viele_s sein

~ Fortsetzung ~

Oft ist es so, dass es Diagnosen braucht, um soziale, psychologische, psychiatrische Hilfen zu erhalten oder Unterstützungen zu beantragen. Manchmal reicht aber auch die Formulierung von Schwierigkeiten bzw. von Hilfe- /Unterstützungsbedarf. Dann machen die Köpfe der Verantwortlichen die Diagnose (im Sinne von: die Schublade) eben allein.

Für uns war die Formulierung von Hilfeplänen in der Jugendhilfe oft schwierig. Offensichtlich hatte die teilstationäre Jugendhilfe unsere Angaben zu Gewalterfahrungen, die aktuell stattfanden, genauso wenig bewusst, wie den Umstand, dass es uns immer wieder belastete, mit der Stadt aus der wir weggelaufen waren und auch mit der Familie* im weitesten Sinne in Kontakt zu kommen.
Aber ein Hilfeplan muss ja geschrieben werden. Und Extrawürste wie Amtshilfe, die Übertragung unseres Falls in die neue Stadt oder die Formulierung des Bedarfs und der Entwicklung, die stattfand, allein auf dem Papier, ach – wer hat denn die Zeit und das juristische Fachwissen, da hinterher zu sein?

Meine Betreuer_innen hatten das nie, obwohl ich später auch noch Betreuende kennenlernen durfte (und bis heute immer mal wieder darf) für die das eine Belastung ist und die sich immer wieder bemühen, Schlupflöcher, Mittel und Wege zu finden, ihre Klient_innen zu schützen und im Ganzen zu unterstützen.

Meine Jugendhilfebetreuung hatte diese Zeit auf jeden Fall nicht. Zwischen 24 und 29 Fachleistungstunden für unsere Betreuung wurden regelmäßig bewilligt – tatsächlich getroffen habe ich meine Betreuerin einmal in der Woche (zum Einkaufen – nicht jedoch um zu lernen und zu begreifen, wie ausgewogene Ernährung oder allgemeiner noch: ein ausgewogenes Geldkontingent aussehen könnte). Ganz zu Beginn der Betreuungszeit kamen auch Betreuer_innen zu uns, um Krisenmomente zu überstehen und irgendwann gegen Ende der Betreuungszeit mal hier mal da eine Stunde zum Kaffee trinken.
In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um Eingliederungshilfen handelte: ein verdammter Witz, weil die Frage nach unserer Eingliederung einfach nie eine Rolle spielte.

Es war wichtig, dass wir einen Realschulabschluss machten und für uns schien ein Schulabschluss zwischendurch wie der heilige Gral, der unser Leben in der Zukunft sichern und verschönern würde.
Als ob.

Für viele Menschen ist das Wort “Täter_innenkontakt” zu abstrakt um zu begreifen, was sie eigentlich von Menschen, die damit zu tun haben, abverlangen, wenn sie ihnen das Agieren in einem System zur Bedingung machen, in dem so etwas nicht existiert.
Weil wir viele sind, konnten wir das und ja – das ist spezifisch fürs viele sein.

Wenn ich damals den gleichen Bewusstseinsgrad wie heute über die brachiale Gewalt, die wir in der Zeit erfuhren gehabt hätte, hätte ich keinen einzigen Schultag geschafft, geschweige denn die regelmäßige ambulante Therapie, in der wir zu der Zeit saßen und rückblickend nichts als Kriseninterventionen gemacht haben, um das eigene am Leben sein auszuhalten.

Für mich ist es gerade schwierig darüber schreiben, weil mir klar ist, was für ein Skandal da eigentlich passiert ist. Ich war betreut – da war eine Institution damit beauftragt, dass ich ins Leben und die Gesellschaft eingegliedert werde – letztlich eine staatlich bezahlte Instanz, die die sozialen Aufgaben einer Familie übernehmen sollte.
Und dann ist der wöchentliche Termin eine Fahrt zum Marktkauf um die Ecke und ein zwei mal im Monat ein Kaffee, statt die Auseinandersetzung damit, welche Auswirkungen der Täterkontakt und die Anpassung meines Selbst (und auch meines Körpers) auf meine Eingliederungsfähigkeit, meine Alltagsfunktionalität, meine (seelische) Gesundheit hat oder die Erprobung von Optionen zur Einbindung meiner Person in soziale Kontexte.

