Pläne

„Je stressiger es im Alltag wird, desto mehr Struktur brauchen wir, um zu funktionieren.“ Das klingt für die meisten Leute total logisch und nachvollziehbar. Klar, wer viel vorhat, ist immer gut beraten sich einen Plan zu machen, um gut zu arbeiten oder Abläufe zu gewährleisten.
Für mich beginnt der Stress in „stressiger Alltag“ schon in dem Moment, in dem ich weiß, dass Dinge passieren werden, die üblicherweise nicht passieren. Und zwar nicht, weil sie passieren, sondern weil das Passieren dieser Dinge alles verändert und damit auch sämtliche Ressourcen und Stützen des Alltags beeinflusst. Was bedeutet, dass ich mich nicht nur um die passierenden Dinge, sondern auch ihre Wirkung auf mich kümmern muss.

Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagespläne sind mir noch nie ein Korsett gewesen, nie ein Angriff auf meine persönliche Freiheit – viel eher sind sie der Grund dafür überhaupt in die Situation zu kommen, mich frei entscheiden zu können. Denn ich kann weder entspannen, noch ruhen, noch Kraft tanken, wenn ich nicht weiß, was in den folgenden Stunden und Tagen noch auf mich zukommt und wie ich was wann wie genau kompensieren kann und darf.
Im günstigsten Fall mag ich die Art der Störungen des üblichen Ablaufs einfach nicht oder bin nur irritiert. Dann finde ich Stabilität und Ruhe in Stimming oder meinen Projekten. Problematisch wird es, wenn ich mit den Ressourcen schon so weit runter bin, dass ich weder von Stimming noch von irgendetwas anderem profitiere. Am schlimmsten ist es, wenn der Ablauf über so lange Zeit gestört oder beeinflusst wird, dass ich überhaupt keinen üblichen Ablauf mehr ausmachen kann.
Das gesamte letzte halbe Jahr war so ein Zeitraum. Wir haben viel gearbeitet, viele emotionale Tiefschläge kompensiert, die unsere Freund_innnenschaften bzw. das, was wir dafür hielten, betrafen. Wir haben Physiotherapie und Fahrschulunterricht in Theorie und Praxis durchgezogen, sind alle zwei Wochen nach Bielefeld zur Therapie und alle zwei Wochen zur Autismustherapie woanders gefahren. Wir haben uns an eine Selbsthilfegruppe für Viele herangewagt, haben einige erste Interviews für unsere Podcast-Reihe aufgenommen und alles das immer mit dem Partner und den Beziehungsalltag im Hinterkopf, die Bedürfnisse der Hunde, die Pflicht, die Kür, die Versprechen bezüglich des Gartens, des Podcasts, unserer Projekte.
In den letzten drei Wochen hatte ich jeden Tag einen anstrengenden Termin, seit Ende Oktober habe ich wieder mit Weglaufimpulsen aus  Flashbacks/Alpträumen/Intrusionen aus dem Schlaf heraus zu kämpfen, was bedeutet, dass nicht einmal die Nachtstunden zuverlässig für Erholung da waren.
Dass ich noch nicht „ausgerastet bin“ (den Meltdown nach außen sichtbar hatte) liegt daran, dass ich eine Verzögerung in der Verarbeitung habe und in der Regel nach innen explodiere, also dissoziiere. Und weil die Dissoziation praktisch mein Betriebssystem ist – mich bisher niemand anders erlebt hat – fällt das nicht als Problem auf.
Manchmal finde ich das auch gut so. Denn mit der Ratlosigkeit, der Frage: „Ja und jetzt?“ umzugehen tut mir nur weh und oft ist es den Streit aus der Enttäuschung heraus, dass dieser Schmerz nicht bemerkt wird, einfach nicht wert.

Viele Menschen denken und planen nicht so weit im Voraus wie wir, weil sie es nicht müssen. Ihr Jetzt ist ein anderes als meins – ist nicht so leicht zu zerstören von morgen, bald oder nachher. Und viele Menschen schieben einfach gern auf, weil sie die Kraft für alles auf einmal aus einem viel tieferen, größeren Fass schöpfen als ich. Um in dem Bild zu bleiben, habe ich genau eine Tasse, aus der ich schöpfen kann und ich bin maximal geizig mit jedem noch so kleinen Tropfen, weil ich es muss. Nicht, weil es so schlimm ist, erschöpft zu sein, sondern weil „eine volle Tasse“ zu haben für mich a) nicht bedeutet, nicht erschöpft zu sein und b) weil auch das Management dieses Budgets, die Erfassung, die Planung, die Kommunikation des Budgets bereits daraus geschöpft wird.
Ich habe nie einen fixen Stand von 100 % und daraus kann ich dann hippy happy Leben gestalten – ich muss bereits 40 % weggeben, um in der Lage zu sein, mein hippy happy Leben erfassen, mich selbst darin fühlen und verstehen zu können. Und das ist, was die meisten Menschen – auch „meine Menschen“ – manchmal einfach vergessen: Die meisten Menschen müssen aus ihrem größeren Kraftfass vielleicht 10 oder 15 % dafür weggeben und das oft nicht einmal bewusst. Und am Ende eines Tages haben sie immer noch 20 bis 30 %, um zu verarbeiten, was sie erlebt haben. [1]

Ich habe nicht die Wahl irgendetwas von meinen Therapien (und dem, was wir darin machen) oder Projekten einfach zu lassen, denn ich benutze vieles davon zum Prozessieren und Verarbeiten sowohl dessen, was mir in der letzten Woche, aber auch vor 30 Jahren passiert ist. Jede Therapie, aber auch das Bloggen und Podcasten sind damit Hilfsmittel, die mir – bei aller Anstrengung, die sie bedeuten – ermöglichen, mich im Bezug zur Welt zu halten und damit ein fundamental wichtiger Teil eines mehr oder weniger festen Plans, der mich in diesem selbstbestimmten, autonomen Leben hält.

So einen Plan zu haben – ja, mir überhaupt erstmal einen zu überlegen, mich zu trauen an die Zukunft zu denken, mir eine auszudenken, zu wünschen, mich auf so viel hätte würde wäre wenn einzulassen, habe ich erst mit der Berufsausbildung geschafft. Das war 2016. Da waren wir gerade 9 Jahre aus organisierten Gewaltkontexten ausgestiegen, die uns sehr genau vorgegeben haben, was wann wie zu denken, zu wollen, zu machen war.
So frei wie heute verliert mein Leben und das, was ich darin tue, sofort an Bezug und damit Sinn und Bedeutung, wenn ich meinen Plan loslassen soll. Und das wird bewusst oder unbewusst öfter mal von mir verlangt oder „vorsichtig vorgeschlagen“, wenn der Eindruck entsteht, ich hätte mich verrannt oder überfordert. Oder – was eigentlich am meisten schmerzt – : Wenn ich selber sage, dass etwas zu schwierig für mich ist.
Der erste Reflex ist dann oft die Idee der Entlastung durch Vermeidung. Das Angebot mir irgendeine Aufgabe abzunehmen, irgendein Wagnis nicht zu begehen und zu erwarten, dass ich das okay finde – vielleicht sogar noch krass dankbar bin und mich einfach super fühle. Das tue ich in der Regel aber nicht, denn die Alternative zur Überforderung ist in meinem Fall immer der Ausschluss. Das nicht mitmachen, nicht dabei sein, ohne Bezug sein. Ein Zustand, den so, in dem Umfang wie ich es erlebe, kaum jemand wirklich innig er_leben möchte, weil Bezug für soziale Wesen wie uns Menschen ein existenzielles Grundbedürfnis ist. [2]

Wie viele andere autistische Menschen bin ich sehr hartnäckig. Was ich mir vornehme, das mache ich früher oder später auch. Ich nehme mir nichts vor, das unrealistisch ist und verfolge meinen Lebensplan jeden Tag, weil ich einen brauche, um mein Amlebensein in Existenz und Sinn auszuhalten und zu gestalten.
Das ist nicht banal. Nicht wegzulachen oder zum Quirk zu erklären.
Es ist bedingungslos zu respektieren und mitzudenken.

Immer.

 

[1] In diesem Text verwende ich das Bild von einem Fass bzw. einer Tasse voll Kraft als Flüssigkeit. Viele andere chronisch kranke, neurodiverse, behinderte Menschen verwenden das Bild von einem bestimmten Budget von Werkzeugen/Besteck, das sie zur Verfügung haben. In der Podcastepisode „Was helfen könnte – die Besteck-Theorien, eine Kommunikationshilfe“ habe ich sie genauer beschrieben.

[2] Angebote wie diese führen viele behinderte Menschen in die sogenannte „Schonraumfalle“, was dazu führt, dass Abhängigkeiten entstehen und also die Freiheit der Menschen eingeschränkt wird. Sowohl die der behinderten Menschen als auch die der Menschen, die ihnen die Schonräume ermöglichen und aufrechterhalten müssen.
Mir ist bei Überforderung am besten zu helfen, wenn man mich dabei unterstützt, den Punkt der Überforderung zu verstehen und mit dem auszustatten (oder mir zu ermöglichen, dass ich lerne), was ich brauche, um sie zu überwinden.
Jede Hilfe, die Helfende überflüssig macht, ist besser als der beste Schonraum.

der dritte Sprechstundentermin

Im Zug gehe ich meine Gesprächspunkte noch einmal durch. „Guten Tag“ – „Guten Tag. Die Versichertenkarte bitte“ – „Ja, hier.“ – „Danke, nehmen Sie schon mal Platz.“ – „So. Ja. Was führt Sie denn zu mir?“ – „Ich suche eine neue Therapeutin für mich“ …
In meinem Kopf ist das Gespräch schon da. Ich weiß, was ich sagen muss und halte mich an diesem Wissen fest, damit meine Angst darum, dass dieses Gespräch anders laufen wird, so lange wie möglich unterdrückt bleibt.
Ich habe wirklich Angst. Das fällt mir während dieser Fahrt zum ersten Mal ganz bewusst auf. Es ist keine Furcht. Keine Sorge. Es ist Angst mit allem Zipp und Zapp.

