über die Entscheidung “krank – krank” zu sein

Ich habe mich dafür entschieden krank zu sein. Also “krank – krank” – also “so krank, dass ich nicht in die Schule kann- krank”.
Für mich ist der Umstand, dass ich mich für die Krankheit entscheiden musste, ein Symptom für die Krankheit “Langzeit-Hartz 4- Syndrom”. Darunter ist die Depression, die keine ist; die Angststörung, die keine Störung ist, die Ernährungsstörung, die keine Störung ist und die Anpassungsproblematik, die keine ist, zu verstehen.
Langzeit – Hartz 4 Krankheiten sind alles keine “echten” Krankheiten, weil sie logische Folgen eines Lebens in Armut, Mangel oder Fehlernährung, die Folge aus permanenter Existenzbedrohung, die gesamtgesellschaftlich gewollt und gestützt ist und am Ende zu sozialen, kognitiven wie innerpsychischen Anpassungen führt, sind.
Langzeit – Hartz 4 – Krankheiten werden in einer psychosomatischen Klinik nie erfolgreich behandelt. Deshalb sind es keine “echten” Krankheiten.

Richtig krank werde ich erst jetzt, nachdem ich soziale Teilhabe erfahren kann und darf.
Mein Körper, der fast 8 Jahre lang mehr oder weniger durchgängig wenig bis keine anderen Immunsysteme, außer dem des Hundes, länger als 6 Stunden am Tag neben sich hatte , befasst sich nun mit den Keimen, Viren und Bakterien der Kunstschüler_Innen.
Und ich musste darüber nachdenken, ob ich denn nun krank bin und wenn ja, wie “wirklich”.

Normalerweise – und ja für mich ist Hartz 4 – Leben normal, ich habe noch nie ohne gelebt – arbeite ich bis 38°C Fieber und bitte erst bei 39° C darum, dass jemand anderes mit dem Hund rausgeht und mir hilft aus überflutendem Wiedererleben von Gewalterfahrungen herauszugehen und orientiert zu bleiben.
Normalerweise schreibe ich meine Texte auch mit verletzten Händen, in Episoden dissoziativer Blindheit, in denen ich noch etwa 30% Sehschärfe aufbringen kann und mit Schreien in meinem Kopf, die zu laut für jedes Hören sind. Normalerweise halte ich meinen Haushalt auch dann noch aufrecht und begehbar, wenn ich mich selbst zutiefst gebrochen und unempfänglich fühle.
Normalerweise gibt es keine Grenze zwischen “Körper Geist Seele” und “Leben”.
Normalerweise ist beides eine Suppe, die von außen durchgesiebt und sortiert wird und nicht nach meiner Ansicht fragt. Ich kann eine haben, wenn ich will, aber irrelevant bleibt sie doch.

Und jetzt ist da die Frage danach, was Basis – was Pflicht und was Kür ist.
Die Basis ist vermutlich das Arbeiten, das keine “echte” Arbeit ist, weil es kein Geld gibt, aber passiert, weil es eben in mir drin ist. Ich erlebe mein Schreiben und Kunsten nicht als Handwerk. Es _ist_ und war schon immer. Es brauchte nie von Außen nötig gemacht werden.
Die Kür ist die Norm der Anderen. Die Norm bestimmte Dinge nicht in ihrem _Ist_Zustand anzuerkennen und zu wertschätzen, sondern erst in einem bestimmten (sozialem) Kontext oder damit assoziiert. Die Norm die Dinge, die in einer Seele, einem Geist, einem Körper drin sind, als “nicht genug” zu begreifen und darauf etwas zu konstruieren, das auf jede beliebige Art immer und immer wieder eine Verbesserung anstrebt und am Ende eine permanente Sicherung abnötigt.

Was ich merke ist, dass die Gesellschaft alias “die Welt da draußen”, meine Traumatisierung und mein Leiden am Leben damit, nicht als “echte” Krankheit begreift, wenn ich im Hartz 4 Bezug alt werde und sterbe. Vielleicht werde ich selbst nie weiter als bis zu dem Punkt, an dem ich mich jetzt befinde, meine Traumatisierung als etwas erfassen, das ein Leiden erlaubt, weil mein Hartz 4 Leben ein Suppenleben ohne Struktur ist. Es ist voller Not und voller “nicht genug”, aber fern der Norm, die das als Problem begreift.

Die Welt dort draußen, meine Hausärztin zumindest, denkt ich leide unter Fieber und Muskelschmerzen, weil ich Fieber und Muskelschmerzen habe.
Ich leide aber unter Fieber und Muskelschmerzen, weil sie mich an Schmerzzustände erinnern, die ich in dem Moment nicht als Teil einer Vergangenheit einordnen kann. Weil ich von diesem Erleben nichts beworten kann. Ich leide, weil ich auf eine scheinbar unüberbrückbare Art allein und ohne Teilhabe bin, wenn ich mich erinnere.
Es erscheint mir, als sei die Einsamkeit meines Leidens, die Basis meines Lebens und die Welt da draußen denkt, das wäre Hartz 4.

Die Welt dort draußen denkt, ich würde unter Hartz 4 leiden, weil es nicht genug ist. Weil es nicht genug für mich ist.
Die Welt dort draußen fragt sich nicht, was für mich “genug” wäre, wann für mich das Leiden vorbei wäre.
Die Welt dort draußen versteht nicht, dass sie Teil meines Leidens ist, weil sie meine Norm nicht als gegeben anerkennt.
Die Welt dort draußen versteht nicht, dass mich die Gewalt durch Menschen zuerst von ihr getrennt hat und mit der Gewalt unter dem Begriff “Hartz 4” getrennt hält.

Und zwar so sehr und so gründlich, dass ich für mein Leiden, mein Kranken, mein Sein, im Grunde keinerlei Maßstab habe und die Entscheidung sich mit 39,5° Fieber, Halsschmerzen und Rotznase als “zu krank um am Leben in der Welt teilzuhaben” einzuordnen, zu einer unfassbar mutigen Tat wird, weil sie “die Welt da draußen” mitberührt.

Ich weiß nicht, ob sich jemand vorstellen kann, wie krass das für uns ist, für sich allein etwas entschieden zu haben, das mit der Welt zu tun hat.
Vielleicht kann’s niemand. Aber ich kann’s.
Und mir ist das genug.

das Gespräch

Was ich immer wieder auch spannend finde – und ja tatsächlich auf die Art spannend, wie sie zum Streichen eines langen weißen Bartes Anlass gäbe, besäße ich einen solchen – ist die Art Beschämung oder auch peinlich berührt seins von Menschen, denen ich von meiner Behinderung erzähle, mit der Intension gemeinsam zu einem Umgang zu kommen, der weder für mich erniedrigend und schlicht nicht hinnehmbar ist (wie etwa die Notwendigkeit sich auf den Boden eines Schulklos legen zu müssen, weil sich auf die Schnelle kein anderer Ort finden lässt, an dem es einem einigermaßen privat grottenschlecht gehen kann) noch für andere Personen mit Überforderung oder auch dem Eindruck verbunden ist, irgendwie benachteiligt oder gestört zu werden.

Dass ich mit dem Lehrer, dessen Verhalten am Vortag massiv dazu beigetragen hatte, nicht zu sagen: “Äh – du ich kriege gleich einen Krampfanfall – wo ist bitte ein ruhiger Raum/eine stille Ecke/ eine Möglichkeit das hier nicht zu einem riesen Ding werden zu lassen?” , noch nicht gleich reden konnte, war mir klar. Vielleicht, werde ich das erst nächste Woche können, oder in zwei Monaten. Mir ist das erst einmal egal, weil ich weder den Lehrer noch den Kurs im Moment als etwas erlebe, das ich akut wirklich brauche. (Letztlich brauche ich ihn natürlich doch, weil meine Mappe auch solche Sachen, wie die, die wir da machen können, braucht.)
Wichtig war mir einen “Verbündeten” zu finden, dem ich sagen kann: “Hör mal – ich lebe mit diesen Krampfanfällen und ich brauche einen Landeplatz, an den ich gehen kann, wenn ich merke, dass einer anrauscht und ich brauche eine Person, die davon weiß, damit es im Fall, dass ich es mal nicht mehr dorthin schaffe – ja sorry diese Möglichkeit gibts auch – jemanden gibt, der anderen Leuten sagen kann, was los ist.”
Ich habe also versucht eine Ver-Bindung herzustellen und ich glaube, wie schwer so etwas Personen fällt, denen genau das immer wieder zum (lebensbedrohlichen) Verhängnis wurde, kann man sich ein bisschen vorstellen.

