Behinderung #2 – das soziale Modell – #DisabilityPrideMonth

„behindert sein – behindert werden“ zeigt zwei Modelle von Behinderung auf.
„behindert sein“ gehört zum medizinischen Modell, das im letzten Text beschrieben wurde. Danach ist ein Mensch behindert, wenn dessen Körper, Seele oder das, was mit dem Wort „Geist“ oder „Kognition“ oder auch „Intelligenz“ beschrieben wird, von der medizinisch definierten Norm abweicht.
„behindert werden“ gehört zu einem Modell, das ich hier „soziales Modell“ nenne, um zu vereinfachen. Danach sind Menschen einfach wie sie nun einmal sind und werden von Normvorstellungen und ihrer Um- bzw. Durchsetzung im Alltag behindert.

Tatsächlich werden hier von mir drei Aspekte unter einen Begriff gefasst.
Diese Aspekte sind:

  • Behinderung als Resultat sozialer Interaktion
  • Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen
  • Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Behinderung als Resultat sozialer Interaktion

Soziale Interaktion nimmt bei den meisten Menschen den größten Anteil ihres täglichen Lebens ein.
Es ist eine soziale Interaktion, wenn wir einander „Guten Morgen“ sagen, es ist aber auch eine soziale Interaktion, wenn wir uns überlegen, wen wir zu einer Geburtstagsfeier einladen und wen (warum) nicht. Und es gehört zur sozialen Interaktion, wie wir einander „Guten Morgen“ sagen – aber auch warum.

Behinderte Menschen enttäuschen mehr oder weniger zwangsläufig bestimmte Vorstellungen, die sich Menschen, die ihre Behinderungen nicht (genauso) erleben, von ihnen machen. Das betrifft oft die Fähig- und Fertigkeiten, manchmal aber auch die Vorstellungen von sich selbst und die Ambitionen, die sich daraus ergeben.
Zum Beispiel erwarten viele Menschen, die ohne Probleme oder viel Anstrengung laufen können, dass alle Menschen laufen können und wenn es jemand als Sport macht, dass die Leute sich wünschen am schnellsten zu laufen. Treffen sie dann auf einen Menschen, der nicht oder nur mit großer Anstrengung und vielleicht auch Verletzungsgefahren laufen kann, wird ihre Erwartung („Alle Menschen können laufen“) enttäuscht und sie bezweifeln, ob der Mensch überhaupt Sport machen kann oder sich generell dafür interessiert.

Solche Situationen werden oft im Netz besprochen, weil sie emotional verletzen und kränken. Manche behinderten Leute sagen dann so in etwa: „Boa, diese Nichtbehinderten sollten mal ihren Ableismus klarkriegen!“, weil sie sehen, dass es um Erwartungen an Fähig- und Fertigkeiten geht. Die Erwartung an sich jedoch „produziert“ noch keine Behinderung.
Eine Behinderung durch soziale Interaktion entsteht in der Regel durch den Versuch bestehende (soziale) Normen zu festigen, obwohl sie (von behinderten Menschen) infrage gestellt werden. Zum Beispiel, indem man viele Begriffe und Kategorien für behinderte Menschen erfindet („Rollifahrer“, „Blinde_r“, „Autist_in“ … „behindert“) und dann zum Beispiel sagt: „Ach für Blinde ist Kino halt nix, da muss man sehen können“ oder „Ach, die Person hat eine Lernbehinderung – da brauchen wir ja gar nicht erst anfangen über eine Berufsausbildung oder ein Abitur nachzudenken.“

Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen

Beim Begriffspaar „Leistung“ und „Ausdifferenzierung“ denken viele Menschen sofort an Schule, aber vielleicht auch an Sportwettkämpfe oder die berufliche Karriere. Ich persönlich denke sofort an das Hartz-4 System und an die Struktur von Krankenkassen.
Wer bestimmte Leistungen nicht erbringt – und dabei geht es nicht darum, warum nicht! – wird in aller Regel nicht belohnt oder dazu ermächtigt, sie zu erbringen.
Bei diesem Aspekt ist mir wichtig aufzuzeigen, was konkret der „Behinderung produzierende“ Teil davon ist. Es ist nämlich keineswegs so, dass eine Schule zum Beispiel einfach nur die Benotung abschaffen und das Gebäude, wie den Unterricht barrierefrei gestalten müsste, um inklusiv zu sein! Es gibt Schulen, weil es ein Arbeits- und Gesellschaftsleben gibt, das nur bestimmte Leute, mit bestimmten Fähig- und Fertigkeiten und einem bestimmten Leistungsniveau durch Mitwirkung teilhaben lassen will (und kann).
Wer nicht leistet, wird ausgesondert. Das kann die Sonderbeschulung meinen, kann aber auch ein Leben ohne Arbeit, abhängig von Leistungen wie Hartz 4 oder in einer Form von Rente sein.
Es kann aber auch die Ausladung von einer Geburtstagsfeier meinen, weil es eine Person nicht schafft laute Musik, andere Gäste, freundliche Unterhaltung zu kompensieren, nachdem sie sich für die Beschaffung eines Geschenkes verausgabt hat. Leistung hat nicht nur etwas mit Gewinn oder Ertrag zu tun!

Die Behinderung entsteht also durch Ausschlüsse, die gemacht werden, weil Menschen bestimmte Leistungen nicht (wie vorgesehen) erbringen.
Hier gibt es eine Verschränkung mit dem dritten Aspekt.

Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Viele Menschen nehmen an, dass bestimmte Strukturen ganz einfach aus dem Menschen natürlich inne liegenden Ideen entstanden sind.
Tatsächlich aber dient jede Struktur dem Erhalt, der Sicherung und dem Zugewinn von Macht durch Überlegenheit durch Einhaltung und also Bestätigung von Normen, die von der Mehrheit (also einer mengenmäßig überlegenen Gruppe!) der Menschen ohne Probleme eingehalten werden können. Egal, ob wir uns Schulen anschauen oder Eiscafés, ob wir ins Vereinswesen oder das Versorgungsamt schauen, ob wir unsere eigene Clique betrachten oder die unserer Eltern – immer kann man herausarbeiten, dass es da Normen gibt, die vorgeben, wer profitiert und wer nicht – und dass es in der Regel von Nachteil (und also auch behindernd) ist, nicht zu profitieren.

Bestimmte *ismen sind in unserer Gesellschaftsordnung so fest verankert, dass sie maßgeblich darüber entscheiden, wem was wann unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen zugestanden wird. Diese *ismen sind Rassismus, Sexismus, Ableismus (wozu auch Saneismus gehört), Ageismus, Adultismus und Kapitalismus.
Jeder *ismus ist ein abgeschlossenes Konzept. Das bedeutet, dass es sich immer von etwas abgrenzt und also Menschen mit bestimmten Eigenschaften ausschließt. Dieser Ausschluss ist das „Behinderung produzierende“ Moment und wir haben in unserer Gesellschaft nicht einen einzigen Aspekt des Lebens und Miteinanders, in dem niemand ausgeschlossen ist.

Bevor du diesen Text aber mit dem Gedanken verlässt: „Aha, also sind wir alle behindert, ja klar.“ und mir einen Vogel zeigst, bitte noch ein Mal kurz konzentrieren.

Es gibt Ausschlüsse, die kann ich gut verkraften. Ich muss nicht zu den Partypeoples gehören. Mir geht auch überhaupt nichts ab, wenn mir jemand nicht zutraut Olympiagold im Kugelstoßen zu holen. Aber es gibt Situationen, in denen so viele Ausschlüsse passieren, dass ich existenziell bedroht bin, weil ich nicht als behinderter Mensch, sondern nur als behindert oder schlimmer noch als Behinderung gesehen und behandelt werde.
Das kann zum Beispiel passieren, wenn man als schwarze behinderte Frau ein Kind alleine versorgt.
Weil viele Menschen annehmen, behinderte Menschen seien nicht sexuell attraktiv glauben sie auch, dass sie keinen Sex haben. Und wer keinen Sex hat, kann nicht schwanger werden. So kommt es vor, dass Menschen davon überrascht – und bürokratische Strukturen gesprengt – werden, wenn behinderte Menschen zu Eltern werden. Und wenn diese dann ganz spezifische Problemlagen haben, weil sie an anderen Stellen, etwa von Krankenkassen, dem Versorgungs- oder Integrationsamt ausgeschlossen werden – ihnen aber aufgrund ihrer sexistischen Rollenzuordnung als Frau oder Mann auch spezifische Anforderungen zu erfüllen abverlangt werden, die sie nur mit Unterstützung schaffen können.

