#2 „Ich höre zu“

„Ich fühle mich ungehört“, „Ich fühle mich nicht gesehen“, „Beachte mich.“ – sehr schwierige Sätze.
Ich kann mich erinnern, wie ich mit 14 ein Mal vor einigen Psychologiestudent_innen vorgeführt wurde und etwas in der Richtung gesagt habe. Stand damals war ich in der Uni-Psychiatrie „wegen Ritzen“. Denn so bleibt es bei den Kindern und Jugendlichen hängen. Sie sind nie in der Psychiatrie, „wegen Personalmangel“, „wegen Zufluchtsplatzmangel“, „wegen Fehlern, die ihre Eltern und andere Bezugspersonen gemacht haben“, sondern wegen „Verhalten XY“. Ich hatte damals gesagt, dass ich nicht mehr wusste, wie ich sagen könnte, was in mir vorgeht.

Für mich beginnt die Schwierigkeit der Sätze vom Einstieg genau dort: An dem Missverständnis von Verhalten in Zusammenhängen, als Verhalten von Personen. Also der Person, genauer ihrer Persönlichkeit, als Quelle von Verhalten.
Sagt man „Ich fühle mich ungehört“ wird das oft nicht als Hinweis an das Umfeld verstanden, dass man sich ausgeschlossen, unverbunden, missverstanden oder missachtet fühlt, sondern, dass man denkt, man habe ein Anrecht darauf, gehört zu werden. Was in gewaltvollen Kontexten als eine grobe Frechheit, eine dreiste Anmaßung, eine narzisstische Selbstüberhöhung, eine unberechtigte Forderung, ein Gewalt legitimierender Selbstausdruck einer unwerten kranken abweichenden falschen Person verstanden wird. Mit allen Konsequenzen.

Diese Erfahrung machen leider sehr viele Menschen in ihrem Leben. Die most casual Alltagsgewalt, die viele Kinder erfahren, ist der Satz. „Du willst doch nur Aufmerksamkeit“ und damit genau diese Verdrehung der Bedeutung ihrer Äußerung. Statt, dass sich ein Umfeld den Auswirkungen seiner Umgangsgestaltung widmet, stellt es die natürlichen Ansprüche einer Person infrage und macht sie damit illegitim. Kinder lernen so, dass ihre Bedürfnisse zu erfüllen eine Frage von Legitimation ist – also erst ein Mal alle damit einverstanden sein müssen, dass sie Bedürfnisse haben, damit sich darum gekümmert wird, sie zu erfüllen.

Gehört zu werden, ist so ein Bedürfnis. Für Kinder ist es sogar die Grundlage ihrer Überlebensstrategie. Sie können sich auf Distanz – bei fehlender Nähe also! – nur hörbar machen, um hoffentlich von denen wahrgenommen zu werden, die ihnen nichts Schlechtes tun. Kurios, dass wir in unserer Gesellschaft denken, irgendwann höre das auf. Dieser Drang, dieses Agieren zum Überleben. Obwohl doch alles, was wir tun, 24/7, von Anfang bis Ende unseres Lebens genau darum kreist.
Aber so funktioniert Ableismus. Die Verdrängung des Bewusstseins um unsere Sterblichkeit ist so umfassend, dass wir jede Schwäche, jedes gefährdende (Noch)Nichtkönnen und jede Bezugnahme darauf abwehren müssen. Auch, wenn sie von unseren Kindern kommen.

*

Für mich war der Satz „Ich höre zu“ immer wieder wichtig im professionalisierten Hilfe-, Unterstützungs-, Begleitungs- und Behandlungskontext. Auch heute noch.
Eine Erzieherin im Kinder- und Jugendnotdienst hat ihn mir gesagt, nachdem wir mein nasses Bett ab und neu bezogen hatten. Als wir eine neue Wohngruppe für mich gesucht haben. Bevor ich ihr gesagt habe, dass ich misshandelt worden war. Eva. K. Ich werds nie vergessen.
Eva hat mir damals einen Grundstein dafür gelegt, glauben zu können, dass „Ich höre zu“ einen Zauber einleitet und mich vom ewig unnötig rumnöhlenden Nervkotzbrocken zu jemandem verwandelt, die_r etwas zu sagen hat, das relevant für die Situation ist. Nicht, weil ich das sage, sondern weil ich Teil dieser Situation bin. Sie sich also auf mich auswirkt.

*

Zu „Ich höre zu“ gehört Aufmerksamkeit jedoch auch dazu. Und die ist tricky.
Denn einerseits ist Aufmerksamkeit eine natürliche Notwendigkeit zum Überleben in Gemeinschaft bzw. Gesellschaft – andererseits ist sie eine gestaltbare Folge von Wahrnehmung. Wir können entscheiden, wie wir reagieren, wenn wir jemanden wahrnehmen. Und wir haben wenig Kontrolle darüber, für welche Reaktion sich andere Menschen entscheiden.
Ich habe in meiner Herkunftsfamilie, aber auch später in Psychiatrien und anderen Gewaltkontexten immer versucht so unsichtbar wie möglich zu sein. Bitte nicht beachten. Nicht angucken. Denn immer, wenn mich jemand sah, war das ein Problem oder das, was ich als Auslöser für Gewalt an mir einordnete. Man kann nicht gleichzeitig gehört und nicht gehört werden.
Ein schreckliches Dilemma – wie sollte ich denn überleben?

Auch als jemand, die_r nicht gut darin ist, soziale Situationen zu lesen.
Ich war nie unauffällig. Nie das durchsichtig farblose Steinchen am Wegesrand oder das klitzekleine Insekt mit Tarnfarben, das ich sein wollte. Ich war das beste Spielzeug, das sich ein_e Sadist_in wünschen kann.

„Ich höre zu“ ist deshalb heute ein Satz, in dessen Zauber ich erst vertraue, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:

  • „Ich höre zu“ bedeutet genau das: Mir wird zugehört – ohne eine weiterführende Agenda
  • es wird gehört, was ich sage – nicht wie, wo oder wann ich es sage
  • es wird (für) wahr.genommen, was ich sage und nicht ohne meine Mitwirkung in Bezug gesetzt oder bewertet

Ich weiß, dass es für viele Menschen schwierig ist „einfach nur zuzuhören“. Vor allem, wenn man beruflich zuhört und darauf trainiert ist, im Gehörten alles Mögliche zu suchen, zu finden oder zu bemerken. Aber es ist genau dieses Training, das zu Automatismen führt, die wiederum zu Fehlern führen. Auch zu Wahrnehmungsfehlern. Zu gravierenden, sich sehr schlimm auswirkenden Einordnungsfehlern. Die man manchmal nicht einmal merkt. Oder auch nicht so gern merken möchte. Wenn man etwas zu verlieren hat, wenn man Fehler gemacht hat. Zum Beispiel.

Aber ich als Patient_in, Klient_in, Hilfe empfangende Person habe im professionalisierten Kontakt gar keine andere Wahl, als zu sprechen. Wir treffen uns in konkret abgesteckten Zeiträumen, mit ganz klar abgesteckten Grenzen des Miteinanders. Mehr als sagen, was ist, bleibt da nicht übrig.
Um so wichtiger ist es für mich, dass mir professionalisierte Helfer-Begleiter-Unterstützer- und Behandler_innen sagen, dass sie zuhören, wenn es das ist, was sie gerade tun.

’stuck in time‘

Zuletzt hatten wir es mit Innens zu tun, die an Dinge glauben, die nicht real sind. Das schreibe ich so, weil ich nicht „Blödsinn“, „Lügen“ oder „Traumawahrheiten“ sagen will, denn weder weiß ich näheres über ihre Ansichten noch bin ich mir schlüssig darüber, worum es dabei ~wirklich~ /eigentlich/ in WAHRheit geht.
Ich bin mir nur in einem sehr sicher, nämlich, dass sie deshalb irgendwie falsch sind. Besonders gefährlich vielleicht. Besonders böse. Besonders schlecht. Und peinlich. Doch gerade habe ich mir das neuste Video der CAT Clinic auf YouTube angesehen. „When alters (in OSDD and DID) are ’stuck in time‘
Vielleicht bin ich selber stuck in time, wenn es um Innens wie diese geht, dachte ich. Und ehrlich gesagt halte ich es sogar für sehr wahrscheinlich, je länger ich jetzt darüber nachdenke.

Erzählungen wie die in dem Video oder auch in manchen Fachbüchern produzieren den Eindruck, dass Innens sich für oder gegen die Realität entscheiden, weil sie sich nicht sicher fühlen. Sie misstrauen dem Neuen und halten deshalb lieber am Alten fest. Sie brauchen das Gefühl des Willkommenseins, der Akzeptanz und man sollte sie liebevoll in der Gegenwart aufnehmen.
Schon bei der Aufzählung habe ich den Wunsch, ein Kotzgeräusch zu machen. Nicht, weil ich die Vorstellung irgendwie kitschig oder romantisch verklärt finde (das auch, aber das würde mich nicht so in die Abwehr bringen) – sondern irgendwie auch voll colonizer style. Invasiv. Übergriffig. Als müsste ich in einem Panzer voller Liebesbomben sitzen und nur gut genug zielen, dann würde schon alles klar gehen.

Ich habe generell ein Problem damit, wie häufig über Kinderinnens oder auch jugendliche Innens gesprochen und gedacht wird, weil sie oft als niedlichere Personifikation des traumatisierten Opfers verhandelt werden oder als unberührte Unschuld, reinweiß und shiny in jemandem, die_r das ganze Leben durch den Dreck geschliffen wurde und nach Blutschweiß stinkt. Obendrauf kommt dann oft noch ebenjener Anspruch, sie in ihrer Perspektive doch bitte anzufassen zu verändern, weil wegen Realität und Gegenwart und isso, musso, iswichtigweildeshalbso.

