Herzensangelegenheiten #6

“Und das ist also Apparatemedizin”, denke ich, während ich meine Arme vor meinen nackten Oberkörper verschränke und warte.

“Ich bin ein Wellenbrecher”, denke ich. “Ein FlashFlashFlashwellenbrecher…”, ich lache beinahe, weil ich die Melodie von Flipper im Kopf habe. “Denn das ist ein Flää’ hääsch Flää’ hääsch ti didel di …”.

Die Krankenschwester, die mir sagte: “Machen Sie ihren Oberkörper ganz frei und legen die Sachen dorthin.”, steht mit dem Rücken zu mir und tippt in einen Computer.
“Können sie mir sagen, was jetzt gleich passiert bitte?”. Ich ärgere mich über das Bitte in dem Satz, weil – Hallo ich stehe halb nackt in einem Raum vor einer Fremden, in einem Raum mit 3 Türen, einer Liege, schwer einsehbaren Ecken und vielen Gerätschaften. Warum zum Teufel sage ich noch “Bitte”. Warum zum verdammten Mistdreckshenker muss ich darum betteln, mich orientieren und versichern zu können?

Ich denke: “Oh oh, wenn ich mich jetzt aufrege, dann verfälscht das die Werte.”. Und dann lache ich wirklich, weil ich schon seit 20 Minuten jenseits von cool bin und das auch weiß. “Scheiß auf die Werte”, denke ich.
Die Krankenschwester misst links und rechts den Blutdruck – warum ich dafür so ganz ausgezogen sein musste, verstehe ich nicht. Hinter mir brodelt es und ich zittere. Sie sagt nichts. Notiert die Werte.
Sie sagt, ich solle mich hinlegen. Ganz entspannt hinlegen. Und ich denke hochgradig ressourcengeimpft an eine Gitarre. Die ist auch immer gespannt, kann aber auch ruhig irgendwo herumstehen. “Das ist ein Fläää’ häsch Fläää’ häsch ti didel di…”

Ich weiß noch, dass ich früher immer irgendwie hart geworden bin und einfach nur hab machen lassen. N. der Wellenbrecher, der Stein in der Brandung.
Und jetzt liege ich da und auf meiner Brust saugen sich Elektroden fest. Ich lasse sie einfach machen. Lasse die Krankenschwester einfach machen. Ich bin ein Stein.
Ebenfalls sehr steinig ist die Ärztin, die in den Raum tritt. Sie schaut auf das Gerät, schaut auf die getippten Worte der Krankenschwester.
Fragt, ob ich rauchen würde. Ich hätte gern ein medizinisches Belohnungsbienchen dafür, dass wir vor inzwischen fast 3 Jahren aufgehört haben.

Sie fragt, weshalb wir da sind. “Zufallsbefund”, krächze ich.
Ich weiß, dass dieses Anamnesegespräch die einzige Chance für Patient_innen ist, sich irgendwie kurzfristig an ihre Behandler_innen zu binden. Kurz zu ermöglichen, miteinander durch die Untersuchung bzw. später auch die Behandlung zu gehen. Die ganzen Ziffern und Zahlen und Nummern und Werte schreddern uns das.
Die Ärztin fragt nur nach Zahlen und Werten, gibt Anweisungen zu atmen, während sie ihr Stethoskop auf meiner Brust umherschiebt.

Von innen kommt der Druck etwas zu sagen. Kontakt nach Außen zu machen, damit das Innen nicht so nah rückt. Ich weiß nicht mehr, welches Außen jetzt eigentlich das Richtige ist und bleibe still. Ich lasse machen und es ist egal. Wellenbrecher-N. ein Stück Fleisch unförmig, bleich, zerstört. Egal.

Ich soll mich auf die Seite legen während die Ärztin meine Lunge behorcht und dann einen Ultraschall vom Herzen macht.
Mein Herz ist schön.
Es hat kleine flatternde Klappen und bewegt sich in aller Ruhe.

“Na, die Aufregung geht jetzt langsam?”, fragt die Krankenschwester und ich würde sie gerne hauen. Wenn sie doch gemerkt hat, dass ich “aufgeregt” war, wieso zum – naja – hat sie nicht mit mir geredet?
Aber mein Herz wackelt noch immer so schön auf dem Monitor herum. Wir hören uns die Klappengeräusche an. Verfolgen den Blutfluss. Betrachten das Gewebe. Irgendwo innen lacht es, dass man das irgendwie auch Selbstberuhigung nennen könnte: das eigene Herz angucken.

Schade, dass sie nichts erzählt hat. Sie musste Zahlen aufsagen und Tasten auf dem Gerät anschlagen.
Ich denke, diese Gerätemedizin macht erstaunlich wenig Spaß, wenn die Menschen, sie nur benutzen, aber nichts von ihr haben. Also Spaß an der Nutzung oder Faszination oder so.
Ich bin hingerissen.

Und dann soll ich Fahrrad fahren und darf mich schon wieder nicht anziehen. Ich habe eine Jacke, die hätte offen bleiben können. Aber nein. Mich streift ein Kinderinnen und ich lasse es in den Wogen, die sich an mir brechen ertrinken.
Ich trete mechanisch auf eine Mechanik ein und die Untersuchungsmaschinistin aka Krankenschwester tippt auf ihren Computer ein. Die Ärztin bespricht ein Diktiergerät. Ich soll mich auf eine Zahl konzentrieren und diese halten. Die Nummer 60 und ich werden Untersuchungsbegleiter.

“Ihr Herz funktioniert gut soweit. Was sie da haben, haben viele andere auch und können gut damit leben. Es ist wie Sommersprossen. Niemand weiß woher man das bekommt und es geht nie wieder weg.”, sagt die Ärztin, als sie mir zum ersten Mal konkret gegenüber sitzt.
Auf einem Zettel, den sie mir reicht steht, was wir machen können, um unser Herz zu entlasten.

“Sie werden nicht sterben” von jemandem zu hören, steht nicht auf diesem Zettel.


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