In dieser Lage ist es nicht nur Ableismus das Konzept, das den Ausschluss und dadurch eine Behinderung produziert, sondern auch Kapitalismus (denn Versorgungsämter beispielsweise teilen Gelder (also Kapital) zu) und andere *ismen, die den Zugang zu dieser Struktur gewähren oder auch nicht. Das ist dann häufig Ageismus bzw. Adultismus – denn nicht die Kinder stellen die Anträge, sondern die Eltern bzw. gesetzliche Vetreter_innen – aber auch Rassismus. Der zeigt sich darin, dass Menschen, die nicht weiß sind, seltener gesagt wird, dass es Antragsmöglichkeiten gibt oder ihre Anträge weniger oft genehmigt werden, weil es die Annahme gibt, die Antragsstellenden würden lügen oder übertreiben, um sich staatliche Leistungen zu erschleichen, die ihnen nicht zustehen.

Wie man also sieht, ist das soziale Modell von Behinderung eines, in dem nicht die behinderte Person im Fokus steht, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie lebt. Mit diesem Modell über Behinderung nachzudenken ist komplex und geht nicht ohne auch über die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft nachzudenken.

die *ismen an „aber nicht alle können nachhaltig.er ..!“

In den letzten Monaten finden wir uns wieder verstärkt in Veganbashing, in „die halten sich wohl für was Besseres“- Aussagen, wenn es um Imperative in Sachen Nachhaltigkeit und nachhaltigen Konsum geht und als wäre es damit untrennbar verschmolzen: das „not all people can…“ bzw. „aber nicht jede_r kann sich das leisten“, als rhetorischer Versuch einen Punkt in der Diskussion zu machen.

Tatsächlich besteht die Diskussion nachwievor nicht aus sachlicher Argumentation oder aus konstruktiven Überlegungen, was man selbst denn tun könnte, sondern aus Abgrenzungs- und Vermeidungsverhalten.

Da sind auf der einen Seite die Liebliebveganer_innen, die es in Jahren der medialen Präsenz nicht schaffen, mehr als Konsumtipps und Selbstoptimierung zu zelebrieren, statt knallharte Forderungen an politische Entscheidungsträger und real mögliche Umsetzungsmodelle zu erdenken.

Da sind die Ökofaschisten, die das steigende Bewusstsein um die Endlichkeit der Ressourcen und die Notwendigkeit zu nachhaltigeren Mitteln und Wegen der Versorgung zu kommen, ausnutzen, um zum Beispiel völkische und andere grundlegend faschistoide Ideologien zu normalisieren und zu verbreiten.

Da sind die Leute, die Müllseen und Schildkrötenbabys mit Plastikstrohhalmen in der Nase zwar richtig schlimm finden, und auch irgendwie total erschreckend, das aber nicht mit ihrem Konsum und anderen Aspekten ihrer Lebensweise in Verbindung bringen können – und häufig auch gar nicht wollen. Weil “nutzt ja eh nix, wenn man selber in Askese lebt, aber DIE ANDEREN ja weitermachen”.

Es gibt noch mehr Parteien, aber ehrlich gesagt, regen mich die drei genannten im Moment am meisten auf und das nachhaltig. Immerhin das kriegen sie nachhaltig hin.

Vorneweg: Den Zusammenhang zwischen Umweltschäden und dem eigenen Lebenswandel nicht so auf die Kette zu kriegen ist kein persönlicher Makel. Es ist die Folge eines Lebens in kapitalistischer Dauerbeschallung und -manipulation mit Botschaften des Konsums. Und wenn euch jetzt das Wort Kapitalismus hier drin erschreckt, ja mensch, tut mir leid, aber was, wenn nicht kapitalistisch begründet ist es, wenn die Antwort auf jedes – wirklich jedes Problem, jedes Bedürfnis, jeden Konflikt ist, Geld auszugeben, mehr Geld zu brauchen oder, dass einfach die falschen Leute zu viel Geld haben.

Man wächst auf, um zu lernen, wie man gut produziert, um gut einzunehmen, um gut auszugeben. Alles kreiselt darum, sich restlos glücklich zu kaufen. Oder etwas zu kaufen, womit man sich dann restlos glücklich durch selbst hergestellte Produkte machen kann. You see? Es geht kein Weg dran vorbei.
Und nun kommt die Schleife: Nicht alle Menschen können sich restlos glücklich kaufen. Schon gar nicht, wenn das Bewusstsein darum, dass andere mehr haben können, da ist.

Für manche Menschen gibts an dem Punkt nichts mehr nachzudenken oder zu reflektieren.
Die ganz woken wissen sogar was Kapitalismus ist und waren selbst mal in Hartz 4 – und sagen dann deshalb so Dinge wie: “Veganismus können sich nicht alle leisten!!1!11” oder “Nachhaltigkeit darf kein Anspruch an alle sein, weil es sind ja gar nicht alle gleich mit Geld ausgestattet!” und ich frag mich in letzter Zeit immer öfter, ob diese Leute einfach überhaupt mal nachdenken, was sie da sagen.
Und was es für einen Mensch in relativer Armut und klarem Bewusstsein für die Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit bedeutet, wenn man ihm pauschal abspricht Teil dieses Wandels sein zu können mit eigenem Handeln.

Ich zeig euch mal unsere aktuelle Co2-Bilanz.

man sieht, dass wir nur etwa halb so viel Co2 verbrauchen, wie der Durchschnitt der Menschen in Deutschland

Wir heizen drei von fünf Räumen, damit wir nicht von Nachzahlungsforderungen überrascht werden.
Wir duschen alle 2 Tage für 10-15 Minuten, weil wir in der ganzen Altbauwohnung ausschließlich Durchlauferhitzer haben. Heißt auch: die Wasserhähne sind alle kalt. Immer. Ein Mal in der Woche waschen wir mit 2 Litern warmem Duschwasser ab.
Wir fahren überwiegend Fahrrad, danach kommt die Straßenbahn, danach kommen Zugreisen und erst danach kommt unsere Nutzung des Individualverkehrs durch Autos (alles nach Streckenlängen gestaffelt).
Wir ernähren uns vegan, kaufen Supermarkt-Bioprodukte, von denen aber von fünf Waren nur drei koninuierlich aus Deutschland kommen. Wir haben einen Tiefkühlschrank und kaufen viele Früchte gefroren, weil wir die Lagerung der meistens unreifen Produkte aus dem Laden in unserer Wohnung nicht hinkriegen.
In der Kategorie “sonstiger Konsum” konnten wir gar nicht so niedrig gehen, wie wir in der Regel sind – dort mussten wir also 150€ angeben. Unser “sonstiger Konsum” liegt bei 50€ bis 80€, was das in Co2 bedeutet, weiß ich jetzt aber nicht.

Ich zähle das alles auf, um zu zeigen: Die meisten unserer Einsparungen haben direkt mit unserer relativen Armut zu tun und nicht damit, dass wir fancy schmänzy öko-Style leben.
Hier ist noch die Grafik mit den gemachten Einsparungen:

man sieht, dass die Hälfte des Verbrauchs eingespart wurde

Die meisten prekär lebenden Leute, die wir kennen, leben ähnlich wie wir. Ja, vielleicht haben sie einen Fernseher und ja vielleicht essen sie nicht vegan, aber die haben dafür auch keinen Tiefkühlschrank im Keller und einen PC wie wir bei sich rumstehen.
Und doch ist ihr Raubbau an dem Planeten kleiner als der von den meisten anderen Menschen. Wobei man hier ganz klar sagen muss, dass “die anderen” in diesem Fall “relativ weniger arme Menschen” und “Menschen in relativem Reichtum” sind.