Ich habe mir am Abend nochmal durchgelesen, was das schlaue Buch zu gewaltfreier* Kommunikation so rät, habe im Internet nach Texten und Foreneinträgen gesucht, in denen es darum geht, mit Menschen, die nicht mit der gleichen Behinderung wie man selbst leben, über solche Dinge zu reden.
Selbstverständlich habe ich das noch am gleichen Abend gemacht, obwohl mir jeder Muskel wehgetan hat und ich eigentlich Dinge wie menschliche Nähe und Wärme, Trost und das Gefühl von aufgehoben und nicht verlassen sein, gebraucht hätte.
Aber hey, man kann ja nicht alles haben. Das Leben hart und die Welt ist kalt – nach 8 Jahren Herzischaukeln im Kuschelparadies ohne Lohnarbeit oder Bildungsmaßnahmen unter anderen Menschen, darf man sich auch nicht so verhätscheln. (Ja – mein Kopf denkt solche Sachen wirklich, lacht sich aber gleichzeitig auch aus dafür, weil klar ist, was das für ein Schwachfug ist)

Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren, hätte nicht wieder in die Schule gehen können. Sie hätte vielleicht im Sekretariat angerufen, den Bildungsvertrag gekündigt und sich auf unbestimmte Zeit mit Dingen wie hungern, fressen, sich aufschneiden, Medikamente überdosieren oder 24/7 Deals mit Täter_Innen eingelassen und sehr wahrscheinlich an keiner Stelle etwas von ihren Gefühlen und Gedanken abgestellt.
Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren hätte schlicht keine gehabt.

Heute weiß ich, wie auch politisch mein Re-Agieren in solchen Situationen ist. Für mich ist es keine persönliche Agenda, die sich um meine Flauschgefühle dreht, wenn ich an einen Ort gehe, an dem ich mich einige Zeit am Tag bewege und schaue, wie dieser mit meiner Behinderung nutzbar ist.
Zu einer persönlichen Sache gemacht, erlebte ich aber meine Formulierung dessen, als ich dann vor dem Leiter des Fachbereichs stand und ihm zuhörte.
Ich weiß jetzt nach ein paar Gesprächen und Austauschen und auch eigener Reflektion, dass ich alles richtig gemacht habe, aber vor einer Person stand, die mir zum Einen nicht den gleichen Respekt entgegenbringt, wie ich ihr und zum Anderen, vermutlich noch nie bewusst und aktiv mit der Behinderung eines anderen Menschen umgegangen ist, weil sie es nie musste.

Ich stand in diesem Büro, gestählt aus tausend Gesprächen dieser Art in der Jugendhilfe, den Hilfen für junge Erwachsene, der Psychiatrie, jeder – wirklich jeder – “Diskussion” im Internet und dieser etwa 25 Jahre ältere Mann fängt an, mir eine Vermeidungstanzrevue vorzumachen, die den Titel “ein Kessel Buntes” sehr gut tragen könnte.
Erst die Leugnung eines Problems über Derailing, dann der Apell an mich “dramatisier mal nicht”, dann die Individualisierung des Leidens unter der Situation, dann der oberpeinliche Versuch mir ein Vorbild und Role-Model zu sein “ich würde an deiner Stelle…” und dabei zu vergessen, dass ich diejenige mit den Anfällen bin und nicht er, dann kommt der Höhepunkt über den Versuch mich mit völlig unangebrachten Komplimenten zum Schweigen zu bringen “Hannah du hast Talent und du bist ein toller Mensch – echt jetzt”, die ich – 10 Jahre Psychotherapie olé! – mit einem schlichten “Ja, weiß ich, danke.” beantwortete, was er dann wiederrum scheiße finden musste, damit er mich darauf hin als borniert in die Situation stellen kann und seinen Vermeidungstanz mit einem lösungsbefreitem Schweigevorhang beenden konnte.

Ich glaube, es war ihm peinlich und wirklich unangenehm sich von mir angesprochen zu sehen. Vielleicht hätte ich ihn noch mehr flauschen müssen in der Situation, aber ehrlich gesagt halte ich es für falsch, mir solche Dinge, wie einen ruhigen sauberen Ort zum Krampfen bzw. zum gegen das Krampfen anarbeiten und ein Miteinander in dem meine Behinderung wenigstens bekannt ist, quasi zu erschleichen oder zu ermanipulieren. Mal abgesehen davon, dass einfach nicht gut darin bin, Menschen zu manipulieren oder “mir zurecht zu biegen” oder sowas. 

Es ärgert mich, dass das Gespräch so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, weil ich jetzt zwar weiß, dass es einen ruhigen Raum gibt, aber noch immer keinen Notfallkontakt unter der Lehrer_Innenschaft habe und also im Fall des Falls immer noch genug Kraft und (neurologische) Fähigkeit haben muss, um Personen, die keine Ahnung haben und vor denen ich vielleicht in dem Moment auch ein bisschen Angst habe oder so, zu sagen: “Bitte schließ mir den Raum auf, ich darf da sein.”.
Ich fühle mich allein gelassen mit etwas, das nicht nur mit mir allein zu tun hat, aber nur so betrachtet werden will.

Und ich kann das verstehen.
Wenn man mit Menschen mit Behinderungen immer wieder so umgeht, als sei das Leben mit einer Behinderung eine Privatsache, die ganz eigentlich ergo im öffentlichen Leben keine Rede wert sein darf, dann sind solche Haltungen wie von dem Fachbereichsleiter logisch und üblich.
Ich habe gemerkt, dass ich ihn mit meiner Festigkeit im Thema irritiere und überfordere. Dass ihn meine Forderung nach Würdigung meiner Gefühle von auch Demütigung und nach einem Umgang mit solchen Situationen, der ihn mit einbezieht, auch erschreckt, weil plötzlich Grenzen (Barrieren) für ihn sichtbar wurden, die lange nicht sichtbar waren.
Deshalb habe ich ihn letztlich auch in Ruhe gelassen, obwohl ich genau weiß, dass es nur einen Krampfanfall die Treppen runter dauert, bis er seinen Bezug zu meiner Behinderung unumgänglich fühlt, weil ihm dann nämlich Versicherung und Schulleitung aufs Dach steigen und Schuld ein Thema wird, das dann wieder zu mir wandern muss und letztlich wieder für mich einen Bildungsweg verunmöglicht.

Ich bin 28 Jahre alt und dort, weil das die einzige zeitlich flexible Vorbildungsoption für mich ist um meinen Lebenslauf aufzumotzen, um mich irgendwo zu bewerben, wo man mich am Ende mit 100€ im Monat entlohnt, wo andere Menschen etwa 1.200€ erhalten.
Mein Leben ist kein Ding in dem ich mir den flauschigsten Ort für mich suchen kann, weil es ja so wahnsinnig viele Optionen gibt.

Ich weiß, dass ich von Menschen, die ihr Leben lang nie so massive Abhängigkeiten gefühlt haben, wie ich, nicht erwarten kann zu verstehen, wie groß der Druck für mich ist, mich zurecht zu finden und freiwillig am Leben zu bleiben.
Aber ich weiß auch, dass es keine falsche Forderung an diese Menschen ist, meine Behinderung als Teil eines gemeinsam verlebten Tagesgeschehens zu sehen, die einen bestimmten Umgang miteinander erfordert.