Mir ist bis heute ein Rätsel, was mein Anteil an dieser Katastrophe war. War ich nicht deutlich genug? Wäre das überhaupt meine Aufgabe gewesen? Wurde mir nicht geglaubt oder wurde viel mehr einfach nicht begriffen, was ich sagte? Hätte ich mehr fordern sollen? Von wem und wann?
War man überfordert? War der Eingliederungsauftrag der falsche Ansatz für mich? Hätte ich mich woanders betreuen lassen sollen?

Wir waren eine 18 Jahre alte Person – die aufgrund organisierter Gewalt einmal quer durchs Land gezogen war – die regelmäßig suizidal wurde, wenn es Hilfeplankontakt in die Herkunftsstadt gab – die angab regelmäßig misshandelt zu werden
Aber wichtig war der Realschulabschluss.

Die Amtshilfe wurde einmal beantragt und mit einem formlosen Schreiben vom Jugendamt unserer Herkunftsstadt abgelehnt, weil “darum”. Eine Anzeige zu erstatten hätte mehr psychische Stabilität und innere, wie äußere Sicherheit erfordert, die uns zum Einen die Betreuung nicht bieten konnte (selbst als bei uns eingebrochen wurde, um uns in der Wohnung aufzulauern, war die Alternative eine verwahrloste (wirklich fast Messie-) Wohnung dessen Vorbewohnerin rausgeflogen war) und zum Anderen vom Staat vermutlich gar nicht erst angeboten worden wäre.

Der Zeitmangel meiner Betreuungen und diverse unterlassene juristische Wegbeschreitungen hatten für mich die Konsequenz von (über die Jahre grob überschlagen) insgesamt etwa 4.500€ Schulden bei Behören wie der GEZ, der Stadt und dem Jobcenter, die ich allesamt von meiner Grundsicherung bis heute abbezahle.
Seit 9 Jahren erhalte ich nicht den vollen Satz Grundsicherungszahlung, weil meine Betreuenden weder juristisch aktiv sein durften bzw. mehr als einmal diversen Meldungspflichten nicht fristgerecht nachkamen, noch weil ich gründlich über die Handlungsoptionen innerhalb gesetzlicher Betreuungen aufgeklärt war.

Heute bin ich gesetzlich betreut und traue mich nach 6 Jahren endlich wieder ohne Kloß im Hals meinen Briefkasten aufzumachen, weil ich weiß, dass dort jemand gerichtlich verpflichtet ist, die Kapazitäten aufzubringen, die die Verwaltung meines Lebens erfordert.

Man machte uns in der Jugendhilfe oft den Vorwurf, wir würden ständig Schach-Matt-Situationen produzieren und ja eigentlich auch gar keine Hilfe wollen, denn sonst würden wir das ja nicht machen.
Dass wir reagierten und gerade in den ersten 3 Jahren eigentlich gar nichts anderes taten, als wie ein reaktives Hörnchen um unsere Leben zu kämpfen, spielte dabei keine Rolle. Schließlich traten wir vor diesen Menschen ja auch immer mit einem Anliegen im Gepäck auf – verlangten und forderten ja etwas, das sie nicht geben konnten.

Und können, können tatsächlich die wenigsten Helfer_innen, was sie gerne können würden.
Sozial(psychiatrische) Betreuungen boomen, weil sie weniger kostenintensiv als stationäre Dienste sind. Die Folge sind beschissene bis ausbeutende Arbeitsbedingungen für die Betreuenden, die wir dann später auch nicht mehr ausblenden konnten und danach auf die Möglichkeit verzichteten von jemandem beim “in das Leben nach der Gewalt gehen” begleitet zu werden.