Ich bin an diesem Anspruch gescheitert. Immer wieder. Das war meine, damals unsere, Existenz. Ich sitze vor einer Therapeutin, die vermittelt mir: „Da ist jemand, der_m wurde etwas eingeredet/die_r weiß nicht, dass es heute vorbei ist/die_r denkt, wir hätten 19 hundertxundneunzig – jetzt mach mal. Mach anders.“ Und alles, was ich machen konnte – like actual Können, war wegmachen. Unsichtbar. Klappe zu, Auslöser für den Wechsel zu diesen Innens vermeiden. Von einem Innen, das gut sprechen kann, zu einem System von Innens werden, das die Gegenwart kennt, vom eigenen Vielesein weiß, aber die Bedeutung dessen überhaupt nicht in sich bewegen kann, weil es immer wieder scheitert und scheitert und diese Wiederholung gut 9 Jahre durchlebt, bis es sich traut zu sagen, dass es immer wieder scheitert, weil es anders nicht funktionieren kann als vermeidend.
Daran habe ich in den letzten Jahren gearbeitet. Innerhalb meines Funktionssystems erfolgreich – vielleicht vermutlich sehr wahrscheinlich, weil ich darin niemanden groß in die Gegenwart lieben musste – außerhalb dessen, mit Basiserfolgen. Es macht mir keine Todesangst mehr Kinderinnens oder Jugendliche überhaupt irgendwie wahrzunehmen und es ist auch seit Jahren nicht mehr das schlimmste, was mir in der Therapie passieren kann, wenn jemand von ihnen dort auftaucht. Es ist weiterhin schlimm und ich darf nicht zu viel darüber nachdenken, aber ich klappe nicht mehr komplett in mir selbst zusammen und kann begreifen, was meine Therapeutin mir sagt, wenn sie sagt, dass es okay ist, wenn andere als ich mit ihr sprechen. Ich weiß, dass das in Anbetracht der Therapiedauer eigentlich erbärmlich ist, aber wenn ich mich selbst als Innen denke, das „in der Zeit stecken geblieben ist“, dann kann ich anerkennen, dass es schneller einfach gar nie hat gehen können.

In all den Fallgeschichten von Vielen sind gescheiterte bis traumatisierende Therapieversuche, misslungene Behandlungen oder grob schlecht behandelte Patient_innen nie Thema. Nur selten wird aufgearbeitet, warum Therapieansatz X für Patientengruppe A bis D konkret nicht funktioniert hat und soweit ich weiß, hat es noch nie eine Studie dazu gegeben, welche Auswirkungen schlechte, falsche, traumatisierende Psychotherapie in Menschen mit DIS hat.
Restpatient_innen wie mich gibt es in der Literatur nicht. Erst wieder als Patient_innengruppe für Behandlungsform/verfahren XY, die genau so definiert ist, dass unsere Vorbehandlung und ihre Folgen weder abgefragt noch sonstwie zu relevanten Markern werden. Die Praktizierenden der Traumatherapie befassen sich einfach nicht mit ihren Opfern Fehlern und das hat Auswirkungen auf sehr vielen Ebenen.

Manche davon habe in diesem Blog schon oft angerissen und ich will das jetzt nicht alles wiederholen, vor allem, weil ich in diesem Text einen anderen Punkt ausdrücken will. Nämlich, dass mir durch die Rahmung von außen immer vermittelt wurde, ich wäre orientiert. Ich wäre der funktionale Anteil. Die_r Erwachsene. Die_r Fähige. In vielen Punkten stimmt das – in manchen jedoch überhaupt nicht und das geht immer wieder unter. Besonders dann nämlich, wenn wir an Punkte kommen, die mein Entstehungstrauma berühren: Die Konfrontation von „verwirrten“/“unfähigen“/“hilflosen“/von mir nicht gezielt ansteuerbaren Innens im Kontext der Traumatherapie.
An diesen Stellen bin ich einfach nicht fähig. Da bin ich 16 Jahre alt und verstehe nicht im Ansatz, was die Erwachsenen um mich herum von mir zu kapieren verlangen – Vielesein, Dissoziation, Du erinnerst dich nicht, aber…, Wir helfen dir mit Fixierung und Betäubung, Du bist hier sicher, eingesperrt in einer Psychiatriestation – und bin so abgrundtief verloren in dem Auftrag etwas zu „reorientieren“, ohne zu wissen, wohin diese Re_Orientierung gehen soll; zu lieben, als etwas von mir willkommen zu heißen, obwohl (und weil) es doch irgendwie dafür verantwortlich ist, dass ich keine Familie, kein Zuhause, keine Gegenwart außerhalb der Psychiatrie mehr habe und deshalb erst recht keine Zukunft.

Und wie ist es jetzt. Meine Therapeutin fordert mich seit Jahren immer wieder dazu auf, zu differenzieren. Ich soll einen Unterschied erkennen zwischen damals und heute, als würde diese Erkenntnis etwas mit mir machen. Das passiert aber nicht. Ich sehe den Unterschied. Bin informiert. Bin orientiert. Aber Kenntnis allein bedeutet nicht auch Befähigung. Bedeutet nicht auch Ermächtigung.
Mal abgesehen davon hat es oft auch einen Anteil von Bagatellisierung dessen, was mich traumatisiert hat. Es ist immer auch eine Art drüberwischen und manchmal auch der Anspruch an mich etwas zu abstrahieren, was ich ohne Unterstützung nicht zu abstrahieren schaffe. Dieser Aspekt wurde im Video auch angesprochen und das hat mir ermöglicht, mich als „feststeckend“ zu überlegen, obwohl ich kein „Kind im Trauma“ bin. Kein_e „Jugendliche_r im Körper eines Erwachsenen“. Kein „von Täter_innen produzierter Anteil, der nicht wissen darf, dass alles vorbei ist“ oder jemand aus irgendeiner anderen Kategorie, die immer wieder benannt wird, um traumareaktives oder -antizipatives Verhalten zu rahmen.
Ich bin ein von schlechter Traumatherapie gemachter Anteil, der in Traumatherapie ist. Für mich kommt niemand aus dem System und betüddelt mich mit Gegenwartszucker, da bin nur ich. Und meine Therapeutin.

Ich spüre vor allem Druck, ihr doch endlich zu vertrauen. Druck, doch endlich zu glauben, dass heute alles anders ist, obwohl sich außer die Repräsentation (nämlich die Person, die therapeutisch mit mir arbeitet) überhaupt gar nichts von dem verändert hat, was mich damals in diese Lage brachte. Nichts und niemand außer mir schützt mich seit 20 Jahren davor wieder für Jahre in einer Psychiatrie eingesperrt zu sein, weil mein Inneres für zu desorientiert, desinformiert, w.irr, krank gehalten wird, um so gelassen zu werden wie es ist.
Und niemals steht das als Frage im Raum. Ob sie tatsächlich desorientiert sind oder sich anders orientieren als erwartet. Ob ich sie vielleicht erstmal kennen.lernen darf, bevor ich irgendwas an ihnen mache oder ihnen irgendwas einrede, was ich in seiner Bedeutung und Auswirkung für sie überhaupt nicht einschätzen kann. Geschweige denn, ob die das überhaupt wollen.

Ich kann sehen, dass mein Misstrauen alt ist. Ich kann sehen, dass es im Hinblick auf das Verhalten meiner Therapeutin nur ein Mal berechtigt war. Aber wie da raus, wenn die Gegenwart des Heute, der Gegenwart von damals so ähnelt? Wir leben nicht in einer Gesellschaft, in der Ver.rückte einfach sein dürfen. Wo Zwangseinweisung und -behandlung als (traumatisierende) Gewaltverbrechen verstanden werden. Ich habe keinen Grund, keine Angst zu haben. Keine Sicherheiten, die mir nicht genommen werden können.
Ich treffe hier keine aktive Entscheidung gegen die Gegenwart oder die Realität.
Es ist die Gegenwart, die Realität, die mich an diesem einen Punkt „stuck in time“ hält.

die Wiederholung – das Helfertrauma

Und es kommt, wie es kommt.
Hat aber nichts mit mir zu tun. Nein, es ist Zufall. Kurz nachdem ich kommuniziert habe, dass wir Dinge anders machen müssen. Alles Zufall und Struktur. Weil ich erst brauche, was wir erarbeiten hätten müssen, um so viele Termine zu packen, wie von ihr gewünscht. Niemand kann etwas dafür, Verantwortung muss in dieser Sache niemand übernehmen, denn es gibt keine. Es ist einfach, wie es ist. Dafür soll ich Verständnis haben, aber das habe ich schon vor Jahren verloren. Tja.
Und so geht man dann auseinander. Ohne Ende. Mit viel Ent_Täuschung.
Und Wut.
Auf mich.
Denn ich bin ja noch da. Als einzige_r, die_r damit zu tun hatte.

Und dann die Stille.
Diese rasende Kakophonie der Ohnmacht, des Verlassenseins, des sich selbst überlassen seins.
Das alte, das frühere, es wird jetzt zur Waffe gegen mich. Wie klein jemand ist, die_r so etwas macht. Peinlich, irgendwie. Erbärmlich. Das auch. Was ich fühle, das rahmt sie als nicht angemessen, weil es traumabedingt ist – und was passiert ist, das kann ja kein Trauma sein. Es geht ja nicht um mich. Sondern die Strukturen. Was sie da gemacht hat, das kann ja unmöglich weh tun oder etwas mit Gewalt zu tun haben.

Schade, dass das nötig ist, um den Abstand herzustellen. Statt sich respektvoll zu begegnen, schrieb sie eine E-Mail. Statt ehrlich mit mir über die Gründe zu sprechen, schiebt sie Strukturen, die sie selber konstruiert und aufrechterhält, vor.
Wieso müssen mir die Red Flags eigentlich immer erst die Fresse polieren, bis ich es merke.
Warum ist es so leicht für Behandler_innen wie sie, die professionelle Abgrenzung als Werkzeug zur Verantwortungsabgabe zu benutzen.

Mein Respekt für sie ist verloren gegangen. Das finde ich schade, weil es mir jetzt so egal sein kann, wie ihr egal ist, wie es für mich weitergeht. Was das mit mir macht. Und meinen Gefühlen in Bezug auf Hilfen, Helfer_innen, Behandler_innen.
Respekt ist das einzige, was ich Helfer_innen nach all den Erfahrungen mit unvermittelten Arbeits_Beziehungsabbrüchen aufrichtig entgegenbringen kann, wenn ich es will. Es bedeutet etwas, wenn ich ihn spüre, es ist mir wichtig ihn zu pflegen, weil er mir dabei hilft Grenzen und Absprachen einzuhalten.
Ihn jetzt nicht mehr fühlen ist, als würde ich mir selbst etwas nehmen.