Wie es jetzt weiter geht, weiß ich noch nicht.
Aber das weiß ich im Moment ja sowieso in Bezug auf nichts in meinem Leben und vielleicht muss ich das jetzt einfach aushalten.
Das Leben ist hart und die Welt ist kalt.

reclaim the NEIN

Mein am häufigsten genutztes Wort ist: “Nein”
Nein, ich kaufe dies nicht. Nein, ich mache das nicht. Nein, ich kann dies nicht planen und nein, dies kann ich auch nicht tun. Nein, ich darf dieses Angebot nicht annehmen und nein, Widerspruch gegen diesen Zwang einzulegen, geht auch nicht.
Ich sage so oft “Nein”, dass es schwierig ist, mir etwas zu verkaufen. Auch dann, wenn ich es mir leisten könnte. Ich sage so oft “Nein”, dass mir meine Optionen auch mal “Ja” zu sagen oft, viel zu oft, aus dem Blick geraten.

Ich bin trotzdem ganz glücklich mit all den Neins in meinem Leben.
Nicht alle wurden mir vom Hartz 4 aufgedrückt, oder kommen mit dem Zwang sich als ehemaliges Opfer organisierter Gewalt selbst schützen zu müssen, weil es sonst niemand tut.
Viele meiner Neins kommen aus Entscheidungen, die mir allein dienen.

Das Nein zu den einfachen Zuckern. Das Nein zu Lebensmitteln, die nicht koscher sind. Das Nein zu Hosen. Das Nein zu Settings, die hetero und cissexistische Normen stützen. Das Nein zu Lebensmitteln aus Übersee. Das Nein zu Atomstrom. Das Nein zum Entertainment im Fernsehen. Das Nein zu bestimmten Zeitungen. Das Nein zu bestimmten politischen und inneren Haltungen. Das Nein zum Ausverkauf meiner Lebensgeschichte. Das Nein zu Gewalt. Das Nein zur Ignoranz.

Niemand außer mir hat akut etwas von diesen Neins und mir gefällt das.
Es gefällt mir, weil es etwas ist, das ich neben allen Zwängen eben doch noch habe. Und sei es als letztes Stück Selbstbestimmung.

Mein so starkes Nein, wird vom Kapitalismus zum “Bitte überzeug mich” gemacht.
Erst hieß es, das Ziel des Kapitalismus sei es, eine Struktur zu erschaffen, die jedes Bedürfnis und Wünschen erfüllt. Heute geht es darum Bedürfnisse einzureden und Wünsche zu wecken, damit die Struktur wachsen kann.
Und wer nicht mitmacht ist doof.
Nicht etwa arm oder ein Mensch, der sich schlicht für ein Nein entschieden hat.

Ich hatte ausgerechnet jetzt im Januar, wo ich mit 54€ zurechtkommen musste, gleich 3 Mal Außendienstlerbesuch von Unitymedia.
Seit ich hier wohne, habe ich insgesamt 9 verschiedene Typen* vor der Tür stehen gehabt. Allesamt unangekündigt und nicht in der Lage, mein Nein als gegeben zu akzeptieren.
Weder mein “Nein, ich möchte nicht mit Ihnen reden.”, noch mein “Nein, ich möchte nichts kaufen.”, noch mein “Nein, ich möchte keine Informationen.”, noch mein “Nein, ich möchte auch in Zukunft keine Besuche.”.

In diesem Fall ist es auch sehr klar mein als (cis)weiblich gelesen worden sein – Nein, das hier übergangen wird.
Mein Nachbar unter mir, wird ganz anders angesprochen. Ihm werden keine NLP-Fangfragen gestellt, sondern direkt Zahlen an den Kopf geworfen, die ihm vorgaukeln sollen, er würde eine echte Entscheidung treffen. Er hört nicht, dass er ja dumm ist, die (vom Mietvertrag aufgezwungenen) Grundgebühren für den Kabelanschluss zu zahlen, aber das wundergute 30€ Extradings nicht zu kaufen. Mein Nachbar kriegt einfach die Informationsbroschüren in die Hand gedrückt (was ganz klar auch eine Missachtung des Neins, meines Nachbarn ist) und wird dann mit der Entscheidung betraut. Allein.

Ich habe gerade heute gezählt, wie oft ich “Nein” gesagt habe und wie oft ich in meinen Sätzen, auch ohne das Wort “Nein” zu sagen, verneinte. Es waren 4 Neins und 2 Verneinungen. In weniger als 5 Minuten.
Jeder Pick Up Artist würde sich bei so einem Verlauf abwenden und mich auf der Fickbarkeitsskala auf eine -100 runtersetzen. “Misandrie- ganz klar.”
Die Außendienstler von Unitymedia schieben mich auf ihrer Kundenliste einfach eine Seite weiter. “Nächstes Mal. Irgendwann sagen sie alle Ja.”

Ich nicht. Ich bin kein Kunde. Ich bin eine Kundin.
Ich bin eine Frau*, die mit Hartz 4 lebt.
Ich bin eine Person, die merkt, wann sie be-NLP-t wird.
Und ich bin geübt in Konsum-Neins und fühle mich damit nicht eingeschränkt oder benachteiligt, sondern oft auch sehr zufrieden.
Dabei bin ich nicht mal Hipster. Armut ist derzeit ja ziemlich chic und Verzicht das Geilste, was geht.

Ich mag meine aktiven und bewussten Neins.
Mir geht es dabei nicht darum eine oppositionelle Haltung einzunehmen oder mich abzugrenzen. Die Abgrenzung passiert als Folge meiner Entscheidung, nicht, weil das mein Ziel ist.

Was mich erschreckt und weshalb ich am Ende überhaupt zu dem Gedanken “reclaim the NEIN” kam, ist die völlige Legitimation, die die Gewalt im Rahmen der „Kundenbetreuung/bindung/akquise” zu Gunsten solcher Unternehmen erfährt. Gegen PUA(ersche) wird demonstriert, weil sie am weiblichen Nein herummanipulieren und Gewalt gegen bzw an Frauen in einer organisierten Form ausüben.
Wenn Verkäufer_Innen das tun, passiert nichts. So sind Verkäufer_Innen nun einmal. Der beste Verkäufer, wird noch Kühlschränke an Eskimos los – Hui!
– der geilste Stecher kriegt noch die monogamste Eins auf der Skala – Pfui!

Eklig, hm?
Ja, hab ich heute auch gedacht.

Am 14. Februar ist wieder One Billion Rising. Eine Veranstaltung, die es gibt, weil das Nein von bestimmten Menschen, einfach nie als das Nein aufgenommen und akzeptiert wird, als das es formuliert wird. Ich könnte jetzt schon kotzen, wie diese meist lauten Demos beworben werden, weil selbst darin bestimmte Neins übergangen werden. Ich will keine Gewaltszenen in Internetvideos sehen, ich mag den Biologismus “Vagina=Frau” nicht, ich mag den Anspruch “Wehr dich doch” nicht.
Ich sage Nein dazu – das letzte Video gegen Gewalt an Frauen, antwortet mit “Ja, aber…”, große namenhafte Organisationen sagen „Ja, aber…“ unsere Politik, die Gesetzgebung antworten mit „Ja, aber….“.

Ich will meine Selbstbestimmung nicht mit “Nein heißt Nein”-Kampagnen erbitten oder erstreiten. Einfach schon, weil ich nicht einsehe, um solche Selbstverständlichkeiten bitten zu müssen.
Ich fänds gut, wenn sich eine Bewegung entwickeln könnte, die sichtbar macht, wie oft ein “Nein”, mit einem “Ja, aber…” beantwortet wird. Egal, worum geht.

Ich hätte gerne, dass einfach mal klar wird, wie oft, sogar in Kleinigkeiten wie so einem Internetanschluss, der verkauft werden soll, das Nein einer Person, die als (cis)weiblich gelesen wird, einfach mal einen Scheiß bedeutet.
Ich bin es so leid, immer wieder den tiefgreifenden allumfassenden Vortrag über (cis)männliche Privilegien und kapitalistische Unterdrückungsdynamiken aufzusagen.

Ich will das Nein haben, von dem mir dauernd versprochen wird, es würde mich davor schützen miss-be-handelt zu werden.
Es muss ein tolles Nein sein.

das ist auch Hartz 4

Irgendwie ist es ja so: Ich kotze meine gallenbittere Hartz 4 Realität hier hinein und mit Trauma und Gewalt hats dann doch erst auf den zweiten Blick zu tun.

Für mich, uns, die kleinen harten Knubbel unter der Haut über meinem Innen, für die ist das eine Wiederholung.
Jede Solidarität, jedes Mitfühlen, jedes Verstehen, das dann doch nichts ändern kann, tut weh, weil sich für sie, uns, etwas wiederholt.

