was ‘unsere Leute’ wissen sollten

Und manchmal geht es gar nicht darum, wie dringend ich verstanden und gesehen werden möchte, sondern darum, dass ich das Moment verpasse, in dem ich meinen Impuls übergehe, zu akzeptieren, wie dringend mein gegenüber mich und das, was ich sichtbar mache, ein_fach, simpel und leicht braucht.

Unsere täglichen Über.Belastungen sind für mich so üblich, dass ich die Menschen vergesse, deren größte Nähe zu großen, komplexen Problemen, der Kontakt mit mir ist. Manchmal und mit zunehmendem Kontakt zu anderen Menschen mehr, vergesse ich, dass es für sie ein großer Schritt aus einem Kosmos, in dem grundlegend alles als okay, einigermaßen heil, ausreichend gesund und genügend sicher wahr.genommen wird, ist, mit uns in Kontakt zu kommen.

Früher hatte ich das noch bewusster als in der letzten Zeit und habe Menschen in der Folge gemieden oder mich ihrer Sphären entsprechend angepasst.
Heute merke ich an vielen Stellen, welche Folgen so eine “aber eigentlich ist ja grundlegend alles heil und okay” – Haltung hat und bin konfrontativer. Will nicht hinnehmen, wie sich der Großteil der Menschen vor der Auseinandersetzung mit durchaus und bereits in der eigenen privaten Praxis veränderbaren Problemen, scheut oder verschließt. Will nicht akzeptieren, wie viele Menschen sich für etablierte Floskeln entscheiden, auch und teilweise sogar obwohl sie wissen, welche Aussagen sie damit auch treffen, obwohl sie sie eigentlich ablehnen.
Ich will nicht akzeptieren, wie viele Missstände by the way im täglichen Lauf hingenommen werden, weil jede noch kleine Veränderung zur Zumutung mutiert. Zu diesem einen großen Schritt in einen Kosmos hinein, in dem die persönliche , als heil und okay wahrgenommene Grundlage, schlicht nicht mehr da ist bzw. durch die etablierten kulturellen Praxen als inexistent erscheinen.

Andererseits ist es für diese Menschen eben doch manchmal eine Zumutung. Eine Überforderung. Eine Belastung, die man nicht halten kann, auch, wenn man sich grundsätzlich dazu bereit erklärt hat, sie auf sich zu nehmen.
Ich verpasse das Moment schnell, weil ich schneller bin in der Erfassung und Verarbeitung all dessen, was ist. Bis Menschen verstanden haben, was ich alles mitbedenke und worauf meine Formulierung einer Problem- oder Konfliktlage basiert, bin ich schon längst in dem Prozess der Verarbeitung des Gefühls unverstanden, ungesehen zu sein. Und manchmal eben auch des Eindrucks, umgeben von Menschen zu sein, die einfach keinerlei Resonanzboden für eine gemeinsame  oder einander verstehende Kommunikation bieten, oder dem, von Menschen umgeben zu sein, die plump drauflos raten und von sich auf mich und uns schließen und das für Gegenseitigkeit halten.

Ich nehme mir oft vor langsamer zu machen. Atmen, denken, warten, Gedankenstopp.
Leider bedeutet “Gedankenstopp” bei mir noch immer “dissoziieren”, weil es denkt, wie es denken kann – egal, ob ich das bewusst halten will oder nicht.
Dabei ist der günstige Verlauf noch der, dass, wann immer ich mir sage: “Stopp ”, mein Denken die 100 Shades of “Stopp” mit all ihren Auswirkungen, eventuellen Bedeutungen in diversen (allen) Kontexten und Fragen, die sich an diesem Umstand generell entlang befinden (like: Müssen sich Tiere –> Reptilien –> [neurologischer Aufbau und erforschte Befähigungen von Reptilien] eigentlich auch in ihrer Verarbeitungsgeschwindigkeit stoppen oder verhindert ihre neurologische Befähigung dies?) bearbeitet.
Die ungünstige Variante ist, dass ich irgendwo an eine Gedankenstelle komme, die etwas Unverarbeitetes (also Traumainhalte) negativ angetriggert und mich komplett aus dem Kontakt reißt und das ist leider genau die Variante, die ich und wir am Tag mehrfach erleben.

Und ja, das bedeutet auch, dass ganz übliche Missverständnisse oder Momente, in denen man einander erst einmal auf eine Ebene bringen muss, bei uns Wechsel auslösen und damit sogar unmöglich machen, dass manche Innens (so wie ich) überhaupt je erleben, wie sich ein Konflikt oder eine schwierige Situation in eine Gegenseitigkeit oder ein thematisches Verbundensein auflösen.

Wenn man ein bisschen was übers Vielesein weiß, dann weiß man auch, dass wir Innens jeweils andere Fertig- und Fähigkeiten haben und oft auch von sich sagen: “Mein Leben ist ein ganz anderes als das der anderen.”. Vielleicht hilft meine Beschreibung solcher Kommunikationsprobleme und ihrer Folgen ein bisschen besser zu verstehen, wie es zu dieser Aussage kommt.
In meinem Kosmos gibt es Zillionen ungeklärter Konflikte, in denen ich nicht gesehen werde und mit dem Gefühl zurückbleibe, eine Lösung sei immer irre wichtig – aber nie von mir machbar, denn ich habe nie erlebt, wie sich etwas, das ich aufzeige, in gegenseitigem Verstehen löst.

Mein Kosmos ist damit auch grundlegend nicht heil und okay und auch: nicht veränderbar.
Denn auch diese Erfahrung fehlt mir. Ich bin immer wieder damit konfrontiert, dass Menschen sich dazu entscheiden diesen meinen Kosmos aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus zu betreten und wieder daraus zu verschwinden, aber mit mir zusammen einen gemeinsamen zu bilden funktioniert nicht.
Ich kann nicht einmal bewerten, wie das für mich ist, denn erfahren habe ich das noch nicht. Aber meine Vorstellung davon, wie es wäre gemeinsam zu sein, ist schön. Immerhin schön genug, dass ich diese Erfahrung gerne mal machen möchte.