Wie geht es weiter, ich habe keine Ahnung.
Ich kann jemanden anrufen. Bin nicht verlassen auf der weiten Welt, bin unterstützt, wenn ich das möchte. Das ändert viel, aber doch nicht alles. Es ist eine Wiederholung. Ein weiterer Schlag auf eine ungeheilte Wunde. Eine Re_Traumatisierung. Auch wenn nichts blutet und mein Leben nicht auf dem Spiel steht. Selbst wenn es wirklich nicht so ist, wie ich denke – nämlich, dass sie mich und sich und alle anlügt, weil sie keinen Bock auf kompliziertes Zeugs hat – selbst dann nicht. Weil es nicht um sie geht.

Inzwischen habe ich eine Nacht geschlafen und drei Schlucke von meinem Kaffee getrunken. Die Sonne scheint von einem glatten Himmel auf junggrüne Felder, etwas Wind strubbelt am zarten Laub des Baumes vor meinem Fenster.
Ich bin froh, dass ich meine Arbeit habe. So kann ich mehr fühlen als kindliche Agonie, jugendlichen Furor, jung erwachsene Ver_Zweiflung an sich selbst. Mehr denken als meinen Selbsthass, mir mehr überlegen als Gründe für die Notwendigkeit eines Lebens ohne Menschen.

Man lernt durch Wiederholung.
Ich weiß noch nicht genau, was ich jetzt lerne. Einmal mehr, dass es nicht schützt, bereits am Anfang des Kontaktes zu sagen, dass man schon oft so fallen gelassen wurde. Einmal mehr, dass zu sagen und zu vertreten, was man in der gemeinsamen Arbeit braucht, nur am Anfang klargeht (wenn die_r Behandler_in noch nicht glauben will oder kann, dass es wirklich komplex ist und etwas (mehr) (oder anderes) (als sonst) von ihr_ihm abverlangt). Einmal mehr, dass es Behandler_innen gibt, die sich nicht kritisch reflektieren. Einmal mehr, dass man absolut ohnmächtig vor der Dummheit anderer Menschen ist. Einmal mehr, dass die fehlende Verantwortungsübernahme für Verletzungen einen ganz erheblichen Anteil daran hat, dass ich die Situation nicht als eine soziale rahmen kann, sondern als etwas von mir produziertes. Also etwas woran ich selbst schuld bin und daher auch selbst hätte verhindern können.

Durch die Wiederholung von traumatischen Erfahrungen habe ich bisher nur Anpassung gelernt. Schnauze halten, Konflikte vermeiden, mitmachen, die Sachebene fokussieren. Diese Anpassung schützt nicht. Das ist auch ein Lernergebnis.
Aber was ist die Konsequenz, wenn Schweigen nicht schützt und Sprechen zu Verletzung führt? Was soll ich denn dann machen?

In gewaltvollen Kontexten gibt es nichts, was nicht verletzen kann. Gewalt ist immer absolut.
Ich weiß, dass meine Suche nach dem richtigen Verhalten, der richtigen Strategie klassisches Opferdenken ist. Weiß aber auch: Ich bin auf Hilfen angewiesen und diese Hilfen gibt es einfach nicht im gewaltfreien Raum.

Möglicherweise spreche ich im Herbst bei einer Veranstaltung darüber. Über Helfergewalt und gewaltvolle Hilfe.
Dazu werde ich Worte finden und Wege aufzeigen können. Gewalt ist transformierbar, wenn sie verstanden ist.

Mein Helfertrauma habe ich verstanden. Glaube ich zumindest.
Transformieren kann ich es noch nicht.
Wie denn auch.

das Helfertrauma – die Wiederholung

„Wer ein Trauma nicht realisiert, ist gezwungen, es zu wiederholen oder zu reinszenieren.“ Das soll Pierre Janet vor 120 Jahren gesagt haben. Er gilt als einer der ersten Traumaforscher, deshalb kenne ich dieses Zitat. Es wird oft dort eingeschoben, wo es um die Notwendigkeit von Traumatherapie oder das generelle Interesse für die Thematik geht. Oft funktioniert es deshalb als Warnung. „Achtung, Achtung, wenn dir diese Story von Kontrollverlust und einer Lebensqualität wie trocken Brot nicht reicht, um dich damit zu befassen, dann hier die Drohung, dass du es dir immer wieder selbst antust.“

Als ich diese Woche die Praxis für Autismustherapie verließ, dachte ich an das Zitat und darüber nach, ob ich mit der Autismustherapie aufhören muss. Denn wieder hat sich mein Helferding wiederholt. Nicht in der schlimmsten Ausprägung und auch nicht mit großem Schaden, aber doch einem Schaden. Für mich. In mir. Weil es inzwischen nicht erst weh tut, wenn es im schlimmsten passiert, sondern bereits wenn klar ist: Wir sind mittendrin und ich muss genau jetzt entweder abbrechen oder immer wieder verweigern. Grenzen ziehen. Verantwortlichkeiten einhalten, ablehnen, beworten. Hoffen, dass sich diesmal ein Weg auftut. Wissen, dass sich bisher erst ein Mal ein Weg aufgetan hat. Das eine Mal von vielleicht hundert Malen.

Während ich darüber nachdachte, wie ich das konkret tun könnte, bemerkte ich, dass auch das zu meiner Schleife gehört.
Jetzt sitze ich da, bin irgendwie verletzt davon, was im Miteinander passiert – sage, was da passiert und dass ich das so nicht möchte – und fange an, mir zu überlegen, wie ich es nicht wiederhole. Obwohl von Anfang an nicht ich dafür gesorgt habe, dass sich etwas wiederholt. Ich war einfach so da wie ich bin. Habe gedacht, wie ich denke, mich ausgedrückt, wie ich es tue und wieder wurde mir gesagt, dass meine Art zu Denken sehr viel sehr komplex sei. Dass man das nicht lange durchhalten kann, wenn man versucht mitzukommen. Und irgendwo darin erwähnt, ob ich wohl den Anspruch habe, dass man mir, wenn schon nicht gleich, so doch wenigstens ähnlich komplex begegnet.

Es ist also wieder das Thema Komplexität, zu viel (~intelligent~) sein, Vermeidung von Überforderung, Vermeidung der tatsächlichen Themen aus Sorge zu überfordern, zu wenig Hilfreiches zurückzubekommen und dem Problem nicht immer genug Kraft dafür zu haben, auf das Gegenüber warten zu können.
Und im Anschluss das innere Verbot, an der helfenden Person zu zweifeln, denn die kann ja auch nichts dafür. Niemand kann etwas dafür. Nie. Ich bin die Komponente, die sich in den Kontakt begeben hat, um etwas zu verändern. Also muss ich mich verdammt nochmal endlich auch verändern, warum mache ich mich dann nicht einfach anders.

Ich weiß nicht, ob mein Fehler ist, wiederholt nach Gegenübern zu suchen, die mich in meiner Auseinandersetzung begleiten und mir helfen, Lösungen für die Probleme zu finden, die ich alleine nicht erschaffen kann. In meiner Traumalogik ist es jedenfalls so.
Ich brauche niemanden, die_r mir nicht entgegen_wachsen will und die halbe Zeit damit kämpft, sich in meiner Anwesenheit weder dumm noch unterkomplex urteilend oder möglicherweise zu wenig Hilfreiches wissend zu fühlen, weil sie_r einfach nicht glaubt, dass diese Ebene im Kontakt für mich nicht relevant ist.
Ich brauche jemand, die_r sich erst einmal auf meine Probleme konzentriert. Nicht auf mich, nicht auf sich – auf das Problem. Und erst dann von mir aus auch auf mich in dem Problem und auf sich bei all dem.

Ich fürchte, dass ich mein Helfertrauma nie mehr realisieren kann, als ich es bisher geschafft habe.
Die Realität ist, dass ich zu komplex denke, zu viel aufnehme und deshalb immer viel ist, was mich beschäftigt oder vor Probleme stellt.
Die Realität ist, dass sich die meisten Menschen, gegen Komplexität entscheiden oder gar nicht erst begreifen können.
Die Realität ist, dass ich deshalb keine Hilfe bekomme, auch wenn ich es mit Leuten zu tun habe, die mir wirklich aufrichtig bemüht und angestrengt helfen wollen.
Die Realität ist, dass dies wiederum allein mein Problem ist und bleibt und bleibt und bleibt – weil die Lösungsfindung eine zu komplexe Angelegenheit ist.

Es ist die Hölle.
Ernsthaft.

die Verabschiedung

Gestern machten wir etwas Besonderes. Etwas, das wir erst ein Mal und dann doch nicht machen mussten, konnten, durften.
Wir verabschiedeten eine Behandlerin. Eine Unterstützerin, eine Begleiterin, seit gut 18, knapp 19 Jahren.
Ich verdanke ihrer Arbeit, ihrer Präsenz, ihrer Erreichbarkeit viel. Vielleicht mein Leben. Das kann man so genau nicht mehr sagen, ich sage es trotzdem. Denn für mich ist egal, wer es denn nun genau war – sie, meine Therapeutin, der Begleitermensch oder die Therapeut_innen vor ihnen – ich lebe noch und ich täte es nicht mehr, wäre da niemand von ihnen gewesen.

 

Sie war nicht die Behandlerin unserer Wahl und sie hat uns auch nicht nach Wahl behandelt, als wir uns kennengelernt haben. Es waren überforderte Menschen, die uns zusammengebracht haben und eine bittere Versorgungsrealität, die uns zusammenhielt.

Sie hat mich nie geschützt und nur ein Mal war das etwas, das mir geschadet hat.
Sie konnte nicht wissen, dass ich in der Klinik, in die sie mich einwies, sexualisiert misshandelt werden würde. Sie hätte mich vor einer psychiatrischen Heilbehandlung schützen wollen müssen und das hätte erfordert, die Psychiatrie als gewaltvollen Ort, als absolute Institution zu verstehen – und abzulehnen.
Und eine Alternative anbieten zu können.

Es hat 10 Jahre gedauert, bis ich verstand, dass sie mir wichtig ist und bis heute, dass ich ihr vertraue.
Jetzt, wo sie mir keine Gefahr mehr sein kann.