Da sind Leute ohne Gesicht. Eine Macht, die alles von einem weiß. Alles von einem zu wissen verlangt. Vor der es keine Geheimnisse geben kann. Darf.
Da ist die Ohnmacht. Da ist das Wissen, dass es nur einen Knick braucht. Nur eine falsche Bewegung. Ein falsches Wollen. Ein falsches Wünschen. Eine einzige individuelle Regung, die auch nur ein einziges Kästchen sprengt
und das Leben, wie es war, ist zu Ende.

Und da ist auch
das Mitteilen von Not. Von Ohnmacht, Verzweiflung, Widerwillen, Ekel, Ungerechtigkeit.
Und dann die Worte.
“Oh ja, das ist sicher furchtbar.”
”Hartz 4 ist die totale Scheiße”
”.. so unmenschlich”
”Gewalt…”

Ich hab neulich so eine dieser wabrigen Erinnerungen gehabt, auf die kleinere Schatten folgten.
Die Horterzieherin, die fragte, obs denn nicht weh tut. Die Lehrerin, die sagte, ja Eltern könnten manchmal ganz schön blöd sein. Die Klassenkameradin, die stumm nickt und ihren Fußspitzen erzählt, dass sie weiß, was ich meine. Die Kinderärztin, die auf ihren PC tippt und sagt, dass alles da drin steht.
Und die Welt, die sich einfach weiter gedreht hat, als wäre nichts passiert.

Ist es eine Art Undankbarkeit, wenn ich gar nichts mehr erwidern kann, wenn mir Menschen ihr Mitgefühl mit meiner Hartz fear ausdrücken? Wenn sie fragen, ob sie mir helfen können und ich im Kämmerlein unter dem Vorwurf, andere Menschen dazu gebracht zu haben, zu denken, sie müssten mich retten, zerrissen werde, nur noch ein Danke herauskriege, das auch “Okay- nimm mich einfach” heißen könnte?

Hat mich das Hartz so zerstört oder war das schon immer so?

Ich denke manchmal, es ist eine Fähigkeit von uns – einer dieser komischen Faktoren, die beim Überleben helfen, dass wir uns ausdrücken können. Dass wir das so oft an Sprechproblemen und Wortlosigkeit vorbei  geschafft haben.
Und dann steht man in so einer Gesellschaft, die so ganz viel aus symbolischen Akten zieht. Aus Pro- und Kontrapositionierungen und Worten, nach denen man Taten gar nicht vermisst.

Ich habe mich vorhin bei einem alten Wunsch ertappt.
“Wenn es nur bitte bitte endlich vorbei wäre.”.
Ich denke wirklich oft: “Ja, gut – ich nehme die Armut, die begrenzten Möglichkeiten. Ich ziehe die Rentenlosigkeit und den Plastezahnersatz mit Mitte 30 und tausche gegen die Angst den Briefkasten zu öffnen und die Spirale aus Kämpfen und Verlieren.”

Ich hab einen ähnlichen Kompromiss als Jugendliche gemacht.
Weil ich in der Jugendhilfeeinrichtung ständig so furchtbare Bauchschmerzen und untergründig schwelende Todesangst hatte, hab ich getauscht und bin zurück nach Hause gezogen. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es da eigentlich immer so war.

Ich weiß auch nicht, wie man ohne Rente und mit Plastezähnen so lebt.
Ich würds trotzdem gegen diese Hartz fear tauschen. Ernsthaft.

Aber Hartz 4 kann man nicht tauschen. Das kann man nur vererben.
Es gibt kein Raus für mich. Für uns. Jedenfalls nicht jetzt. Dieses Jahr. Nächstes. Übernächstes. Und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch noch überübernächstes Jahr nicht.

Und alle verstehen, wie furchtbar das für uns sein muss.

Und die Welt dreht sich einfach weiter.

es ist Hartz 4

Ich habe mir in dieser Woche viele Gedanken um Hartz 4 und Hartz fear und Armut in der heutigen Zeit gemacht.

Erst war da der Artikel vom Besuch der Musik- und Kunstschule, dann der Artikel von Jasna. Dann mein Termin am Montag bei meiner Jobcentersachbearbeiterin für die aktiven Leistungen. Dann heute Nachmittag der Brief mit der Zahlungsaufforderung über 770€ vom Jobcenter.

Es ist der 23. Januar und ich habe noch 20€ auf meinem Girokonto.
27 € in meinem Flattraccount. Etwa 10 € in Pfandflaschen unter der Spüle. Meine Spendendose für gemeinnützige Organisationen sieht nach etwa 8 € aus.

Januar ist Bahncardmonat – 62€, ist Jugendherbergenbeitragsmonat ~30€, ist der übliche StromHeizungTelefonInternetmonat ~100€ , war der Monat mit Fahrkosten vorstrecken – 43€, war mein Monat mit 389€ von dem ~154 € übrig blieben und 100€ zur privaten Schuldentilgung überwiesen wurden.
Und dann kam die Anfrage für einen Vortrag im März. Honorar ja, Fahrtkosten selbst tragen. Mach ich dann zusammen mit den anderen vorgestreckten Fahrtkosten im Februar – oh wait … ich hab noch gar keinen Bescheid vom Jobcenter über die Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung über den 31.1.2015 hinaus.

Ich habe das Gefühl, dass es egal ist, was wir tun, um diesem Hartz-Wahnsinn zu entkommen. Und das habe ich nicht nur, weil mein Flattr-Schatz so mickrig ist oder sich nur eine Person gefunden hat, die unsere Arbeit monatlich unterstützen kann/will/mag, sondern, weil ich merke und in Kontexte setzen kann, wie sehr biegsam mein Wert und der Wert meiner Arbeit ist. Auch meiner Arbeitskraft.

Am Montag saß ich bei meiner Sachbearbeiterin für die aktiven Leistungen im Jobcenter.
Sie sagte, ihre Hilfe für mich einen Ausbildungsplatz zur Grafikdesigner_In/Illustrator_In in Teilzeit zu finden, sähe so aus, dass sie mir zusichern kann, dass der Betrieb, der mich ausbildet, nur 100€ Gehalt an mich zahlen muss. Wär ja auch bequemer. Ich bekäme ja dann noch Hartz 4.
Mit dieser Information laufe ich jetzt seit Montagmittag herum und habe noch nicht ein Mal darüber geweint. Obwohl ich diesen typischen Weindruck im Kopf habe. Obwohl ich weiß, dass jede andere Person an meiner Stelle weinen würde.
Gibt so kleine Würdeinseln, die man bis aufs UnterderHaut dann doch verteidigt.
Ich schiebe das weg und ziehe mir das Vorstudium an der Kunstschule vor Augen. Das ist flexibel, die Innens, denen diese Arbeit liegt, fühlen sich dort gut.
Obwohl sie belächelt werden, abgeschätzt und bewertet.

Was wir da machen, hat nur für uns Wert. Und die, die mit uns sind. Also ihr Leser_innen. So ihr uns denn nicht doch nur lest, um euch besser zu fühlen, uns zu überwachen oder euch an uns zu messen. Das kann man nie wissen und vielleicht kann mir dieser Gedanke auch verziehen werden, denn letztlich spüre ich nur wenige von euch.

Ich bemühe mich darum an Geld zu kommen und immer wenn ich welches bekomme, ist es im Grunde schon aufgefressen, bevor es wirklich da ist.
Manche Menschen denken, ich hätte für die Vorträge im letzten Jahr viel Geld bekommen.
Und vergessen sich zu fragen, was mich die ordentliche passende und angemessene Kleidung, die Fahrten, die Arbeitszeit, die Unterbringung, die Teilnahmegebühren wohl gekostet haben. Armut sei nicht vereinbar mit einem Smartphone, einem Laptop, den Kontakten, die ich pflege, denkt es in diesen Köpfen.
Ich könnte nun ein Bild  von Kindern, die an Typhus sterben, weil sie kein sauberes Wasser, aber Markenkleidung und Handys haben, einfügen.