Wir fahren eine neue Station in Hannover an, ich kenne mich dort nicht aus, konnte keinen begleiteten Testvorlauf machen. Von da aus fahren wir mit dem Bus weiter, ich kenne das System der Busfahrer in Hannover nicht. Weiß nicht, ob sie ein Stationsansagesystem haben, ob es Baustellen gibt, ob ich Empfang für mobiles Internet und GPS habe, wo ich aussteigen muss. Werden die Stationen, an denen niemand ein- oder aussteigt, vielleicht überfahren und die Ansage – so es denn eine gibt – und ich sie verstehen kann – kommt falsch? Wie erfahre ich, ob der Bus vielleicht ganz ausfällt? Was, wenn ich es nicht erfahre und die Strecke laufen muss? Dann verspäte ich mich. Kann ich dann noch bei der Therapeutin klingeln? Oder besser anrufen und sagen, dass ich später komme? Was, wenn ich keinen Empfang da habe? Ich schwitze und zittere gleichzeitig.
Bis ich vor der Praxistür stehe, werde ich nicht ein Mal dazu kommen zu prüfen, ob ich das hier eigentlich wirklich will, oder mache, weil ich muss, weil nicht wollen eine Option ist, die ich nicht wählen kann, weil ich nicht weiß wie man sie lebt.

Es ist der dritte Termin über die zentrale Terminvergabestelle und der vierte Kontakt mit einer fremden Person, die Psychotherapie anbietet, seit die Therapie mit der bisherigen Therapeutin zu Ende ist.
Ich bin pünktlich. Habe die Busfahrt geschafft, die Praxis gefunden. Die Tür geht auf, ich trete einer Welle entgegen, in deren Wasser ich die nächste dreiviertel Stunde rumschwimme. Ich finde Halt in meiner Vorbereitung, kann die Satzteile, die die Therapeutin sagt, erkennen und daran ableiten, wo im Verlauf des Gespräches wir sind. Trotzdem denke ich die ganze Zeit an den Film „Titanic“ und daran, dass ich bei der bisherigen Therapeutin irgendwann immerhin eine Tür hatte, auf die ich klettern konnte, wenn mich das schwimmen erschöpft hat.

„Was haben Sie denn für Beschwerden?“, fragt sie, „Ich habe keine Beschwerden, nur Symptome“ antworte ich und merke keine Sekunde später, wie ich wieder in eine Sprachfalle tappte, die ich schon ganz genau kenne. Jetzt zieht auch noch mein Selbsthass an mir und jede weitere Frage, jeder noch so banale Punkt wird schwieriger. Krankheiten, Medikamente, frühere Diagnosen, das plötzliche Ende der letzten Therapie.
Da kommt die Wut wieder. Die Wut auf die Therapeutin, auf die Umstände, die Wut auf mich, für alles und alle immer Verständnis und Mitgefühl zu haben, außer für meine Wut, keine Unfähigkeit nicht mehr zu wollen, meine Überforderung und Angst, dass das für immer so bleibt. Das hier ist aber nicht der Ort und auch nicht der Zeitpunkt darüber zu reden. Bald. Irgendwann.
Vielleicht kann es einen Termin mit der letzten Therapeutin geben, in dem wir darüber reden können. Über meine Wut und meine Überforderung damit, anderen Menschen die Frage zu beantworten, warum sie unsere Arbeit beendet hat.

„Wie sind Sie aufgewachsen?“, fragt sie. Ich weiß es nicht.
Und ich weiß einfach nicht, wie ich diese Frage beantworten soll. Welches Aufwachsen meint sie denn? Und welche Qualitäten beschreibt man denn für ein Aufwachsen? Ich weiß nicht, wonach ich in meinem nebligen Erinnern fischen soll und verstehe generell einfach nicht, wozu diese Frage wichtig ist. Ich habe ihr bereits gesagt, dass ich mich nicht an meine Kindheit und Jugend erinnere bzw. dass sich das, was ich erinnere, nicht wie von mir erlebt anfühlt. Wofür also die Frage nach dem Aufwachsen?
„Und wie war die Beziehung zu ihrer Mutter?“, fragt sie. Da merke ich, wie fremd mir vorkommt überhaupt eine Mutter zu haben. Dass ich eine Beziehung haben könnte, aber keine mehr habe, nachdem ich jahrelang versucht habe eine zu entwickeln und die, die sie zu mir hat zu verstehen.
Ich löse mich auf. Es ist zu viel, ich bin am Ende. Der Termin aber auch.

Sie gibt uns alle nötigen Zettel mit. Ein PTV 11-Formular, einen Konsiliarbericht, eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung. Sogar eine Vorlage zum Antrag auf Leistungen über das Kostenerstattungsverfahren.
Als ich draußen bin, weine ich. Vielleicht vor Erleichterung. Mit diesen Zetteln habe ich alles, was ich für das Kostenerstattungsverfahren brauche. Vielleicht hab ichs jetzt geschafft. Vielleicht kann ich mich bald ganz darauf konzentrieren, ob die Therapeutin mit Kapazitäten und ohne Kassensitz, die wir gefunden haben, gut zu uns passt.
Vielleicht kann ich bald verarbeiten, was diese Termine bei mir aufgewühlt haben. Vielleicht kann es bald nicht mehr weh tun, dass es so ist, wie es ist.

Störend

Ich hatte mich gefragt, wie sich der Begriff “emotionale Störung” wohl entwickelt hat, aber mein Leben ist im Moment deprimierend genug und so ersparte ich mir die Recherche. Doch erinnerte ich, wie meine Lehrerin in unserem Nachgespräch sagte, dass sie bemerkt hätte, dass wir nicht bei uns waren – nicht zentriert und eher “überwältigt von den Emotionen”, die in dem Moment in uns herrschten.

Ich versuchte ihr zu erklären, dass es nicht um ein Überwältigtsein von Gefühlen geht, wenn wir erleben, was sie von außen miterlebte, sondern um eine Art Zerfall von Welt und Sein, der für uns unaushaltbar ist.
Wie nachvollziehbar das jetzt war, weiß ich nicht und letztlich ist es auch nicht relevant in unserem Kontakt.
Aber ich fand es interessant meine eigene Beschreibung im Nachhinein noch einmal anzusehen und zu begreifen, dass es tatsächlich nie nur um Emotionen geht oder darum, dass uns Kompetenzen fehlen, mit Emotionen umzugehen.

Weder bei selbstverletzendem Verhalten, weder bei der Essstörung noch in irgendeinem anderen Moment, in dem uns unterstellt wurde (und bis heute wird) nur unseren Willen und Wunsch durchsetzen zu wollen, geht es darum frustriert darüber zu sein, dass es nicht geht, sondern um Überwältigtsein, Überforderung, Haltlosigkeit – unterm Strich: Not und tief greifende Trigger für Erinnerungen an frühe Erfahrungen der Haltlosigkeit, die verknüpft ist mit Todes- bzw. Vernichtungsangst und der Auflösung des Selbst.

Überwältigende Gefühle allein sind kein Problem für uns. Klar fuchteln wir dann ein bisschen und reden tagelang darüber, was diese Gefühle verursacht hat – es passiert etwas mit uns, wenn wir etwas Überwältigendes erfahren haben, ganz klar – aber wir können drüber reden, weil wir es erfassen konnten. Es gab einen Kontext, es gab uns und es gab eine Verbindung, die uns ermöglicht hat, die Überwältigung nicht nur zu erfahren, sondern auch einzuordnen.

Wenn wir zerfallen, wie am Dienstag, bleibt das aus.
Wir fuchteln nicht – wir schimpfen und schreien oder schlagen um uns (und verletzen uns dabei) – werden wir dann auch noch angefasst, verletzen wir vielleicht auch noch andere. Es gibt einen unterschiedlich umfassenden Zugriff auf die Erinnerung an die Situation und es gibt natürlich auch das Erkennen von stark in uns waltenden Gefühlen – es gibt aber keinen Willen zur Macht, keinen Frust über ausbleibende Optionen andere Menschen zu dominieren und auch keinerlei Gefühle, die über soziale Interaktion oder soziale (Wert-)Bindungen entstanden sind, die berührt werden.
Sehr wohl aber gibt es Not, Ohnmacht, Todes- und Vernichtungsangst. Das Gefühl weder selbst zu sein, noch als im Sein erkannt zu werden. Das kann man dissoziiert nennen – man könnte aber auch von einer Verschmelzung bis zur Selbstauflösung sprechen.

Wir haben ein Emotions-Mischungs-Problem. Eine Störung, die auftritt, wenn wir große Gefühle, mit großer kontextueller, räumlicher und zeitlicher Irritation vereinen müssen. Ich denke, dass alle Menschen irgendwann vor solchen Problemen stehen – ich nehme es aber so wahr, dass der gesellschaftliche Konsens dessen, wie groß genau eine Irritation auf den benannten Achsen sein kann/darf bis sie diese Störung in Menschen verursacht bzw. zum Problem wird, nicht mit unserer Einschätzung dessen, was “groß” ist, übereinstimmt.

Frust empfinde ich, wenn Menschen mir sagen, dass sie unsere Schwierigkeiten so verstehen, dass Dinge und Umstände für uns anders sind, als für andere Menschen, obwohl ich versuche ihnen klar zu machen, dass wir kein grundlegend anderes Erfassen von Dingen und Umständen haben, sondern viel mehr Sortierungs- und Prioritisierungsprobleme haben.
Für uns ist ein Tisch ein Tisch – das ist er aber erst, wenn es die Erkenntnis von Existenz über Tischplatte (mit ihren spezifischen Eigenschaften) und Tischbeinen (mit jeweiligen anderen Eigenschaften) unter den unterschiedlichen äußeren Einflüssen des Raumes (und manchmal auch der Zeit) zur Erkenntnis der Verbundenheit dieser Teile miteinander zur Erkenntnis der Abgrenzung vom Rest ihrer Umgebung geschafft haben.

Wir haben hier schon öfter darüber geschrieben, was wir meinen, wenn wir sagen “wir sehen viel” oder “wir nehmen viel wahr”. Viele Menschen haben das so gelesen, als würden wir sagen sagen wollen: “Wir sehen viel mehr als andere Menschen”. Tatsächlich aber sehen wir natürlich nicht “mehr” als andere Menschen – sehr wohl aber sehen wir in “mehr einzelnen Schritten” als andere Menschen und merken, welche Konstruktionsprozesse es braucht, bis wir orientiert und in Kenntnis gesetzt sind.

