die „Therapiefalle“ – Therapie nach traumatischen Erfahrungen mit (Trauma)Therapie

In diesem (englischsprachigen) Video wird eine zwischenmenschliche Dynamik zwischen Therapeut_in und Patient_in beschrieben, die ich selbst schon erlebt habe – und heute als retraumatisierend einordne.
/ Kurz für alle, die das Video nicht anschauen wollen: Komplex traumatisierte_r Patient_in kommt in Therapie und bringt sich bindungstraumatisiert in die Beziehung ein – (komplex traumatisierte_r) Therapeut_in reagiert darauf mit persönlicher Abwehr. Es entsteht eine Wiederholung unguter Bindungsmuster, individuelle Verletzung, die_r Therapeut_in beendet die Behandlung – die_r Patient_in wird in negativen Selbstbildern und Traumawahrheiten bestätigt und kommt später ein Mal mehr bindungstraumatisiert in eine psychotherapeutische Beziehung.
Wie kommt man raus aus diesem Muster? – Man geht ins Gespräch darüber. Sowohl für sich als auch miteinander. /

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Für mich ist dieses Video zu sehen bzw. diese Dynamik als tatsächlich stattfindend und problematisch von einem Behandler beschrieben zu erleben, sehr validierend.
Denn als ich zuletzt in so einer Situation war, dachte ich vor allem, dass ich mich nicht genug angestrengt hätte. Dass ich das unfassbar böse Monster in mir nicht genug mit Liebsein und Mitmachen verborgen hätte. Nicht genug Kommunikationsarbeit geleistet hätte. Dass ich nie genug und gleichzeitig immer zu viel bin. Das sind meine klassischen Märchen aus dem Traumascheißeland und in der Situation wurden sie durchgehend bestätigt.
Damals habe ich diese Bestätigung vordergründig aus dem Umstand des Behandlungsendes wahrgenommen – heute kann ich den Machtmissbrauch, der vorher schon passiert war, und die Komponente von persönlicher Abwehr meiner Versuche (Bindungs-)Sicherheit für mich herzustellen auch erkennen.

Trotzdem ist noch etwas übrig. Ein weiterer Klebehaken von zwischenmenschlichem Trauma könnte man sagen. Denn in solchen Situationen ist alles sehr persönlich. Man hat damals zwar auf mein Verhalten reagiert, aber in diesem Verhalten war ich ja drin und darüber konnte sich die Therapeutin weitgehend sicher sein. Sie selbst war durch Verhalten mir gegenüber hingegen verdeckt. Das wurde als therapeutisch notwendig, als professionell (von sich selbst) distanziert gerahmt. Ihr Status bzw. was allgemein damit verbunden wird, hat ihr einen Schutz gewährt, der mir nicht gewährt wurde – und der ihr bis zuletzt geholfen hat, nicht persönlich zu spüren oder mit sich persönlich zu assoziieren, war sie mir (in Zusammenarbeit mit ihren Kolleg_innen) angetan hat.

Auch ihre Präsenz als relevante Kraft in dem Kontext war verdeckt, da sich diese Erfahrung in einem Klinikkontext ereignete.
Institutionen funktionieren aufgrund von Strukturen, die individuelle Verantwortung und Leistung diffus verteilen. In der Folge wird auch individuelles Fehlverhalten diffus und gewaltvolles oder professionell unangebrachtes Behandeln nicht eindeutig erkennbar. Es gibt keine Chance für irgendwen mehr als die internen Hierarchien wirklich eindeutig erkennen und benennen zu können. So wird jede_r Patient_in zur potenziellen Störungsquelle, die – aus egal welchen und egal wie oder wofür relevanten Gründen – sowohl mit strukturellen Mitteln (wie z. B. arbiträren Regeln darüber, in welchem Selbstzustand sie wen um welche Art des Kontaktes oder der Unterstützung bitten dürfen) als auch mit persönlich durchgesetzter Macht kontrolliert bzw. abgewehrt werden muss.

Ich weiß, dass ich, wenn ich das so aufschreibe, oft nicht sehr verständlich bin für viele Lesenden. Oder Abwehr provoziere, weil diese Dynamiken von Verantwortungsdiffusion und Kontrolle in Hilfe- und Behandlungskontexten weder offen und eindeutig erkennbar noch offen und ehrlich besprechbar sind, wenn man drin ist. Oder sehr darauf angewiesen. Beruflich oder persönlich.

