witzig

Aber eigentlich würde ich mich dafür entscheiden, euch zu zeichnen … – wenn das okay ist.“
„Oh G’tt oh G’tt oh G’tt. … Du hast halt nur so ein kleines Heft – Passen wir da alle rein?“
Ein kleiner Witz unter Vielen. Ein Schmunzler. Ein prosozialer Akt, um die Beziehung zueinander in ihren Gemeinsamkeiten zu stärken und die Aufregung am Anfang der Podcastaufnahme umzulenken.

„Hier, guck dir das mal an“, er deutet auf eine kleine Mulde auf dem Dach des Autos, „da muss was heftig draufgeknallt sein.“
„War bestimmt Steinobst.“
Knaller. Meine beste sprachwitzige Spontanreaktion ever. Ich lache heute noch darüber, wenn ich daran denke. Einerseits, weil der Witz so gut passte, andererseits, weil mein Partner auch darüber gelacht hat.
Obwohl der Wortwitze nicht mag. Oder nur so tut? Vielleicht performt er Nichtmögen, weil es für ihn zum Witzmoment gehört? Ich weiß es bis heute wirklich nicht. Wir hatten beide mal einen richtigen Lachflash wegen eines Witzes, der mit einer Hummel zu tun und die Pointe auf „Bssssss“ hatte. Den habe ich schon längst wieder vergessen, aber den Lachflash nicht. Vielleicht mag er sie doch. Wer weiß.

Ich mags, wenn wir albern zusammen sind. Die Witze, die das schaffen, haben aber nie etwas mit uns persönlich zu tun. Es sind immer Wortwitze, Wortspiele, überzogene Fantasiegespräche, spontan ausgedachte Quatschlieder oder stereotypisierte Sozialportraits, mit denen wir einander sicher zum Lachen bringen. Auch schwierige Situationen können wir zuverlässig durch eine ironische Bemerkung auflockern oder im Nachhinein weniger belastend rahmen.

Humor ist eine wichtige Ressource für meinen Partner und ich bin froh darüber.
Aber Humor ist auch etwas sehr Persönliches.
Manchmal sagt er Dinge, die er sehr lustig findet oder amüsiert sich über Aspekte, die ich nicht erkennen kann. Und manchmal sind das Aspekte von oder an mir selbst. Dann bin ich doppelt gefordert, ihn zu lesen und seine Perspektive zu verstehen, um mir dann vorzustellen, warum dieses oder jenes aus seiner Perspektive gar nicht anders als witzig sein kann. Oder auch, warum er dieses oder jenes lieber locker lustig nimmt als ernst.
Diese Herausforderung verlängert meinen Weg zum Witz gewissermaßen. Ich muss mehr Vorarbeit machen, um die gemeinsame Ebene zu erreichen, auf der es okay ist, übereinander zu lachen. Zu dieser Vorarbeit gehört die Perspektivübernahme, aber auch eine gewisse Versicherung darüber, was das Ziel des Witzes ist. Also, worum es dabei neben dem Erreichen eines leichten Gefühls auch geht.
Wenn ich mir sicher bin, dass es darum geht, uns miteinander zu verbinden und gemeinsame Erfahrungen zu rahmen – und gewissermaßen mit Lustigkeit zu veredeln – kann ich auch Witze und Kommentare zulassen, die ich in ihrem Anlass nicht nachvollziehen kann. Da bleibt dann zwar ein Rest Unsicherheit und damit dann auch etwas, das für mich nicht ganz aus dem Kopf kann, aber ich kann den Witz zulassen und mittragen.

Das ist etwas anderes, wenn genau diese autismusbedingten Eigenheiten von mir Anlass des Witzes oder lustigen Kommentars sind. Denn für mich ist daran nichts zu erkennen, was irgendwie leichter genommen werden kann. Für mich ist nichts lustig daran, wenn ich jemandes Handeln nicht wirklich ganz nachvollziehen und verstehen kann. Im Gegenteil. Es ist hochgradig belastend, mit sehr viel ungewürdigter, nicht mitgedachter und also unsichtbarer geistiger Arbeit verbunden und oft genug ein Trigger in massive Ängste. Es ist ein Drehkreuz. Eine Stelle, an der sich Komplextrauma und Autismus treffen und gegenseitig verstärken. Hochempfindliches Terrain sozusagen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen für ich auch wirklich lustigen Spruch oder Witz darüber macht, dass ich nicht immer wirklich weiß, worum es bei sozialen Dingen geht, ist sehr gering.
Das trifft auch auf kompensierende Verhaltensweisen zu.
Ich bin schnell überreizt vom Umgang um mit Unordnung herum. Ich räume nicht auf oder sortiere alles, was ich habe, weil mich ein lächerlich irrationaler Zwang überfällt.
Ich nehme vieles als gleich präsent wahr. Ich schalte während eines Gesprächs laufende Geräte nicht stumm, weil mir egal ist, was sich jemand angehört/angeguckt/gemacht hat.
Ich verliere mich schnell im Hyperfokus auf tendenziell als unproduktiv gedachte Handlungen, wenn ich keinen Tagesplan habe. Ich fordere keinen Tagesplan ein, weil ich andere Menschen für mich verfügbar wissen oder sie kontrollieren will.
Ich muss neue Inhalte und Problemstellungen komplett in allen Aspekten und möglichen Abweichungen durchdenken, durchspielen und immer wieder auch sozial absichernd durchsprechen, bevor ich sie sicher anwenden oder auflösen kann. „Einfach machen“ ist für mich in vielen Bereichen des Lebens einfach nicht drin. Und don’t get me started on „Mach dir keinen Kopf.“ als kleine Schmunzeleinlage.

Es gibt Sprüche und Witze, die betonen die Unterschiede, die Menschen aneinander wahrnehmen.
Die verletzen mich. Darüber lache ich nie. Die nehme ich hin, wenn ich nichts dagegen tun kann – die akzeptiere ich als Eigenschaft nicht-autistischer Menschen, die sich meine Arbeit mit ihnen einfach nicht mit mir machen wollen. Als Bocklosigkeit. Als Ignoranz. Als schwer umzulernendes Verhalten. Als die Alltagsgewalt, der ich einfach jeden Tag ausgesetzt bin, egal, was ich tue.
Und dementsprechend nie als etwas, das dafür da ist, eine gemeinsame Beziehung zu etablieren, zu stärken oder zu erhalten.

Bei Witzen über Unterschiede geht es in der Regel um die Stärkung von Normen und dadurch auch Herrschaft. Also eine Stärkung der Beziehungen, die normkonform und vorherrschend sind. So kommunizieren rassistische Witze von Weißen beispielsweise niemals Wertschätzung, Respekt und Gleichwertigkeit von Nicht-Weißen, sondern primär und immer! , dass nicht-weiße Menschen anders sind. Jeder Witz von zum Beispiel cis Menschen über trans Personen oder von nicht-autistischen Menschen über autistische Menschen funktioniert genau so. Und in 99,999999999 % der Fälle wird durch dieses Othering, diese ständige Wiederbetonung des für den Witz (Macht.zielgerichtet) hergestellten, ausgestalteten, ausgeschriebenen Unterschiedes, die Grenze verstärkt und die dadurch entstehenden Gruppenverbände klarer definiert.
Als normkonforme, vorherrschende Gruppe merkt man selbst oft nicht, worüber man sich da eigentlich lustig macht – weil man ihre Witze nie gegen sie verwenden oder auf sie anwenden kann. Man ist einfach nicht auf der gleichen Ebene und kann sich entsprechend nie mit gleicher Wirkung treffen.

Ich nehme an, dass meine Vorliebe für Wortwitze aus diesem Umstand entstanden ist. Mein Interesse an Humor ist Verbindung sowie Spaß an Wort und Ton. Das ist für mich leichter herzustellen, als die korrekte Selbstzuordnung sozialer Gruppen, die sich von anderen Gruppen abgrenzt, und zwar mit ausgedachten und dann übertrieben ausgestalteten Unterschieden, die man einander in sozialen Codes mitteilt.
Ich verstehe diese Witze durchaus – aber die Arbeit dahin ist einfach enorm und letztlich nie zum Vorteil für mich. Denn so richtig gehöre ich doch nie ganz zu denen, über die nicht gelacht wird.

#2 „Ich höre zu“

„Ich fühle mich ungehört“, „Ich fühle mich nicht gesehen“, „Beachte mich.“ – sehr schwierige Sätze.
Ich kann mich erinnern, wie ich mit 14 ein Mal vor einigen Psychologiestudent_innen vorgeführt wurde und etwas in der Richtung gesagt habe. Stand damals war ich in der Uni-Psychiatrie „wegen Ritzen“. Denn so bleibt es bei den Kindern und Jugendlichen hängen. Sie sind nie in der Psychiatrie, „wegen Personalmangel“, „wegen Zufluchtsplatzmangel“, „wegen Fehlern, die ihre Eltern und andere Bezugspersonen gemacht haben“, sondern wegen „Verhalten XY“. Ich hatte damals gesagt, dass ich nicht mehr wusste, wie ich sagen könnte, was in mir vorgeht.

