das Helfertrauma – die Wiederholung

„Wer ein Trauma nicht realisiert, ist gezwungen, es zu wiederholen oder zu reinszenieren.“ Das soll Pierre Janet vor 120 Jahren gesagt haben. Er gilt als einer der ersten Traumaforscher, deshalb kenne ich dieses Zitat. Es wird oft dort eingeschoben, wo es um die Notwendigkeit von Traumatherapie oder das generelle Interesse für die Thematik geht. Oft funktioniert es deshalb als Warnung. „Achtung, Achtung, wenn dir diese Story von Kontrollverlust und einer Lebensqualität wie trocken Brot nicht reicht, um dich damit zu befassen, dann hier die Drohung, dass du es dir immer wieder selbst antust.“

Als ich diese Woche die Praxis für Autismustherapie verließ, dachte ich an das Zitat und darüber nach, ob ich mit der Autismustherapie aufhören muss. Denn wieder hat sich mein Helferding wiederholt. Nicht in der schlimmsten Ausprägung und auch nicht mit großem Schaden, aber doch einem Schaden. Für mich. In mir. Weil es inzwischen nicht erst weh tut, wenn es im schlimmsten passiert, sondern bereits wenn klar ist: Wir sind mittendrin und ich muss genau jetzt entweder abbrechen oder immer wieder verweigern. Grenzen ziehen. Verantwortlichkeiten einhalten, ablehnen, beworten. Hoffen, dass sich diesmal ein Weg auftut. Wissen, dass sich bisher erst ein Mal ein Weg aufgetan hat. Das eine Mal von vielleicht hundert Malen.

Während ich darüber nachdachte, wie ich das konkret tun könnte, bemerkte ich, dass auch das zu meiner Schleife gehört.
Jetzt sitze ich da, bin irgendwie verletzt davon, was im Miteinander passiert – sage, was da passiert und dass ich das so nicht möchte – und fange an, mir zu überlegen, wie ich es nicht wiederhole. Obwohl von Anfang an nicht ich dafür gesorgt habe, dass sich etwas wiederholt. Ich war einfach so da wie ich bin. Habe gedacht, wie ich denke, mich ausgedrückt, wie ich es tue und wieder wurde mir gesagt, dass meine Art zu Denken sehr viel sehr komplex sei. Dass man das nicht lange durchhalten kann, wenn man versucht mitzukommen. Und irgendwo darin erwähnt, ob ich wohl den Anspruch habe, dass man mir, wenn schon nicht gleich, so doch wenigstens ähnlich komplex begegnet.

Es ist also wieder das Thema Komplexität, zu viel (~intelligent~) sein, Vermeidung von Überforderung, Vermeidung der tatsächlichen Themen aus Sorge zu überfordern, zu wenig Hilfreiches zurückzubekommen und dem Problem nicht immer genug Kraft dafür zu haben, auf das Gegenüber warten zu können.
Und im Anschluss das innere Verbot, an der helfenden Person zu zweifeln, denn die kann ja auch nichts dafür. Niemand kann etwas dafür. Nie. Ich bin die Komponente, die sich in den Kontakt begeben hat, um etwas zu verändern. Also muss ich mich verdammt nochmal endlich auch verändern, warum mache ich mich dann nicht einfach anders.

Ich weiß nicht, ob mein Fehler ist, wiederholt nach Gegenübern zu suchen, die mich in meiner Auseinandersetzung begleiten und mir helfen, Lösungen für die Probleme zu finden, die ich alleine nicht erschaffen kann. In meiner Traumalogik ist es jedenfalls so.
Ich brauche niemanden, die_r mir nicht entgegen_wachsen will und die halbe Zeit damit kämpft, sich in meiner Anwesenheit weder dumm noch unterkomplex urteilend oder möglicherweise zu wenig Hilfreiches wissend zu fühlen, weil sie_r einfach nicht glaubt, dass diese Ebene im Kontakt für mich nicht relevant ist.
Ich brauche jemand, die_r sich erst einmal auf meine Probleme konzentriert. Nicht auf mich, nicht auf sich – auf das Problem. Und erst dann von mir aus auch auf mich in dem Problem und auf sich bei all dem.

Ich fürchte, dass ich mein Helfertrauma nie mehr realisieren kann, als ich es bisher geschafft habe.
Die Realität ist, dass ich zu komplex denke, zu viel aufnehme und deshalb immer viel ist, was mich beschäftigt oder vor Probleme stellt.
Die Realität ist, dass sich die meisten Menschen, gegen Komplexität entscheiden oder gar nicht erst begreifen können.
Die Realität ist, dass ich deshalb keine Hilfe bekomme, auch wenn ich es mit Leuten zu tun habe, die mir wirklich aufrichtig bemüht und angestrengt helfen wollen.
Die Realität ist, dass dies wiederum allein mein Problem ist und bleibt und bleibt und bleibt – weil die Lösungsfindung eine zu komplexe Angelegenheit ist.