Für mich ergibt sich aus dieser Gemengelage von Nichtverstehen und Abwehrimpuls eine weitere Ebene, die diese Erfahrung zu einer traumatisierenden Erfahrung gemacht hat.
Denn – Traumawissen 101 – es ist nie nur das Ereignis selbst, was traumatisiert, sondern auch alles davor und danach.
Meine damalige Angewiesenheit wurde von Anfang an infrage gestellt, weil man basierend auf meinen Texten hier diverse Projektionen auf mich hatte und diese scheinbar zu keinem Zeitpunkt als solche reflektiert hat. Meine Belastung wurde ignoriert, weil man sie nicht verstanden hat bzw. mir die Schuld daran gab. Hätte ich mich nicht „so wichtig genommen“ (und einfach alles hingenommen, wie es war, weil das war ja schon immer so), wäre ja alles easy gewesen.

Als die Behandlung beendet war, konnte ich aufgrund meiner dissoziativen Struktur und der Dekompensation auf einem sehr grundlegenden Level nicht richtig vermitteln, was in mir vorging. Welche Art soziales Trauma sich für mich wiederholt hat. Wo es weh getan hat. Woran es erinnert hat. Mein Bedarf an Trost, Fürsorge, Wieder.Gutmachung und Versicherung war spürbar für mich – aber nicht stillbar, weil mein Bezug zu anderen Menschen ein Mal mehr und um eine weitere Ebene erschwert wurde und mein Bezug zu mir selbst durch die erneut bestätigten Traumawahrheiten über mich massiv angstbesetzt war.
Ich habe mich, so gut ich konnte, durch diese Phase hindurch dissoziiert und das wiederum von meinem Umfeld sehr unterstützt. Schließlich brauchte ich diese Berufsausbildung, diesen Schulabschluss, diese Arbeit. Diese so wundervoll überfordernde Lebenserfahrung, die von dem chronischen Stress, den behinderte Menschen unter weniger oder gar nicht behinderten Menschen haben, durchgehend flankiert wurde und mich insgesamt ganz ok stabil gehalten hat. Denn so funktioniert die DIS und der Vermeidungstanz, der dazu gehört.

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Ich denke in der letzten Zeit viel darüber nach, weil ich in der Therapie vermehrt mit jugendlichen Anteilen arbeite, die mein Leben vor dem Bruch durch stationäre psychiatrische Behandlungen und instabile Wohnverhältnisse bestimmt haben.
Immer wieder muss ich Ängste regulieren. Immer wieder Annahmen über die Erwartungen meiner Therapeutin an mich prüfen. Bis heute gibt es keine Therapiestunde ohne vorheriges Aufblitzen von Panik, etwas vergessen zu haben, wozu sie mich befragen könnte. Oder Panik, gerade weil ich mir keine Sorgen darüber mache, in irgendeiner Form nicht gut genug vorbereitet zu sein oder gut genug mitzumachen. Sie haben kaum andere Erwartungen an die Traumatherapie als die angelogen, überfordert, beschämt oder verwirrt zu werden und in ihrer Hilflosigkeit ignoriert zu werden. Manche warten bis heute darauf, dass die Therapeutin sie damit überrascht, dass beim nächsten Mal eine familientherapeutische Sitzung stattfinden wird – ob sie wollen oder nicht.

Ich weiß, dass die psychiatrische Behandlung, die ich als Jugendliche erhalten habe, auch ein massives Bindungstrauma im Zusammenhang mit meiner Herkunftsfamilie bedeutet hat.
Da meine Herkunftsfamilie gewaltvoll war, konnten wir das bisher nicht wirklich breit ausdrücken und versorgen. Die Anteile, die darunter leiden, kann ich nicht halten. Die Anteile, die dieses Leiden verdecken, sind bis heute der Meinung, dass die Realität nicht echt ist. Und die Anteile, die es überstanden haben, bin ich.

Und für mich ist es bitter.
Zu wissen, dass ich die bin, die es kann – die Therapie kann, die mit Menschen umgehen kann, deren Beruf der Kontakt mit mir ist – eröffnet mir selbst eine Perspektive auf mich als Traumafolge.
Was ohnehin schon nicht sonderlich toll ist, denn ich möchte Lebensfolge sein. Erlebnisergebnis. Erfahrungsschatz.
Tatsächlich aber bin ich das Beste, was danach möglich war – und das war nicht genug, um nicht verletzt zu werden.