Frust empfinde ich, wenn ich merke, dass es egal ist, ob wir die Kraft aufbringen Menschen diesen Umstand mitzuteilen, oder nicht. Frust empfinde ich, wenn mir zu hoher Anspruch unterstellt wird, weil ich so viele Informationen einfordere, wie ich brauche und nicht nur so viele, wie andere glauben, dass ich sie brauche oder noch schlimmer: was andere Menschen glauben, was sie an meiner Stelle bräuchten und entsprechend gewähren.

Ich frage mich, ob eine emotionale Störung ist, wenn sich jemand von meinen Emotionen gestört fühlt. Wenn jemand denkt, meine Gefühle und Gedanken, meine Einschätzungen und Bewertungen eines Umstandes wären der Situation unangemessen, weil si_er sie nicht nachvollziehen kann. Und will.

Manchmal denke ich, dass ich es auch nicht nachvollziehen wollen würde, wäre es nicht so ein schon immer bestehender Bestandteil unseres Lebens.

Für uns ist das Umunsherum ein Wirbelsturm in einer Legotonne. Wir brauchen Zeit, Kraft und dieses eine Moment ohne Angst, um die Dinge und Menschen in ihrer Zusammensetzung, ihren Beziehungen zu- und miteinander zu erkennen. Die einzige immer in uns waltende Emotion (von der ich mir nicht einmal sicher bin, ob es eine Emotion ist) ist Angst (zu sterben).
Verändern sich Dinge, werden wir in unseren Annahmen irritiert, bekommen wir zu wenig Zeit, zu wenig Raum, krümelt uns auseinander, worin sich andere Menschen tritt- und selbst.sicher bewegen. Wem würde das keine Angst machen?

Seit einem Jahr scannen wir unsere Probleme auf die Schnittstellen von DIS und Autismus und verzweifeln an manchen Tagen darüber, wie sehr wir selbst unsere Probleme unterkomplexisiert haben, um bestehende Belastungen überhaupt auszudrücken. Um diese kleine Box der Psychotherapie nicht zu sprengen, um in Kliniken nicht mehr Aufwand zu bereiten, als eh schon durch die DIS-Diagnose entsteht, um Helfer_innen bei Hoffnung für uns zu halten. Um wenigstens etwas zu haben, anstatt allein mit dem zu bleiben, was jederzeit und jederorts in uns wirkt – egal wie positiv unsere Grundeinstellung ist, wie hoffnungsvoll wir in die Tage sehen, egal wie wir uns ernähren, egal welche Pillen wir essen usw. usw. usw..

Erinnert hat mich der “Befund” des Arztes am Dienstag daran.
Wie lange hatte ich die Idee, es würde uns viel besser gehen, wären wir nicht hochbegabt. Und wie lange hat es gedauert, bis ich diese Idee als ableistischen Bullshit identifiziert hatte.
Es ging bei uns nie um einen Geist, der zu viel Freizeit hat und uns Quatsch in den Kopf produziert, an dem wir dann leiden. Es ging immer wieder um Menschen, die unsere komplexe Problematik auf den kleinsten gemeinsammöglichen Diagnoseschlüssel, auf die allgemeingültigste Phrase, auf ein linear aufgebautes Naturgesetz eindampfen – und uns, die dabei mitgemacht haben. Aus Angst zu sterben. Aus Angst allein bleiben zu müssen.

Es geht nicht darum, dass andere Menschen zu dumm sind für unsere Probleme. Es geht darum, dass sie uns nicht verstehen können oder wollen. Das ist etwas anderes.
Das ist jedoch genau das, was uns nie zugestanden wird. Der Umstand wirklich genau so un- und missverstanden zu werden, wie wir das herausanalysieren.

Die wenigsten Menschen halten sich für normal. Doch die meisten Menschen halten ihre Art sich der Welt und sich selbst zu widmen für normal und damit für genau die Art “wie man das nun einmal so macht”.

Wir machen es anders.
Bei uns funktioniert es anders.

Vielleicht ist das schon alles, was stört.

durchhalten, aushalten, stabil, doch beweglich kämpfen

Wir saßen im Auto des Begleitermenschen und hielten der von der Operation noch benommenen NakNak*, die Hand unter den Kopf, als wir begannen uns für eine Zeit des Durchhaltens, Aushaltens, stabil doch beweglichen Kämpfens vorzubereiten.

Das ist jetzt fast einen Monat her und langsam macht es sich körperlich bemerkbar.
Wir schlafen inzwischen mit Körnerkissensocken an Füßen, in denen sich Krämpfe austoben, wenn sie nur im falschen Winkel liegen oder aufgesetzt werden. Werden von links und rechts von Körnerkissen eingerahmt, damit uns die komische Verspannung im unteren Lendenwirbelbereich nicht zum Trigger in der Nacht wird. Lassen die Hände auf einer Wärmflasche ruhen, damit die ständig kalten Finger nicht das nächste Zittern auslösen, das jedes Mal haarscharf an einen Krampfanfall rührt.

Tagsüber denke ich, dass es uns okay geht. Wir stehen um 7 auf, arbeiten die tausend Kleinigkeiten ab, die während der Klinikzeitverschwendung und der Post-Radtourdramatik nicht schaffbar waren und haben dann frei. Wenn es nicht gerade regnet, machen wir unsere Radrunde und versuchen uns mit dem analogen Hier und Jetzt zu verbinden.
Hunderunde, einkaufen, kochen, hier und da ein bisschen Soziales.
Für das administrative Morgen können wir nichts weiter tun als zu warten und zu hoffen, dass wir alles verstehen, was dann und wann vor uns ausgeschüttet wird. Für das Morgen, das wir selbst gewählt haben, müssen wir nur tun, was wir seit Jahren tun.
dapp da dapp da dapp da dapp

Doch daneben ist die Anspannung, die mit der Entlassung aus der psychiatrischen Krisenintervention letztes Jahr leise begann und sich mit jeder weiteren Erschütterung verstärkte. Wie eine zweite Tonspur oder eine alternative Realität. Ein Er.Leben neben meinem.

Praktisch die ganze Zeit haben wir eine Hand zur Faust geballt, wenn wir sie nicht gerade benutzen oder konzentriert auf etwas sind. Unsere Schultern scheinen wie an einem Holzbalken unter der Haut aufgehängt, auf den drauf auch das Stahlrohr gesetzt ist, auf dem unser Kopf steckt. Der Oberarm des rechten Arms tut nur dann nicht weh, wenn der Arm eng an den Körper gewinkelt oder gerade herunterhängend ist. Der rechte Oberschenkel macht nur dann kein Theater, wenn wir auf dem Rad sitzen und ihn beschäftigen.

Jemand riet uns schon zu Massagen. Wir selber machen jeden Tag diesen ganzen Entspannungskram, den wir gelernt haben. Aber es sind nicht die Muskeln, die angespannt sind. Es ist nicht das, was unter der Haut liegt, was sich so verhärtet und durchhält, aushält, stabil doch beweglich kämpft.
Wir haben seit der Klinikentlassung im Mai nochmal 12kg verloren und manchmal kommt es mir vor, als würde ich mich an den nun leichter fühlbaren Knochen festhalten. Die sind nämlich hart und stabil, egal, ob ich gerade erschöpft und emotional vollentleert in ein Zimmer meiner Wohnung starre oder frisch und fit schaffe, was ich mir vorgenommen habe.

Ich weiß, dass uns niemand sagen kann: “Alles wird gut.” oder “Ihr seid sicher.” oder “Ihr könnt loslassen – es ist alles auffangbar.” oder “Ihr könnt vertrauen/zutrauen/euch auf die Erfahrung des Lebens einlassen – es ist okay, nicht alles zu wissen.”. Aber der Wunsch danach ist da, weil wir unsere Erschöpfung spüren und Zweifel aufkommen, ob und wenn ja, wie lange wir noch durchhalten, aushalten, stabil doch beweglich kämpfen können.

Manche Menschen denken, dass es an den einzelnen großen Dingen liegt, die gerade anstehen. Glauben, mit den geregelten, gesicherten Verhältnissen, wird alles wieder gut. Glauben, wenn die Ausbildung in Ruhe anfangen kann, wird alles wieder gut. Glauben, wenn wir einfach mal “mit dem echten Leben” beschäftigt sind, wird alles wieder gut. Wenn unsere Hilfen alle ordentlich installiert sind, wird alles wieder gut.
Doch es sind die random little things, die uns momentan in ihrer Fülle zu erschlagen drohen, denn sie werden immer mehr. Alles keine großen Dinge – aber Dinge, um die man sich kümmern muss. Auch noch. Und nochmal und auch nochmal und ach ja – dies auch noch.

Wir hatten gestern einen Termin mit dem Begleitermenschen, in dem wir über absehbar auftauchende Probleme in der Schule gesprochen haben.
Obwohl wir nicht einmal sicher wissen, ob wir sie überhaupt antreten können und obwohl wir nicht sicher wissen, ob diese Probleme überhaupt auftreten werden.
Unser intuitiver Plan wäre, einfach hinzugehen und zu warten. Einfach kommen lassen und zusehen, dass wir lebendig wieder rauskommen. Einfach sterben und wie Phönix aus der Asche daraus hervor kommen. Wie immer bei so ziemlich allem, was wir tun.

Sich offen damit auseinanderzusetzen, was alles problematisch sein könnte, wurde uns jahrelang mehr oder weniger aktiv verboten.
“Mach dir doch nicht ständig nen Kopf über Dinge, die noch gar nicht passiert sind.” oder “Hör doch endlich mal auf, alles schwarz zu malen” hieß es immer wieder– obwohl wir jedes Mal mit unseren Problemanalysen recht hatten und letztlich immer wieder genau die Katastrophen eingetreten sind, die wir unbedingt schon im Vornherein in ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit verringern wollten.

Nun saßen wir mit 30 Jahren vor einer Tafel und erlebten so etwas wie das Schreiben einer schon sehr viel früher möglich gewesenen Geschichte.
Ein Gespräch, in dem die Antwort auf die Frage, was in der Schule problematisch sein könnte, völlig okay auch “andere Menschen” sein darf und ernsthaft ausführlich auseinandersortiert wird, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Es tut gut, das erleben zu dürfen. Auch wenn es weh tut zu bemerken, wie gut uns genau das schon vor 23 Jahren getan hätte.