Für mich beginnt die Schwierigkeit der Sätze vom Einstieg genau dort: An dem Missverständnis von Verhalten in Zusammenhängen, als Verhalten von Personen. Also der Person, genauer ihrer Persönlichkeit, als Quelle von Verhalten.
Sagt man „Ich fühle mich ungehört“ wird das oft nicht als Hinweis an das Umfeld verstanden, dass man sich ausgeschlossen, unverbunden, missverstanden oder missachtet fühlt, sondern, dass man denkt, man habe ein Anrecht darauf, gehört zu werden. Was in gewaltvollen Kontexten als eine grobe Frechheit, eine dreiste Anmaßung, eine narzisstische Selbstüberhöhung, eine unberechtigte Forderung, ein Gewalt legitimierender Selbstausdruck einer unwerten kranken abweichenden falschen Person verstanden wird. Mit allen Konsequenzen.

Diese Erfahrung machen leider sehr viele Menschen in ihrem Leben. Die most casual Alltagsgewalt, die viele Kinder erfahren, ist der Satz. „Du willst doch nur Aufmerksamkeit“ und damit genau diese Verdrehung der Bedeutung ihrer Äußerung. Statt, dass sich ein Umfeld den Auswirkungen seiner Umgangsgestaltung widmet, stellt es die natürlichen Ansprüche einer Person infrage und macht sie damit illegitim. Kinder lernen so, dass ihre Bedürfnisse zu erfüllen eine Frage von Legitimation ist – also erst ein Mal alle damit einverstanden sein müssen, dass sie Bedürfnisse haben, damit sich darum gekümmert wird, sie zu erfüllen.

Gehört zu werden, ist so ein Bedürfnis. Für Kinder ist es sogar die Grundlage ihrer Überlebensstrategie. Sie können sich auf Distanz – bei fehlender Nähe also! – nur hörbar machen, um hoffentlich von denen wahrgenommen zu werden, die ihnen nichts Schlechtes tun. Kurios, dass wir in unserer Gesellschaft denken, irgendwann höre das auf. Dieser Drang, dieses Agieren zum Überleben. Obwohl doch alles, was wir tun, 24/7, von Anfang bis Ende unseres Lebens genau darum kreist.
Aber so funktioniert Ableismus. Die Verdrängung des Bewusstseins um unsere Sterblichkeit ist so umfassend, dass wir jede Schwäche, jedes gefährdende (Noch)Nichtkönnen und jede Bezugnahme darauf abwehren müssen. Auch, wenn sie von unseren Kindern kommen.

*

Für mich war der Satz „Ich höre zu“ immer wieder wichtig im professionalisierten Hilfe-, Unterstützungs-, Begleitungs- und Behandlungskontext. Auch heute noch.
Eine Erzieherin im Kinder- und Jugendnotdienst hat ihn mir gesagt, nachdem wir mein nasses Bett ab und neu bezogen hatten. Als wir eine neue Wohngruppe für mich gesucht haben. Bevor ich ihr gesagt habe, dass ich misshandelt worden war. Eva. K. Ich werds nie vergessen.
Eva hat mir damals einen Grundstein dafür gelegt, glauben zu können, dass „Ich höre zu“ einen Zauber einleitet und mich vom ewig unnötig rumnöhlenden Nervkotzbrocken zu jemandem verwandelt, die_r etwas zu sagen hat, das relevant für die Situation ist. Nicht, weil ich das sage, sondern weil ich Teil dieser Situation bin. Sie sich also auf mich auswirkt.

*

Zu „Ich höre zu“ gehört Aufmerksamkeit jedoch auch dazu. Und die ist tricky.
Denn einerseits ist Aufmerksamkeit eine natürliche Notwendigkeit zum Überleben in Gemeinschaft bzw. Gesellschaft – andererseits ist sie eine gestaltbare Folge von Wahrnehmung. Wir können entscheiden, wie wir reagieren, wenn wir jemanden wahrnehmen. Und wir haben wenig Kontrolle darüber, für welche Reaktion sich andere Menschen entscheiden.
Ich habe in meiner Herkunftsfamilie, aber auch später in Psychiatrien und anderen Gewaltkontexten immer versucht so unsichtbar wie möglich zu sein. Bitte nicht beachten. Nicht angucken. Denn immer, wenn mich jemand sah, war das ein Problem oder das, was ich als Auslöser für Gewalt an mir einordnete. Man kann nicht gleichzeitig gehört und nicht gehört werden.
Ein schreckliches Dilemma – wie sollte ich denn überleben?

Auch als jemand, die_r nicht gut darin ist, soziale Situationen zu lesen.
Ich war nie unauffällig. Nie das durchsichtig farblose Steinchen am Wegesrand oder das klitzekleine Insekt mit Tarnfarben, das ich sein wollte. Ich war das beste Spielzeug, das sich ein_e Sadist_in wünschen kann.

„Ich höre zu“ ist deshalb heute ein Satz, in dessen Zauber ich erst vertraue, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:

  • „Ich höre zu“ bedeutet genau das: Mir wird zugehört – ohne eine weiterführende Agenda
  • es wird gehört, was ich sage – nicht wie, wo oder wann ich es sage
  • es wird (für) wahr.genommen, was ich sage und nicht ohne meine Mitwirkung in Bezug gesetzt oder bewertet

Ich weiß, dass es für viele Menschen schwierig ist „einfach nur zuzuhören“. Vor allem, wenn man beruflich zuhört und darauf trainiert ist, im Gehörten alles Mögliche zu suchen, zu finden oder zu bemerken. Aber es ist genau dieses Training, das zu Automatismen führt, die wiederum zu Fehlern führen. Auch zu Wahrnehmungsfehlern. Zu gravierenden, sich sehr schlimm auswirkenden Einordnungsfehlern. Die man manchmal nicht einmal merkt. Oder auch nicht so gern merken möchte. Wenn man etwas zu verlieren hat, wenn man Fehler gemacht hat. Zum Beispiel.

Aber ich als Patient_in, Klient_in, Hilfe empfangende Person habe im professionalisierten Kontakt gar keine andere Wahl, als zu sprechen. Wir treffen uns in konkret abgesteckten Zeiträumen, mit ganz klar abgesteckten Grenzen des Miteinanders. Mehr als sagen, was ist, bleibt da nicht übrig.
Um so wichtiger ist es für mich, dass mir professionalisierte Helfer-Begleiter-Unterstützer- und Behandler_innen sagen, dass sie zuhören, wenn es das ist, was sie gerade tun.

die FAQ-Seite

Heute Morgen habe ich die FAQ-Seite gelöscht.
Auslöser war eine Häufung der Rückmeldung, dass man nicht verstehen könne, was wir schreiben. Dass unsere Texte intellektuell nicht zugänglich seien. Und entsprechend der Eindruck, dass diese Seite ihren Zweck nicht erfüllt.
Und.

Gehen wir mal davon weg, dass es uns empfindlich trifft, wenn man uns sagt, dass man uns nicht versteht. Dass es unfassbar tief triggert, weil das Unverständnis anderer Menschen uns so oft mit so vielen schwierigen Dingen und Lebenslagen alleingelassen hat.
Und gehen wir auch davon weg, wie verwirrend ein Feedback ist, das uns positive Rückmeldungen gibt und gleichzeitig sagt: „Ich hab nicht verstanden, worum es ging.“ Denn, ja, das geht durchaus beides – sagt mir aber auch: „Es ist total egal, was du da schreibst, ich finds gut.“ und das hört wohl niemand gern, die_r auch schreibt, um etwas zu sagen.

Wir können unser Schreiben hier als Überkompensation von Kommunikationsproblemen und notwendige Reflexionsarbeit anerkennen, können aber auch sehen: Wir machen das aber hier und nicht versteckt hinter einem Passwort und im kleinsten Freundes- und Gemögtenkreis, weil wir auch etwas von dem, was in uns vorgeht, teilen wollen. Mit anderen Menschen.