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Dr. Lloyd betont in dem Video, wie wichtig der Anteil der Arbeit ist, die Therapeut_innen an sich tun, um solche Dynamiken nicht entstehen zu lassen. Das bestätigt mich darin, dass die Therapeutin, die mich damals verletzte, tatsächlich einfach nicht gut gearbeitet hat. Sie kann ein guter Mensch sein und ihr Handeln sogar gut gemeint haben, aber gut gemacht hat sie es nicht. Denn es ist schwer. Es ist leicht, diese Arbeit nicht gut zu machen. Wie in dem Video gesagt, sind auch Therapeut_innen nur Menschen.
In meiner Therapie ging und geht es bis heute aber um meine Menschlichkeit. Meine Art Mensch zu sein, meine Gedanken und Gefühle, meine Konzepte von Umwelt und Selbst aufgrund meiner menschlichen Bauart. Darüber reden wir die ganze Zeit. Die liegt immer frei und ungeschützt in dem Kontakt. Egal, wie gut oder schlecht ich als Patient_in mitmache, mich einlasse, die Regeln befolge oder Projektionen bestätige.
Und auch das ist, was für manche Therapeut_innen sehr schwer im Bewusstsein zu halten ist. Wenngleich ihnen ihre Verantwortung sehr klar ist. Auch wenn sie Richtlinien einhalten und ethisch korrekte Behandlungsentscheidungen treffen. Der Kern all dieser Vorgaben und Anforderungen ist immer der Umstand, dass ihre Arbeit mit anderen Menschen immer inmitten dieser Menschen passiert. Egal, welche Diagnose, egal wie groß der Leidensdruck. Niemand kann da schneiden, wo Psychotherapie wirkt.

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Diese Erfahrung ist jetzt acht Jahre her. Die Therapeutin arbeitet immer noch da.
Ich kann wohl davon ausgehen, dass sie in den vergangenen Jahren nie an diese Zeit gedacht hat. Bin mir sehr sicher, dass sie bestreiten würde, etwas getan zu haben, das mich verletzt hat.
Es ist ein loses Ende für mich und ich frage mich immer öfter, ob ich je darüber hinwegkomme.

Wut und Traumawahrheit

„Wut hat etwas mit den eigenen Grenzen zu tun“.
Noch eine Woche später hänge ich daran fest wie im Knäuel dicker, zähklebriger Seile. Einfarbig. Im Halbdunkel zunehmender Erkenntnis. Ich habe Angst.
Das kenne ich nämlich. Wut als Auslöser. Nachdenken über Wut als Einstieg in kreiselnde Kaskaden aus Traumashit und Kontrollverlust, an dessen Ende nur Erschöpfung und Dissoziation stehen.
Dabei kann ich gut wütend sein. Allein. Für mich. Ich kann sie fühlen, ich kann sie einordnen. Alles kein Problem – solang es um mich geht und ich das Problem bin. Dann nämlich kenne ich mich aus, weiß, was zu tun ist, fühle mich halbwegs kongruent.

Wut als Reaktion auf die Berührung, Irritation, Verletzung eigener Grenzen – das ist schwierig.
Schon Grenzen zu haben, ist wirklich schwierig für mich. Nicht mehr so viel wie früher, aber es gibt noch genug Momente im Verlauf einer Woche, im Zuge von sozialen Kontakten, körperlicher oder geistiger Umtriebigkeit, in denen ich es zum Kotzen finde, dass ich nicht einfach alles immer gleichzeitig kann. Einfach immer verfügbar sein und mitmachen, das ist der Modus, den ich, den wir, auch heute noch ständig anstreben. Obwohl wir ihn noch nie erreicht haben und vermutlich, sehr wahrscheinlich, auch nicht erreichen werden.
Menschen sind begrenzt. Das macht Grenzverletzungen so schlimm und zuweilen auch traumatisch. Wenn der äußere Rand von etwas verletzt wird, verliert, was auch immer dahinter ist, an Schutz. Keinen vollumfänglichen Schutz zu haben, ist ein Problem. Ein unter Umständen lebensbedrohliches Problem.

Die Gewalt, in der ich aufgewachsen bin und auch die Gewalt, in der ich heute als autistischer Mensch, noch immer lebe, verzerrt mein Verhältnis zur Wahrnehmung dieser Bedrohung und auch meine Bewertung dieses Problems.
Das ist die Abzweigung zu Themen wie Narzissmus, Ideen von Omnipotenz, aber auch gnadenloser Selbstzerstörung aus Selbsthass. Denn viele Täter_innen vermitteln ihren Opfern, dass ihre Grenzen ein Problem sind. Ein Anlass, ein Grund, eine Rechtfertigung, eine Eigenschaft, die es zu verlieren gilt. Und vor allem Kinder, deren Eltern die Täter_innen sind, haben keine andere Möglichkeit, als das zu glauben. Sie übernehmen die Perspektive des Außen auf sich und versuchen eine Kongruenz herzustellen. Nicht weil sie Opfer sind oder noch nicht sehr schlau, sondern weil sich so Identität und Selbstbild entwickeln. So machen Menschen das. Ohne Feedback vom Rand ihrer Selbst, gibt es keine Kenntnis darüber. Und ohne Kenntnis keine Meinung, kein Wert – keinen Ansatz für eine eigene Haltung oder eigene Wünsche an sich. Ohne berührte, gespürte, erklärte und verstandene Grenzen gibt es also auch keine Möglichkeit des Wissens darüber. Und ohne Wissen darum gibt es weniger Selbstverständnis, was dann wiederum zu einem Problem wird, wenn man in soziale Interaktion und Kommunikation geht. Dann ist es nämlich ganz praktisch, eine Idee von sich zu haben, um eine Idee von anderen Menschen zu bekommen und sich ihnen grenz-wahrend, verständnisvoll und konfliktarm zu nähern.