Ich würde so manchen Menschen gerne das Preisschild an ihrem Lebensstil zeigen.
Den Gegenwert, den ich ihnen für ihre Chancen und Optionen auszahlen würde, wäre das möglich.
Letztlich habe ich vielleicht gar kein Problem mit dem wenigen Geld. Vielleicht geht es einfach nur um realistische Aussichten. Um Chancen, die ich so nutzen kann, dass sie mich autonomer machen und nur leider einfach gar nicht da sind. Weil ausverkauft.

Hartz 4 bedeutet nicht “keine Arbeit”.
Hartz 4 bedeutet auch nicht “kein Geld”
Hartz 4 bedeutet “Existenzminimum”.
Hartz 4 bedeutet “kann nicht ohne Hilfe”.
Hartz 4 gibt es, um Armut zu verwalten.

Ich sitze auf dem Entwurf für ein Büchlein. Fällt mir gerade ein.
“Könnt ich ja mal fertig machen”, denke ich. Und dann sitze ich wieder vor diesem Softwareproblem und erinnere mich, dass ich um das zu lösen, den Account bei Patreon eingerichtet habe.
“Und was ist, wenn das Buch dann fertig ist?”, frage ich mich. Und erinnere mich an das Gespräch mit der Verlegerin. Kleine Zielgruppe, von Mediziner_Innen und
Psycholog_Innen dominiert. Es wird gewertschätzt werden – keine Frage.
das andere Ende der SchnurEs wird sich halt nur nicht verkaufen.

Ach…

Es ist nicht hoffnungslos.
Eigentlich ist es nur völlig egal, wie es mir damit geht.

Und mir gehts ja eigentlich gut.
Ich hab mir Tusche und ein Skizzenbuch gekauft.
Wenn ich erst mal einen Beruf gelernt hab…!

#Raumgefühl

DSC_0292Um zum Haupteingang zu gelangen, muss man hineingehen in den Bogen des großen U, das das Gebäude des Jobcenters bildet.

Mit jedem Schritt schrumpft das Selbst und wächst das Gebäude.
Es hallt. Ist immer schattig in diesem U.
Im Foyer läuft Sonnenklar TV auf den Bildschirmen, die über einem Leitbandsystem hängen.
Es schlängelt die Existenzminimum-Kund_Innen vor die verglaste Schalterfront.

Stimmen schieben sich dumpf durch diesen weiten Raum ohne Sitzgelegenheit.
Ohne die Fensterfront, die Beamte, wie Kund_Innen im Rücken haben, wenn sie einander durch das Sicherheitsglas getrennt, gegenüber stehen, wäre es ein dunkler Durchgang.

Die Seitenschenkel des U enthalten auslegwarentrittschallgedämmte Flure hinter Sicherheitstüren.
Schussfest. Schallgedämmt. Nur mit Mitarbeiter_innensicherheitskarte zu öffnen.

Die Türen dahinter sind alle offen.
Daten werden hier nicht geschützt.
Lebensdaten. Schicksalsdaten. Persönliche Daten.
Sie quellen aus den Nischen, die von den Fluren abgehen und verteilen sich zu einem Klangteppich, der jeden Winkel berührt und von weißem LED-Licht beleuchtet wird.
Es riecht nach Kaffee, Papier, Toner, Schweiß, Parfum, Teppichkleber.
Ich nenne diese Mischung “Eau de Be-Amt”, weil jedes Jobcenter so riecht.
Angst, Verzweiflung, Monotonie, Tränen, haben keinen Eigengeruch.

Die Klinken sind schlicht, schwer, schmal und kalt. Helles glattes Metall, passend zum cremigen Weiß der Wände und schmutzigem Dunkelgraublau des Bodens, ist es ein Element, das sich konsequent wiederholt, wie die hellgraubläuchlichen Platten und die in quadratische Betonbecken eingegrabenen Bäumchen im Hof.

Wenn man aus dem Fenster schaut, kann man den Bahnhof sehen.
Wenn man drüber nachdenkt, fällt einem auf, dass man nicht darüber nachdenken sollte.

So richtet man seinen Blick auf die Kunstdrucke in Plastikrahmen und wartet auf seinen Stempel. Seinen Zettel. Die Nummer, die mal ein Menschenleben war.

Wenn die Tür hinter einem zugeht, brüllt einen der Lärm der Hauptstraße über die freie Fläche vor dem Haus hinweg an.
Man darf sich fragen, ob der Zugang zum Dach des Gebäudes auch mit einem Sicherheitskartenschloss verriegelt ist.

 

[mein Beitrag zur Blogparade von Stadtsatz]

 

Chancen

Es sind ganz junge Füße, die mich durch die kalte Dunkelheit zu dieser Musik- und Kunstschule tragen. Ich merke das an dem Schwung im Schritt. An der Musik in meinen Ohren. An diesem ganz zarten Glimmen unterm Sternum. An dieser Fragenschleife: “Und dann darf ich das lernen? Also so richtig lernen? Und dann darf ich da was machen? Und dann ist das richtig echt? Und dann…”. An den großen Augen, deren Iris mich fast verschlucken.

Wir bekommen über 80% Rabatt, weil wir von Grundsicherung leben. Der Kurs geht, wenn alles klappt, 12 Monate. Am Ende könnten wir eine Mappe haben. So eine Richtige. Nicht so eine peinliche: “Ach nett, Sie machen also kleine süße Zeichnungen in ihrer Freizeit.” – Mappe, wie wir sie jetzt haben.
Es ist eine Chance.
Wenn sie uns vom Jobcenter als solche anerkannt wird und davor bewahrt, Bewerbungstrainings oder andere Maßnahmen machen zu müssen. Denn arbeitsfähig in dem Sinne sind wir inzwischen wieder. Maximal 4 Stunden am Tag – davon 3 am Stück. Die 4 te geht für den Weg hin und zurück drauf.
Die 4 Stunden, die uns noch zur “normalen Arbeitsfähigkeit” fehlen, die brauchen wir dann zu Hause, um die vorangegangenen 20 Stunden zu be.greifen, in den Mund zu stecken und nochmal zu essen.

Ist halt so. Wir haben die 50% im Schwerbehindertenausweis nicht, weil das Foto von 2004 darin so schön ist.
2004 da hatte das Innen, das sich zwischen die Mütter und Klein.Kinder setzte, um im Schulgewusel anzukommen und die Lautstärke mit den Haarspitzen zu erfühlen, das letzte Mal über eine Zukunft als um des Begreifens Willen lernende Person nachgedacht.
Jetzt krabbeln ihm Kinder mit Kekskrümeln auf den Kullerbäuchen um die Füße herum und könnten aus ihm selbst gekommen sein.

Der Leiter des Kunstbereichs ist nicht sehr angetan von den Zeichnungen. Er mag so gern lieber abstrakte Kunst, dass er uns markiert, wann die Kurse für figürliches Zeichnen sind. Das Innen zittert. Drückt sich die Wunschäußerung raus, alle Kurse des Angebots einmal zu probieren. Er reagiert nicht. Springt auf ehemalige Schüler_Innen zu, die zu Besuch kommen.
Der Leiter der Fotografiekurse kommt an den Tisch. Auf dem Bildschirm ist unser Fotoblog zu sehen.
Das Kinderinnen, das die Fotos macht, schiebt sich zaghaft zwischen das junge Innen, mich, den Schatten der Anderen und das Heute, das plötzlich so viele Gesterns gleichzeitig ist.

“Die Motive sind mir zu lieblich, aber dein Auge ist gut. Die Aufteilung, die Gestaltung, die Farben. Sehr gut. Du hast das drauf. Oh hier die Langzeitbelichtung – sehr sehr schön …” Er scrollt und ich frage das Kinderinnen, ob ich ihn etwas fragen soll. Oder, ob es ihm etwas zu den Fotos sagen möchte. Ob es Fragen zu seinem Kurs hat. Ob es den probieren möchte. Ich frage das mit der Generalschlüsselfrage: “Ist er ein Mensch*?” alles gleichzeitig und mein kleines Herz nickt eifrig. “Hier – niemand macht sich die Mühe so nah an die Wasseroberfläche zu gehen, um so etwas zu fotografieren- das ist sehr gut”, sagt er und erzählt dann, das man sich Kameras ausleihen kann, um bestimmte Dinge zu probieren. Manches von dem, was unsere Kompaktautomatikknipse nicht kann.