Es bedeutet aber auch weitere random little things to do.
Einen Fahrdienst finden und beantragen. Klärungsbedarfe mit Lehrenden und der Schule als Verwaltungsapparat. So viele Gespräche mit Inhalten, die so persönlich nah für uns sind und am Ende alle etwas von unserer Umgebung fordern, womit wir letztlich noch gar nicht gut umgehen können.
Wir haben so viele Jahre mit Sozialarbeiter_innen, Mediziner_innen und Psycholog_innen über komplexe Traumafolgen gesprochen, dass es an uns vorbeizieht wie eine Fingerübung. Anderen Menschen jedoch zu sagen, dass bei uns ein Autismus vorliegt, fühlt sich an wie das Eröffnen der eigenen Bauchdecke, ohne jede Kompetenz für Selbstschutz.

Und daneben: Bald Schulsachen kaufen? Wenn ja: Welche und wo? Wasserdichte Schuhe kaufen? Wenn ja: Welche und wo? Und wieso hab ich eigentlich noch nichts von der Firma gehört, die NakNak*s neue Kenndecke fertigstellt? Für NakNak* ein Körbchen kaufen oder nicht doch besser eine einfache Decke? Oh G’tt, es gibt noch so viel um NakNak* zu er.klären …

Nächste Woche haben wir noch einmal “Urlaub”.
Doch mit im Gepäck ist wieder das Laptop, wieder das Skizzenbuch und die Dankbarkeit um WLAN in der Ferienwohnung. Wir treffen hoffentlich einen Menschen, den wir schon letztes Jahr gern treffen wollten, können auch dort Rad fahren und werden die Ost- und die Nordsee besuchen. Endlich.
Es ist toll diese Woche zu haben und gleichzeitig erscheint sie mir wie ein schwarzes Loch, das uns aufhält fertig zu werden.
Wir können nicht wirklich entspannen, wenn noch offene Dinge zu tun sind. Da geht es uns wie Forscher und blutigerlaie.

Aber wir wissen und merken, dass wir uns dringend ganz schnell jetzt sofort bald mal endlich entspannen müssen, weil wir uns sonst selbst (mal wieder) in einen Krisenkompensationsstrudel bewegen, einfach nur, weil wir immer weiter und weiter und weiter aushalten, durchhalten und stabil doch beweglich kämpfen.

mein Kram–dein Kram

Andere Menschen haben Sozialleben. Andere Menschen haben Termine. Andere Menschen haben ihren Kram, in dem wir hineinpassen müssen.
Wir haben nie Kram. Wir haben Ansprüche und Forderungen und davon viele. Meistens überzogene oder falsche.

Und dann haben wir zunehmend und absehbar selbst auch noch Kram, in den andere Menschen hineinpassen sollen und wollen. Und, dass das so ist, wurde nun auch der Therapeutin klar. Wird auch so langsam anderen Menschen klar, die mit uns arbeiten wollen und uns immer wieder absagen, vertrösten unsere Ablaufpläne verschieben, was ihnen sehr leid tut, aber klar total verständlich ist, denn unser Kram ist anderer Kram, als der anderer Leute.

Leute, die arbeiten. Leute, die analoges Sozialleben haben. Leute, die in unsichtbare unbewortbare Kontexte eingebunden sind, die wir unbesehen als so unveränderbar anzunehmen haben, wie es von uns verlangt wird, damit wir ihnen weiter in den Kram passen dürfen.

Die Erkenntnis ein Verwaltungsobjekt zu sein ist eine schmerzliche.
Wir werden in Terminkalender notiert und wieder daraus herausgestrichen, wenn es nicht mehr passt – egal, warum wir dort drin standen. Um unser Leben geht es in irgendwelchen Leistungsanträgen, die genauso wahrscheinlich abgelehnt, wie bewilligt werden können. Einfach, weil das geht.

Mir ist wichtig an der Stelle zu sagen, dass uns das nicht kränkt oder wir das Gefühl haben weniger wert zu sein oder abgewertet zu werden.
Es ängstigt uns einfach nur zu Tode und, dass dieser Umstand weder mitbedacht noch berücksichtigt wird, ist, was ich schwierig empfinde.

Und worüber ich mich zunehmend ärgere. Denn unsere kleine soziale Welt scheint zu glauben, dass wir durch den Wind sind, weil sich mit der Ausbildung alles verändert und wir Angst vor irgendeiner diffusen Veränderung haben.
Ja klar, beunruhigt uns die Größe der Veränderung. Ja klar, haben wir Angst zu versagen. Ja klar, haben wir bewusst, dass es sich um einen neuen Lebensabschnitt handelt. Viel schlimmer ist jedoch, dass wir nicht wissen, wie allein und wie belastet wir in dieser Zeit sein werden und welche Kompensationsmöglichkeiten es für uns geben wird, denn wir wissen noch nicht, wie gut wir unseren Leuten dann noch in den Kram passen.

Werden wir weiter einmal in der Woche an unserem gewohnten Platz mit unserer Therapeutin arbeiten können?
Werden wir es irgendwann überhaupt mal je schaffen, mehr als das seltsam verbindlich-unverbindliche Ding mit dem Begleitermenschen zu haben?
Werden wir noch die Kraft haben, 4 bis 5 Mal in der Woche mit Renée zu telefonieren?
Werden wir noch die Nerven für unsere Unterstützer_innen haben?

Werden wir noch die Kraft haben, so lieb zu euch allen zu sein, damit ihr euch die Zeit, Kraft und den Raum freinehmt, um euch unserem Kram unseren Forderungen und Ansprüchen zu widmen?

Ich merke häufig, wie das, was wir als unsere Dinge formulieren mit angenommenen Emotionen aufgeladen wird, wenn das Thema aufkommt.
Wie dann aus solchen Fragen, wie den oben formulierten, ein “Ausdruck innerer kindlicher Not oder Verunsicherung” wird. Oder sowas wie: “sie fühlt sich zu wenig beachtet.” oder schlicht: “Ja, sie muss ja jetzt auch noch irgendwas wollen, weil unser Miteinander sonst auch keine Grundlage hätte”.
Manchmal spielt ein Gefühl nicht mit etwas gesehen zu sein, auch tatsächlich da hinein – am Ende geht es mir bzw. uns bei diesen Fragen aber nicht um ein Gefühl, sondern um Realitäten, die wir verzweifelt einzuschätzen versuchen, aber daran scheitern, weil uns alle flauschen, statt irgendwie für Klarheit zu sorgen.

Was nutzt mir denn ein Tröste-“Das-wird-schon-alles-werden” mit Händchenhalten von der Therapeutin jetzt, wenn ich damit rechnen muss, dass ich in zwei Monaten von ihr höre: “Ja also – das passt jetzt alles irgendwie nicht mehr. Hm – aber Sie sind ja eine starke Frau – Sie kommen schon klar.”.

Ich kann auch überhaupt nicht einschätzen, ob und wie und wofür genau wir den Begleitermenschen dann noch treffen. Vielleicht um uns nicht aufzugeben nur, weil grad unsere Therapie zu Ende gegangen ist, weil wir ja so dringend „großes Mädchen, das eine Berufsausbildung anfängt“, spielen mussten.

Wir haben so wenig Erfahrungen mit  dem selbstbestimmten Leben allgemein und längeren sozialen Kontakten, die nicht für die Zeit mit uns bezahlt werden, dass wir nicht wissen, wie oft man sich treffen oder hören muss, damit der Kontakt okay ist. Wir wissen nicht, wie wir unsere Kraft fürs Telefonieren mit Renée freimachen müssen. Nicht als Pflicht, sondern als schlichte regelmäßige Pflege.

Bis heute haben wir nicht so recht verstanden, warum Menschen überhaupt den Wunsch haben uns in dem Blog und unserem Arbeiten zu unterstützen, aber sie tuns und wir freuen uns darüber und versuchen immer weiter, immer mehr zu machen, damit niemand das Gefühl hat, es wäre alles umsonst gewesen, wir hätten das nicht gut genutzt oder nur Quatsch mit dem Geld, der Zeit, den Hilfen angestellt. Aber was ist, wenn klar wird, dass es nie um ein Extra ging? Was, wenn allen wirklich endlich klar wird, dass sie uns auf “Normalnull” geholfen haben und da gar nichts weiter hintersteht, als eine Person, die wirklich so ist und denkt, wie sie das von sich sagt? Was, wenn auch nur eine_r von euch uns jemals trifft und wir sind gerade zu gestresst, zu vereinnahmt von uns und unserem Kram unseren Ansprüchen und Forderungen, um auf eine Not, ein Gefühl, einen Wunsch, einen Bedarf nicht angemessen zu reagieren? Was wird, wenn uns niemand mehr unter_stützt?

Das sind Dinge, die wir uns fragen und auf die wir keine Antwort finden, die uns Handlungsabläufe bereitstellt, außer dem, einfach zu sagen, dass diese Fragestellungen da sind. Nicht, weil wir uns ängstlich zitternd Sorgen machen. Nicht, weil wir Sozialflausch wollen und grad dringend haben müssen. Sondern, weil wir nicht wissen, was wir machen sollen und jede Person, der wir das sagen mit einem Haufen Sozialflausch ankommt. Das hat wirklich was von Betäubung und Dämpfung – und wir kommen nicht dahinter, ob unser Umfeld das vielleicht einfach braucht – vielleicht braucht man uns gerade ganz unbesorgt und mit allem einfach mal leiser und weggedämpft, weil wir unbemerkt schon wieder irgendwas in den Menschen anticken, was sie selbst beunruhigt – oder, ob wir grad zu unfähig sind, irgendwelche für alle anderen Menschen total klaren und deshalb nicht beworteten Abläufe zu sehen und umzusetzen.

Ich weiß, dass das jetzt hier genau eines dieser krassen und allein für uns wirklich schrecklichen Missverständnisse ist.
Und ich weiß, wie oft in unserem Leben genau sowas zu schlimmen Entwicklungen für uns geführt hat, gerade weil niemand kapiert hat, worum es uns ging. So eine Todesangst kommt nicht einfach aus dem Nichts und sie ist auch nicht einfach so triggerbar. Aber sie ist ausblendbar, wenn man nicht mitbedenkt oder vielleicht auch nie darüber nachgedacht hat, wie das eigentlich genau jeweils für uns war und ist, an bestimmten Punkten einfach ganz grundlegend anders als viele andere Menschen in der gleichen Situation, abhängig davon zu sein, richtig verstanden zu werden, um nicht retraumatisiert zu werden.