Ich gehöre zu den Menschen, denen oft vermittelt wurde, Dinge zu können.
Meine Hochbegabung gepaart mit meinem (Überlebens)Willen, die Dinge richtig zu machen, hat mich für viele Menschen älter und reifer, allgemein kompetenter wirken lassen, als ich war. Ich wurde sehr oft extrem überfordert, habe sehr oft sehr viel zu wenig Unterstützung, Anleitung oder Führung beim Erlernen neuer Dinge, beim Lösen von Problemen und dem Prozessieren von Selbst_Erfahrungen bekommen. Das war in meiner Kindheit, Jugend, jungen Erwachsenenzeit für viele Menschen – Betreuer_innen, Behandler_innen, Freund_innen wie Täter_innen gleich – einfach ein sehr kongruenter Umgang mit mir.
Selbstverständlich war Wut als Reaktion auf Grenzverletzungen wie diese dann immer ein massives Problem. Und hatte aus Sicht der Menschen um mich herum, immer nur mit mir selbst zu tun. Wurde als Ausdruck von Undankbarkeit vor dem Geschenk der Aufmerksamkeit, die man „den Reiferen“ / „den Cleveren“/ „den Verständigeren, mit denen man so gut reden kann, weil sie alles so tiefgreifend verstehen“ gibt, angenommen und entsprechend bestraft. In der Traumaklinik genauso wie in der Wald- und Wiesenklapse. In meiner Familie* genauso wie in meiner Familie°. In meinem Freundeskreis genauso wie in fremden Kontexten.

Es ist eine elendige Situation, wenn man so leben muss. Wissend, dass man eben nicht alles immer kann. Aber doch muss, weil es der einzige Weg, der einzige Anlass für andere Menschen ist, mit einem_einer in Kontakt zu gehen. Ob nun gewaltvoll oder nicht. Die Kontaktbedürfnisse verschwinden ja nicht, nur weil Kontakt auch gefährlich sein kann. Sie nehmen vielleicht ab oder richten sich auf ungefährliche Dinge, aber da bleiben sie und müssen befriedigt werden.

Wie umfassend, wie zuweilen sogar quälend weit über die eigenen Grenzen der Kontakt mit anderen Menschen für mich ist, habe ich erst nach der Autismusdiagnose und der Aufarbeitung des Klinik-GAU wirklich verstanden. Da gab es so eine Wutsituation ja auch. Und damit meine ich nicht den Meltdown im Büro der Oberärztin, sondern die Wochen davor. In denen ich, die_r sowieso massiv in der Krise war, mich noch dazu verpflichtet hatte, wenigstens annehmbare_r Patient_in zu sein. Mit zu wenig Ruhe, mit zu viel Menschenkontakt, zu viel Anpassung an Sozialperformances, die weder Sinn noch Nutzen für mich hatten und – klar, selbstverständlich, so ist mein Leben – so viel Kraft für Selbsterklärung, Wissensvermittlung und Barrierenkompensation.
Ich war die ganze Zeit in dem Modus, der mir schon als ganz kleines Kind das Leben gerettet und mir die Anpassung an lebensfeindliche Umfelder ermöglicht hat – und ich hatte das bemerkt. Und als Problem erkannt, denn niemand würde eine Klinik für Psychosomatik als allgemein lebensfeindlich einordnen. Da sollte es mir ja besser gehen, ich sollte behandelt werden, ich sollte Hilfe erhalten.
Dieser Widerspruch ist die berührte Grenze.
Ich brauche eindeutige Verhältnisse. Brauche Klarheit. Dann fühle ich mich sicher. An dem Aufenthalt war überhaupt nichts klar – außer, dass ich das Problem war. Und das kannte ich ja schon. Indem ich meine Behandlungszeit damit verbrachte, meine Grenzen niederzuschleifen und mich dafür zu hassen, wenn ich Widerstände von innen spürte (bzw. den Hass an den Innens zelebrierte, die ihren Widerstand auch nach außen hätten tragen können), stellte ich Kongruenz für mich her. Klarheit. Sicherheitsgefühle. Ich bewahrte andere Grenzen in mir. Kann ja nicht angehen, dass meine Traumawahrheiten über mich selbst falsch sind. Ich muss mich (meine Grenzen) verletzen. Es muss wehtun. Das gehört dazu. (Denn das Umfeld verletzt sie ja auch.)