Wie soll ich mich denn fühlen, wenn ich merke, dass meine Betreuerin in einem Team die Einzige ist, die weiß, was eine DIS ist, was komplexe Traumatisierungen bedeuten und worum es in der Folge in der Begleitung gehen muss? Wenn ich weiß, dass sie nicht streiken darf, obwohl sie so viele Überstunden macht, dass ihr Stundenlohn im Grunde der Mindestlohn, wenn nicht weniger ist? Wenn ich weiß, dass ihre Fortbildung mehr oder weniger eine gönnerhafte Ausnahme für einen riesigen Konzern darstellt, dem es in der Werbung so viel ums Miteinander und die Chancen im Leben geht, wie in der Realität um Gewinnoptimierung und Chancen auf Profit?

Wie soll ich mich fühlen, wenn mir so eine Person sagt, die Gewalt an mir sei vorbei, wenn sie doch selbst die gleichen Gewaltmuster jeden Tag an sich erlebt und sie nicht als gleich annimmt?

Es gibt so viele Betreuende da draußen, die sich in ihren Teams für ihr Bemühen um “hoffnungslose Fälle”, “übertreibende Hysterikerinnen” etc. rechtfertigen müssen. So viele Leute, die die Ignoranz ihrer Chefs, ihrer Mitarbeiter_innen und des Hilfesystems, das sie nicht aus eigener Kraft verändern können, ertragen müssen und sich trotzdem den Arsch aufreißen, um Menschen, denen nie irgendwas geschenkt wurde, die ihr Leben lang misshandelt und ausgebeutet wurden, beim Nach_Wachsen die Hand reichen.

Sicher verpissen sich viele irgendwann. Sicher verbittern viele. Sicher knicken so manche irgendwann ein. Und ganz sicher leiden ihre Betreuten darunter.
Aber ihre Arbeit darf gewürdigt und gewertschätzt werden.

Ich erinnere mich daran, dass die Gemögte, die uns damals in der Ausstiegszeit die Kotze aus den Haaren wischte und jedes einzelne desorientiert nach vorne fliegende Innen entsprechend seiner Fähigkeiten versorgte, irgendwann nur noch Verachtung für unsere Betreuerin übrig hatte. Im Anbetracht dessen, was wir gerade gemeinsam durchmachten, hatten wir selbst auch keine Antwort mehr darauf, wozu diese Betreuung überhaupt gut sein soll.

Heute denke ich, dass meine Betreuerin das zu der Zeit wahrscheinlich selbst nicht wusste und genau deshalb schlicht gar nichts tat.
Weder genau das zu kommunizieren, noch über andere Formen der Betreuung mit uns zu sprechen.
Wir verachten sie bis heute für dieses Schweigen, doch können wir auch sehen, dass sie keine Kapazität gehabt hätte, unsere komplexe Problematik in einer Art und Weise zu kommunizieren und an andere Stellen weiter zu geben, um eine Veränderung einzuleiten.

Bei dem Arbeitspensum, das eine einzige ambulant betreuende Person abzudecken hat, fällt alles, was über lineare Handlungs- und Transportwege hinausgeht hinten über.

Die Scheiße ist: wenn eine ganze Person und ihr Er-Leben komplex ist, fällt auch das hinten über.
Und das nicht zu kommunizieren, sondern durchgehend zu vermitteln, die Person selbst sei in sich allein das Problem, ist ein Ausläufer unserer gesamtgesellschaftlichen Gewaltkultur und damit unprofessionelle, gewaltvolle, Kackscheiße.

Heute wünsche ich mir eine Zwangsverpflichtung für alle (auch kirchlichen!) Sozialeinrichtungen zu Gewerkschaften für ihre Mitarbeiter.
Ich will verdammt noch mal bundesweite Streikmöglichkeiten, faire Löhne, berufliche Weiterentwicklungen für Betreuende und noch viel mehr.