Das “realtiv” steht hier nicht, um “die Reichen11!!1!” irgendwie zu verschwurbeln, sondern, um das Bewusstsein für die herrschenden Verhältnisse mit zu kommunizieren. In Lohn und Brot zu sein, macht niemanden automatisch reich – es macht ihn nur weniger arm bzw. reicher als arme Menschen.
Relevant, sich das auch im Bewusstsein zu behalten.

Zurück zum Thema.
Dass in jeder Diskussion um nachhaltigeren Konsum schlicht vergessen oder ausgeblendet – ja, vielleicht vielleicht nicht einmal bewusst ist, wie wieviel geringer die Co2-Bilanz von armen Menschen ist, sehe ich als Bestandteil und Folge klassistischer Diskriminerung und der inzwischen bis in den Mainstream gepressten Werbebotschaft von Konsumoptionen als nachhaltigen Akt.
In diesem Denken nämlich können Menschen in relativer Armut nämlich nicht viel konsumieren – schon gar nicht die teuren nachhaltigen Produkte – weil sie ja arm sind und also können sie ja gar nicht mit machen, wie sie schon bei so vielen anderen Dinge nicht mitmachen können. Würde zum Beispiel. Oder Selbstbestimmung. Von armen Menschen kann in diesen Überzeugungen auch einfach nie irgendwas kommen. Die können ja nie mitmachen. Sind ja arm.

Ich, wir, als arme Person spüre das. Und zwar ganz schön schmerzhaft. Es fühlt sich an wie ein Platzverweis. Einer, der mich, der uns, in unserer prekären Lage zurück lässt, in der es später – wenn die Ökologie um uns herum zusammengebrochen ist – wiederum für uns am Schlimmsten werden wird. Denn dann heißt es nicht mehr “Ihr könnt ja nicht mitspielen”, sondern “Jetzt spielt ihr mal für uns, schließlich haben wir ja die ganze Zeit für euch gesorgt”. Wette ich drauf. Man wird den Armen in den Arsch beißen, wenn der Klimawandel die Reichen und die relativ Reichen zu einem anderen Lebenswandel zwingt. Man wird den Armen die Schuld geben, wie man das heute schon mit den armen Ländern tut, die unseren Plastikmüll auf ihre offenen Halden, ihre weniger krass ausentwickelte Infrastruktur schmeißen, um zu Geld zu kommen.

Ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass reiche und ermächtigte Menschen vor allem reich in den Optionen Verantwortung von sich zu weisen sind. Die wenigsten Menschen mit viel Entscheidungsmacht oder vielen Finanz- und Gütermitteln setzen diese ein, um viel Verantwortung zu übernehmen und zu tragen. Und wenn sie das tun, dann wollen sie dafür gefeiert werden, weil “Gutes tun” mit “Gut sein” verbunden wird. Was auch nicht passieren würde, würden Menschen einfach mal Gutes tun, um verdammt nochmal einfach nur Gutes zu tun. Aber wie soll das gehen, in einer klassistischen Gesellschaft wie unserer. Geht nämlich nicht so einfach.

Wie oft uns Leute sagen, sie könnten unsere Entscheidungen zu Gunsten von Nachhaltigkeit und niedriger Co2-Bilanz nicht auch fällen, um dann in ihrer Begründung praktisch zu sagen: “Tja ich bin halt ein wertloses Stück Scheiße, von mir kann ja eh auch nichts Gutes kommen – ich kann ja nicht gut sein. Ich bin nur ein einzelner Mensch (in Hartz 4, das mich bremst/ mit kleinen Kindern, die mich in die Rolle des immer scheiternden Menschen bringen/ mit Alltagsverantwortung, an der ich immer versage/ mit Spaß an Konsum, was beschämend ist und mich zu einem schlechten Menschen macht…) – ich kann nicht gut sein. – ICH KANN NICHTS GUTES TUN, DENN ICH BIN SCHLECHT.”
Dazu kommt dann oft noch eine weitere ganz interessante Drehung, in der die Menschen sich selbst als zu schlecht und zu wertlos für einen persönlichen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit darstellen, weil sie nicht von jetzt auf gleich alles richtig machen würden, im Sinne von: “gleich sofort alles perfekt ohne Fehler, von allen Menschen gemocht, für niemanden eine Belastung”.

Dabei geht es dann oft nicht einmal wirklich um einen Selbstanspruch. Es ist nicht so, dass sie diese Leute von sich selbst erwarten, alles gleich “richtig” zu machen – es ist viel mehr die Befürchtung, dass alle anderen um sie herum das von ihnen erwarten könnten und sie dann aber im Falle einer echten Perfektness zu jemandem erklären, die_r sich für was Besseres hält – und also nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen.
Oder im Falle der Nichtperfektness für jemanden halten, die_r an den überkrassen Ansprüchen der Ökoperfektness scheitert und dann die Ansicht, dass das eh alles nicht zu schaffen ist, bestätigt wird. Zusätzlich zu dem Ding, dass die Person sich ja wohl für was Besseres halten muss, weil sie hats ja probiert bzw. probierts.

An der Stelle kann ich dann wieder nur Verständnis aufbringen, weil es diesen Fremdanspruch, diese Haltung tatsächlich gibt. Und worin zeigt sie sich? Richtig: Veganbashing, das Aufbauen von Stereotypen, in denen Leute als arrogant und eingebildet, ignorant für “die wirklichen Probleme” dargestellt werden und die ständige Wiederholung, wie hart und überkrass Verzicht (was hier im Westen dann wieder mit Not und Schmerz übersetzt wird, weil man nur in schmerzhaften Notzeiten jemals auf irgendwas verzichtet (hat) ) ist und, Ableismus olé, wie “durchgeknallt”/ ”bescheuert”/ ”geistig umnachtet” Leute sind, die das durchziehen.

Im Moment ist vegan zu leben, sich plastikfrei zu halten, insgesamt weniger Müll zu produzieren und den eigenen Konsum mit Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, eine radikale politische Haltung, die weit mehr emanzipatorische Elemente enthält als viele Leute glauben. Denn konsumieren müssen wir alle.
Wir alle müssen konsumieren, um zu überleben.

Und statt das zu hinterfragen, werden Leute hinterfragt, die ihren Konsum hinterfragen und eigene, selbstbestimmte Entscheidungen darin fällen, die in jedem Fall dazu führen, dass sich das Verhältnis zum Konsum grundlegend verschiebt. Aus “mehr mehr mehr immer und jederzeit” wird “genug für so lange und ressoucenschonend wie möglich”. Es wird nicht besser oder schlechter, es wird anders, denn der Fokus ist ein anderer.

Als Person in relativer Armut ist diese neue Fokussetzung für uns gar nicht so schwierig gewesen. Aber die Emanzipation von den klassistischen und carnistischen Erwartungen an uns als arme Person war und ist schwierig. Wir haben ständig das Gefühl, der Lüge über unsere Armut bezichtigt zu werden, wenn wir sagen, dass wir Bioprodukte kaufen und vegan leben bzw. auf dem Weg zum ganz veganen Leben sind.
Unter anderen Menschen in prekärer Lage haben wir das Gefühl ständig beweisen zu müssen, dass wir uns nicht über sie erheben; dass wir wirklich und ehrlich auch nicht finden, dass sie eklige Drecksärsche sind, weil sie Fleisch essen; dass wir sie wirklich und echt nicht verurteilen, wenn sie Autofahren oder sich mehr Gedanken um ihr Auskommen machen, als darüber, wie viel Plastikmüll sie produzieren.
Wir und unser Andersmachen funktionieren für so viele Leute als Reibe- und Projektionsfläche, das ist einfach zum Kotzen. Weil das schlicht und einfach Objektifizierung und damit Gewalt ist.