Wut als Schutzreaktion anzunehmen, fällt mir also noch schwer, weil diese Perspektive viele Traumawahrheiten in Frage stellen würde.
Das Monster in mir wäre vielleicht keins. Das unwürdige Viech in mir vielleicht doch, was meine Therapeutin seit Jahren sieht. Selbst mein Selbsthass wäre nichts weiter als ein Schutzschild vor dem ableistischen Hass, den andere mir gegenüber ausgelebt haben.

Und wie soll ich dann weiterleben?

hätte hätte Traumakette

Dieser Text ist auch im Audio-Podcast „Viele-Sein“ im Format von Vielen erschienen.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich einige Viele-Blogger_innen damit auseinandergesetzt haben, ob sie selbst zu Täter_innen werden könnten. Eng damit verknüpft sehen wir die Auseinandersetzung damit, was alles hätte sein und werden können, wäre die Gewalt nicht passiert und wäre man in folge dessen nicht erkrankt*.

Hätte hätte Traumakette
Was für ein Kreisel. Warum fragt man sich: “Was hätte würde wäre wenn?”
Im Allgemeinen dient diese Fragestellung dem Herausfinden von in der Zukunft vermeidbaren Fehlern oder Dynamiken. Geht es also um die Frage, was aus diesem verkohlten stinkendem Zeug in meinem Kochtopf hätte werden können, ist eine Antwort zu finden außerordentlich hilfreich, konstruktiv und unter Umständen sogar evolutionär vorteilhaft.

In Bezug auf erlebte Gewalt oder auch Erkrankungen, mit denen man leben muss, weil sie nicht heilbar im Sinne von “komplett wegmachbar” ist, ist diese Frage im Grunde selbstverletzendes Verhalten. Das bedeutet nicht, dass sie nicht auch hilfreich ist oder konstruktiv oder in irgendeiner Weise vorteilhaft sein kann, sie kann es allerdings ausschließlich in weiterhin bestehenden Kontexten der Gewalt bzw. Auslieferung sein.
Wenn man sich also als Person, die weiterhin Gewalt erfährt, immer wieder fragt: “Was wäre gewesen, wenn ich XY getan oder nicht getan hätte?”, dann kann sie auf Möglichkeiten des Selbstschutzes kommen oder sich an die Idee von Hilfe bringen. Oder jemand die_r chronisch krank ist, könnte an die Idee kommen, gesundheitsfördernde Maßnahmen zu ergreifen oder quasi per Fehler/Symptomprotokoll auf die Dinge stoßen, die neben der Erkrankung heil und gesund sind.

Aber in Bezug auf Dinge, die in all ihrer zerstörerischen Auswirkung nicht mehr zu ändern sind, ist es selbst_verletzend. Es negiert, dass jetzt irgendetwas gut sein könnte. Es missachtet die eigenen Resilienzen, die Kreativität des Lebens, sämtliche Entscheidungen, die dazu beigetragen haben, mit dem was passiert ist umzugehen und ihren auch positiven Auswirkungen in der Gegenwart.

Auf die Frage, was aus uns geworden wäre, wenn die Gewalt nicht passiert wäre, können wir nur sagen, dass wir vermutlich auch dann eine seelische Schacke hätten, einfach weil unerkannt autistisch zu sein, zu ganz eigenen Traumatisierungserfahrungen führen kann.
Wir leben schlicht nicht in einer Welt, in der alles super läuft, wenn wir einander nicht absichtlich oder offensichtlich verletzen. Wer das behauptet, ist mit ausgezeichneten Abwehrmechanismen ausgestattet oder schlicht ignorant. In der Regel sogar beides.