Weil ich niemandem meine späte Jugend bis junge Erwachsenenzeit mit solchen Betreuungen wünsche.

~ Fortsetzung folgt ~

Bumerang und atmen

und ein bisschen lustig ist es doch
wenn man dann über Dinge wie Armut und “Aber das haben Sie jetzt nicht gehört” und “das wissen Sie nicht” und “wie gut, dass Sie das jetzt schon vergessen haben” die sich immer, zwangsläufig irgendwie, direkt daneben abspielen, spricht.

Auch deshalb werde ich nie nie niemals eine Biografie schreiben _können_, in der ich “mein Schweigen breche”.
Nicht nur, weil ich das pathetisch und unangemessen finde, sondern, weil Schweigen und gezielte Unkenntnisse der Kleister sind, der das, was ich hier mache bis jetzt zusammenhält.

Gerade ist die neue gesetzliche Betreuerin wieder gefahren und es war schön.
Mir ist schlecht, ich hab Angst, aber es geht mir richtig gut.

Weil sie alles und nichts gehört hat.
Sie weiß, dass ich mit zweidreiviertel Beinen in der Strafbarkeit stehe und gleichzeitig Opfer geworden bin. Und irgendwie alles gleichzeitig nebenher gelaufen ist. Manchmal ohne mich, manchmal wegen mir und manchmal auch, weil ich das so wollte und nicht anders und manchmal, weil andere da waren, oder nicht, oder etwas wollen, was sie nicht hätten wollen dürfen sollen.

Hach.
Atmen.

Ich weiß ja auch nicht, wieso ich eigentlich nicht schon längst unter einer Brücke wohne oder schon länger nicht am Essen knipsen musste.
Und wieso so viele Menschen irgendwie immer noch da sind und immer noch nicht gemerkt haben, wie ich stinke. Und ach überhaupt.

Ich hab damit ja irgendwie doch auch beruhigend wenig zu tun.
Menschen sehen, was sie sehen wollen.
Was sie sehen können.

Ich bin nur Projektionsfläche und manchmal Impulsquelle.

Ach ach ach
Atmen.

Ich hab mich so ungerächt gefühlt und jetzt sehe ich endlich den Bumerang in die richtige Richtung fliegen.
Nichts vergeht, nur weil man nicht drüber spricht.

”Was hast du denn geglaubt, was meine Optionen sind? Was hast du denn gedacht, wie sich so eine Nummer bei jemandem wie mir bedeckt halten soll?”, befinde ich mich in einem endlich endlich stattfindenden Streitgespräch,  mit dem Bild von H. in meinem Kopf.
”Hast du eigentlich nachgedacht? Oder hast du an mich als das kleine Huschi von 2006 gedacht, für das du deinen Rücken breit machen musst, weil “darum”? Weil du dich aufopfern musst, oder was? Weil “du und ich gegen die ganze Welt” ja schon immer eine so super gute Idee war?”, in Gedanken schaue ich ihr streng ins Gesicht. Von oben runter. Sehr groß. Kalt und unnachgiebig. Wie ich nie sein kann außerhalb meines Kopfes.
”Hast du gedacht- habt ihr gedacht” – ich drehe den Kopf an die Tür im Gedankenzimmer, wo S. steht und sich an einer Flasche Fensterputzmittel und einem Viskosetuch festhält, um nicht von meinem Wutsturm weggepustet zu werden – “wenn ihr euch einfach so verpisst- wenn ihr mich und uns sowas von mies und feige und rückgratlos verlasst – ALLES einfach so ebenfalls verschwindet?! Dass ihr euch vor euren Mitverantwortungen und Fehlern einfach so wegschleichen und … “ – ich schlucke, damit mir nicht noch mehr Spucke aus dem Mund herausschießt – “ ‘spurlos verschwunden’, spielen könnt?”.
Ich atme tief ein.
Daily Soapmusik im Hintergrund, Zoom auf mich. Mangatränen glänzen.
“Ihr habt Spuren hinterlassen.”
Irgendwas mit Klaviermusik.
”Und manche davon sind richtig scheiße.”
Cliffhanger. Bizarre Synthesizer.