Ich glaube, dass es wichtig ist, diesen Umstand zu benennen. Denn ja, so tief, so heftig, so lange hat die Helfergewalt in mir gewirkt und gleichzeitig hat es nicht verhindert, dass ich ein tragfähiges Arbeitsbündnis aufbauen konnte. Ja, im Kontakt war ich immer dissoziiert. Ja, ich habe ihr gegenüber nie alles mit_geteilt. Ja, ich habe aktiv und bewusst verhindert, dass sie weiß, wie es in mir aussieht, wenn wir einen Termin mit ihr hatten – und erst bei unserem Abschied habe ich erwähnt, dass es für mich immer Arbeit war, überhaupt in die Praxis zu kommen. Aber das hat keine Rolle gespielt und das war eine wichtige Erfahrung für mich.

Viel zu viele Behandler_innen haben mich mit ihrem Verständnis von Vertrauen und Zugewandtheit bedrängt, verwirrt und überfordert. Haben nicht verstanden, dass ihnen nicht zu vertrauen weder eine Aussage über sie noch über meine Fähigkeit zu vertrauen ist. Haben nicht begreifen können, dass sie eine soziale Barriere erschaffen, wenn Vertrauen eine Bedingung für die gemeinsame Arbeit sein soll.
Mein Verhältnis zu Menschen, die mich einweisen könnten, ist einfach nicht unbelastet. Die Gewalterfahrung zu wenig als solche bewusst, als dass ich davon ausgehen kann, dass irgendjemand überhaupt versteht, was daran die Gewalt ist und was davon verletzt wird.
Und was die Wunde, das Trauma, daran ist.
Und weil das so ist, ist der Umgang damit, die Heilung wie die Kompensation von Triggern, von Flashbacks wie der Notwendigkeit, sich dem immer wieder auszusetzen, wenn man medizinische Versorgung nicht vermeiden will kann, sehr einsam.
Nicht „einsam im Regen stehen-einsam“ sondern „allein im Vakuum-einsam“.
Trauma-einsam.

Ich bin heute an einem Punkt, an dem ich vor Menschen darüber sprechen kann, was Helfergewalt ist und was sie macht.
Dass sie so etwas wie mein Verhältnis zu dieser Behandlerin macht, habe ich dabei selten thematisiert. Denn die Conclusio darf nicht sein: „Ja gut, das war mal scheiße, aber ging ja dann doch.“ Sie muss sein, dass eine Einweisung in die Psychiatrie, egal warum und wie legitimiert, mit Verlusten einhergeht, die nie wieder aufzufüllen sind. Nicht mit einer guten Anschlussbehandlung und auch nicht mit einem Reframing des Aktes als lebensrettend. Und, dass diese Verluste nicht nur die AbEingewiesenen betrifft, sondern alle Menschen dieser Gesellschaft.

Jetzt muss ich mir eine_n neue_n Behandler_in suchen.
Weiß, dass ich mit vielen Absagen umgehen muss – und vielleicht sogar niemanden finde, die_r wenigstens ein Grundverständnis von Komplextraumafolgen, DIS, Autismus hat. Weiß aber auch: Ich bin nicht zuständig für Fort- und Weiterbildung, für Qualitätssicherung, für das Aushalten dessen, was es bedeutet, wenn Behandler_innen am lebenden Objekt ihre ersten Erfahrungen sammeln. Solche Arbeitsbeziehungen kann ich nicht er_tragen. Will ich nie wieder er_tragen müssen.
Es wird nicht einfach.

Aber das war es vorher auch nicht.

 

 

 

Rache wäre leichter

Ich hatte keinen Anlass zu glauben, dass R. jemals etwas anderes wollen könnte als Rache. Vielleicht sogar blutige Rache. Zerstörerische, giftige Rache ohne Bewusstsein für ihre Folgen, ohne Willen zur Anerkennung von Ursachen oder der eigenen Verortung in Zeit und Raum.
In den letzten 18 Jahren hatte ich vor allem Hartes, Unnachgiebiges gespürt. Die generalisierte Ablehnung von Erwachsenen, die Abwehr von Nähe, die Vermeidung von allen, die nach ihr zu greifen versuchten, um ein eigenes Ziel zu erreichen. In ihrer Härte war sie nie Godzilla, der durch die Einrichtungen stampft, die sie zerstampft haben – aber schon ein Mädchen mit Todesblick und undurchdringlichem Geist. Ein Dorn, dessen Stich so wehtun sollte, dass er nicht ignoriert werden würde.

Und dann antwortet sie der Therapeutin, dass sie eine Entschuldigung will. Und das Versprechen, dass etwas dafür getan wird, dass sich ihre Geschichte nicht im Leben anderer Jugendlicher wiederholt.
Am Abend zuvor hatte ich schon die Idee in mir bewegt, den Brief zu schreiben, den R. nie schreiben konnte. Dann aber erinnerte ich mich daran, wie es mir nach dem Klinik-GAU ging. Wie unfassbar bitter mich die Erkenntnis traf, dass es den Menschen leider so unendlich egal ist, wie es mir ging, was ich dachte und wie ich gelitten habe, weil sie mich zur alleinverantwortlichen Quelle dieser Gefühle erklären können – und vielleicht auch müssen.

Denn das Schlimme an sogenanntem „institutional betrayal“ ist nie nur, dass Institutionen (Kliniken, (Wohn-)Einrichtungen, Firmen…) manchmal ihre Versprechen brechen, sondern auch, dass sie keine Verantwortung dafür übernehmen. Und dass es niemand von ihnen erwartet. Dass sie nichts und niemand dazu zwingt, wenn ihr eigenes Gewissen, ihre eigenen Werte, ihre Mitarbeiter_innen und Verantwortlichen es schon nicht tun.
Und dass das nur in bestimmten Aspekten problematisiert wird. Gibt es Blutvergießen oder systematische Vernachlässigung, Abrechnungs- oder Steuerbetrug, Etikettenschwindel oder Zwangsüberarbeitung, kann geklagt werden. Gibt es psychische Gewalt, autoritär begründeten Zwang oder Handlungen aufgrund von etwa Sexismus oder anderen *ismen, gibt es diese Möglichkeit einfach nicht. Denn das Wort der Opfer ist weder den Täter_innen noch dem Staat etwas wert, um Unrecht an_zu_erkennen und (Wieder-)Gutmachung zu bieten.
Das verkleinert das Leiden der Opfer nicht. Im Gegenteil kommt dadurch eine Ebene hinzu, die nichts mehr nur mit den konkret Beteiligten zu tun hat, sondern mit dem gesamten sozialen Kosmos. So hätte ich natürlich nach dem Klinik-GAU die Ärztin anzeigen können und mich in ein entwürdigendes – und mich voraussichtlich weiter demütigendes – Justizgemetzel stürzen können, aber die Falschbehandlung passierte durch ein Team unterstützt und von einer Struktur geschützt. Und die wären nicht auch zur Verantwortung gezogen worden, weil Verantwortung in solchen Häusern bis zur Nichtigkeit diffundiert ist. Am Ende kann in diesen Institutionen niemand Verantwortung übernehmen, weil sie niemand alleinig hat oder übernimmt und die kollektive Anerkennung einen Gesichtsverlust bedeuten könnte. Welcher in der Regel deshalb als ehrverletzend empfunden wird, weil man Patient_innen/Kund_innen/Nutzer_innen nicht als gleichwertig anerkennt.

Wir, R., ich und alle, die vor mir von und in Institutionen verletzt wurden, haben Entschuldigungen verdient, da bin ich mir sicher. Aber gewollt habe ich nie eine.
Wirklich aufrichtige Entschuldigungen haben etwas mit Frieden in allen Facetten zu tun. Mit Befriedung von Konfliktgräben, mit Befriedigung von sozialen Grundbedürfnissen und der Wiederherstellung eines friedlichen Miteinanders. Ihre Funktion ist also vorrangig die Veränderung der Qualität des Miteinanders.
Ich aber will nie wieder irgendetwas mit diesen Einrichtungen und ihren Vollstrecker_innen Mitarbeiter_innen zu tun haben. Ich brauche sie nicht, um meine Punkte zu validieren, ich will nicht hören, was sie über meine Punkte zu sagen haben. Ich sehe sie als gesellschaftlich gewollte Werkzeuge der Gewalt und Ausgrenzung, als Zubringer des Kapitalismus und gescheiterten Versuch einer Utopie, die sich ihrer eigenen Ableismen nie bewusst werden wollte. Sie sind Abgrenzungsgegenstand meiner heutigen Lebensrealität geworden und als nichts anderes will ich sie je wieder sehen.

Aber R.s Unnachgiebigkeit betrifft keine Psychiatrie oder Klinik für Psychosomatik. Sie betrifft keine Individuen und zieht keine Grenzen an sich selbst.
R. geht es ums Prinzip. Um eine Ungerechtigkeit, die weder sie noch andere verdient haben und von der sie weiß, dass sie niemandem gewünscht wird.
Das ist so viel schwieriger als Rache, weil es zwei Dinge bedeutet:
Erstens: Kontakt und den Wunsch zum Miteinander
Zweitens: Eine Arbeit, deren Ergebnis nur schwer messbar ist und also in der Regel kaum als Wert geschätzt wird. Was letztlich dazu führen kann, dass schon der erste Punkt nicht zustande kommt.

Unabhängig davon, wie ich es schaffen kann zur Erfüllung ihres Wunsches beitragen, hat er mich berührt. Denn dahinter kann ja kaum mehr als die Annahme stehen, dass man einander grundsätzlich friedlich gegenüber stehen will und dies ein gemeinsamer Wert ist.
Vielleicht war sie nie unnachgiebig uneinsichtig, sondern hatte ganz schlicht – völlig banal und logisch nachvollziehbar – nie die Chance auf ein Miteinander, in dem ihre „untragbare“ Frustration als in einem realen Sachstand begründet anerkannt wurde.
Sie hat Recht und sie weiß das. Sie ist wütend darüber, dass diesem Recht keine Wirkung folgt und weiß, dass ihre Wut abgelehnt wird. Wie sollte sie je nicht für immer und ewig todesfrustriert sein?

Ich weiß noch nicht, was wir jetzt machen. Hab selber Angst vor ihrer Wut, ihrem Frust, weiß ja selbst, dass es mich gibt, weil es sie gab und passierte, was passierte. Frage mich, ob es den Versuch wert ist oder der Sache nötig.