Ein weiterer Punkt weshalb die Frage nach dem “HätteWürdeWäreWenn” nicht zielführend ist, ist der Umstand, dass sie gar kein Ziel hat. Diese Frage dient dem Vergleich mit einem Ideal, das man sich selbst ausgedacht hat, um Ansprüchen gerecht zu werden, die seltenst aus einem_einer selbst heraus kommt.
Wenn wir uns diese Frage stellen, dann vergleichen wir uns mit Leuten in unserem Alter, in unserer Klasse, mit unserem Bildungsstand – Kategorien, die keinerlei Rückschlüsse auf emotionale oder soziale Kompetenzen erlauben. Wir denken: “Ach, die Mitschüler_innen damals – an dem Gymnasium, das wir besuchten, bevor alles kaputt ging – die sind jetzt verpartner_innt oder verheiratet, haben Kinder, arbeiten in Jobs, die haben voll was erreicht und könnten noch so viel, nichts hält sie zurück.” Nicht eine Sekunde denken wir in diesem Moment daran, dass man durchaus auch Haus und Hof, Kind und Kegel – oder bewusst nichts davon – haben kann, während man die Folgen einer Vergewaltigung, einer Krebserkrankung, eines kompletten Bankrotts oder eines verkorksten Innenlebens kompensiert.

Hauptsächlich sagen wir uns mit dieser Frage, dass wir bestimmte Dinge nicht haben können, weil wir bestimmte Eigenschaften haben. Wir verstärken in uns Normen und Vorgaben, die nichts mit der Lebensrealität praktisch aller Menschen zu tun haben. Wir bestärken unsere Position als eine Person, die nichts schafft, die nichts kann, die darüber nachdenken und sich wünschen darf, zu tun was alle anderen tun – einfach auf die Art und Weise, wie sie das tut und kann und will und möchte – aber nicht selbst leben.
Wir nehmen uns also aus der Masse der Menschen heraus und wiederholen damit einen Aspekt, den viele überwältigende Erfahrungen am Ende zu einem Trauma macht: Alleinigkeit (und damit Verlassenheit, Verlorenheit, ausgeliefert sein und damit Todesangst)

Das ist der selbst_verletzende Aspekt dieser Auseinandersetzung. Die Wiederholung eines Traumaaspektes.

“Wer das Trauma nicht verarbeitet hat, ist gezwungen es zu wiederholen.” Das ist eine altbekannte Wahrheit der Traumatherapie.
Sie basiert auf der Beobachtung, dass traumatisierte Menschen sich selbst immer wieder in Situationen und Dynamiken begeben, die verschiedene Aspekte ihrer Traumaerfahrungen enthalten. Während Menschen, die ihre Erfahrungen verarbeitet haben, in solchen Situationen und Dynamiken schon Wege und Möglichkeiten kennen, sich nicht mehr traumareaktiv zu verhalten, haben das Menschen, die noch keine Verarbeitungsmöglichkeiten hatten, das nicht. Sie erleben immer wieder ähnliche Dinge, wie im Ursprungstrauma und werden dadurch unter Umständen sogar retraumatisiert.
Das ist natürlich keine Regel, die bei allen Leuten immer genauso eintritt, aber es passiert immerhin so vielen Menschen, dass es als Muster zu beobachten ist.

Und so ist die Frage nach dem HätteWürdeWäreWenn Teil einer Traumakette, dessen Auswirkung Selbst_Verletzung ist.
Ich schrieb am Anfang, dass dieser Umstand nicht bedeuten muss, dass sie deshalb nicht zu konstruktiven Ergebnissen führen kann. Ich glaube, dass sie das kann – wenn man sie als Traumawiederholung verstanden hat.

Wir haben aktuell das Thema, ob wir gute Eltern sein können, so wie wir sind. Mit unseren Limits und Assistenzbedarfen. Würden wir den “HätteWürdeWäreWenn-Weg” in dieser Thematik gehen, kämen wir immer und ganz automatisch an den Punkt uns zu sagen: “Nein.”
Wir wären die schlechtmöglichsten Eltern für ein Kind, weil wir sind, wie wir sind und deshalb nicht mit den idealen Voraussetzungen, in diese Aufgabe und ihre Herausforderungen gehen. Wir sind einfach nicht ideal. Wir sind nicht unauffällig. Wir sind nicht immer mit 100% auf allen Kanälen da. Wir brauchen Hilfe und Unterstützung bei Dingen, die für andere Leute ein Klacks sind. Wir sind uns der Fragilität der Dinge, die uns gerade stützen und stärken extrem bewusst. Wir wissen, dass es nicht viel braucht, um verschiedene Grade der Gefährdung (unserer Autonomien) auftauchen zu lassen.

Aber alles das ist nur in genau einem Szenario ein echtes Problem oder Defizit. Nämlich dem, in dem ausschließlich und einzig dem Ideal bzw. den Menschen mit den idealen Voraussetzungen erlaubt oder ermöglicht wäre, Kinder zu bekommen und beim Aufwachsen zu begleiten.
Wir leben aber nicht in Hitlers feuchten Träumen, sondern in einer Gesellschaft, die von Vielfalt und Varianz geprägt ist (und ja, dies in ihren strukturellen Gegebenheiten nicht abbildet, aber das ist ein anderes Thema).