Das kleine Herz zappelt unter meinen Federn umher und strampelt sich heraus. Steht mit offenem Mund hinter den Augen und fuchtelt mit den Armen. Meine Wörter legen sich um seine Bewegung und klumpen aus dem Uns heraus. Der Leiter des Fotokurses hört zu. Schaut auf die Fotos. In unser Gesicht. Lächelt seine Augen zu einer dicken Linie zwischen vielen kleinen.

Dann verabschieden wir uns von ihm und folgen dem Kunstleiter durch die Ateliers.
Unser Schritt ist eckig geworden.
Wir sehen junge Menschen. Teenager. Kunst, die uns gnadenlos die Inspiration ins Hirn pumpt und an etwas zerrt, dem immer – dem seit mehr als 13 Jahren ein “hätte” oder “wäre” oder “wenn” vorausgeht.

Ich erinnere, was eines der anderen Herzen in der Therapiestunde aus sich herausstachelte: “Wenn ich nur länger durchgehalten hätte. Wenn ich nicht krank geworden wäre.”, und einfach nicht weiß, dass es in dieser Welt des Heute damit sagt: “Wenn ich die Gewalt, den Schmerz, die Qual, die Not, die Folter, die Ausbeutung nur länger durchgehalten hätte. Wenn ich keine (psychiatrische) Hilfe bekommen hätte.”.
Ich weiß: Es hat auch Recht.
Auf eine dieser perversen Arten, wie sie nur das Leben hervorbringen kann, hat es recht. Wenn wir nur bis zum Abitur durchgehalten hätten. Wir hatten die Chance singen, tanzen, Kunst machen und vieles mehr zu lernen. Wir hätten so viel mehr lernen können als das Notwendigste für Überleben und Realschulabschluss.

Wir kennen diese “Eigentlich wollen wir ja keine Elite sein”- Gymnasiumattitüde, die dann doch Markenkleidung trägt und Privat- oder Kursunterricht, wie den, den wir hier gerade mit unserer Besichtigung stören, erhalten kann. Neben Schüler_Innennachhilfe und Taschengeld, um am Wochenende ins Kino zu gehen.
Wir haben nicht dort reinpassen können und mussten das auch nie.
Aber da war die Chance.
Und wir haben sie nicht genutzt.
Warum auch immer.
Egal wie nachvollziehbar die Entscheidung war, wegzugehen und einen anderen Weg zu wählen.
Die Chance blieb ungenutzt und sie wird nie wiederkommen.

Unser Rundgang endet in einem Raum, in dem die Kurse für figürliches Zeichnen stattfinden. Es gibt einen Leuchttisch und die roten Haare des Innens lecken ihre Hitze bereits wieder in alle Richtungen. Mit einem Leuchttisch, kann es Trickfilmbilder besser zeichnen.
Wir fühlen uns durch den Raum, in dem viele Teenager sitzen, miteinander reden und uns verstohlen anschauen.
Mein Blick fällt auf das Grafiktablett eines der jungen Menschen dort.

Das Teil kostet neu über 800€. Frau Rosenblatt sabbert das Gerät seit der ersten Version durch das Internet an und fühlt jedes Mal den Schmerz des Wissens, dass es mehr kostet als das, was sie zum Leben vom Staat erhält. Weil das ihr Leben in einem Monat kosten darf.
Und dann liegt es einfach da.
Achtlos neben Wassergläsern abgelegt und mit Aufklebern verziert.
Es kostet so viel wie 100 Monate Kunstkurs für eine Hartz 4 Behinderte mit Splitter-Ich.
Würde der Kurs soviel kosten, wie es der Staat für Bildungsausgaben unter Hartz 4 vorsieht: 533 Monate.

Es liegt dort rum und würde es aufstehen und uns sagen: “Siehste- das haste nu davon!” – es wäre nur logisch.

Im Flur vor dem Raum liegt eine braune Labradorhündin und schläft mit dem Gesicht zwischen den Pfoten.
Wir tauschen Floskeln mit dem Kunstleiter und torkeln mit unseren Eindrücken im Kopf in die Kälte hinein.

Ich denke an den Artikel zum 10 jährigen Bestehen der Hartz 4 Gesetze, den wir uns seit Wochen aus dem Herzen rausschreiben wollen und daran, dass so viele Menschen von unserer Armut erfahren und dennoch denken, es hätte für uns jemals ein
“vor Hartz 4” gegeben. Ein “vor der Armut”. Ein “bevor es alles schwierig wurde”. Oder zumindest so mit uns sprechen.
Vielleicht, weil es so normal ist, dass jede_r mal ein “Früher war alles besser” hatte.

Wir hatten das nicht.
Wir hatten nur Chancen.
Und die haben wir nicht genutzt.

Weil wir statt auf ein Über.Morgen hinzuleben, ein Heute erkämpfen mussten.

Wir haben kein greifbares “wenn es vorbei ist”. Keine realistische Vorstellung, wie das Morgen nach dem Überleben, nach der Armut, wie das Ende des Hoffens erreicht werden kann. Wir wissen nur: das Bedürfnis der Therapeutin, der Welt, den Augen, die auf uns drauf schauen zu sagen, dass es in unserem Leben eine strukturell produzierte und aufrecht gehaltene Todesangst gibt, die für andere Menschen einfach nur “Hartz 4” heißt – das wird morgen wieder überlebt sein.

Genau wie alle Gewalt, Schmerz, Qual, Not, Folter und Ausbeutung, die wir überlebt haben bis wir 21 Jahre alt waren.

 

 

Bumerang und atmen

und ein bisschen lustig ist es doch
wenn man dann über Dinge wie Armut und “Aber das haben Sie jetzt nicht gehört” und “das wissen Sie nicht” und “wie gut, dass Sie das jetzt schon vergessen haben” die sich immer, zwangsläufig irgendwie, direkt daneben abspielen, spricht.

Auch deshalb werde ich nie nie niemals eine Biografie schreiben _können_, in der ich “mein Schweigen breche”.
Nicht nur, weil ich das pathetisch und unangemessen finde, sondern, weil Schweigen und gezielte Unkenntnisse der Kleister sind, der das, was ich hier mache bis jetzt zusammenhält.

Gerade ist die neue gesetzliche Betreuerin wieder gefahren und es war schön.
Mir ist schlecht, ich hab Angst, aber es geht mir richtig gut.

Weil sie alles und nichts gehört hat.
Sie weiß, dass ich mit zweidreiviertel Beinen in der Strafbarkeit stehe und gleichzeitig Opfer geworden bin. Und irgendwie alles gleichzeitig nebenher gelaufen ist. Manchmal ohne mich, manchmal wegen mir und manchmal auch, weil ich das so wollte und nicht anders und manchmal, weil andere da waren, oder nicht, oder etwas wollen, was sie nicht hätten wollen dürfen sollen.

Hach.
Atmen.

Ich weiß ja auch nicht, wieso ich eigentlich nicht schon längst unter einer Brücke wohne oder schon länger nicht am Essen knipsen musste.
Und wieso so viele Menschen irgendwie immer noch da sind und immer noch nicht gemerkt haben, wie ich stinke. Und ach überhaupt.

Ich hab damit ja irgendwie doch auch beruhigend wenig zu tun.
Menschen sehen, was sie sehen wollen.
Was sie sehen können.

Ich bin nur Projektionsfläche und manchmal Impulsquelle.

Ach ach ach
Atmen.

Ich hab mich so ungerächt gefühlt und jetzt sehe ich endlich den Bumerang in die richtige Richtung fliegen.
Nichts vergeht, nur weil man nicht drüber spricht.