Manchmal spüre ich die Anstrengung des Gegenübers und nehme mir vor, es in Ruhe zu lassen. Ich mache mich selbst weg und verschließe mich vor der Person. Dann gehe ich aus dem Kontakt und nehme den Konflikt mit. Ich ordne ihn mein Bild davon, wie die Welt und das Miteinander für mich funktioniert und vielleicht, durch die mir durchgehend bewussten Wiederholungen bestärkt, auch immer nur laufen kann.

Und will all diejenigen beißen, die mir erzählen, wie grundlegend okay und heil doch alles eigentlich ist.
Wenn sie beim nächsten Mal über mich stolpern.

wenn man lebt, kann man lernen

Es ist Mittwoch und gestern haben wir uns aus der hiesigen Psychiatrie entlassen lassen.
Noch fließen Medikamente durch den Körper, die machen, das sich die Finger-, Zehen- und Zungenspitze taub anfühlen und wir uns tatsächlich einen Timer stellen müssen, damit wir uns selbst Schritt für Schritt durch den Prozess des “aufs-Klo-gehens” und “Nahrung* bereitens” zu hieven erinnern, wie einen nassen Mehlsack durch Treibsand.

Wir sind nachwievor so betrübt wie das Meerwasser vor Fukushima. Aber die Zeit zum nächsten Workshop, die Zeit zum nächsten Fotokurs, die Zeit zum nächsten Podcast ist nicht mehr so lang, dass der Gedanke, man könne sich ja bis dahin umbringen, damit es weniger lang dauert, keinen Raum mehr finden kann. Zu voll gestapelt ist der Kopf bereits wieder mit Folien, die zu füllen sind, mit Fachliteratur, die aufzufrischen ist, mit dem dicken Panzer, den wir brauchen, um zurecht zu kommen.

Heute morgen wachten wir mit Fieber und Husten auf und freuten uns darüber.
Offensichtlich hat uns etwas in der letzten Woche gut getan und psychophysisch soweit entlastet, dass sich der Körper neben allem auch ein Fieber zu leisten in der Lage sieht. Vielleicht war es der Schritt NakNak* vorrübergehend in Obhut von jemandem zu geben. Vielleicht war es der viele Schlaf. Vielleicht das psychische Einknicken und stückweise Runterbrechen auf das, was hinter uns funktionierenden Rosenblättern als rudimentäre(re) Schleife immer mitläuft. Vielleicht aber auch die Erfahrung, dass die Therapeutin solidarisch bleiben konnte, der Mensch (rätselhafterweise) irgendwie jeden Tag? für uns da war und wie noch immer verlässlich ist, womit man seine (Klein-) (Kinder-) Jugendzeit überstanden hat.

Wir haben aus den Tagen im Krankenhaus die Einsicht mitgenommen, dass wir wahrscheinlich nie eines der ungehörten kindlichen Gewaltopfer waren, sehr wohl aber eines der unverstandenen und mit (trotz der) besten Intensionen miss_be_handelten.
Menschen brauchen mehr als stereotype Schablonen um Schlüsse egal welcher Art aus dem Verhalten und Beworten anderer Menschen zu ziehen. Sie brauchen Zeit. Sie brauchen direkten Kontakt. Sie brauchen eine Routine miteinander, um individuelle Normen/Muster_Schablonen zu kreieren.
Und genau das ist es, was von Geburt an misshandelte Menschen zum Verhängnis wird. Denn: es gibt kein Vorher und kein Nachher.

Wir haben verstanden, dass wir diesen Teil unserer Traumatisierungen hier über das Blog wenn nicht reinszenieren, so doch Raum dazu übriglassen und zwar über die Kommentarfunktion und die vielleicht nicht häufig genug geforderte Reflektion derer, die sich an uns richten.
Entsprechend schließen wir die Kommentare hier bis auf weiteres und erleben das als gleichzeitig schade, wie wichtig.

Einerseits gab es hier nie eine Flut von Kommentaren – andererseits gibt es hier jede Woche mindestens einen übergriffig wie unangebrachten Rat_Schlag, verbale Verletzungen und immer wieder auch Kommentare von Menschen, die geflissentlich übersehen, dass das Blog von Vielen in über 900 Artikeln bereits vieles von dem was als fehlend angemerkt wird, besprochen hat.
Es wird gern vergessen, dass wir gerade 29 Jahre alt sind und unsere konkreten zwischenmenschlichen Gewalterfahrungen im Rahmen organisierter Gewalt gerade einmal 8 Jahre her sind.
Wir sind keine Person, die durch ihre Traumafolgestörungen aus scheinbar geordneten Bahnen gefallen ist.
Wir leben, wachsen, entwickeln uns. Über das Blog tun wir das quasi in aller Öffentlichkeit– und sind gleichzeitig noch so weit davon entfernt, uns selbst erfassen und halten bzw. tragen zu können.

Heute morgen habe ich gespürt, wie viel von unserem Alltag in Krisenzeiten wie jetzt von einem völlig fremden inneren System getragen wird und ganz ehrlich: nach inzwischen 13 Jahren unter der Diagnose der dissoziativen Identitätsstruktur war und ist das das Letzte mit dem ich gerechnet hätte.
Dabei ist es so logisch: Man kann nicht bewusst für Dinge sein, die unbewusst sind bzw. die unbewusst im Sinne von “in einem dissoziativem/dissoziiertem Zustand” getan werden.