Wir sind weit davon entfernt, okay damit zu sein, dass uns passiert ist, was uns passiert ist. Wir sind auch niemand die_r eine autistic pride-Flagge wedelt und allen erzählt, so zu sein wie wir ist easypeasy und das einzige Problem sind die Barrieren im Kopf anderer Leute.
Aber wir sind darüber hinweg, den Glauben zu leben, dass Ideale real er_lebbar und Schutz gegen jede Form von Ungemach und Mangel sind. Wir sind heute an dem Punkt, an dem wir besser akzeptieren können, dass wir eben nicht alles kompensieren können. Dass wir eben nicht nur genug nach dem einen Punkt suchen müssen, an dem sich der Schalter verbirgt, den man nur umlegen muss, damit alles glatt, problemlos und toll läuft – einfach, weil es diesen Schalter nicht gibt.

Wir haben so so viele Jahre nach diesem Schalter, nach diesem Punkt, nach diesem einen von uns aus uns selbst heraus ausgleichbaren Fehler gesucht und immer nur uns selbst gefunden. Und warum? Weil wir uns diesen Punkt, diesen Schalter, diesen Fehler selber ausgedacht haben, um die Gewalt und am Ende auch unsere Traumatisierung zu überleben.
Ihn zu suchen, indem wir uns die “HätteWürdeWäreWenn-Frage” stellen, ist bis heute eine Art Reflex. Wenn man sich anschaut, wie lange Gewalt und chaotische Phasen voller TraumafolgeStörungen Teil unseres Lebens waren, ist das völlig logisch. Doch auf diesen Reflex haben wir inzwischen andere Antworten als traumareaktives Verhalten oder Traumawahrheiten.

Nichts wäre besser oder einfacher, wären wir nicht, wie wir jetzt, hier und heute sind.
Es wäre nur alles anders. Jetzt ist es eben so, wie es jetzt ist anders, als bei anderen Leuten in unserem Alter, unserer Klasse, unserem Bildungsgrad, unserer körperlichen Konstitution. Es gibt daneben noch genug Leute, bei denen es ganz genauso ist, wie bei uns und ihnen würden wir schließlich auch nicht sagen, dass ihre Träume und Wünsche, Lebensziele und –pläne völlig Banane sind und was glauben sie eigentlich, was sie sind? Normal?! hahaha! – Warum also sollten wir es uns selbst sagen, wenn nicht, um uns selbst zu verletzen und daran zu hindern, zu machen, was wir uns wünschen?

Ich will an dieser Stelle noch sagen, dass es nie einfach ist, am Leben zu sein. Besonders nicht, wenn man wie wir so schlecht darauf vorbereitet wurde, mit der eigenen Lebendigkeit als etwas umzugehen, das erwünscht, bestärkt und grundsätzlich okay in seinem Zweck für sich selbst ist.
Aber wir leben. Jeden Tag. Und jeden Tag können wir uns dafür entscheiden, uns selbst gegenüber so zu sein, dass wir uns selbst in dieser Lebendigkeit willkommen heißen, darin bestärken, dass es okay ist, wie wir sind und unsere Lebendigkeit mit allem ausdrücken, was uns möglich und wie es uns möglich ist. Auch, indem wir Kinder kriegen, indem wir Reisen machen, indem wir Sex zum Spaß haben, indem wir Bücher schreiben, die niemand versteht, indem wir Dinge anders machen als andere, weil es nun mal die Art und Weise ist, in der wir sie machen können. Und all der ganze andere Quatschkram.

Das ist das wunderbare Privileg der Lebendigkeit: Wir können selbst bestimmen, wie wir uns selbst gegenüber sein wollen.
Auch das muss man üben, ja, und dieser Prozess ist unfassbar schwer! – aber die Möglichkeit ist da und wir sind, diejenigen, die sie nutzen können, wenn wir wollen. Wenn wir uns trauen können und wollen. Wenn wir uns selbst ernst nehmen, uns selbst die gleichen Rechte und Möglichkeiten zugestehen, wie wir das unseren Idealen zugestehen und uns 24/7 darin versichern, dass das total okay so ist. Denn das Leben will immer nur sich selbst. Nicht mehr und nicht weniger. Da bleibt unfassbar viel Gestaltungsraum ganz allein für uns, weil es einfach unser Leben ist – auch dann, wenn wir es mit anderen Menschen und deren Idealen teilen wollen oder müssen oder sollen. Auch dann.