Ein Wunsch nach Rache wär jedenfalls irgendwie leichter. 😅

Be_Handlungsmotivation

Wir sprachen über Autismus Deutschland e. V. und darüber, dass es auch in der Trauma-Bubble so ist, dass „die Betroffenen“ viel zu wenig Austauschmöglichkeit mit „den Profis“ haben. Irgendwann ging es um die Motivation der Profis und um die Frage, welche Motivation denn die richtige sei. Sie sagte, für sie sei es wichtig, dass die Leute gern mit anderen Menschen arbeiten und ich, deren Kernkompetenz ist, gut Mitmenschen umgehen zu können, dachte, dass das doch irgendwie auch nicht die richtige Grundlage ist.

Ich weiß nicht, wie eine Therapeut_innenausbildung läuft. Wie man Mediziner_in, Behandler_in wird. Ob und wenn ja, wieviel Herzensbildung mit welchem Fokus passiert oder abverlangt wird. In jedem Fall denke ich, dass man irgendwann für sich überlegen muss, ob man das will. Jeden Tag mit anderen Menschen reden, sie anfassen, ausmessen, Mathe auf das Leben anwenden, Medikamente empfehlen, Verantwortung balancieren, eine Praxis organisieren, sich selbst nicht vergessen. Ich glaube, dass man alles das mehr wollen als können muss und dass es deshalb nicht selten vorkommt, dass Behandler_innen eine Motivationsquelle in sich selbst dafür haben. Intrinsische Motivation ist wirkmächtig und das ist ok. Wenn also jemand in erster Linie für sich behandelt, ist das nicht zwingend ein Problem für die behandelte Person. Das wird es wohl erst, wenn Behandler_innen eine innere Bedürfnis- oder Notlage mit intrinsischer Motivation für eine Berufsausübung verwechseln und ergo ihren Beruf brauchen, um sich selbst etwas zukommen zu lassen, dass sie anders nicht herstellen können. Anerkennung zum Beispiel. Be_Achtung. Respekt. Zwischenmenschlichen Kontakt, der (von ihnen) kontrolliert abläuft. Sinn im eigenen Leben. Orientierung in der Welt. Selbst_Versicherung.

Das therapeutische Verhältnis zwischen be_handelnder und behandelter Person ist von Distanz bestimmt, die diese Ebene nicht berühren soll. Und viele Menschen mögen das nicht. Manche, weil sie die Grenze nie gewahrt erlebten und entsprechend nicht erkennen und manche, weil sie sie mit Unpersönlichkeit verwechseln. Viele Menschen wollen, dass ihr_e Therapeut_in eine persönliche Rolle in ihrem Leben spielt, weil das Problem, mit dem sie in die Therapie kommen, ein so persönliches ist. Und viele Menschen können der Rolle, die eine kontinuierlich, stabile, zugewandte Person erfüllt, nur mit der eines (idealen) Elternteils übersetzen und wollen diese auf ihre Behandler_in anwenden. Ebenfalls mit oft negativem Outcome, denn nur Eltern können Eltern sein.

Und dann ist da auch noch die Sache mit der Macht, die sich aus der Gewalt in Form von Ableismus bzw. Saneismus ergibt.
Wenige Menschen sind sich darüber bewusst, dass Behandler_innen unter anderem deshalb so wertvoll und geschätzt sind, weil sie langfristigen Funktionsverlust verhindern (helfen). Also eine nicht unerhebliche Rolle bei der Verhinderung von Behinderung und damit Verlust auf vielen Ebenen spielen.
Wäre unsere Gesellschaft weniger ableistisch (und vor allem saneistisch) müssten sich weniger Menschen mit psychischen Belastungen in Behandlung begeben. Sie würden weniger Gewalt erfahren und bräuchten entsprechend weniger Schutz und Stärkungsmaßnahmen, um sich in sich und der Welt ok zu finden oder sich selbst zu verwirklichen. Psychotherapie wäre in einer so gestalteten Gesellschaft sicherlich weiterhin wichtig und relevant, sie hätte meiner Ansicht nach jedoch eine andere primäre Funktion.

Man darf nicht aus dem Blick verlieren, dass viele Menschen, die heute zu Behandler_innen werden, Macht und Gewalt in anderen Formen und anderen Auswirkungen auf das Leben damit gemacht haben als die meisten der Menschen, die sie später behandeln. Und zwar nicht, weil sie alle auf Rosen gebettet leben und hundert Jahre Studium vor tausend Jahren praktischer Ausbilderei im Grunde ein Kinderspiel sind, sondern, weil es mehr als einen brillanten Geist und Willensstärke braucht, um nicht an Leistungsdruck, Sexismus, Ableismus, Rassismus und so weiter zu leiden oder gar zu scheitern – privilegierte Menschen jedoch oft glauben, dass es an ihrem Intellekt und starken Willen zum Durchhalten lag, dass sie es geschafft haben. Und damit gehen sie durch die Welt.

Manche finden sich darin ziemlich geil und holen sich über ihren Kontakt zu Patient_innen und ihren Status die Bestätigung darin – und manche glauben, sie würden sich irgendwann bestimmt geil finden, statt ängstlich, selbst_unsicher oder als unentdeckter Deepfake, wenn sie nur genug „Kracher“ heilen, sich „den krassesten Fällen“ widmen, sich aufopfern für andere … oder „denen eine Stimme geben, die von der Welt nicht angehört werden“.
Dass das alles überhaupt nur geht, weil behandelte Personen „Patient_innen“ sind und damit in einer weniger ermächtigten sozialen Position, das ist den wenigsten Menschen wirklich als Problem bewusst. Unter anderem, weil sie ihren Beruf nicht mehr (da) ausüben könnten (wo sie es tun), würde es ihnen bewusst werden, denn es gibt einfach keine Klinik und keine Praxis außerhalb dieses Systems.

Treffen „die Profis“ auf „die Betroffenen“, dann ist dieses Bewusstwerden oft schon passiert. Und dann geht es nicht mehr nur darum, wer wem mehr oder das Richtigere zu sagen hat, sondern auch um Auf- und Abwertung. Viele Behandler_innen erleben sich abgewertet, wenn sie sich mit Patient_innen für etwas einsetzen, statt für sie vor anderen Behandler_innen zu sprechen und diese Abwertung ist für viele nicht kompensierbar. Was meiner Ansicht nach überhaupt kein Charakterfehler ist oder irgendein angeknacktes Ego, sondern ganz real. Jede_r kennt, wie das ist, wenn die eigene Peergroup eine_n auslacht, weil man etwas macht, was darin abgewertet wird. Es ist sehr schwer dann weiter gut und wertig zu finden, was man da gemacht hat. Und man hat das Gefühl sich entscheiden zu müssen, zwischen dem, was das Herz will und sagt und dem, was Erfolg und Sicherheit verspricht.
Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Behandler_innen sind Menschen. Sich gegen Dinge zu entscheiden, die sich zwar richtig aber unsicher anfühlen ist so logisch wie legitim. Das macht sie nicht zu schlechten Menschen oder zu Menschen einer falschen Motivation und auch nicht zu schlechten Behandler_innen. Zumindest so lange nicht, wie sie die Menschen, die sie behandeln, nicht abwerten, weil diese Behandlung brauchen oder einen Kontakt wünschen, der nicht von Hierarchie bestimmt wird.

In unserem Gespräch erzählte ich, wie es nicht geklappt hatte, einen der begehrten Ausbildungsplätze zur Peer-Beratung zu ergattern, dass ich es aber weiterhin versuchen werde, weil ich das gerne machen möchte.
Peer-to-Peer-Beratung ist für mich eine Möglichkeit Menschen mit Schwierigkeiten, die ich selbst schon erlebt habe, zu begegnen. Der Kontakt ist nicht hierarchiefrei, aber nicht in sich bereits gewaltvoll. Ich muss nicht heilen und auch nicht so tun, als ob irgendetwas von dem, was ich leisten kann, etwas Besonderes ist. Und es gibt die gleiche Grenze, die gleiche persönliche Distanz, die einzuhalten ist, wie im therapeutischen Kontakt. Ich spreche nicht mit Freund_innen, nicht mit meinen Kindern, sondern mit Menschen, die an einem Problem arbeiten wollen. Das Problem ist der Grund für unseren Kontakt – nicht wir.
Und das ist eine hervorragende Grundlage etwas zu tun, das ich gut kann: Probleme und ihre Dynamik auseinanderdröseln, analysieren, ordnen. Es befriedigt mich, wenn man es hinkriegt Probleme zu verstehen und sich mögliche Lösungswege zu überlegen. Wenn das jemand gut findet und sich gesehen fühlt, dann ist das ein schönes Add-On, brauchen tue ich das aber nicht, um mich dazu zu motivieren.

Ob das die richtige Motivation ist, um etwas zu machen, das mit Menschen zu tun hat, weiß ich nicht. Aber es ist eine Motivation, die mich wahrscheinlich am wenigsten verstrickt und gewaltvoll handeln lässt, weil es mir nicht primär um die Menschen und mich im Kontakt mit ihnen geht, sondern um das Problem. Das klingt für manche Menschen vielleicht hart und kalt, unpersönlich und nach etwas, was sie nicht glauben können, weil sie selbst nicht so funktionieren. Aber ich funktioniere so. Das ist meine Perspektive, so bin ich. Und alle Menschen, die mit Menschen arbeiten, arbeiten auch mit sich mit Menschen. Immer benutzt man sich selber, um Kontakt herzustellen, Empathie aufzubauen, Ideen zu entwickeln, was helfen könnte.
Ich halte das für das Ding, das alle be_handelnden, beratenden, begleitenden Menschen klar haben – und halten! – müssen. Lässt man da nach, ist selbst die richtigstmögliche Behandlung/Beratung/Begleitung der Welt nicht die bestmögliche.

die gute Erfahrung mit dem Outing als autistisch und traumatisiert

Nun hatte ich also den Termin bei der neuen Hausärztin. Ich habe den Anamnesebogen ausgefüllt, den alle neuen Patient_innen ausfüllen sollen, und zwei Seiten Text über meine Traumafolgestörung und den Autismus angehängt. Dazu eine Liste meiner Behandler_innen und die Namensänderungsurkunde für den Fall, dass Berichte angefordert werden müssen, die älter sind.
Vor der Erfahrung in der Klinik 2016 hätte ich gedacht, dass ich das tue, weil es wichtig ist. Weil man Behandler_innen alles Vorwissen geben muss, damit sie überhaupt die Chance haben, irgendetwas richtig einzuschätzen und zu behandeln.
In den Monaten vor diesem Termin in der neuen Praxis kam ich mir überwiegend anmaßend, dreist, übergriffig, herabsetzend und eingebildet vor. Für wie wichtig halte ich mich eigentlich, woher nehme ich überhaupt den Gedanken, ich wäre berechtigt mir irgendeine Achtsamkeit oder Aufmerksamkeit oder … Bewusstheit? zu … erschleichen? abzuzwingen? zu erpressen? passiv aggressiv einzufordern?