Je näher wir an Routinen und geordnete Bahnen kommen, desto mehr bricht auf und in sich zusammen, weil immer weniger Energie in Dissoziation, als in Assoziationen am eigenen Sein fließt. In diesem Jahr haben uns die Aufnahme des Vorstudiums an der Kunstschule, das Hineinfuchsen in die Rolle eines Wissen vermittelnden Menschen, der bestätigte Verdacht des auch autistisch seins, einen erheblichen Schritt näher an das, was man “geordnete Bahnen” nennen könnte, gebracht.
Genauso wie die Erkenntnis weder Inklusionspüppi noch feminist riotgrrrl zu sein. Weder Freundin noch Feindin zu sein. Weder Mann noch Frau zu sein. Im stetigen Zweifel ein Mensch zu sein. Nicht zu sein, was andere in und an dem sehen, zu sehen glauben, was ist und als Schluss ins eigene Bild von “Hannah C. Rosenblatt” hineinmeißeln, ohne sich selbst, ob der eigenen Fähig- und Fertigkeiten als Meißelnde_r zu hinterfragen.

Wir haben uns, obwohl nachwievor depressiv, instabil und in einigermaßen desolatem Zustand entlassen _müssen_ , weil uns das von außen unreflektierte Unverstanden sein, in einen Zustand triggert, der über “dysfunktional” hinaus geht und nicht kompensierbar war.
Wenn die, die einem helfen wollen/sollen/möchten nicht verstehen können/müssen/sollen, dass sie nicht verstanden werden und nicht verstehen, dass ihnen genau das gesagt wird, dann ist es vielleicht, wenn nicht das überhaupt grundlegende Drama der Irren ™, so doch auf jeden Fall unser ganz persönliches.

Wir denken darüber nach, in wie weit der Autismus und auch unser viele sein – zu allererst aber doch unser in Gewalt aufgewachsen sein, uns zu einem Menschen macht, der Unterstützungen und Hilfen jeder Art, nicht ohne Erklärungen und grundlegendes Verständnis ihrer inneren Mechanik anzunehmen in der Lage ist.
Wo beginnt eigentlich der Wunsch nach dem Verstehen der Hilfe und wo geht es viel mehr um ein so tief verwurzeltes Misstrauen in die menschliche Spezies, dass wir uns ausgeliefert und dem Tode nahe fühlen, sobald wir nicht mehr verstehen, was warum und wie genau passiert?
Und was ist es, was da wie eine Sirene meine Innenansicht benebelnd schreit, in dem, was wir “das Inmitten” nennen, ohne selbst konkret zu wissen, was wir damit meinen?

Mir ist heute eingefallen, dass wir nicht für Menschen schreiben und doch immer versucht haben für das Verständnis von Menschen zu schreiben.
Ein anderes Innen lehnte sich zu mir und legte eine Erinnerung dazu.
“Ich kann jetzt noch nicht sterben, weil ich noch nicht verstanden habe, wie die Menschen funktionieren.”.
Das hatte die 16 jährige „Darkcloud“ ihrer Lehrerin anvertraut. In einem dieser nahen Momente. Damals. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie, als alles – zumindest äußerlich – noch tausend Mal schlimmer war, als heute.

Heute steht in unserer Nicht-Suizidvereinbarung: “Grund für die Bindung [an den Vertrag] = Wörter/ Kommunikation finden [mit Therapeutin, dem Menschen, der Begleitenden]” und als vielleicht das “rosenblattsche inner perpetuum mobile” die Erinnerung “Wenn wir den Vertrag brechen, werden wir nichts mehr lernen (finden) können”.

Vielleicht ist es also gut, wie wichtig, wie lebensrettend, dass wir uns dem Unverständnis der Menschen hier immer wieder ausgeliefert haben.
Vielleicht hätten wir die Teilchen so nicht verbinden können.
Vielleicht, lapidar gesagt, mussten wir halt 8 Jahre auf die Fresse fliegen, Rat_Schläge einstecken und an unserer Fähigkeit der Kommunikation ver_zweifeln bis wirs endlich kapiert haben.

Man lernt halt nie aus.
Wenn man lebt.

Autismus und DIS #4

Es gibt diese Tage von denen man nicht weiß, dass es Tage sind. Dieses Sein voll Reiz und Reaktion, ohne irgendeine Dimension, die ihre Hand austreckt und vor dem Ertrinken bewahrt.
Wenn man den Absprung aus dem intrusivem Erleben in die Orientierung hinein nicht geschafft hat, sondern von Impuls zu Impuls springt und froh ist, wenn man einen Fetzen seines Intellekts sieht und sich ver_stehend erlebt.

Wir müssen sortieren. Vor der Flut des Innen und Außen stehen wir. Sind seltsam unberührt, doch Schreie fühlend, die aus dem Inmitten quellen, dringen und drängen wollen.
Man kann nichts damit anfangen, weiß keine Reaktion und am Ende ist der Impuls egal, obwohl er macht, das man kopflos getrieben wird.

Während die einen noch vor dem Wort “Autismus” stehen, als sei es ein Kleid, in das hineinzuschlüpfen, man sich errechnen muss, obwohl die Zahlen im Kopf weh tun, ruft es im Innen nach einer höheren Instanz, die anleitet und beruhigt. Sicherheit, Entlastung schafft.
Andere lauern auf ihren Moment an ihren Projekten zu arbeiten – um ihr Ende finden und genießen zu können, um sich von der helldunkelbunten Masse  des Inneren lösen zu können, die stiert und starrt und dumpf pulsend versucht das eigene Sein möglichst wenig fühlen.

Es ist der Gedanke, die Verheißung, die Idee, ein Sein – ein Sosein zu haben, das nicht impliziert ein So-tun-als-ob-Spiel zu spielen, damit man überleben kann.
Die Idee, dass kein Innen mehr so tun müsste, als wäre es wie die, mit denen sie es zu tun haben. Die Verheißung, aufhören zu können diese eine Kluft zu überbrücken zu versuchen und trotzdem noch zu sein.
Das ist ein Maß an Orientierung, im Hier und Heute, das wir nicht kennen.
Das wir nicht sortieren können, weil es zu viel bedeutet.
Es bedeutet nicht nur anzuerkennen: mein Innenalter, entspricht nicht dem Körperalter; mein Selbst ist von einem fragmentierten Ich (vielen ichs) umgeben und definiert oder “ES und DAS DA ist vorbei” – es bedeutet auch: Die Kluft ist wirklich und das Spiel “So tun, als ob sie überwindbar sei”/ “So tun, als ob sie nicht da wäre”, könnte jetzt aufhören. Ist vielleicht schon vorbei und wartet darauf, dass auch wir aufhören.