Beim “am Leben sein” geht es um eine Alleinigkeit, die für traumatisierte Menschen oft auf Gefahr deutet. Es kann ein Trigger sein. Deshalb ist der Weg so schwierig und lang und voller Ängste. Manchmal muss man erst ganz intensiv verstehen und begreifen, dass zu leben eine Alleinigkeit bedeutet, die nur sich selbst braucht, um weiter zu bestehen. Da kann Traumatherapie ins Spiel kommen oder auch andere Wege sich damit auseinanderzusetzen und ganz bewusst Lebenserfahrungen zu machen, die dabei helfen, diesem Trigger nicht mehr traumareaktiv zu begegnen.

Am Anfang von all dem steht aber eine Entscheidung.
Die muss man treffen, sonst verändert sich nichts in die Richtung, in die man möchte.
So bitter, so überfordernd, so ängstigend das auch ist.
Auch das ist das Leben und am Leben sein.

Am Anfang steht die Entscheidung für das eigene Leben.

*Erkrankung meint hier, das, was als solche diagnostiziert wird

Es liegt nicht an deiner Intelligenz

dass du Schmerzen fühlen kannst.
Es liegt nicht an deiner Intelligenz, dass du Angst fühlen, Loyalitätskonflikte haben kannst, dich vor Gewalt und Lebensgefahr schützen willst.

Es liegt daran, dass du ein Mensch bist.

Kannst du dir mal einrahmen und an die Wand hängen, wenn du das nächste Mal mit Zitaten wie dem, das Paulines neulich geteilt haben konfrontiert bist.
Auch Menschen einem IQ von 30 sind „programmierbar“. Auch sogenannt „geistig behinderte“ Menschen sind traumatisierbar, sind fähig aus Gewalt, Schmerz, Todesangst heraus zu reagieren und ja, auch zu lernen bzw. zu anscheinend reflexhaftem Verhalten trainierbar. Ihre Traumafolgen sind auch Traumafolgen.

Nur bekommen diese Menschen sehr viel seltener die Chance zu Traumatherapie, werden praktisch aus der (neurologischen) Traumaforschung ausgeschlossen und aus Gründen gesellschaftlich akzeptierter ableistischer Normen als Opfer jeder Form der Gewalt praktisch hingenommen, als sei es ein Naturgesetz und deshalb etwas anderes, als bei anderen – „intelligente(re)n“ Menschen.

Wenn du heute, genau jetzt in dieser Zeit, etwas brauchst, das dir hilft gegen deine Traumawahrheiten, deine sogenannten „Programme“ anzugehen, dann mach das nicht mit einem Twist, der dich an einer Stelle aufrichtet, weil du dir einen schmeichelhaften Grund dafür geben und dir sagen kannst, dass du „immerhin nicht völlig gaga in der Birne bist“.
Denn dann musst du immer Angst haben, dass du es irgendwann mal wirst.
Du kannst dich damit über Feiertage retten, aber nicht durch ein Leben nach, sagen wir einem Schlaganfall oder einer Hirnblutung. Denn dann bist du erstmal augenscheinlich „gaga“ und hast obendrauf auch noch Feiertage und eine weitere innere Wahrheit, die deinem Wunsch nach Unabhängigkeit, geistiger Freiheit und Loslösung des Traumas direkt entgegensteht und dich der Lüge straft. „Hähä du kannst ja gar nix haben, du hast ja nur Matsch im Kopf“.

Das Leben nach der Gewalt bedeutet nicht, dass du dir die Gewalt der Gesellschaft, in der die Gewalt an dir passiert ist, annehmen und mittragen musst. Es gibt keinen Grund aufzuhören, sich mit anderen Gewaltgruppenmitgliedern zu vergleichen, sich gegenseitig zu verraten, runterzumachen, im Wert anzuzweifeln, weil es nicht mehr zum Überleben nötig ist – nur um dann im Leben danach, die nächsten vermeintlich Schwächsten zum Vergleich heranzuziehen, niederzumachen und damit dazu beizutragen, dass sie weiterhin als die schwächsten Menschen gelten.

Du darfst Menschlichkeit annehmen.
Du darfst Miteinander sein.
Du darfst dich darüber informieren, was für ein problematisches, ingesamt defizitäres Konzept Intelligenz ist.

Du darfst anerkennen, dass es schwierig ist, Antworten auf Traumawahrheiten, sogenannte „Programme“ in sich allein zu finden, ohne sich auf Äußeres zu stützen.
Das ist schwierig. Das ist brutal. Das ist, was man dir nie beigebracht hat, egal wo und wie du aufgewachsen bist.

Jetzt auf dem Weg der Loslösung zu sein, ist deine Chance. Jetzt hast du die Möglichkeit etwas neu zu lernen, anders zu machen. Vielleicht sogar besser zu machen als vorher.
Mach es.