Wir machen, was wir für besser halten, weil es erwiesenermaßen besser für den Planeten und also unsere Lebensgrundlage ist. Like literally: GRUNDLAGE Wir leben auf und in diesem Ding. Es ist einfach nicht gut, sie zu zerstören.

Wie einsam so ein Bewusstsein macht, können sich alle vorstellen. Mit was für Ängsten und Sorgen man sich da plagt. Wie viel mehr Ohnmachtserleben es vor dem gibt, was in der Welt passiert.
Und deshalb wirds vermieden. Deshalb will man lieber von überkandideltem Unnötigquatsch in der ganzen Sache ausgehen. Negieren, Ignorieren, Verdrängen.
Für Menschen in relativer Armut bedeutet das eine weitere Schicht der Ausgrenzung, wenn sie versuchen etwas zu verändern. Sie werden oft schon in ihrer konventionellen Sicht auf Zukunft nicht gesehen und gehört, weil sie als der Armut allein geschuldet eingeordnet wird – fangen diese Menschen dann noch an alternative Modelle für eine gesicherte Zukunft zu leben, gilt das als „einem Hype hinterher rennen“, „als zum Mittelstand hinstreben“, als „kann ja eh nix werden“, als Einladung sich lustig zu machen oder typisch „white savior“-mäßiges Mitleid zu entwickeln.

Und daneben gibt es natürlich auch noch die Leute, die Alternativen leben wollen und dann die Kurve nehmen, sich selbst zum Vorbild oder lebenden Imperativ für alle machen zu wollen. Das sind dann die oben erwähnen Liebliebveganer_innen zum Beispiel oder auch Leute, wie Paulines sie bei sich im Blog skizziert haben.
Um Vorbild zu sein muss man sich erhöhen – sonst wird man nicht gesehen. Das ist logisch und wird doch – besonders von den Leuten selbst natürlich – oft negiert, weil es mit Arroganz und anderen unsympathischen Eigenschaften verknüpft wird. Sich zu erhöhen kann aber auch so gestaltet werden, dass sich niemand scheiße fühlt, sondern eher verbunden in der Sache. Greta Thunberg ist da so ein Beispiel. Sie erhält den Sachbezug aufrecht, wenn sie sich äußert und stellt nicht sich selbst dar. Etwas, was viele andere Leute mit gleichen oder ähnlichen Anliegen einfach nicht machen und dadurch bestimmte Menschen ausschließen.

Tatschlich aber braucht man eigentlich kein Vorbild, um etwas anders zu machen. Es kann manchen Menschen helfen, aber ist keine Bedingung. Und dieses Maß an Demut aufzubringen ist, was wir als etwas gelernt haben, das wichtig ist. Wir werden mit unserem Selbstanspruch und unseren abweichenden Werten, so oder so als das Bild benutzt, das sich andere von uns machen. Ob das ein Vorbild oder ein abschreckendes Beispiel ist – wir haben das nicht in der Hand und also brauchen wir keine Energie da rein invenstieren.

Wir investieren Zeit und Kraft ins Andersmachen, auf dass langfristig so vieles wie möglich besser für alle werden kann. Und weil das Vermeidungsverhalten anderer Leute nervt und klassistisch ausgrenzend wirken kann, habe ich diesen Text geschrieben. Es steckt nicht mehr, nicht weniger dahinter.

tl, dr: Reflektiert eure Haltung zu Armut, Veganismus und den Versuch Konsum und Nachhaltigkeit zusammen zu bringen auf Klassismus, Ableismus und die innere Wahrheit sich für zu scheiße zu halten, um Gutes zu tun.

Fastenzeit – Merk_würdigkeit

Mir kommt es vor, als würden sich zunehmend mehr Menschen der christlichen Tradition (des christlichen Ritus) des Fastens widmen. “Ein Jahr keinen Alkohol”, heißt es dann oder “Dieses Jahr verzichte ich komplett auf Essen vom Lieferservice” oder “Dieses Jahr verzichte ich auf Verpackungsmüll.”.

Merkwürdig kommt mir das aus vielen Gründen vor.
Erstens, weil die gleichen Leute, die jetzt das große Fasten verkünden, die Leute mit Neujahrsvorsätzen noch herablassend belächelt haben.
Zweitens, weil so manch Fastenwillige_r an Karfreitag noch extra derb auf die Partypauke gehauen hat, weil Jesus’ Todestag für sie kein Grund für Zurückhaltung, Trauer oder schlichte Rücksichtnahme auf den Glauben der Christen, für die das anders ist, war.
Drittens, weil Verzicht mit Fasten etwa so viel zu tun hat, wie Baden mit Desinfektion oder Lernen mit Dressur.

Es sollte mich nicht verwundern, dass in Zeiten von rechtsmotivierter Verstärkung von Traditions- und Heimatbewusstsein auch die Wiederentdeckung christlicher Kultur und Religion einhergeht. Und doch, es wundert mich, verorte ich mein Umfeld doch als anarchistisch ~ links_radikal bis liberal mit Selbstverortung als links.

Doch wieder einmal brauche ich nicht von einer so engen Verbindung mit politischer Orientierung ausgehen, die das eigene Handeln definiert. Viel treibender scheint the good old Selbstoptimierung zum Zweck der Abgrenzung zu anderen Menschen zu sein. Vorzugsweise jenen Menschen mit weniger Privilegien und implizit weniger Werten.

Verzicht ist eine Praxis des Luxus.
Etwas muss immer und jederzeit verfügbar sein, sonst ist Verzicht nicht möglich.
Was das für eine privilegierte Grundlage ist, das machen sich die wenigsten Menschen klar, die ihren Unkonsum als Verzicht deklarieren und darauf warten ein besserer Mensch zu werden, weil sie sich auf die Erfahrung einlassen, einer Gewohnheit ausnahmsweise mal nicht zu folgen.

Das Fasten hat in allen Weltreligionen einen festen Platz als rituelle Praktik.
Es geht um Widmung, um die Vertiefung des Glaubens, um einen Akt, der von Verbundenheit und Hingabe zeugt.
Wer religiös fastet, enthält sich bestimmten Speisen oder bestimmten Tätigkeiten, um ihre Existenz bzw. die Möglichkeit jenen Tätigkeiten nachzugehen, als das Geschenk, das Glück, das Wunder, das es ist, hervorzuheben. Es geht darum sich selbst zurückzunehmen und eben dem, was von einem wie auch immer benannten G’tt oder einer Kraft oder Energie kommt oder gegeben ist, Raum und damit auch Wert zu geben bzw. anzuerkennen.

Natürlich kann der Verzicht auf Alkohol auch dazu dienen, selbiges wieder mehr als Ausnahmegetränk zu begreifen, aber führt der Verzicht auch zu mehr Wertschätzung von sauberem Trinkwasser und anderen Getränken? Nicht für alle, wage ich mal zu behaupten. Denn wer verzichtet, muss sich auf das Objekt des Verzichts konzentrieren.
Den Effekt kennen viele Raucher_innen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, jedoch nie Erfolg damit haben, auf ihre Zigaretten zu verzichten: Wenn du weißt, worauf du gerade verzichtest, obwohl du es immer und jederzeit haben könntest, dann denkst du immer an etwas, das du jederzeit und immer haben kannst. In diesen Gedankengängen braucht es nur noch einen kurzen Moment des Wollens (und bei körperlich abhängigen zusätzlich noch den des Brauchens, um unangenehme Entzugserscheinungen zu beenden), um letztlich doch wieder zu rauchen.