Es bedeutet Gespräche für andere genauso anstrengend wie für uns zu machen.
Indem wir aufhören so zu tun, als würden wir wissen, was das gegenüber meint. Indem wir schweigen, wenn eine Antwort von uns bedeuten würde, sie wäre unbefriedigend eingedampft für uns – aber bereichernd und inspirierend für andere. Indem wir äußern, wann wir verwirrt sind, uns gestört, bedroht, unberührt fühlen.

Es bedeutet Alltagsgewalt an uns zu unterlassen und uns in der Folge nicht mehr zu Konventionen zu zwingen, die uns unsinnig und schmerzend erscheinen.
Es bedeutet zuzulassen, dass das Konzept von innerer und äußerer Sicherheit, die Gewalt an uns bedeutet, die wir wahrnehmen doch bis heute nicht nach außen getragen haben, weil die Norm es nicht gern hat, normativ genannt zu werden.
Es bedeutet Selbstfürsorge als so schwer und überfordernd sichtbar zu machen, wie wir sie erleben.

Es bedeutet ein Zugeständnis an die Alleinigkeit, den Autismus als Lebensform, vor dem man sich verschlossen hat, weil unsere Gesellschaft die Alleinigkeit mit Einsamkeit, mit Asozialität und darüber mit Anormalität verbunden hat und so tut, als wären Kluften, wie die über deren Überwindung wir uns schon unser ganzes Leben lang aufrauchen,  schlicht inexistent, weil nur wir sie spüren.

Es bedeutet ein Zugeständnis an den Unterschied zwischen der Einsamkeit der Opfer und derer, die Opfer waren und der Einsamkeit, die sich aus Inkompatibilität und Lügen_leben ergibt.
Es bedeutet die Anerkennung einer Isolation, die beides ist: Entlastung und Auslieferung

Es bedeutet: Dinge werden sich verändern.

Herzensangelegenheiten #6

“Und das ist also Apparatemedizin”, denke ich, während ich meine Arme vor meinen nackten Oberkörper verschränke und warte.

“Ich bin ein Wellenbrecher”, denke ich. “Ein FlashFlashFlashwellenbrecher…”, ich lache beinahe, weil ich die Melodie von Flipper im Kopf habe. “Denn das ist ein Flää’ hääsch Flää’ hääsch ti didel di …”.

Die Krankenschwester, die mir sagte: “Machen Sie ihren Oberkörper ganz frei und legen die Sachen dorthin.”, steht mit dem Rücken zu mir und tippt in einen Computer.
“Können sie mir sagen, was jetzt gleich passiert bitte?”. Ich ärgere mich über das Bitte in dem Satz, weil – Hallo ich stehe halb nackt in einem Raum vor einer Fremden, in einem Raum mit 3 Türen, einer Liege, schwer einsehbaren Ecken und vielen Gerätschaften. Warum zum Teufel sage ich noch “Bitte”. Warum zum verdammten Mistdreckshenker muss ich darum betteln, mich orientieren und versichern zu können?

Ich denke: “Oh oh, wenn ich mich jetzt aufrege, dann verfälscht das die Werte.”. Und dann lache ich wirklich, weil ich schon seit 20 Minuten jenseits von cool bin und das auch weiß. “Scheiß auf die Werte”, denke ich.
Die Krankenschwester misst links und rechts den Blutdruck – warum ich dafür so ganz ausgezogen sein musste, verstehe ich nicht. Hinter mir brodelt es und ich zittere. Sie sagt nichts. Notiert die Werte.
Sie sagt, ich solle mich hinlegen. Ganz entspannt hinlegen. Und ich denke hochgradig ressourcengeimpft an eine Gitarre. Die ist auch immer gespannt, kann aber auch ruhig irgendwo herumstehen. “Das ist ein Fläää’ häsch Fläää’ häsch ti didel di…”

Ich weiß noch, dass ich früher immer irgendwie hart geworden bin und einfach nur hab machen lassen. N. der Wellenbrecher, der Stein in der Brandung.
Und jetzt liege ich da und auf meiner Brust saugen sich Elektroden fest. Ich lasse sie einfach machen. Lasse die Krankenschwester einfach machen. Ich bin ein Stein.
Ebenfalls sehr steinig ist die Ärztin, die in den Raum tritt. Sie schaut auf das Gerät, schaut auf die getippten Worte der Krankenschwester.
Fragt, ob ich rauchen würde. Ich hätte gern ein medizinisches Belohnungsbienchen dafür, dass wir vor inzwischen fast 3 Jahren aufgehört haben.

Sie fragt, weshalb wir da sind. “Zufallsbefund”, krächze ich.
Ich weiß, dass dieses Anamnesegespräch die einzige Chance für Patient_innen ist, sich irgendwie kurzfristig an ihre Behandler_innen zu binden. Kurz zu ermöglichen, miteinander durch die Untersuchung bzw. später auch die Behandlung zu gehen. Die ganzen Ziffern und Zahlen und Nummern und Werte schreddern uns das.
Die Ärztin fragt nur nach Zahlen und Werten, gibt Anweisungen zu atmen, während sie ihr Stethoskop auf meiner Brust umherschiebt.

Von innen kommt der Druck etwas zu sagen. Kontakt nach Außen zu machen, damit das Innen nicht so nah rückt. Ich weiß nicht mehr, welches Außen jetzt eigentlich das Richtige ist und bleibe still. Ich lasse machen und es ist egal. Wellenbrecher-N. ein Stück Fleisch unförmig, bleich, zerstört. Egal.

Ich soll mich auf die Seite legen während die Ärztin meine Lunge behorcht und dann einen Ultraschall vom Herzen macht.
Mein Herz ist schön.
Es hat kleine flatternde Klappen und bewegt sich in aller Ruhe.