Diese ganzen unsichtbaren Gewalterfahrungen, die nie mit blauen Flecken einher gingen, sind irre schnell aus dem Fokus. Gerade im Helfersystem geht das unheimlich fix. Aus Gründen, die aufzuschreiben schon wieder einen Roman entstehen lassen würde.

Ich denke im Moment oft: “Tut uns das bitte nicht an. Bitte diesmal nicht – diesmal bitte nur einen Lebensbereich im Ablauf verändern und nicht gleich wieder alles.” und denke, dass es gut ist, das ganz bewusst zu bemerken. Weil mir immer sicherer bewusst wird, dass wir wahrscheinlich nur deshalb so viele Alltagssysteme haben, weil genau diese Lebensabschnittsveränderungen bei uns immer wieder ganz global gewirkt haben.

Jedes Mal, wenn wir jemandem oder etwas nicht mehr in den Kram passen, werden wir special, sonder, extra nach außen und auf eine Art unpassend, die bedeutet, dass wir allein und damit hilflos, ungestützt/ungehalten/fassungslos zurückbleiben.
Nicht immer ist das schlecht – um zu gucken, ob man alleine Fahrrad fahren kann, muss man die Stützräder irgendwann auch mal abnehmen.
Aber im Moment haben wir dafür keine Kapazität und keine Bereitschaft. Und vielleicht auch nicht den Lebenswillen, der sowas mit inkludiert. Vielleicht müssten wir den haben. Vielleicht sollten wir den haben, wenn wir denn so wahnsinnig erwachsen und fähig sein wollen. Aber ich merke, dass das eine dieser Grenzen ist, die etwas brechen und spalten würden, würden wir darüber gehen. Erneut.

Um die Metapher zu nutzen: Ich merke zunehmend, wie oft wir uns auf die Fresse packen, merke, wie anders unser Fahrrad funktioniert und wie anders wir lernen überhaupt darauf zu fahren, wenn wir allein in unserem Alltag sind – wir sind noch nicht soweit unsere Stützräder abzunehmen. Wir sind noch nicht mal soweit darüber nachzudenken, wie das wäre, ohne welche zu fahren. Wir sind noch damit beschäftigt, drauf klar zu kommen, dass wir uns so oft auf die Fresse packen, OBWOHL welche dran sind und, dass das offenbar von außen nicht wahrnehmbar ist.
Die Stützräder abzunehmen, würde uns im Prozess unterbrechen und den Fokus verschieben. Es würde ein anderes Funktionieren erfordern, um zu überleben.
Und was macht ein DIS-Gehirn vor solchen Anforderungen?
Eben.

Ich weiß noch nicht, wie wir das lösen, im Innen sortieren und wie gut wir es schaffen, uns von diesem Angstfeld zu distanzieren in den nächsten 3~ 4 Wochen, während wir unterwegs sind. Aber immer mehr denke ich, dass es gut ist, dann jetzt auch endlich bald aufzubrechen.
Montagmorgen.
Weil wir Sonntag nicht wollen und uns für Samstag wegen des Pitti-Drama’s zu spät um eine Radfahrkarte in der Bahn gekümmert haben.

Naja.
[very professional Geräusch]

Das Drama der hochbegabten Nichtskönner

Wenn man sich ein bisschen mit Intelligenz als Mittel zum Zweck einer Funktion auseinandersetzt, kommt man schnell dahin, uns zu glauben, dass wir uns nicht für schlau halten, weil wir mal eine Testergebniskurve gesprengt haben. Für uns war der Test leicht und mit vergleichbar wenig Anstrengung zu lösen, weil er mit unserer Scan- Rate- und Kompensiertechnik gut zusammenpasste. Wir gehören zu den Menschen, die Muster schnell finden und genauso schnell konvertieren können. Das ist simpelstes copy-paste-convert und weit entfernt von findiger Schläue oder scharfer Klugheit.

Wenn man es aber gewohnt ist, in allem und vor allem allen um sich herum ganz aktiv die Muster finden zu müssen, um sie überhaupt zu verstehen, um überhaupt irgendetwas in der Welt erfassen, begreifen und selbst auch damit  in Kontakt und Interaktion gehen zu können, dann hat man sich aus Versehen ein Werkzeug herangezüchtet, das dank diverser Auffassungen von Geist und Kognition, zu einer Gabe oder einem special Talent erklärt wird, das als Ratio schier alle emotionalen Prozesse auszugleichen in der Lage sein sollte.
Daraus entstehen dann Annahmen wie die, dass nur dumme Leute auch Dummes tun – und allgemein diese seltsame Idee, “Dummheit” wäre eine Eigenschaft und keine Wertung – neben der Idee, die Fehler von schlauen Leuten könnten immer eher peinlich als dumm sein.

In unserer Bildungshistorie hatte die nach dem IQ-Test bestätigte Hochbegabung keinerlei Niederschlag gefunden. Zum Einen vielleicht, weil wir keine Matheintelligenz oder die offensichtliche Enzyklopädieintelligenz haben, die sich in deutschen Bildungssystemen besser entfalten und ausentwickeln kann, als die Muster/Bild/Wortintelligenz, die wir haben oder zum Anderen, weil wir einfach nie das blasse nette Ober-Mittelschichtenkind mit hoher Stirn, das die Träume anderer erfüllen soll, waren oder zum Letzten, weil wir mit anderen Menschen schon immer so zuverlässig abkacken, wie man in der Kirche “Amen” sagt.

Das Drama ist: dieses Abkacken merkt man uns nicht an. Gerade im Hinblick auf die Intelligenz und all das in diesen Begriff hineinprojizierte Potenzial, wollen das viele Menschen auch gar nicht sehen. Viele entscheiden sich eher dafür uns in eine “das verkannte Genie/das Genie vs. die Deppen/zu schlau für den Rest der Welt”-Schublade zu legen, als in eine “kann nicht so, wie sie können könnte” – Schublade, denn die eine lässt das Grundproblem bei uns und die andere bei den Dingen um uns herum, die man ändern könnte/sollte/müsste und von der man selbst ein Teil ist.

Gekoppelt an die anderen Aspekte der Behinderungen, die wir so im Leben haben und die Problematik der Gewaltfolgen vor dem Hintergrund von vielen Therapie und Behandlungserfahrungen, ergibt sich eine Anspruchshaltung an uns, vor der wir nur versagen können.  Und das auch tun. Durchgehend. Schon unser ganzes Leben lang, egal welches Alltagssystem in welchen äußeren Kontexten agiert.

Und ja, wir erleben es als Versagen, weil wir selbst den Punkt nicht finden, an dem wir uns aus dem Kämpfen um das Entsprechenkönnen herausnehmen.
Wir haben aufgehört uns aktiv um Freundschaften zu bemühen und sind dazu übergegangen Kontakte zu Menschen zu meiden, die wir brauchen könnten oder die uns brauchen könnten, weil wir den “Brauch-Faktor” als eine starke Kraft bei uns selbst erleben. Je mehr wir jemanden brauchen (oder etwas von jemandem brauchen) desto weniger darf im Kontakt schief gehen und desto mehr Schaden entsteht in uns und an unserer Lebensqualität, wenn eben doch etwas schief geht (wie es bei uns auf kurz oder lang immer schief geht).

Je mehr wir jemanden (oder etwas von jemandem) brauchen, desto wichtiger ist ein guter Kontakt zu dieser Person und “guter Kontakt” ist Arbeit für uns. Ganz bewusst und klar. Wir kontrollieren unsere Kommunikation, bereiten uns auf Gespräche jeder Art in all ihren Optionen vor – spontane und unvorhergesehene Themen-, Orts- , Befindlichkeitswechsel, erfordern ein Maximum der benannten Konvertierungsfähigkeiten und gehen meist schlicht über unser gut erbringbares Level.
Und daneben: die Stressregulierung. Je mehr Stress desto mehr Dissoziation.
Verliert ein Innen den Faden, verliert es die Kontrolle, verpasst die Momente, in denen man etwas sagen soll/kann/darf, verliert den Überblick und die Abwägungsbereiche um welche Emotionen, Themenbereiche oder eventuellen Intensionen es sich beim Gegenüber handelt, was in einem sach- oder themenbezogenen Kontakt einfach stresst – in einem nicht sachbezogenen Kontakt zusätzlich aber auch negativ triggert und Wechsel provoziert. Von Mischkontakten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen.

Jedes Gespräch mit egal welchem Menschen, hält für uns genau solche Spitzen bereit, in denen wir zwischen Kampf um oder Sicherung von einen Kontakt zu dem Menschen, mit dem wir es zu tun haben, entscheiden müssen.
Wenn wir kämpfen gelten wir als anspruchsvoll, nervig, pedantisch, arrogant – wenn wir sichern als schüchtern, ängstlich, vorsichtig, introvertiert – letztlich werden dabei weder wir selbst in unserem Funktionieren, noch unser Problem gesehen. Man ist nicht mit uns als Individuum konfrontiert, sondern mit einem eine Behinderung kompensierendem Verhalten mit einem Anfang, einem Ende und einer von uns niemals intuitiv erfassbaren Wirkung auf andere Menschen.

Ich schrieb von “hochbegabten Nichtskönnern”, klar, weil wir uns gerade auseinanderreflektieren, was wir in der Klinik falsch gemacht haben und uns keine neuen Fehler auffallen, die wir gemacht haben könnten, was wiederum Frust auslöst, weil wir uns an der Stelle selbst nur ableistisch begegnen und uns gegenseitig vorwerfen, wir hätten es einfach nur schlauer angehen müssen – hätten uns einfach nur mehr anstrengen müssen einen Zugang zu unseren Behandler_innen zu finden – hätten unsere Abwägungen (selbst)kritischer treffen müssen – hätten einfach in eine andere Sprachebene konvertieren müssen. Wir hätten einfach nur alles anders machen müssen, weil wir das Wissen darum hatten, auf welchen anderen Optionen wir uns hätten konzentrieren können.

Mir fällt die Falle auf, in die wir uns selbst hinbegeben: “Du hast Alternativen gewusst – und weil du das wusstest, hattest du eine Wahl” ergo: “Hättest du es nicht gewusst, wärs ja was anderes…”
Wir tun uns den gleichen Scheiß mit dem uns andere Menschen überfordern selbst an, weil wir keine Antwort haben. Keine Klärung, keine Lösung. Kein befriedigendes Verstehen in all den Optionen warum wieso weshalb das passiert ist. In den letzten Tagen haben wir so viele Theorien und Optionen ins Innen gestellt, die alle Hand und Fuß haben und sich mit dem decken, was wir die ganze Zeit über wahrgenommen haben.