Eine ernsthafte und aufrichtige Widmung dessen, was mit dem Fasten einhergehen soll, hat einen grundlegend anderen Ansatz.
Um bei der Rauchmetapher zu bleiben, geht es nicht darum aufzuhören zu rauchen, sondern darum zu entdecken, was neben dem Rauchen bzw. der Zigarette alles da ist. Was man noch alles tun kann, anstatt zu rauchen. Es geht nicht darum, ein Nichtraucher zu werden, der Joggen kann und nicht stinkt wie ein Aschenbecher, sondern darum sich Zigaretten zu ent_halten (also: nicht halten, im Sinne von: keinen Kontakt dazu zu haben), zu joggen und sich darum zu kümmern, dass man nicht stinkt – und irgendwann nach Wochen, Monaten, Jahren festzustellen: “Wow, seit ich nicht mehr rauche, hat sich mein Leben/ meine Haltung zu bestimmten Dingen, total verändert.”

Das religiöse Fasten wird von vielen Gläubigen als eine Möglichkeit begriffen, die eigene Beziehung zum Glauben und der religiösen Praxis zu verstärken oder auch zu erneuern. Für manche Menschen geht es auch um die engere Beziehung zu den Menschen in der Glaubensgemeinschaft. Es werden Wertbindungen erschaffen und gemeinsam etabliert. Das ist etwas, was Religionen bis heute erhält und weiterentwickelt.

Wir hier in unserer säkularisierten Gesellschaft, leben im Kapitalismus. Unsere gemeinsame Wertbindung passiert über Güter und darüber definierten Status.
Wir können rein theoretisch alles immer haben. Verzicht bedeutet im Kapitalismus im Grunde nichts anderes als: “etwas anderes konsumieren” (um den eigenen Status zu halten oder vielleicht sogar zu verbessern).
Das auf Konsumgüter übertragene, aufrichtige, religiöse Fasten würde bedeuten, ein schlechter Kunde zu werden und sich auf sich selbst zu besinnen (also insgesamt anders zu konsumieren).
Es würde darum gehen Dinge anders zu machen und möglicherweise damit anzuecken, ausgeschlossen zu werden und auch mit einer fremden Langeweile konfrontiert zu sein. Denn heute machen wir viele Dinge nicht mehr nur aus Selbstzweck, sondern sehr oft auch aus Gründen der kapitalistischen Verwertungslogik.

Nun will ich nicht allen Menschen, die sich vorgenommen haben zu fasten, unterstellen, sie wären nicht aufrichtig in ihrem Vorhaben. Wohl aber will ich aufzeigen, wie wenig Tiefe in dem, was von vielen als “fasten” bezeichnet wird, steckt und aus was für einer privilegierten Perspektive so manche Fastvorsätze kommen.

Die Folge ist für manche Menschen mit weniger Privilegien nämlich der Ausschluss über etwas, was für sie bereits Realität ist: Verzicht.
Arme (und anders minderprivilegierte) Menschen haben bereits keine Option auf eine Veränderung des Status durch Veränderung des Besitzes, denn ihr Besitz ist bereits das Ergebnis von Verzicht. Natürlich können auch arme Menschen noch verzichten, doch ihre Rolle im Kapitalismus lässt keine gleichermaßen “klassenübergreifenden” neuen Wertbindungen zu.

So viel Verachtung und weniger Wertschätzung es heute für Religion und religiöses Leben gibt, so hat dieses Leben und Werten dann doch etwas für alle Menschen gleich freigehalten: die Möglichkeit der Widmung dessen, was über den Menschen bzw. das Individuum hinausgeht.

Beim religiösen Fasten ist die soziale Rolle, der gesellschaftliche Status praktisch egal.
Enthaltsamkeit und Askese kann in jeder Form und zu jeder Zeit praktiziert werden. Das Bewusstsein um das Wunder der Schöpfung oder schlichter ausgedrückt: die Krassheit des eigenen am Leben seins – hier und jetzt, da wo man gerade ist – kann nur mit einer gewissen Selbst_zurückhaltung wirklich wahr_(an)genommen und er.ge.lebt werden.

Und, dass das immer weniger Menschen bewusst und wichtig ist – das ist doch interessant.

Merk_würdig.

vom Luxus über #armeLeuteessen zu fantasieren

Selbstversuche und Sozialexperimente – es gibt wenig mehr, das als Missachtung wie eine Ohrfeige auf konkret betroffene Menschen wirken kann.

Da ist das “einen Tag im Rollstuhl”-Experiment, von Menschen, die keinen Rollstuhl benötigen, um sich selbstbestimmt von A nach B zu bewegen, genauso unangebracht, wie der “eine Woche obdachlos”-Selbsterfahrungstrip von Menschen, die ein Obdach haben.
Es ist unangebracht, weil die sinnhaftere Variante ein “Ich höre den konkret betroffenen Menschen zu, die mir etwas über ihre Lebensrealität erzählen”-Experiment wäre, das bis heute noch viel zu wenig Medienmachende wagen.

Aktuell gibt einen Selbstversuch im Magazin “Biorama” für nachhaltigen Lebensstil.
Nachhaltig befeuert werden in diesem Selbstversuch vor allem Stereotype und Vorurteile. Schlagwortartige Phrasen werden recycled, um konkret Betroffenen die eigenen Argumente und Er_Lebensrealitäten abzusprechen und umzudeuten. Man will nicht glauben, dass Armut mehr sein könnte, als eine Frage des Geldes, des Bildungshintergrundes oder der allgemeinen kognitiv geprägten Entscheidungsfindung. Darum setzt sich nun also ein Mensch hin, gibt sich ein Budget für seine Mahlzeiten und hält das für den richtigen Weg sich Fragen nach Luxus zu stellen.

Der Mensch mit Gehalt denkt, Armut wäre das Gegenteil von Luxus beziehungsweise, Armut bedeute weniger davon.
Manchmal frage ich mich schon, wo solche Gedanken herkommen und brauche dann doch nicht lange für eine Idee. Ich merke ja selbst, wo mein Luxus beginnt. Er beginnt bei 2€ für Artikel, die ich nicht essen kann und 2,50€ bei Artikeln, die ich essen kann.
Luxus ist für mich (in Hartz 4 seit seiner Einführung) also eine Farbfilmentwicklung und ein Saint Albray-Käse.

Menschen mit mehr Geld kommt das traurig vor und ich empfinde das als eine Form von Missachtung meiner Luxusgefühle. Es fühlt sich an, als wäre mein Luxus peinlich oder falsch. Oder eben – so wie ich selbst für diese Gesellschaft – minder_wertig.

Der Selbstversuch im Biorama-Magazin zielt auf “bio ist aber so teuer” ab. Und schafft es nicht dann einfach bei dieser Frage zu bleiben und sich mit dem Geschäft hinter biologisch nachhaltiger Landwirtschaft zu beschäftigen. Nein – da muss noch “das echte Leben” mit rein.
“Teuer”, das gilt noch immer als ein zwangsläufig für arme bzw. einzig selbstversorgend wirtschaftende Haushalte auftauchendes Thema und wird in dem Experiment erneut aufbereitet.

Biologisch nachhaltig angebaute bzw. produzierte Lebensmittel zu konsumieren ist tatsächlich keine Frage des Geldes – es ist eine Frage des Konsums und damit eine Frage, die weit über akut verfügbare Mittel hinaus geht.
Ein Tweet, der sich lobend über den Selbstversuch unter #armeLeuteessen äußerte, rechnete einen Fertigjogurt zu 49 Cent gegen ein Glas Jogurt mit Zucker und Früchten auf das 51 Cent kam.
Als würde niemand auf Hartz 4 nicht darüber nachdenken, direkt 2 Jogurtbecher zu je 19 Cent kaufen, weil si_er dann 2 Jogurts hat und 11 bis 13 Cent spart. Also fast den Wert eines dritten Jogurts.

Der Selbstversuch ist Quatsch, weil die Personen kein Hungermanagment hat, das dem einer Person mit Mindestbudget nahe kommt. Man denkt natürlich auch als arme Person über Qualität nach. Natürlich kauft man lieber ausgesuchte Zutaten und möglichst ausgewogenes Zeug ein – aber wenn man Hunger hat, hat man Hunger und dann passiert etwas im Denken, das sich auf schnell verfügbare Masse, die nach irgendwas schmeckt, konzentriert.