“Na, die Aufregung geht jetzt langsam?”, fragt die Krankenschwester und ich würde sie gerne hauen. Wenn sie doch gemerkt hat, dass ich “aufgeregt” war, wieso zum – naja – hat sie nicht mit mir geredet?
Aber mein Herz wackelt noch immer so schön auf dem Monitor herum. Wir hören uns die Klappengeräusche an. Verfolgen den Blutfluss. Betrachten das Gewebe. Irgendwo innen lacht es, dass man das irgendwie auch Selbstberuhigung nennen könnte: das eigene Herz angucken.

Schade, dass sie nichts erzählt hat. Sie musste Zahlen aufsagen und Tasten auf dem Gerät anschlagen.
Ich denke, diese Gerätemedizin macht erstaunlich wenig Spaß, wenn die Menschen, sie nur benutzen, aber nichts von ihr haben. Also Spaß an der Nutzung oder Faszination oder so.
Ich bin hingerissen.

Und dann soll ich Fahrrad fahren und darf mich schon wieder nicht anziehen. Ich habe eine Jacke, die hätte offen bleiben können. Aber nein. Mich streift ein Kinderinnen und ich lasse es in den Wogen, die sich an mir brechen ertrinken.
Ich trete mechanisch auf eine Mechanik ein und die Untersuchungsmaschinistin aka Krankenschwester tippt auf ihren Computer ein. Die Ärztin bespricht ein Diktiergerät. Ich soll mich auf eine Zahl konzentrieren und diese halten. Die Nummer 60 und ich werden Untersuchungsbegleiter.

“Ihr Herz funktioniert gut soweit. Was sie da haben, haben viele andere auch und können gut damit leben. Es ist wie Sommersprossen. Niemand weiß woher man das bekommt und es geht nie wieder weg.”, sagt die Ärztin, als sie mir zum ersten Mal konkret gegenüber sitzt.
Auf einem Zettel, den sie mir reicht steht, was wir machen können, um unser Herz zu entlasten.

“Sie werden nicht sterben” von jemandem zu hören, steht nicht auf diesem Zettel.

“fett”, “dumm”, “ungenügend”, “falsch” sind keine Gefühle

Das Video hat mich daran erinnert.
“fett” ist kein Gefühl. “dumm” ist kein Gefühl. “ungenügend” ist kein Gefühl. “falsch” ist kein Gefühl.

Das sind Zuschreibungen. Wertungen.
Und auch wenn ich sie ständig und immer, in allen möglichen Variationen im Kopf habe, sie höre, sie als Tritte, Stöße, Ziehen, Reißen, Kratzen, Brennen, Wucht und Energie in und an mir fühle, sind sie nicht von mir gemacht. Selbst wenn sie als Stimme aus mir herauskommen, meine Haut tragen und mein Leben an sich nehmen. Sie sind nicht ich.
Sie sind in mir geworden.
Weils nötig war. Weil Menschengehirne – weil Leben auf Spiegelung und Kopie beruht.

Mir ist aufgefallen, wie oft davon gesprochen wird von etwas oder jemandem getriggert zu sein. Trigger zu meiden oder einen Umgang zu finden. Immer wieder geht es um Trigger und darum bestimmte Handlungen zu unterdrücken. Zu vermeiden. Umzulenken.
Es geht nicht darum zu sagen: “Ich fühle wie damals, als eine Person, der ich mich unterlegen fühlte/von der ich abhängig war, mir sagte, ich sei fett, dumm, ungenügend, falsch, weil sie mich demütigen, abwerten, unterdrücken, brechen, verletzen, zerstören wollte.”. Es geht nicht darum zu sagen: “Ich erinnere mich an eine Gewalterfahrung.” oder “Diese Situation, unser gemeinsamer (sozialer) Kontext erinnert mich an eine Gewalterfahrung.”.
Es geht um Trigger_reize und darum das Framing dieses Begriffes zur Abstraktion von Gewalt und ihren Folgen zu miss-ge-brauchen.

Was ein Trigger ist, ist schnell erklärt und jede – wirklich jede Person versteht das Reiz-Reaktionskonzept “Trigger”.
Aber wird es auch begriffen? Wird mit der Erklärung des Begriffs – der Bewortung eines Vorganges, begriffen, dass es um die Folge eines An- und Eingriffs in das gesamte Denken und Werten bezüglich jeder Regung innerhalb eines Individuums geht?
Nein.

Oft passiert es sogar, dass eine Spaltung aufgeht, was ein “echter Trigger” sei und was “ein irgendwie anderes Dings”.
So gibt es die Idee, dass ein echter Trigger direkt zum Flashback oder zum dissoziativem Symptom führt und alles andere einfach schon immer so sei und vielleicht bei jedem sogar gleich. Denn schließlich fühlt sich ja heutzutage jede x-te Person “fett”, “dumm”, “ungenügend”, “falsch”.
Obwohl genauso jede Person wissen kann, dass das keine Gefühle sind.

Aber wie oft setzt man sich schon hin und denkt darüber nach, wie man sich eigentlich fühlt?
Wann kann man sich Gefühle eigentlich erlauben?
Wann kann man seine Gefühle ertragen oder aushalten?

Sicher nicht, wenn man glauben muss, man sei fett, dumm, ungenügend und falsch.
Ganz sicher nicht, wenn man andere Zuschreibungen nicht gleichsam wahrnehmen darf. Und ganz sicher nicht, wenn man sie sich nicht einmal zu erlauben überlegen können darf.
Weil man auf den “richtigen Trigger” warten muss, bis das zu etwas werden darf, das man als nicht von sich kommend markieren kann.
Weil es eine neue Machtinstanz* mit eigener Sprache erlaubt.
Nicht etwa man selbst.