Wir wissen, dass man nicht alles Wissen als gegeben annehmen darf. Wir wissen, dass vielen Menschen der Zugang zu formaler Bildung, zu Allgemeinbildung sehr erschwert ist. Wir wissen auch, dass viele Menschen länger brauchen, um Wissen transferieren und anwenden zu können und Gelerntes im Gedächtnis zu behalten.
Wir wissen aber auch, dass es Fähig- und Fertigkeiten erfordert, das eigene Wissen immer wieder und wieder und wieder und wieder und wieder – über Jahre hinweg und immer ganz persönlich sich selbst betreffend – zu vermitteln. Und diese Fähig- und Fertigkeiten wenden wir bereits in Workshops und Vorträgen an. Müssen wir anwenden, wenn wir mit Behörden zu tun haben oder neue Menschen in unser Leben integrieren.
Zu mehr Erklärbärzirkus sind wir einfach nicht bereit. Und ja, ich nenne das Erklärbär“zirkus“, weil ich es als soziale Selbst_Darstellung wahrnehme, sich und die eigenen vermeintlichen Abweichungen permanent zu erklären, als würden Erklärungen allein reichen, um zu verstehen, mitzufühlen oder sich mit einer Person verbinden zu wollen. Wer sich erklären muss, um verstanden zu werden – wer sich dieser Art des Anspruchs beugen muss, ist in einer Position, aus der heraus wenig bis nichts vorausgesetzt, nichts erwartet werden darf und das halte ich für fatal.
Ich will annehmen dürfen, dass Leute, die hier lesen und nicht verstehen, entweder in den Kommentaren nachfragen oder ihre Frage bei Google eingeben, denn wer es bis hier hinschafft, wird es auch dahin schaffen.

Die FAQs wurden immer mal wieder angeklickt, doch von uns zuletzt 2014 aktualisiert. Da stand nichts über Autismus, über unsere anarchistische Haltung, darüber was nicht binär, pansexuell – queer – sein bedeutet. Da stand nichts zu Inklusion, nichts über Gewaltkultur, nicht einmal die DIS habe ich darin als den Komplex beschrieben, der sie bedeutet. Nicht, weil ich das alles nicht erklären kann, sondern, weil das alles schon zigfach erklärt wurde. Auch von mir – in den hier veröffentlichten 1517 Texten, von denen 1223 öffentlich lesbar sind, aber auch in den vielen Stunden „Viele-Sein“. Ja, die zu lesen oder zu hören ist fordernd, anstrengend und mimimi, aber ganz ehrlich – was glaubst du, wie anstrengend war und ist zu leben, was wir hier aufschreiben und im Podcast aussprechen? Und wie anstrengend es für uns ist, dafür Worte zu finden. Und die Technik hinter allem zu managen. Und sich Gedanken über Inhalte, Reichweite, Zugänglichkeit, Außenwirkung und bliblablö zu machen – während man weiß, dass man am Ende doch kaum wirklich beeinflussen kann, wie einzelne Menschen darauf reagieren oder damit interagieren können.

Ich will nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden, verstanden zu werden. Das ist eine Gewaltdynamik und ich will sie nicht mehr mitmachen. Oder so tun, als wäre sie legitim, denn sie ist es nicht. Sie ist nur gewohnt, weiter nichts.

tapp tapp tapp IST DAS DING AN?!

Ich hatte heute morgen mal wieder so einen weitgeteilten und belikten Tweet in der Timeline, in der jemand wollte, dass endlich mal alle Leute kapieren, was Trigger eigentlich für ne schreckliche Sache sind und, dass man das nicht leichtfertig daherreden soll, wenn man davon keine Ahnung hat.
Solche Forderungen habe ich so oft in meiner Timeline, dass sie mir zum Trigger geworden sind. In Wut, in Abwehr, in die Gedanken daran, wie viel Traumaedukation von Nichtpsycholog_innen es noch braucht, damit das endlich aufhört und dem folgend das Gefühl, dass es nie genug sein wird und wir dieser Forderung für immer und immer ausgesetzt sein werden.

Argh.

Es kommt bei mir anders an, wenn man fordert, diesen Sprech sein zu lassen, weil (extreme) Rechte diese Begrifflichkeit für sich benutzen, um Menschen, die Gefühle haben, zu demütigen. Das ist für mich etwas anderes, weil es dabei darum geht, wie wir miteinander leben und reden wollen. Wollen wir uns über unsere Sprache von denen abgrenzen (und uns andere Worte überlegen, um Leute zu demütigen) oder wollen wir sie uns aneignen, um ihnen die Wirkmacht zu nehmen?

In meiner Community merke ich, dass Leute, die diese Begrifflichkeit nur für traumatisierte Menschen “genehmigen” wollen bzw. nur von ihnen zu füllen erlauben, versuchen etwas am Miteinander zu schrauben, ohne klar zu machen, worum es ihnen geht. Da wird nicht darüber gesprochen, warum es schwierig ist, wenn die Allgemeinheit mit “jetzt bin ich aber getriggert” meint, dass sie irritiert, beleidigt oder gestresst im Sinne von abgenervt ist, sondern eine Schlimmskala aufgemacht. “Für mich (für Menschen wie mich) ist getriggert sein schlimmer als für dich (Menschen wie die, als die ich dich jetzt einfach mal eben so ohne Nachfragen oder nähere Kenntnis einordne), weil ich hab ein echtes Trauma (und du nicht)”.
So was kotzt mich an. Like so richtig, wirklich echt. Weils Gewalt ist.
Gewalt, die Leute ausüben, weil sie glauben, ihre Erfahrungen legitimieren das. Und manchmal auch, weil sie sich darauf verlassen können, dass ihre kleine soziale Bubble sie in dieser Haltung legitimiert.

Hier denke ich oft, dass ein Fehler auch daraus entsteht, dass sich kaum jemand wirklich die Zeit nimmt, sich “Trauma” wie etwas zu widmen, das man auch objektiv anschauen kann, obwohl und gerade weil es so viel Subjektives darin gibt. Ja, “wir traumatisierten Menschen” denken alle, dass wir so spezielle kleine Schneeflöckchen sind und bei allen ist alles anders und individuell und bliblablö, aber es gibt ganz grundfeste Gemeinsamkeiten. Die Mechanik des Traumas wird nicht jedes Mal neu für alle frisch traumatisierten Menschen erfunden. Man kann sich heute aus einem so unfassbar großen Fundus an Informationen aller möglichen Fachrichtungen informieren – man negiert damit erst einmal nicht das subjektive Erleben der Menschen, die damit leben.

Ich glaube, dass ich ohne meine subjektive Traumaerfahrung und mein Leben mit den Folgen heute, aber auch mit dem Wissen, dass ich dazu habe, nicht erkennen könnte, dass die Forderung nach Triggerwarnungen, nach “Hört auf, “getriggert” nicht im Traumakontext zu sagen” und diesem ganzen Salat, der dann oft daraus entsteht, ganz klassisches Vermeidungs- und Kontrollverhalten ist. Ich will nicht bewerten, ob das schlechtes Verhalten ist, oder klar geht, aber ich will bewerten, wie “meine Community” darauf reagiert. Nicht hilfreich, nämlich. Zumindest nicht, was den Umgang mit traumatisierten Menschen in der eigenen Clique angeht.
Es hilft 0 – absolut gar nicht, like wirklich nicht, jeden möglichen Trigger aus dem Leben eines Menschen, egal, ob traumatisiert oder nicht, rauszuhalten, zu markieren oder zu policen. Das ist Vermeidung. Das ist PTBS. Das ist das Gegenteil von Verarbeitung und damit auch das Gegenteil von Heilung, Möglichkeiten zur Heilung und Weiterentwicklung – also Leben.

Ihr wisst, dass es jetzt kommt, weil es an dieser Stelle seit Jahren immer wieder geschrieben wird:
LEBEN TRIGGERT

Niemand von uns wäre auf der Welt, würde fühlen, denken, handeln, träumen, wünschen, fordern können, gäbe es nicht in uns allen gleich das Reiz-Reaktionsprinzip als Grundlage aller Entwicklung.
Ja, “wir Traumatisierten” haben durch unsere Erfahrungen da ein Feature. Ja, ein kack Feature, das in aller Regel weh tut und stört und alles kompliziert macht und viel Aufmerksamkeit zieht. Aber wir haben da nichts Komisches, Besonderes oder irgendwas, was nur aus dem Blickwinkel der Psychologie betrachtet werden darf, weil sie das so hübsch für sich durchprofessionalisiert hat.

Wenn “wir traumatisierten Menschen” unser Trauma in einer Community thematisieren oder in einer Gruppe, dann geht es doch eigentlich immer um die Frage, wie wir miteinander leben und umgehen wollen. Es geht um Fragen des gegenseitigen Verstehens, der Grenzenachtung, es geht um die Frage, wer einspringen kann, wenn ich wegen Flashback, Schmerzattacke, Angst, Nichtgepennt, Disso-Tag etc. ausfalle, es geht um Fragen des Rückhalts, es geht um Fragen der Akzeptanz untereinander. Es geht um unfassbar anstrengende Kommunikation.
Und darauf haben viele einfach keinen Bock – there I said it.