Die Autismusdiagnose steht seit 6 Jahren und bis heute habe ich das Gefühl zu lügen oder irgendeine Form von Falsch zu tun, wenn ich das mitteile und in seiner Konsequenz für mein Erleben und meine Bedürfnisse erkläre. Egal, wem. Egal, wann. Egal, warum. Und ja, ich kann genau darauf zeigen, warum das so ist. Weil es das eine erste Mal, wo ich es gesagt habe, wo ich es mit.geteilt habe, wo ich mich geöffnet habe, weil ich dachte, das wäre sicher und ok, so derartig schlimme Konsequenzen und Probleme zur Folge hatte. Denn wenn es schon dort so falsch, zu böse, so sehr zu viel ist, dass man mich verletzen muss, um mir den Kopf geradezurücken, wie schlimm würde es erst werden, wenn ich das in anderen, viel weniger geschützten Kontexten täte?
Ich habe in den Jahren danach in Sachen „Autismus und Dinge für mich anpassen“ nichts ohne den Begleitermenschen und den Facharzt, der die Diagnose bestätigt hat, gemacht. Wirklich nichts. Wie ein Schutzschild habe ich deren Expertise und all das ableistische Macht-Hick Hack ausgenutzt, um uns vor einer Wiederholung dieser Situation zu schützen und gleichzeitig selten ausgedrückt, dass ich weiß und zutiefst bedauere, dass ich ihren Status und damit auch sie in Teilen so missbrauche ausnutze.

Es gab inzwischen aber auch gute Erfahrungen. Vor allem bei der Arbeit im Verlagskollektiv und in anderen Kontexten, in denen bewusst und sensibel mit Hierarchie umgegangen wird. Da merke ich, dass die Adjektive, die ich für mich gefunden habe und verwende, tatsächlich als Hinweise auf Eigenschaften von mir verstanden werden und damit logischerweise als auch für mein Leben in der Gruppe und der Welt bedeutsam.
In einem Hierarchie-sensiblen Umfeld gibt es die Vorannahme, man wolle sich besonderer machen als andere nicht, denn besonders oder anders zu sein, verändert dort nicht die soziale Positionierung zu einander. Man könnte sagen, dass dort alle besonders und nicht besonders sind, weil alle anders als die anderen sind.
Sobald man sich nicht mehr um die Hierarchie kümmern und sorgen muss, entstehen freie Ressourcen. Für mich entsteht so mehr Raum mich bewusster mit den eigenen (Grund)Bedürfnissen und den Möglichkeiten diesen nachzukommen auseinanderzusetzen und entsprechend mehr Raum, das zu üben und auszuprobieren. Folglich lerne ich einen Gegenentwurf zu den Erfahrungen, die ich früher gemacht habe, kennen. Ich fühle mich dem Leben in Macht- und Gewaltdynamiken nicht mehr nur ausgeliefert und von Menschen, die sie ignorieren oder für sich benutzen, um mit mir zu interagieren, nicht mehr so abhängig wie früher.

So habe ich mich vielleicht ein wenig verändert in der letzten Zeit.
In meinem Text an die Ärztin steht nicht drin, dass ich autistisch bin und was Autismus ist, sondern, dass ich autistisch bin und wie welche Dinge auf mich wirken und was diese Wirkung mit mir – und den Möglichkeiten mich zu untersuchen oder zu behandeln – macht. Da steht nicht drin, dass man besonders vorsichtig mit mir sein muss oder überwiegend lieb und zart und auch keine Formulierungen, die in anderen Menschen die Idee entstehen lassen könnte, dass ich das möchte. Da steht hauptsächlich drin, was ich brauche, um informierte Entscheidungen über meine Behandlung treffen zu können und nicht in irgendeiner Form verwundet oder überanstrengt wieder nach Hause zu gehen. Was Ansprüche sind, die sich aus Grundbedürfnissen, also aus der Selbst-Existenz, ergeben. Und nicht aus Ansprüchen der Selbst-Verwirklichung, also sekundären Bedürfnissen, die sich ganz natürlich entwickeln, wenn alle primären Bedürfnisse erfüllt sind und entsprechend nicht zu existenzieller Bedrohung führen, werden sie nicht erfüllt.

Ich glaube, dass ich nun etwas verstanden habe, was ich damals vor 6 Jahren, sehr dringend mit Unterstützung verstehen und verarbeiten wollte. Denn das war ja das ganze Thema damals. Das war ja der Grund, weshalb ich dort war, weshalb es mir so schlecht ging und was mich völlig ver.zweifelte: Das umfassende Begreifen von einem Leben, in dem auch dann die meiste Zeit gegen meine Bedürfnisse entschieden und über meine Grenzen hinweg mit mir umgegangen wurde, wenn ich nicht misshandelt oder ausgenutzt wurde. Ein Leben, in dem nichts nicht schlimmes, schmerzhaftes, quälendes übrig bleibt, wenn man das konkret und allgemein als Gewalt anerkannte Erlebte dissoziiert vermeidet rausstreicht.
Ich hätte damals niemand gebraucht, die_r sich mit Autismus auskennt. Es hätte gereicht, wenn ich es mit Menschen zu tun gehabt hätte, die begreifen, was es bedeutet, wenn man ein Leben ohne erfüllte Grundbedürfnisse zu führen gezwungen war und darin wirklich von allen Menschen – auch den lieben und netten – miss.be.achtet wurde. Beziehungsweise, was für eine schlimme Krise das ist, wenn man das von jetzt auf gleich kapiert, aber noch nicht ganz nachkommt, weil man gleichzeitig zufällig auch Viele und einigermaßen therapieerfahren ist.
Und was es bedeutet, wenn man mich in dieser Krise wiederum missachtet. Aus genau den gleichen Gründen.

Ich glaube nicht, dass ich je wirklich darüber hinwegkomme.
Aber, dass es mich nicht mehr so beeinflusst, merke ich jetzt, nach einer wirklich guten Erfahrung mit der neuen Hausärztin, sehr deutlich. Ich merke, dass niemand „fließend autistisch“ können muss, um meine Sprache zu verstehen. Um mich zu verstehen. Zu begreifen, was ich brauche, um etwas für die Bedürfniserfüllung anderer tun zu können und so zu einem balancierten Miteinander beizutragen.
Dass es auch ohne besonderes Schutzschild in einem besonderen Kontext möglich ist, nicht verletzt und missachtet zu werden, sondern sogar ganz einfach, ganz leicht, ver.sorgt zu werden.

Ja, vermutlich musste ich mich nicht „einfach nur trauen“ oder „mich einfach nur dafür öffnen“ – ich habe vielleicht überwiegend Glück mit dieser Hausärztin und mit den Menschen im Kollektiv und vielem anderen. Aber ich musste mich auch trauen. Ich musste mich auch öffnen. Ich musste auch aushalten, dass ich am Ende immer nur ins Himmelblaue hoffen kann, dass es nicht wehtun wird, mich für mich selbst einzusetzen.

Aber diesmal hats geklappt und daran will ich mich in Zukunft genauso erinnern wie an die schwierige Erfahrung früher.

täter_innenloyale und -identifizierte Innens zivilisieren

[CN: Zivilisierung.
In diesem Text schreibe ich, dass Zivilisierung ein gewaltsames Konzept ist, das sich durch unsere Gesellschaft zieht und beeinflusst, wie wir mit täter_innenloyalen und -identifizierten Anteilen in Menschen, die Viele sind, aber auch Aussteiger_innen, umgehen. Nicht jede Gewalt, nicht jede Tat, die im Namen der Zivilisierung getan wurde, ist vergleichbar mit dem, worauf ich mich hier beziehe. Das ist mir bewusst und wird von mir bedingungslos anerkannt. Im Kern betrifft Zivilisierung jedoch immer die gleichen Aspekte, weshalb ich in diesem Text keine Abgrenzung von z. B. Kolonialverbrechen oder rassistisch motivierter Gewalt vornehme.]

Wir sind am Ende der vierten Staffel Star Trek „Voyager“ angekommen. Seit 9 Monaten wird Seven of Nine, eine Borgdrohne, nun schon von Captain Janeway und ihrer Crew re-assimiliert. Re-kolonialisiert. Re-zivilisiert. Und nun ist sie an dem Punkt, nicht mehr zurück zu den Borg zu wollen, sondern sich der Erde, dem Heimatort ihrer „natürlichen Rasse“ und der Vorstellung dort zu leben, zu öffnen.

Der Strang rund um diese Figur erinnert mich an unsere Ausstiegsarbeit und die Themen, die immer wieder aufkommen, wann immer es um täter_innenloyale, um täter_innenidentifizierte, um in Gewalt- und Traumawahrheiten verhaftete Innens geht.
Wir haben ihnen zwar nie die Identität beschnitten, wie Janeway als sie Seven of Nines Namen zu „Seven“ kürzte, weil ihr das besser gefiel, aber unsere dunkelbunten Innens schlafen auch in ihren Alkoven, fern ab von allen anderen und wir finden das ganz richtig so, denn das ist ja ihre Natur, nicht wahr? Sie sind nicht wir, weil sie keinen Wert auf ihre Individualität legen, sich nicht über sentimentales Geschwätz verbinden und in aller Regel mit den Dingen befasst sind, die relevant sind. Fürs Über_Leben. Was für uns auch wichtig ist, aber erst, wenn es wirklich wichtig ist. Beziehungsweise: Wenn wir einsehen, dass es das ist, weil uns etwas oder jemand überwältigt und hilflos, weil ohnmächtig macht. Nicht einfach so. Nicht, wenn wir gerade leben. Eigenmächtig. Kontrolliert. Sinneseindrücke wahrnehmend, befühlend, in uns und unser Bild von der Welt hineinwebend, wie es uns gefällt.