Und trotzdem ist da auch das Wissen, dass wir  nicht anders handeln konnten, als wir gehandelt haben.
Aber natürlich sind am Ende wir die, die Selbst- wie Fremdansprüchen nicht gerecht wurde, Erwartungen enttäuscht hat, Chancen nicht genutzt hat – weil sie es verkackt hat zu schaffen, dass man ihr glaubt, dass sie etwas nicht kann, obwohl sie weiß, was sie warum will.
Weil sie mal wieder irgendeine geheime special Zwischenmenschlichkeitsperformance verkackt hat und es einfach nicht lernt.
Obwohl doch alles so klar da vor ihr liegt.

Da ist diese Idee davon, dass Menschen, die alles, was sie verstehen und erklären können, auch  leisten können, gegen die wir nicht ankommen. Nicht einmal vor uns selbst.

Obwohl wir so oft und seit Jahren auf ganz viele Arten sagen, dass das von so vielen Menschen als “langweilig”, “öde” und allgemein überhaupt gar nicht erstrebenswerte “normal/regelhaft/üblich” für uns etwas darstellt, dass wir nicht erreichen wollen, weil wir es für besonders spannend, toll oder wichtig halten, sondern, weil es uns die Idee von einem Funktionieren, das so viele Menschen miteinander gemeinsam haben fasziniert.
Wir wären so gern einmal mitgemeint, wenn jemand sagt “Ph, XY kann doch jeder (ohne sich groß anzustrengen/irgendetwas eingeübt zu haben)”, würden uns so gern auf eine so sichere Basis in uns selbst verlassen können, dass wir vergessen, wie viel Arbeit und Anstrengung im Erreichen und Halten dieser Basis steckt. Wir waren so gern mal gelangweilt und angeödet von “normal”, “durchschnittlich”, “üblich” und weniger ausgelaugt von unserem Kämpfen um das Erreichen dieses Status.

Wann immer Menschen unser Funktionieren bemerken bzw. durch von uns erschaffene Dinge als bewiesen annehmen und es als Hochbegabung oder Intelligenz oder special Talent oder Gabe einstufen, überfordern sie uns.
Sie nehmen an, dass wir schon alles wissen und keine Unterstützung mehr brauchen. Sie nehmen an, dass uns Leistung leicht fällt, die ihnen schwer fällt. Und sie glauben nicht, dass wir ernsthaft hilfebedürftig sind.
Das ist eine Parallele zu dem, was die Behandler_innen in der Klinik nicht verstanden haben – natürlich wussten wir was sie dort leisten können, natürlich wussten wir, wie das Behandlungskonzept ist, natürlich wussten wir, dass wir Anpassungs- und Kompensationsleistungen erbringen müssen, natürlich wussten wir, dass wir nicht dort sind, um Urlaub zu machen – unsere Unfähigkeiten wurden aber durch dieses Wissen nicht aufgewogen. Unsere Hilfebedarfe sind nicht durch Behandlungserfahrungen zu decken. Und keine Behinderung der Welt ist durch bloße Willenskraft und geistige Kapazität auszugleichen.

An manchen Stellen merken wir, dass für viele Menschen in unserer Umgebung nicht klar ist, wie dramatisch es für uns ist, das Brauchen hinter unserem Wollen und an, als passende Gegenüber eingeschätzte gerichtete Fordern nicht gesehen, erfasst und begriffen zu wissen.

Es triggert unangenehmes Erinnern an all die Alltags- und Gewaltsituationen an, in denen man so dringend etwas und jemanden brauchte und genau niemand verstand, niemand kam, niemand ES und DAS DA hat enden lassen, sondern uns einfach immer wieder überfordert, ausgeliefert, ausgelacht, pathologisiert und uns selbst überlassen hat.
Nicht selten mit dem Spruch an uns: “(Was willst du denn (von mir)? -) Du bist ein schlaues/besonderes Mädchen/Kind – du kriegst das schon (allein) hin.”.

Aber nein. Wir haben genau nichts weiter hingekriegt als zu überleben. Wie wir immer überlebt haben und immer überleben werden.
Um ein aktuelles Meme zu bedienen:

Was ist das für 1 life, wenn der einzige Trost über Episoden wie diese ist, dass man es schon überleben wird, wie man es immer überlebt hat?

Müll

Ich war dumm genug eine Frage danach zu stellen, wie andere Menschen mit den Auswirkungen ihrer Hochbegabung umgehen.
Stell‘ so eine Frage in dieses Internet und es dauert nicht lange bis irgendein ignorantes Arschloch um die Ecke kommt und dir einen Hammer in die Fresse kloppt auf dem steht: “Wenn du nur willst, dann kannste alles erreichen.”.
Wenn man das schon ein zwei mal im Laufe der letzten Jahre an verschiedenen Stellen erlebt hat, reagiert man nicht mehr darauf, in dem man “Fick dich” in ein Forum tippt. Man verlässt die Seite, löscht seinen Account, frisst sich an den Rand, kotzt drüber und denkt darüber nach, wozu es ein Leben gibt, das so falsch ist.

Ich hab mal was Neues versucht, weil es langweilig ist zu wissen, dass man mit seiner Annahme von Unpassenheit und Sinnlosigkeit recht hat, aber umgeben ist von Menschen, die außer reaktiver Potenzschutzideen erstmal nichts äußern (können/wollen/dürfen).
Es ist nicht die Frage, was Hochbegabung ist oder Intelligenz und auch nicht die Frage, wie man es schafft, seine Fähigkeiten so zu nutzen, dass sie passend sind. Es ist die Frage,  was und wem es nutzt, wenn man das anstrebt, umsetzt und sich auf eine Art angleichen kann, die einen befähigt im gleichen Kosmos wie andere zu leben. Sich also integriert. Fremd unter Fremden ist, aber auf dem gleichen Stück Land herummetabolisiert.

Und was, wenn man das nicht tut? Weil man es nicht kann? Weil Integration auch mit Privilegien und Fähigkeit zur Angleichung einhergeht und bestehende Definitionsmächte unangetastet lässt, was eine dumme Idee ist – sein muss, gerade dann, wenn die halbe Republik über Inklusion spricht und sich nicht mehr als *ist_in auf irgendeiner Achse bezeichnen lassen will.

Der Mensch hatte gesagt: “Man könnte fast sagen, was Ihnen ist passiert ist, könnte man auch ein psychiatrisches Verbrechen nennen”.
Während im Inmitten alles zuging, nickte ich und versuchte zu vermitteln, dass ich das weiß.  Und es immer ungesühnt bleiben wird. Aus Gründen.
Der erste psychiatrische Straftatbestand, war der erste IQ-Test, die ersten Gespräche in einer psychologischen Familienberatungsstelle um herauszufinden, ob und wenn ja, wann ich mich suizidieren würde.
Da war ich 13/14 Jahre alt und hatte mich in eine Lehrerin “verliebt”, dachte ich hätte einen Hirntumor, der meine Amnesien und Wahrnehmungsprobleme verursachen würde, war komisch, gewaltvoll, arrogant, allein und hatte keine Wörter an Menschen zu richten, die sie begreifen würden.

Es gibt Verbrechen, die entstehen, weil man Wahrheiten macht, die keine sind, weil es keine gibt.
In jedem Machtspiel gibt es Verlierer_innen. Im psychiatrischen Machtspiel braucht es sogar Verlierer_innen, weil die Rettungslogik sonst keine Basis mehr hat.
Es gibt Menschen, die halten Hochbegabungen für etwas, das positiv ist. Man folgt einer Art Rettungslogik und denkt, es ginge um ein Gutes in einem Menschen. Es ginge darum ein Potenzial zu finden, das urbar gemacht werden könnte. Warum? Weil man diesen Menschen ansonsten halt aufgeben müsste?
Wenn man sich anschaut, was heute mit Hochbegabungen verbunden wird, sieht man Kinder, die extrem spezialisiertes Wissen haben und anwenden. Schule, Universität, Leben fürs Wissen. Sie sprechen 3, 4, 5 Sprachen, können Bücher auswendig nachsprechen, sind Wirtschaftsgenies, sie lehren oder sammeln eine Auszeichnung nach der anderen.
Wer hochbegabt ist, ist nicht chronisch depressiv, misshandelt, arm, behindert, krank.  Wessen IQ die Grenze der 130 Punkte überschritten hat, ist ungenutztes und/oder ungeahnt (noch weiter) nutzbares Potenzial.

Besonderes Potenzial ist in unserer kapitalistischen Gesellschaft das, womit alles gerechtfertigt wird. Alles.
Auch die Ignoranz des Leidens unter Besondersmachung und Nichtentsprechenkönnen, von all dem was noch im Leben eines Menschen sein können soll, wenn er in einem Test eine bestimmte Punktzahl erreicht hat. Auch die Ignoranz der Dynamiken von Neid unbeteiligter Dritter und Annahmen eines Stolzes, der in aller Regel gar nicht da ist.

Ich habe nach dem Ergebnis damals gedacht, ich müsse zwangsläufig gut in der Schule sein – müsse noch sehr viel mehr müssen und können als ich konnte. Ich habe mich gnadenlos überfordert und natürlich alles allein zu lösen versucht.
Erst durch mein ebenfalls hochbegabtes Geschwist habe ich gelernt, dass es verschiedene Arten von Intelligenz gibt.
Dass meine Hochbegabung nicht darin liegt Inhalte zu kopieren, abzuspulen und innerhalb des Inhaltsesystems allein anzuwenden, sondern darin, Muster in unterschiedlichsten Komplexen zu finden, mit allem was mir begegnet zu verbinden und im Kopf zu aufeinander aufbauenden Komplexen weiter zu konstruieren.
Ich gehöre zu den Konstruierer_innen und nicht zu den Wiedergeber_innen und genau deshalb ist die klassische Schule, wie auch der tradierte Universitätsbetrieb kein Ort für mich. Genau deshalb finden mich Menschen komisch – spätestens dann, wenn ich in Fahrt und in so einem Modus des “einfach Los- und  Rauslassens” bin.

