegend als subjektiv betrachte?

Jedenfalls ist es jetzt wieder da. Nicht für uns oder weil wir es so dringend wollten. (Wollen dürfen.. oy vey was für ein Thema gerade im Moment!) Sondern, weil unsere jetzige Therapeutin endlich von ihrer Autorität Gebrauch gemacht hat. Ziemlich peinlich, nicht wahr?
Da sitzt man da und redet so vor sich hin, lässt sie teilhaben am stetig tiefer kreiselndem Weltendreh im Innen und hofft und wartet doch irgendwie, dass sie in diesem beängstigend strengen Tonfall sagt, dass man das und das (Guttuende, Hilfreiche) gefälligst nicht aufzugeben bzw. von sich wegzuschmeißen habe. Das man gefälligst zum Arzt gehen solle, dass man gefälligst die getroffenen Absprachen einzuhalten habe. Einfach nur, weil es bis heute mehr gilt, wenn jemand Außen (der per se einfach, weil er nicht man selbst ist, eine nicht zu hinterfragende/ bekämpfende Autorität stellt) etwas bestimmt, als wenn wir selbst etwas für uns bestimmen.

Das Tagebuch fällt in die Kategorie „mitarbeiten“.
In der Therapie und im sozialen Miteinander allgemein, ist es hinderlich amnestisch zu sein.Und es ist unsagbar peinlich dies zuzugeben.
Außerdem ist es ein Zeitfresser.
Eine Therapiestunde hat 50 min, die Krankenkasse bewilligt im Schnitt 120 davon.
Würden wir in jeder Stunde damit befasst sein, die Amnesie des Alltags (nur des Alltags und der aktuellen Lebensrealität) auszugleichen, wäre das Ergebnis vermutlich die Erkenntnis: „Wow ich bin multipel und meine ganzen Parallelleben sehen so und so und so aus.“ Badabing badabumm- für diese Erkenntnis bin ich aber gar nicht da.
Ich will ja lernen, wie ich das Ganze als zu mir gehörig erlebe und erinnere (es überhaupt erinnern zu wollen ist, denke ich, logisch), in der Hoffnung, dass dies dann irgendwann dazu führt, dass der ganze somatische Kladderadatsch aufhören kann, mich kaputt zu machen.
Also ist das Führen eines Tagebuches eigentlich der Teil Therapiearbeit den wir unbegleitet (und teilweise auch ungeschützt) machen (müssen).

Mein neues Tagebuch ist jetzt 8 Tage alt und ich bin entsetzt.
Hatte ich neulich in einem Chat noch gewitzelt, dass „wir das mit dem multipel sein, irgendwie grad viel zu gut machen“, sehe ich nun, wie weit wir wieder auseinander driften können, wenn es nötig erscheint. Was für eine Suizidalität, Verzweiflung, Todesangst, aber auch tiefe Hoffnung, Kampfgeist und Menschenliebe in meinem Innen vor sich hin brütet und sich gegenseitig einen Schützengrabenkrieg liefert. Wie viele Tote es bereits gegeben hat und was für neue Soldaten der Entwicklung inbegriffen sind.
Und das, obwohl draußen die Sonne scheint, uns niemand von außen Gewalt antut, viele neue tolle Chancen und uns guttuende Kontakte da sind… wir doch verdammt nochmal einfach nur zugreifen müssten.
Irgendwie tut mir das weh.*
Und ganz eigentlich merke ich an mir, dass ich, einfach nur um diesen Schmerz nicht zu fühlen, das Tagebuch gern schon wieder weggeschmissen haben will.

P.S. Das Blog könnte man wohl auch als Tagebuch begreifen, doch da es- bei aller Nähe und anscheinender Kohärenz- in der Regel von Einzelnen mit lediglich dem Innen, das gut schreiben kann, zusammen geführt wird, ist es mehr Prisma, als global umfassendes Ausführen. Man bekommt hier lediglich Eindrücke, Ideen und Gedanken von Einzelnen von uns zu lesen. Man kann sich wohl seine Gedanken machen, wie unser Leben wohl so aussieht, doch es würde nicht gelingen. Es ist eben doch nur die Reflektion eines einzelnen kleinen Spiegels

P.P.S. Eigentlich… das fällt mir gerade noch so ein, sollte ich vielleicht doch mal ein Tagebuch von heute aufbewahren.
Vielleicht schaffen wir es ja doch uns irgendwie zu integrieren und später ein Tagebuch zu führen, das nicht aus lauter Snippets besteht.
Es wäre vielleicht interessant beide vergleichend zu betrachten.

P.P.P.S. (ja heute lange ich hier richtig zu) *Edit: Den Bezug zu mir selbst habe ich beim Lesen überwiegend „kopfisch“, da ich weiß, dass mein Körper das geschrieben hat.  Erlebten Schmerz fühle ich im Moment, eher als „Hauch der mir zu nahe kommt“