Sich auf den eigenen Selbstwert zu berufen und zu argumentieren, man sei mehr wert als die Tüte Konservierungsstoffe mit Geschmacksverstärkern und angenehmer Konsistenz zu 99 Cent, hält niemand sehr viel länger, als einen Selbstversuche-Zeitraum mit einem selbst bestimmten Anfang und einem jederzeit absehbaren Ende, durch.

Hartz 4 funktioniert nicht so klar begrenzt. Vor allem nicht, wenn man zu den mehrfachdiskriminierten Personen gehört und “einen bezahlten Job finden” ein Synonym für “Sechser im Lotto” ist. Die durchschnittliche Zeit in Hartz 4 sind derzeit 4 Jahre. Tendenz steigend.
Hartz 4 ist eine Akutlösung. Und Akutlösungen sind nie nachhaltig. Nie.
Ein Beispiel:
Das erste Jahr Hartz 4.
Du bist jetzt mehr zu Hause als vorher. Du verbrauchst mehr Strom und heizt nun auch tagsüber. Dir kommt eine Energiekostennachzahlung ins Haus und darauf folgend passiert die erste Ratenzahlung abzüglich deiner Mindestsicherung.
Vielleicht (sehr wahrscheinlich) musstest du gerade noch umziehen, weil dein Wohngeld(zuschuss) nicht ausreichte. Umziehen ist teuer und dabei geht auch noch ein Möbel kaputt. Die Waschmaschine macht seitdem komische Geräusche und irgendwie riecht die Kleidung eklig. Es stellt sich heraus: ein Schimmel zerstört die Fasern – du musst alles ersetzen. Und deine neu bezogene Wohnung von Schimmelsporen befreien, die sich hinter dem Kleiderschrank bereits in aller Pracht zusammentun.
Es beginnt ein Gerangel mit der Wohnungsbaugenossenschaft, wer jetzt den Schimmel entfernen muss und währenddessen haucht die Waschmaschine mit einem heftigen Wasserschaden über die beiden Wohnungen unter deiner, ihr Leben aus.
Du stinkst und fühlst dich permanent unwohl. Deine Wohnung ist ein Quell von Stress, weil du nicht weißt, wie du die Kohle aufbringen sollst, alles auf ein übliches Level zu bringen.

Da du Hartzi bist und dein gesellschaftliches Ansehen irgendwo zwischen 0 und Mitleidsblinddarm im sozialen Gefüge rangiert, bist du aller Wahrscheinlichkeit nach allein mit der ganzen Scheiße. Du hast Stress. Tiefen Überlebensstress, weil deine ganze Situation deinem Neandertalergehirnteil zubrüllt, dass du existenziell gefährdet bist.
Das ist kein Stress, an den du aus deinem Arbeits- oder Schulleben vor ein-zwei Jahren gewöhnt warst und innerhalb dieser Sozialbezüge auch angemessen regulieren konntest. Das ist die Art Stress, die dich krank und hungrig macht.
Und zwar richtig hungrig.
Kohlehydrate-Salz-und-Fett-hungrig. Mehr-ist-mehr-hungrig.
Damit du eine Überlebenschance hast.

Gedanken an sportliche bzw. allgemein außerhäusige Aktivitäten versickern dort, wo die Mitglieds- und/oder Teilnahmebeiträge anfangen und die Ideen um nachhaltige produzierte Lebensmittel erstrecken sich auf die Frage, wie viele Tage 3 Liter Eintopf reichen.
Die Zeit, die man mit Kochen und dem stundenlangen Durchsuchen der Super_Märkte der Umgebung nach günstigen frischen und biologisch angebauten Lebensmitteln verbringen könnte, geht dann doch dafür drauf sich selbst irgendwie bei Verstand und Hoffnung zu halten. Sei es durch Eskapismus in Aktivitäten, die akut kostenlos sind (und ja – das ist dann eben auch Fernsehen, Facebookspiele spielen und was man sonst Hartzis gerne mal als einzige Beschäftigung unterstellt) oder die organisatorische Kompensation der Armutslücken: (Mini)Jobbeschaffung, Kinderbetreuung(sorganisation), Behördenkrempel, Beschaffung nötiger Gegenstände und Güter.

Der Selbstversucher von “Biorama” denkt, er landet im Restaurant, weil er so wenig Zeit zum Kochen hat – nicht etwa, weil er dort landen kann.
Ein Hartzi hat sein Brot mit Thermoskanne im Rucksack oder nimmt sich für 1€ einen Burger von McDonalds mit. Je nachdem was grad geht. Die meisten essen schlicht nie außerhalb. Die haben einfach Hunger bis sie wieder zu Hause sind.

Armut (in Deutschland) bedeutet “mit Geld rangieren” – nicht “kein Geld haben”. Auf Bioprodukte zu verzichten kann den schlichten Grund haben, dass es für weniger Geld mehr Masse gibt und der aktuelle Rangierplan viel Masse braucht.
Ich kenne arme Menschen, die sich bio-vegan-ernähren. Ich kenne arme Familien, wo es über Wochen jeden Tag die 49 Cent-Tütensuppe für die Eltern gab, damit die (Klein)Kinder im Haushalt frisches Obst und Gemüse, aber auch Geburtstagsgeschenke, Schulsachen, Kleidung, Musikunterricht… Bausteine für eine gute Zukunft bekommen konnten. Ich kenne arme Menschen wie mich, die neben der Armut auch noch Essstörungen, Unverträglichkeiten und seelische Belastungen jonglieren müssen.
Nachhaltiger Konsum funktioniert für “die armen Menschen” oft nicht, weil das Hier und Jetzt der Kampf ist, den sie überstehen müssen.
Ein gutes, ökologisch biologisch super mega tolles nachhaltiges Leben konzentriert sich auf ein Morgen, das man erst dann erahnen und planen kann, wenn man nicht mehr um seine Existenz kämpfen muss.

Aber ja – wenn man so wenig darum kämpfen muss, das einem vor lauter Langeweile nichts mehr einfällt, als Konsumselbstversuche zu veranstalten, statt sich aktiv gegen Armut und Benachteiligung armer Menschen einzusetzen, kann man schon mal so einen Quatsch anfangen.
Nachhaltig in Bezug auf den Wunsch nach einer guten Zukunft für alle Menschen ist das nur leider genau nicht.

[tl,dr: Selbstversuche wie #armeLeuteessen möchten bestimmte Menschen(gruppen) motivieren, Konsumentscheidung für sich zu begründen bzw. bestimmte Argumente bestimmter Menschen nicht gelten zu lassen, ohne zu hinterfragen, auf welcher Grundlage welche Entscheidungen getroffen werden. Das ist missachtende Kackscheiße und nicht nachhaltig.]

Müll

Ich war dumm genug eine Frage danach zu stellen, wie andere Menschen mit den Auswirkungen ihrer Hochbegabung umgehen.
Stell‘ so eine Frage in dieses Internet und es dauert nicht lange bis irgendein ignorantes Arschloch um die Ecke kommt und dir einen Hammer in die Fresse kloppt auf dem steht: “Wenn du nur willst, dann kannste alles erreichen.”.
Wenn man das schon ein zwei mal im Laufe der letzten Jahre an verschiedenen Stellen erlebt hat, reagiert man nicht mehr darauf, in dem man “Fick dich” in ein Forum tippt. Man verlässt die Seite, löscht seinen Account, frisst sich an den Rand, kotzt drüber und denkt darüber nach, wozu es ein Leben gibt, das so falsch ist.