Wir leben nicht in einer Welt, die alle gleichermaßen mitgestalten dürfen und deshalb auch können, wenn sie nur genug wollen.
Unsere Gesellschaft ist – um es mit den Worten von John Lennon zu sagen: ein Haufen misshandelter Kinder, die sich immer wieder an Personen abgeben, die für und über sie bestimmen.
Es interessiert niemanden, was ein Kopf kann, wenn es der Kopf von jemandem ist, der das falsche Geschlecht (Gender/*), die falsche Klassenzugehörigkeit, das falsche Alter, die falsche Hautfarbe, den falschen religiösen, kulturellen, spirituellen Hintergrund, die falschen Absichten, den falsch interpretierten Geisteszustand, den als falsch funktionierend eingestuften Körper unter sich hat.

Ich habe Angst vor meinen eigenen Schlüssen über das, was wir Menschen, wir hier in unserer Gesellschaft tun und warum wir es tun.
Es gibt keinen Moment, in dem ich aus vollster Überzeugung sagen kann: “Das wird mal für alle gut (im Sinne von befriedigend und nachhaltig lohnenswert zu leben) enden.”.
Und im Gegensatz zum gefühlten Rest der Welt ist mir das nicht egal, oder mit dummen (im Sinne von “einzig sich selbst (re-)produzierenden/stützenden”) Dingen zu überlagern. Ich kann nicht glücklich sein, weil mich dumme Dinge nicht glücklich machen können. Vor allem nicht, wenn ich das mit dieser kapitalistischen Potenzialrettungslogik verbinden soll.

Lebe ich noch, weil ich höflich bin oder, weil ich ein misshandeltes Kind bin, das sich an Personen abgegeben hat, die für und über es bestimmen, dass es noch leben soll? Oder, weil es mich dann manchmal doch fasziniert am eigenen Leib zu sehen, wie wichtig gesellschaftlicher Müll auch sein kann, um Werte stabil zu halten?

Fundstücke #7

Mir fallen nach und nach diese Momente ein.
Das eine Mal, in dem mir mein Vater etwas unterstellte, das ich nicht getan hatte und er sagte: “Du wirst ja ganz rot im Gesicht – guck mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede – du lügst doch!” und meine abgrundtiefe Wut über seine Dummheit, sein anmaßendes Deuten, den Umstand, dass er mich einfach umklatschen kann, obwohl er unrecht hat.
Dass man schon mal rot im Gesicht werden kann, wenn man wütend ist, bringt einem jeder Bugs Bunny – Cartoon bei. Ich verstand nicht, wieso es scheinbar nur diese Option für ihn gab. Wieso war denn das einzig mögliche in seinem Denken über mich, dass ich eine miese lügende Person bin?
Und meine Verkrampfung in dem Moment. Diese eine seelische Gesamtstarre, die verhindert, dass man auseinanderfällt.

Im Moment wache ich ständig aus solchen Fetzen auf.
Ob es Erinnerungsprozesse sind, die davon angetickt werden, weil ich oft darüber nachdenke, welche Schwierigkeiten ich früher schon hatte und wie damit umgegangen wurde, weiß ich nicht genau.
Aber, es sind mehrere Ebenen und die Parallelen sind enorm.

Mir ist etwas eingefallen, das schon Lundy Bancroft in “Why does he do that?” formuliert hatte.
Wenn Menschen Gewalt ausüben, dann geht es um ihr Denken. Ihre Bewertungen und Perspektiven auf bestimmte Dynamiken, Personen (Dynamiken-Dynamiken in Fleisch gegossen) und weniger darum, welche Handlungsoptionen sie außer der Körperverletzung, Demütigung etc. haben.  Sie können (wollen, müssen) diese nicht sehen, wenn ihr Blick ihnen vermittelt im Recht zu sein oder/und in irgendeinem Aspekt von einer anderen Person bedroht zu werden.
Es geht darum, dass sie etwas als Bedrohung (Störung) bewerten und nicht sehen können (wollen, müssen), dass es nicht so ist bzw. von der anderen Person nicht als solche intendiert ist.
Unterstützt und antrainiert wird so eine Perspektive vor allem bei weißen, cismännlichen Personen. Wer alles hat, muss auch alles verteidigen. Die Spannung (der Zwang, die Wahrscheinlichkeit) zu einer Perspektive, die gewaltvolles Agieren rechtfertigt oder logisch erscheinen lässt, ist bei privilegierten Personen höher.

Daneben gibt es das Lernen. Wenn man immer wieder von jemandem umgeklatscht wird und nicht versteht, warum eigentlich (weil man die Perspektive nicht teilt; weil man nicht gleichsam privilegiert ist; weil man keinen Fehler an sich empfindet;  weil man weiß, dass man in anderen Kontexten anders behandelt werden würde etc. etc. etc.), dann übernimmt man mehr oder weniger diffus bis klar, die Gründe (das, was von der Perspektive der gewaltvoll agierenden Person nach außen tritt) und ermöglicht sich damit einen Hebel über den auch neurologische (Schein-)Verarbeitung passieren kann.

Es ist nicht zwingend, Täter_innenansichten auf sich zu übernehmen. Aber es gibt den Überlebenstrieb und der umfasst eben auch, sein Innenleben zusammenzuhalten und sich deshalb Dinge auch nur scheinbar logisch begreiflich zu machen.  Am Ende kommen dann so Selbstansichten wie, dass man einfach grottendämlich ist, nie was richtig macht, hässlich ist, man plump ist, zu nichts zu gebrauchen ist, immer lügt, nie macht, was alle anderen machen… dass man falsch ist. Dass man ein Fehler ist und deshalb immer wieder korrigiert werden muss. Und mit diesen Selbstansichten kommt auch das Potenzial, in jeder anderen Person, die einem früheren Ich gleicht, so umzugehen, wie mit einem selbst umgegangen wurde. Und das muss nicht einmal bedeuten zuzuschlagen.

Mir ist eine kleine digitale Armbanduhr eingefallen.
Rosa/Lila mit schwarzem Karomuster. Plastikfantastik. Ich spielte damit herum, mein Vater nahm sie mir weg, weil wir essen sollten. Er warf sie in eine Salatschüssel. Sie war kaputt. Sie war für mich im Wortnäpfchen “kaputt”/”falsch”, weil er unruhig wurde und mich anmeckerte. Ich begann zu weinen, weil ich nicht verstand – aber doch genau wusste, dass er dieses Nichtverstehen nicht verstehen würde – erst recht nicht, wenn er schon unruhig und laut ist.
Ich kann mich nicht erinnern, ob ich die Uhr danach überhaupt nochmal in der Hand hatte. Sie verschwand einfach. In meiner Fantasie blieb sie da. Bis ich mir selbst irgendwann in die Hand biss und damit eine Art inneres Dekret erließ, dass eine Zeigeruhr der Ersatz sein muss, weil meine Umgebung es als Ersatz sieht.
Ich musste ihre Sicht auf dieses Objekt annehmen und zwang mich selbst mit Gewalt dazu, weil ich etwas anderes vielleicht noch nicht gelernt hatte.

Ich bin bis heute eher Fan von Mechanik als Elektronik. Eine mechanische Uhr hätte man reparieren können. Ich hätte den Fehler – den Schaden erfassen und begreifen können. Mein Vater hätte nicht unruhig werden und sich freimeckern müssen.

Wenn ich so über meine Eltern rede – mit einem “müssen” im Satz – gibt es Impulse in Menschenstimmen, weil man meine Berücksichtigung ihrer Perspektive als etwas nimmt, das mit Rechtfertigung oder Entschuldigung einher geht. Ich will aber weder rechtfertigen noch entschuldigen, ich will mich befassen und die vollständige Logik bzw. das, was für mich eine vollständige Logik ist, äußern.
Das ist etwas, das meine Eltern nicht tun. Das ist, was auch manche meiner Verbündeten, Helfer_innen und Gemögten nicht tun. Weil sie es nicht müssen. Und manche auch: nicht können.

Es wird nie ein Ende geben, wenn ich Dynamiken ausblende. Es wird dieses Ende vor allem in mir drin nicht geben.
Meine Täter_innenintrojekte sind nicht alle ehemals kleine Kinder, die vor Angst schlotternd eine Boshaftigkeit nach der anderen rausspucken. Meine Täter_innenintrojekte brüllen mich auch an, ich soll sie gefälligst angucken, wenn ich mit ihnen rede. Sie brüllen, ich soll tun, was man mir gesagt hat. Sie schubsen mich, wenn ich träume, disse, in Details krabble und staune. Die zerren an mir herum und sagen, wie der Rest der Welt, dass ich unpassend handle, denke, fühle… bin. Und bis heute nehme ich sie wahr und verstehe nicht, was sie von mir wollen. Bis heute verstehe ich nicht, warum sie wollen, was sie wollen und wozu das nützen soll. Denn eigentlich geht es nur um sie. Um ihr Denken und auf mich drauf schauen, obwohl sie mir egal wären, wären nicht sie diejenigen, die mich umklatschen können, wollen, müssen.

Wir teilen uns einen Raum, aber bedeutet das zwangläufig, dass wir uns einander teilen müssen?

In all den Auseinandersetzungen von Menschen, die von der eigenen Familie misshandelt wurden, gibt es diese Annahme einer Verbundenheit, die über den physischen und sozialen Raum hinausgeht und auf diese Annahme werden Konstruktionen gebaut, die diesen Raum logisch machen sollen, es aber nicht tun. Zumindest nicht für mich, weshalb ich heute oft in Ausstiegsgedanken und Zweifeln anderer Menschen sitze und mich frage, wieso die Emotionen, die mit der Herkunftsfamilie einhergehen so viel mehr Raum einnehmen, als bei uns damals die Überlegungen, wo man schläft, isst, trinkt, wie die Alltagsgestaltung und der eigene Lauf der Dinge geschehen soll. Wir fanden es schade aus diesem Raum zu gehen, weil er ja viel auch Klarheit und bestimmte Ebenen von Logik hatte. Aber wir sind nicht gegangen um jemandem eins auszuwischen oder auf eine Art zu bestrafen oder ähnliches. Dass man unser Verhalten so lesen könnte, merkten wir erst als wir mit Menschen darüber redeten, dass wir gegangen waren.
Vor uns selbst gingen wir, weil es das Wissen gab, dort auf lange Sicht zu sterben. Wir mussten gehen. Punkt.