”Was hast du denn geglaubt, was meine Optionen sind? Was hast du denn gedacht, wie sich so eine Nummer bei jemandem wie mir bedeckt halten soll?”, befinde ich mich in einem endlich endlich stattfindenden Streitgespräch,  mit dem Bild von H. in meinem Kopf.
”Hast du eigentlich nachgedacht? Oder hast du an mich als das kleine Huschi von 2006 gedacht, für das du deinen Rücken breit machen musst, weil “darum”? Weil du dich aufopfern musst, oder was? Weil “du und ich gegen die ganze Welt” ja schon immer eine so super gute Idee war?”, in Gedanken schaue ich ihr streng ins Gesicht. Von oben runter. Sehr groß. Kalt und unnachgiebig. Wie ich nie sein kann außerhalb meines Kopfes.
”Hast du gedacht- habt ihr gedacht” – ich drehe den Kopf an die Tür im Gedankenzimmer, wo S. steht und sich an einer Flasche Fensterputzmittel und einem Viskosetuch festhält, um nicht von meinem Wutsturm weggepustet zu werden – “wenn ihr euch einfach so verpisst- wenn ihr mich und uns sowas von mies und feige und rückgratlos verlasst – ALLES einfach so ebenfalls verschwindet?! Dass ihr euch vor euren Mitverantwortungen und Fehlern einfach so wegschleichen und … “ – ich schlucke, damit mir nicht noch mehr Spucke aus dem Mund herausschießt – “ ‘spurlos verschwunden’, spielen könnt?”.
Ich atme tief ein.
Daily Soapmusik im Hintergrund, Zoom auf mich. Mangatränen glänzen.
“Ihr habt Spuren hinterlassen.”
Irgendwas mit Klaviermusik.
”Und manche davon sind richtig scheiße.”
Cliffhanger. Bizarre Synthesizer.

Auch in meinem Kopf will ich die Antworten gar nicht hören, weil ich weiß, wie sie sind.
Weil sie seit Jahren immer die gleichen Phrasen, Geschichten, Anekdoten und Schenkelklopferkackscheißwitze darstellen. Weil die letzten richtigen Gespräche vor 6 Jahren waren. Weil sie mich nicht ernstnehmen können. Weil sie mich nicht hören und begreifen können. Weil … wir jahrelang abwechselnd dieses tote Pferd, diesen stinkenden, giftigen Kadaver durch die Zeiten geschleppt haben und aus Trotz nicht mit den Wiederbelebungsmaßnahmen aufgehört haben.

Nichts verschwindet.
Und sowohl in meinem Kopfkampf, als auch “in echt”, ist mir das ein Triumph.

Auch wenn es erbärmlich ist.

Als sie mir zuletzt in die Kniekehlen getreten hatten und ich wir vor Wut heulend eine mehrspurige Hauptstraße, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, überquerten, Laternenpfähle im Vorbeigehen boxten und immer noch kein Schmerz fühlbar war – da war es diese Ohnmacht, dieses Gefühl ein Nichts und Niemanden so verletzen und treffen, so ängstigen und ausliefern zu können, wie wir und ich es durch sie erlebt haben.
Wie erbärmlich war das am Straßenrand ins Handy zu hören und sich mit den Worten der Therapeutin vor dem Ertrinken zu retten?
Ich fands erbärmlicher, als die Aussicht, dass es einfach doch nicht von ihnen wegzureden, zu argumentieren und verstecken und verschweigen ist.

Keine Illusionen Baby.
Niemand ist sein Leben lang arm, krank und so lange schlicht überlebend, weil unterversorgt, wie wir, um jetzt ein Leben leben zu können, das dem nicht Rechnung trägt.
Niemand.

Es ist mein Leben.
Und es kann jetzt endlich in aller Ruhe so offen aussichtslos, trüb und minderwertig sein, wie es ist.
Es kann mein beschissenes 10 Jahre Hartz 4 ohne Berufsausbildung, mit selbstgemachter Arbeit ohne Lebenshaltungskostendeckendem Einkommen sein. Es kann mein “Wenn ich morgens aufstehe MUSS ich schreiben und Kunst machen” – Leben sein. Es kann mein “Ich bin eine zerstörte Person und es hat nie aufgehört weh zu tun” – Leben sein. Es kann mein von mir allein definiertes Leben* (mit Sonderzeichen) sein.
Es kann alles das sein, ohne, dass die Person, die für mich und in meinem Sinne spricht, mir immer wieder reindrückt, dass es ja alles nicht so ist. Dass man das ja so nicht sagen kann.

Dass es bei ihr ja auch geklappt hat.

Ich bin nicht du. Ich bin nicht ihr. Ich bin ich.
Und ich bin in echt so scheiße.
Und es würde mich nicht stören so ein Stück Scheiße zu sein, wenn ich es in Ruhe auch einfach mal sein könnte, ohne dass ich immer wieder in diesen bescheuerten Selbstoptimierungsstrudel gezogen werden würde. Dieses Vergleichen vor anderen Menschen mit DIS, mit Traumageschichte, mit Hartzkonto, mit ohne Beruf, mit was weiß ich, das immer nur wieder dazu führt, wachsen zu müssen. Zu müssen und nicht zu wollen.

Ich mag mich im Moment einfach doch viel lieber entwickeln und reifen, statt zu wachsen.

Atmen.

 

Ich hab jetzt eine gesetzliche Betreuung.
Ich darf jetzt Quittungen sammeln und in eine Kiste tun.
Ich darf jetzt Honorare kriegen und Sachen verkaufen, wenn ich mag.

Jetzt kann ich mich trauen
die richtig echten Erwachsenensachen zu probieren
wenn ich mag

Fehler werden ab jetzt nicht mehr verschwiegen.
Erwachsene, die von Erwachsenen umgeben sind, brauchen das nicht zu tun.

Badabamm

und ausatmen

Behinderungsmerkmal “mehrfachdiskriminiert”

Eine umfassende Reform der gesetzlichen Regelungen um die Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen soll es geben und das Ergebnis soll “Bundesteilhabegesetz” heißen.
Verschiedene Punkte der Reformpläne wurden vorgestern in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales hinterfragt. Dabei zeichnete sich ab, dass über die Wege zur Reform des § 9 SGB IX [die Vorschrift, die bis heute ausreichend sicherstellen soll, dass Menschen hinsichtlich ihrem Wunsch- und Wahlrecht zur Teilhabe entsprechend ihren Bedürfnissen Unterstützung erhalten] keineswegs nur Einigkeit herrscht. Auf der Webseite des Bundestags wurde aber auch festgestellt: „Einigkeit herrschte jedoch darin, das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen zu stärken, die Beratungsangebote und die Durchlässigkeit der Werkstätten für Behinderte zu verbessern.“

Bisher werden nicht alle Personen mit Behinderungen gleichgestellt, was sie in ihrem Recht auf Einforderung von Leistungen zur Teilhabe  einschränkt.
So wurde von der Universität Kassel das Bundesgleichstellungsgesetz (kurz BGG) evaluiert, die zu dem Ergebnis kam, dass nicht alle Gruppen der Menschen mit Behinderungen berücksichtigt wurde.
Waltraud Wolff (SPD) führte an, dass Menschen mit “schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache”, hörgeschädigte Menschen, Frauen mit Behinderungen, aber auch Menschen mit “geistigen und Lernbehinderungen” betroffen seien und richtete die Frage an Antje Welke von der Bundesvereinigung “Lebenshilfe”, was nötig sei, um diesen Menschen ausreichend Berücksichtigung zu geben.

Diese antwortete darauf, dass die Etablierung leichter Sprache, die Abgrenzung “hörgeschädigter” Menschen von sogenannten gehörlosen Menschen als eigenständige Gruppe, so wie die Flexibilisierung von Verwaltungsabläufen und die Möglichkeiten zu alternativen Kommunikationswegen für Menschen mit sogenannten “seelischen Behinderungen” eingebettet werden müsse. Welke führte aus, dass es für Frauen mit Behinderungen, wie auch für “Menschen mit Migrationshintergrund”, wegen des Umstandes der Mehrfachdiskriminierung eine eigene Vorschrift geben müsse.

Es ist mir, als Frau*, die mit einer Behinderung lebt,  ein gutes Zeichen, wenn nach 10 Jahren eher fruchtlosen Bemühungen für die Gleichstellung (und damit implizit die Teilhabe) von Frauen mit Behinderungen, diese im BGG eigens erscheinen sollen, denn bekannt ist ja auch: Wer oder was nicht in irgendeinem Gesetz oder einer Vorschrift zu einem Gesetz benannt wird, existiert nicht als eigenständiges Problem bzw. eigenständige Personen/Betroffenengruppe bzw.  als Rechtsgegenstand, was zur Folge hat, das weder Schutz noch Strafe noch Regulierung allgemein für/an/mit/aufgrund von eben diesem Rechtgegenstand verbindlich festgeschrieben sind.