Ich hab mal was Neues versucht, weil es langweilig ist zu wissen, dass man mit seiner Annahme von Unpassenheit und Sinnlosigkeit recht hat, aber umgeben ist von Menschen, die außer reaktiver Potenzschutzideen erstmal nichts äußern (können/wollen/dürfen).
Es ist nicht die Frage, was Hochbegabung ist oder Intelligenz und auch nicht die Frage, wie man es schafft, seine Fähigkeiten so zu nutzen, dass sie passend sind. Es ist die Frage,  was und wem es nutzt, wenn man das anstrebt, umsetzt und sich auf eine Art angleichen kann, die einen befähigt im gleichen Kosmos wie andere zu leben. Sich also integriert. Fremd unter Fremden ist, aber auf dem gleichen Stück Land herummetabolisiert.

Und was, wenn man das nicht tut? Weil man es nicht kann? Weil Integration auch mit Privilegien und Fähigkeit zur Angleichung einhergeht und bestehende Definitionsmächte unangetastet lässt, was eine dumme Idee ist – sein muss, gerade dann, wenn die halbe Republik über Inklusion spricht und sich nicht mehr als *ist_in auf irgendeiner Achse bezeichnen lassen will.

Der Mensch hatte gesagt: “Man könnte fast sagen, was Ihnen ist passiert ist, könnte man auch ein psychiatrisches Verbrechen nennen”.
Während im Inmitten alles zuging, nickte ich und versuchte zu vermitteln, dass ich das weiß.  Und es immer ungesühnt bleiben wird. Aus Gründen.
Der erste psychiatrische Straftatbestand, war der erste IQ-Test, die ersten Gespräche in einer psychologischen Familienberatungsstelle um herauszufinden, ob und wenn ja, wann ich mich suizidieren würde.
Da war ich 13/14 Jahre alt und hatte mich in eine Lehrerin “verliebt”, dachte ich hätte einen Hirntumor, der meine Amnesien und Wahrnehmungsprobleme verursachen würde, war komisch, gewaltvoll, arrogant, allein und hatte keine Wörter an Menschen zu richten, die sie begreifen würden.

Es gibt Verbrechen, die entstehen, weil man Wahrheiten macht, die keine sind, weil es keine gibt.
In jedem Machtspiel gibt es Verlierer_innen. Im psychiatrischen Machtspiel braucht es sogar Verlierer_innen, weil die Rettungslogik sonst keine Basis mehr hat.
Es gibt Menschen, die halten Hochbegabungen für etwas, das positiv ist. Man folgt einer Art Rettungslogik und denkt, es ginge um ein Gutes in einem Menschen. Es ginge darum ein Potenzial zu finden, das urbar gemacht werden könnte. Warum? Weil man diesen Menschen ansonsten halt aufgeben müsste?
Wenn man sich anschaut, was heute mit Hochbegabungen verbunden wird, sieht man Kinder, die extrem spezialisiertes Wissen haben und anwenden. Schule, Universität, Leben fürs Wissen. Sie sprechen 3, 4, 5 Sprachen, können Bücher auswendig nachsprechen, sind Wirtschaftsgenies, sie lehren oder sammeln eine Auszeichnung nach der anderen.
Wer hochbegabt ist, ist nicht chronisch depressiv, misshandelt, arm, behindert, krank.  Wessen IQ die Grenze der 130 Punkte überschritten hat, ist ungenutztes und/oder ungeahnt (noch weiter) nutzbares Potenzial.

Besonderes Potenzial ist in unserer kapitalistischen Gesellschaft das, womit alles gerechtfertigt wird. Alles.
Auch die Ignoranz des Leidens unter Besondersmachung und Nichtentsprechenkönnen, von all dem was noch im Leben eines Menschen sein können soll, wenn er in einem Test eine bestimmte Punktzahl erreicht hat. Auch die Ignoranz der Dynamiken von Neid unbeteiligter Dritter und Annahmen eines Stolzes, der in aller Regel gar nicht da ist.

Ich habe nach dem Ergebnis damals gedacht, ich müsse zwangsläufig gut in der Schule sein – müsse noch sehr viel mehr müssen und können als ich konnte. Ich habe mich gnadenlos überfordert und natürlich alles allein zu lösen versucht.
Erst durch mein ebenfalls hochbegabtes Geschwist habe ich gelernt, dass es verschiedene Arten von Intelligenz gibt.
Dass meine Hochbegabung nicht darin liegt Inhalte zu kopieren, abzuspulen und innerhalb des Inhaltsesystems allein anzuwenden, sondern darin, Muster in unterschiedlichsten Komplexen zu finden, mit allem was mir begegnet zu verbinden und im Kopf zu aufeinander aufbauenden Komplexen weiter zu konstruieren.
Ich gehöre zu den Konstruierer_innen und nicht zu den Wiedergeber_innen und genau deshalb ist die klassische Schule, wie auch der tradierte Universitätsbetrieb kein Ort für mich. Genau deshalb finden mich Menschen komisch – spätestens dann, wenn ich in Fahrt und in so einem Modus des “einfach Los- und  Rauslassens” bin.

Wir leben nicht in einer Welt, die alle gleichermaßen mitgestalten dürfen und deshalb auch können, wenn sie nur genug wollen.
Unsere Gesellschaft ist – um es mit den Worten von John Lennon zu sagen: ein Haufen misshandelter Kinder, die sich immer wieder an Personen abgeben, die für und über sie bestimmen.
Es interessiert niemanden, was ein Kopf kann, wenn es der Kopf von jemandem ist, der das falsche Geschlecht (Gender/*), die falsche Klassenzugehörigkeit, das falsche Alter, die falsche Hautfarbe, den falschen religiösen, kulturellen, spirituellen Hintergrund, die falschen Absichten, den falsch interpretierten Geisteszustand, den als falsch funktionierend eingestuften Körper unter sich hat.

Ich habe Angst vor meinen eigenen Schlüssen über das, was wir Menschen, wir hier in unserer Gesellschaft tun und warum wir es tun.
Es gibt keinen Moment, in dem ich aus vollster Überzeugung sagen kann: “Das wird mal für alle gut (im Sinne von befriedigend und nachhaltig lohnenswert zu leben) enden.”.
Und im Gegensatz zum gefühlten Rest der Welt ist mir das nicht egal, oder mit dummen (im Sinne von “einzig sich selbst (re-)produzierenden/stützenden”) Dingen zu überlagern. Ich kann nicht glücklich sein, weil mich dumme Dinge nicht glücklich machen können. Vor allem nicht, wenn ich das mit dieser kapitalistischen Potenzialrettungslogik verbinden soll.

Lebe ich noch, weil ich höflich bin oder, weil ich ein misshandeltes Kind bin, das sich an Personen abgegeben hat, die für und über es bestimmen, dass es noch leben soll? Oder, weil es mich dann manchmal doch fasziniert am eigenen Leib zu sehen, wie wichtig gesellschaftlicher Müll auch sein kann, um Werte stabil zu halten?

Werbung- eine Form von Gewalt

Einmal hatten wir fast „die Gluthitze“ dieses Jahr, doch nun knabbern die Nächte wieder mehr vom Tag weg. So langsam gleiten wir in den Spätsommer.
Nichtsdestotrotz finden sich hier und da noch immer die Urlaubsfotos von der scharfen Heidi Klum, der knackigen Gwen Stefani, den süßen Engeln von Victorias Secret und nicht zu vergessen dem unglaublich heißen David Beckham. Ein ganzes Menü!

Zum Fressen gern hat man sie- obwohl sie selbst von gefrosteten Weintrauben und Proteinshakes zu leben scheinen, um wie gewachste Früchte im Sortiment des Luxusbiokaufshauses von Klatsch und Tratsch zu erscheinen.
Ein Schelm, wer hier an Rotkäppchen und den großen bösen Wolf denkt; sich fragend, wie viel Nährwert diese Körper-Bilder wohl haben und wo diese ansetzen.

Irgendwann hatte ich mal getwittert, dass mir Unterwäschemodels sehr leid tun, weil sie immer „heiße Wäsche“ tragen müssen. Das müsse doch weh tun.
Sieht man die Hitze? Nö- was man sieht sind BHs, Schlüpfer, schwingende Babydolls und tief sitzende Boxershorts, die sich, vor allem im Sommer, wie Briefmarken auf Menschenfleischpaketen ausmachen.