Grad in meiner alternativen Bubble, wo Plena immer irgendwie länger sind als geplant, schleicht sich das immer wieder rein. Man hat schon so viel darüber zu reden, wie man Sexismus unterbindet, Rassismus nicht reproduziert und Klassismus aushebelt, dass Ableismus und Saneismus weder von allen als reflektiert vorausgesetzt, noch über Umgänge verhandelt werden kann. Also fällts weg. Man wartet auf Ansagen. Reagiert aus Unsicherheit mit “Ja ok, du bist ja marginalisiert, ich nicht, du gibst vor, ich folge – ich helf dir, damit alle anderen auch folgen (ich coole Sau)”

Argh.

Ich werd hier jetzt nicht hinschreiben, was ihr oder wir oder alle machen müssen.
Da beginnen die Aushandlungsprozesse, die wir meiner Ansicht nach in der Community und in der Welt insgesamt brauchen. Was ich sage is: Mach deine Hausaufgaben. Reflektier dich in deinen Forderungen alle.

Leben triggert. Es ist im Grunde ein suizidaler Akt, sich dem zu entziehen.

micdrop

Fundstücke #64

Es ist die dritte Woche unseres Praktikums und das erste weinschreiende Kleinkind, das mit uns im Zug fährt.

NakNak* und ich sitzen in Sichtweite, doch nicht direkt in der Szene. Dafür bin ich dankbar, denn mit dem Hund an der Seite ist der Kontakt zu fremden Menschen allgemein und Kindern im Besonderen zwar leichter möglich, aber nicht immer auch stressfreier.

Das Kind windet sich in der Karre, will aussteigen, will selber essen, will selbst den Trinkbecher halten, drückt und drückt sich gegen die Gurte, die es in der Karre halten.

Das Elter sagt Dinge, die nicht an das Kind, sondern die Umsitzenden im Mehrzweckabteil gerichtet sind. Macht mich wütend als es irgendwas mit „Fesselspielen“ sagt und uneindeutig lächelnd in die Runde guckt.
Die Runde drumrum sagt nichts. Später kommt eine ältere Person, die versucht das Kind, das inzwischen in einem Frustschreikreisel rotiert, abzulenken.

Dass wir uns selbst in irgendetwas eingekreiselt haben, merke ich erst, als Elter und Kind aussteigen. NakNak* schleckt unseren Unterarm an, drückt sich gegen unsere Brust. Wir schauen auf die gelbgrünen Wiesen und Felder draußen und lassen unsere Anspannung wie Steinschlag auf den Abteilboden rieseln.

Wir verbieten uns irgendwelche weiteren Gedanken über das Elter, das Kind, die Erziehungsmethoden. Es ist nicht unser Kosmos, wir haben keine Ahnung. Nur die Annahmen, die unser getriggertes Nervensystem generiert.

Dennoch denken wir darüber nach, was für ein Mechanismus das ist, wenn ein Elter auf so eine Art kommuniziert. So als wäre es in einer Mangege zur Darstellung eigener Überlegenheit oder in einer Art Show der Kompetenzbeweise. Und what the fuck- was ist das für ein Sprung von „Eeeh sorry“ zu „Hehe Fesselspiele“?

Das ist doch kein Ausdruck von Kompentenz, da geht es doch nur um Überlegenheitsdemonstration.

Ich komme zu keinem Schluss, dann fährt der Zug in unseren Zielbahnhof ein. Am Abend schaue ich ein YouTube-Video an, in dem ein Kind unter 5 einen Bikini trägt. Was ist das für eine merkwürdige Situation, in der ein Kleinkinderkörper wie ein Erwachsenenkörper sexualisiert und entsprechend bekleidet (oder wie im Zug: geframed) wird?

Geht es dabei um Macht oder um Machtpotenzial? Um die Legitimation einer Kontrolle oder um die Angst vor einem kleinen Tyrannen, dessen größte Tyrannei darin besteht, sich zusehens zu etwas zu entwickeln, das den Eltern gleicht?

Was auch immer es ist, denke Ich, als ich das Video ausschalte, kein Kind kann sich dagegen wehren.
Es gibt keinen Schutz vor geistigen Übergriffen durch sexualisiertes Framing.

der Nichtschweigeskill

Wir gehen gerade mit einer Situation um, in der eine Person etwas über eine andere Person behauptet und sich das weiterträgt. Gossip, Klatsch, Rufschädigung, Gerüchtestreuung. Sowas in etwa.

Wir haben nicht oft mit solchen Dingen zu tun, denn die meisten Leute, die uns so etwas antragen, tun das in der Regel nur ein Mal. Mit uns macht sowas einfach keinen Spaß, denn wir reden mit möglichst mit allen Leuten gleich, sind froh, wenn wir nicht vor den Einen dieses und vor den Anderen jenes sagen müssen, um mit ihnen Zeit verbringen zu dürfen. Wir haben keine Kraft dafür, denn es kostet uns schon Kraft uns zusammenzuhalten. Mitzukriegen, wer von uns mit wem was wie laufen hat – das können wir im Außen einfach nicht tragen. Vielleicht mal kurz, wenn eine Situation das erfordert, aber selbst dann brauchen wir Leute, denen wir sagen können, dass wir da grad was tragen, damit wir das schaffen.

Jedenfalls.
Diese Situation und das was sie macht, erinnert mich an Schweigegebote.

Schweigegebote haben für uns mit “mitmachen” zu tun. Gebote sind für uns Regeln, denen man zu folgen strebt.
“Sag nichts, dann passiert irgendetwas, wofür sich das lohnt/ passiert was Gutes/Wichtiges/Richtiges”.
Das heißt: man verspricht sich etwas davon oder bekommt etwas versprochen.

Im alltagsgewaltvollen Umgang bedeutet das, dass viele Leute Dinge einfach nicht sagen, weil sie sich etwas davon versprechen. Keinen Stress und akute Harmonie vielleicht. Jemandem nicht zu sagen, dass sie_r krassen Mundgeruch hat ist zum Beispiel so eine Sache. Man redet nicht darüber. Es gibt ein soziales Schweigegebot darüber. Vielleicht ist es auch ein Tabu – wobei mir dazu gerade die Abgrenzung nicht einfällt und ich eigentlich auch gar nicht über Tabus schreiben will.

Anyway.
Interessant finde ich, wenn Gewaltüberlebende/Gewalterfahrene und ihre Verbündeten (und deren Behandler_innen)so etwas miteinander machen. Die Einen über die Anderen, diese über jene und “Ach DIE also NEE!”, bei gleichzeitiger Weitergabe von so etwas wie “Aber pscht, ne?!” oder schlimmer noch: von sich selbst wegtransferierte Verantwortung für die Weitergabe von Gerüchte, Klatsch und Hörensagen über Personen, die nicht im Raum (und bereits damit konkret unterlegen!) sind.

Der Klassiker ist da das Gerücht ohne Urheber_in.
Dem kann man nichts entgegnen, man kann evtl. zugrunde liegende Missverständnisse oder Fehlinformationen nicht aufklären. Als Opfer/Ziel von einem Gerücht ohne Urheber_in ist man maximal ohnmächtig und soll es auch sein. Man soll nur die negativen Auswirkungen zu spüren kriegen und die_r Urheber_in im Schutz der Unsichtbarkeit bleiben können.

Interessant finde ich das, weil es ein Verhalten von Kindern ist, die die Schwächen/”Fehler” anderer zielsicher finden und gegen sie zu verwenden, sobald diese sie verlassen oder kränken oder verletzen oder oder oder. Solche Kinder haben meistens lügen, tarnen, verwässern und verwischen gelernt, um zu überleben. Und das ist ein Skill. Einer, der sehr feine, gut funktionierende Antennen für soziale Geflechte und eine gewisse “akute Skrupellosigkeit” im Miteinander erfordert.
Lügen, zum Beispiel, bedeutet ja nicht nur die Unwahrheit zu sagen oder Dinge vorzugeben, die nicht stimmen – man muss in der Regel schnell sein, erfassen, wie und womit sich das Gegenüber überhaupt täuschen lässt und dann darf man die Lüge das ganze Leben lang nicht vergessen, weil man ja vielleicht immer mit der Person zu tun hat.
Deshalb nenne ich das einen Skill. Menschen so lesen zu können, kann an anderen Stellen sehr hilfreich sein.

In einer Szene, die sich zusammenfindet, weil es Menschen gibt, die andere Menschen von Kleinkindalter an belügen, verwirren, ihre Motivationen verwässern und und und, ist das meiner Ansicht nach so zynisch wie logisch.
Das Eine schließt das Andere nicht aus und trotzdem ist es bitterbitterbitter, weil das bedeutet, dass solche Zusammenschlüsse (noch) nicht als etwas gesehen werden (können), in denen neue Möglichkeiten probiert und gelebt werden können, um bewährte Fähig- und Fertigkeiten umzumünzen in etwas, das die Gewalt nicht weiterträgt.