Auch in meinem Kopf will ich die Antworten gar nicht hören, weil ich weiß, wie sie sind.
Weil sie seit Jahren immer die gleichen Phrasen, Geschichten, Anekdoten und Schenkelklopferkackscheißwitze darstellen. Weil die letzten richtigen Gespräche vor 6 Jahren waren. Weil sie mich nicht ernstnehmen können. Weil sie mich nicht hören und begreifen können. Weil … wir jahrelang abwechselnd dieses tote Pferd, diesen stinkenden, giftigen Kadaver durch die Zeiten geschleppt haben und aus Trotz nicht mit den Wiederbelebungsmaßnahmen aufgehört haben.

Nichts verschwindet.
Und sowohl in meinem Kopfkampf, als auch “in echt”, ist mir das ein Triumph.

Auch wenn es erbärmlich ist.

Als sie mir zuletzt in die Kniekehlen getreten hatten und ich wir vor Wut heulend eine mehrspurige Hauptstraße, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, überquerten, Laternenpfähle im Vorbeigehen boxten und immer noch kein Schmerz fühlbar war – da war es diese Ohnmacht, dieses Gefühl ein Nichts und Niemanden so verletzen und treffen, so ängstigen und ausliefern zu können, wie wir und ich es durch sie erlebt haben.
Wie erbärmlich war das am Straßenrand ins Handy zu hören und sich mit den Worten der Therapeutin vor dem Ertrinken zu retten?
Ich fands erbärmlicher, als die Aussicht, dass es einfach doch nicht von ihnen wegzureden, zu argumentieren und verstecken und verschweigen ist.

Keine Illusionen Baby.
Niemand ist sein Leben lang arm, krank und so lange schlicht überlebend, weil unterversorgt, wie wir, um jetzt ein Leben leben zu können, das dem nicht Rechnung trägt.
Niemand.

Es ist mein Leben.
Und es kann jetzt endlich in aller Ruhe so offen aussichtslos, trüb und minderwertig sein, wie es ist.
Es kann mein beschissenes 10 Jahre Hartz 4 ohne Berufsausbildung, mit selbstgemachter Arbeit ohne Lebenshaltungskostendeckendem Einkommen sein. Es kann mein “Wenn ich morgens aufstehe MUSS ich schreiben und Kunst machen” – Leben sein. Es kann mein “Ich bin eine zerstörte Person und es hat nie aufgehört weh zu tun” – Leben sein. Es kann mein von mir allein definiertes Leben* (mit Sonderzeichen) sein.
Es kann alles das sein, ohne, dass die Person, die für mich und in meinem Sinne spricht, mir immer wieder reindrückt, dass es ja alles nicht so ist. Dass man das ja so nicht sagen kann.

Dass es bei ihr ja auch geklappt hat.

Ich bin nicht du. Ich bin nicht ihr. Ich bin ich.
Und ich bin in echt so scheiße.
Und es würde mich nicht stören so ein Stück Scheiße zu sein, wenn ich es in Ruhe auch einfach mal sein könnte, ohne dass ich immer wieder in diesen bescheuerten Selbstoptimierungsstrudel gezogen werden würde. Dieses Vergleichen vor anderen Menschen mit DIS, mit Traumageschichte, mit Hartzkonto, mit ohne Beruf, mit was weiß ich, das immer nur wieder dazu führt, wachsen zu müssen. Zu müssen und nicht zu wollen.

Ich mag mich im Moment einfach doch viel lieber entwickeln und reifen, statt zu wachsen.

Atmen.