 

*hier: die Psychotherapie/Psychologie als Wissensmacht ergo Gewalt

K.r.ämpfe

Es ist eine Autoritätsperson, die ihr etwas beibringen soll.
Sie möchte das. Fragt an dem Kloß im Hals vorbei. Wird losgeschickt. Ohne Zielangabe. Um der Erfahrung Willen. Natürlich. Wozu auch sagen, was auf sie zu kommt? Wozu auch vorbereiten – das Leben fragt auch nicht.
Die schwarze klebrige Farbe schwemmt Ekel hoch. Sie soll sie auf der Platte verteilen, mit Gaze in die Rillen drücken und vom Rest abwischen. Sie reibt und schiebt gegen das Erbrechen an. Ist still, wie die Jugendlichen um sie herum.
Es redet ein Junge im Kumpelton. Unter Kumpels ekelhaftes Zeugs anfassen, nicht wissen worum es geht – irgendwo wird nach Wörtern gejagt, um Luft gekämpft.
“Oh G’tt heute wurde so viel um irgendwas zum Festhalten, um Klarheit, um ein Später gekämpft.”. Die Welten krachen kreischend ineinander.

Es wird immer mehr ekelerregende klebrige Schwärze. Sie schaut hoch. Sieht in ein leeres Gesicht, das sie betrachtet. Erschrickt. Macht ihr verqueres Lächelgesicht. Reibt weiter. Die Autorität guckt. “Ich glaub, ich hab zu viel Farbe genommen – kann ich was tun, um…?” – “Ja ist gut, dass du zuviel genommen hast- das ist ne Erfahrung. Ohne gehts nicht.” umgeht er ihre Frage. Sie reibt. Kann sich wieder nicht durchsetzen.
Der Lehrer geht durch den Raum und redet von der Wichtigkeit von Fehlern. Alle wissen, dass es um sie geht. Niemand sagt etwas. Niemand sagt ihr etwas.

Sie steht auf. Sucht den Wasserhahn. Er steht vor ihr, breitet die Arme aus, versperrt ihr den Weg. “Nee jetzt nich Hände waschen, mach doch weiter – das ist doch…”

“Ja blöd ist das. Total blöd. So blöd. Ich bin so blöd. Ja ich bin so blöd. Ich bin so blöd, dass ich dachte, du bringst mir was bei. Ich bin so blöd. Wieso bin ich immer so blöd. Wieso gehe ich auch hier hin?”. Sie sagt: “N… kann nich.”.
Im Inmitten hat es zu schreien angefangen. Ein erster Krampf in der linken Hand bahnt sich seinen Weg.

Sie zieht sich an. Zittert, haspelt, stolpert mit ihren Lauten durch den Raum. Will was sagen und kann nur wurtscheln. Ein Kumpeljunge lacht. Ein zweiter stimmt ein. Kein Beistand. Keine Beruhigung. Kein Raum. Keine Luft. “Wieso bin ich so blöd Wieso bin ich immer so blöd Wieso bin ich hier hingegangen Wieso hab ich was gesagt”

Ein Zucken, das im Krampf endet. Lichtblitze. Rauschen im Kopf.
Wieso bin ich so blöd Ich habe vergessen, nach einem ruhigen Raum zu fragen Ich habe vergessen, mir einen Notfallkontakt unter den Lehrer_Innen zu besorgen Ich habe vergessen, mir ein Netz für solche Fälle zu machen Ich habe vergessen, nicht nur okay gefunden werden zu wollen

Ich habe vergessen, jemandem von meiner Behinderung zu erzählen
Ich habe vergessen mein Lernumfeld barrierenärmer für mich zu machen
Ich wollte hier nichts von “diesem DAS DA” haben

und liege kurze Zeit später auf dem Boden eines stinkenden Schulkos.
Hoffe, dass niemand – keines der gefühlten tausend Kinder und Jugendlichen, die im Schulgebäude herumlaufen – reinkommt und mich so sieht.

Ich weine ein bisschen, schaue der anderen beim Erdungstwittern zu, bemerke, wie andere überlegen, ob sie einfach in einen anderen Kurs gehen. Höre Gedanken zu einem Projekt, zu einer Gemochten, die wie ein weißes Rauschen schon den ganzen Tag begleiten. Das Inmitten ist still. Weint statt mir weiter. In meinem Innen herrscht Ebbe mit Springsinflut.
Die Erde dreht sich weiter.
Das unwillkürliche Zucken bleibt.
“Ich muss endlich einen Termin bei diesem special Neurologen machen”, raunzt es neben mir. Jemand wechselt Strumpfhose und Unterwäsche. Tastet den Kopf ab. Es ist so eine erbärmliche Krisenroutine. Oder erbarmungswürdig. So richtig weiß ich nicht, was ich dazu fühle.

Der Lehrer ist so einer, der sich vielleicht entschuldigt, aber nicht nachfragt, was schwierig ist. Er ist einer, der gesagt bekommen will und nicht begreift, was für ein Umfeld manches zu Sagendes braucht. Vielleicht lieber von Empfindlich- und Befindlichkeiten ausgeht, als von echten, komplexen Problemen, die auch irgendwie mit ihm, seiner sozialen Rolle, seinem Status zu tun haben, obwohl es mein Körper, mein Gehirn, mein einfach von Traumata schief und krumm verwurschteltes Ich ist, das quer schießt.

Als ich nach Hause gehe, höre ich Jugendliche einander “voll behindert” an den Kopf werfen.

Die Welt guckt komisch und die Erde dreht sich weiter.
Und heute nachittag werde ich ein Gespräch einleiten mit “Es tut mir leid, dass ich gestern aus dem Kontakt gegangen bin. Ich hätte dir sagen müssen, dass …”

Nichtbehinderte Menschen finden es meistens geil, wenn die Menschen, die Rücksicht auf ihre Behinderungen einfordern, so reden, als hätten sie eigentlich überhaupt nichts damit zu tun.
Als wären sie kein Teil der Barrieren.
Kein Teil des Lebens mit Behinderung eines anderen Menschen.