Wir sprechen sowas immer an. Sind transparent mit dem was uns über andere Leute erzählt wird, vorrangig um uns selbst zu entlasten, denn wie gesagt: wir sind nicht gut in so etwas.
Wir erkennen den sozialen Sinn für uns nicht*, erkennen aber sehr wohl die Gewalt darin und das, was sie machen soll. Gerüchte sollen verunsichern. Niemand soll sich mit einer Person sicher fühlen – bei urheber_innenlosen Gerüchten geht es oft sogar darum sich gar nirgendwo und mit gar niemandem sicher zu fühlen.
Wie das bei Menschen andockt, die sowieso schon jeden Tag mit Angst umgehen und enorm vieles leisten, um sich sicher zu fühlen, ist denke ich klar.

Manchmal merke ich, dass unser Umgang mit solchen Sachen irritiert, Schuldgefühle auslöst oder sogar als Zeichen von Unsolidarität gelesen werden. Und dann fühle ich mich nicht nur sozial unfähig, weil ich wieder denke, dass es da vielleicht doch irgendeinen geheimen Wink gibt, den zu erkennen ich einfach unfähig bin, sondern auch noch mies, weil wir damit umgehen, wie wir damit umgehen: nicht schweigend oder verdeckend.

Wir machen das nicht, weil wir uns für ein moralisches Neutrum halten, wir machen das, weil die beste soziale Interaktion, die wir hinkriegen die dingliche/sachbezogene ist.
Wenn wir klar haben worum es geht, warum wir was wie machen und wollen und was das Ziel sein soll, dann kann es für uns auch mal emotional werden oder um Dinge gehen, die heikel sind. Aber wir brauchen den konkreten Bezug.
Und der konkrete Bezug ist Leuten, die Gerüchte oder Gossip oder auch einfach bloßen Klatsch verbreiten, meistens scheiß egal oder völlig wegdissoziiert. Die meisten Leute, die das machen, haben nicht klar, dass es um sie geht, wenn sie über andere (schlecht) reden.

Wir kennen jemanden, die_r wenn wir sie_ihn treffen, immer schlecht von Leuten redet, mit denen sie_r selbst persönlich überhaupt nichts zu tun hat. Einfach so als normaler Talk, ganz oberflächlich und manchmal auch ganz in dem Ton wie Bunte, Glamour und Bild der Frau titeln.
Wenn die Person mit den Leuten an einem Tisch säße, würde sie ihnen das nie sagen.
Durch unsere Beziehung und eben diesem Hang zum Reden über andere Leute vor anderen Leuten, habe ich Angst jemals irgendwen von den Leuten zu treffen, über die diese Person spricht. Was wenn ich sie mal treffe und dann macht sie diese Sache von der die Person so schlecht geredet hat? Darf ich dann sagen, was ich von wem darüber gehört hab? OF COURSE NOT!

Oder doch?
Wovor ich Angst habe ist, dass die Person von da an auch schlecht über mich redet. Wobei sie das vermutlich sowieso schon tut, ich bis jetzt nur noch nichts davon weiß. Sicher kann ich mir darüber nicht sein.
Gesetzt den Fall ich würde es sagen, wäre die unangenehme Situation da und das Moment, in dem eine oder vielleicht auch wir beide anerkennen müssen, dass es vor allem deshalb unangenehm ist, weil man plötzlich nicht nur mit “Verrat” oder “Gebotsbruch” umgehen muss, sondern auch damit, dass es keine Routine im gewaltfreien Umgang mit solchen Situationen gibt.

Wir sind nicht so gut in sozialer Ausschlussperformance – also: Schweigen als soziales Mittel, Leute dissen oder Leute anziehen, um sie “auf unsere Seite zu bringen”, darin sind wir ziemlich schlecht.
Was wir können sind Reflektionen, Analysen, Auseinandersetzung, Fragen stellen, Klarheit schaffen und daraus Überlegungen anstellen, was helfen könnte.
Very konkret, much dinglich.
Und: ohne Schweigen
Unser ganz eigener Nichtschweigeskill.

Ich persönlich finde das okay so.
Und ich denke, dass das vielleicht auch ein guter Skill ist. Also heute jedenfalls.
Früher war das oft nicht sehr hilfreich. Und auch heute ist es im sozialen Miteinander eher irritierend.
Aber heute bedeutet Irritation keine Lebensgefahr mehr. Wir müssen nicht schweigen und wir müssen die verschiedenen Schweigerituale anderer Menschen nicht mitmachen – auch wenn wir uns deshalb manchmal nicht gut damit fühlen, weil wir nachwievor allzu oft allein damit sind. Obwohl wir uns in Szenen bewegen, die viel von unserem Er_Leben teilen.

Aber wir sind ja nicht die einzige Person auf der Welt, der es manchmal so ergeht, oder?

 

*@mthsblgr hat uns gestern noch geschrieben, dass der soziale Sinn für manche Leute darin liegt, sich über die Abgrenzung zu anderen Menschen mit jemandem zu verbünden bzw. eine Bindung aufzubauen, ohne sich selbst sehr zu öffnen.

Da muss man erstmal drauf kommen. Für uns ergibt das keinen Sinn. Muss es ja aber auch nicht.

Empathie

Den vielleicht wichtigsten Wunsch für das Jahr 2017 hat @nichtschubsen geschrieben:
“Irgendwie ist es manchmal echt mühsam mit den Logikskills.
„Ich möchte über Äpfel reden.“ – „Aha, du HASST also Birnen?!“
Bitte 2017 aufhören in false binaries zu denken.
Wenn ich zwei Akteur*innen einander gegenüberstelle, sind diese dadurch nicht antithetisch.
(Antithetisch im Sinne von gegenteilig, einander ausschließend.)”

Ich musste diese drei Tweets gestern Abend noch einmal retweeten, weil sie genau in das Twitterscharmützel passten, das sich auf eine kritische Anmerkung zu einem Tweet entspann.
Ich will mein neues Jahr nicht damit anbrechen mich über einige Menschen der Autimusbubble bei Twitter auszulassen – ich möchte über Empathie und reaktives Aufstellen von Antithesen schreiben.

Die Wikipedia definiert Empathie als “Fähigkeit und Bereitschaft Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen.” und fügt hinzu: “Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen, wie zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl gezählt.”

Mir wird es häufig zum Verhängnis, dass mein Schema zur Situationsanalyse die Frage beinhaltet, warum sich Menschen verhalten könnten, wie sie sich verhalten und welche Gefühle sie vielleicht haben.
Für mich ist diese Frage wichtig, denn sie gibt mir die Möglichkeit ein Gegenüber zu verstehen und einen guten Umgang mit ihr_ihm zu haben.
Es ist mir wichtig zu verstehen und verstanden zu werden. Ein für alle Beteiligten guter Umgang ist mir wichtig.

Mir wird diese Haltung zum Verhängnis, wenn ich an Menschen gerate, denen das entweder gar nicht wichtig ist, oder andere Dinge darüber stellen. Zum Beispiel immer Recht zu haben oder eine bestimmte soziale Rolle zu halten.

Für mich ist das Ausgrenzung und damit Gewalt.
Denn wenn ich mit Menschen zu tun habe, gibt es mich und einen anderen Menschen. Wenn ich mich und vielleicht meine Werte und Einstellungen so viel wichtiger nehme, als die Frage danach, wie ich mit anderen Menschen umgehen kann, damit es für alle okay ist miteinander zu tun zu haben, dann verwehre ich anderen Menschen die Möglichkeit zur Gestaltung eines guten Miteinander.
Das nennt man Diskriminierung, denn nicht anderes tut man damit: einschränken und damit auch: entmachten.

Mir fällt es schwer damit umzugehen, wie extrem reaktiv andere Menschen reagieren können und auch wie extrem reaktiv ich zuweilen gelesen werde.
Eine harmlose Situation war zum Beispiel ein Stipendium auf das sich eine Freundin beworben hatte.
Ich fand das Thema unheimlich attraktiv für mich und war enttäuscht, dass es für mich nicht genauso gut gepasst hätte mich dort zu bewerben, wie für die Freundin. Ich sagte ihr, dass es mich ärgert, wenn eine Trennung zwischen “Profi” und “Amateur” gemacht wird und weil ich einen anderen Aspekt missverstanden hatte, dass auch sie vielleicht gar keinen Erfolg dabei haben würde. Dann riss der Themenfaden ab, denn wir waren unterwegs.