Noch leichter war es, als klar war, dass wir in illegale Dynamiken eingebunden waren und im Grunde unhinterfragt Dinge taten, die eigentlich fremde Personen von uns verlangten.
Für uns standen in dem Moment keine moralischen Fragen im Raum oder ähnliches. Auf eine Art hatte es mehr Gefühle von vorweg genommener Scham und dem Wissen, dass Menschen nicht verstehen, welcher Hebel in einem da benutzt wurde. Selbst Personen, die von sich behaupten, sich auszukennen, verstehen das nicht. Sie nehmen einfach an, dass es der Hebel wäre, von dem sie bei anderen gehört/gelesen haben.

Und ich sitze da, beiße mir in die Hand und erlasse das Dekret mich an die 50 min Therapiezeit zu halten, anstatt zu versuchen es zu erklären und mich der Scham auszusetzen. Ich möchte nicht für so naiv und dumm gehalten werden, wie es unser Verhalten damals vermuten lassen könnte.

Ich weiß nicht, ob die Menschen, die sich schon lange mit traumatisierten Menschen und ihren Verarbeitungswegen auseinandersetzen, merken, welche Norm sie definieren, auch dann, wenn sie genau versuchen das nicht zu tun.
Als eine grundlegende Voraussetzung für Traumatisierungen gilt noch immer auch die Überforderung einer Person ihre Liebe für eine Person mit ihrem Hass, ihrer Ablehnung, ihrer Wut, ihrer Zärtlichkeit etc. etc. etc. zusammenzubringen.
Bis jetzt habe ich noch keine Publikation lesen können, in der die Problematik formuliert wird, sein Bewusstsein (seine Kognition?) für verschiedene Dynamiken, die mit (scheinbar) willkürlichen Emotionen und sozialen Rollen belegt werden, zusammenzuhalten.
So lese ich immer wieder von Kindern, die sich Liebe (im Sinne von Bedürfnisbefriedigung) wünschen und den Schmerz der Zurückweisung (im Sinne von “Bedürfnisse werden fehlinterpretiert/unbefriedigt/verdreht/missbraucht etc.)  als massiv zer-ver-störend erlebten und nicht verarbeiten konnten, nicht zuletzt, weil ihnen der Ausdruck verwehrt wurde – und nicht von Kindern, die sich fragen, ob es Liebe ist, wenn sie umarmt werden – es ihnen aber doch irgendwie weh tut und das doch eigentlich aber genau nicht Liebe sein soll – und die genau wegen ihres Ausdrucks dieses Konflikts misshandelt werden.

Ich nenne das heute “diese typische Alltagsgewalt”, die so ganz neben anderen Kontexten steht und eigentlich jeden Tag statt gefunden hat.
In der Öffentlichkeit. Im Grunde durch jede Person, die eine Dimension meines Raumes berührt hat.
Wenn ich heute sage, dass mein Leben schwierig ist (war), weil es einen Zustand permanenter Überforderungen bedeutet (hat), wird es schnell übersetzt mit: “es gab keine Misshandlungspausen” = “chronische Traumatisierungen” = “komplexe/schwere/tiefgreifende Schäden”.
Es wird normiert innerhalb von etwas, das es gibt, um einen bestimmten Bereich außerhalb der Norm zu definieren.

Gewaltvoller Alltag ist aber kein Norm-abweichungs-bereich.
Alltagsgewalt ist Alltag, ist alle Tage mit Gewalt voll.

Autismus und DIS #3

“Autistin, klingt nach Artistin.”, denke ich und schwanke aus der Straßenbahn direkt gegen eine Wand aus feuchtwarmer Luft.
Es ist kurz vor 20 Uhr und meine Bewegungen haben nichts mehr mit mir zu tun.

Während ich das Rad losschließe, denke ich darüber nach, wie es jetzt weiter geht und wer noch bleibt.
Ich denke an Mensch XY und wie er den Kopf schüttelte, als ich ihm sagte, dass ich mich auf die Diagnostik einlasse. “Nee – Autismus. Du nicht… oder?”, war seine erste Reaktion und obwohl ich weiß, dass die Zweite und Dritte nicht die Gleiche sein muss, ist mir klar, dass ich mich wieder in einer Situation befinde, in der ich Kraft aufbringen muss, wenn ich mit Menschen darüber reden werde. Ich muss mich auf Verletzungen und Anforderungen einstellen.

Als die DIS-Diagnose gestellt wurde, war das ähnlich.
Wir haben niemanden mehr aus der Zeit vor der DIS-Diagnose in unserem Leben und jeder Mensch, den wir danach neben uns fanden, hatte den Kontakt zu uns gewollt und dafür auch ausgehalten/ertragen/geduldet/akzeptiert, dass wir viele sind und damit manches einhergeht, das nicht einfach ist.

“Ich wünsche mir, dass die Menschen, die jetzt sind, bleiben.”, denke ich und merke, wie ein Jemand ein Kinderinnen verprügelt.
Menschen wünschen ist noch immer schwierig. In jeder Hinsicht.

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die in meinem Gesicht und unter der Haut zuckenden Muskeln. Atme durch.
Mit dem Fahrtwind im Gesicht und auf den freien Armen ist es schön. Federstreichelluft.
Ich habe ein Wimmern im Kopf und am Rand meines Bewusstseins pocht ein Schmerz. Vielleicht mache ich es nur schlimmer mit dem Gedanken, dass ich jetzt gern jemanden hätte, der statt mir einkauft. Oder auf mich warten kann, ohne selbst in Not zu kommen.

Sie stampft durch den Laden und geht die Route ab. Milch, Jagdwurst, passierte Tomaten, Wassereis. An der Kasse frage ich sie, ob wir uns das überhaupt leisten können. “Nein.”, antwortet sie mit einem Stolz in der Stimme, der deplatzierter nicht sein könnte.
Ich frage nicht nach. Nehme mir aber vor, in dieser Woche mein Honorar und die Fahrtkosten, die mir noch immer nicht gezahlt wurden, einzufordern.
Ihr Stolz stärkt mich. Ihr Stolz sagt: “Ich bin es wert, nicht betteln zu müssen.”.

Im Blindflug fahren wir nach Hause.
Als die Welt zu schwanken beginnt, steigt er vom Rad.
Zu Hause wartet NakNak*. Wir füttern sie, gehen mit ihr in den Garten.
Ich will meine Arbeit weiterführen. Ein Krampfanfall tritt mir in die Kniekehlen.
”Vielleicht habe ich Krampfanfälle, weil mein Körper versucht auf alles zu reagieren, was mein Denken und Fühlen anstößt.”, denke ich noch im Fallen.

Ich sehe diesen Körper ziellos durch die Luft um sich herum zucken.
“Hilflos, ohnmächtig, überfordert von den Prozessen, die alle gleichzeitig in mir und um mich herum passieren. “.
Der Satz will an mir vorbei fliegen. Vergessen werden.
Aber ich will ihn nicht vergessen.

Damals als die DIS-Diagnose gestellt wurde, hatte ich ihn einfach ziehen lassen.
Ich habe nicht geäußert, wie es für mich war damit konfrontiert zu sein und mich von den Implikationen überfordert zu fühlen.
Diesmal will ich es anders machen.

NakNak* legt ihren Kopf auf meine Brust und schließt die Augen.
Ich spüre ihrem Fell unter meiner Hand nach und merke, dass ich nicht verlassen bin.
Das Wimmern im Innen verstummt.

und dann…

BesuchLichterausschnittund dann öffnet sie die Tür und die Dezemberkälte rieselt von ihren Kleidern auf die Schmutzfangmatte.
Die Stimme vom anderen Ende, der Körper aus dem Früher
es ist… sie ist tot
und blutet aus den Augen im Warten auf das Ende.
Sie schaut sie an und fragt: “Darf ich reinkommen?”. Bohrt eine Lanze in ihren Bauch.
Sie nickt, lächelt, weitet das Loch, reißt an sich herum.
Der Hund, die Begrüßung, das Geraschel, das Trippeln, die letzten 6 Monate fallen im Flur übereinander her und an ihr vorbei.

“Sie wartet darauf, dass sie ihre Geliebte hervorwürgt, wie ein sorgfältig angedautes Gewölle”, denkt sie und wartet darauf, verscheucht zu werden. “So ist es immer wenn Menschen wissen, dass man viele ist. Eine zwei drei werden geschätzt gemocht geliebt, ein paar mehr bemitleidet und getragen, der Rest aus konstruierter Ferne beäugt und für das Dunkle gehalten”, weiß sie und schraubt das Lächeln aus dem Gesicht.

Sie hängt die fremde Jacke auf und verfolgt diesen Körper mit den Augen in die Küche.
Betrachtet den Blick auf sich und in das Loch hinein.
“Ich hab Lebkuchen.”, schrillt es daraus hervor.
Der Körper lächelt und nickt. Lässt die Stimme an ihren Haaren zündeln.

Ein Gedanke scheppert auf den Boden und lässt es in der Küche regnen.
“Du bist da.”.
“Ich bin da.” sagt sie und schneidet Seelenfleisch in Streifen bevor es ertrinken kann.

Unaushaltbar ist es, wenn sie jemand mag.
Wenn sie jemand mag, dann tickt im Hintergrund eine Uhr. Nicht lange dauert es, bis DER Fehler passiert. DAS Moment da ist. DER Augenblick, in dem sie alles verderben und alles Ticken ein Ende hat.

So halten sie inne und warten, lauschen auf das Ticken und lassen alles ohne sie passieren.
Am Rand spulen kleine Radikale ihre Kreisel in die Luft und spülen ab und zu einen Brocken aus dem großen Lauf der Dinge an sie heran. Sie nehmen keinen Anteil, sie berühren nichts und niemanden. Sie warten bis sie vergessen, dass sie warten und verschmelzen zum Nichts. Nichts ist nie falsch. Nie greifbar. Nie schuldig. Nie mehr Etwas als nichts und niemand selbst.

Sie sind das Loch. Wo sie enden, beginnt das Schweigen.

Und dann ist sie da.
Dann ist sie einfach da und alles wird zu allem.

Und das Ticken auf den Moment zu, wird zu dem Moment selbst.
“Ich möchte das verstehen.”, sagt sie und legt die Hände um die Teetasse.

Vor ihren Augen wird sie die Gemögte, die mit ihren Worten Sprache in das weiße Leer des Innen kleckst.
Einfach so.

Weil es um ein Verstehen geht und darum etwas zu tragen, das un.aus.haltbar ist. 

 

und dann sagte ich zu ihr…