Wenigen weißen Menschen ist klar, wie schlimm das Konzept der Zivilisation eigentlich ist. Dass es eher etwas mit Formung nach Abbild, mit Folgsamkeit durch Unterwerfung zu tun hat, als mit einer Veredelung des Menschen als Gruppe oder einer Annäherung an Perfektion – an das Beste für alle. Wann immer jemand zivilisiert wird, wird sie_r zur Anpassung gezwungen, was jede individuelle Entscheidung und auch jede individuelle Weiterentwicklung aus allen dem Individuum inne liegenden Möglichkeiten heraus, ausschließt.
Und ja, auch einem Ausstieg aus gewaltvollen Kontexten, aus Sekten, aus Gruppen, deren Verbindung über die Dynamiken und Logiken der organisierten Gewalt entsteht, in die zivile Gesellschaft, die „normale“ Welt, hinein, ist ein Prozess, an dessen Ende ein gewisses Maß an Zivilisierung erwartet wird, um jemandes Integration beurteilen zu können. Und zwar nicht, weil alle Menschen immer wissen, dass sie Aussteiger_innen, Outlaws, Unnormale, Andere assimilieren zivilisieren wollen, sondern, weil sie gar kein anderes Instrumentarium für den Kontakt miteinander haben. Oder anwenden können. Vielleicht.

Es erscheint uns natürlich, dass unser Bild von der Welt richtig ist, weil wir nicht glauben, was täter_innenloyale oder -identifizierte Innens glauben und dieses Nichtglauben von unserer direkten wie indirekten (sozialen) Umgebung als richtig, als wahr, bestätigt wird. Nicht, weil irgendwer wirklich weiß, was zu glauben richtig ist oder falsch. Nicht, weil es so etwas wie „das richtig wirklich Wahre“ außerhalb individueller Vorstellungen überhaupt gibt. Sondern einfach nur, weil wir uns mit genug Menschen über eine Idee, eine Annahme verbinden und gegenseitig versichern können, passiert das in uns. Wir glauben einfach, dass wir Bescheid wissen.
Und alle, die nicht auch so sind, die nicht so verbunden sind mit uns, die unser Denken und Glauben nicht teilen, die sind uns vor allem deshalb fremd. Und nicht, weil sie anders aussehen, andere Dinge (nicht) können als wir, weil sie mächtig sind, wo wir ohnmächtig sind oder weil sie eine andere Sprache sprechen. Sie könnten andere Dinge wollen, andere Ziele verfolgen als wir. Sie könnten uns schaden, unsere Macht begrenzen, sie könnten tun und lassen, was sie wollen und das darf niemand. Außer denen, denen wir dies gewähren. Oder denen, die uns aus ihrer Macht über uns gewähren lassen.

Von aller Gewalt, die wir an uns selbst ausüben mussten, um der Gewalt durch Familie und Täter_innengruppe zu entgehen, ist diese die eigentlich schlimmste. Denn sie ist – in dieser Zeit, dieser Gesellschaft, dem Momentum, das wir in der Menschengeschichte haben – alternativlos. Widerstand ist zwecklos – und war nie möglich. Wir wurden assimiliert und in das Gewaltkollektiv hineingeboren, noch bevor uns irgendjemand körperlich oder psychisch versehrt hat. Niemand von uns ist einfach richtig. Wir werden alle von irgendwem oder irgendwas für richtig (genug) erklärt und erklären unsererseits andere für richtig (genug), um ein Überleben zu sichern, das wir für wertvoller, richtiger, vielleicht auch wichtiger halten als das anderer.

Ich merke, dass ich etwas Falsches tue, wenn ich dunkelbunten Innens widerspreche. Ich merke, dass ich ihnen keinen Lebensraum, kein gutes Leben biete, wenn ich ihnen vermittle, dass ES, DAS, hier und heute nicht mehr passiert und sie heute, hier, jetzt, weder gewollt noch gebraucht werden. Dass ich sie der Verstümmelung aussetze, wenn ich sie dem Heute und dessen Kontexten aussetze. Ich weiß, dass es einer abstoßend überheblichen Großzügigkeit der Überlegenen entspringt, wenn ich ihnen anbiete, sich neue Betätigungsfelder, neue Aufgaben, neue Überzeugungen und Weltbilder zu suchen – aber nicht das, was sie kennen und ihr Leben lang wollten.

Diese Erzählung über die Integration täter_innenloyaler und/oder -identifizierter Innens ist ziemlich weit verbreitet. Es gibt wenig Beschreibung von bedingungsloser Akzeptanz, geteiltem Trauma, Perspektivübernahme und der Inklusion von Täter_innenloyalität und Opferschaft in ein Leben danach. Oft, weil man dadurch mit der Zivilgesellschaft bricht. Weil man allgemeine Heilungserwartungen, Heilungsansprüche, enttäuscht, weil man anfängt etwas zu glauben, das etwas anderes, etwas eigenes ist.
Viele haben die Idee, wer dunkelbunten Innens zustimmt, stimme Täter_innen zu. Stimme Menschenverachtung, Brutalität, Gewalt zu, delegitimiere die Not der Opfer, negiere Freiheit und Selbstbestimmung als Wert an sich.
Auch das hat etwas mit dem Glauben Bescheid zu wissen zu tun. Mit der Annahme, man wisse schon, was in einem Menschen vorgeht, der Kinder vergewaltigt oder welche Interessen die Vertreiber von Gewaltdokumentation in Wahrheit haben. Die meisten täterloyalen und -identfizierten Innens werden (~irgendwie~) als Täter_innen gedacht – oder als Kinder, die Täter_innen sein wollten. In beiden Fällen werden sie nicht als eigen gedacht und das ist ein Fehler für mich. Denn das kann nur passieren, wem Täter_innenschaft als wesensfremd, als unnatürlich erscheint. Als fremd. Als Ausnahme. Als unvereinbar mit Opferschaft, mit Normalität, mit Gleichheit.

Nun bin ich in der Situation, in der ich nicht umhinkomme mir Welt_Ansichten und Wertkonzepte dieser Innens als mir als Einsmensch eigen anzuerkennen. In der ich nicht umhinkomme zu bemerken, dass mein (Über_)Leben in dieser Gesellschaft gefährdet ist, wenn ich mich nicht in Wort und Tat von ihren Werten und Glaubenssystemen distanziere – sie jedoch gleichzeitig in mich aufnehme, wie es meine Traumaheilung erfordert. Eine extrem widersprüchliche Situation mit erheblichem Potential, erneute Dissoziation erforderlich zu machen.
Einfach, weil es um Anpassung geht.
Nicht um Weiter_Entwicklung.

follow up „die Update-Reihe“ – ein Versuch

Ich wollte meine Gedanken zur „Update-Reihe“ weiter aufschreiben. Und dann stolperte wieder alles durcheinander. Dieser Text ist mein Versuch zu ordnen.

Es ist diffizil. Komplex.
Mein Hauptproblem an unserer Helfer_innentraumatisierung ist die Dopplung. Die Übergriffigkeit von Hilfe als Konzept und soziale wie kulturelle Praxis und die Angewiesenheit auf etwas, das in unserer Kultur praktisch ausschließlich mit Hilfe beantwortet wird, während alternative Praxen und ihre Theorien kaum einen Raum zur Ausentwicklung erhalten.
Das ist kein Konflikt zwischen „Ich möchte keine Hilfe annehmen“ und „Ich brauche Hilfe“, sondern zwischen „Ich habe ein Problem“ und „Mir wird nur Hilfe angeboten.“

Und dann die Schutz-Reihe. Die Update-Reihe.
R., die_r, so verstehe ich das gerade, seit mehr als 20 Jahren Hilfe sucht, aber nie die bekam, die sie_r brauchte oder wollte? – und heute auch nicht mehr bekommen kann – und ich, die durch übergriffige Helfer_innen oder psychologisch/psychiatrische Kontexte nicht an Kindheitstraumata erinnert wird, sondern an Psychiatrietraumata – und deshalb ein ganz eigenes, anderes, Thema habe als sie_r.

Für mich stehen Widersprüche, Doublebinds, globale Ohnmacht vor unsichtbaren, unansprechbaren, unbeberührbaren Eminenzen, wie „das Team“ oder dem spezifischen „Wir“, in dem Klinikbehandler_innen oder Betreuer_innen sprechen, im Vordergrund.
Der Umstand, dass man für sich sorgen soll, aber das nur in bestimmter Form (häufig welchen, die der Selbsthilfe eher im Weg stehen oder erfordern Grenzen zu übergehen, die in der Regel aus Gründen bestehen); dass man sich als freiwillig gerahmt (be)zwingen lassen soll und das alles nur, weil man nirgendwo anders hin kann.

Ich treffe auf Psycholog_innen oder Psychiater_innen und panzere mich gegen das Gefühl durch Schablonen angeschaut und in Kategorien eingeteilt zu werden. Nicht, weil ich so eine zarte Schneeflocke bin, sondern, weil ich weiß, dass bereits das ein gewaltvoller Akt ist. Dass ich schon in dem Moment Gewalt erfahre, in dem mir jemand sagt, dass sie_r diese und jene Diagnose vergeben könnte oder dieses und jenes bei mir vorliegt, noch bevor ich irgendeine Chance hatte, selbst etwas von mir einzuordnen oder meine eigene Ordnung mitzuteilen.
Ja, ich blute nicht; ja, niemand wird verknastet, weil sie_r eine Diagnose stellt, aber genau diese Erwartung ist das Problem. Wenn immer jemand bluten oder verknastet werden muss, damit etwas als Gewalt verstanden und behandelt wird, dann hat man einfach noch nicht verstanden, was Gewalt ist.

Für mich ist es schwer auszuhalten, wie unscharf die meisten Menschen miteinander umgehen. Wie undifferenziert geredet wird, wie hoch der Anspruch an eine möglichst unterkomplexe Vermittlung von Sachverhalten ist. Wie selbstverständlich erwartet wird, dass man okay damit ist, wenn nicht alles, was dazu gehört auch ausgesprochen, dargestellt oder wenigstens als ausgelassen markiert wird.
Im Kontext der Hilfen steigert sich das noch einmal, weil ich weiß, dass es weder falsch noch zu viel verlangt ist, sondern eigentlich ganz eindeutig zum Prinzip von Diagnose und/oder psychologischer/psychiatrischer Diagnostik und Hilfe gehört, so präzise wie möglich zu beobachten, die eigene Deutung nachrangig der Deutung des_der Klient_in (über bestimmte Kernelemente wie z. B. Leidensdruck, Leidensursache oder was nötig ist, um Leiden zu lindern/beenden) vorzunehmen und die gesamte Arbeit (hier Hilfe) nicht für sich selbst zu leisten oder für alle Patient_innen, die es gibt, sondern für diese_n eine_n Patient_in, die_n man da gerade begleitet/behandelt.