Ein paar Wochen später erzählte sie mir, dass sie angenommen wurde und war über meine Freude für sie und ihren Erfolg überrascht.
Denn ich hatte mich ja negativ geäußert.
Ich musste ihr sagen, dass meine Ablehnung eines Aspektes nicht zwangsläufig dazu führt, dass ich mich nicht für sie freuen kann, oder dass ich die ganze Veranstaltung schlecht finde.

Etwas, was ich bei einem Gespräch in aller Ruhe mitmonologisiert hätte, hatte ich in einem kurzen Gesprächsfetzen zwischen Tür und Angel nicht miterwähnt und das Ergebnis war, dass sie es mir fast gar nicht erzählt hätte.

Das bringt mich in eine Fragestellung: Wieviel muss ich denn immer von mir mitteilen, damit ich gut verstanden werde?
Ich neige zum unempathischen Monologisieren und weiß, dass das sehr anstrengend und manchmal sogar kränkend für andere Menschen ist.
Wir neigen zu sehr langen Blogartikeln, in denen wir alles aufschreiben, die ebenfalls sehr anstrengend aufzunehmen sind.
Wenn ich es jedoch unterlasse alles aufzuführen, was ich über eine Situation denke und empfinde, dann muss ich damit rechnen meine Ansichten und damit auch mich und meine gesamte Person falsch aufgenommen zu wissen.
Was wiederum einen entsprechenden Umgang mit mir zur Folge hat, der vielleicht überhaupt nicht gerechtfertigt ist.

Im Moment sind wir in einer Phase des Anspruchs an unsere Mitmenschen.
Wir erwarten von den Menschen, die direkt mit uns zu tun haben, dass sie sich an Absprachen halten und zuverlässig sind, weil wir ihnen schon oft gesagt haben, dass es uns stark belastet, wenn sie es nicht sind. Wir erwarten ihren Respekt vor unseren Zeit- und Kraftressourcen, und erwarten von ihnen die gleiche Frage, wie wir sie uns stellen, wann immer wir mit ihnen zu tun haben: “Was geht in dir vor und welche Gründe hat dein Verhalten (oder deine Wertung, dein Urteil, deine Haltung)?”.

Diese Erwartungshaltung ist neu und wird uns noch Schwierigkeiten bringen, denn unseren Freund_innen, Gemochten und Gemögten sagen wir seltener, wenn wir sie gewaltvoll erleben oder sie uns mit ihrem Verhalten oder einer falschen Annahme kränken.
Es kann sein, dass sie den Kontakt mit uns abrechen möchten.
Das wäre traurig und gleichzeitig aber auch ein gewaltvoller Kontakt weniger, für den wir Kraft haben müssen.

Einen ähnlichen Anspruch haben wir inzwischen an Menschen, die mit uns über Twitter in Kontakt gehen.
Ich erwarte, dass mir zugestanden wird, auf meine Kraftressourcen zu achten, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen.
Ich erwarte, dass man versucht mich zu verstehen, statt sich selbst auf meine Kosten zu profilieren.
Ich erwarte von niemandem mir zuzustimmen oder meiner Meinung zu sein. Nicht die gleiche Haltung zu teilen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man keinen guten Umgang miteinander haben kann oder andere Themen(aspekte) miteinander teilt. Jedenfalls nicht für mich.
Ich lebe und denke nicht in Gut-Böse, Richtig-Falsch, Mann-Frau, Erwachsen-Kind, Tier-Mensch …. Dualismen, die einander bedingen und automatisch ausschließen.

Das macht Auseinandersetzungen komplex und anstrengend. Manche Menschen haben nicht die Kraft dafür oder die Lust dazu oder bewerten aufrichtige Auseinandersetzungen anders als ich.
Für mich ist das in Ordnung.
Nur sagen muss man mir das, denn ich kann es nicht wissen, wenn man es mir nicht sagt. Gerade im rein schriftlichen Austausch.

Auch das gehört für mich zum Bereich der Empathie, die nötig ist, um einen guten Umgang miteinander zu machen: die Bereitschaft sich mitzuteilen – sich verständlich zu machen.
Wird kein Wert darauf gelegt, gehe ich davon aus, dass es in dem Moment für die Person wichtigere Dinge gibt, als verständlich für mich zu sein oder überhaupt darauf zu achten, wie es mir geht oder mich als Menschen mitzudenken.
Das ist für mich das Signal aus dem Kontakt zu gehen, denn wenn mein Gegenüber sich auf diese Art mit mir umgibt (mich also objektifiziert und diskriminiert), dann ist das Risiko für mich verletzt zu werden sehr hoch.
Völlig gleichgültig, ob das von der Person so intendiert ist oder nicht. Und auch völlig gleichgültig, um welches Thema es gerade geht, ob es ein Missverständnis gibt oder nicht, ob es um Grundsatzdiskussionen geht oder nicht.

Sobald es einer anderen Person egal ist, wie es mir mit ihrem Verhalten mir gegenüber geht, befinde ich mich nicht in einem guten Miteinander.

Ich halte meine Selbstfürsorge nicht für etwas, das ich rechtfertigen muss. Ich halte es auch nicht für etwas, das mich zu einem anderen Menschen macht oder in irgendetwas negiert, wofür ich sonst einstehe.

Wenn ich Menschen dazu ermutige, für sich einzustehen, dann bedeutet das nicht, dass sie jedwede Hilfe ablehnen sollen.
Wenn wir hier schreiben, dass wir Suizid oder Behandlungsverweigerungen, die einen Tod bedeuten (können) als selbstbestimmtes Handeln akzeptieren können, heißt das nicht, dass wir den Schmerz der Hinterbliebenen für unangemessen halten.
Wenn ich mich dafür einsetze, sich mit den Lebensrealitäten von Menschen auseinanderzusetzen, die Gewalt ausüben oder ausgeübt haben, dann bedeutet das keine Ignoranz der Leiden ihrer Opfer oder eine Entschuldigung ihrer Taten.
“Ich ernähre mich rein pflanzlich” ist bei mir kein Synonym für: “Ich hasse Fleisch(essende)”.

Meine Verweigerung, Menschen als Monster und Gewalttäter zu definieren, die ihre autistischen Kinder auf eine Art behandeln lassen, die ich selbst kritisch sehe, bedeutet nicht, dass ich die Gewalt, die da passiert legitim finde oder mich gegen Kritik daran ausspreche.

Eine Kommunikation, die so funktioniert wäre sehr einfach und manchmal kann ich verstehen, dass man lieber so miteinander umgehen möchte.
Es ist einfach, geht schnell, alles ist aufgeräumt und ordentlich. Man verbraucht wenig Kraft und muss wenig Dissonanz aushalten.

So läuft es aber nicht. Jedenfalls nicht mit uns.
Ich kann verstehen, dass wir und unsere Haltung irritieren und häufig anstrengend ins Miteinander zu integrieren sind.
Aber dieses Miteinander kann man wählen. Und gestalten.

Oder auch nicht.

Empathie oder anders bewortet: Perspektivübernahme, ist bei uns eine im Rahmen von Psychotherapie reintrainierte Fertigkeit, nachdem wir mehrere Menschen körperlich verletzt haben. Wir können nicht sagen, ob wir intuitiv mitfühlend sein können, ob wir intuitiv erfassen, was in anderen Menschen vorgeht.
Was wir sagen können ist: Wir fahren besser  mit dem inzwischen fest etablierten Schema, das die Frage danach beinhaltet, welche Gründe andere Menschen für ihr Verhalten haben.

Empathie ist ein gutes Werkzeug für uns wenig reaktiv zu denken, zu handeln und zu urteilen.
Wir wünschen uns, dass es mehr Menschen aktiv nutzen.

Was sollen denn die Leute denken?

Wann immer ich auf Menschen treffe, passiert es, dass ich merke: da gibt es ein Paralleluniversum. Da gibt es ein Wertesystem, eine Einordnung dessen, was ich transportiere, eine Falle, in die ich hineintappe, egal wie zart, überlegt, vorsichtig, respektvoll, anerkennend, lieb und artig ich meine social awkward Elefantenfüße in den Kontakt halte.

Wann immer ich gegen eine falsche Einordnung angehe, gelte ich als “wehrhaft”, “aggressiv”, “störrisch”, “zickig”, “launisch”, “motzig”, “aufmüpfig”, “mutig”, “unbeugsam” oder ein anderes Innen als “monologisierend”, “intellektuell zu anspruchsvoll”, “haarspalterisch”, “kleinlich”, “anstrengend”, “viel” oder ein anderes Innen als “komisch”, “awkward”, “offensichtlich behindert”, “bedrückt”, “dissoziativ (bzw. als “sich in die Dissoziation flüchtend”), “unsozial”, “einzelgängerisch”.