Es ist die Hölle.
Ernsthaft.

das Heile und der Virus

Seit Tagen habe ich meine Gedanken unter Quarantäne. Schreibe sie hier nicht rein, aus Sorge, aus Furcht, aus Gedanken um Privatsphäre und auch, weil ich nicht verpackt kriege, was gerade in der Welt passiert. Hier auf dem Land kommt mir das alles noch absurder, krasser, unwirklicher vor.
Hier gibt es keine leeren Regale, keine Leute mit Schutzmasken vor dem Gesicht. Hier gibts den Acker vor der Tür, dem langsam ein grüner Pelz wächst, die Sperlingsgang, unseren Garten und die Frage, wo wir heute mit den Hunden spazieren gehen. Es ist nicht alles in Ordnung und heil, aber es sieht nicht aus, als lebten wir in einer Zeit, in der auf Geflüchtete geschossen und eine Seuchenschutzmaßnahme nach der anderen beschlossen wird.

Wir wachen morgens auf, trinken Kaffee und beobachten die Wellenbewegung auf den Pfützen neben der Straße, auf der diese Woche schon wieder mehr Traktoren und Laster als letzte Woche langfahren. Ich mache meine Arbeit und in den Pausen mache ich mir Gedanken. Einfach so, wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, wandern sie zum Thema Kinderkriegen. Als wäre alles heil und in Ordnung, während doch praktisch alles gerade schwierig, gefährlich, unfassbar traurig, unfair und gewaltvoll ist.
Als würde das Husten des Freundes von unten nichts weiter bedeuten. Als wäre unsere Konstitution aus Stein und Stahl. Als wäre alles möglich, obwohl gerade alles so ist, wie es ist.

Ich möchte diesen gesunden Kern in uns feiern. Will mich ihm hingeben und genauso handeln und sein, wie die Menschen, die nicht mit unseren Erfahrungen und ihren Auswirkungen leben. Vielleicht erliege ich aber auch nur der naturalistischen Erzählung vom Urinstinkt der Menschen, die schwanger werden können. Halte das alles für heil und gesund, weil das Kinderkriegen als Zeichen von Heil- und Gesundheit gilt. Obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt und alles im Grunde eine hochkomplexe Wenn-Dann-Maschine ist, deren Funktionieren nicht davon abhängt, wie gesund oder krank man ist. Wie bereit oder nicht bereit. Wie ideal oder katastrophal die Umstände sind.

Ich wünsche mir die Gedanken- und Sorglosigkeit der Gesunden und Heilen. Denke manchmal: “Hey, jetzt hab ich hier so was Heiles, was in mir wirkt und greift und irgendwie einfach so nur da ist – wieso kriegt das nicht einfach allen Raum in meinem Leben. Das ist doch sowas Gutes! Hallo Welt – Ich hab hier mal was Gutes von mir und aus mir heraus – wo kann ich damit hin?” und die Welt antwortet darauf “Ach hier neben der Erkrankung deines Freundes, deiner Armut, deinen Erkrankungen und den Behinderungen, mit denen du umgehst, da kann du dir was zwischen Seuchenschutz, Klimakatastrophe und Krieg rund um den Globus einrichten.”

Vielleicht sagt die Welt das aber auch gar nicht. Vielleicht höre ich das nur. Vielleicht sagt die Welt auch, dass immer alles kommt, wie es kommt und das Leben einfach nichts ist, das für irgendetwas mehr als sich selbst ideal ist. Und ich will das nicht hören, weil ich vielleicht inzwischen doch auch zu denen gehöre, die sagen, dass sie jetzt auch mal einfach nur was Gutes im Leben haben wollen. Dass sie die Schnauze voll haben von Traumascheiße, von Ämterbullshit, von Last und Sorge wegen Dingen, die längst vorbei sind, von Lebens_Angst und aktivem Bewusstsein für alles Schlimme in der Welt.
Vielleicht habe ich inzwischen auch einen verdrehten Opferstolz entwickelt, in dem ich denke, ich hätte doch jetzt langsam mal ein Anrecht auf Sorglosigkeit und gedankenloses EinfachnuramLebensein und Leben machen. Als ob das weniger anmaßend wäre, als der Gedanke um Anrechte durch Erfahrungen selbst.

Die Sonne scheint. Unten hustet der Freund. Die Sperlinge knispeln im Dachspalt. Gleich besuche ich die Nachbarn, um etwas Erde für unsere Kartoffelpyramide zu holen. Danach werde ich den letzten Heckenschnitt häckseln, eine Hunderunde machen. Vielleicht gucken wir heute Abend einen Film. Vor mir liegen etwa 4 Tage PMS, drei Zugfahrten zu wichtigen Terminen und die Sorge, bei einer davon den Virus mit nach Hause zu schleppen, der den Freund mit hoher Wahrscheinlichkeit tötet.