Unsere innere Update-Reihe ist entstanden, weil die meisten Menschen unscharf kommunizieren und mit unscharfen Lösungen zufrieden sind – und entsprechend erwarten, dass alle Menschen so sind. Alle wussten, dass wir ein_e Jugendliche_r sind, die_r Not hat und haben sich auf uns konzentriert – statt auf unser Umfeld oder den Ursprung der Not. In meinen Augen ist das nachvollziehbar aber auch völlig unsinnig. Wir waren nicht das Problem – wir hatten ein Problem. Und das wurde nicht gelöst. Das wurde, wenn man ehrlich ist, bis heute nicht gelöst. Aber man hat unseren Zustand verändert und das wiederum positiv gedeutet. Im Grunde als notwendige Teillösung des Problems.
Dass diese Zustandsänderung besonders in den ersten 7 Jahren nach Ersteinweisung vor allem auf dissoziativen Selbstschutzstrategien beruhten, hat kaum jemand verstanden und noch weniger ändern können. Keine Zeit, kein Geld, hier ne Pille, unzählige Fremddeutungen, die allesamt das Ziel hatten mich_uns als Zentrum von Problemen zu verorten, die ich_wir selber gar nicht als solche wahrnahmen. Das war die Hilfe. Und ja, wäre das alles nicht gewesen, vielleicht würden wir heute nicht mehr leben. Aber hey – wie würden wir wohl heute leben, hätte man 2001 unser Problem gelöst, statt uns?

Und Stichwort Unschärfe.
Man redet von Vielen oft als wären die Innens das Problem oder die Situationen, in denen sie auftauchen. Tatsächlich aber sind wir gewissermaßen die Kanarienvögel in der Mine. Deshalb schrieb ich über unsere Update-Reihe.
Weil es für mich wichtig ist, mich einzuordnen – meinen Bezug zu R. klarzumachen. Sie_r schiebt mich nicht vor, weil sie_r keinen Bock auf Konfrontation hat oder weil sie_r mich als Expertin für Gespräche mit Psycholog_innen einordnet – sie_r macht in dem Moment einfach nur etwas anderes als ich und das ist hochrelevant. Sowohl um sie_ihn zu verstehen, als auch zu verstehen, dass sie_r mich in diesen Situationen nicht wahrnehmen können wird. Zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht irgendwann, mal sehen. Für sie_ihn wird in solchen Situationen vermutlich nicht wahrnehmbar sein, wer ist, wenn sie_r nicht mehr ist. Es wird ihr_ihm gehen, wie mir früher mit anderen Rosenblättern. Man weiß, dass man denkt: „Nein“ oder „…“ und sich ganz zusammenzieht – aber dem nichts folgt, was irgendwie bewusst oder gesteuert ist.

Ja, manche Viele können das, die schicken X zum Einkaufen und verabreden sich dazu, ne Stunde später wieder zu wechseln und haben richtige Schichtpläne für Außenzeit. Wir haben das nicht und können das auch nicht. Wir brauchen das aber auch nicht. Wir wollen unsere Wechsel nicht mehr problematisieren, sondern verstehen, auf welche Probleme hin wir wechseln. Dass wir wechseln können, ist gut. Es ist etwas Gutes. Für uns.
Vielleicht nicht immer für unser Außen und die Menschen, die sich von uns eine gewisse innere Statik wünschen, aber auch das ist keine problematische Eigenschaft von uns, sondern ein Faktor, der zu problematischen Situationen beitragen kann wie jeder andere auch.

Entsprechend glaube ich auch nicht, dass wir allein gucken müssen, wie wir heute mit Hilfe und Helfer_innenthemen umgehen. Wir haben unseren Helfer_innen und Behandler_innen nie verschwiegen, dass wir Widerstände haben, dass man manche von uns schwer aushaltbare bzw. lenkbare Ängste haben und wir vor jedem Termin, jedem Kontakt einige innere Filme und alte Überzeugungen orientieren müssen. Nur direkt in aller Konsequenz verstanden wurde das oft nicht und wir müssen damit leben, dass das vielleicht für immer irgendwie so bleibt.

Das bedeutet für uns nicht, dass wir damit ok sein müssen. Wir lehnen es ab, uns allein in der Sache als Problem oder Fehler anzuerkennen. Nicht weil wir so geil sind, sondern weil es in jedem Kontakt zwei Enden gibt. Auch in dem, in dem die eine Person der anderen helfen soll/kann/möchte.

Neulich hatten wir das Thema Konsens. Im Nachhinein habe ich darüber nachgedacht, dass Hilfe oft etwas ist, in dem kein Konsens ausgehandelt wird, sondern als gegeben angenommen wird. Es wird erwartet, dass man einfach hinnimmt, wenn Mediziner_innen wie Psycholog_innen die Grenzen übergehen, die vor anderen Menschen eher verteidigt werden.
Entsprechend ist in unserem Fall logisch wie Wasser nass ist, dass wir als Einsmensch mit der Ausentwicklung von Fähig- und Fertigkeiten, die in solchen Situationen schützen reagieren und kein Fehler. Es sollte auch kein Problem darstellen.
Es wird und wurde in unserem Leben immer wieder ein Problem, weil Hilfe als grundsätzlich konsensuell gedacht wird – und nicht als Ergebnis konsensorientierter Verhandlung. Es wurde immer wieder ein Problem, wenn wir es mit Mediziner- oder Psycholog_innen zu tun hatten, die das Bewusstsein dafür verloren haben, welche Rolle ihre Funktion (!) im Leben allgemein, aber auch speziell in der Behandlungs-/Diagnostik-Situation spielt.

Schönes Beispiel dafür war unser Klinikaufenthalt 2016, der – je länger wir darüber reflektieren (und ja, das tun wir bis heute jede Woche mindestens einmal und werden nach wie vor davon belastet) – schon deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil man nie ins Aushandeln über Behandlungsziele, Grenzen, Themen oder mögliche Strategien, zur passenden Verständigung ging, sondern direkt ins Be_Handeln basierend auf ungeprüften, unreflektierten Vorannahmen, die man sich über unkritisch hingenommene Projektion und ein Erfahrungswissen, das vielleicht gar nicht mal so wirklich auf uns anwendbar war, gebildet hat.
Was da passiert ist, würde mir auch passieren, wenn ich eine E-Mail von jemandem bekäme, die_r im Nebensatz erwähnt, dass sie_r ein Buch schreibt, und einfach mal eine Buchsatzvorlage zusammenklöpple, statt mich auf das zu konzentrieren, was in der E-Mail steht. Ich bräuchte mich nicht wundern, wenn die Person mich abwehrt und sagt, dass sie etwas anderes von mir möchte. Ich bräuchte nicht die Person zum Problem machen, müsste sie nicht abwerten oder pathologisieren, sondern schlicht mich selber fragen, ob ich eigentlich noch alle Spatzen in der Hecke habe.

Oft, wenn wir zu unserer Helfertrauma-Thematik schreiben, erfahren wir Solidarität gegen Helfer_innen. Gegen die Psychiatrie. Das ist nett, aber auch eine Wiederholung des Problems, das wir beschreiben.
Es geht mir nicht darum einzelne Personen, einzelne Hilfesysteme zu kritisieren. Oder aufzuzeigen „wie kaputt das System eigentlich ist“. Es ist nicht kaputt. Es funktioniert hervorragend. Und das ist das Problem.

Uns geht es um Macht. Speziell die Macht der Institution und das Verhalten, mit dem man als Individuum aber auch als Gesellschaft diese Macht erhält, statt sich selbst (wieder) zu ermächtigen oder der ganz eigenen Macht über sich den gleichen Raum zu geben, zu lassen, zu erkämpfen. Das ist unser Ding. Unsere Ohnmacht vor Problemen und der Zwang dazu ohnmächtig zu bleiben, weil andere bestimmen, was ~eigentlich~ ~“das Problem“~ ist und wie man ~eigentlich~ ~“am Besten“~ damit umgehen sollte oder müsste, um in diesem Gesellschaftssystem nicht unter dessen kultureller wie sozialer Praxis zu leiden.

Ich glaube, dass ich R.s Thema darunter summieren kann. Ich glaube nicht, dass sie_r ein ganz grundlegend anderes Problem hat als ich. Aber ich kann nicht einfach davon ausgehen, dass sie_r genau das auch als Problem markiert. Ihre_Seine Erfahrung ist eine andere. Ihre_Seine Angewiesenheit ist eine andere. Ihre_Seine Werte und Loyalitäten sind andere als meine. Es kann sein, dass es um total konkrete Dinge geht. Um irgendetwas, das damals eine ganze Welt war – vielleicht auch genau nur ihre_seine Funktion. Da hat es überhaupt keinen Sinn zu schauen, wovor sie uns geschützt hat – sondern wen sie_r warum zu schützen versucht hat.

Mir diese Frage zu stellen hat mir in der Auseinandersetzung darum, ob wir uns auf das Angebot der Therapeutin einlassen oder nicht sehr geholfen. Ich habe verstanden, dass ich in der Situation nicht nur Ja oder Nein wählen konnte, sondern auch Wie und Wozu.
Wen habe ich geschützt, als ich darüber nachdachte, ob wir ohne therapeutische Begleitung an unserer Traumaverarbeitung arbeiten und wem habe ich geholfen, als ich der Therapeutin sagte, dass wir es weiter versuchen können, aber diese Thematik nicht wieder umpriorisieren dürfen, wenn das was werden soll?
Ich habe darauf keine konkreten Antworten bekommen, aber wieder deutlich gespürt, dass es richtig und wichtig ist, mich nicht als ~irgendwie Handelnde~ zu verstehen, sondern als Re_Agierende. Als ein System, das für andere Systeme innen Sinn ergibt.