Es hilft nicht und tröstet auch nicht zu wissen, dass andere Menschen meine Inhalte nicht “falsch” einordnen, sondern “anders (als ich)”. Im Gegenteil. Tatsächlich gibt es mir das Gefühl ohnmächtig und handlungsunfähig zu sein, denn was genau ich tun muss, damit Menschen mit mir gleichermaßen einordnen, was wir einander mitteilen, weiß ich nicht und wusste ich noch nie.
Was ich tue ist, dass ich immer wieder sage, dass nicht stimmt, wie mich andere Menschen einordnen. Und dann merke ich, dass die Menschen nicht verstehen, warum für mich wichtig ist, dass sie mich richtig einordnen.

99% aller Gespräche, die ich mit Menschen führe, haben etwas mit Hilfen und Unterstützung zu tun. Mit Zusammen.Arbeit und entsprechenden gegenseitigen Abhängigkeiten. Ich bin das Innen, das unsere Therapeutin als “starkes Innen, das den schwachen Innens helfen kann, weil es ja so stark (wehrhaft, aufmüpfig, mutig…) ist” eingeordnet hat.
Ich bin das Innen, vor dem andere Menschen sich fürchten oder Angst haben, weil ich es selten bis nie akzeptiere, wenn meine Probleme und Konflikte auf mich allein individualisiert werden und ich die Menschen in ihrem Anteil daran zur Mit.Verantwortung ziehe. Niemand mag mich, weil si_er sieht und versteht, wie Dinge und Momente auf mich wirken – die meisten nehmen mich hin, weil sie am Ende etwas davon haben und ich nicht das einzige Innen in diesem Einsmensch bin.

Die Konsequenz ist, dass ich überfordert und überladen werde. Immer wieder. Und damit auch immer wieder in Erinnern und Auftauchen im Alltag getriggert werde. Ich weiß nicht, was genau ich tun muss oder kann, um das zu unterbrechen. Denn, das was ich denke, was ich tun kann, tue ich. Mit inexistentem Erfolg.

Noch immer fragt die Therapeutin nach mir, wenn es einem Innen nicht sehr gut geht, ein Alltagsproblem zu klären ist oder die Idee da ist, dass es funktionales Re_Agieren braucht.
Noch immer sagen mir Menschen, ich würde Dinge falsch einordnen oder, wenn sie sich bemühen aus dem Wertungsbias rauszugehen, “anders” einordnen und “aber, eigentlich …”.

Am Ende merke ich immer öfter, wie ich in einem Kontakt stehe und Risse in mir selbst fühle, weil von all dem, was ich sage, genau nicht eingeordnet wird: “Hier gibt es ein Missverständnis. Hier gibt es ein gegenseitig falsches Einordnen. Stopp. Bitte Stopp.”.
Manchmal denke ich, dass das nicht gehört wird und manchmal merke ich, wie es als Dominanzgeste von mir eingeordnet wird, wenn ich es ganz platt durchziehe und nämlich ein Thema, eine Auseinandersetzung, einen Konflikt beende. “Aha, jetzt hab ich sie am Arsch – jetzt hat sie keinen Bock mehr zu reden. So Kindergarten, ey!”

Das sollen die Leute natürlich nicht von mir denken. Ich habe kein Interesse daran Recht zu haben, die Bestimmerin von allem zu sein oder, dass mir nur nach dem Sinn gesprochen wird. Solche Ebenen sind mir egal, weil sie für die Dinge, die mich und uns so allgemein beschäftigen keine Rolle spielen.
Sehr wohl aber spielen sie für andere Menschen eine Rolle, denn diese Ebenen bestimmen offensichtlich sehr maßgebend mit, wie was von wem eingeordnet wird.

Sitzt ein Huschi in der Therapie und sagt: “Stopp” oder verbröckelt unter einer Dissoziation, gilt es nicht als Akt des Versuchs die Situation (oder die Therapeutin dominierend) zu bestimmen (jedenfalls nicht bei unserer Therapeutin und auch nicht bei anderen Menschen in unserem Umfeld). Aber wenn ich das sage, als anscheinend normal funktionierendes Alltagsinnen, dann aber auf jeden Fall.
Mein Stopp gilt als ein anderes, als eines von einem anderen Innen und das hat nichts damit zu tun, dass ich selbst ein anderes Innen bin, als das andere. Wir werden nur jeweils anders eingeordnet. Und zwar von Außenstehenden.

Manchmal merke ich, wie ich in die getriggerte Schleife hineinkomme, in der ich nur denke: “Nein Stopp Ich will das nicht” und merke, wie ich überhaupt gar nichts weiter aufnehmen – gleichzeitig aber auch nicht herausbringen könnte.
Ich merke selbst, wie ich in so einem Moment nur darauf warte, dass es aufhört und meine Gefühle kompensiere, indem ich aktiv gegen die Einordnung des Gegenübers angehe. Ich weiß, dass ich in solchen Momenten will, dass die Leute hauptsächlich aufhören irgendwas von mir zu denken. Ich will weg sein – ich will raus aus ihrem be.denken sein – will verschwunden und unsichtbar sein – aber statt mich aufzulösen, werde ich immer fester ins Bewusstsein gekettet. Ich kriege meinen Durst, sehe diese eine Wand und merke, wie die Haut allein das Fleisch um mich herum zusammenhält. Und kann genau nichts dagegen tun oder sagen oder machen, dass ein anderer Mensch entsprechend seiner falschen Schlüsse einordnet, was mit mir ist und was bedeutet, was ich sage.

Ich merke, wie die Menschen in unserem Leben diese meine – ja Qual, ich will es nicht anders nennen, denn für mich ist es quälend und schrecklich – für einen Teil von uns halten und so einordnen. Für viele Menschen “bin ich halt so” oder “habe eben manchmal solche Momente, in denen es nervig und anstrengend ist mit uns zu tun zu haben”.
Für sie ist es nicht das Miterleben eines Flashbacks und schon gar keine Zeugenschaft meines Wiedererlebens einer Traumatisierung, die mich zur Folge hatte.

Und ja. Das ist bitter. Traurig. Schlimm. Ich empfinde mich unsichtbar in meinem Schmerz. Vielleicht auch ungehört in meinem Schmerz. Obwohl ich ihn äußere. Obwohl ich ihn nicht verberge. Obwohl ich transparent damit umgehe und immer wieder sage, was ich wie wahrnehme.
Aber ich tue es mit den falschen Botschaften. Auf meine Worte achtet man nicht. Worauf stattdessen geachtet wird, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was genau ich wie anders kommunizieren muss. Muss ich mehr lächeln? Muss ich bestimmte Handgesten machen? Muss ich meine Körperhaltung irgendwie anders machen? Muss ich die Tonlage meiner Stimme anders machen? Oder muss ich einfach nur nicht ich sein? Ist das das ganze Geheimnis? Dass man sich einfach nur verstellen muss und ein so-tu-als-ob-Spiel veranstaltet, damit die Leute denken, was man selbst denkt?

Ist das Geheimnis des Verstanden werdens dann am Ende nicht einfach nur Manipulation? Wie echt ist ein gegenseitiges Verstehen, wenn ich gemacht habe, dass jemand denkt, was ich denke?

Was würden die Leute denken, wenn ich ihnen sage, dass ich sie mittels bestimmter Veränderungen meiner Kommunikationskanäle dazu gebracht habe, mich zu verstehen? Wie berechtigt wäre dann meine Sicht auf mich als jemand, die kein Interesse daran hat, die Einordnungen anderer Menschen zu dominieren bzw. zu bestimmen?

betroffene Profis #3

Von Gewalt (und den von ihnen ausgelösten Folgeproblemen) betroffenheit ist etwas, das die eigene Professionalität untergräbt.

Man muss keine Bloggerin sein, die viele ist und Gewaltdynamiken auseinanderpflückt, während sie in ihr Innen hört und ihm Wortraum gibt, um zu merken, dass jedes andere Thema massenwirksamer, anschlussfähiger und weniger frustrierend ist.
Es ist oft genug die Kombination aus eigener akzeptierter Betroffenheit und thematischer Auseinandersetzung, die verhindert, auch als professionell im Sinne von abgegrenzt und Abstand wahrend, wahrgenommen zu werden.

Uns wird oft unterstellt einen privaten Feldzug anzuführen, der vor allem unser eigenes Wohl- und Machtbefinden zur Folge haben soll. Unser Ärger, unsere Wut über Gewalt an anderen Menschen, wird umgedeutet zu einer künstlichen Empörung oder einer pathologischen Übertragung, die letztlich wiederum uns und niemandem sonst dienen soll.
Immer wieder werden wir behandelt wie jemand, der zwischen sich und anderen Menschen nicht unterscheiden kann, während er auf Parallelen deutet.