Sie finden es geil, wenn die Leute, die ein Problem haben, sich alleine drum kümmern. Sie finden es geil, weil sie dann denken können “Ach, dieses Inklusionsding ist ja total einfach.”. Sie findens geil, wenn sie nichts weiter wissen müssen. Sie findens geil, wenn die Behinderung etwas ist, was sie nicht stört.
Eigentlich wollen die meisten nur wissen, was sie potenziell stören könnte an meiner Behinderung.
Sie wissen ja nicht, dass ich weiß, dass ihnen das Herz einmal durchs Hosenbein rutscht, wenn ich irgendwo nahe einer der Altbautreppen hinfalle und einen Krampfanfall habe. Sie wissen ja nicht, wie das ist, kleinen Kindern zu erklären, “was die Frau da hatte”. Sie wissen ja nicht, wie mich Sanitäter_Innen und so ein Massenauflauf nach einem Anfall nur noch mehr stresst und meine Sprache ganz weg geht. Sie haben ja keine Vorstellung davon, was für eine innere Hölle Krankenhäuser in mir aufmachen. Sie wissen ja nicht, dass ich kein flexibles Notfallnetz mehr habe.

Beziehungsweise: Ich weiß, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass sie es wissen.
Die Mehrheit der Menschen lebt eben nicht mit dissoziativen Krampfanfällen nach komplexer Traumatisierung.

Die Mehrheit kann einfach mal losziehen und ihre Erfahrungen machen.

Macht_Struktur

Nach 8 Jahren wieder Schulbetrieb.
Massenschleuse und automatisierte Abläufe, die keine Augen haben.
Es gibt diese ganz spezifisch Desorientierung, die zum “neu sein” und “fremd sein” dazu gehört und eine Abhängigkeit erschafft, für die manche Personen nicht sensibel sind.

Steile These: es gibt so etwas wie Informationsbroschüren, Lagepläne und Laufzettel,
sowie automatisierte Abläufe, damit bestimmte Personen diese Sensibilität auch nicht haben müssen.
Manchmal glaube ich wirklich, dass Personen, die in Lehrbetrieben tätig sind, tatsächlich nur über die ständig perpetuierte Annahme, Kinder bzw. alle Personen, die +/- 5 Jahre jünger sind, als man selbst, seien “unfertige”/ “unterentwickelte”/unreife/ “unerleuchtete” Wesen, denen man “von Natur aus” alles häufiger sagen muss, sich überhaupt die Mühe machen, noch so etwas wie sachdienliche Informationen abzusondern. Obwohl eine verstehbare, stabil verlässliche Erklärung der Gesamtstruktur auch reichen würde.
Aber das würde ja Machtstrukturen auflösen, in denen Wissen Macht ist und einzig diese wiederum es ist, die den Unterschied zwischen den Personen macht.

Mir fallen solche Strukturen immer wieder auf und ich kann sie nicht ignorieren, wie es andere tun. Für mich ist es eine wirklich große Erleichterung, das auch so klar zu haben, denn oft genug wird und wurde mir vermittelt, es sei ein persönliches Problem von mir, ein Wille zur Macht oder Dominanz, ein willkürlich gesetzter Impuls zur Opposition von mir, wenn ich innerhalb (sozialer) Strukturen genau diese Komplexe aufzeige.
Mir liegt nichts daran andere Menschen zu beschämen oder sie zu entmachten, wenn ich ihnen sage: “Hör mal- du hast mir gesagt… aber du hast XY und deshalb…”. Meistens geht es mir in solchen Situationen darum klar zu machen: “Hallo – du hast gesagt, ich könnte mich auf dich verlassen/ du würdest mich versichern/ du würdest mir Möglichkeiten zur Orientierung geben und jetzt stehe ich hier und nichts davon nehme ich wahr.”.
Wären Menschen sensibel für Abhängigkeiten würden sie merken, wie schwer in mir die angetriggerten Empfindungen von ausgeliefert und verlassen sein, in einer potenziell lebensbedrohlichen Situation sein und so weiter, kreisen.
Einfach, weil nur wer Abhängigkeit versteht und begreift, auch Gewalt und ihre Folgen
versteht und begreift.

Wer spürt, dass es Abhängigkeiten gibt, der spürt auch die Gefühle ausgeliefert, verlassen, bedroht zu sein.
Wer Abhängigkeiten lediglich als etwas betrachtet, was man einfach mit einem neuen Ordner, einer neuen Aufgabe, einem Neuarrangement der Abläufe regeln kann, der wird sich von den Abhängigkeiten anderer Personen vielleicht eher ge- oder auch überfordert fühlen und sich mehr oder weniger reflexhaft darum bemühen sich selbst zu erheben. Notfalls auch mittels Individualisierung des Problems über Pathologisierung, Marginalisierung – schlicht: Ab- bis Entwertung der Person, die letztlich gar nichts weiter getan hat, als seine eigene Abhängigkeit offen zu legen.

Ich denke, dass es mir leichter fallen würde, solche Machtdynamiken und – strukturen zu übergehen oder zu ignorieren, würde ich einerseits weniger stark in traumaassoziierte Empfindungen getriggert werden und andererseits, mehr Handlungsalternativen haben und jeweils akut auch nutzen können.
Ich meide Gruppen in aller Regel nicht, weil ich Hierarchie ablehne oder, weil ich die Nasen der Personen nicht mag, sondern, weil ich sie in dem, was ich tun will in 90% der Fälle nicht brauche, um zu tun, was ich tun oder können möchte.
Ich gehe in Gruppen, weil ich etwas will und die Gruppe dazu ge-brauchen kann. Im Gegensatz zu manchen Personen, die diese Gruppen leiten oder auch nur organisieren. Die brauchen die Gruppe oft, um sie zu ge-brauchen – häufig wollen sie sie aber nicht. Weil sie Arbeit machen, Kraft kosten, viel schwere Verantwortung bedeuten und nicht zuletzt in eine Lage versetzen, in der eigene Abhängigkeiten etwas sind, das nie nie nie und nimmer Thema sein darf, weil sie potenziell am eigenen Machtstatus knabbern und es ein Risiko bedeutet, zu überprüfen, ob das tatsächlich so ist.