Nein, ich will nicht darauf hinaus, dass zu wenig Natürlichkeit, zu wenig Speck, zu viele weiße* Menschenkörper, viel zu viel Sex(ualität) durch die Presse und Werbung wandert.
Mir ist die Sprache aufgefallen und es beschäftigt mich, dass viele Adjektive eine Nähe zu Nahrung oder Körperempfindungen haben, gerade wenn es um vermarktete Menschenkörper geht.

Vielleicht sind diese Worte wie eine Potenzpille eingesetzt?

Vor ein paar Jahren gab es Jogginghosen (für Frauen*) die über dem Po „juicy“ also „saftig“ stehen hatten.
Ein saftiger Po- in den Geschmacksrichtungen „Apfel“ oder „Birne“?
Oder nicht vielleicht doch eher saftig, wie die Konsistenz des Speichels der dem Betrachter aus dem Mund tropft?
Was genau meint die Bildunterschrift: „Ambrosio in heißem Bikini“ ? Warum ist der heiß?
Weil die Ohrfeige heiß brennen würde, würde mensch einfach zupacken? Oder, weil es heiß in der Unterhose wird?
Wo genau landet das „scharf“, das in fast jeder Fotostrecke von extrem unangezogenen Menschen auftaucht, bei uns?
Das scharfe Einatmen um seine Erregung zu unterdrücken oder die Würze im faden Alltagseindrucksbrei?

Wir Menschen essen um zu leben. Und leben um neues Leben zu produzieren. Oder eben nicht. Jede/r nach seinen Möglichkeiten oder Wünschen.

Sex ist eine Trieb-feder. Logisch also, dass die Werbung zu Sex-ismus greift.
Es geht um die Fortpflanzung, Lust, große Gefühle, also guckt mensch hin. Ich glaube, unsere Gehirne sind da alle mehr oder weniger gleich.
Doch ist es nötig?
Wer rennt mit einer Erektion in der Hose
zur nächsten Autoschrottpresse, zum Duschgel kaufen oder ruft gleich erst mal bei dem Aboservice einer Zeitung an?
Was passiert, wenn sich immer mehr Druck aufbaut, weil von allen Seiten starke Reize auf einen Menschen einwirken? Richtig- es gibt Stress und die Notwendigkeit zur Kompensation- vielleicht in Form von „Einkaufen“? Wenn schon nicht die beworbenen Güter, so doch Mittel und Möglichkeiten, diesem Körper- und/ oder Rollenbild zu entsprechen.

Stress ist ein Katalysator für viele physische Prozesse, bis in unsere Gene hinein.
Ja, unsere Gene. Die Dinger, die mittels Sexualität weitergegeben werden, wenn wir uns fortpflanzen.
Sind wir gestresst, werden Gene mittels Neurotransmittern an- oder abgeschaltet. Sind wir chronisch gestresst hat dies direkte Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Sowohl physisch als auch psychisch.

Als Mittel dagegen werden aber nicht etwa: „Fernseher aus und Reizüberflutung meiden“, sondern wiederholt „Tu dir mal was Gutes- geh ins Kino oder shoppen- oder mach mal Urlaub, wie die sexy Klum“ angepriesen.
Introjektion und Selbstbesinnung könnte dazu führen, dass mensch das, was mensch als „sexy“, „knackig“, „heiß“, „süß“ – eben essbar (im Sinne von „konsumierbar“) dargestellt bekommt, enttarnt und ergo nicht mehr als passender Rezipient zur Verfügung steht.
Wer sich seiner (sexuellen) Präferenzen bewusst ist und nicht auf diese Art der Bebilderung anspringt, der muss eben über die Sprache noch dran glauben.
So werden Adjektive, die physische Empfindungen implizieren, zur Potenzpille. Vielleicht wie eine Art Zwangsviagra, das jede/r zu schlucken hat und mehr oder weniger stark darauf reagiert.

Die Einen mit (vielleicht nicht einmal bewusster) sexueller, die Anderen mit emotionaler Erregung. In diesem Bild wäre also die Kritik an sexistischer Werbung eine Art Nebenwirkung einer Zwangsmedikation.

In jedem Fall kann von „aggressiver Werbung“ gesprochen werden und das nicht nur wenn selbige sexistisch ist. An dieser Stelle beginnt Kapitalismuskritik, als Kritik an einer Form von Gewalt.
Neulich sah ich ein Plakat mit der Aufschrift: „Außenwerbung trifft.“.
Ich konnte, vor allem nach den sexistischen und auch
rassistischen Komplettangriffen der letzten Zeit, nur noch denken: „Oja- und wie sie trifft!“.

116203_web_R_by_Jörg Klemme, Hamburg_pixelio.deFür mich persönlich ist jede Werbung, die sich in Bild und Ton präsentiert schon zu viel.
Durch den toxischen Stress dem ich früher ausgesetzt war, haben sich jede Menge auch biologische Anpassungen entwickelt. Toxischer Stress ist „normal“, wenn man ein Trauma erlebt- erlebt man viele und hat ständig damit zu rechnen, erneut eines zu erleben, passt sich der Körper an.

Auch hier wieder der Bogen zu den Genen: Erleben Menschen Stress, wird eine von Genen gesteuerte Produktion von Stoffen angeregt, die neben den bekannten Fight-Flight-Freeze Optionen, auch Nervenzellen im Gehirn- genauer gesagt, dem Hippocampus, abtöten können. So erklärt sich auch der Masseverlust dieses Hirnbereiches bei Menschen, die als Kinder durchgehend miss-be-handelt und entsprechend traumatisiert wurden.

Um Reize aufnehmen und verarbeiten zu können, wird das Gehirn gebraucht. Und zwar möglichst funktional.
So ist, denke ich, meine Annahme, dass Werbung, in Form von immer aggressiverer Bildermast und Zwangsviagra in der Sprache dazu, eine Gewaltform ist.
Sie wird uns Menschen aufgedrückt und, weil sie uns nach und nach dabei das Gehirn kaputt macht, muss sie immer krasser werden, um überhaupt noch etwas in uns zu bewegen. Es ist ein Mittel, das erst über Nervenzellenleichen und dann über an chronischen Krankheiten gestorbenen Menschen steigt, um zu verkaufen. Stress im Übermaß beeinflusst auch das Immunsystem und entsprechend den Umgang selbigens mit Erkrankungen und sogar Zellwachstum- genau das macht das „Burn-Out-Syndrom“ übrigens auch tatsächlich zu einer realen Erkrankung und positive
soziale Pflege im Krankheitsfall so erfolgreich.

Ich schaue seit 5 Jahren kein Fernsehen mehr und selbst Filme und Serien nur in Maßen (heißt ein- zwei Sendungen am Tag á maximal 45 Minuten). Ich versuche mich der Werbung zu entziehen und habe dabei nur noch Erfolg, wenn ich entweder auf das Internet und den Gang vor die Tür verzichte.
Fällt es auf? Das ist ein „Häschen in der Grube“-Verhalten. Verstecken um geschützt zu sein, weil weg zu laufen keinen Zweck hat.

Das empfinde ich als Haft aus Schutzgründen.
Muss das sein?

Ich denke nicht.
Ich kaufe im Supermarkt, in der Drogerie oder im Bekleidungsgeschäft auch Güter, die nicht beworben sind. Da orientiere ich mich an dem, was sich mir direkt darbietet, was ich mir leisten kann und sich als passend herausstellt. Und das mache ich ganz freiwillig und einfach um mein Leben zu sichern.

Insofern könnte ein Punkt zur Veränderung vielleicht sein, klar zu machen, dass man in jedem Fall kauft- solange das Produkt gut ist und jede Werbung eine Überzeugungsgewaltanwendung darstellt.

So als erste Idee…