 

Ich hab jetzt eine gesetzliche Betreuung.
Ich darf jetzt Quittungen sammeln und in eine Kiste tun.
Ich darf jetzt Honorare kriegen und Sachen verkaufen, wenn ich mag.

Jetzt kann ich mich trauen
die richtig echten Erwachsenensachen zu probieren
wenn ich mag

Fehler werden ab jetzt nicht mehr verschwiegen.
Erwachsene, die von Erwachsenen umgeben sind, brauchen das nicht zu tun.

Badabamm

und ausatmen

because…

Es hat etwas damit zu tun Haltung zu wahren und sie unmerklich zu verlieren.
Dieses Nichtweinen, Nichtausruhen, Nichtstillhaltenlosrennen. Diese Implosion, über die ich hinwegsehe, als wäre sie nicht da, um doch auf Zehenspitzen drumherum zu tanzen.

Ich will das, ich kann das, ich mach das. Nicht obwohl, sondern weil.
”Because of fucking darum”, wie die andere neulich in den Waldboden spuckte.

Ich halte mein Leben, den bürokratischen Teil meines Lebens, jetzt den vierten Monat in meinen klapprigflatternden Händen und bin dabei irgendwas zwischen Pisas Turm und Jenga unter Kindergartenkindern.
Ich stehe für meine Fehler, Fehl- und Falschangaben gerade, unterzeichne mit einem Namen, der mich Würgen lässt. Ich gehe ans Telefon und rede, auch wenn ich falsch angesprochen werde.
Ich hab aufgehört vor Unrache zu heulen, hab mir das Atmen gegen das Zwerchfell angewöhnt. Ich bin so cool wie Espenlaub und smooth wie Apfelmus.
Und versage mit Pauken und Trompeten.

Wer hätte das gedacht.

Mir helfen Fremde* im Internet besser, als der zuständige Dienst meiner Stadt. Selfpedia– ich danke dir <3

Meine Haltung ist mir aufgefallen.
Vorhin, heute Nachmittag im Schaufenster gegenüber des Geldautomaten, der mir kein Geld ausspuckte.

Ich sehe geschlagen aus.
Nieder geschlagen.
Bucklig, schief und krumm.

Schonhaltung ist der Vermeidungstanz des Körpers.
Meine Körperteile winden sich um Schmerzpunkte herum, schlagen Haken und zurren sich gegenseitig fest. Damit keins, aus Versehen, herunterfällt.

Mir fällt schon was ein. Ich krieg das schon hin. Nicht trotzdem, sondern weil. Atmen. Kopf hoch. Weiter weiter, von stehenbleiben verändert sich nichts, Herzi. Zack Zack.

Mir ist meine Haltung aufgefallen, als ich am Herd stand und bemerkte, dass ich Hartzpanik esse.
Das ist Essen, das es eigentlich gar nicht recht aus der Packung auf den Herd in ein Geschirr in mich hineinschafft, sondern mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem reingedrückt wird, damit man satt ist, bevor alles weg ist.

Mir ist eingefallen, dass ich im ersten Hartzjahr genau so in meiner winzigen “Küche” stand.
Mein Rücken tat weh. Meine Beine. Meine Haut. Aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne.

Aber meine Kundennummer. Meine Kundenidentifikationsnummer vom Jobcenter hatte mir ein Haltungskorsett angelegt.
Man nannte es mal ”Stütze”. Aus Gründen, so scheint mir.

Natürlich könnte man es auch Käfig nennen. Sagen, dass wer darin getreten und nieder_geschlagen wird, auch einfach nie die Haltung verlieren kann. Selbst wenn er wollte.

Morgen stelle ich meinen zweiten Eilantrag auf gesetzliche Betreuung.
Morgen rufe ich in der Praxis von einer Medizinerin* an, die sich mit Schmerzbehandlung auskennt.
Morgen wird mir schon was einfallen.

in 50 Tagen sehen wir das Meer
und dann können wir uns immer noch ein neues Darum überlegen