Man mag mir sagen: “Ätschibätsch – dein Wollen und Brauchen macht dich schwach und jetzt rufst du ein Mimimi in die Luft, weil dich das anpisst, anstatt dich selbst darum zu kümmern, dass du kriegst, was du brauchst.”. Von mir aus kann das jede Person sagen, die sich über solche Gewaltausübung an mir besser fühlt – es ändert aber nichts.
Nicht jedes Brauchen ist durch von Wollen geleitetem Kämpfen auch erreichbar.

Wäre dem so, gäbe es keine der Strukturen von denen ich gerade sprach.

getriggert

und manchmal erscheint es mir, dass die Welt wie ein Strom aus blubberndem Eiter kopf-über mich hinweg schleimt

dann eröffne ich einen Abszess in meinem Denken und ziehe ein sorgfältig beschriftetes Zettelchen heraus

Derealisation
Depersonalisation
Dissoziation
Reorientierung
Erwachsen mündig autonom

und dann halte ich ihn hoch und versuche mich wie Poseidon, Zeus oder wenigstens König Triton zu fühlen und Kraft meines Wissens die Situation zu beherrschen

In Wahrheit schwenke ich ein weißes Fähnchen aus Papier

es ist

und ich stehe unterm Wasser
lasse meinen Blick von den Schwaden vor meinem Gesicht forttragen
”Das ist heiß heiß heiß heiß heiß”
ein Gedanke, der keiner ist
sich Hut und Stock nimmt und einen Spaziergang über den Jordan macht

der Schmerz schießt durch meinem Kopf
streift die glitschige Watte aus Nichts, die ich so krampfhaft zu einem Seelensein zu formen versuche

“laufen lassen”
ein Impuls, der sich an mir herunterrollt
in Blut, Tränen, Wasser zu einer Pfütze um meine abgerissene Beine sammelt
um im Abfluss zu verschwinden

bin ich
verdisst
getriggert
überreizt
überfordert
reißend
eximplodierend, wie ein schwarzes Loch, das eine Sonne gebären will

ein Stoß von hinten
ein Schlag gegen den Kopf gegen Fliesen gegen Welt und Sein
ein Ankommen
Warten

Fühlen
Ruhen

ein Schrei, der den Wasserhahn herumreißt
mich anbrüllt
aufschlitzt
häutet

an einem Haken über der Realität baumeln lässt

Fassungslos in mich hinein sieht
Worte, Nähe, Arme um mich legt
weder Tränen noch Wasser von seiner Haut wischt

meine Schuld stapelt
meinen Selbsthass vermultipliziert
in den Myriaden des Niegesagten

im Kosmos des Ichweißauchnicht

kosmos

und . und . und .

Resilienz “Ich bin grad leicht zu erschrecken”, hatte ich gesagt.
Dachte: “Ich werde an einer Krankheit sterben, die einen komplizierten Doppelnamen mit “Syndrom” hinten dran hat. Ich muss zum Arzt- ich brauche Hilfe. Jetzt.”.

Und weiß Stunden später: Ich bin getriggert.
Der Gedanke ans Sterben, diese Einbahnstraße, die ich doch immer wieder überhaupt betrete, weil Sterben so viel Ähnlichkeit mit Stopp hat.
Ich denke die ganze Zeit: Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.

 

und

 

es

 

hört

 

nicht

 

auf

 

Der Gedanke an Hilfe, die Stopp machen soll. Jetzt.
Dieses Jetzt, das so keinen Millimeter Platz für “gleich” hat. Kein Quäntchen Raum für “ChipkarteNameGeburtsdatumAdresseWiesohabenSieeinenvernarbtenKörperMachenSiePsychotherapie?” erübrigt.
Diese Hilfe, die mein Leben rettet, während sie seine Ränder abschneidet und mit dem Hacken auf dem Boden verreibt.
Pulverisiert.
Zersplittermultipliziert.

Und nichts verändert, denn es ist doch irgendwie das Gleiche, wie das Gegenteil von Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.

Ich bin getriggert und in den Hyperarousel gekippt.
NakNak* schläft neben mir, das Laptop summt und irgendeine Macht beißt mir ein Loch nach dem anderen in den Beckenboden.

Ich kann malen. Ich kann denken. Ich kann Skills runter- und G’tt anbeten.
Ich kann alles, was ich will.
Außer machen, dass es aufhört.

Von Schwester Britta weiß ich, wie man Pulse zählt.
Von Doktor House weiß ich, was eine Carotismassage ist.
Von Emergency Room weiß ich, dass es super ist, so etwas mal zu können.
Im Notfall.
Wenn Sterben ein Thema ist und wie ein Klangteppich aus Piepsen und Synthesizern über der Szenerie wabert.

167
158
153
150
145 Pulspochklopfer von unter der nerventoten Haut an meinem Handgelenk
Wie das Herz eines Tierchens, das ich mit der Bewegung streichle.

Ich schaue mir Pickeldy und Fredrick an und amüsiere mich.
Ich lache und lasse eine riesenhafte Faust meinen Leib aushöhlen, wie einen Kürbis.

Lachen ist gesund. Wirkt auf den Blutdruck ein.
Es macht das auffällige Tierchen in meinem Hals zu einer friedlich schlummernden Kugel nahe am Kiefergelenk.

Dann war ich allein mit meinem Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.
Dem
Bitte
ohne Satzzeichen
ohne Adressat
ohne Briefmarke drauf

in einer Flaschenpost durch meinen Kopf

Diesem Bitte und Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt, mit dem ich mein Hier und Heute verkorke.
Mir eine Insel erschaffe, auf der ich mir die Dauerwerbesendung zur Illusion der Macht über sich selbst anschaue.

Mir Gedanken zur Theorie des Stoppsterbens mache und eine zweite Ibuprofen zusammen mit der Notfallmedikation in das schwarzblutende Loch unter meiner Brust fallen lasse.

“Ist gleich vorbei. Gleich schlafen. Gleich. und Bald. und Ja. und Schlafen. und Gleich.”, sage ich dem winselnden Klumpen rohen Fleisches unter meinem Menschenkostüm und warte mein Warten.