Die Absprache dieser Fähigkeiten entzieht uns die Statusoption “Expertin im eigenen Thema”. Die Unterstellung parasitären Verhaltens innerhalb gesamtgesellschaftlicher Debatten um Gewalt und ihre Folgen, spricht uns die Berechtigung ab, uns als Teil der Gesellschaft sehen zu dürfen und Forderungen zu formulieren, die ihre Berechtigung haben, gerade weil wir auch Gegenstand jener Debatten sind. Das Modell einer konstruktiven Kompetenzsymbiose gibt noch nicht als gesamtgesellschaftlich gelebt.
Man kennt Intersektionalität – und doch gilt diese bis heute noch nicht als Standard in allen Auseinandersetzungsbereichen.

Bis heute muss eine Person, deren Beruf eine Schnittstelle mit Gewalterfahrungen hat, sich sehr genau überlegen, ob sie ihre eigene Betroffenheit – egal, ob aus der eigenen Lebensgeschichte oder aus zivilcouragiertem Empfinden heraus – versteckt oder nicht.
Es zählt die Objektivität synonym gehandelt als “Nichtbetroffenheit” als eine Art natürlich eingebaute Fähig- und Fertigkeit über Gewalt (Macht) zu sprechen und zu urteilen, sich überhaupt in irgendeiner Form “richtig” im Sinne von “wahrhaft” auseinanderzusetzen und “korrekte” im Sinne von “wahrhafte” Ergebnisse hervorzubringen, auf die sich gefahrlos verlassen werden kann.

Was für eine gefährliche Annahme um Objektivität und Subjektivität das ist, haben wir hier schon einmal geschrieben.

Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe zu diktieren, wie ein tatsächlich respektvolles, selbstkritisch reflektierendes Auseinandersetzen mit Gewalt, ihren Formen und Folgen aussehen muss.
Schon gar nicht hier in unserem persönlichen Blog, das, wie in der About-Seite zu lesen ist, keine Plattform ist ziellose Imperative zu formulieren, sondern unsere eigenen Ideen, Gedanken, Theorien zu dokumentieren, zu analysieren und mit jenen zu teilen, die bereit sind sich dem zu widmen.

Wir warten nicht mehr darauf, dass uns jemand nach unseren Gedanken fragt. Wir wissen, dass unser sozialer Status zu niedrig ist und vermutlich auch bis zum Ende unseres Lebens bleiben wird, um gefragt zu werden.
Wir können unsere Profession anerkennen, weil sie direkt verknüpft ist mit dem, was wir schon immer gut konnten und immer weiter ausbauen können.

Die Frage ist: Wann werden das jene können, die mittels ihrer Profession ihr eigenes Leben tragen und legitimieren, indem sie sie innerhalb und entsprechend gewaltvoller Kontexte und deren Aufrechterhaltung eigene Betroffenheiten und Subjektivitäten negieren (müssen/können/sollen/dürfen)?

und: Wann hört es auf ein Makel zu sein auch ein Teil dessen, was verurteilt wird, zu sein?

die Gewalt im Trost #Worldmentalhealthday

Heute ist “World Mental Health Day” und das Erste, das ich heute lese, ist dies:
ein Screenshot von einem Kommentar von
Das ist, was eine fremde Person zu meinem Leiden sagt. Zu meinem Leiden unter inzwischen 10 Jahren Zwangsferien mit Freizeitpark Hartz 4 mit den Attraktionen “Traumafolgen-Achterbahn”, “der Diskriminierungsgeisterbahn” und dem von allen hochgeschätzten “Nervenkitzelkabinett der enttäuschten Hoffnungen und der vergeblichen Anstrengungen”.

Ich denke: “Du bist dumm und deshalb schreibst du dummes Zeug in mein Blog.” und ich denke “Ich wünsche dir meine letzten 12 Jahre an den Hals.”, weil ich verletzt bin und ich nur diese Qual in meiner Lebensrealität als etwas greifen kann, das man anderen Menschen nur wünschen würde, würde man sie gleichermaßen quälen wollen.
Ich schäme mich, weil ich ableistisch und brutal reagiere.

Erfahre Trostversuche und den Tipp mir ein Video anzusehen bei Twitter.

Es ist dieses:

und ich fange an zu weinen, weil ich merke, was da für eine unbesehene Lücke klafft.

Weil ich weiß, wie leicht es ist, sich zu schützen und zu trösten, indem man denkt: “Was weißt du denn schon?”.
Weil ich weiß, dass man zu Nichtwissen nicht gleichermaßen, wie zu Leiden und Überleben gezwungen wird.
Weil ich weiß, wie viel leichter es ist, einfach immer wieder zu unterstellen, niemand hätte eine Kenntnis von dem, was im Leben, fern derer, die einen herabsetzen, demütigen, verletzen und stigmatisieren – derer, die ihre Schlimmskala an einen dran halten ohne zu verstehen, was daran gewaltvoll ist, passiert.

Mein Schmerz ist der, dass es jede_r wissen kann. Und eigentlich in seinem Inneren auch schon lange weiß.
Man tut nur gerne so, als wüsste man es nicht, weil es ein so viel besser auszuhaltender Vermeidungstanz ist, so zu tun, als handle man aus Unwissenheit – und nicht aus Einfältigkeit, Boshaftigkeit oder Ignoranz. Es ist leichter Belehrungen links rein und rechts rausrauschen zu lassen, als zuzugeben, dass man ein ignorantes Arschloch ist, das froh ist, weder arm, noch krank noch behindert noch jemals so global ohnmächtig gewesen zu sein, wie die Person über deren Rücken man sich erhebt.

Es ist weniger kraftaufwändig Menschen zu unterstellen, sie hätten keine Ahnung, als ihnen aufzuzeigen wieviel Wissen sie eigentlich haben.

Es ist unser alter Konflikt von Anbeginn des Blog von Vielen.
Wir sehen keinen Sinn in der klassischen Aufklärungsarbeit und halten die klassische Öffentlichkeitsarbeit beim Thema “seelische Gesundheit” im Kontext mit “Trauma” und “Gewalt” für nicht möglich, wenn man auf klassische Gewaltausübung verzichten möchte.
Wir sind nicht diejenigen, die anderen Personen erklären können, was richtig und was falsch ist. Wir lehnen es ab, als ein Mensch wahrgenommen zu werden, der alles weiß, der überlegen ist oder besser als andere.
Wir haben nichts davon außer einen besonders angreifbaren Platz innerhalb der Gewaltspirale um Deutungs- und Definitionsmacht.

Wir schreiben hier über uns. Unser Leben heute und das Überleben, das wir erinnern. Wir teilen unsere Gedanken, Gefühle, Ideen und geben uns die Stimme, die von der Gewalt innerhalb von Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit stumm gehalten wird, weil sie davon profitiert und komplett auf der Idee einer globalen und immerwährenden Stummheit, derer um dessen Leiden es geht, basiert.

Wir haben einen Krankheitsbegriff, der nicht kompatibel ist mit einer Gesellschaft, die sich Hörigkeiten nötig hält und Gewalt reproduzieren muss, weil sie zu feige/bequem/ängstlich/unsolidarisch ist Alternativen zu formulieren und zu etablieren.
Wir lehnen Pathologie ab. Wir richten nicht über jene, die uns verletzt und verdreht haben. Wir sprechen nicht für andere.
Wir sind nicht krank. Wir sind nicht gesund.

Wir sind wir und das ist genug, woran wir zu tragen haben.

Wir nehmen uns ein Recht auf Platz und Stimme, das uns innerhalb der Strukturen, die es derzeit gibt, nicht zugestanden wird und bitten nicht um Legitimation dessen. Das ist, was unser öffentliches Tun wertvoll und so verdammt revolutionär macht.

Hier kann jede_r lesen, di:er möchte und hier kann sich jede_r nehmen, was ihm_ihr hilft.
Niemand braucht unsere Worte hier – es ist aber gut, dass sie da sind, denn sonst würde niemand wissen, dass es sie gibt.

Heute ist ein Tag, an dem man sehr viele Leidens- und Lebenswege nachlesen kann. Besonders unter #WorldMentalHealthDay.
In diesem Blog kann man das jeden Tag, seit 2008, tun.

Man kann erfahren: zu Leiden ist im Leben mindestens eines Menschen ein Aspekt von “Normalität”. Man kann begreifen: “Armut” bedeutet mehr als “kein Geld haben”. Man kann miterleben: Das Leben mit einer Behinderung wird nicht von dem definiert, was nicht geht, sondern von dem, was möglich ist und möglich sein könnte.  Man kann begreifen: Hier ist es möglich etwas zu wissen, wenn man etwas wissen will.

Man kann begreifen, wie wichtig es ist sich von seiner Trostfloskel: “Was weißt du denn schon?”, zu verabschieden, weil sie auch gewaltvoll ist.