Allerdings hat sich in meinen Augen auch die Politik ™ damit kein gutes Zeugnis ausgestellt, denn was dieser Vorschlag auch sagt ist ja: “Mehrfachdiskriminierte Personen, die mit wie auch immer gelagerten Behinderungen leben müssen, benötigen einen gesetzlich regulierten Anspruch zur Gleichstellung (und damit eben auch zum Recht auf Teilhabe am Leben) in der Bundesrepublik Deutschland, weil sie ihn sonst nicht erhalten”.

Und dies steht neben dem Spannungsfeld einerseits niemandes Wunsch- und Wahlrecht beschneiden zu wollen, andererseits aber bereits jetzt, mit der sogar gesetzlich festgeschriebenen Beschneidung durch die Kostenträger eben jener Teilhabeleistungen, noch immer nicht gewährleistet ist, dass Menschen, egal mit welcher Behinderung sie leben, auch an jedem Standort in Deutschland entsprechend ihren Rechten auch erhalten, was sie wünschen und wählen.  So wurde in der Anhörung die Öffnung des Wunsch- und Wahlrechtes von Menschen Behinderung letztlich (und nach meinem Verständnis der Sachlage) aus Kostengründen bzw. Gründen lokaler Infrastrukturen abgelehnt, was für mich persönlich nicht hinnehmbar ist.

Denn apropos Kosten und Finanzierungen: Personen, die wie die Anwesende Nancy Poser, die als einzige offensichtlich konkret betroffene Person unter den Sachverständigen sprach und dieses offen bedauerte, auf eine Assistenz angewiesen sind, die ihnen helfen, können weder mehr als 2600€ als Schonvermögen ansparen, noch davon ausgehen, das ihre EhepartnerInnen* von ihren Finanzen unberührt bleiben.
Gerade die Wortmeldung Posers erschien mir als Mensch mit nie mehr als Hartz 4 auf dem Konto als unfassbar bitterer Ausblick auch in die Leben anderer Menschen mit Behinderungen. Sie ist Richterin am Landgericht und hat kaum mehr auf dem Konto als andere in einem Monat verdienen. Weil sie mit einer Muskelatrophie lebt. Weil sie damit geboren wurde.
Gut, sie hat ein Studium geschafft, hat einen Job gefunden und steht im Berufsleben – das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, wenn man mit einem so großem Unterstützungsbedarf zur Interaktion und Anpassung an die bestehende Umgebung(snorm) lebt, doch am Ende unterscheiden sich ihre sowohl finanziell als auch die daran gebundenen anderen Möglichkeiten kaum von denen, die ich habe mit meinen 10 Jahren Hartz – weil keine angemessene Möglichkeit zur Berufsausbildung für Menschen mit seelischer Behinderung – 4.

Auch das wurde thematisiert. 18% aller im Jobcenter landenden Menschen mit Behinderungen, werden in Werkstätten eingegliedert, die oftmals gar nicht passend konzipiert sind. So sind inzwischen etwa 30% der Menschen, die in Werkstätten arbeiten, Personen, die mit “seelischen Behinderungen” leben. Tendenz steigend und das nicht zuletzt auch, weil viele Menschen erst durch krankmachende Arbeitsbedingungen auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu chronisch Kranken und damit ebenfalls schwerbehinderten Menschen gemacht werden.

Als schön zu hören, erlebte ich den Einwurf, dass das Recht auf Teilhabe nicht allein durch das Schaffen von Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt für Menschen, die mit Behinderungen leben erfüllt werde. So wurde angeführt, dass der übliche Lebensrhythmus von verschiedenen Tätigkeiten geprägt sei (was für mich implizierte, dass auch zum Beispiel die Sorgearbeit von schwerbehinderten Frauen oder der “2 Stunden die Woche”- Job von Senioren mit Behinderungen, wie die Überlebensarbeit für akut unter der ihre Behinderung definierende Krankheit leidenden Personen gesehen wurde) und immer auch mit sozialer Teilhabe am Leben einher gehen müsse und ergo auch entsprechenden Leistungen zu ermöglichen seien.

Alles in allem bleibt: der Weg zu einem Gesetz, das umfassend und ohne weitere Ausschlüsse und Diskriminierungen zu produzieren, Menschen, die genau davon in ihrer Lebensqualität und ihren Entfaltungsmöglichkeiten zum Teil massiv eingeschränkt werden, stärken und sichern soll, ist steinig.

Das Video zur Anhörung ist hier zu finden.
Eine schriftliche Stellungnahme der teilnehmenden Personen wurde angefertigt und ist hier zu finden.

because…

Es hat etwas damit zu tun Haltung zu wahren und sie unmerklich zu verlieren.
Dieses Nichtweinen, Nichtausruhen, Nichtstillhaltenlosrennen. Diese Implosion, über die ich hinwegsehe, als wäre sie nicht da, um doch auf Zehenspitzen drumherum zu tanzen.

Ich will das, ich kann das, ich mach das. Nicht obwohl, sondern weil.
”Because of fucking darum”, wie die andere neulich in den Waldboden spuckte.

Ich halte mein Leben, den bürokratischen Teil meines Lebens, jetzt den vierten Monat in meinen klapprigflatternden Händen und bin dabei irgendwas zwischen Pisas Turm und Jenga unter Kindergartenkindern.
Ich stehe für meine Fehler, Fehl- und Falschangaben gerade, unterzeichne mit einem Namen, der mich Würgen lässt. Ich gehe ans Telefon und rede, auch wenn ich falsch angesprochen werde.
Ich hab aufgehört vor Unrache zu heulen, hab mir das Atmen gegen das Zwerchfell angewöhnt. Ich bin so cool wie Espenlaub und smooth wie Apfelmus.
Und versage mit Pauken und Trompeten.

Wer hätte das gedacht.

Mir helfen Fremde* im Internet besser, als der zuständige Dienst meiner Stadt. Selfpedia– ich danke dir <3

Meine Haltung ist mir aufgefallen.
Vorhin, heute Nachmittag im Schaufenster gegenüber des Geldautomaten, der mir kein Geld ausspuckte.

Ich sehe geschlagen aus.
Nieder geschlagen.
Bucklig, schief und krumm.

Schonhaltung ist der Vermeidungstanz des Körpers.
Meine Körperteile winden sich um Schmerzpunkte herum, schlagen Haken und zurren sich gegenseitig fest. Damit keins, aus Versehen, herunterfällt.

Mir fällt schon was ein. Ich krieg das schon hin. Nicht trotzdem, sondern weil. Atmen. Kopf hoch. Weiter weiter, von stehenbleiben verändert sich nichts, Herzi. Zack Zack.

Mir ist meine Haltung aufgefallen, als ich am Herd stand und bemerkte, dass ich Hartzpanik esse.
Das ist Essen, das es eigentlich gar nicht recht aus der Packung auf den Herd in ein Geschirr in mich hineinschafft, sondern mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem reingedrückt wird, damit man satt ist, bevor alles weg ist.

Mir ist eingefallen, dass ich im ersten Hartzjahr genau so in meiner winzigen “Küche” stand.
Mein Rücken tat weh. Meine Beine. Meine Haut. Aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne.

Aber meine Kundennummer. Meine Kundenidentifikationsnummer vom Jobcenter hatte mir ein Haltungskorsett angelegt.
Man nannte es mal ”Stütze”. Aus Gründen, so scheint mir.

Natürlich könnte man es auch Käfig nennen. Sagen, dass wer darin getreten und nieder_geschlagen wird, auch einfach nie die Haltung verlieren kann. Selbst wenn er wollte.

Morgen stelle ich meinen zweiten Eilantrag auf gesetzliche Betreuung.
Morgen rufe ich in der Praxis von einer Medizinerin* an, die sich mit Schmerzbehandlung auskennt.
Morgen wird mir schon was einfallen.

in 50 Tagen sehen wir das Meer
und dann können wir uns immer noch ein neues Darum überlegen